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René Descartes, Meditationes de prima philosophia in quibus dei existentia et animae humanae a corpore distinctio demonstrantur


Abschnittsweise Zusammenfassung


Epistola (Widmung)

"Denn mag es auch für uns Gläubige genügen, im Glauben überzeugt zu sein, daß die Seele nicht mit dem Körper untergeht und daß es einen Gott gibt, so kann man doch Ungläubige von keiner Religion, ja wohl nicht einmal von der Notwendigkeit moralischer Tugend überzeugen, wie es scheint, wenn man ihnen nicht zuvor jene beiden Sätze mit natürlichen Gründen beweist." Sap. 13, 9: "Si enim tantum potuerint scire, ut possent aestimare saeculum, quomodo huius dominum non facilius invenerunt?" (Denn, haben sie so viel mögen erkennen, dass sie konnten die Kreatur hochachten, warum haben sie nicht viel eher den Herrn derselbigen gefunden?)


Praefatio (Vorwort)

vox ideae: "sumi enim potest vel materialiter, pro operatione intellectus, quo sensu me perfectior dici nequit, vel obiective, pro re per istam operationem repraesentata, quae res etsi non supponatur extra intellectum existere, potest tamen me esse perfectior ratione suae essentiae." (Darauf antworte ich, dass im Worte "Vorstellung" eine Zweideutigkeit liegt; denn man kann diese entweder psychologisch als eine Tätigkeit des Verstandes auffassen, und in diesem Sinne kann man nicht sagen, sie sei vollkommener als ich, oder aber logisch, bezogen auf ihre Bedeutung als den durch diese Tätigkeit vorgestellten Gegenstand, und wenn man auch nicht voraussetzt, dass dieser außerhalb meines Verstandes existiert, so kann er doch aufgrund seines Wesens vollkommener sein als ich.)


Synopsis sex sequentium meditationum

Übersicht über den Inhalt der einzelnen Meditationen


Meditatio I: De iis, quae in dubium revocari possunt

1. " ... alles von Grund aus umstoßen und von den ersten Grundlagen an neu beginnen ..."

2. Der Angriff richtet sich auf die Fundamente des für wahr Gehaltenen: ... quia suffossis fundamentis quidquid iis superaedificatum est sponte collabitur, aggrediar statim ipsa principia, quibus illus omne quod olim credidi nitebatur. (Ich werde vielmehr, da bei untergrabenen Fundamenten alles darauf Gebaute von selbst zusammenstürzt, den Angriff sogleich gegen die Prinzipien richten, auf die sich alle meine früheren Meinungen stützten.)

3. Das für wahr Gehaltene "vel a sensibus vel per sensus (z. B. durch Vermittlung des Gehörs, beim Lernen) accepi".

4. Daß "mein ganzer Körper da ist, wie könnte man mir das abstreiten?"

5. Ich sehe "ganz klar, daß Wachsein und Träumen niemals durch sichere Kennzeichen unterschieden werden können."

6. Aber es "müssen doch mindestens die Farben wahr sein, aus denen [die Maler von Sirenen und Satyrn dieses Neue] zusammensetzen."

7. "Von dieser Art scheinen die Natur der Körper im allgemeinen und ihre Ausdehnung zu sein, ferner die Gestalten der ausgedehnten Dinge, ebenso die Quantität, d. i. ihre Größe und Zahl, ebenso der Ort, an dem sie existieren, die Zeit, während der sie dauern, und dergleichen."

8. Folglich sind Physik, Medizin, Astronomie u. dgl. zweifelhaft, während Arithmetik und Geometrie "und andere Wissenschaften dieser Art, die nur von den allereinfachsten und allgemeinsten Gegenständen handeln und sich wenig darum kümmern, ob diese in der Wirklichkeit vorhanden sind oder nicht, etwas von zweifelloser Gewißheit enthalten."

9. Wenn es jedoch Gottes Güte entspricht, daß ich mich zuweilen täusche, dann mag ihr auch entsprechen, daß ich mich immer täusche, wenn ich 2+3 für 5 halte.

10. Wenn auch einige an einen Gott, der mich täuschen will, nicht glauben möchten, so wäre ich doch als ein durch eine weniger mächtige Ursache Geschaffener umso anfälliger für Täuschungen. Also auch Zweifel in bezug auf Mathematik u. ä. (Durch das Nicht-an-Gott-Glauben hat man nichts gewonnen...)

11. Für das Handeln ist das Wahrscheinliche ausreichende Orientierung. Das Wahrscheinliche wäre aber ein Gott, der gütig ist, so daß ich mich nur ab und zu täusche.

12. Für das Erkennen (bei dem es auf Gewißheit ankommt) nehme ich einmal einen bösen Geist an, der mich ständig täuscht.


Meditatio II: De natura mentis humanae: Quod ipsa sit notior quam corpus

1. Annahme: wäre alles falsch, was nur den geringsten Zweifel zuläßt.

2. "... ich habe keine Sinne ..."

3. "... haud dubie igitur ego etiam sum, si me fallit, et fallat quantum potest, numquam tamen efficiet, ut nihil sim quamdiu me aliquid esse cogitabo." -- "ego sum, ego existo, quoties a me profertur vel mente concipitur, necessario est verum."

4. Was ich bin ist gleich das, was ich zu sein glaubte minus das, was hat erschüttert werden können.

5. Was ich zu sein glaubte: ein Mensch, also ein vernünftiges Lebewesen? -- Nein, sondern: Körper und Seele.

6. Körper: zweifelhaft. Vegetative Seele (sich ernähren und verbreiten -- nutriri et incedere): ohne Körper nur Empfindungen. Empfinden (sensitive Seele): kommt ohne Körper nicht zustande. Denken: Hier liegt es: "ego sum, ego existo, certum est. Quamdiu autem? nempe quamdiu cogito." (Vielleicht hört mit meinem Denken auch meine Existenz auf.) Ich bin eine res cogitans (mens, animus, intellectus, ratio).

7. "... quis sim ego ille, quem novi?" -- Jedenfalls nicht der, der ich mir vorstelle zu sein.

8. Als res cogitans bin ich ein Wesen, das zweifelt, denkt, bejaht, verneint, will, nicht will, sich etwas vorstellt und empfindet.

9. Auch die Einbildungskraft macht einen Teil meiner cogitatio ("Bewußtsein"?) aus. Auch 'Empfinden' ist nichts anderes als 'cogitare'.

10. Einwand:

Und doch scheine ich die Gegenstände der Einbildung deutlicher zu erkennen als mich selbst (das, was sich etwas einbildet).

11. Zurückweisung:

Gerade das, was uns z. B von einem Stück Wachs sinnlich gegeben ist, unterliegt der Veränderung.

12. Das, was das Wachs ist, kann ich "mir nicht bildlich ausmalen [...], sondern nur denkend begreifen."

13. Ich erkenne das, was ich mit meinen Augen zu sehen vermeinte, einzig und allein durch die meinem Denken innewohnende Fähigkeit zu urteilen.

14. Ich kann das von seinen äußeren Formen unterschiedene Wachs nicht ohne den menschlichen Geist begreifen.

15. Also ist meine Erkenntnis des menschlichen Geistes klarer als meine Erkenntnis des Wachses.

16. Zusammenfassung:

Erkannt werden die Dinge nur durch den Intellekt, und folglich ist der Geist selbst das am leichtesten und evidentesten Erkannte.


Meditatio III: De Deo, quod existat

1. Sensus et imaginationes quatenus modi cogitandi tantum sunt, in me esse sum certus

2. Quid requiratur, ut de aliqua re sim certus? [C]lara quaedam et distincta perceptio eius quod affirmo. Daraus wird die allgemeine Regel abgeleitet : illud omne esse verum, quod valde clare et distincte percipio. (Wahrheit wird von Gewißheit hergeleitet.)

3. Daß es gewisse Dinge außer mir gebe, von denen jene Ideen herrühren und denen sie vollkommen ähnlich seien: id non ex vi meae perceptionis contigebat.

4. Zur Bestätigung der mathematischen Gewißheiten (ich bin mir ihrer völlig gewiß, und dennoch: metaphysischer Zweifel: aliquando 2+3 ungleich 5?): Gibt es einen Gott, und kann er ein Betrüger sein?

5. Gedanken werden eingeteilt in 1. Ideen (gleichsam Bilder der Dinge), 2. voluntates sive affectus und 3. iudiciae.

6. Davon sind nur die Urteile anfällig für den Irrtum. Häufigster Irrtum: daß meine Ideen außer mir befindlichen Dingen ähnlich seien. An Ideen, voluntates, affectiones als modi cogitationis gibt es keinen Zweifel.

7. Von den Ideen sind einige angeboren, einige erworben (adventiciae), einige von mir gemacht.

8. Die von den Sachen draußen entlehnten Ideen: weder angeboren noch von mir gemacht, also erworben.

9. Erworben? Das ist mir nicht durch ein lumen naturale gezeigt, sondern durch einen impetus spontaneus / naturalis.

10. Die Ideen, wenn sie auch nicht von meinem Willen hervorgebracht sind, mögen doch von einer mir unbekannten, dem Trieb ähnlichen Fähigkeit hervorgebracht sein.

11. Selbst wenn von den Dingen ausgehend, wären die Ideen doch nicht unbedingt den Dingen ähnlich. Sonne: das ihr am unmittelbarsten entsprungen scheinende Bild (notio) stellt sie kleiner dar, als sie ist.

12. Also habe ich an die Existenz von Dingen außer mir nur aus blindem Trieb geglaubt.

13. zunehmende realitas obiectiva: Akzidenzien, Substanzen, Gott (Grade von obj. Realität, Klarheit und Deutlichkeit, Wahrheit)

14. Der Effekt besitzt Realität von seiner Ursache her. Die realitas obiectiva muß von einer anderen realitas formalis als von der meiner Idee herrühren.

15. Es genügt auch in den Ursachen nicht eine realitas obiectiva, denn diesen kommt ihrer Natur nach eine realitas formalis zu. Es kann zwar eine Idee aus der anderen hervorgehen, aber es muß ein Urbild geben.

16. Wenn eine objektive Realität so groß ist, daß sie weder formal (als realitas formalis) noch eminent in mir sein kann, dann muß es als Ursache eine von mir verschiedene Sache geben.

17. Ideen: von mir, von Gott, von körperlichen und unbeseelten Dingen, von Engeln, Tieren, Menschen.

18. Ideen von Menschen, Tieren, Engeln: aus den Ideen von mir selbst, von den körperlichen Dingen und von Gott zusammensetzbar.

19. Ideen körperlicher Dinge: könnten aus mir selbst hervorgehen. Akzidenzien: womöglich nichts Reales, sondern nur etwas Privatives.

20. Akzidenzien: ich könnte der Urheber sein.

21. Substanz, Dauer, Zahl, Ausdehnung: ließe sich aus der Idee meiner selbst entlehnen.

22. Idee von Gott: eine Substanz, die unendlich, unabhängig, allwissend und allmächtig ist -- kann nicht von mir abhängen. Also: Gottes Existenz notwendig.

23. Ich: endliche Substanz. Gott: unendliche Substanz.

24. perceptio infiniti ist der perceptio finiti vorgängig. Meine Mängel erkenne ich im Vergleich mit Gott.

25. Da die Idee von Gott zuhöchst klar und deutlich ist und alle anderen an objektiver Realität übertrifft, ist sie die wahrste.

26. Aber das in mir Angelegte könnte doch bis ins Unendliche wachsen (z. B. Erkenntnis). Und von dieser Anlage her könnte ich also die Idee Gottes in mir hervorbringen.

27. Nichts Potentielles gehört zu Gott. Gott ist aktuell unendlich. Meine Erkenntnis hingegen: immer noch eines weiteren Zuwachses fähig.

28. Könnte ich selbst, der ich diese Idee von einem vollkommenen Wesen habe, existieren, wenn kein solches Wesen existierte?

29. Woher wäre ich dann? 1. Von mir selbst her, oder 2. von meinen Eltern her, oder 3. von einem anderen Wesen her, das unvollkommener wäre als Gott.

30. Als Geschöpf meiner selbst wäre ich Gott und müßte also allwissend sein. Denn als Substanz aufzutauchen muß doch schwieriger sein als Erkenntnisse zu erwerben, also hätte ich mir die Erkenntnisse angeboren sein lassen. "Das stolze ego cogito ist alles andere als ein von sich selbst her seiendes, ruhendes Subjekt." (Wolfgang Hübener, Der dreifache Tod des modernen Subjekts. In: Die Frage nach dem Subjekt. Hg. v. Manfred Frank, Gérard Raulet und Willem van Reijen. Frankfurt a.M. (Suhrkamp) 1988, S. 120).

31. Aber bin ich vielleicht immer so gewesen, wie ich jetzt bin? "Meine Lebenszeit zerfällt in unzählige diskrete Teile, die völlig unabhängig voneinander sind." (Wolfgang Hübener, Der dreifache Tod des modernen Subjekts. In: Die Frage nach dem Subjekt. Hg. v. Manfred Frank, Gérard Raulet und Willem van Reijen. Frankfurt a.M. (Suhrkamp) 1988, S. 120) -- Erhaltung und Schöpfung sind aber nur rational unterschieden.

32. "Damit ich auch jetzt bin, wenn ich kurz zuvor war, bedarf es einer allmächtigen Ursache, die mich von Moment zu Moment gleichsam von neuem schafft. Ich erfahre in mir keine Kraft, durch die ich bewirken könnte, daß ich der, der ich jetzt bin, auch noch ein wenig später sein könnte (ut ego ille qui jam sum, paulo post etiam sim futurus)." (Wolfgang Hübener, Der dreifache Tod des modernen Subjekts. In: Die Frage nach dem Subjekt. Hg. v. Manfred Frank, Gérard Raulet und Willem van Reijen. Frankfurt a.M. (Suhrkamp) 1988, S. 120)

33. Das mich (als eine Idee von Gott Habenden) schöpfende von Gott Verschiedene müßte eine "res cogitans et omnium perfectionum, quas Deo tribuo" sein. Wenn es sich dabei nicht um Gott selbst handelt, dann also um etwas von ihm Verursachtes, so daß man schließlich zu Gott als letzter Ursache gelangen muß.

34. Es kann hier keinen Fortschritt ins Unendliche geben, weil diese letzte Ursache mich auch gegenwärtig noch erhält.

35. Auch können nicht verschiedene Teilursachen zusammengewirkt haben, da doch die Einfachheit gerade eine der vorzüglichsten Vollkommenheiten Gottes ist.

36. Meine Eltern: erhalten mich nicht im Dasein, haben mich nicht als res cogitans erzeugt, sondern nur die Materie disponiert, der mein Geist innewohnt.

37. Also muß mir die Idee von Gott (wie auch die Idee von mir selbst) angeboren sein...

38. ... als Signatur. Indem ich mich selbst als Signierten erkenne, erkenne ich auch jenen, von dem ich abhänge, als etwas, das alle die in meiner Idee enthaltenen Vollkommenheiten aktuell besitzt und somit als Gott. Somit kann Gott kein Betrüger sein.

39. placet hic aliquamdiu in ipsius Dei contemplatione immorari...


Meditatio IV: De vero et falso

1. "... cumque attendo me dubitare, sive esse rem incompletam et dependentem, adeo clara et distincta idea entis independentis et completi, hoc est Dei, mihi occurrit." -- Wie gelangt man von der Betrachtung des wahren Gottes zur Erkenntnis aller übrigen Dinge?

2. Gott täuscht mich nicht, denn darin läge eine Unvollkommenheit.

3. Meine Urteilsfähigkeit von Gott empfangen, und sofern ich sie recht gebrauche, täusche ich mich nicht.

4. Als Medium zwischen Gott und Nichts mag ich dennoch manchmal irren. Denn die Fähigkeit, wahr zu urteilen, ist in mir nicht unbeschränkt.

5. Dennoch: Irrtum ist kein reiner Mangel. Denn Gott hätte mich auch als niemals Irrenden erschaffen können. Weil Gott stets das Beste will: Ist es also besser, daß ich mich gelegentlich täusche?

6. Gründe Gottes nicht immer einsehbar.

7. Mir kommt im All der Dinge nur der Charakter eines Teils zu, und als Teil ist es das Beste.

8. Meine Irrtümer hängen vom Verstand und vom freien Willen ab. Das zum Verstande Gehörige ist an mir etwas Unvollkommenes, und Gott besitzt es in Vollkommenheit. Doch "den Willen oder die freie Entscheidung erfahre ich an mir so groß, daß ich die Idee keiner größeren zu fassen vermag." Meine Freiheit ist nur durch Unentschiedenheit und damit durch die Unvollkommenheit des Verstandes (Nichtvorhandensein von Erkenntnis) beschränkt.

9. Wenn ich den Willen über das vom Verstande erschlossene Gebiet ausdehne, so irre und sündige ich.

10. Akut: Unentschiedenheit in der Frage, ob die denkende Natur, die ich bin, mit der körperlichen Natur identisch ist.

11. Für keine der Antworten gewisse und unzweifelhafte Gründe.

12. Folglich enthalte ich mich eines Urteils.

13. Kein Grund, mich bei Gott über die Endlichkeit des Verstandes zu beschweren (ihn deswegen für unvollkommen zu halten).

14. Kein Grund, mich bei Gott über die weite Ausdehnung meines Willens zu beschweren.

15. Kein Grund, mich bei Gott über seine Mitwirkung bei falschen Willensakten und falschen Urteilen zu beschweren. Denn seine Mitwirkung beschränkt sich auf das, was in mir eine Vollkommenheit ist: das Falsche wählen zu können. Formal ist die Falschheit durch einen Mangel an Einsicht (also ein Nichtvorhandensein) bestimmt.

16. Zwei Arten, sich vor Irrtum zu bewahren: 1. umfassende Einsicht (nicht erreichbar) -- 2. Enthaltsamkeit (einübbar).

17. Weg zur Erkenntnis der Wahrheit: das vollkommen Erkannte von dem verworren und dunkel Erkannten unterscheiden.


Meditatio V: De essentia rerum materialium et iterum de Deo, quod existat

1. Ziel: aus den Zweifeln herauskommen und eine Gewißheit bezüglich der materiellen Dinge gewinnen.

2. Vor der Prüfung, ob solcherlei Dinge außer mir existieren: prüfen, welche ihrer Ideen deutlich und welche verworren sind.

3. Deutlich: Ausdehnung der Sache und ihrer Teile, sowie Größe, Gestalt, Lage und Bewegung incl. Dauer.

4. Auch die Einzelheiten (particularia).

5. Eigenschaften des Dreiecks (Winkelsumme usw.) unabhängig von bildlicher Idee.

6. Ich kann, auch ohne Vermittlung der Sinne, dem Dreieck bestimmte Eigenschaften zuweisen, und diese Eigenschaften erkenne ich deutlich, so daß sie also wahr sind und also etwas sind (nicht nichts). Denn: alles, was wahr ist, ist etwas.

7. Weil ich Gottes Natur bestimmen kann (Ewigkeit usw.), müßte das Dasein Gottes denselben Gewißheitsgrad wie die mathematischen Wahrheiten haben.

8. Einwand: Gottes Wesen ließe sich auch dann bestimmen, wenn er nicht existierte.

Zurückweisung: Wie vom Wesen des Dreiecks nicht zu trennen ist, daß seine Winkelsumme 180° beträgt, so auch vom Wesen Gottes nicht sein Dasein. Denn das Dasein gehört zu einem höchst vollkommenen Wesen dazu.

9. Gottes Wesen und Dasein verhalten sich wie der Berg zum Tal, nicht wie der gedachte Berg zum realen Berg.

10. ipsius rei, nempe existentiae Dei, necessitas me determinat ad hoc cogitandum.

11. 'Notwendigkeit der Existenz Gottes' bedeutet, daß ich, wann immer ich Gott denke, ihn mir existierend denken muß.

12. Nähmen nicht Abbilder des Sinnfälligen mein Bewußtsein (cogitatio) ganz ein, so würde ich nichts eher und leichter erkennen als Gott. Denn was ist offenkundiger als daß er das höchste Wesen ist und folglich, daß er existiert?

13. Ohne diese Gewißheit (Wesen? Existenz!) kann man nichts vollkommen wissen.

14. Begründung: Mag ich auch an der Existenz Gottes zweifeln, denn ich mag zweifeln, ob das von mir für wahr und gewiß Gehaltene tatsächlich (immer) wahr ist...

15. ... Und dennoch ist es die Existenz Gottes, die dafür sorgt, daß das klar und deutlich Erfaßte notwendigerweise wahr ist (denn Gott täuscht mich nicht), und somit muß ich nicht im einzelnen die Gründe kennen, aus denen heraus ich einmal etwas (hier: die Existenz Gottes) für wahr gehalten habe. Entscheidend ist nur, daß ich sie klar und deutlich erfaßt habe. Selbst für den Traum gilt: das Evidente ist wahr.

16. Gewißheit und Wahrheit jeder Wissenschaft hängt einzig und allein von der Erkenntnis des wahren Gottes ab. Also existieren die Gegenstände des reinen Verstandes und der körperlichen Natur (als Gegenstand der Mathematik).


Meditatio VI: De rerum materialium existentiae et reali mentis a corpore distinctione

1. Imaginatio [est] applicatio facultatis cognoscitivae ad corpus ipsi intime praesens ac proinde existens.

2. Unterschied zwischen bildlichen Vorstellen und reinem Verstehen:

bildliches Vorstellen: als sei es mir gegenwärtig; Ausrichtung des geistigen Auges; ganz besondere seelische Anstrengung

3. Die Einbildungskraft, insofern sie sich von der Verstandeskraft unterscheidet, ist zum Wesen meiner selbst nicht erforderlich, hängt also von etwas von mir Verschiedenem ab.

reines Verstehen: der Geist richtet sich auf selbst und betrachtet eine der Ideen, die in ihm sind.

bildliches Vorstellen: der Geist richtet sich auf den Körper und schaut etwas der Idee Ähnliches an.

4. Ich schaue auf diese Weise aber nicht nur die körperliche Natur (Locke: primäre Sinnesqualitäten), sondern auch Farben, Töne, Geschmäcke, Schmerz u. dgl. (Locke: sekundäre Sinnesqualitäten), die aber den Sinnen zu entstammen scheinen. Deshalb folgt eine Untersuchung der Sinneswahrnehmung.

5. Welches sind die aufgrund sinnl. Wahrnehmung für wirklich gehaltenen Gegenstände? Aus welchen Gründen wurde ihre Wirklichkeit in Zweifel gezogen?

6. Gegenstände:

(1) körperliche Empfindung, die unmittelbar die Seele berühren

(2) Wahrnehmungen der Gegenstände außer mir (anscheinend von diesen herrührend)

7. Gründe:

(1) Phantomschmerz, Sinnestäuschung

(2) Möge in mir eine Fähigkeit sein, (falsche) Wahrnehmungen hervorzurufen

8. Bessere Kenntnis meines Urhebers und meiner selbst: Revision des Zweifels

9. Alles, was ich klar und distinkt erkenne, kann so von Gott geschaffen werden, wie ich es erkenne, also sind die von mir als verschieden erkannten Dinge tatsächlich verschieden, da Gott sie getrennt setzen kann.

Bsp.: Ich habe eine klare und deutliche Idee meiner selbst als res cogitans sowie eine deutliche Idee meines Körpers als res extensa. Also bin ich von meinem Körper verschieden und kann ohne ihn existieren.

10. Einbildungs- und Empfindungsvermögen: inhärieren mir als denkender Substanz.

Weitere Fähigkeiten: Beweglichkeit und Änderung der Gestalt -- inhärieren einer körperlichen Substanz. Desweiteren: die Fähigkeit, die Ideen von sinnfälligen Dingen aufzunehmen und zu verstehen (passives Vermögen der Wahrnehmung). Das entsprechende aktive Vermögen sitzt in den körperlichen Dingen (kein Betrügergott). Dennoch nehme ich die körperlichen Dinge nicht in jeder Hinsicht so wahr, wie sie sind. "Aber wenigstens all das ist in ihnen wirklich vorhanden, was ich klar und deutlich denke, d. h. alles das, ganz allgemein betrachtet, was zum Inbegriffe eines Gegenstandes der reinen Mathematik gehört."

11. Was die particularia angeht, so besteht zwar die Möglichkeit der Täuschung, doch auch die Möglichkeit der Berichtigung. "Denn unter Natur, allgemein betrachtet, verstehe ich nichts anderes als entweder Gott selbst oder die von Gott eingerichtete Schöpfungsordnung; unter meiner Natur im besonderen aber nichts anderes als den Inbegriff (complexio) dessen, was Gott mir verliehen hat."

12. Die körperlichen Empfindungen vermittelt mir die Natur am ausdrücklichsten.

13. Ich bin von meinem Körper nicht getrennt wie der Schiffer von seinem Schiff, denn der Sinn für Hunger, Schmerz usw. ist ein konfuser modus cogitandi, der aus der Vermischung von Geist und Körper entstanden ist.

14. Die Natur lehrt mich, daß mein Körper von verschiedenen anderen Körpern umgeben ist, die teils aufzusuchen, teils zu meiden sind.. Aus den verschiedensten willkommenen und unwillkommenen Empfindungen läßt sich folgern, daß ich, der ich aus Körper und Geist zusammengesetzt bin, von kommoden und inkommoden umgebenden Körpern affiziert werden kann.

15. 'Was mich die Natur lehrt': teils nur dem Geiste zugehörig (Irreversibilität der Geschehnisse), teils nur dem Körper (Schwerkraft), teils beidem. Dann Achtung: Schluß von der Empfindung auf die äußeren Dinge nicht ohne Prüfung durch den Verstand! Sinnesempfindungen sind mir von der Natur nur gegeben, damit sie dem Geiste anzeigen, was dem Ganzen, dessen Teil er ist, zuträglich ist und was nicht.

16. Meine Natur ist nicht allwissend: schätzt auch den Wohlgeschmack, der ein Gift verbirgt.

17. Die Natur läßt den Körper wie eine Maschine funktionieren: Die Trockenheit der Kehle bewegt uns dazu, zu trinken -- auch den Wassersüchtigen.

18. Dann ist der Durst ein wahrhaftiger Irrtum der Natur. Wie verträgt sich das mit der Güte Gottes?

19. Geist ist unteilbar, Körper ist teilbar.

20. Der Geist wird nicht von allen Körperteilen unmittelbar beeinflußt, sondern nur vom Gehirn bzw. von einem Teil dessen (dem Sitz des sensus communis). Dadurch können einige Körperteile ihren Zustand geändert haben, während der Geist noch dasselbe empfindet.

21. Die Länge der Nervenbahnen macht die Wahrnehmung von Fußschmerz von den Reizzuständen zwischen Fuß und Gehirn abhängig.

22. Und trotzdem wird das Gehirn den Schmerz empfinden, als sei er im Fuße.

23. Aber für gewöhnlich ist der Schmerz dann tatsächlich im Fuße, und deshalb ist diese Art des Empfindens (daß man den Schmerz einer bestimmten Stelle des Körpers zuordnet) meist das beste für die Gesundheit.

24. Aber: " ... da ich mich fast stets mehrerer Sinne bedienen kann, um eine und dieselbe Sache zu prüfen, und überdies des Gedächtnisses, das das Gegenwärtige mit dem Vergangenen verknüpft, und des Verstandes, der bereits alle Gründe des Irrtums durchschaut, so brauche ich nicht weiter zu fürchten, daß das mir von den Sinnen täglich dargebotene falsch sei, sondern darf alle übertriebenen Zweifel dieser Tage als lächerlich verwerfen ... Da indessen die Notwendigkeit zu handeln uns zu einer so genauen Prüfung nicht immer Zeit läßt, so kann man nicht leugnen, daß das menschliche Leben häufig in Einzelheiten dem Irrtum ausgesetzt ist, und man muß am Ende die Schwäche unserer Natur anerkennen."



Weitere Verdichtung


Vorwort

Im Worte 'Vorstellung' (idea) liegt eine Zweideutigkeit; denn man kann diese entweder psychologisch als eine Tätigkeit des Verstandes auffassen, und in diesem Sinne kann man nicht sagen, sie sei vollkommener als ich, oder aber logisch, bezogen auf ihre Bedeutung als den durch diese Tätigkeit vorgestellten Gegenstand, und wenn man auch nicht voraussetzt, dass dieser außerhalb meines Verstandes existiert, so kann er doch aufgrund seines Wesens vollkommener sein als ich.


1. Med.

Was alles angezweifelt werden kann: das sinnlich Gegebene (womit sich Physik, Astronomie, Medizin beschäftigen) sowie das Wissen von den allerallgemeinsten Gegenständen (Farben, arithmetische und geometrische Gesetze). Letztere könnten nur unter Annahme eines Täuschergottes falsch sein. Wenn ein (vollkommener) Gott mich manchmal täuscht, mag er mich auch immer täuschen. Kein Gott: keine Lösung, denn ich wäre unvollkommener.


2. Med.

Angenommen, alles wäre falsch, was nur den geringsten Zweifel zuläßt. Bleibt "ich bin" (notwendigerweise wahr, wenn ich es hervorbringe). Was bin "ich"? Mein Körper und die ihm zuzurechnende vegetative und sensitive Seele ohne Existenz. Certum: ego sum, ego existo, quamdiu cogito. Ich bin also eine res cogitans. -- Wachs in seiner (unveränderlichen) Substanz klarer erkannt als in seinen veränderlichen Formen.


3. Med.

Aus 2.3 und 2.16: illud omne esse verum, quod valde clare et distincte percipio. Dennoch: metaphysischer Zweifel: aliquando 2+3 ungleich 5? > Gibt es einen Gott, und kann er ein Betrüger sein?

1. Beweisgang: Gott im Verhältnis zu meiner Idee von ihm. Wie komme ich überhaupt darauf, die Ideen seien Bilder -- ihnen entspreche etwas? Ideen ihrer objektiven Realität nach haben eine Ursache. Idee von Gott kann nicht von mir abhängen. Also ... Die Gottesidee ist die am klarsten erkannte.

2. Beweisgang: Gott im Verhältnis zu mir als (ab wann?) 'eine Idee von ihm Habenden' (Abhängigkeit). War ich schon immer? Ich erfahre in mir keine Kraft, durch die ich bewirken könnte, daß ich der, der ich jetzt bin, auch noch ein wenig später sein könnte. (Erhaltung und Schöpfung aber nur rational unterschieden.) Eltern: haben die Materie disponiert. > Gott als Ursache. Die Gottesidee somit Signatur, die aber gar nicht vom Werk selbst verschieden sein muß. Wenn ich mich erkenne, erkenne ich gleichzeitig Gott, von dem ich abhänge. Indem ich mich selbst als Signierten erkenne, erkenne ich mich als abhängiges und unvollständiges Wesen und dadurch auch jenen, von dem ich abhänge, als etwas, das alle in meiner Vorstellung enthaltenen Vollkommenheiten aktuell besitzt, und somit als Gott. Somit kann Gott kein Betrüger sein. Täuschung als Folge von Abhängigkeit / Unvollkommenheit.


4. Med.

Göttliche Mitwirkung beschränkt sich auf das, was in mir eine Vollkommenheit ist: Das Falsche wählen zu können. Formal ist die Falschheit durch einen Mangel an Einsicht (also ein Nichtvorhandensein) bestimmt. Dagegen hilft: umfassende Einsicht oder Enthaltsamkeit.


5. Med.

12. Nähmen nicht Abbilder des Sinnfälligen mein Bewußtsein (cogitatio) ganz ein, so würde ich nichts eher und leichter erkennen als Gott. Denn was ist offenkundiger als daß er das höchste Wesen ist und folglich, daß er existiert?

13. Ohne diese Gewißheit (Wesen? Existenz!) kann man nichts vollkommen wissen.

14. Begründung: Mag ich auch an der Existenz Gottes zweifeln, denn ich mag zweifeln, ob das von mir für wahr und gewiß Gehaltene tatsächlich (immer) wahr ist...

15. ... Und dennoch ist es die Existenz Gottes, die dafür sorgt, daß das klar und deutlich Erfaßte notwendigerweise wahr ist (denn Gott täuscht mich nicht), und somit muß ich nicht im einzelnen die Gründe kennen, aus denen heraus ich einmal etwas (hier: die Existenz Gottes) für wahr gehalten habe. Entscheidend ist nur, daß ich sie klar und deutlich erfaßt habe. Selbst für den Traum gilt: das Evidente ist wahr.

16. Gewißheit und Wahrheit jeder Wissenschaft hängt einzig und allein von der Erkenntnis des wahren Gottes ab. Also existieren die Gegenstände des reinen Verstandes und der körperlichen Natur (als Gegenstand der Mathematik).


6. Med.

Ich bin von meinem Körper nicht getrennt wie der Schiffer von seinem Schiff.

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Letzte Änderung: 5. Mai 2015.
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