RAD im Pott, Ausgabe Herbst 1997:

Jahrelange ADFC-Bemühungen sorgen für neue StVO-Regeln

Mindeststandards für Radwege verankert

Da kann der Verkehr nur noch zusammenbrechen: Wenn Radfahrer auf der Autospur unterwegs sind, obwohl hinter dem Parkstreifen ein Radweg verläuft. Oder einem in einer Einbahnstraße Radler entgegenkommen. Oder gar eine ganze Straße mißbraucht wird, um Radfahrern Vorrang vor dem Autoverkehr zu geben.

Die Änderung der Straßenverkehrsordnung (StVO) zum 1. September 1997 macht es möglich. Sie wirkt sich nicht nur auf den Radverkehr, sondern auf alle Verkehrsteilnehmer aus. Jahrelang stritt der ADFC auf Bundes- und Länderebene für die mehrfach verschobenen StVO-Änderungen, seine Bemühungen finden sich nun in den neuen Regelungen wieder. Sie stellen aber natürlich nur ein Zwischenziel dar. Die wohl wichtigste Änderung betrifft Radwege. Für diese wurden in den Ausführungsbestimmungen der StVO, den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften, Mindeststandards verankert. Damit reagiert man auf die vielen Pseudoradwege, die aus Alibigründen ("20 km neue Radwege geschaffen") angelegt wurden, aber den Ansprüchen für einen sicheren und komfortablen Radverkehr nicht genügten. Vom Zick-Zack-Kurs durch Kreuzungen über freie Rechtsabbieger hin bis zu Schlaglochpisten, rechtwinkligen "Kurven" und 40 cm breiten Wegen fand man alle Variationen, die oft genug auch für Unfälle sorgen. Selbst bei ganz neuen Radwegen wurden wider besseren Wissens Gefahrenstellen direkt mit eingebaut. Derartige Radwege müssen nun zwar in der Regel nicht gesperrt, innerhalb eines Jahres aber nachgebessert werden, damit sie weiterhin als Radweg ausgeschildert werden dürfen. Nicht ausgeschilderte "Andere Radwege" können zwar, brauchen aber nicht von Radfahrern benutzt zu werden, was vor allen dem Alltagsverkehr zugute kommt. Statt auf dem "Anderen Radweg" mit seinen zum Teil versteckten Gefahren (die selbst von vielen Radfahrern nicht erkannt werden und deshalb um so gefährlicher sind) kann auf der Fahrbahn gefahren werden. Nur in wenigen Fällen ist es überhaupt nachvollziehbar, wenn die Benutzungspflicht aufrechterhalten wird. Denn je sicherer und besser ein Radweg ist, umso eher wird er auch von allen Radfahrern genutzt.

Diese Entscheidungsfreiheit dürfte insbesondere auch im westlichen Ruhrgebiet bald üblich werden. Ob Radwege in Essen oder Oberhausen, Mülheim oder Duisburg - viele von ihnen sind nur einen Meter breit. Schmaler geht es natürlich auch noch: Zum Beispiel 50 cm auf der Stoppenberger Straße in Essen. Zusätzlich finden sich auf oder direkt neben den Wegen Schilder, Maste usw., die Führungen an Kreuzungen sind weder sicher noch für Ortsunkundige erkennbar, was die StVO nun ausdrücklich fordert. In Oberhausen vermutete die Straßenverkehrsbehörde bereits, daß die meisten Radwege der neuen StVO nicht entsprechen. Wie sie mit den neuen Regelungen umgehen werde, konnte sie bislang genauso wenig wie die Verwaltungen in den drei Nachbarstädten sagen. In Duisburg dürfte weniger als jeder zehnte Radweg die Voraussetzungen für eine Benutzungspflicht voll erfüllen. Mit der Novelle werden nun auch Radfahrstreifen (z.B. Ortfeldstraße in Essen) und Schutzstreifen/Angebotsstreifen/Radspuren (z.B. Akazienallee in Mülheim) in der StVO erwähnt.

Neu ist auch die Fahrradstraße, bei der die ganze Fahrbahn dem Radverkehr zur Verfügung steht, der Autoverkehr als Gast die Straße mitbenutzt. Während in Essen weit drei Jahren mehrere Fahrradstraßen bereits erfolgreich getestet wurden und man nun auf die Einrichtung weiterer 252 Fahrradstraßen wartet, sind diese in Duisburg und Oberhausen bislang kein Thema. In Mülheim wurden die ersten Straßen bestimmt, die Fahrradstraßen werden sollen. Ebenfalls in der StVO aufgenommen wurde die Möglichkeit, Busspuren für die Mitbenutzung durch den Radverkehr zu öffnen. Doch existieren nur wenige Busspuren im westlichen Ruhrgebiet, beispielsweise in Essen und Duisburg in den Unterführungen unter den Hauptbahnhöfen sowie in Oberhausen auf der Havenstein- und auf der Poststraße. Doch wird dieses Thema teilweise nur sehr zögerlich angegangen, obwohl es auch für die Busbetriebe interessant sein müßte. Doch gerade von dieser Seite kommen Argumente, die die Beschwörung der Partnerschaft im Umweltverbund als Lippenbekenntnis entlarven.

Gemeinsam mit der StVO-Novelle wurde auch eine Versuchsverordnung für die Öffnung von Einbahnstraßen beschlossen. Zwar war bisher die Beschränkung von Einbahnregelungen auf den motorisierten Verkehr möglich, dazu durfte aber das blaue Schild am Anfang der Einbahnstraße nicht stehen (sogenannte unechte Einbahnstraßen). Mit der Versuchsverordnung ist dies jetzt nicht mehr erforderlich. Die Erfahrungen mit unechten Einbahnstraßen aus vielen Städten zeigen, daß die Öffnung kein Problem ist. Dies bestätigte sich übrigens auch in den Städten im Verbreitungsgebiet der RAD im Pott.

Neu sind auch die Regelungen für radfahrende Kinder: Diese müssen unter acht Jahren nun auf Gehwegen fahren, auch dann, wenn Radverkehrsanlagen vorhanden sind. Abgeschafft wird die starre Altersregelung, nach der Kinder von einem auf den anderen Tag den Gehweg nicht mehr benutzen dürfen. Denn was der achtjährige Tobias noch nicht kann, stellt für die siebenjährige Nadine kein Problem dar. Deshalb können acht- und neunjährige Kinder nun den Gehweg benutzen, müssen es aber nicht. Sie können nun allmählich die Radweg- oder Fahrbahnbenutzung erlernen.

Edwin Süselbeck

akutell: neue Entwicklungen über die StVO in den Ruhrgebietsstädten


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