Die Kontingenz des globalen Populären

Urs Stäheli

 

Nicht nur die Kunst wird zur Weltkunst, sondern auch die 'Populärkultur' unterliegt der Globalisierung und wird zum "global popular" (During). Inwiefern handelt es sich auch hier im systemtheoretischen Sinne um eine durch Vergleich konstituierte Kultur, die ihre eigene Kontingenz mitbeobachtet? Untersucht werden soll, ob und auf welche Art das globale Populäre seine eigene Kontingenz zu kommunizieren in der Lage ist. Bedeutet nicht gerade der Erfolg einer globalen Populärkultur, daß sie sich durch ihre Universalisierung eines Vergleichsmaßstabs beraubt? Hierzu lassen sich kurz zwei Beispiele anführen: Schönheitswettbewerbe etwa stützen sich auf die Hervorhebung von lokalen Unterschieden, welche mittels globalisierter Vergleichsstandards gehandhabt werden. Für den Umgang mit Kontingenz erweist sich dies als interessanter Fall: Einerseits werden regionale Schönheitsvorstellungen relativiert, andererseits etabliert sich ein Vergleichsmodus, welcher seinen globalisierten Erfolg gerade der Invisibilisierung seiner eigenen Kontingenz verdankt. Das, was die Attraktivität des "global popular" ausmacht, ist zweitens nicht dessen Verankerung in universalisierten Normen einer wie auch immer zu bestimmenden Weltpopkultur, sondern die erleichterte Zitierfähigkeit von z.Bsp. action-Effekten, die sich durch die Rezeption in regional spezifische kulturelle Kontexte einschreiben. Die Proliferation global verwendbarer Vergleichstandards sowie von universal zitierbaren symbolischen Formen lassen sich nicht als Kultur im anspruchsvollen Luhmannschen Sinne beschreiben: Die Vergleichsstandards müssen als metakulturell präsentiert werden, um überhaupt Kulturvergleiche zu ermöglichen und so Kulturen zu produzieren; und die leicht zitierbaren symbolischen Effekte werden gerade dadurch in lokale Kulturen integriebar, daß sie nicht als Elemente einer anderen Kultur beobachtet werden (auch wenn ein second-order Beobachter genau dies feststellen und beklagen kann).

Der letzte Teil des Referats diskutiert, ob sich die Konstruktion des globalen Populären als die Entstehung eines neuen Mediums beschreiben läßt. Als zentral erweist sich hier die Frage, wie symbolische Formen von ihrer Bindung an partikulare Kulturen entleert werden. Zur (Welt-)Kultur würde ein derartiges Medium erst dann, wenn seine Partikularität beobachtbar wird und gerade deshalb als universales Medium scheitert.

 

Claudia Marra

Denn sie wissen nicht, was sie tun? Über das künstlerische Selbstverständnis im vormodernen Japan

Am Beispiel der Literatur will ich der Frage nachgehen, was im (schwerpunktmäßig) vormodernen Japan als Kunst verstanden wurde, wie sich die Kunstschaffenden selber gesehen haben und welche Rolle sie in der japanischen Gesellschaft spielten: wie wurde zwischen Kunst / Nicht-Kunst unterschieden, was charakterisierte den Künstler, wie funktionierte der Kunstmarkt. Dabei wird auf die Unterstellung der westlichen Kulturwissenschaften und besonders der Systemtheorie einzugehen sein, daß vormoderne und nichtmoderne Gesellschaftstypen nicht über einen trennscharfen Kunstbegriff verfügen und gleichsam nicht wüßten, was sie tun, wenn sie Kunst herstellen und rezipieren.

 

Hans Ulrich Gumbrecht

Sport als Testfall globalisierter Kunst

In den Hotelzimmern der Weltstädte lassen sich überall dieselben Sportprogramme empfangen. Aus der Erfahrung, ausgerechnet in Frankfurt Sumo-Ringen im TV zu sehen, läßt sich vielleicht folgende Überlegungen gewinnen: Ausgangspunkt wäre die Vermutung, daß die sinnliche Erfahrung des Zuschauers beim Anschauen von Sport – im TV genauso wie im Stadium – ganz erstaunlich eng korrespondiert mit der „kanonischen“ Definition ästhetischer Erfahrung. Die Korrespondenz wird jedoch konstant wie systematisch übersehen, da die eingeführte akademische Kultur größte Schwierigkeiten hat mit einer Ästhetik, die nicht in der Form eines Buches, eines Museums oder einer Konzerthalle auftritt. Wenn nun Sport tatsächlich ästhetische Erfahrung nach westlichen Standards bietet, dann ist es allerdings noch nicht ausgemacht, daß es auf diese Weise weltweit rezipiert und erfahren wird. Gerade am Fall des Sumo-Ringens, das im Westen beinahe wie jede andere Sportart betrachtet wird, ließen sich Differenzen vorführen. Offenbar widerstreitet aber nicht nur die Sumo-Inszenierung den westlichen ästhetischen Grundannahmen. Am Testfall des weltweit übertagenen Sports könnten so die Bedingungen einer globalisierten Kunst erprobt werden.

 

Karlheinz Barck

Globalisierung und kulturelle Entkolonialisierung

„Kultur“ ist seit der westeuropäischen Aufklärung ein „unifying concept“, totalisiert den „Gleichschritt der Vernunft“ als universales Prinzip. In Deutschland wurde Schillers Begriff der „ästhetischen Kultur“ zum Maßstab von Aus- und Abgrenzungen wie „Kultur vs. Zivilisation“, „künstlerische vs. technische Klutur“, schließlich im NS „deutsche vs. westliche Zivilisation“. Die Kritik an diesem eurozentrischen Konzept kommt zuerst von seiten der Anthropologie und Ethnologie. Franz Boas war einer der ersten, der einen pluralen Kulturbegriff begründete. Der „ethnographic surrealism“ (James Clifford) setzt diese Kritik fort, die heute – unter den Bedingungen der Globalisierung – mit Gegenkonzepten zu „Normalitätskulturen“ wie „subjunctive culture“ (R. Schächner), „subaltern and postcolonial culture“ (Guayatri Spivak), „hybrid culture“ (Homi Bhaaba) präzisiert und aktualisiert wird. Globalisierung nach einem „radialen System“ der Raumordnung sieht sich in solchen Perspektiven von „Entkolonialisierung“ konfrontiert mit einer neuen politischen Geographie der Kulturen.

 

Dirk Kretzschmar

Kunst, Kunstsystem und der Begriff der ,Kultur’ in der entdifferenzierten Gesellschaft am Beispiel Rußlands.

Die von der Systemtheorie erarbeiteten Unterscheidungen zwischen Kunst bzw. dem Kunstwerk als symbolisch generalisiertem Kommunikationsmedium, dem Kunstsystem als Subsystem der funktionsdifferenzierten Gesellschaft, in dem Kunst als Kunst kommuniziert werden kann, sowie dem Begriff der ,Kultur’ sollen für die russische Gesellschaft vom 18. Jahrhundert bis in die heutige postkommunistische Phase in Beziehung zueinander gesetzt werden. Es ist insbesondere der Frage nachzugehen, wie sich in der russischen Gesellschaft, die im Verlauf des 18. Jahrhunderts nicht, wie die westeuropäischen Gesellschaften, die Evolution zur Funktionsdifferenzierung durchläuft, Kunst kommuniziert wird und ob bzw. wie ein solcher entdifferenzierter Begriff von Kunst sich auf den Begriff der ,Kultur’ insgesamt auswirkt. Zu vermuten ist, daß er in Rußland, wiederum im Unterschied zu Westeuropa, nicht als ein in einer bestimmten historischen Formation entstehendes Vergleichs-Konzept fungiert, welches das Eigene als selektiv-kontingente Konstruktion beobachtbar macht, sondern ein Begriff von ,Kultur’ entsteht, der das Eigene gerade durch Ausblenden von Vergleichsgesichtspunkten und -möglichkeiten als naturgegebene Notwendigkeit tradieren soll. Desweiteren gilt es zu untersuchen, wie zeitgenössische russische Autoren, die, wie beispielsweise Sorokin oder Limonov, den westeuropäischen Hintergrund ausdifferenzierter, autonomer Kunst souverän nutzen - vor allem die Differenz zwischen Ethik und Ästhetik - in Rußland wahrgenommen werden. Hier ließe sich unter Umständen zeigen, wie ein identisches Artefakt im Sinne eines symbolisch generalisierten Kommunikationsmediums vor dem historischen Hintergrund unterschiedlicher gesellschaftlicher Ausdifferenzierung und Kultur-Begrifflichkeit vollkommen different kommuniziert wird.

 

Gerhard Plumpe

SATANISCHE VERSE - TÖDLICHE LITERATUR Kunst und Religion in der Weltgesellschaft

Die mittlerweile schon zehn Jahre währende Rushdie-Affaire hat schlaglichtartig sichtbar werden lassen, daß die westliche Ausdifferenzierung der Gesellschaft, die es der Kunst freistellte, alles zu sagen, solange es Kunst bleibt, in der Welt noch immer eher ein Sonderfall denn die Regel ist. Die Beobachtung von Rushdies Roman als religiöse Blasphemie und damit ineins und ununterscheidbar als Politskandal und Straftatbestand in (Teilen) der islamischen Kultur wirft die Frage nach der Struktur des ihr zugrundeliegenden Kommunikationssystems und seiner Differenzierungsform auf. Die Empörung im Westen über das „mittelalterliche“ Verhalten des Ayatollaregimes verdankt sich dem Reflex, fremde Kommunikations- und Beobachtungsstile als überwundene Vergangenheit der eigenen Evolution „verstehen“ zu wollen. Gerade in kritischer Betrachtung der westlichen Auseinandersetzung mit dem „Fall Rushdie“ wäre zu überprüfen, ob und inwieweit die „Alterität“ islamischer Kommunikationssysteme vom Typus des Iran am Modell der Evolution westlicher Gesellschaften abgelesen werden kann, um dann als Negation oder Privation entwickelter Differenzierungsformen zu erscheinen. In dieser Hinsicht provoziert der Skandal die westliche Befähigung zum „Denken des Fremden“ und verlangt von einer Systemtheorie der modernen Gesellschaft eine sonst ungewohnte Beobachtung dritter Ordnung, um aus der kontinuierlichen Selbstreflexion eine nichttriviale Beschreibung anderer Kulturen als „fremde“ Beobachtungen der eigenen Gesellschaft herzuleiten.

 

Georg Stanitzek

Globus: Zweiter Bildungsweg

Der Beitrag soll in einer kritischen Letüre von Chris.Markers Sans Soleil bestehen – d. h. jenes Films, der in der internationalen Diskussion als das Paradigma für einen gelungenen Essay-Film gilt. Sans Soleil ist tatsächlich als globus-umspannendes Projekt angelegt: Der Film konfiguriert dokumentarische Bilder aus allen Himmelsrichtungen, insbesondere aus Japan, aber auch Afrika, von Flugzeugträgern usw. mit den von einer weiblichen Stimme verlesenen Briefen eines Kameramanns. Der Film hat einen esoterischen Effekt, der aber auch gerade daraus resultieren dürfte, daß hier eine global valable Sprache intendiert ist. Im Hintergrund wirkt das Phantasma einer international verständlichen Bildersprache, die für eine Argumentation jen- oder diesseits verbalsprachlich (und das heißt immer auch partikular-einzelsprachlich) verfaßter Kommunikation sorgen soll.

Die Kritik wird – fokussiert auf Probleme interkultureller Kommunikation mit Japan – sich auf zwei Aspekte konzentrieren: Erstens soll an Standards der Übersetzung und Reisebeschreibung erinnert werden, wie sie mit Roland Barthes‘ Reich der Zeichen vorliegen. Zweitens wird Chris.Markers Vorgehensweise mit derjenigen zu konfrontieren sein, die in verschiedenen dctp-Magazinen Alexander Kluges zu beobachten ist (besonders: 100 Minuten Vielfalt: Japan II, 10.7. 1993): die Konturierung eines Japanbildes mit der in Gegenrichtung erfolgenden Annäherung seitens der japanischen Lyrikerin Yoko Tawada. Abschließend sollen Probleme eines anti-didaktischen common sense diskutiert werden, die Markers Projekt zugrunde liegen – und seine Wertschätzung in einer gewissen Kunstszene wesentlich mitsteuern dürfte. Alternativ hierzu sind die Leistungen von Kluges didaktischer Essaykonzeption zu beschreiben.

 

Niels Werber

Populäre Kunst in globalen Medien

Trotz technisch hinreichender Potentiale weitreichender Rundfunksendungen hat sich erst mit dem Aufkommen einiger Spartenprogramme des Fernsehens die Globalisierung der Massenmedien vollzogen. Der Musik-Video- und Lifestyle-Sender MTV und der Nachrichtenkanal CNN gehören zur äußerst geringen Zahl von TV-Programmen, die tatsächlich weltweit zu empfangen sind – gleich wo man sich befindet, man muß nur einschalten. Einen weitere Etappe auf dem Weg zur Globalisierung der Verbreitungs-Medien wurde nun mit dem Internet betreten, das vor allem mit dem WWW weltweit ein Potpourri aus Information, Entertainment, News und Werbung anbietet – man muß nur danach suchen. Während MTV und CNN broadcaster sind und im eigentlichen Sinne Massenmedien, da ein Programm viele Zuschauer erreicht, haben wir es im Falle der Web-Sites im WWW eher mit einem Pull-Medium zu tun: aus dem gigantischen virtuellen Angebot muß sich der User selbst heraussuchen, was er rezipieren will – im Falle ‚interaktiver‘ Software ist seine Rezeption möglicherweise singulär. In jüngster Zeit scheint es darum zu gehen, diese Aktivitätsbilanz zu verändern und das Internet zumindest teilweise von einem Pull - in ein Push -Medium zu verwandeln, also die Rezeption der Sites im WWW zu ‚kanalisieren‘. Ich möchte in meinem Beitrag der Frage nachgehen, ob und wie sich die Kunst dieser globalen Medien zu bedienen vermag. Dabei verfolge ich zwei Hypothesen:

1. Kunst, die sich weltweiter Medien zu bedienen versteht, ist populäre Kunst in einem neuen Sinn. Denn nur populäre Kunst vermag es, die enormen kulturellen Differenzen der lokalen Rezipienten global so zu integrieren, daß ihre spezifische Funktion tatsächlich Region für Region durchgreift und wirklich in jedem dieser Fälle von Kunstkommunikation im strengen Sinn der Systemsoziologie gesprochen werden kann. 2. Die verschiedenen technischen und strukturellen Differenzen der globalen Medien TV und Internet zeitigen gravierende Auswirkungen auf die Form der Kunst, die sich in sie einschreibt. Broadcasting und Interaktivität sind dabei mutmaßlich die beiden Extreme, zwischen denen die Formgebungen der Kunst optieren können. Die Frage wäre dann, welche Gattungen sich in dieser globalen medialen Umwelt so etablieren, daß sie weder als Avantgarde nur eine elitäre Klientel erreichen noch als Nischenprogramm nur lokal und marginal verbleiben.

Diese Fragestellung setzt bewußt auf eine scharfe Trennung von Kunst und Kultur, um es zu vermeiden, wie die der cultural studies das Problem von genuiner Kunstkommunikation im Medium der Massenmedien zu vernachlässigen und mit der Hilfe eines indifferenten Kulturbegriffs zu umgehen.