Ruhr-Universität Bochum20.11.2002

Germanistisches Institut

WS 2002/03

Hauptseminar: „M“, Mabuse, Moriati, Morvitius, 

Medien, Massen und Manipulation in den 20er Jahren.

Dozent: Priv.-Doz. Dr. Niels Werber

Refernten: Fabian Saavedra-Lara & Carsten Friedrichs

Thema: Fritz Langs Metropolis

Metropolis

Geschichte und Rezeption eines „Kultfilms“

I

Inhalt & Entstehung

II

Motive & historische Kontexte

III

Rezeptionsgeschichte

IV

Parallelen zum Roman Graue Magie von Mynona

V

Metropolis und die Popkultur

I

Inhalt & Entstehung

Entstehung:-Begründung des Sci-Fi Genres in Deutschland

-Regie und Set-Design - Fritz Lang

-Drehbuch von Thea von Harbou 

-Lang ließ sich durch eine Amerika-Reise zu diesem Film inspirieren

-die Dreharbeiten dauerten 17 Monate

-riesige Werbekampagne, in der mit Zahlen nur so um sich geschmissen

wurde

-der Film kostete über 5,3 Millionen Mark, und es war nicht davon

auszugehen, daß er die je wieder einspielen sollte

-einige Wochen nach der Premiere wurde der Film nach Paramount-

Vorgabe um ca. 1000 Meter gekürzt

-das entfernte Material ist seitdem verschollen

-zentrale Charaktere wurden herausgeschnitten oder stark verkürzt

dargestellt

-Motivationen wurden verändert und Schauplätze verschwanden

-allerdings haben die Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung und das

Münchner Filmmuseum anhand von Fotos, Drehbuch und

der Originalpartitur den Film nahezu in der Originalversion

rekonstruiert

Inhalt (Premierenfassung):-zentraler Konflikt zwischen Rotwang und Joh Fredersen um die

von beiden geliebte Hel 

-Rotwang verlor Hel an J. Fredersen, der mit ihr Freder zeugte;

bei dessen Geburt starb Hel

-seitdem lebt Rotwang, auf dessen Erfindungen J. Fredersens

Macht basiert, zurückgezogen in seinem Labor 

-um den Tod Hels und seinen Schmerz zu überwinden und um über

J. Fredersen zu triumphieren, konstruiert Rotwang einenMaschinenmenschen, dem er das Aussehen von Hel verleihen will

-J. Fredersen zwingt ihn jedoch dazu, ihr das Aussehen von Maria zu

geben, um die Arbeiter zu verwirren die an die Prophezeiung der echten Maria glauben und auf den "Mittler zwischen Hirn und Hand" warten

-Rotwang willigt erst ein, als ihm klar wird, daß er so Freder, der die

echte Maria liebt, seinem Vater entfremden und ihm so einen

noch größeren Verlust zufügen kann als er erlitten hat

-Freder will für die versklavten Arbeiter einen Ausgleich schaffen und

tauscht die Kleidung mit Nr. 11811, der auch sein Verbündeterwerden soll aber den Versuchungen der Oberstadt erliegt und durch einen Spion über Freders Plan ausgehorcht wird

-Josaphat, der von J. Fredersen entlassen wurde, ist ebenfalls ein

Verbündeter Freders und wird vom Schmalen (Spion)niedergeschlagen, weil er die Stadt auch für Geld nicht verlassenmöchte 

-Freder hört einen Mönch, der von der Apokalypse, die von einer 

Frau angekündigt wird, predigt

-im Fieberwahn erscheint Freder der Schmale als Mönch in einer

Montage mit der tanzenden Maria, wobei die religiösen Motive

ausgelassen werden 

Gekürzte Fassung:-Zukunftsstaat ist eine Zweiklassengesellschaft im Sinne einer

negativen Utopie

-Herr über Ober- und Unterstadt ist J. Fredersen das Hirn und seine

Gegenspielerin ist Maria die Heilige der Unterdrückten, die Liebe undVersöhnung predigt

-in der Unterstadt leben die Menschen wie Sklaven und werden von 

einer dämonischen Maschine tyrannisiert

-in der Oberstadt regieren Dekadenz und Luxus 

-Maria warnt vor einem sinnlosen, gewalttätigen Aufstand und 

beschwört den Mittler (das Herz) zwischen Hirn (der Herrscher)

und Hand (die Arbeiter)

-Freder begibt sich aus Mitgefühl und Liebe, als Mittler, zu Maria in 

die Unterstadt 

-sein Vater hat einen Spion auf ihn angesetzt

-Rotwang, Meister der schwarzen Magie, soll für J. Fredersen eine

2. Maria erschaffen mit der er die Arbeiter täuschen kann

-J. Fredersens Plan geht auf, und mit Hilfe der künstlichen Maria

entfachen die Arbeiter einen Aufstand in der Unterstadt, bei dem sie

fast selber sterben

-Freder und Maria können die Katastrophe verhindern, wohingegen

die falsche Maria als Hexe auf dem Scheiterhaufen von den 

wütenden Sklaven verbrannt wird

-Rotwang entführt Freder auf den Giebel des gotischen Doms (Turm

von Babylon) / bei einem Kampf kommt der dämonische Erfinder um 

-Happy-End: Vater und Sohn vertragen sich wieder und reichen sich

die Hand / Freder und Maria stiften als Mittler eine neue bürgerliche

Gemeinschaft

II

Motive & historische Kontexte

1. Lösung der Klassenfrage / Aussöhnung durch das GEFÜHL, KEINE Revolution

à Freder als Mittler zwischen „Hirn und Händen“

à Revolution negativ dargestellt, bringt SCHULD / Versuch eines Aufstandes wird als Herrschaft des Chaos dargestellt. Metropolis kann man in diesen Szenen als Alternative zu den Filmen z.B. Eisensteins verstehen. Revolution wird gleichgesetzt mit Anarchie, Unvernunft, Freisetzung animalischer Instinkte, Herdentrieb und immer wieder Zerstörung

2. Angst vor einer technisierten, entmenschlichten Gesellschaft 

à Bilder dafür: Moloch, Turm des Herrschers Fredersen (erinnert an den biblischen Turmbau von Babel) Gigantische, lebendige, dämonische Maschine, die Massen von Menschen verschlingt; modernes Götzenbild à möglicherweise auch ein Bild für die „totale Kriegsmaschine“ aus dem 1. Weltkrieg; Vergleich mit sog. „Kanonenfutter“, das in aussichtslose Schlachten gehetzt wird, drängt sich auf à denn die Arbeiter in Metropolis produzieren nichts Nützliches. à möglicherweise dienen die Maschinen von Metropolis auch überhaupt nicht der industriellen Produktion, sondern nehmen wie die „Kriegsmaschine“ Menschen auf, verschlingen sie und scheiden sie wieder aus \ Metropolis ist also eine Gesellschaft, die Menschen zu Tode quält, selbst, wenn ihre Arbeit unproduktiv ist. Der Filmhistoriker Georges Sadoul nahm diese Assoziation auf und berichtet von einem Mann, der 1943 im Konzentrationslager Mauthausen ankam. Auf der Rampe, sieht er die zahllosen kahl rasierten Männer und Frauen in Arbeitskleidung, soll zu einem Mitgefangenen gesagt haben: „Connais-tu Metropolis?“

- im Kontext der Literatur und Kunst nach dem 1. Weltkrieg macht dies sehr viel Sinn

\ Metropolis reflektiert Langs Faszination und gleichzeitig seine Angst vor den technischen und sozialen Phänomenen der Zukunft. Beides verarbeitet er in Bilder, die es so nie zuvor gab. Er zeigt eine entseelte Zukunft, den Mechanismus einer komplizierten Maschinen- und Automatenwelt. Langs These: „Die Menschheit gebiert ihr eigenes Unheil. Im Götzen frißt der Mensch sich selbst auf.“

3. Erweiterung dazu: Reaktion auf allgemeines Unwohlsein & die Ungewißheit, was der techn. Fortschritt & speziell der Kapitalismus bringen würden

- alles scheint möglich, Befreiung & Katastrophe, totalitäre Ordnung & totale Anarchie

à Verarbeitung der widersprüchlichen Gefühle/Positionen in der Weimarer Bürgergesellschaft

4. Sexualität

à Gebrochenheit der Figur „Maria“

falsche Maria                                                                    echte Maria

            # benutzt ihre Sexualität / verführt die                                    # negiert ihre Sexualität

               Massen

            # wird für Rotwang zum Sinnbild                                            # wird für Freder (Sohn) zum 

               für seine tote Hel Sinnbild der Mutter, die er

niemals kannte

            # für Fredersen Mittel zur Manipulation der# Prophetin/Heilige der Arbeiter

               Arbeiter/Berechnung, KEINE Gefühle im

               Spiel

               = alte Furcht vor unkontrollierter weibl. Sexualität / Dämonisierung weibl. Sexualität

                  Rechtfertigung für die Notwendigkeit einer starken Führung, die nötig

                  ist, um das Weibl. & eine potenziell zerstörerische

                  Technologie streng zu kontrollieren

               Warum? - Infragestellung der väterlichen Autorität nach verlorenem Krieg & erniedrigendem

Frieden

                = kollektive psych. Bedürfnisse werden von Lang & Harbou bedient

à Verführungskraft der Maria kann man als neuentdecktes Medium „Sexualität“ sehen / neues Frauenbild in den 20ern

- möglicherweise Bild für die Verführungskraft der neuen Medien

III

Rezeptionsgeschichte

Metropolis als „Klassiker“

à Eine Definition sagt: Klassiker als Werk, das immer wieder neue Interpretationen provoziert.

-jede Generation schlägt eine andere Lesart vor à Gründe: überdeutliche Moral, Widersprüchlichkeit in Handlung, verschiedene Fassungen

-anhand der versch. Kritiken wird deutlich, welche Theorien und Ideologien im Feuilleton beliebt sind

REZEPTION IN DEN 20ern:

- von der Zensur im November 1926: Prädikat „volksbildend und künstlerisch“

LINKS

„Soziale Frage“ steht im Mittelpunkt der Rezeption in den Feuilletons

à die Mehrheit sagt: Metropolis ist viel zu vorsichtig, um Partei zu ergereifen, außer mit Symbolismus und Motto

-vor allem aus dem Lager der Kommunisten gab es böse Töne:

„Dieser Film, geboren aus der bürgerlich-kapitalistischen Ideologie und fabriziert mit der eindringlich fühlbaren Tendenz, die Idee der Klassenversöhnung zu propagieren, entlarvt die bürgerliche, arbeiterfreundliche Phraseologie in ihrer ganzen Verlogenheit, denn: diesen Film finanzierte das gleiche Kapital, das jetzt das ausbeuterische Arbeitsgesetz befohlen hat.“

à Kritik vor dem Hintergrund der zeitgenössischen Industriepolitik

H.G. Wells in der New York Times 1927: “Ich habe neulich den törichsten Film gesehen. Ich glaube nicht, daß es möglich sein könnte, einen dümmeren zu machen. Er heißt Metropolis, kommt von den großen Ufa-Ateliers in Deutschland, und dem Publikum wird bekanntgegeben, daß seine Herstellung ein enormes Geld gekostet hat. Er verabreicht in ungewöhnlicher Konzetration jede überhaupt mögliche Dummheit, Klischee, Plattheit und Kuddelmuddel über technischen Fortschritt überhaupt, serviert mit einer Sauce von Sentimentalität, die in ihrer Art einzigartig ist [...] Das Schlimmste ist, daß dieser phantasielose, verworrene, sentimentale und dummtäuschende Film einige wirklich schöne Möglichkeiten verschwendet. Mein Glaube an den Unternehmungsgeist der Deutschen hat einen Schock erlitten [...]“

Warum hat Metropolis trotzdem Filmgeschichte gemacht?

Erklärungsversuch von Buñuel: sieht Metropolis als 2 qualitativ untersch. Filme: „Ein überwältigendes Bilderbuch und Szenen eines verfeinerten schlechten Geschmacks.“

– verteilt Zuständigkeiten: „Obwohl wir zugeben müssen, daß Fritz Lang ein Komplize ist, klagen wir hierbei als den mutmaßlichen Autor dieses eklektischen Versuchs und gewagten Synkretismus seine Frau, die Drehbuchautorin Thea von Harbou, an.“ Die triviale Handlung sei nur Vorwand, Libretto für die Inszenierung von Bewegunsarrangements. Luis Buñuel: „Was für eine begeisternde Symphonie von Bewegung! Wie singen die Maschinen, wunderbar durchsichtig im Zentrum, durch die elektrischen Entladungen Triumphbögen gleich! [...] Das äußerst lebhafte Funkeln des Stahls, die rhythmische Abfolge von Rädern, Kolben, von noch nicht erschaffenen mechanischen Formen, dies ist eine bewundernswerte Ode, eine ganz neue Poesie für unsere Augen [...] Selbst die Zwischentitel, die auf- und absteigen, sich drehen, bald in Licht zerlegt werden oder in Schatten verschwinden, vereinigen sich in der allgemeinen Bewegung und werden selbst Bilder.“

Paul Ickes in der Filmwoche: „Sehr geehrter Herr Lang, denken Sie nicht immer an die einzelnen Bilder! Ihr Unglück ist es, daß Ihnen die Idee nichts gilt, sondern nur das Bild: Sie kleben am Gemälde. Und gewiß sind sehr viele Bilder sehr schön, die Technik ist ausgezeichnet, doch alles muß Sinn und Inhalt haben, muß uns eingehen!“

Herbert Ihering: „Mit keinem Können der Welt ist es möglich, einen Weltanschauungsfilm ohne Weltanschauung zu drehen.“

à sozial progressiv eingestellte Menschen waren irritiert darüber, daß im Film der Einsatz von 

Maschinen Ausbeutung und Unterdrückung steigerte, statt Not und Mangel zu lindern.

RECHTS

àMetropolis heizt soziale Spannungen an, tritt für den Klassenkampf ein

Rezeption im 3. REICH

- Lang wird im Auftrag Hitlers von Goebbels die Leitung der deutschen Filmindustrie angeboten: „Der Führer hat Ihren Film Metropolis gesehen und gesagt: ´Das ist der Mann, der uns den nationalsozialistischen Film schenken wird´.“

Otto Kriegk in Der deutsche Film im Spiegel der Ufa (Jubiläumsband zum 25-jährigen Bestehen): 

- Versuch, mit Amerika zu konkurrieren, wird niedergemacht: „Hier sollte das seelenlose Wesen Amerikas auf der einen Seite bis zur Übertrumpfung nachgeahmt werden. Das Riesigste konnte nicht riesig genug sein.“

à Kriegk verstößt den Film, schont weder von Harbous Drehbuch noch den „fremden“ (d.h. jüdischen) Einfluß von Lang.

Kriegk stellt die Argumente der Gegner und Bewunderer des Films auf den Kopf, indem er den Film als bolschewistisch bezeichnet, von jüdischen Liberalen hergestellt, die sich bei den Amerikanern einschmeicheln wollen.

1947

SIGFRIED KRACAUER

-veröffentlicht From Caligari to Hitler

-Diesmal KEINE Anklage wegen Trivialität, Bolschewismus oder Anbiederung an Hollywood, Metropolis ist für Kracauer eine rechtsgerichtete Utopie, die dem politischen Körper der Weimarer Republik die Form einer sozialfaschistischen Allegorie gab

-Film inspiriert die Nazi-Ästhetik des „Massen-Ornaments“ (z.B. à Leni Riefenstahl „Triumph des Willens“) à „Langs geometrische Formen in Metropolis – wohl für das Auge reizvoll, doch politisch totalitär – entziehen den Massen ihren Willen und reduzieren ihre Teilnahme an der Öffentlichkeit auf demagogische Reflexe.“ (Zusammenhang W. Benjamin!!) à durch die Anordnung von Menschen in Massenornamenten formt Lang einen machtvollen sozialen Raum, der von politischem Handelnund zwischenmenschlichen Beziehungen abgeschnitten ist

-„Botschaft“ des Films kam Nazis gerade Recht: sahen darin eine Möglichkeit, die Arbeiterklassen emotional zu manipulieren.

-      Kracauer betrachtet Lang als Erfinder eines neuen politisierten Spektakels

-Dies hielt Kracauer für gefährlich, weil Individuen – wenn sie Teil einer Masse werden – ermutigt werden, sich mit einem Gefühl von Gemeinschaft zu identifizieren, das nicht auf Austausch oder gemeinsamen Interessen aufgebaut ist, sondern auf einem alles sehenden Blick, auf den sie sich verständigen und dem sie sich gleichzeitig unterwerfen (à angestrebte neue Weltordnung der Morvitius-Filmfirma)

à Man sieht also, daß beide - Kriegk und Kracauer – den Film verreißen, wenn auch aus völlig entgegengesetzten Gründen. Jeder benutzt ihn gewissermaßen als Projektionsfläche und weist ihm einen Platz im ideologischen Lager des anderen zu

OBWOHL Kracauers Lesart aus nachvollziehbaren Gründen letzten Endes die populärere geworden ist und sie unendlich viel durchdachter ist als andere, gibt es auch in seiner Interpretation Probleme, vor allem, wenn man den politischen Kontext der jahre 1924-28 bedenkt. Die kommerziellen Instinkte der Ufa hätten sie wohl kaum dazu getrieben, einen – wie Kracauer es ausdrückt – „protofaschistischen“ und dermaßen teuren, aufwendigen Film zu drehen: Denn selbst bei den Wahlen 1928 erreichten die Nationalsozialisten lediglich 2,6 % der Stimmen. Die Parabel der Klassenkollaboration , die Metropolis angeblich unterstützt, wird von Kriegk außerdem ausdrücklich verspottet, der darin eine typische Fiktion des (jüdischen) bürgerlichen Liberalismus sieht, aber auf keinen Fall einen Teil der nationalsozialistischen Weltanschauung. Man könnte sich auch fragen: Zeigt der Film nicht statt des für die Nazi-Ideologie so zentralen Führerprinzips, wie der Herrscher aus Angst um seinen Sohn auf die Knie sinkt?

à Aufgrund dieser Widersprüche in Kracauers Lesartmuß man sich klarmachen, daß er sich 

in seinem Text nicht auf die Handlung stützt.

Sein Ziel: Er will in seinem Text die versteckten Tendenzen, das politisch Unbewusste – den Inneren Monolog, wie er es nannte – des Weimarer Kinos interpretieren und nutzt dabei bewußt den Vorteil, daß er aus einer zeitlichen Distanz heraus über den Film schreibt. à Retrospektive

WARUM SO GRUNDVERSCHIEDENE LESARTEN?

Einer der Gründe, warum der Film die so widersprüchlichen Behandlungen, denen er über Jahrzehnte ausgesetzt war, so gut überstanden hat und mittlerweile zu einem „Kultfilm“ geworden ist, könnte sein, daß er die robuste Gestalt eines Märchens hat. Solche Geschichten schaffen es dank ihrer archetypischen Konfigurationen immer wieder, unser Unterbewußtsein anzusprechen. Ein Bsp. aus jüngerer Vergangenheit könnte der Film Titanic sein, der sich in seinem Gigantismus vor Metropolis nicht zu verstecken braucht.

Auch dort: Liebe zwischen zwei Angehörigen unterschiedlicher sozialer Klassen, Darstellung eines apokalyptischen Szenarios, ein so noch nie dagewesener technischer Aufwand und eine extrem kontroverse Rezeption seitens des Publikums und der Kritiker. Auch dort der oft gehörte Vorwurf: Der Regisseur macht es sich zu einfach, benutzt simpelste Bild-Metaphern, kaschiert eine allzu einfallslose Handlung mit einem beeindruckenden Bilderrausch.

à Der Vergleich drängt sich auf, weil die Ufa Metropolis mit dem Ziel produziert hat, den amerikanischen Markt zu erobern. \„Romanze für das Zeitalter der Maschinen“\ So benutzte man die doppelte Plot-Struktur der klassischen Hollywood-Erzähltechnik, in der Märchen und Romanze mit einer Abenteuerhandlung und einer Suche verwoben werden.

FRITZ LANG SELBST ÜBER SEINEN FILM

- gegenüber Peter Bogdanovich sagte Lang Ende der 60er Jahre: 

„Die Hauptthese war von Frau von Harbou, aber ich bin wenigstens zu fünfzig Prozent verantwortlich, weil ich den Film gemacht habe. Ich war damals nicht so politisch bewußt, wie ich es heute bin. Man kann keinen gesellschaftlich bewußten Film machen, indem man sagt, der Mittler zwischen Hand und Hirn sei das Herz – ich meine, das ist ein Märchen, wirklich. Aber ich interessierte mich für Maschinen [...]“

- 1959 zu Jean Domarchi und Jacques Rivette: „Ich bin sehr streng mit meinen Werken. Man kann jetzt nicht mehr sagen, daß das Herz zwischen Hand un dem Gehirn vermittelt, weil es sich um ein rein wirtschaftliches Problem handelt. Deshalb liebe ich Metropolis nicht. Das ist falsch, der Schluß ist nicht richtig, ich akzeptierte ihn schon damals nicht, als ich den Film drehte.“

IV

Parallelen zum Roman Graue Magie von Mynona

Morvitius = Fredersen

àtotalitärer GedankeàÜberwachungsstaat

Filmfirma = Metropolis-Staat

à Bezug zu Walter Benjamin: Metropolis IST der ästhetische Staat, vor dem er in seinen Texten warnt (Parallelen zu Kracauers Lesart). Benjamin ist gegen eine Ästhetisierung der Politik (Kunstwerk-Aufsatz), die der Bevölkerung ein bestimmtes „Bild“ von Politik präsentiert und sie damit von der aktiven politischen Mitwirkung abhält.

Schlußwort: „So steht es um die Ästhetisierung der Politik, welche der Faschismus betreibt. Der Kommunismus antwortet ihm mit einer Politisierung der Kunst.“

à derselbe Nährboden für beide Texte (Graue Magie + Metropolis-Drehbuch): Angst vor technokratischer, entmenschlichter Gesellschaft \ Idee angeregt durch übermächtige Großkonzerne, wie z.B. Paramount in der Filmindustrie \

V

Metropolisund die Popkultur

·à BLADE RUNNER

·Neufassungen & Soundtracks von Giorgio Moroder, Jeff Mills (Disco & Techno)

·Madonna-Videoclip zu Express Yourself

·Berühmtes Plakat-Motiv à “Metropolis” ist zum Kult geworden

·Wiederverwendung des alten Szenarios in z.B. dem Manga-Comic Battle Angel Alitaà Oberstadt im Himmel, Unterstadt, die vom 3. Weltkrieg vollständig verwüstet worden ist 

Das gesamte Queen-Album The Works scheint inspiriert von Metropolis und Giorgio Moroders Neuauflage des Films. So finden Bilder aus Fritz Langs Film nicht nur im Videoclip von Radio Gaga Anwendung, sondern auch beim Design des Album-Booklets. Auch der Song machines bestätigt dies: "When the machines take over, it ain’t no place for you and me [...] back to humans [...] living in a new world, thinking in the past, living in a new world - how you gonna last - machine world – it’s a machine’s world... change. Back to humans."

Insgesamt zeichnen sich diese Zeilen also durch eine eher kritische Haltung zum in Metropolis geschilderten technischen Fortschritt aus. Auch in Radio Gaga wird der Bedeutungsverlust des Radios beklagt, an dessen Stelle das neue Medium Fernsehen getreten ist.

LITERATUR

Elsaesser, Thomas. Metropolis. Der Filmklassiker von Fritz Lang. Europa Verlag München (2001) Gehler, Fred & Kasten, Ulrich. Fritz Lang - Die Stimme von Metropolis. (1991)Jacobsen, Wolfgang. Fritz Lang – Leben und Werk. Jovis (2001)Töteberg, Michael. Fritz Lang. Rororo-Monographien, Rowohlt (1989)Kracauer, Sigfried. Von Caligari zu Hitler – Eine psychologische Geschichte des deutschen Films. Suhrkamp (1984)Kreimeier, Klaus. Die Ufa-Story. Geschichte eines Filmkonzerns. Fischer (Tb.), Frankfurt (2002)