Zum Schluss Beerdigungen und Hochzeitsglocken. Ein
Held ist im Kampf
gegen den Dark Lord und seine Armeen gefallen, aber eine junge
Generation reicht sich an seinem Grab die Hand zum Bund fürs
Leben.
Seit je enden Epen so, der Ringkrieg beispielsweise. Dass in dunklen
Zeiten eine Heirat einen goldenen Tag verspricht, verwundert also nicht
weiter, aber dass Severus Snape sein vollkommen hilfloses Opfer mit
einem Avada Kedavra liquidiert, kommt unerwartet. Vollkommen
unerwartet. "It could not have happened."
Ich
habe die Seiten in aller Ruhe noch einmal gelesen, um einen Beleg
dafür
zu finden, dass ich etwas übersehen habe und der Tote im Grab doch
nicht starb - vergebens. Der mächtige, weise, humane, humorige
Dumbledore, der Mentor der Vollwaise, ist tot.
Seine
Ermordung in cold blood wäre in den ersten Bänden undenkbar
gewesen.
Aber nach sechs Jahren Zauberschule können die Freunde des nunmehr
Siebzehnjährigen darauf zählen, dass es mehr als
dreiköpfige Hunde oder
ein paar Spinnen sein werden, die ihn bedrängen und uns zum
Gruseln
bringen. Harry wird nicht nur älter, sondern auch härter, um
den immer
schrecklicheren Heimsuchungen zu begegnen; und die unheimlichsten
drohen nicht von noch blutdurstigeren Werwölfen, sondern
rühren von den
eigenen Ängsten und Zweifeln, den enttäuschten Erwartungen
und
unerkannten Sehnsüchten.
Bereits im Verlauf seines fünften Jahres in
Hogwarts erkennt Harry eine
gewalttätige Seite in sich und bekennt seine Sorge, Lord Voldemort
ähnlich zu werden. Am Ende des 6. Bandes versucht er selbst
Unforgivable Curses, und im 7. Band entfalten sie auch ihre furchtbare
Wirkung. Er verstehe endlich Bellatrix, die Mörderin seines Paten
Sirius Black, sagt Potter im Blutrausch, man muss es ernst meinen:
"howling in pain" verliert der gefolterte Death Eater sein Bewusstsein.
Aber Harrys Blut rauscht beileibe nicht nur im Kampf.
Helden ohne weiße Weste
Eine
Rezensentin der Neuen Zürcher Zeitung bekundete einst ihre
Verwunderung
über die Begeisterung Erwachsener für diese Kindergeschichte.
Aber
Rowling hat gemischte und entwicklungsfähige Charaktere entworfen,
und
was 1997 wie ein Kinderbuch begonnen hat - hier die strahlenden Guten,
dort die dunkel gekleideten Bösewichte -, schließt zehn
Jahre später
wie ein Thriller, in dem auch die Helden ohne weiße Westen
auskommen
müssen.
Zu den ersten Bänden hatte ich zufällig gegriffen, zu
den letzten mit der sicheren Erwartung eines Vergnügens. Beim
Verschlingen des letzten Bandes bedauert man kurz vor dem Finale fast,
dass nun keine neue Volte den Handlungsverlauf noch einmal
verändern
und verlängern wird.
Auch die New York Times hat Rowling mit
Tolkien verglichen, und zu Recht. Der "Herr der Ringe" und der
Harry-Potter-Zyklus sind hundertmillionenfach gelesene Bestseller
voller genretypischer Burgen und Drachen, Hexenmeistern und Zauberern,
Wormtails und Wormtongues, Animagi, Zwergen, Elfen, Werwölfen.
Aber
jenseits von Personal und Setting gibt es weitere Parallelen:
Blutlinien und Stammbäume spielen eine schicksalhafte Rolle im
Krieg
der Rassen und Geschlechter, in dem magische Artefakte moderne Medien-
und Machttechniken ersetzen. "Magie ist Macht", lautet das neue Motto
des Ministeriums für Magie, dessen immer totalitärere
Führung auf
Konditionierungs- und Propagandatechniken zurückgreift, deren
Effekte
selbst die Besten nicht unbeeindruckt lassen.
Die märchenhaften
Gegenwelten erweisen so ihre Zeitgenossenschaft, und England unter der
Neuen Ordnung erinnert sehr an das von Saruman geführt Auenland.
Eine
Welt, in der man gesegnet geboren wird oder aber als Muggel, in der
Purebloods muggelstämmige Mudbloods erst diskriminieren, um dann
an
ihre Unterwerfung zu schreiten, lässt hinter den überkommenen
Schichtdifferenzen eine rassistische Logik erkennen, deren nahezu
reibungslose administrative Implementierung Rowlings neuer Roman
schildert. Das sadistische Inquisitionsregime, das Dolores Umbridge auf
Hogwarts installiert hat, war nur ein Feldversuch.
Harry auf der Flucht
Dieser
Hintergrund aus Machtergreifung und Gleichschaltung macht aber vor
allem plausibel, warum es um Harry immer einsamer wird, warum er
nirgendwo mehr sicher sein kann, warum er ständig auf der Flucht
ist,
frierend, hungernd, persona non grata, gehetzt von Ort zu Ort, warum er
selbst von Freunden verlassen und verraten wird und die wenigen, die
ihn unterstützen, eine geringe Lebenserwartung haben. Wer sollte
auch
nach Dumbledores Tod die Suche nach den Horcruxen leiten, jenen
Artefakten, die Voldemorts Seele enthalten und deren Zerstörung
seine
Vernichtung ermöglichten? Ganz ohne machtvolle Hilfe bleibt Potter
nicht.
Auch darüber lässt uns Rowling lange im Ungewissen, und
noch in den allerletzten Szenen geben überraschende, aber gut
motivierte Vorfälle der Story eine andere Richtung. Aufmerksame
Fans,
die sich Zeit lassen, werden darauf in Details viele Hinweise finden.
Wer auf Seite 607 vorblättert, verdirbt sich das Vergnügen,
ein
spannendes Buch zu lesen.