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Harry Potter
Magie ist Macht
VON NIELS WERBER

Alan Rickman
+Alan Rickman (Filmstudio)
Zum Schluss Beerdigungen und Hochzeitsglocken. Ein Held ist im Kampf gegen den Dark Lord und seine Armeen gefallen, aber eine junge Generation reicht sich an seinem Grab die Hand zum Bund fürs Leben. Seit je enden Epen so, der Ringkrieg beispielsweise. Dass in dunklen Zeiten eine Heirat einen goldenen Tag verspricht, verwundert also nicht weiter, aber dass Severus Snape sein vollkommen hilfloses Opfer mit einem Avada Kedavra liquidiert, kommt unerwartet. Vollkommen unerwartet. "It could not have happened."

Ich habe die Seiten in aller Ruhe noch einmal gelesen, um einen Beleg dafür zu finden, dass ich etwas übersehen habe und der Tote im Grab doch nicht starb - vergebens. Der mächtige, weise, humane, humorige Dumbledore, der Mentor der Vollwaise, ist tot.

Seine Ermordung in cold blood wäre in den ersten Bänden undenkbar gewesen. Aber nach sechs Jahren Zauberschule können die Freunde des nunmehr Siebzehnjährigen darauf zählen, dass es mehr als dreiköpfige Hunde oder ein paar Spinnen sein werden, die ihn bedrängen und uns zum Gruseln bringen. Harry wird nicht nur älter, sondern auch härter, um den immer schrecklicheren Heimsuchungen zu begegnen; und die unheimlichsten drohen nicht von noch blutdurstigeren Werwölfen, sondern rühren von den eigenen Ängsten und Zweifeln, den enttäuschten Erwartungen und unerkannten Sehnsüchten.

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Bereits im Verlauf seines fünften Jahres in Hogwarts erkennt Harry eine gewalttätige Seite in sich und bekennt seine Sorge, Lord Voldemort ähnlich zu werden. Am Ende des 6. Bandes versucht er selbst Unforgivable Curses, und im 7. Band entfalten sie auch ihre furchtbare Wirkung. Er verstehe endlich Bellatrix, die Mörderin seines Paten Sirius Black, sagt Potter im Blutrausch, man muss es ernst meinen: "howling in pain" verliert der gefolterte Death Eater sein Bewusstsein. Aber Harrys Blut rauscht beileibe nicht nur im Kampf.

Helden ohne weiße Weste

Eine Rezensentin der Neuen Zürcher Zeitung bekundete einst ihre Verwunderung über die Begeisterung Erwachsener für diese Kindergeschichte. Aber Rowling hat gemischte und entwicklungsfähige Charaktere entworfen, und was 1997 wie ein Kinderbuch begonnen hat - hier die strahlenden Guten, dort die dunkel gekleideten Bösewichte -, schließt zehn Jahre später wie ein Thriller, in dem auch die Helden ohne weiße Westen auskommen müssen.

Zu den ersten Bänden hatte ich zufällig gegriffen, zu den letzten mit der sicheren Erwartung eines Vergnügens. Beim Verschlingen des letzten Bandes bedauert man kurz vor dem Finale fast, dass nun keine neue Volte den Handlungsverlauf noch einmal verändern und verlängern wird.

Auch die New York Times hat Rowling mit Tolkien verglichen, und zu Recht. Der "Herr der Ringe" und der Harry-Potter-Zyklus sind hundertmillionenfach gelesene Bestseller voller genretypischer Burgen und Drachen, Hexenmeistern und Zauberern, Wormtails und Wormtongues, Animagi, Zwergen, Elfen, Werwölfen.

Aber jenseits von Personal und Setting gibt es weitere Parallelen: Blutlinien und Stammbäume spielen eine schicksalhafte Rolle im Krieg der Rassen und Geschlechter, in dem magische Artefakte moderne Medien- und Machttechniken ersetzen. "Magie ist Macht", lautet das neue Motto des Ministeriums für Magie, dessen immer totalitärere Führung auf Konditionierungs- und Propagandatechniken zurückgreift, deren Effekte selbst die Besten nicht unbeeindruckt lassen.

Die märchenhaften Gegenwelten erweisen so ihre Zeitgenossenschaft, und England unter der Neuen Ordnung erinnert sehr an das von Saruman geführt Auenland. Eine Welt, in der man gesegnet geboren wird oder aber als Muggel, in der Purebloods muggelstämmige Mudbloods erst diskriminieren, um dann an ihre Unterwerfung zu schreiten, lässt hinter den überkommenen Schichtdifferenzen eine rassistische Logik erkennen, deren nahezu reibungslose administrative Implementierung Rowlings neuer Roman schildert. Das sadistische Inquisitionsregime, das Dolores Umbridge auf Hogwarts installiert hat, war nur ein Feldversuch.

Harry auf der Flucht

Dieser Hintergrund aus Machtergreifung und Gleichschaltung macht aber vor allem plausibel, warum es um Harry immer einsamer wird, warum er nirgendwo mehr sicher sein kann, warum er ständig auf der Flucht ist, frierend, hungernd, persona non grata, gehetzt von Ort zu Ort, warum er selbst von Freunden verlassen und verraten wird und die wenigen, die ihn unterstützen, eine geringe Lebenserwartung haben. Wer sollte auch nach Dumbledores Tod die Suche nach den Horcruxen leiten, jenen Artefakten, die Voldemorts Seele enthalten und deren Zerstörung seine Vernichtung ermöglichten? Ganz ohne machtvolle Hilfe bleibt Potter nicht.

Auch darüber lässt uns Rowling lange im Ungewissen, und noch in den allerletzten Szenen geben überraschende, aber gut motivierte Vorfälle der Story eine andere Richtung. Aufmerksame Fans, die sich Zeit lassen, werden darauf in Details viele Hinweise finden. Wer auf Seite 607 vorblättert, verdirbt sich das Vergnügen, ein spannendes Buch zu lesen.

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Dokument erstellt am 22.07.2007 um 17:52:05 Uhr
Letzte Änderung am 22.07.2007 um 22:21:48 Uhr
Erscheinungsdatum 23.07.2007