Jenseits des Cyberspace (Zivile Gerüste, Dessau 4. - 5. 12. 98)

Ein Beitrag zu Inklusion und Exklusion in der Weltgesellschaft von Niels Werber

Niklas Luhmann, meine Damen und Herren, wäre in drei Tagen 71 Jahre alt geworden. Der Soziologe, dessen Theorie vielfach als affirmativ, kühl und unmenschlich bezeichnet worden ist, hatte sich tatsächlich in den letzten Jahren verstärkt einem Thema zugewendet, das mit den Problemen, die sich unserer Tagung stellen, unmittelbar zu tun hat. Ich meine das Thema der Exklusion. Ich möchte in meinem Vortrag zum einen versuchen, Ihnen die Sensibilität der Systemsoziologie für Phänomene des Ausschlusses, der Marginalisierung und der Segregation vorzuführen, und zum anderen, die systemtheoretischen Überlegungen zur Exklusion fruchtbar zu machen für eine medientheoretische Lagebeschreibung nebst einem kleinen Ausblick auf die Stadt der Zukunft.

I

Es gibt einen auf den ersten Blick vielleicht überraschenden Zusammenhang zwischen den Menschenrechten und den Sozialsystemen der modernen Gesellschaft, überraschend deshalb, weil man ohne religiösen Rückhalt kaum an eine derartige Übereinstimmung von Norm und Funktion glauben mag. Das Gemeinsame ist das Telos der Inklusion.

Im Unterschied zur stratifizierten Systemdifferenzierung Alteuropas, wo eine Person durch die Geburt in eine Familie sein Leben lang genau einem und nur einem Stand zugehörte, nimmt in der modernen Gesellschaft jede Person über eine Vielzahl von Funktionsrollen an der Kommunikation der verschiedenen Sozialsysteme teil. In der modernen "Weltgesellschaft" (S. 142) entscheidet nicht länger die Geburt über das ob und wie der Inklusion. Die Karrieren "als Modus der Integration von Individuen und Gesellschaft" (S. 148) verlaufen in der Moderne unabhängig vom Stand der Eltern. Daß Schneiderssöhne Prinzessinnen heiraten oder Könige einen Zivilprozeß gegen einen Müller verlieren, kommt nun nicht allein im Märchen vor. Die Inklusion in eine Schicht der Gesellschaft verliert ihre Funktion der primären Differenzierung aller Kommunikationen. Einer Zunft, einem Stand, einer Familie anzugehören, reicht in der Moderne nicht mehr aus – der Stand hört auf, das Sein einer Person vollständig zu definieren. Schon Schiller und Schlegel haben registriert, daß der moderne Mensch genötigt ist, etwa als Rechtssubjekt, als Produzent oder als Autor, an der Kommunikation einer Vielzahl ausdifferenzierter Funktionssysteme teilzunehmen, die sich aber – und das wird am Ende des 18. Jahrhunderts bedauert – nicht für die ganze Person und seine Individualität interessieren, sondern nur für seine Rolle innerhalb eines bestimmten Prozederes, sei es der Wirtschaft oder des Rechts, sei es der Politik oder der Wissenschaft oder Kunst. Schiller spricht vom Menschen als "Formular", welches von den verschiedenen Verfahren ausgefüllt wird, was für seine Inklusion in die Funktionssysteme nicht nur vollkommen ausreicht, sondern zugleich das Äußerste ist, was an persönlicher Beteiligung erreicht zu werden vermag. Personen werden, so Schiller, von den Funktionssystemen zwar nur "fragmentarisch" inkludiert, dies aber, so Luhmann, von allen. Dem Menschen in der Moderne fiele es schwer, den Kommunikationen der Wirtschaft, der Politik, der Wissenschaft, des Rechts, der Erziehung oder der Religion gänzlich zu entkommen. Umgekehrt wird niemand an seiner Mehrfachinklusion gehindert. "Es gibt keine ersichtlichen Gründe, jemanden von der Verwendung von Geld, von der Rechtsfähigkeit oder einer Staatsangehörigkeit, von Bildung, oder vom Heiraten auszuschließen" (S. 142). Dies ist neu: Inklusion für jedermann, quasi ‚ohne Ansehen der Person‘. "Im Prinzip", so schreibt Luhmann in der Gesellschaft der Gesellschaft,

"sollte jeder rechtsfähig sein und über ausreichendes Geldeinkommen verfügen, um an Wirtschaft teilnehmen zu können. Jeder sollte als Teilnehmer an politische Wahlen auf seine Erfahrungen mit Politik reagieren können. Jeder durchläuft, soweit er es bringt, zumindest die Elementarschulen. Jeder hat Anspruch auf ein Minimum an Sozialleistungen, Krankenpflege und ordnungsgemäßer Beerdigung. Jeder kann [...] heiraten. Jeder kann einen religiösen Glauben wählen oder es lassen." (S. 625) Usw. Soweit Luhmanns Liste dessen, was "im Prinzip" der Fall sein "sollte". Ein Blick in die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte in der von der Generalversammlung der UNO am 10. Dezember 1948 beschlossenen Fassung enthält eine ganz ähnliche Liste. Das Prinzip der Inklusion ist Menschenrecht geworden, könnte man mit einigem Pathos sagen. Dort wird jedem Mensch, "ohne irgendeine Unterscheidung" (Art. 2) wie soziale Herkunft, Rasse oder Geburt der "Anspruch" garantiert, eine "Rechtsperson" zu sein (Art. 6), eine "Staatsangehörigkeit" (Art. 15) zu haben, heiraten zu können "ohne Beschränkung durch Rasse" etc. (Art. 16), "Eigentum" zu bilden und zu besitzen (Art. 17), eine "Religion" und ein "Gewissen" zu haben (Art. 18), sich eine Meinung und eine Zeitung zu halten (Art. 19), zu arbeiten in einem Beruf seiner Wahl (Art. 23), "Bildung" zu erhalten (Art. 26) sowie an der politischen Willensbildung aktiv wie passiv teilzunehmen (Art. 21). Damit ist beinahe jedes Funktionssystem der Moderne benannt. Die UNO erinnert daran, daß die "Verkennung und Mißachtung der Menschenrechte zu Akten der Barbarei führten" (Präambel). "Barbarei" ist auch Luhmanns Gegenbegriff zur Inklusion in die Gesellschaft.

Freilich hat die UNO hier nur Normen benannt und nicht etwa die Realität der Gesellschaft beschrieben. Inklusion ist zwar ein Anspruch, den das Individuum stellen kann, aber ob es damit Erfolg hat, hängt nicht allein von ihm selbst ab, sondern vom Funktionssystem, das es inkludiert. Luhmann betont: bei "prinzipieller Vollinklusion aller entscheiden die Funktionssysteme selbst, wie weit es jemand bringt: ob er Recht oder Unrecht bekommt, ob sein Wissen als wahr anerkannt wird oder nicht, [...], wieviel Geld er ausgeben kann usw." Jeder hat die Chance zur Inklusion, aber wie weit sie gelingt, hängt vom Einzelfall ab – des Systems wie der Person. Denn inwieweit jemand Recht oder Unrecht bekommt, Geld oder Schulden macht, heiratet oder nicht, Abitur hat oder nicht steht in keinem einfachen Kausalzusammenhang. Luhmann spricht von der "Souveränität in der Graduierung von Inklusion".

In einer auf "Inklusion der Gesamtbevölkerung angelegt[en]" Gesellschaft (S. 142), in der Pflichten wie die Schulpflicht, Versicherungspflicht oder die Ausweispflicht und allgemeine Rechte wie das Wahlrecht, das Recht auf Eigentum oder auf Information anzeigen, daß man sich niemanden entgehen lassen will, scheint es den umgekehrten Fall eines Auschlusses aus der Gesellschaft nicht mehr zu geben. "Da Personen als Menschen erkennbar sind, bedarf ihre Exklusion typisch einer Legitimation", etwa durch Normverstöße, Krankheit oder Krieg, während zugleich "Exklusion [...] gleichsam in die Form von Inklusion gekleidet" wird. Denn selbst "abweichendes Verhalten ist jetzt nicht mehr Grund für Exklusion, sondern für Sonderbehandlung zum Zwecke der Inklusion". Kranke, Schwache, Verstörte, Arme, Perverse, Arbeitslose etc. werden nicht verbannt, verstoßen oder ausgesetzt, sondern therapiert, weitergebildet, umerzogen, interniert, umgeschult etc. Man lese nur Michel Foucaults Überwachen und Strafen. Exklusion wird anscheinend in der Moderne zu einem Sonderfall von Inklusion. Gerade "Problemfälle" erhalten besondere Aufmerksamkeit, weil man dort "mit Therapie oder Sozialarbeit oder Entwicklungshilfe nacharbeiten" kann (S. 146). Luhmanns Zwischenbilanz lautet daher: "Die Logik der funktionalen Differenzierung schließt gesellschaftliche Exklusionen aus, muß es dann aber erlauben innerhalb der Funktionssysteme nach systemeigenen Kriterien zu differenzieren." (146f) Wie eine Schullaufbahn, eine Beamtenkarriere, ein Politikerleben, eine Kriminellenvita, eine Kranken- oder Liebesgechichte verlaufen, hängt von den Mustern ab, die das entsprechende Funktionssystem für die Inklusion und das interne Avancement zu Verfügung stellt, etwa von den Noten, von den Wahlerfolgen, von der Bekanntheit in den Medien, der Beachtung durch Zitiertwerden, vom Strafmaß oder vom Annuitätsprinzip. Luhmann schließt hier die logische Frage an: "Wie kann es Inklusion geben, wenn es keine Exklusion gibt?" (S. 147) Wer Luhmanns Vorliebe für Paradoxien kennt, wird hier vermutlich die Antwort erwarten, es gebe zwar Exklusion, aber eben nur als Exklusion von Exklusion.

Überraschenderweise fällt die Antwort aber vollkommen anders aus. In seinem kurzen Aufsatz Jenseits von Barbarei, der 1995 im vierten Band seiner Reihe Gesellschaftsstruktur und Semantik erschienen ist, führt Luhmann unser Problem der Soziologie vor Augen, und zwar buchstäblich, als Appell an die Wahrnehmung.

"Zur Überraschung aller Wohlgesinnten muß man feststellen, daß es doch Exklusionen gibt, und zwar massenhaft und in einer Art von Elend, das sich der Beschreibung entzieht. Jeder, der einen Besuch in den Favelas südamerikanischer Großstädte wagt und lebend wieder herauskommt, kann davon berichten. [...] Es bedarf dazu keiner empirischen Untersuchungen. Wer seinen Augen traut, kann es sehen, und zwar in einer Eindrücklichkeit, an der die verfügbaren Erklärungen scheitern." (S. 147) In einem anderen Beitrag aus dem Jahr 1994 findet sich in einem kurzen Erlebnisbericht aus einer solchen Exklusionszone eine ähnliche Beobachtung Luhmanns, die erstaunt festhält, daß es in der modernen Gesellschaft Areale gibt, in denen sich niemand in einer Funktionsrolle oder Leistungsrolle adressieren läßt, Gebiete, in denen man gegen alle Erwartungen nicht auf Personen trifft, sondern auf Körper: "Wenn man sich zum Beispiel in brasilianischen Großstädten aufhält und sich auf Straßen, Plätzen, Stränden bewegt, gehört ein ständiges Beobachten der Stellung, Entfernung, Häufung von menschlichen Körpern zur unerläßlichen sozialen Kompetenz. Man spürt mehr als sonst den eigenen Körper, man lebt mehr als sonst in ihm. [...] Es gibt [...] eine Art intuitionsgeleiteter Wahrnehmung, die dazu beiträgt, Gefahren zu erkennen und sie zu vermeiden. Und umgekehrt werden natürlich Fremde oder auch andere Angriffsobjekte als Körper indentifiziert. Alles, was wir als Person erfassen würden, tritt zurück, und damit auch jeder Versuch, über Beeinflussung von Einstellungen soziale Effekte zu erzielen. Dazu bedürfte es eines Kontextes sozialer Kontrolle und sozialer Gemeinsamkeit, der nicht vorausgesetzt werden kann." (S. 262) Die Menschen, die dort ständig leben oder leben müssen, nehmen an den Kommunikationen der Funktionssysteme der Moderne nicht teil. Sie sind in keines der Subsysteme der Weltgesellschaft integriert, weder aktiv noch passiv. Im Exklusionsbereich wird nicht gewählt, und niemand wird gewählt, niemand zahlt Steuern oder erhält staatliche Leistungen, kein Richter spricht Recht, kein Polizist verfolgt Straftaten, niemand geht zur Schule, erhält eine Ausbildung, einen Arbeitsplatz, medizinische Versorgung oder seelischen Beistand. Staat und Recht, Kirche und Wirtschaft, Kunst und Wissenschaft der "Weltgesellschaft" sind hier nicht präsent. Stattdessen verlieren die symbiotischen Mechanismen wie "physische Gewalt, Sexualität, triebhafte primäre Bedürfnisbefriedigung" ihre Anbindung an die symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien wie Macht, Liebe oder Geld und werden so frei verfügbar für Einsätze außerhalb funktionsspezifischer Kontexte. "Sozialität" wird nun im gleichen Maße "körperrelevant" wie "voraussetzungsreichere Kommunikationen" entfallen (ebd.).

Hier von Ausbeutung, Unterdrückung oder Marginalisierung zu sprechen, lehnt Luhmann ab, da solche Erklärungsversuche vom "Desiderat der Allinklusion beherrscht sind und folglich Adressen für Vorwürfe suchen" (S. 147) und gewöhnlich auch finden: vom Kapitalismus, der Weltbank oder der Mafia über oligarchisch herrschende Familien bis hin zum korrupten Militär. "Wenn man jedoch genau hinsieht, findet man nichts, was auszubeuten oder zu unterdrücken wäre. Man findet eine in der Selbst- und Fremdwahrnehmung aufs Körperliche reduzierte Existenz, die den nächsten Tag zu erreichen sucht." (S. 147) Was Luhmann als Exklusion beschreibt, meint nicht jene Ausschlüsse, die durch verstärkte Bemühungen um Integration, Resozialisierung, Therapie oder durch Modernisierung wieder kompensiert werden könnten, sondern eine totale Exklusion aus der Weltgesellschaft ohne jede Chance auf Inklusion außer als Körper. In den Ghettos und Favelas rekrutiert die Weltgesellschaft nicht Personen für Karrieren in Funktionssystemen, sondern Körper – für Pornographie, als Organlieferant, für den Sport. Die Eignung für solche Zwecke sieht man den Körpern an – und genau das unterscheidet sie von Personen. Das Bedrückende daran ist Luhmanns Vermutung, daß diese diabolische Exklusion untrennbar mit der Form der Weltgesellschaft verbunden sein könnte. Er schreibt: "Und wenn man das, was man so sieht, hochrechnet, könnte man auf die Idee kommen, daß dies die Leitdifferenz des nächsten Jahrtausends sein könnte: Inklusion und Exklusion." (S. 147)

Akzeptiert man diese Beschreibung, hat dies Folgen für die Analyse der Gesellschaft. Man hat nun zur Kenntis zu nehmen, daß gerade "rational" operierende Funktionssysteme Personen in einer Weise ausschließen oder marginalisieren,

"daß dies Konsequenzen hat für den Zugang zu anderen Funktionssystemen. Keine Ausbildung, keine Arbeit, kein Einkommen, keine regulären Ehen, Kinder ohne registrierte Geburt, ohne Ausweis, ohne Zugang zu an sich vorgesehenen Anspruchsberechtigungen, keine Beteiligung an Politik, kein Zugang zur Rechtsberatung, zur Polizei oder zu Gerichten – die Liste ließe sich verlängern" (S. 148). Nicht ein Funktionssystem disponiert über Exklusion und Inklusion wie im alteuropäischen Europa die Familie, so daß z.B. jeder ohne Arbeit nicht wählen dürfte, oder niemand ohne Ausbildung ein Einkommen hätte, vielmehr verstärken sich die partiellen Marginalisierungen wechselseitig zur Wahrscheinlichkeit einer Totalexklusion. Aus der hohen Integration der Funktionssysteme der Moderne, aus ihrer "wechselseitigen Einschränkung von Freiheitsgraden", folgt die Wahrscheinlichkeit einer Totalexklusion im Gefolge einer Akkumulation von Ausschlüssen.

II

Was hat dies nun alles mit dem Cyberspace zu tun – oder doch wenigstens mit den aktuellen telekommunikativen Verhältnissen? Zunächst einmal vollzieht sich Weltgesellschaft kommunikationstechnisch im Medium der neuen Medien. Daher ist wohl auch die Strukturanalogie zwischen dem Neuesten Medium Internet und der Weltgesellschaft nicht zufällig: in beiden Fällen haben wir es nämlich mit Inklusion und Exklusion zu tun. Die Begleitsemantik der Neuen Medien strotzt geradezu von Verlautbarungen, Forderungen und Absichtserklärungen, immer mehr und tendenziell jeden zu inkludieren. "Online für alle", wirbt ein Anbieter, "xs4all" nennt sich ein berühmter Provider. Die Semantik der Weltgesellschaft, die unter dem Logo "Globalisierung" firmiert, und die cyberdelische Semantik der Internet-Enthusiasten teilen miteinander ihren blinden Fleck, der darin besteht, daß Reflexionen auf die Kehrseite der Inklusion ausbleiben oder genauer: nur insoweit vorkommen, als die Exklusion als Noch-nicht-Inklusion gefaßt wird. Die Unterscheidung von Inklusion und Exklusion wird also temporalisiert; irgendwann, später, bald sollen dann alle dazugehören. Bill Gates, der ja an beiden Semantiken mitschreibt, verschmilzt die Inklusionsbedingungen der Weltgesellschaft und des Internets im Modell eines globalen elektronischen Marktes, an dem "wir alle" teilnehmen werden. Wir alle würden, so das ständig wiederholte Versprechen, "in eine neue Wirtschaftswelt eintreten, einen Kapitalismus mit geringer Reibung und niedrigen Gemeinkosten, mit einem überreichen Angebot an Marktinformationen und bescheidenen Transaktionskosten. Es werde ein Paradies für Konsumenten sein." Für uns alle. Wer an der Cyber Society nicht mitmachen will, so schreiben Josef Brauner und Roland Bickmann in ihrem gleichnamigen Buch, wird als "Dinosaurier" beschrieben, der die "Entwicklung zu verpassen" droht, was aber nicht etwa zu Exklusionen führe, sondern zum Nachsitzen: die versäumte Entwicklung muß dann auf der Strafbank nachgeholt werden (S. 9). Auch Bill Gates nimmt an, daß es Nachzügler geben werde, aber kein dropping out. Die Globalisierung im Medium des Daten Superhighways leite "glücklicherweise" wie von selbst "alle Kräfte, die in einem Bereich nicht mehr gebraucht werden, anderen zu [...]", wo sie dann "dankbar begrüßt werden." Gates nennt für diese unsichtbare Hand der Globalisierung auch ein Beispiel: "Jedesmal, wenn ein Arbeitsplatz wegrationalisiert wird, bekommt der Mensch, der ihn bisher ausgefüllt hat, die Möglichkeit, etwas anderes zu tun." (S. 364) So hat es hierzulande bislang nur Christoph Schlingensief gesehen: "Scheitern als Chance".

Auch Ulrich Beck geht in Was ist Globalisierung? davon aus, daß sich die Weltgesellschaft im Medium der neuen "Kommunikationsmöglichkeiten" vollziehe. Angeführt werden "Fax und Internet" (S. 68). Darüber verfügt nun zwar noch nicht jeder, aber das kann oder eher: soll ja noch kommen. Claus Leggewie forderte im letzten Jahr in der "Münchener Erklärung": "Bundesregierung und Länder werden aufgerufen, die neuen Kommunikationsmedien institutionell so zu gestalten, dass die informationelle Grundversorgung gesichert und ein freier Zugang für alle Bürgerinnen und Bürger gewährleistet ist." Die neuste Verlautbarung dieser Art heißt "Frankfurter Erklärung", federführend ist Rainer Rilling, gefordert wird: "Jeder Mensch soll die Fähigkeit und die Möglichkeit zur individuellen und kollektiven Kommunikation in elektronischen Medien erwerben können." Verhindert werde die Vollintegration aller Menschen in eine demokratische Informationsgesellschaft bislang aber von "privaten Unternehmen und Kapitalgruppen [...], die weltweit die Produktion, die Verteilung und den Fluß von Informationen auf den Datenhighways steuern". Nun soll das Internet zu einem interaktiven, demokratischen und dezentralen Medium umgebaut werden, an dem jeder teilhaben kann. Die "Erklärung" erhebt den Anspruch auf "eine Universaldienstverpflichtung, die jedem einzelnen den Zugang zu elektronischen Informationen von öffentlichen Einrichtungen und öffentlich-rechtlichen Anstalten gewährt". Being wired wird endlich ein universales Menschenrecht, die Weltdemokratie folge dann quasi von selbst, dem hohen "Demokratiepotential" des Internets sei dank.

Urlich Beck denkt nun zwar viel skeptischer über die Möglichkeiten der mediale Inklusion aller in die Weltgesellschaft, schließt aber die Möglichkeit der Exklusion gleichwohl aus. So ist von der "neuen Unausgrenzbarkeit der Armen" (S. 106) die Rede, die er mit dem Hinweis begründet, daß "selbst Müllmenschen [...] in und von dem Müll der Weltgesellschaft [leben] und [daher] eingebunden [bleiben] in die Symbolkreisläufe globaler Kulturindustrie." (S. 117) Dies sieht Luhmann entschieden anders und zwar schwarz: von Einbindung in die "Kreisläufe" der Weltgesellschaft könne nämlich in Falle von Menschen, "die auf und von Müllhalden leben müssen", nicht die Rede sein, vielmehr erkenne man die Exklusion deutlich daran, "daß Reziprozität unterbrochen wird" (S. 244). Der geldlose Konsum, der dort stattfindet, ist gerade kein Teil ökonomischer Kommunikation. Im Gegensatz zu Luhmann versteht Beck unter "Exklusion" ganz traditionell "Arbeitslosigkeit und Armut" (S. 254) und die Arbeitslosen und Armen wiederum als "Reservearmee, die für die Rückkehr in die Wertproduktion hergerichtet werden muß" (S. 104), die also eben nicht exkludiert, sondern "hergerichtet" wird. Beck fordert schließlich Reintegration unter dem Stichwort "soziale Gerechtigkeit in der globalen Ära" (S. 257). Der Staat habe "Grundsicherungen ein- und aufzubauen", um die "Ausgeschlossenen" aufzufangen (S. 254). Am Ende kommt er wie auch Leggewie und Rilling über die Formulierung von Ansprüchen nicht hinaus, der Staat, ja der "Weltstaat und der Weltfürsorgestaat" möge doch alle inkludieren. Beck kann sich also gar nicht vorstellen, daß es in der, wie er sie nennt, Zweiten Moderne zu Exklusionen kommt, die nicht zur erneuten Inklusion führen. Daß man die von Luhmann beschriebenen Exklusionsbereiche ignoriert, macht aber die Welt nicht besser. Ich schlage daher eine Herangehensweise vor, welche die Exklusionsakkumulation ernst nimmt. Um hier vor allem die Exklusionseffekte medientechnischer Entwicklungen in den Blick zu bekommen, muß zunächst ihre integrierende Wirkung beschrieben werden.

An der telekommunikativen und verkehrsmäßigen Erschließung der Welt selbst besteht wohl kein Zweifel; sie hat mittlerweile einen Stand erreicht, der uns den Begriff der Globalisierung beschert hat. Der Begriff der Globalisierung zeigt an, daß große Teile der gesellschaftlichen Leistungsbezirke, allen voran die Wirtschaft, damit aufgehört hat, in nationalstaatlichen Zusammenhängen zu denken. Global player spielen ein Spiel ohne Grenzen: Wer Gewinne erzielen will, aber auch, wer Gläubige für die Weltreligionen, Rezipienten für seine Kunstwerke oder Mitarbeiter für ein Forschungsprogramm sucht, läßt sich von nationalen Grenzen nicht aufhalten. In jeder sozialen Sphäre gibt es mittlerweile Akteure, deren Spezialität es ist, einzelne Regionen weltweit zu sichten und untereinander zu vergleichen, um dann die geeignetste als Standort auszuwählen. So verfährt nicht nur die Wirtschaft, die Silicon Valley mit Bangalore oder Bayern, Hamburg mit Rotterdam, den Elsaß mit Tschechien vergleicht, um Standortvorteile und -nachteile abzuwägen, sondern Städte oder Regionen befinden sich auch in anderen Hinsichten in einem Zustand des permanenten Vergleichs. Die Regionen konkurrieren um Kunstbiennalen und Filmfestspiele, um Museumsbauten und Stiftungen, um Forschungsinstitute oder Freizeitparks. Die weltumspannenden Verkehrs- und Telekommunikationstechniken lassen diesen Vergleich permanent und global stattfinden. Auf dem WEB-Sites der Städte und Regionen lassen sich die Standortvorteile bequem abrufen und vergleichen. Wenn diese Vergleiche im globalen Maßstab mit Beobachtungen und Operationen via Internet oder via Telephon auskommen, dann sind alle diejenigen, die sie anstellen, global player. Im Umkehrschluß heißt dies zugleich: wer offline ist, muß schwerer Nachteile gegenwärtig sein – und dies gilt nicht allein für die Wirtschaft, sondern tendenziell für alle Funktionssysteme der Weltgesellschaft.

Der globale Vergleich erfaßt zunehmend alle sozialen Sektoren der Gesellschaft von der Kunst bis zur Wissenschaft. Es gibt Regionen, die eher im Bereich der Kunst miteinander konkurrieren, etwa Venedig, Salzburg oder Kassel, im Bereich des Tourismus, im Bereich der Wissenschaft, etwa Stanford gegen Harvard oder das MIT gegen Fraunhofer oder Max Planck. Da die Integration der Sozialsysteme untereinander in der Moderne aber hoch ist, was nichts anderes heißt, als daß sie sich wechselseitig als Umweltbedingungen voraussetzen, führt der globale Vergleich zur Aggregation. Ein Forschungsinstitut beispielsweise sucht die Nähe zur Industrie, die ihre Patente verwertet, zu den Universitäten, an denen es seinen Nachwuchs rekrutiert, es sucht ein Rechtssystem, das Innovationen nicht blockiert, ein politisches Umfeld, das Grundlagenforschung subventioniert und ein attraktives Wohnumfeld für seine hochbezahlten Angestellten etc. Ich glaube nun, daß aus diesem globalen Wettbewerb, der ja in den verschiedensten Sektoren durchgeführt wird, Regionen als Gewinner und Verlierer hervorgehen werden, wenn sich mehrere Standortvorteile so addieren, daß alle Akteure dort maximal davon profitieren – oder vice versa. Die hochbezahlten Angestellten der High-Tech-Industrie wollen nicht nur einen Arbeitsplatz, sondern verlangen auch nach angemessener kultureller Umgebung, wollen eine sichere und gesunde Umwelt, gute Schulen für ihren Nachwuchs. Längst werben in den USA Städte derart um Investoren und Bewohner. Die Konkurrenz der Regionen auf allen Bereichen – von der Kunst bis zur Umwelt, vom Immobilienpreis bis zum Schulniveau, von der Kriminalitätsrate bis zum Nahverkehrssystem, diese Konkurrenz hat bereits zu Polarisierungen geführt: es gibt Regionen, die in den Massenmedien und im Internet damit werben, im Gegensatz zu anderen Gebieten eine gute Infrastruktur, guten kommunalen Service, hohe Sicherheit, saubere Umwelt, gute Schulen usw. anbieten zu können. Die soziale Aufwertung bestimmter Räume, ihre Abschottung nach außen und zugleich: der Abstieg von Regionen zu Exklusionszonen wird gegenwärtig auf urbaner Ebene unter dem Stichwort gentrification diskutiert, meist jedoch beschränkt auf die ökonomischen Faktoren des Prozesses. Ich schlage vor, diese Entwicklung als akkumulativen und globalen Prozeß zu fassen: Je mehr Geld in eine Region fließt, um so höher dort die Lebensqualität steigt, um so attraktiver das kulturelle Umfeld wird, desto gravierender fallen die Unterschiede zwischen solchen Regionen aus, die derartige Standortvorteile akkumulieren, und denjenigen Regionen, in denen die Spirale negativ wirkt: weniger Industrie, weniger Arbeitsplätze, weniger Steuereinnahmen, steigende Sozialkosten, sinkende Ausgaben für Dienstleistungen, schlechtere Infrastruktur, schlechtere Schulen, höhere Gewaltkriminalität, Abwandern der Spitzenverdiener und der Unternehmen, Verfall der Grundstückspreise etc. Was man in Städten wie L.A. oder New York schon seit den 50er Jahren beobachten konnte, findet unter Bedingungen der Globalisierung statt als weltweite Konkurrenz der Regionen, die schließlich zu einer so scharfen Diskrepanz von Regionen führen könnte, daß sich am Ende dieser Entwicklung Inklusions- und Exklusionszonen gegenüberstünden.

Diese Exklusionslogik der Weltgesellschaft hat nun medientechnische Gründe, die über die Möglichkeit des globalen Vergleichs hinausgehen. Je mehr die Weltgesellschaft auf Verkehrs- und Telekommunikationstechniken angewiesen ist, je mehr nicht die Produktion von Gütern, sondern der Fluß der Informationen ihr Wesen ausmacht, desto effektiver werden jene Bereiche erst marginalisiert, dann exkludiert, die nicht an die global information infrastructure angeschlossen sind, an der Al Gore zufolge die ganze world community partizipieren solle. Die zunehmende Bedeutung der neuen Medien in allen Sozialsystemen der Gesellschaft verschärft den Mechanismus der Exklusionsakkumulation, da die Wahrscheinlichkeit, an den Operationen der Weltgesellschaft teilnehmen zu können, für diejenigen Regionen ohne Zugang zu den aktuellen Verkehrs- und Telekommunikationstechniken rapide gegen Null sinken wird. Die technischen Bedingungen der Globalisierung könnten so zu einer sich wechselseitig verstärkenden Spirale von Inklusion und Exklusion führen. Die Globalisierungsgewinner, die in den Inklusionszonen der Weltgesellschaft wohnen, partizipieren an den akkumulierten Standortvorteilen ihrer Region – die Globalisierungsverlierer bevölkern die Exklusionszonen. In den USA sind die Grenzen zwischen solchen Zonen der Inklusion und Exklusion deutlich zu erkennen – etwa an Sicherheitszäunen, Sicherheitskameras und am Sicherheitspersonal. Mike Davis schreibt in seiner Studie City of Quartz:

Aus den sorgfältig manikürten Rasenflächen an der Westside von Los Angeles sprießen Wälder von unheilverkündenen kleinen Schildern, die eine ‚bewaffnete Vergeltung‘ androhen. Sogar die reicheren Viertel in den Canyons und Hügeln isolieren sich hinter Mauern, die von schwerbewaffneten Privatpolizisten und den allerneuesten Überwachungssystemen geschützt werden. In Downtown ist in einer öffentlich subventionierten ‚Renaissance der Stadt‘ die größte Konzernfestung der USA entstanden – durch ein monumentales architektonisches Glacis von den umliegenden Armenvierteln getrennt. Neil Smith hat in seinem Buch The New Urban Frontier den Zusammenhang zwischen der Abschottung bestimmter Distrikte nach außen und ihrer rigorosen Pazifizierung im Innern als Revanchist City beschrieben und auf die Einfügung der Gentrifizierungsprozesse in die der Globalisierung hingewiesen (S. XVII). Man ist sich einig: Exklusion funktioniert als Inklusion. Die Neighborhoods und Communities, die Malls und Innenstädte riegeln sich von ihrer Umgebung ab und sorgen intern für soziale Homogenität, für die Geltung von community values und selbstverständlich für Sicherheit und Ordnung. Der Kommunitarismus spielt die Begleitmusik zu diesem Duett der Globalisierung und des lokalem Festungsbaus.

Daß aus der selbstgewählten Isolation kein Nachteil entsteht, dafür sorgen die modernen Verkehrsverhältnisse und die avancierte Kommunikationsinfrastruktur. Die Peripherien sind sogar ausgesprochen beliebt, weil die Umwelt grün und die Straßen sicher sind, während die alteuropäischen Nachteile der Randlage, nämlich vom Zentrum entfernt und damit bedeutungslos zu sein, entfallen und unter Bedingungen medientechnischer Inklusion in Vorteile umschlagen. Telearbeit und Telematik sind daher die Zauberwörter. Wer online arbeitet, so Bill Gates, vermeidet schlechte Luft, Gang-Kriminalität, Staus und spart Zeit. Die globalisierte Region ist ein Ort hochmoderner Funktionsdifferenzierung, "normaler Stabilitätsbedingungen" und dichter Vernetzung. Die globalisierte Region unterhält ein eigenes Grenzmanagement und stellt für die Kommunikation mit anderen Regionen dieser Art die entsprechenden Medien und Verkehrswege bereit. Diese Inklusionszonen – es handele sich nun um Städte wie Bangalore, gentrifizierte Stadtviertel in aller Welt, um wohlbehütete Trabantenstädte oder um Regionen wie die südchinesischen Sonderwirtschaftszonen – scheinen zum Staat im Staate heranzuwachsen und zunehmend hoheitliche Aufgaben zu privatisieren. Dies läßt sich nicht nur in New York oder L.A., sondern ansatzweise auch in Berlin beobachten, wo der öffentliche Raum durch Privatisierung verknappt wird und an Orten wie dem Potsdamer Platz Zonen mit limitiertem, nicht-staatlich kontrolliertem Zugang entstanden sind. Wer aus dem Debis-Haus herausgeworfen wird, findet sich gewiß noch nicht aus der Weltgesellschaft exkludiert, doch könnten Exklusionsbereiche, wenn die überseeischen Inklusionszonen Schule machen, auch in Deutschland entstehen. Wenn es soweit ist, dann werden die neuen Telekommunikationsmittel wie das Internet vor allem für eine Art der Vernetzung Sorge tragen, die sich von den Körpern der Exkludierten nicht irritieren lassen muß. An der Telepolis der User, der weltweiten Agora, der interaktiven Demokratie der Netizens werden jedenfalls diese Ausgeschlossenen überhaupt nicht teilnehmen, indessen die Inklusion der User immer schon vorausgesetzt werden darf. In der "Telepolis" zu kommunizieren und in der "Privatpolis" wohnen, wird wahrhaft exklusiv. Was immer das Internet für ein demokratisches oder deliberatives Potential haben mag, es wird keine Folgen für die Exklusionsbereiche haben. Begriffe wie Weltzivilgesellschaft und Global Community, die gerade für die Internet- und Cyberspacesemantik notorisch sind, können die Totalinklusion aller Menschen zwar noch symbolisieren, nicht jedoch gewährleisten. Stattdessen muß wohl vermutet werden, daß auch die weitere Entwicklung der Weltgesellschaft zu Exklusionen führen wird. Das Internet wird diesen Trend forcieren – und zugleich – vielleicht als ein Ziviles Gerüst – therapieren, im Inklusionsbereich, versteht sich.