Theorien, die sich selbst betreiben: In "Die Metapher des
Systems" bastelt sich Peter Fuchs aus Differenzen der
Systemtheorie eine Möbiusschleife
von NIELS WERBER
Der Untertitel von Peter Fuchs neuestem Buch "Die Metapher
des Systems" lautet "Studien zu der allgemein leitenden Frage,
wie sich der Tänzer vom Tanz unterscheiden lasse". Yeats
berühmtes Gedicht mit der Zeile "How can we know the dancer
from the dance?" zitiert Fuchs erwartungsgemäß, und auch Paul
de Mans legendäre Essaysammlung "Allegorien des Lesens" führt
er gelegentlich an, nicht allerdings seine Deutung des Gedichts, in
der exemplarisch vorgeführt wird, was dann "Dekonstruktion"
genannt wird.
De Man zeigt, dass die Unterscheidung (von Tanz und Tänzer),
die das Gedicht vollzieht und in Frage stellt, niemals zu zwei
sauber voneinander getrennten Singularitäten (Tanz auf der einen,
Tänzer auf der anderen Seite) führt, sondern "keine ohne die
andere existieren kann. Es kann keinen Tanz ohne Tänzer und
kein Zeichen ohne Referenten geben." Die Differenz, so wird nun
generalisiert, differenziert zwar, aber zugleich widersprechen die
Unterschiedenen der Differenzierung. Insbesondere die
metaphysischen Differenzierungen von Zeichen und Bedeutung,
Logik und Rhetorik, Innen und Außen werden von der
Dekonstruktion ausgehebelt, indem sie in ihren Lektüren
nachweist, dass die Logik immer schon eine Rhetorik, dass
Innen ein Außen und keine Bedeutung ohne Zeichen sei. Die
Unterscheidung und zugleich Suspendierung der Unterscheidung
durch das Unterschiedene (Derrida nennt dies auch "différance")
sei, so de Man, keine Operation des Interpreten, sondern im
"Text am Werk". Diese Textbewegung heißt: Dekonstruktion.
Ohne auf diese Position einzugehen, überführt Fuchs ihr Modell
in die Systemtheorie; er versucht vorzuführen, dass die
"différance" in ihr immer schon am Werk ist. Urs Stäheli hatte
bereits vergangenes Jahr unter dem Titel "Sinnzusammenbrüche"
dem "dekonstruktiven Parasiten" in der Systemtheorie
nachgespürt; liest man nun Fuchs, dann darf man sagen, dass
sich dieser Parasit mittlerweile außerordentlich wohl fühlt,
denn
alle zentralen Begriffe (und das heißt für Luhmann:
Unterscheidungen) sind ihm erlegen. Zuerst wird Yeats Frage an
System und Umwelt, Kommunikation und Bewusstsein, Sprache
und Schrift herangetragen, worauf die Unterscheidungen in eine
Innen/Außen-Differenz umformuliert werden, um dann diese
Differenz als "zentrales metaphorisches Moment der
Systemtheorie" zu bestimmen.
Die sachlich auftretenden Leitdifferenzen der Systemtheorie
werden als figurative Effekte oder performative Inszenierungen
erkannt, und Fuchs konstatiert ein "Verschwimmen der
Unterscheidung". Ob er nun Teresa von Ávila liest oder Rilke, es
geht ihm stets um den Nachweis, dass im Text eine "Verdrehung
oder Verschiebung an oder mit der Innen/Außen-Unterscheidung
geschieht", ja dass womöglich "alle Unterscheidung wegfällt"
in
einem "Sein ohne Differenz". Fuchs nennt dies eine
nichteuklidische, nichtcartesische "Soziologie", obwohl es doch
wohl eher ein Sprachspiel ist, das auch soziologische Texte liest.
Die Differenzierungen "System/Umwelt, Innen/Außen" werden
als "Hypostasierungen" oder als "Ausblenden nicht-cartesischer
Komplexität" entlarvt, um schließlich den "Begriff
Differenzierung" selbst derart zu dekonstruieren, dass man sagen
muss, nicht die Differenz, sondern die différance "etabliert das
Differentielle". Fuchs kann nun schreiben, dass "Theorien des
Typs, der sich hier betreibt, aller Ontologie abgeschworen
haben". Wie die Dekonstruktion in Yeats Gedicht betreibt sich
die dekonstruierte Systemtheorie selbst, also ohne etwas oder
jemanden, dem man die Unterscheidungen zurechnen kann.
Die, wie Fuchs empört feststellt, "offenbar nicht auszurottende
Gepflogenheit, einen Täter von Taten, ein Selbst des
Bewusstseins, einen Unterscheider oder Operateur zu
unterstellen", ist nun doch ausgemerzt worden, denn die Theorie
betreibt sich ja selbst. Konsequent wird all das, was bei
Luhmann ein Beobachter gewesen ist, dem die Unterscheidungen
seiner Beobachtungen zuzurechnen waren, durchgestrichen:
Gesellschaft, Kommunikation, System. (Wir möchten hier
Microsoft für die Leichtigkeit danken, mit der uns diese
Durchstreichungen gelingen.)
Wenn die Soziologie ein Teil der Gesellschaft ist, und was sollte
sie sonst sein, dann folgt daraus, dass sie in ihrem
Beobachtungsbereich selbst enthalten ist. Dies ist nicht
selbstverständlich, schließlich sind Botaniker keine Bäume,
die
Beschreibung der Gesellschaft ist jedoch Teil der Gesellschaft.
Jede soziologische Operation ist eine Kommunikation - und
mithin Teil ihres Objektbereichs. Dieses Verhältnis hat Luhmann
in dem Titel seines Opus magnum "Die Gesellschaft der
Gesellschaft" ausgestellt. Seine Gesellschaftstheorie macht das
"Angebot einer Beschreibung der Gesellschaft in der
Gesellschaft", also nicht von einer Außenperspektive auf die
Gesellschaft, sondern als ihr Teil.
Aus der daraus resultierenden Kontingenz der Beschreibungen
folgt für Luhmann aber nicht, man müsse auf zurechenbare,
methodisch kontrollierte Aussagen verzichten, vielmehr müssten
sie als wissenschaftliche Kommunikation die "Konkurrenz"
anderer Theorien bestehen. Fuchs dagegen "neigt zu folgendem
Satz: Die Gesellschaft der Gesellschaft ist die Gesellschaft."
Dem kann man nur schwer widersprechen; aber eine sich selbst
bewegende Theorie steht nicht in Konkurrenz zu soziologischen
Positionen, wohl aber zu Heideggers "Holzwegen". "Die Aussage
eines Gedichtes lässt sich nicht paraphrasieren, nicht in der Form
eines Satzes zusammenfassen, der dann wahr oder falsch sein
kann", schreibt Luhmann in "Die Kunst der Gesellschaft".
Vielleicht darf man diese Aussage auf Fuchs beziehen, der
immerhin an den Anfang seines Schreibens die "Kunst des
Fabulierens" setzt und den Beobachtern empfiehlt, "das
Unerforschliche in aller Ruhe zu verehren". Man könnte mithin
Fuchs Theorie der "Barre", des "Schieds des Unterschieds", der
Differenz von Tänzer und Tanz, der Autopoiesis als
"Lehrgedicht" bezeichnen.
Peter Fuchs: "Die Metapher des Systems. Studien zu der
allgemein leitenden Frage, wie sich der Tänzer vom Tanz
unterscheiden lasse". Velbrück Wissenschaft, Weilerswist
2001, 268 Seiten, 69 DM
taz Nr. 6514 vom 4.8.2001, Seite 14, 212 Kommentar, NIELS
WERBER, Rezension