Corpus Hermeticum Deutsch (Colpe/Holzhausen)
Carsten Colpe, Das Corpus Hermeticum Deutsch. Übersetzung,
Darstellung und Kommentierung in drei Teilen / bearb. und hrsg. von
Carsten Colpe und Jens Holzhausen, Clavis pansophiae 7, Stuttgart- Bad
Cannstatt (Frommann-Holzboog) 1997
Inhalt des CH:
Über den
Poimandres CH I (Holzhausen)
1 Hermes Trismegistos:
Poimandres
2
Gespräch des Hermes
mit Asklepios [Seite 28]
3 Hermes: Heilige Rede
[Seite 39]
4
Gespräch des Hermes mit
Tat: Der Mischkrug oder Die Monade [Seite
47]
5
Gespräch des Hermes
mit seinem Sohn Tat: Der unsichtbare Gott
ist
vollkommen sichtbar [Seite
57]
6 Allein in Gott
ist das Gute, sonst
aber nirgendwo [Seite 66]
7
Das größte
Übel unter den Menschen ist die Unkenntnis Gottes
[Seite 74]
8 Nichts
von dem, was ist,
geht unter, sondern die Veränderungen sind es,
die
man irrigerweise Untergang und Tod nennt. [Seite
77]
9 Über
Denken und Wahrnehmung227
[Seite 84]
10
Hermes Trismegistos:
Der Schlüssel [Seite
100]
11
Gespräch des Geistes
mit Hermes [Seite
123]
12
Gespräch des
Hermes Trismegistos mit Tat [Seite
146]
Über den (allen Wesen) gemeinsamen Geist (per+
koino« no«)
13
Geheimes Gespräch
des Hermes Trismegistos mit seinem Sohn Tat in
der
Wüste - Über die Wiedergeburt und die Aufforderung
zum Schweigen
[S 159]
14 Brief
des Hermes Trismegistos
an Asklepios: Wohlergehen für Geist
und
Seele [Seite 193]
15 Suda 11 413f.
Nr.3038 (Adler)
s.v. Hermes Trismegistos [Seite
198]
16 Brief
des Asklepios an
den König Ammon: Enthüllungspfeiler
17 Schlußfragment eines
Gespräches Tot mit Ammon
[Seite 215]
18 Die
Behinderung der
Seele durch die Affektionen des Körpers [Seite
222]
Auszüge aus
Jamblichos
Zosimus
Markell von Ankyra
Über
den Poimandres CH I (Holzhausen)
[Seite 3] Der erste hermetische Traktat hat seit
REITZENSTEINS berühmtem Buch "Poimandres. Studien zur
griechisch-ägyptischen und frühchristlichen
Literatur" (1904) im Mittelpunkt des Interesses an der hermetischen
Literatur gestanden.2 Dabei ist dieser Text insofern untypisch, als der
Name Hermes Trismegistos in ihm gar nicht erscheint3 und er einen
Mythos erzählt, was für die hermetischen Texte nicht
charakteristisch ist. Dieser Mythos hat allerdings das Augenwerk der
Forscher auf sich gezogen, weil man in ihm einen Beleg für
einen angeblich vorchristlichen gnostischen Mythos zu finden glaubte,
der nach der späteren Meinung REITZENSTEINs letztlich
iranischen Ursprungs sei. Dieser Mythos stehe im Hintergrund des
urchristlichen Kerygmas vom herab- und wieder aufsteigenden Gottessohn.
Die neuere Forschung hat dies bestritten, ohne jedoch zu einer
allgemein anerkannten Traditionsgeschichte dieses Textes und seiner
Motive zu gelangen.
Für seine Entstehungszeit gibt es als
äußeren Anhaltspunkt nur einen christlichen Papyrus
des 3. Jhd. n. Chr., der das Schlußgebet enthält.4
Im allgemeinen wird das 2. Jh d. n. Chr. als Zeitraum genannt, ohne
daß eine genauere Datierung möglich ware. Der erste
hermetische Traktat ist in der Ich-Form abgefußt. Der Autor
erzählt von einer geistigen Erhöhung und den Folgen,
die sich daraus für ihn ergaben. Inwieweit die Vision und die
von ihm [Seite 4] beschriebene "Missionstätigkeit" in eine
tatsächliche Biographie eines Hermetikers gehören,
muß offenbleiben. Es ist wahrscheinlicher, daß der
Traktat ein literarisches Produkt ist, in dem verschiedene
religiöse Motive miteinander verbunden worden sind, ohne
daß sie noch einen wirklichen Sitz im Leben hatten. Dabei ist
vor allem die Frage schwierig zu beantworten, ob und welche Bedeutung
das katholische und das gnostische Christentum für die
Entstehung des ,Poimandres' hatte. Büchli hat die These
aufgestellt, daß der Text
als "paganisiertes Evangelium" konzipiert worden sei. Diese Frage kann
im
Rahmen dieser Einleitung nicht entschieden werden. Unbestritten dagegen
sind
die Einflüsse der jüdisch-hellenistischen
Gedankenwelt (nach Büchli
durch das Christentum vermittelt), die allein durch das Genesis-Zitat
in
18 und das "Heilig, heilig, heilig" des Schlußgebetes (s.
Jes. 6,3) offensichtlich sind. Auch der Name "Poimandres" scheint aus
dem "Menschenhüter" in Hiob 7,206 hergeleitet werden zu
müssen. 7
Poimandres wird als höchster göttlicher Geist (Nous)
bezeichnet, der dem Offenbarungsempfänger vor Augen tritt, ihm
eine Vision ermöglicht und eine Belehrung über die
Ursprünge von Welt und Mensch zuteil werden
läßt. Diese Belehrung baut auf einer
mittelplatonischen Prinzipienlehre auf, in der die Materie, die der
Autor "feuchte Natur" nennt, und Gott, der selbst Geist (Nous) ist, die
entscheidenden Größen sind. Kosmos und Mensch
entstehen durch die Verbindung von Geist und Materie. Der oberste Gott,
Leben und Licht, ist transzendent, strahlt aber mit seinem Geist in die
Materie aus und gestaltet sie. Diese Ausstrahlung nennt der Autor
Logos. Da sie sich sowohl auf den Kosmos, als auch auf den Menschen
bezieht,
führt er zwei Söhne Gottes ein, in denen sich Gottes
schöpferisches Wirken personifiziert: den demiurgischen Geist
(Nous) und den"Menschen" (Anthropos, oft "Urmensch" genannt). Beide
stellen das noetische Urbild von Welt und Mensch
dar. Indem sie in der Materie wirken, entstehen dort als Abbilder von
ihnen
die körperliche Welt und das Doppelwesen Mensch, der
Körper und
Geist besitzt. Der Mensch muß nun seine Ausnahmestellung
erkennen und
begreifen, daß er göttlichen Geist in sich
trägt. Dann wird
er auch verstehen, daß die ihn umgebende Welt ein Werk Gottes
ist,
und er wird den Schöpfer loben und preisen. Auf dieses
Gotteslob zielt
der erste hermetische Traktat. Wer das Göttliche in sich nicht
erkennt,
folgt den Begierden des Körpers und gibt sich ganz seiner
materiellen Seite hin. Trunkenheit, Finsternis, Lasterhaftigkeit und
Tod charakterisieren ihn. Der Geist eines solchen Menschen kann nach
dem Tod nicht wieder zum göttlichen
Geist aufsteigen.
Betrachtet man diese Grundlinien der Unterweisung des,Poimandres', wird
der Abstand zu gnostischen Positionen sofort deutlich. Die
Differenzierung
zwischen Gott und dem Schöpfer ist mittelplatonischen
Ursprungs (s.
Numenios und Alkinoos).8 Die Schöpfergestalten stammen vom
höchsten
Gott ab und sind durch nichts von ihm getrennt. Deshalb gibt es in der
Welt
auch keine gottfernen Kräfte, die den Menschen an der
Erkenntnis hindern wollen. Kein göttlicher Erlöser
muß herabsteigen, um den Menschen
wieder an seine göttliche Herkunft zu erinnern. Der "Mensch"
hat allein
eine Funktion in der Schöpfungsgeschichte, nicht aber in der
Soteriologie.
Die Materie ist wohl die Sphäre der Finsternis und des Todes,
aber sie
ist nicht mit destruktiven Kräften dem Göttlichen
entgegengesetzt.
Sie wendet sich in Liebe dem Geistigen zu. Eine solche Position findet
ihre
Parallele bei mittelplatonischen Autoren.9 Ohne die Existenz der
Materie
könnte es [Seite 6] die Welt und den Menschen gar nicht geben.
Und der
Mensch muß auch seiner körperlichen Seite gerecht
werden, indem
er sich fortpflanzt, wozu der höchste Gott selbst ihn
auffordert. Die
Materie bedeutet für den Menschen nur dann eine Gefahr, wenn
er sich
in seinem Streben ihr zuwendet und den göttlichen Geist
ignoriert. Dcshalb
ergeht an ihn der Ruf zur Umkehr, den Wcg der Finsternis zu verlassen.
Es
gibt hier keine gnostische Elite, die zur Erkenntnis berufen ist. Jeder
Mensch
kann und soll die Göttlichkeit seiner Seele in sich erkennen
und damit
die materiellen Begierden nach Reichtum und Macht abtun. Der Traktat
,Poimandres'
gehört also nur in einem weiteren Sinne zu den gnostischen
Schriften,
weil auch er die dem Menschen bestimmte Aufgabe in der Erkenntnis des
inneren
göttlichen Selbst sieht. Die Gliederung des Traktates ist sehr
übersichtlich:
1-3 Einleitung
4-8 Die vorkosmische Phase (zwei Visionen)
9-l1 Die Kosmogonie
12-15 Die Anthropogonie
16-17 Die erste vorgeschichtliche Phase
18-23 Die Stellung des Menschen in der Welt
24-26 Der Aufstieg nach dem Tod
27-29 Die Ereignisse nach der Vision
30-32 Schluß und Dankgebet
In der Einleitung erzählt der Autor, wie Poimandres ihm
erschien, als er sich aller körperlichen Wahrnehmungen
entkalten hatte. Diese Ablehnung der Sinne ist für CH I wie
für die gesamte Hermetik charakteristisch. Auf den Wunsch hin,
alles Seiende zu erfahren und Gott zu erkennen, beginnt die Belehrung
(1-3).[Seite 7]
In der ersten Vision wird beschrieben, wie im göttlichen Licht
pötzlich Finsternis war. Aus ihr entsteht die feuchte Natur,
unendlich verworren und klagend. Aus dem Licht steigt nun aufgrund
eines Rufes der Natur der göttliche Logos herab und
läßt aus der ungeordneten Materie die vier Elemente
entstehen: Feuer, Luft, Wasser und Erde, eines am anderen
hängend. Ubcr ihnen bewegt sich der pneumatische Logos (s. Gen
1,2). In der zweiten Vision erscheint das göttliche Licht als
Ideenkosmos, der unzählige gestalterische Kräfte in
sich vereint. Die Aufnahme dcs Logos und die Nachahmung der Ideenwelt
meinen dasselbe Phänomen: aus der Materie entsteht ein vom
göttlichen Geist geordnetes Werk. Der Autor versucht dieses
Grundprinzip seines Denkens durch die vorkosmische Phase zu
erläutern. Es geht ihm dabei nicht um eine zeitliche Abfolge
dieser Ereignisse, sondern die Schöpfungsgeschichte ist nur
ein Mittel, das Wesen des Kosmos zu erklären; anders
ausgedrückt, die Kosmogonie dient der Darstellung der
Kosmologie (14-8).
Deshalb kann der Autor dasselbe Schöpfungsgeschehen nun noch
einmal von einem anderen Blickpunkt aus beschreiben. Er schildert das
Wirken des demiurgischen Geistes und des "Menschen". Ersterer schafft
im Feuer die Gestirne, die als Schicksalsordnung das
körperliche Sein regieren. Durch deren Wirken entstehen in den
drei übrigen Elementbereichen die Tiere (5 9-11). Die
Darstellung ist hier in besonderem Maße der biblischen
Schöpfungsgeschichte verpflichtet, was allein an der Anordnung
der Schöpfungshandlungen deutlich wird, die ungefähr
den Schöpfungstagen in der Genesis entsprechen.
Das eigentliche Zentrum des Traktates liegt in der Darstellung der
Anthropogonie. Gott schafft den"Menschen" als sein geliebtes Abbild (s.
Gen 1,26f ). Auch der "Mensch" möchte schaffen,
erhält von den Gestirnen die Macht über alle
Geschöpfe (s. Gen 1,28) und beugt sich zur unteren Natur
herab. In ihr entsteht ein körperliches Abbild des "Menschen',
in das der "Mensch a als das seelisch-geistige Selbst eingeht, so
daß Natur und "Mensch" sich [Seite 8] wie ein Liebespaar
miteinander vcrbinden. In CH
I wird nicht der Fall des » Menschen" in die Materie
beschrieben, sondern
es ist der bewußte Schöpfungswille des "Menschen"
der ihn mit
der Materie in Kontakt bringt. Denn seine Bestimmung, das
Göttliche in
seiner Wirkkraft zu erkennen, kann der Mensch nur dann
erfüllen, wenn
er als körperliches Wesen sich in dem Bereich befindet, wo
Gottes schöpferisches
Wirken manifest wird. Die beiden unterschiedlichen
Existenzmöglichkeiten des Menschen sind bereits in seiner
Entstehungsgeschichte angelegt: er kann sich dem Geistigen in Liebe
zuwenden (der "Mensch" liebt die geistige Form in der Materie) oder der
Materie verfallen (der "Mensch" wird der Liebhaber der Natur). Insofern
ist der "Mensch" Urbild der aus ihm entstehenden Menschheit, die jetzt
von doppelter Natur ist: als körperliches Wesen ist der Mensch
der Sterblichkeit und dem Schicksalszwang unterlegen, als geistiges
Wesen ist er Herr der gesamten Schöpfung und unsterblich
(112-15).
Die geistigen Ursprünge des anthropogonischen Mythos scheinen
in einer mittelplatonischen Interpretation der Genesis zu liegen, deren
Spuren noch bei Philon von Alexandrien sichtbar werden. Hier
muß auch der Ausgangspunkt des späteren gnostischen
"Urmensch-Mythos" gesucht werden. Der hermetische und der gnostische
Mythos wären dann als Parallelerscheinungen zu interpretieren,
die sich aus der gemeinsamen Wurzel des hellenistischen Judentums
herleiten. l2
Bevor der Autor die geschichtliche Existenz der so entstandenen
Menschen beschreibt, erzählt er noch von einer
vorgeschichtlichen Phase, in der sieben Urväter der Menschheit
lebten, die wie der"Mensch" mannweiblich waren und die Hinwendung zur
Materie noch nicht kannten (516-17). Nachdem die Geschlechter aber
voneinander getrennt waren, begann die Fortpflanzung, und die beiden
gegensätzlichen Lebenswege wurden Realität. [Seite 9]
Poimandres läßt hier den Schüler nach Art
eines Katechismus die Zusammensetzung des Menschen aus Körper
und Geist und die sich daraus ergebenden Daseinsweisen noch einmal
wiederholen (.6 18-21). Dann belehrt er seinen Schüler
über zwei weitere wichtige Themenbereiche: über die
ethische Fragestellung und über den postmortalen Aufstieg.
Derjenige, der sein Inneres als göttlich erkennt,
mißtraut den Wahrnehmungen und ist gegenüber allen
körperlichen Begierden immun. Erkenntnis, Moral und
Frömmigkeit gehören untrennbar zusammen. 13 Wer
dagegen das Göttliche mißachtet, ist seinen
Begierden ausgeliefert, die ihn als feuriger Dämon
quälen. Die Strafe für böses Handeln liegt
in dem Handeln selbst (s. CH X 19f), Strafen im Jenseits sind
unnötig (§ 22-23). Der moralisch Gute aber legt nach
seinem Tod seinen Körper und die mit ihm verbundenen
Wahrnehumgsorgane ab, steigt durch die Planetensphären
hindurch auf und gibt den sieben Planeten seine unteren Seelenteile
zurück, in denen sich die Laster hätten entwickeln
können.l4 Allein seine geistige Seele geht in die achte
Sphäre ein und von dort zum Vater, dem
transzendenten Leben und Licht. Dies nennt Poimandres Vergottung, die
als
Aufgehen im All-Geist, nicht aber als ein individuelles Fortleben zu
verstehen
ist (§ 24-26). Mit diesem Ausblick auf das Jenseits endet der
eigentliche
Lehrvortrag.
Poimandres fordert seinen Schüler nun auf, die gewonnenen
Erkenntnisse anderen weiterzusagen. Dieser verkündet
(käryssein) den Menschen die Schönheit der Erkenntnis
und Frömmigkeit und ruft sie auf, ihre
Trunkenheit und ihren Schlaf zu beenden. (Ist Hermes hier als
derartiger Prediger
gedacht?) Und wieder reagieren die Menschen in doppelter Weise; die
einen
folgen ihm und bitten um Unterweisung, von den anderen wird er verlacht
(§
27-29).
1 Hermes Trismegistos: Poimandres
1-3 Einleitung
4-8 Die vorkosmische Phase (zwei Visionen)
9-l1 Die Kosmogonie
12-15 Die Anthropogonie
16-17 Die erste vorgeschichtliche Phase
18-23 Die Stellung des Menschen in der Welt
24-26 Der Aufstieg nach dem Tod
27-29 Die Ereignisse nach der Vision
30-32 Schluß und Dankgebet
[Seite 10]
1. Als ich einmal in Gedanken über das Seiende war und mein
Denken
sich in große Höhen erhob, während meine
sinnlichen Wahrnehmungen ausgeschaltet waren wie bei Menschen, die
wegen Übersättigung an Speisen oder
körperlicher Ermüdung von Schlaf
überwältigt sind, da glaubte ich, eine
übergroße Gestalt von unermeßlicher
Größe riefe meinen Namen und sagte zu mir: "Was
willst du hören und sehen und im Geiste begreifen und
erkennen?"
2. Ich sage: "Wer bist denn du?" Er antwortet: "Ich bin Poimandres, der
Geist, der die höchste Macht hat. Ich weiß, was du
willst, und
stehe dir stets zur Seite."
3. Ich entgegne: "lch möchte das Seiende begreifen und seine
Natur
verstehen und Gott erkennen. Wie (gerne), sagte ich, möchte
ich darüber
hören."
Er erwidert mir: Behalte alles in deinem Sinn, was du begreifen willst,
und ich werde es dich lehren.[Seite 11]
4. Nachdem er dies gesagt hatte, verwandelte er sich in seiner Gestalt,
und sofort lag alles mit einem Schlag offen vor mir, und ich habe eine
unendliche Vision; alles ist Licht, ein klares und angenehmes, und mich
ergriff ein Verlangen
danach, als ich es sah. Und kurz darauf war eine Finsternis da, die
nach
unten strebte, in einem Teil (des Lichtes) entstanden, furchtbar und
schrecklich,
in Krümmungen gewunden, wenn ich es so bildlich sagen darf.
Danach verwandelte
sich, wie ich sah 21 die Finsternis in eine feuchte Natur, die unsagbar
verworren
war und Rauch wie von Feuer aufsteigen ließ und einen
unaussprechlich
jammervollen Laut von sich gab. Dann war ein unartikuliertes Schreien
von
ihr zu hören soweit man das mit einer Stimme vergleichen
kann.22 5.
Aus dem Licht23 näherte sich ein heiliger Logos der Natur, und
helles
Feuer sprang aus der feuchten Natur nach oben in die Höhe;
geschwind
war es und schnell, zugleich [Seite 12] aber voller Kraft, und die Luft
folgte dem Pneuma,24 leicht wie sie war, indem sie von Erde und Wasser
bis
zum Feuer aufstieg, so daß es schien, daß sie an
ihm hinge. Erde
und Wasser blieben aber für sich allein, miteinander
vermischt, so daß
man (die Erde)25 infolge des Wassers nicht sehen26 konnte. Bewegt waren
sie
durch den pneumatischen Logos, der darüber hin schwebte, so
daß
man es hören konnte.27
6. Und Poimandres sagt zu ihm: "Hast du verstanden, was diese Vision
(aussagen) will?" Und ich antwortete: "Ich werde es erkennen." Er
erklärte: "Jenes Licht bin ich, der Geist, dein Gott, der vor
der feuchten Natur war, die aus
der Dunkelheit in Erscheinung trat; der lichthafte Logos aus dem Geist
ist
der Sohn Gottes."
Ich frage: "Was soll das bedeuten?
Poimandres:28 ,,Erkenne es so was in dir sieht und hört, ist
der Logos des Herrn, der Geist (in dir) ist Gott-Vater. Denn sie
trennen sich nicht voneinander. Ihre Einheit ist das Leben."
Ich erwiderte: "Ich danke dir."
Poimandres: "Aber konzentriere dich auf das Licht und erkenne
folgendes."
7. Als er dies gesagt hatte, blickte er mir über
längere Zeit
in die Augen, so daß ich vor seiner Erscheinung erzitterte.
Doch ich29 [Seite 13] blicke wieder auf und sehe in meinem Geist,
daß das Licht in unzähligen Kräften
besteht, daß es ein unbegrenzter Kosmos ist und daß
das Feuer von einer sehr gewältigen Kraft rings umschlossen
wird und, (von ihr) überwunden, zur Ruhe gekommen ist.
Dies konnte ich gedanklich erfassen, als ich aufgrund der Worte des
Poimandres eine Vision hatte.
8. Und während ich noch wie erschüttert bin, sagt er
wieder zu mir: "Du hast in deinem Geist das Urbild der Formen gesehen,
den Voranfang des Anfangs, der kein Ende hat." So Poimandres zu mir.
Ich frage: "Woher kamen nun die Elemente der Natur?"
Jener entgegnete darauf: "Nach Gottes Willen hat die Natur33 den Logos
empfangen, den schönen Kosmos gesehen und ihn nachgeahmt, und
so wurde sie zu einem Kosmos durch ihre eigenen Elemente und Seelen,
die aus ihr hervorgingen.
9. Der Geist, Gott der mannweiblich und der Leben und Licht ist, gebar
durch das Wort eincn zweiten Geist, den Demiurgen, der als Gott des
Feuers und Pneumas
eine Art von Verwaltern, sieben an der Zahl, schuf, die in Kreisen den
sichtbaren
Kosmos umgeben; und ihre Verwaltungstätigkeit wird Schicksal
(heimarmenä)
genannt. 10. Es sprang aber sofort der göttliche Logos von den
unteren
Elementen hinauf zu der reinen Schöpfung der Natur und
vereinigte sich
mit dem demiurgischen Geist denn er war von [Seite 14] gleichem Sein -,
und
die unteren Elemente der Natur blieben ohne Logos zurück, so
daß
sie nur noch Materie waren. 11. Der demiurgische Geist, der mit Hilfe
des
Logos die Kreise umfaßt und mit Schwung in Bewegung
hält, begann
seine Geschöpfe zu drehen und ließ sie kreisen von
einem unendlichen
Anfang bis zu einem grenzenlosen Ende. Ihre Kreisbewegung beginnt
nämlich
da, wo sie aufhört. Ihr Umlauf brachte, wie der Geist es
wollte, aus
den unteren Elementen vernunftlose Lebewesen hervor- denn sie hatten
den
Logos nicht in sich; die Luft brachte fliegende und das Wasser
schwimmende
Tiere hervor. Getrennt sind (nun) voneinander die Erde und das Wasser,
wie
der Geist es wollte, und (die Erde) brachte aus sich die Tiere hervor,
die
sie in sich barg, vierfüßige (und) kriechende, wilde
und zahme.
12. Der Geist aber, der Vater von allem, der Leben und Licht ist, gebar
einen ,Menschen', der ihm gleich ist; den gewann er lieb, denn es war
sein
eigener Sohn. Er war nämlich wunderschön und das
Abbild des Vaters.
Denn in Wahrheit liebte sogar Gott (in ihm) seine eigene Gestalt und
übergab ihm alle seine Schöpfungen. 13. Und als der
,Mensch' die Schöpfung des Demiurgen im Feuer32 betrachtete,
wollte er auch selbst Schöpfer sein, und es wurde ihm vom
Vater erlaubt. Als er nun in die Himmelssphäre des Demiurgen
kam, um alle Macht zu erhalten, betrachtete er die Schöpfungen
seines Bruders; die aber wurden von Liebe zu ihm erfaßt, und
jeder gab
ihm Anteil an seiner eigenen Machtstellung; und er begriff ihr Wesen,
und
nachdem er an ihrer Natur Anteil erhalten hatte, wollte er die Grenze
der
Kreise aufbrechen und erkennen, was der, der sich über dem
Feuer befindet,
vermag.
14. Und er, der alle Macht über den Kosmos der sterblichen und
vernunftlosen Lebewesen besaß, beugte sich durch die
harmonische Struktur der Himmelssphären, zerriß die
äußere Hülle [Seite 15] und zeigte dann der
unteren Natur die schöne Gestalt Gottes. Ihn sah die Natur in
seiner überwältigenden Schönheit (und) im
Besitz aller Kräfte der Verwalter, ihn, der die Gestalt Gottes
trug, und sie lächelte in Liebe und Verlangen; denn sie
erblickte das Bild der überaus schönen Gestalt
des,Menschen' im Wasser und seinen Schatten auf der Erde. Der aber sah
die ihm gleiche Gestalt in der Natur,33 wurde von Liebe
erfaßt und
wollte dort wohnen. Und mit dem Willen geschah zugleich die Tat, und er
nahm
Wohnung in der vernunftlosen Gestalt. Die Natur empfing den Liebhaber
und
umfing ihn ganz und sie vereinten sich; denn sie waren Liebende.
15. Und deswegen ist der Mensch im Gegensatz zu allen (anderen)
Lebewesen auf der Erde zweifachen Wesens: sterblich wegen seines
Körpers, unsterblich aber wegen des wesenhaften Menschen. Denn
obwohl er unsterblich ist und im Besitze der Macht über alles,
erleidet er Sterbliches als Untertan des
Schicksals (heimarmenä). Er steht über der
Sphärenstruktur
und ist doch ein Sklave der Himmelssphären; er ist
mannweiblich, entstanden aus einem mannweiblichen Vater und kennt
keinen Schlaf und dennoch wird er vom Schlaf bezwungen."
16. Ich sage: "Und danach, mein (verehrter) Geist?3s Ich brenne
nämlich darauf, weiter zu hören."
Und Poimandres sprach: "Hier handelt es sich um das bis auf den
heutigen Tag verborgene Geheimnis. Die Natur nämlich vereinte
sich mit dem ,Menschen' und brachte ein übergroßes
Wunder hervor. Denn weil er die Natur der Sphärenharmonie der
Sieben in sich hatte, die, wie ich dir sagte, aus Feuer und Pneuma
[Seite 16] bestehen, wartete die Natur nicht, sondern gebar sofort
sieben Menschen entsprechend den Naturen der sieben Verwalter,
mannweibliche, die sich nach oben ausrichteten."
Ich fragte: "Und danach, Poimandres? Denn ich habe jetzt den dringenden
Wunsch und das Verlangen, weiter zu hören. Lauf mir nicht
davon!"36
Und Poimandres sagte: Gut, aber schweig, denn ich habe dir noch nicht
erklärt, was ich vorher sagte."
Ich antwortete: "Siehe, ich schweige."
17. Poimandres: "Die Entstehung dieser sieben nun wie ich sagte,
geschah auf folgende Weise. (Die Erde) war weiblich und das Wasser
männlich, aus dem Feuer nahm die Natur die Reife aus dem
Äther das Pneuma und brachte
die Körper hervor nach dem Bilde des ,Menschen'. Der,Mensch'
aber wurde
aus Leben und Licht zu Seele und Geist, aus dem Leben wurde die Seele
und
aus dem Licht der Geist; und so blieb alles im sichtbaren Kosmos bis
zum
Ende eines Weltumlaufs (und) dem Anfang der Geschlechterfolge.
18. Höre weiter die Worte, die du zu hören begehrst.
Nach der
Vollendung des Weltumlaufs wurde die Verbindung aller nach dem Willen
Gottes
gelöst; denn alle Lebewesen waren mannweiblich und wurden
gleichzeitig
mit dem Menschen getrennt und es wurden jeder für sich ohne
Ausnahme
die einen männlich, die anderen weiblich. Und Gott sprach
sofort mit
einem heiligen Wort: ,Gedeihet im Wachstum und mehret euch an Zahl,37
all
ihr Geschöpfe und Kreaturen, und (wer) den Geist in sich hat,
erkenne
sich als unsterblich und die Liebe als Ursache des Todes und erkenne
alles
Seiende.' 19. Nachdem er so gesprochen hatte, bewirkte die Vorsehung
(Pronoia)
durch das Schicksal [Seite 17] (%imarm4nh) und die Himmelsharmonie die
Vereinigungen
und veranlaßte die Zeugungen, und alles mehrte sich nach Art
und Gattung,
und derjenige, der sich erkannte, hat das im Übermaß
vorhandene35
Gute erreicht, wer aber den Körper liebt, der aus einer
Verirrung der
Liebe entstanden ist, der bleibt in der Dunkelheit, wird von seinen
(sinnlichen)
Wahrnehmungen39 irregeführt und erleidet den Tod."
20. Ich sagte: "Welchen so großen Fehler maenen die
Unwissenden, daß sie der Unsterblichkeit beraubt werden?
Poimandres: "Du, du scheinst nicht auf das geachtet zu haben, was du
hortest. Habe ich dir nicht gesagt, du sollst mitdenken?"
Ich antwortete: "Das tue ich und erinnere mich und danke dir zugleich."
Poimandres: "Wenn du nachgedacht hast, sage mir, weshalb verdienen
diejenigen den Tod, die tot sind?"
Ich sagte: "Weil dem eigenen Körper die schreckliche
Finsternis vorausgeht, aus der die feuchte Natur stammte, aus der im
sinnlich wahrnehmbaren Kosmos der Körper entstanden war aus
dem der Tod sich nährt."
21. Poimandres: "Ja, du hast richtig nachgedacht. Warum aber geht
derjenige, der sich erkannt hat, zu ihm (Gott),40 wie es Gottes Wort
aussagt?
Ich sage: Weil aus Licht und Leben der Vater des Alls bestand, aus dem
der,Mensch' entstanden ist."
Poimandres: "Recht sprichst du; Gott, der Vater, ist Leben und Licht,
aus dem der,Mensch' entstand. Wenn du nun begreifst, [Seite 18]
daß er aus
Leben und Licht besteht und daß du aus ihnell bestehst, wirst
du wieder
ins Leben zurückkehren. Dies sagte Poimandres.
Ich sagte: Aber sage mir noch, wie werde ich ins Leben
zurückkehren, mein Geist? Denn Gott spricht: Der Mensch, der
Geist hat, soll sich selbst erkennen. 22. Haben denn nicht alle
Menschen Geist?"
Poimandres: "Schweig bitte, versündige dich nicht mit Worten!
Ich selbst, der Geist, stehe den Frommen, Guten, Reinen und
Barmherzigen bei, den Gottesfürchtigen, und mein Beistand
bringt (ihnen) Hilfe, und sofort erkennen sie alles und stimmen den
Vater gnädig durch ihre Liebe und danken ihm in gebotener
Form41 mit Lobpreisungen und Hymnen in Liebe, und bevor sie ihren
Körper dem ihm eigenen Tod übergeben, verabscheuen
sie seine Wahrnehmungen, weil sie ihr Wirken kennen. Oder viel mehr,
ich selbst, der Geist, lasse nicht
zu, daß die eintretenden Wirksamkeiten des Körpers
ihr Ziel erreichen.
Denn als Torhüter schließe ich die Eingänge
für die
schlechten und häßlichen Wirkungen ab, indem ich auf
ihnen beruhende
Gedanken unterbinde. 23. Den Unvernünftigen, Schlechten,
Bösen, Neidern, Habsüchtigen, Mördern und
Gottlosen bin ich fern und gebe dem strafenden Dämon Raum, der
die Glut des Feuers (auf den Schlechten) niederschleudert und ihn durch
seine Wahrnehmungen verwundet42 und zu weiteren Ungesetzlichkeiten
anstiftet, damit er noch mehr Strafe erhält - und er
hört nicht auf, danach zu verlangen, seine grenzenlosen
Begierden zu erfüllen, und ohne zu einer Sättigung zu
gelangen, vollführt er gegen die Finsternis [Seite 19]
(Schatten-)Kämpfe - und diesen43 quält
der Dämon und vergrößert das Feuer gegen
ihn noch mehr."
24. Ich sagte: "Schön hast du mich in allem belehrt, mein
Geist wie ich es wollte; sage mir aber auch noch, (wie) der Aufstieg
erfolgt."
Darauf antwortete Poimandres: "Zuerst überantwortest du, wenn
sich
der materielle Mensch auflöst, den Körper selbst der
Verwandlung,
und das Aussehen, was du hattest, verschwindet. Und deine Wesensart
übergibst du dem Dämon als etwas, das ohne Wirkung
geblieben ist.44 Und die Wahrnehmungen des Körpers kehren zu
ihren Quellen zurück, vereinzeln sich und setzen sich dann
wieder zu neuen Wirksamkeiten zusammen. Und Leidenschaft(en) (Jym7')
und die Begierde(n) (5pijum[a) gehen in die vernunftlose Natur. 25. Und
auf diese Weise steigt er (der innere Mensch) schließlich
nach oben
durch die Himmelsharmonie, und der ersten Zone gibt er die Kraft des
Wachsens
und die Anlage des Verfallens, der zweiten das Mittel zum
Bösen, die
List, die ohne Wirkung geblieben ist, und der dritten Zone den Betrug
aus
Begierde, da ebenfalls ohne Wirkung, und der vierten die Herrscherpose,
auf
deren Vorteil er verzichtete, der funften den unfrommen Eifer und den
tollkühnen
Frevelmut, der sechsten die schlechte Gier nach Reichtum, die ohne
Wirkung
geblieben ist, und der siebten Zone die hinterhältige
Lüge. 26.
Und dann, befreit von den Wirksamkeiten der Himmelsharmonie, kommt er
(der
innere Mensch) in die achte Natur und hat (nur noch) sein eigenes
(geistiges)
Vermögen und besingt mit den [Seite 20] (wahrhaft) Seienden
den Vater.
Es freuen sich aber alle, die dort sind, über sein Kommen; und
nachdem
er denen, zu denen er nun gehört, gleich geworden ist,
hört er
auch noch andere Kräfte, die sich oberhalb der achten Natur
befinden,45 mit süßer Stimme Gott besingen. Und dann
steigen sie in geordnetem Zuge zum Vater auf und übergeben
sich selbst den Kräften und, zu Kräften geworden,
gehen sie in Gott ein. Dies ist das selige Ziel für die, die
Erkenntnis erlangt haben: vergöttlicht zu werden.
Nun, was zögerst du? Wirst du nicht, nachdem du alle Lehren
empfangen hast, ein Weggeleiter für die, die es verdienen,
damit das menschliche Geschlecht durch dich von Gott gerettet werde?"
27. Nachdem Poimandres mir dies gesagt hatte, mischte er sich unter die
Kräfte. Ich aber dankte dem Vater des Alls und pries ihn und
wurde von
ihm entlassen, da er mich mit (geistiger) Kraft beschenkt,
über die
Natur des Alls belehrt und eine grandiose Vision hatte schauen lassen;
und
seitdem künde ich den Menschen von der Schönheit der
Frömmigkeit
und Erkenntnis: "Ihr Völker, ihr erdgeborenen Menschen, die
ihr der
Trunkenheit und dem Schlaf ergeben seid und der Unkenntnis Gottes,
werdet
nüchtern, hört auf, trunken zu sein und in
unvernünftigem
Schlaf zu schweigen."
28. Die davon hörten, kamen einmütig zusammen; ich
aber sage:
"Warum habt ihr euch, ihr erdgeborenen Menschen, dem Tod ausgeliefert,
obwohl
ihr die Möglichkeit besitzt, an der Unsterblichkeit
teilzuhaben? Werdet anderen Sinocs, ihr, die ihr dem Weg des Irrtutus
gefolgt seid und Gemeinschaft mit dem Unwissen pflegtet. Befreit euch
von dem Licht der Finsternis, werdet teilhaftig der Unsterblichkeit und
lasset die Sterblichkeit hinter euch." [Seite 21]
29. Und die einen von ihnen schwatzten töricht dagegen und
gingen weg und lieferten sich selbst dem Weg des Todes aus; die anderen
aber baten mich, sie zu belehren, und warfen sich mir zu
Füßen. Ich hieß sie
aufstehen und wurde der Wegführer ihres Geschlechts, indem ich
sie mit
Worten belehrte, wie und auf welche Weise sie gerettet würden;
und ich
säte unter ihnen Worte der Weisheit, und sie nährten
sich mit ambrosischem
Wasser. Als es aber spät geworden war und die Sonne mit ihrem
Licht
ganz unterzugehen begann, forderte ich sie auf, Gott zu danken, und
nachdem
sie den Dank abgestattet hatten, wandte sich jeder zu seiner eigenen
Lagerstätte.
30. Und Poimandres wurde bei mir als mein Wohltäter
angeschrieben,46 und ich war glücklich, daß mir
meine Wünsche er füllt worden waren. Denn der Schlaf
des Körpers war zur Nüchternheit der
Seele geworden und das Schließen der Augen zum wahren Sehen,
und mein
Schweigen trug das Gute in sich und das Zu-Grabe-Tragen47 des Redens
wurde
ein Ans-Licht-Bringen des Guten. Dies geschah mir, als ich von meinem
Geist
empfangen hatte, d.h. von Poimandres, dem Logos, der die
höchste Macht
hat. Von der göttlichen Wahrheit inspiriert,45 bin ich hier
angekommen. Deswegen lobpreise ich Gott-Vater aus ganzer Seele und
Kraft. [Seite 22]
31. Heilig ist Gott, der Vater des Alls.
Heilig ist Gott, dessen Wille durch seine eigenen Kräfte
erfüllt wird.
Heilig ist Gott, der erkannt werden will und von den Seinen erkannt
wird.
Heilig bist du, der du durch das Wort das Seiende hast entstehen
lassen. Heilig bist du, dessen Abbild die gesamte Natur ist.
Heilig bist du, dem nicht die Natur seine Gestalt gegeben hat.
Heilig bist du, der du jeder Kraft überlegen bist.
Heilig bist du, der du erhabener als alles Erhabene bist.
Heilig bist du, der du alles Lob übersteigst.
Nimm in heiligen Worten dargebrachte Opfer an von meiner Seele und
meinem Herzen, das sich dir zuwendet.
Du Unaussprechlicher, Unsagbarer, in Schweigen Angerufener.
32. Ich bitte, nicht der Erkenntnis beraubt zu werden, die unserem Sein
entspricht; gewähre es mir und gib mir Kraft.
Und ich will von dieser Gnade die, die unwissend sind, erleuchten, die
Brüder meines Geschlechts,49 deine Söhne.
Deshalb glaube ich und bezeuge:
Ich gehe ins Leben und Licht. Gepriesen bist du, Vater.
Dein Mensch will mit dir zusammen das Werk der Heiligung vollbringen,
weil du ihm alle Mittel und Macht gegeben hast.
2
Gespräch des
Hermes mit Asklepios [Seite 28]
1. Hermes: "Wird nicht alles, was bewegt wird, Asklepios, in etwas und
von etwas bewegt?"
Asklepios: "Gewiß."
Hermes: "Muß nicht notwendigerweise größer
sein, worin
das Bewegte bewegt wird?"
Asklepios: "Das muß es."
Hermes: Ist also das Bewegende stärker als das Bewegte?"
Asklepios: "Ja, stärker."
Hermes: Und muß das, worin es bewegt wird, eine Natur haben,
die der des Bewegten entgegengesetzt ist?" Asklepios: ,,Durchaus."
2. Hermes: "Ist dieser Kosmos groß und kein Körper
größer als er?"
Asklepios: "Einverstanden."
Hermes: Auch kompakt? Denn er ist mit vielen anderen großen
Körpern gefüllt; oder eigentlich mit allen
Körpern, die es gibt?"
Asklepios: "So ist es."
Hermes: Ist der Kosmos ein Körper?"
Asklepios: "Ja."
Hermes: Und bewegt?'
3. Asklepios: Natürlich."
Hermes: "Wie groß muß also der Raum sein, in dem
der Kosmos
bewegt wird, und was für eine Natur muß er haben?
Muß er
[Seite 29] nicht viel größer sein, damit er die
beständige
Bewegung aufnehmen kann und das Bewegte nicht von der Enge behindert
wird
und in seiner Bewegung innehält?"
Asklepios: "Etwas unermeßlich Großes muß
er sein, Trismegistos."
4. Hermes: "Und von welcher Natur (muß er sein)? Nicht von
der entgegengcsetzten, Asklepios? Die dem Körper
entgegengesetzte Natur aber ist das Unkörperliche."
Asklepios: "Einverstanden."
Hermes: "Der Raum ist also unkörperlich, das
Unkörperliche ist aber entweder göttlich oder67 Gott.
Mit dem Göttlichen meine ich jetzt nicht das Gezeugte,68
sondern das Ungezeugte.
5. Wenn es also göttlich ist, ist es wesenhaft. Wenn es aber
Gott ist, ergibt es sich,69 daß es sogar kein wesenhaftes
Sein70 besitzt. Anderer seits aber ist er (der unkörperliche
Raum) Gegenstand des Denkens, und zwar auf folgende Weise: Gott ist
für uns vornehmster Gegenstand des Denkens, nicht aber
für sich selbst; denn das, was gedacht wird, unterliegt
für den, der denkt, seiner geistigen Wahrnehmung. Gott ist
also nicht für sich selbst Objekt des Denkens; denn als mit
dem Gedachten identisch wird er von sich [Seite 30] selbst gedacht.71
6. Für uns aber ist er etwas anderes; deshalb wird er von uns
gedacht. Wenn aber der Raum Gegenstand des Denkens ist, dann nicht als
Gott, sondern als Raum; wenn er es aber auch als Gott ist, dann nicht
als Raum, sondern als eine Energie, die (alles) umfaßt.72
Alles, was bewegt wird, wird nicht in einem Bewegten bewegt, sondern in
einem Ruhenden. Und das Bewegende steht still, ohne sich mitbewegen zu
können."
Asklepios: "Wie geht es dann zu, Trismegistos, daß sich die
Phänomene hier (im Kosmos) mit detn Bewegten73 mitbewegen?
Denn du sagtest, daß die Bahnen der Planeten von der Bahn der
Fixsterne74 bewegt werden." Hermes: "Das ist, Asklepios, keine
Mitbewegung, sondern eine Gegenbewegung; denn sie
(Fixsterne und Planeten) bewegen sich nicht in gleicher Richtung,
sondern einander entgegengesetzt. [Seite 31] Die
Gegensätzlichkeit aber bringt75 den Gegenimpuls der Bewegung
zum Stehen. 7. Denn die entgegengesetzte Stoßrichtung der
Bewegung bedeutet Stillstand des Umlaufes. Die Bahnen der Planeten nun
bewegen sich, eine unter der anderen, in entgegengesetzter Richtung zur
Bahn der Fixsterne, und durch die Begegnung aus entgegengesetzter
Richtung werden sie im Hinblick auf eben die(se)
Gegensätzlichkeit von einer ruhenden (Bahn) bewegt.76 Und
anders kann es sich nicht verhalten. Denn (siehe) diese (Sternbilder)
der Bären, die du weder untergehen noch aufgehen, sondern sich
um denselben Punkt drehen siehst, glaubst du, daß sie sich
bewegen oder stillstehen?"
Asklepios: "Daß sie sich bewegen, Trismegistos."
Hermes: "In was für einer Bewegung, Asklepios?"
Asklepios: "In einer, die sich immer um denselben Punkt bewegt."
Hermes: "Die Kreisbewegung aber gleicht der Bewegung um denselben
Punkt, weil diese von einem festen Standort gebändigt wird.
Denn das ,Drum herum' hindert das ,Darüber-hinaus', und da
dieses ,Darüber hinaus' gehemmt wird, kommt es zur Ruhe im
,Drum herum'.77 Auf diese Weise ist auch der entgegengesetzte Umlauf
zur Ruhe und zum Stehen gekommen, weil er von der entgegengesetzten
Bewegung befestigt wird.
8. Ich werde dir ein Beispiel aus dem irdischen Bereich geben, das in
die Augen [Seite 32] fällt.78 Siehe die sterblichen79
Lebewesen, ich meine z.B. den Menschen, beim Schwimmen; das Wasser
strömt dahin, und der Gegenstoß
der Füße und Hände bewirkt für den
Menschen Stillstehen,
um nicht mit dem Wasser fortgerissen zu werden."
Asklepios: "Das Beispiel ist deutlich, Trismegistos."
Hermes: "Worin jede Bewegung stattfindet und wovon sie ausgeht, das
befindet sich also in Ruhe. Es ergibt sich nun, daß die
Bewegung des Kosmos und
jedes materiellen Lebewesens nicht von außerhalb80
herrührt, sondem
von innen nach außen, vom Geistigen, entweder von der Seele
oder vom
Pneuma oder von etwas anderem Unkörperlichen. Denn ein
Körper bewegt
keinen beseelten Körper, ja überhaupt keinen
Körper, auch
nicht, wenn er unbeseelt ist."
9. Asklepios: "Wie meinst du das, Trismegistos? Im Falle von Holz und
Steinen und aller anderen unbeseelten (Dinge), handelt es sich nicht
bei dem, was sie bewegt, um Körper?" Hermes "Keinesfalls,
Asklepios; denn bei dem Inneren des Körpers, der das
Unbeseelte (Holz oder Steine) bewegt, handelt es sich nicht um einen
Körper, der beide bewegt, den (Körper) des Tragenden
und den des Getragenen. Deshalb wird Unbeseeltes nicht Unbeseeltes
bewegen. Du siehst nun, wie die Seele schwer belastet wird, wenn sie
allein zwei Körper trägt. Und offenkundig wird das,
was bewegt wird, in etwas und von etwas bewegt."
10. Asklepios: "Muß das Bewegte im Leeren bewegt werden,
Trismegistos?" [Seite 33]
Hermes: "Schweige, Asklepios. Auch nicht ein einziges von den Dingen,
die sind, ist leer, (allein) aus dem Grund, daß es da ist.
Das Seiende könnte
nicht seiend sein, wenn es nicht voller Realität
wäre81, was da
ist, kann niemals leer werden."
Asklepios: "Gibt es nicht irgendwelche leere Dinge, Trismegistos, wie
z. B. einen Topf, einen Krug, ein Faß82 und anderes
Vergleichbares?" Hermes: "Bewahre, ein größer Irrtum
ist das, Asklepios. Das, was vielmehr ganz gefüllt und
übervoll ist, hältst du für leer?"
11. Asklepios: "Wie meinst du das, Trismegistos?"
Hermes: "Ist die Luft nicht ein Körper?"
Asklepios: "Ja."
Hermes: "Durchdringt dieser Körper nicht alles, was ist, und
erfüllt alles, indem er es durchdringt? Besteht nicht ein
Körper aus der Mischung der vier (Elemente)? Alles, was du
für leer hältst, ist voll von Luft; wenn aber von
Luft, dann auch von den anderen vier Körpern (Elementen), und
es ergibt sich, daß die gegenteilige Behauptung deutlich
wird: Alles
das, was du voll nennst, ist leer von Luft, weil es von den anderen
Körpern
dicht gefüllt wird und deshalb keinen Raum hat, die Luft
aufzunehmen.
Das, was du leer nennst, muß man hohl nennen, nicht leer;
denn dank
seines Da Seins ist es voll von Luft und Pneuma."
12. Asklepios: "Diese Behauptung ist unwiderlegbar, Trismegistos. Wie
nannten wir nun den Raum, in dem sich das All bewegt?
Hermes: "Unkörperlich, Asklepios."
Asklepios: "Was ist das Unkörperliche?" [Seite 34]
Hermes: "Es ist Geist, der sich selbst ganz und gar umfaßt,
frei ist von jeglichem Körper, frei von Irrtum und
Unbeständigkeit, frei von allem Erleiden,
unberührbar, selbst in sich ruhend, fähig, alles
aufzunehmen, das Seiende bewahrend; von ihm geht das Gute gleichsam als
seine
Strahlen aus, (es ist) die Wahrheit, das Urbild des Pneuma (und) das
Urbild
der Seele." Asklepios: "Was ist nun Gott?"
Hermes: "Der, der nicht eins von all dem Genannten ist, sondern
vielmehr für all das die Ursache des Seins, ebenso wie
für alles und jedes einzelne aller seienden Dinge.
13. Denn das Nicht-Seiende hat er darüber hinaus
überhaupt nicht zugelassen, sondern alles entsteht aus dem
Seienden und nicht aus dem Nichtseienden. Das Nichtseiende
nämlich hat nicht die Natur, etwas werden zu können,
sondern nur die, es nicht werden zu können und umgekehrt hat
das Seiende nicht die Natur, jemals nicht zu Sein."
14. Asklepios: "Was meinst du nun mit ,jemals nicht zu sein'?" 84
Hermes: (...) Gott ist also nicht Geist, aber Ursache dafür,
daß es (Geist) gibt, und er ist nicht Pneuma, aber Ursache
dafür, daß es Pneuma gibt, und nicht Licht, aber
Ursache dafür, daß es Licht gibt. Deshalb
muß man Gott unter diesen beiden Anreden verehren, die ihm
allein zukommen und niemandem sonst. Denn keiner von den anderen
sogenannten Göttern und keiner der Menschen und
Dämonen kann, und sei es auch nur in einem gewissen [Seite 35]
Grade, gut sein, außer Gott allein. Und das allein ist er und
nichts weiter. Alle anderen Wesen können die Natur des Guten
nicht in sich aufnehmen. Denn sie sind Körper und Seele und
haben keinen Raum, der das Gute fassen könnte. 15. Denn die
Größe des Guten ist von ebensolchem
Ausmaß, wie die Realität aller seienden Dinge, der
körperlichen und unkörperlichen der sinnlich
wahrnehmbaren und geistig erfaßbaren. Das ist das Gute, das
ist Gott. Nenne also nichts
anderes gut, denn du begehst (damit) einen Frevel; oder sage niemals,
daß
Gott etwas anderes sei als allein das Gute, denn (sonst) begehst du
wieder
einen Frevel. 16. Alle gebrauchen zwar das Wort ,gut', aber kein
einziger
erfaßt gedanklich, was es eigentlich ist. Deshalb wird Gott
auch von
niemandem erfaßt, sondern aus Unkenntnis nennt man die
Götter und
auch einige Menschen gut, die das niemals sein oder werden
können. Denn
das Gute gehört ganz zu Gott und ist von ihm untrennbar, weil
es ja
Gott selbst ist. Als Götter nun sind alle anderen
Unsterblichen durch die Anrede,Gott' geehrt; Gott aber ist das Gute
nicht einer Ehrung zufolge, sondern seiner Natur nach. Denn es gibt nur
eine einzige Natur Gottes, das Gute, und beide bilden ein und dasselbe
Wesen, aus dem alle (anderen) Wesen stammen. Denn der Gute ist einer,
der alles gibt und nichts nimmt. Gott nun gibt alles und nimmt nichts.
Folglich ist Gott das Gute und das Gute Gott.
17. Die andere Anrede ist ,Vater', wiederum weil er alles schafft. Denn
zum Wesen eines Vaters gehört es, zu zeugen. Deshalb zielt
auch das
wichtigste und gattgefälligste Streben der richtig Denkenden
in ihrem
Leben auf die Zeugung von Kindern, und das größte
Unglück
und die größte Gottlosigkeit ist es, wenn jemand
kinderlos von
den Menschen scheidet, und nach seinem [Seite 36] Tod wird er von den
Dämonen
bestraft. Die Vergeltung besteht darin, daß die Seele des
Kinderlosen
in einen Körper verdammt wird, der weder die Natur eines
Mannes noch
die einer Frau hat, ein unter der Sonne88 verfluchter Körper.
Deshalb,
Asklepios, beglückwünsche niemanden, der kinderlos
ist; im Gegenteil,
habe Mitleid mit seinem Schicksal, weil du weißt, was
für eine
Strafe auf ihn wartet. Soviel von dieser Art soll dir gesagt sein,
Asklepios,
als eine Art erste Erkenntnis der Natur aller Dinge."
3
Hermes: Heilige Rede [Seite 39]
1. Gott ist die Herrlichkeit aller Dinge, das Göttliche und
die göttliche Natur. Gott ist der Anfang alles Seienden, und
er ist Geist, Natur und Materie, weil er die Weisheit ist, alles ans
Licht zu bringen. Das Göttliche ist
Anfang, Natur, Wirkkraft, Notwendigkeit (anankä), Ende und
Erneuerung. Denn unendliche Finsternis war in der Tiefe93 und Wasser
und ein feinstes geistiges Pneuma; all das gab es durch
göttliche Kraft im unendlichen Raum.94 Ein heiliges Licht
wurde entsandt, und die Elemente wurden fest auf95 dem Sand aus der
feuchten Natur, und alle Götter belebten (katedieroosin)96 die
samenträchtige Natur.
2. Alles war unbegrenzt und ungeformt;97 da wurde das Leichte
abgetrennt, daß es oben sci, und das Schwere wurde zur
Grundlage gemacht auf dem feuchten Sand; denn alles wurde durch das
Feuer getrennt und aneinander aufgehängt, so daß es
vom Pneuma getragen wurde. Und der Himmel wurde sichtbar in
sieben Kreisbahnen, und die Götter traten in Erscheinung in
den [Seite 40] Gestalten der Sterne mit all ihren Sternbildern, und ihr
(?)98 wurde eine
Gliederung gegeben mit den in ihr befindlichen Göttern, und
die äußerste
Kreisbahn wurde rings von Luft umgeben, getragen vom
göttlichen Pneuma
in kreisförmiger Bahn.
3. Jeder einzelne Gott aber brachte durch seine ihm eigene Kraft das
ihm Aufgetragene hervor: Es entstanden die Tiere:
Vierfüßler, Kriechtiere, Wassertiere und
Vögel und jeder fruchtbare Samen, das Gras und der frische
Trieb jeglicher Blume, den Samen ihrer Wiedergeburt fanden99 sie in
sich selbst;
(und die Götter brachten hervor)100 die Geschlechter der
Menschen, da
mit diese die göttlichen Werke erkennen und in ihrem Wirken
Zeugnis für
die Natur ablegen und die Zahl der Menschen groß machen und
über
alles unter dem Himmel herrschen und das Gute erkennen, damit sie
gedeihen
im Wachstum und sich mehren an Zahl; und (sie brachten hervor) jede
Seele,
die in einen Körper eingeht, durch die Bahnen der umkreisenden
Götter, damit sie (die Seelen) den Himmel, die Bahnen der
[Seite 41] himmlischen
Götter die göttlichen Werke und die Wirksamkeit der
Natur beobachten
und damit sie sichtbares Zeichenl02 des Guten sind, damit sie die
göttliche
Kraft erkennen (...) des Guten und Schlechten erkennen und jegliche
Kunstfertigkeit
erfinden, Gutes herzustellen.
4. So beginnt es, daß sie ein bestimmtes Leben
führen und Wissen gewinnen nach dem durch die Bahnen der
umkreisenden Görter bestimmten Anteil und sich
auflösen in das, was sein wird nachdem sie große
Denkmäler ihrer handwerklichen Kunst auf Erden
zurücklassen haben. (...) das Schwinden und jede Geburt des
beseelten Fleisches und der Frucht des Samens und jedes handwerklichen
Tuns.104 Das, was schwindet, wird mit Notwendigkeit wieder erneuert
sowohl durch die Erneuerung der Götter als auch durch den sich
nach Zahlengesetzen vollziehenden Naturkreislauf. [Seite 42] Denn das
Göttliche ist das ganze kosmische Gefüge, das sich
von Natur aus ständig erneuert. Denn im Göttlichen
hat auch die Natur ihren Ort.
4 Gespräch des Hermes mit Tat: Der
Mischkrug oder Die Monade
[Seite 47]
1. Hermes: "Weil der Demiurg den gesamten Kosmos erschaffen hat, nicht
mit Händen, sondern durch das Wort, so nimm also an,
daß er gegenwärtig ist, immer existiert, alles
erschaffen hat und nur ein einziger ist und durch seinen Willen das
Seiende hervorgebracht hat. Dennl dies ist sein Körper: nicht
berührbar, nicht sichtbar, nicht zu ermessen, ohne Ausdehnung,
keinem anderen Körper ähnlich. Er ist
nämlich weder Feuer noch
Wasser noch [Seite 48] Luft noch Pnema, sondern alles kommt von ihm
her.
Denn weil Gott gut ist, wollte er ganz von sich aus dies (alles)
errichten und die Erde schmücken. 2. Als Schmuck des
göttlichen Körpers sandte er den Menschen hinab, ein
sterbliches Lebewesen als Schmuck eines unsterblichen Lebewesens. Und
der Kosmos übertrifft die Lebewesen an (ewiger) Lebendigkeit,
(der Mensch aber) sogar den Kosmos an Logos und Geist. Denn der Mensch
wurde zum Betrachter des Werkes Gottes, er bewunderte und erkannte den
Schöpfer. 3. Den Logos nun, Tat, teilte Gott unter allen
Menschen aus, nicht aber ebenso den Geist, und das geschah Iticht aus
Mißgunst; denn die Mißgunst kommt nicht von dort;
hier unten entsteht sie in den
Seelen der Menschen, die den Geist nicht haben."
Tat: "Weshalb, Vater, teilte Gott nun den Geist nicht unter allen aus?"
[Seite 49]
Hermes: "Er wollte ihn, mein Sohn 121 vor aller Augen für die
Seelen als Belohnung hinstellen."
4. Tat: "Und wo stellte er ihn hin?" Hermes: ,Einen großen
Mischkrug hat er damit gefüllt und hinabgesandt, und er
schickte einen Herold mit
und befahl ihm, den Herzen der Menschen folgendes zu
verkünden: ,Du,
der du122 es vermagst, tauche ein in diesen Mischkrug, du, der du
zuversichtlich hoffst, aufzusteigen zu dem, der den Mischkrug
hinabsandte, du, der du erkennst, zu welchem Ziel du geboren wurdest.'
Allen denjenigen nun, die die Botschaft verstanden und in den Geist
eintauchten,l23 denen wurde Erkenntnis zuteil und sie wurden
vollkommene Menschen, weil sie den Geist erhalten hatten. Alle
diejenigen aber, die den Sinn der Botschaft verfehlten, die sind nur
Träger
des Logos, olme den Geist hinzugewonnen zu haben, und sie wissen nicht,
zu
welchem Ziel sie entstanden sind und von wem.
5. Ihre Wahrnehmungen sind denen der unvernünftigen Lebewesen
ähnlich, und ihr Temperament besteht in Leidenschaftlichkeit
und Zorn; sie bewundern nicht, was der Betrachtung würdig ist,
sie sind den körperlichen Freuden und Begierden zugetan und
glauben, daß der Mensch deswegen geschaffen
sei. Alle diejenigen aber, die an dem Geschenk von Gott Anteil
erhielten,
Tat, sind, wenn man ihr Tun vergleicht,125 [Seite 50] unsterblich und
nicht
mehr sterblich und nehmen alles mit ihrem Geist auf, alles auf der
Erde,
im Himmel, und wenn es ctwas über dem Himmel gibt, (dann auch
das).
Da sie sich so weit erhoben haben, sehen sie das Gute, und nachdem sie
es
gesehen haben, halten sie das Treiben hier unten für ein
Unglück. Sie verachten alles Körperliche und
Unkörperliche und erstreben das Eine und Alleinige.
6. Dies, Tat, ist die Erkenntnis des Geistes, Betrachtung126 des
Göttlichen und das Begreifen Gottes, denn der Mischkrug ist
göttlich."
Tat: Auch ich möchte getauft werden, Vater!" Hermes: Wenn du
nicht
zuerst deinen Körper haßt, mein Sohn, kannst du dich
nicht lieben.
Wenn du dich aber liebst, wirst du Geist erhalten, und wenn du den
Geist
hast, wird dir auch Erkenntnis zuteil werden." Tat: "Wie meinst du das,
Vater?" Hermes: "Es ist unmöglich, mein Sohn, es mit beidem zu
halten, mit dem Sterblichen und dem Göttlichen. Es gibt
namlich zweierlei Seiendes, Körperliches
und Unkörperliches, worin das Sterbliche und
Göttliche liegt, und
deshalb bleibt dem, der wählen will, nur eins von beiden zu
wählen.
Denn es ist nicht möglich, beides gleichzeitig zu
wählen127 von
dem, was zur Auswahl steht, sondern das eine bringt, wenn es verringert
wird,
die Wirkkraft des anderen zum Vorschein. [Seite 51] 7. Das Bessere zu
wählen
also bedeutet für den, der wählt nicht nur die beste
Garantie,128
den Menschen zu vergöttlichen sondern es zeigt auch seine
Frömmigkeit
gegenüber Gott; die Wahl des Schlechteren richtet den Menschen
zugrunde,
bedeutet aber keinerlei andere Kränkung Gottes als lediglich
folgende:
ebenso wie die Festzüge öffentlich auftreten und,
ohne selbst etwas
bewirken zu können, die anderen behindern, so nehmen auch
diese (Menschen)
nur an einem Festzug durch die Welt teil, verführt von den
sinnlichen
Freuden. 8. Da sich das so verhält, Tat, steht uns das, was
von Gott
kommt, zu Gebote und wird es auch in Zukunft tun, das, was von uns
abhängt,
soll dem folgen, und daran soll es nicht fehlen. Denn Gott ist
schuldlos,
wir sind schuld am Übel, weil wir es dem Guten vorzichen. Du
siehst,
mein Sohn, daß wir so viele Körper,129 so viele
Chöre der
Dämonen, die in sich zusammenhängende Struktur und
die Bahnen der
Sterne durchschreiten müssen, um zu dem Einen und Alleinigen
zu eilen.
Denn das Gute kann man nicht durchschreiten, es ist ohne Begrenzung und
Ende,
und es ist für sich auch ohne Anfang, uns aber scheint es
einen Anfang
zu haben im Hinblick auf seine Erkenntnis.
9. Die Erkenntnis wird damit nicht zu einem Anfang des Guten, sondern
sie gibt uns den Anfang dessen, was erkannt werden wird.l30 [Seite 52]
Laß uns also den Anfang finden und schnell alles durchgenen.
Denn es ist sehr schwierig, das Gewohnte und Gegenwärtige zu
verlassen und uns zum Anfänglichen und Ursprünglichen
umzuwenden. Denn das Sichtbare erfreut, das Unsichtbare erweckt
Mißtrauen. Sichtbarer ist aber das Schlechte, das Gute ist
unsichtbar
für das, was (selbst) zum Sichtbarenl31 gehört. Denn
es hat weder
Gestalt noch Form. Deswegen ist es nur sich ähnlich, allem
anderen aber
unähnlich; denn Unkörperliches kann nicht einem
Körper sichtbar
werden. 10. Dieser Unterschied besteht zwischen dem Ähnlichen
und dem
Unähnlichen, und das Unähnliche ist im Nachteil
gegenüber dem
Ähnlichen.
Diel32 Monade ist nämlich Anfang und Wurzel von allem und ist
in allem wie Wurzel und Anfang. Ohne Anfang ist nichts, der Anfang ist
aber aus nichts anderem als aus sich, wenn er denn Anfang der
übrigen Dinge ist.133 Dic
Monade ist also ein Anfang und umfaßt jede Zahl, wird aber
von keiner
umfaßt und zeugt jede Zahl, ohne (selbst) von einer anderen
Zahl gezeugt
zu werden. 11. Alles Gezeugte ist unvollkommen, teilbar und kann
vergrößert
und verkleinert werden, fur das Vollkommene gilt aber nichts davon. Was
vergrößert
wird, wird von der Monade vergrößert, wird aber von
seiner eigenen
Schwäche ergriffen, wenn es die Monade nicht mehr fassen kann.
[Seite
53] Damit nun, Tat, ist dir ein Abbild Gottes so gut wie
möglich skizziert.
Wenn du es genau anschaust und mit den Augen des Herzens begreifst,
glaube
mir, mein Sohn, dann wirst du den Weg nach oben finden. Mehr noch, das
Abbild
selbst wird dich den Weg führen. Denn diese Schau hat eine
Eigentümlichkeit.
Diejenigen, die schon dahin gelangten, zu schauen, hält sie
fest und
zieht sie so hinauf, wie nach allgemeiner Ansicht der Magnetstein das
Eisen
hinaufzieht."
5 Gespräch des Hermes mit seinem Sohn Tat: Der
unsichtbare Gott ist
vollkommen sichtbar [Seite 57]
1. Hermes: Auch diese Lehre werde ich dir, Tat, vollständig
darlegen, damit du nicht uneingeweiht bist in (die Geheimnisse)
Gott(es), der erhabener ist, als ein Name (es ausdrücken
könnte). Du aber erkenne, wie das,
was der Masse unsichtbar zu sein scheint, dir ganz offenbar werden
wird.l42 Denn es existierte nicht (in Ewigkeit), wenn es (nicht)
unsichtbar wäre.l43 Denn alles, was in Erscheinung tritt, ist
geworden; denn es ist ja in Erscheinung getreten. Das Unsichtbare aber
ist ewig; denn es hat es nicht nötig, in Erscheinung zu
treten; es ist nämlich ewig. Und doch macht erl44 alles
andere sichtbar, bleibt selbst aber unsichtbar, weil er ewig ist. Er
laßt
sichtbar werden, wird selbst aber nicht sichtbar; er wird nicht zum
Objekt
der Vorstellung (fa~tas[a), macht aber alles vorstellbar.l45
Vorstellung gibt
es nämlich nur von Geschaffenem. Denn Vorstellung und Werden
[Seite 58]
entsprechen sich vollkommen.l46
2. Der, der als einziger ungeschaffen ist,l47 ist weder vorstellbar
noch sichtbar, wie jedem ein leuchtet, aber indem er alles vorstellbar
macht, tritt
er durch alles in Erscheinung und in allem, und besonders denen, denen
er
selbst in Erscheinung treten will.
Du also, mein Sohn Tat, bitte zuerst den Herrn, Vater und Alleinigen,
der aber nicht der Eine ist, sondern von dem der Eine abstammt, darum,
daß er dir gnädig sei, damit du den so
großen Gott erkennen kannst, und daß er mit seinem
Lichtstrahl, wenn auch nur mit einem einzigen, deinem Denken
Erleuchtung schaffe. Denn allein das Denken sieht das Unsichtbare, weil
es auch selbst unsichtbar ist. Wenn du dazu in der Lage bist, wird es
den Augen deines Geistes sichtbar werden, Tat. Denn ohne
Mißgunst tritt der Herr überall im gesamten Kosmos
in Erscheinung. Bist du in der Lage, dein Denken zu sehen und es mit
den Händen zu greifen? Bist du in der Lage, Gott bildlich
anzuschauen? Wenn aber sogar das, was in dir ist, für dich
unsichtbar ist, wie soll er nur für sich allein148 mittels
deiner Augen dir sichtbar werden? 3. Wenn du ihn aber sehen willst,
betrachte die Sonne, betrachte den Lauf des Mondes, betrachte die
Ordnung der Sterne. Wer ist es, der ihrer Ordnung Bestand gibt? Denn
jede Ordnung ist nach Zahl und Ort genau bestimmt. Die Sonne, der
größte Gott unter den Göttern am Himmel,
dem alle Himmelsgötter wie einem König und Herrscher
den Vorrang lassen, auch sie, die so groß ist,
größer als Erde und Meer, erträgt es,
kreisende Sternel49 über sich [Seite 59] zu haben, die kleiner
sind als sie, vor wem hat sie Scheu, vor wem Ehrfurcht, mein Sohn? Alle
diese Sterne am Himmel, legen sie nicht eine ähnliche oder
gleiche Bahn zurück? Wer ist es der jedem die Art und den
Umfang seiner Bahn bestimmt hat? 4. Das Sternbild des großen
Bären da, das sich um sich selbst dreht und den ganzen Kosmos
mitdreht, wer ist es, der dieses Werkzeug besitzt? Wer hat dem Meer
seine Grenzen, wer der Erde ihren festen Platz gegeben? Es gibt
nämlich jemanden, Tat, der der Schöpfer und Herr von
all dem ist. Unmöglich können Ort, Zahl oder
Maß eingehalten werden ohne den, der sie geschaffen hat. Denn
jede Ordnung (ist geschaffen, allein die) Unordnung und
Maßlosigkeit ist ungeschaffen, aber auch diese ist nicht ohne
Gebieter, mein Sohn. Denn auch wenn dem Ungeordneten das fehlt, was es
zusammenhält, ist es doch auf diesc Art und Weise Teil
der Ordnung,l50 und untersteht einem Gebieter, der ihr (nur) noch keine
Ordnung
auferlegt hat.
5. Wenn es dir doch möglich wäre, als Vogel in die
Luft aufzusteigen und, in den Raum zwischen Himmel und Erde erhoben die
feste Masse der Erde zu sehen, die weiten Fluten des Meeres, die
Ströme der Flüsse, die
Unendlichkeit der Luft, die durchdringende Kraft des Feuers, den Lauf
der
Sterne, die Geschwindigkeit des Himmelsgewölbes und seine
Drehung um
immer dieselbe Achse. Was für eine glückselige Schau,
mein Sohn, in einem einzigen Moment all das zu sehen, den Unbewegten
bewegt und den Unsichtbaren
sichtbar durch das, was er erschafft. Dies ist die Ordnung des Kosmos
und
dies ist der Kosmos der Ordnung. [Seite 60]
6. Wenn du ihn auch durch die sterblichen Wesen auf der Erde und in der
Tiefe des Meeres sehen willst, bedenke, mein Sohn daß der
Mensch im
Mutterleib geschaffen wird, und untersuche die Kunst dieser
Schöpfung
genau und begreife wer dieses schöne und göttliche
Abbild151 den
Menschen, geschaffen hat. Wer hat den Umriß seiner Augen
gezeichnet? Wer hat die Öffnungen von Nase und Ohren gemacht?
Wer hat den Mund
geöffnet? Wer hat die Sehnen gespannt und verbunden? Wer hat
die Blutbahnen
geschaffen? Wer hat die Knochen fest gemacht? Wer hat die Haut um das
Fleisch
gelegt? Wer hat die Finger getrennt? Wer hat den
Füßen eine ebene
Sohle gegeben? Wer hat die Poren hindurchgebohrt? Wer hat die Milz
ausgebreitet? Wer hat das Herz pyramidenförmig gemacht? Wer
hat die Nerven152 verbunden? Wer hat der Leber ihre flache Form
gegeben? Wer hat die Lunge porös gemacht?
Wer hat die Bauchhöhle geräumig gemacht? Wer hat die
edelsten Körperteile
sichtbar ausgeformt, die unedlen dagegen verborgen? 7. Sich, wieviel
Kunstfertigkeit
an einem einzigen materiellem Stoff aufgewandt wurde und wicviele Dinge
für
eine einzige Gestalt geschaffen worden sind, und alles
wunderschön und
alles wohlproportioniert, aber alles voneinander verschieden. Wer hat
dies
alles gemacht? Welche Mutter, welcher Vater, wenn nicht der unsichtbare
Gott,
der alles durch seinen Willen geschaffen hat?
8. Und keiner behauptet, daß eine Plastik oder ein Bild ohne
einen Bildhauer oder Maler entstanden sei, dieses Werk aber soll ohne
einen, der es gemacht hat, entstanden sein? Welch große
[Seite 61] Blindheit, welch
große Gottlosigkeit, welch größer
Unverstand! Niemals, mein
Sohn, trenne die Werke von ihrem Schöpfer! Oder vielmehr ist
er sogar
erhabener als der Name (es ausdrücken könnte),
wieviel er auch
bei Gott bedeutet.l53 So groß ist der Vater aller Dinge. Denn
in der
Tat, dies ist er allein, und darin besteht Sein Werk, Vater zu sein.
9. Und wenn du mich zwingst, noch etwas gewagter zu Sprechen: sein
Wesen ist es, mit allem schwanger zu sein und es hervorzubringen; und
wie ohne den
Schöpfer nichts entstehen kann, so kann auch er nur dann ewig
sein, wenn
er in Ewigkeit alles schafft,l54 im Himmel, in der Luft, in der Tiefe
des
Meeres, in allen Teilen der Welt, in allen Teilen des Alls, im Seienden
und
im Nicht Seienden. Nichts gibt es nämlich in jenem ganzen All,
was nicht
er selbst ist. Er selbst ist alles Seiende und alles Nicht-Seiende.
Denn
das Seiende ließ er sichtbar werden, das Nicht-Seiende birgt
er in
sich.
10. Er ist Gott, erhabener, als ein Name es ausdrücken
könnte, er ist der Unsichtbare, und er ist der vollkommen
Sichtbare. Er ist der, der
durch den Geist zu erfassen ist, er ist der, der mit den Augen zu sehen
ist.
Er ist der Unkörperliche, er hat viele Körper oder
vielmehr alle
Körper. Er ist nichts, was es nicht gibt. Denn alles, (was)
ist, ist
auch er, und deswegen hat er alle Namen, weil [Seite 62] alles von dem
einen
Vater stammt, und deswegen hat er allein keinen Namen, weil er der
Vater
von allem ist.
Wie dich preisen, über Dich oder zu Dir
(sprechen)?
Und wohin denn soll ich blicken, wenn ich Dich preise,
nach oben, nach unten, nach innen, nach außen?
Keine (rechte) Weise gibt es, keinen Ort Um Dich und auch nichts
anderes Seiendes.
Alles ist in Dir, alles ist von Dir.
Alles gibst Du und nichts bekommst Du.
Alles hast Du, und nichts gibt es, was Du nicht hast.
11. Wann soll ich Dich besingen?
Bei Dir läßt sich keine Stunde und keine Zeit
finden.
Und wofür soll ich dich besingen?
Für das, was Du geschaffen hast, oder für das, was Du
nicht geschaffen hast?
Für das, was Du sichtbar gemacht hast, oder für das,
was Du verborgen ließest?
Und weshalb soll ich Dich besingen?
Weil ich mein eigener Herr bin, weil ich etwas Eigenes besitze, weil
ich ein anderer (als Du) bin?
(Nein,) denn Du bist, was immer ich bin,
Du bist, was immer ich tue,
Du bist, was immer ich sage. [Seite 63]
Du bist alles, und nichts anderes gibt es.
Was nicht ist, Du bist es.
Du bist alles Gewordene, alles Nicht-Gewordene
bist Geist und bewegst alles im Geiste,
bist Vater und schaffst,
bist Gott und wirkst, bist gut und schaffst alles.
6
Allein in Gott ist das
Gute, sonst aber nirgendwo [Seite 66]
1. Hermes: "Das Gute, Asklepios, ist in niemandem außer in
Gott allein, oder besser: das Gute ist Gott selbst in Ewigkeit. Wenn
das so ist, dann muß
das Gute der wesenhafte Ursprung jeder Bcwegung und jeden Werdens sein
-
nichts aber gibt es ohne ihn; dieser Ursprung hat um sich eine Energie,
die
in Ruhe verharrt, er ist [Seite 67] ohne Mangel und ohne
Übermaß, vollkommen und ganz, trägt
Sorgel64 für alles und steht am Anfang aller Dinge. Denn wenn
ich behaupte, daß alles, was für anderes Sorge
trägt, gut ist, dann ist er in jeder Hinsicht und immer gut.
Dies ist in 165 keinem anderen vorhanden, außer in Gott
allein. Denn es gibt
nichts, dessen er bedürftig ist, um in dem Wunsch es zu
besitzen, schlecht
zu werden; nichts von dem, was ihm gehört, geht ihm verloren,
dessen
Verlust ihm Kummer bereiten wird - denn Kummer ist ein Teil der
Schlechtigkeit,l66 und nichts ist stärker und besser als er,
von dem er bekämpft werden wird, denn Schaden zu erleiden,
gehört nicht zu seiner Natur - und wonach er deswegen (weil es
besser ist) Verlangen empfinden wird;167 und nichts gibt
es, was ihm nicht geboren, worüber er zürnen wird,
und nichts, was
weiser ist, das seinen Neid erregen wird.
2. Wenn aber nichts davon (von diesem Affekten) zu seinem Wesen
gehört, was bleibt ihm, wenn nicht allein das Gute? Wie es
nämlich in seinem so beschaffenen Wesen nichts (anderes) gibt,
so wird sich bei keinem anderen das Gute finden. Denn in allen
(Geschöpfen) gibt es all das andere, in
den kleinen und großen, in den [Seite 68] Einzelwesen168 und
sogar in
dem Lebewesen, das größer als alle ist und das
allermächtigste. Denn voller Affekte 169 ist das Geschaffene,
weil das Werden selbst sich unter
Einwirkungen von außen vollzieht. Wo ein Affekt (oder eine
Einwirkung von außen) ist, da ist niemals das Gute. Wo das
Gute ist, da gibt es niemals auch nur einen einzigen Affekt. Wo Tag
ist, ist niemals Nacht, wo Nacht ist, ist niemals Tag170 Daher kann das
Gute niemals in dem sein, was geschaffen ist, sondern nur in dem
Ungeschaffenen. Wie aber in die Materie171 eine Teilhabe an allem
gegeben ist, so auch am Guten. Auf diese Weise ist der Kosmos gut,
insofern er auch selbst alles schafft, (so daß) er gut
ist, soweit er schöpferisch ist. In jeder anderen Hinsicht ist
er nicht
gut. Denn er unterliegt Einwirkungen von außen, wird bewegt
und ist
der Schöpfer von Wesen, die Affekten (nnd
äußeren Einwirkungen) unterworfen sind.
3. Im Menschen ist das Gute in Relation zum Schlechten bestimmt. Was
nämlich nicht allzu schlecht ist, ist hier das Gute; das Gute
hier ist der geringste Anteil am Schlechten. Das Gute kann hier nicht
vom Schlechten rein bleiben. Denn das Gute wird hier verdorben. Denn
wenn es verdorben wird, bleibt es nicht mehr gut. Und wenn es nicht gut
bleibt, wird es schlecht. Also ist das
Gute allein in Gott, oder das Gute ist Gott selbst. Nur das [Seite 69]
Wort
,gut', Asklepios, gibt es unter den Menschen, nirgends aber seine
Wirklichkeit. Denn das ist unmöglich. Ein materieller
Körper kann nämlich das Gute nicht aufnehmen, da er
ja von allen Seiten von Schlechtigkeit, Mühen, Schmerzen,
Begierden, Zornesausbrüchen, Täuschungen und
unvernünftigen Meinungen umschlossen ist. Und das
Allerschlimmste ist, Asklepios, daß jedes dieser vorgenannten
Dinge172 hier für das größte Gut gehalten
wird. Das in noch höherem Grade unübertreffbare
Übel ist die Völlerei, die zu allen Übeln
anstiftet, eine Irreführung,l73 durch die es hier zur
Abwesenheit des Guten kommt.
4. Und ich danke Gott, daß er meinen Geist damit beschenkt
hat, das Gute zu erkennen, wenn auch nur, daß es im Kosmos
nicht sein kann. Denn
der Kosmos ist die Fülle des Schlechten, Gott aber die des
Guten oder
das Gute die Fülle Gottes. 174 Denn das herausragend
Schöne befindet
sich beim Sein an sich.l75 Noch reiner und klarer erscheint vielleicht
sogar
das herausragend Schöne selbst, das ihn ausmacht. Denn man
muß es auszusprechen wagen, Asklepios, daß das Sein
Gottes, wenn er denn ein Sein besitzt, das Schöne ist, das
Schöne und Gute aber ist in
nichts von dem anzutreffen, was im Kosmos ist. Denn alles, was mit dem
Gesichtssinn
erfaßt werden kann, ist Abbild und gleichsam ein
Schattenriß. Was aber nicht mit dem Auge erfaßt
wird, [Seite 70] besonders die (...) des Schöllen und Guten
(,,,).176 Und wie das Auge Gott nicht sehen kann, so auch nicht das
Schöne und das Gute. Sie beide sind die Teile Gottes, die sein
Ganzes ausmachen, allein ihm eigen, ihm zugehörig, untrennbar
von ihm, seiner Liebe im höchsten Maße sicher; Gott
selbst liebt sie oder sie lieben Gott.
5. Wenn du Gott geistig erfassen kannst, wirst du das Schöne
und Gute erfassen, das, was alles andere überstrahlt,177 was
(allein) von Gott überstrahlt wird. Denn jene
Schönheit ist unvergleichlich, jenes Gute ist unnachahmlich,
wie auch Gott selbst. Wie du also Gott geistig erfaßt, so
erfasse auch das Schöne und Gute. Denn sie haben nichts gemein
mit dem, was die Lebewesen sonst ausmacht,178 weil sie von Gott nicht
getrennt werden können. Wenn du nach Gott suchst, suchst du
auch nach dem Schönen. Denn nur einen einzigen Weg gibt es,
der dahin führt, die Frömmigkeit, die von Erkenntnis
begleitet wird. 6. Daher wagen diejenigen, die unwissend sind und nicht
auf dem Weg der Frömmigkeit voranschreiten, den Menschen
schön und gut zu nennen, obwohl dieser nicht einmal im Traum
gesehen hat, ob etwas gut ist, sondern von allem Schlechten bereits
beherrscht ist und glaubt, das Schlechte sei gut, und so immer
unersättlicher sich dessen
bedient und fürchtet, seiner beraubt zu werden, und nicht nur
alle Anstrengungen
unternimmt, um es zu besitzen, sondern [Seite 71] um es sogar noch zu
vermehren.
So steht es um das, was den Menschen schön und gut gilt,
Asklepios,
das wir weder meiden noch hassen können. Denn das
allerschlimmste ist,
daß wir es brauchen und ohne es nicht leben können."
7
Das größte
Übel unter den Menschen ist die Unkenntnis Gottes [Seite 74]
1. Wohin laßt ihr euch treiben in eurer Trunkenheit, ihr
Menschen, die ihr die ungemischte Lehre der Unwissenheit ausgetrunken
habt, die ihr überhaupt nicht vertragen könnt? So
speit sie doch sogleich wieder aus;l92 haltet ein, werdet
nüchtern! Blickt auf mit den Augen des Herzens. Und wenn ihr
es nicht alle könnt, wenigstens die, die es können.
Das Übel der Unwissenheit überschwemmt die ganze Erde
und richtet zugleich die im Körper eingesperrte Seele
zugrunde; laßt sie sie doch nicht in den Häfen der
Rettung vor Anker gehen. 2. So laßt euch denn nicht
fortreißen von der starken Strömung, sondern nutzt
eine Gegenströmung, ihr, die ihr den Hafen der Rettung
erreichen könnt, und ankert in ihm; sucht einen, der euch an
die Hand nimmt und euch den Weg weisen wird zu den Pforten der
Erkenntnis, wo das strahlende Licht ist, rein von Dunkelheit, wo auch
nicht einer trunken ist, sondern alle nüchtern sind und mit
ihrem Herzen aufblicken zu dem, der gesehen werden will. Denn ihn kann
man [Seite 75] nicht hören, nicht nennen, nicht mit Augen
sehen, sondern nur mit dem Geist und dem Herzen.
Zuerst mußt du das Kleid zerreißen, das du
trägst, das
Gewebe der Unwissenheit, die Grundlage der Schlechtigkeit, die Fessel
des
Verderbens, den finsteren Kerker, 193 den lebendigen Tod, den
wahrnehmenden
194 Leichnam, das Grab, das du mit dir herumträgst, den
Räuber
im eigenen Hause, der dir seinen Haß durch das beweist, was
er liebt,
und dir das mißgönnt, was er haßt. 3. So
ist der Feind,
den du als Kleid angezogen hast; er würgt dich nach unten195
zu sich
hin, damit du nicht aufblickst, nicht die Schönheit der
Wahrheit siehst
und das Gute, das darin liegt; damit du nicht seine Schlechtigkeit
haßt,
wenn du seine Hinterhältigkeit begreifst, mit der er dir zu
schaden
sucht; denn er macht das, was die (geistigen) Wahrnehmungsorgane zu
sein
scheinen, die aber nicht dafür gehalten werden,196
wahrnehmungslos,
verstopft sie mit viel Materie und füllt sie mit
scheußlicher Lust,
damit du nicht hörst, was du hören
müßtest, und nicht
siehst, was du sehen müßtest.
8
Nichts von dem, was
ist, geht unter, sondern die Veränderungen sind es, die man
irrigerweise
Untergang und Tod nennt. [Seite 77]
1. Hermes: Jetzt müssen wir, mein Sohn, über die
Seele und den Körper sprechen, nämlich in welcher
Weise die Seele unsterblich ist, und was für eine Kraft es
ist, die die Entstehung und [Seite 78] Auflösung des
Körpers bewirkt. Den Tod nämlich gibt es bei keiner
von ihnen (beiden), sondern man hat ihn sich ausgedacht aufgrund des
Begriffes ,unsterblich': er wird entweder als leere
Wortschöpfung gebraucht, oder man spricht unter Weglassung der
ersten Buchstaben von,Sterben' anstelle von ,Unsterblichkeit'.205 Denn
Sterben und Tod bezeichnet Untergang, aber nichts von dem, was es im
Kosmos gibt, geht unter. Wenn nämlich der Kosmos
ein zweiter Gott ist und ein unsterbliches Lebewesen, dann ist es
unmöglich,
daß irgendein Teil dieses unsterblichen Lebewesens stirbt.
Alles im
Kosmos aber ist Teil des Kosmos und besonders der Mensch, das
vernunftbegabte
Lebewesen.
2. Der erste von allem ist wahrhaftig Gott, ewig und ungezeugt und
Schöpfer von allem. Der zweite ist der, der nach seinem Bild
von ihm geschaffen wurde; er wird von ihm erhalten und genährt
und unsterblich gemacht, weil er ja von einem Vater entstanden ist, der
ewig ist; ein immerlebendes Wesen ist
er, weil er unsterblich ist. Denn was immerlebend ist, unterscheidet
sich
vom Ewigen. Denn Gott ist nicht aus einem anderen entstanden. Wenn er
nämlich
wirklich entstanden wäre, dann aus sich sclbst. (Der Kosmos
aber)206
entstand niemals, sondern befindet sich immer im Prozeß des
Werdens.
(...)207 der aber selbst Vater von sich selbst ist, ist ewig. Der
Kosmos
aber ist vom Vater als [Seite 79] ewiger208 und unsterblicher
geschaffen. 3. Und alles, was an Materie bereitlag für sein
eigenes Geschöpf,209 hat der Vater (genommen)210 und damit dem
All körperliche Gestalt gegeben, hat ihm Umfang und Weite
verliehen, hat es kugelförmig gemacht und hat ihm seine
jetzige Gestalt geschenkt; eine Materie211 (hat er genommen), die auch
selbst unsterblich ist und deren Materialität ewig ist. Mehr
noch, der Vater hat die von den Ideen stammenden Qualitäten in
die Kugel gesät und hat sie wie in einer Höhle
eingesperrt, weil er das mit seiner Hilfe Geformte mit allen denkbaren
Qualitäten ausstatten wollte, und umgab den ganzen
Körper mit Unsterblichkeit, damit die Materie nicht von dem
Wunsch erfaßt würde, diese von ihm bewirkte
Gestaltung aufzugeben, und sich wieder in ihre eigene Unordnung
auflöse. Als die Materie nämlich (noch) nicht zu
Körpern geformt war, war sie ungeordnet. Sie weist aber auch
hier (Unordnung)212 auf, die sich häuft bei allen anderen
unbedeutenden Qualitäten (und) beim Vorgang des Wachsens und
des Schwindens, den die Menschen Tod nennen. 4. Diese Unordnung
betrifft (allein) die irdischen Lebewesen. Denn die Körper der
himmlischen Wesen haben eine einzige Ordnung, die sie vom Vater von
Anfang an erhalten haben. Sie wird aber [Seite 80] unaufhebbar bewahrt
infolge der Rückkehr jedes einzelnen an seinen
ursprünglichen Platz. Die Rückkehr der irdischen
Körper in ihren früheren Zustand bedeutet (die
Auflösung)213 der Zusammenfügung; diese
Auflösung aber besteht in der Rückkehr zu
unauflöslichen Körpern, d. h. zu unsterblichen.214
Und so kommt es zum Verlust des Bewußtseins,215 aber nicht zu
einem Untergang der Körper. s. Das dritte Lebewesen, der
Mensch, der nach dem Bilde des Kosmos entstanden ist, ist nach dem
Willen des Vaters mit Geist begabt im Unterschied zu den anderen
irdischen Lebewesen und steht nicht nur mit dem zweiten Gott in
Wechselwirkung (sump1jeia), sondern hat auch Erkenntnis vom ersten. Den
einen nimmt er wahr als Körper, den
anderen erkennt er als unkörperlich und als Geist, als das
Gute."
Asklepios:216 Dieses Lebewesen geht also nicht zugrunde?"
Hermes: Schweig und versündige dich nicht, mein Sohn, und
bedenke,
was Gott ist, was der Kosmos, was ein unsterbliches Lebewesen, was ein
Lebewesen ist, das sich auflöst, und bedenke, daß
der Kosmos von Gott abhängt und in Gott ist, der Mensch aber
vom Kosmos und im Kosmos, Gott aber Anfang aller Dinge ist und alles
umfaßt und ordnet."
9
Über Denken und Wahrnehmung227 [Seite 84]
1. Her~7es: "Gestern habe ich, Asklepios, die ,Vollkommene Lehre'
(t4leio' l7go') vorgetragen. Jetzt aber halte ich es für
notwendig, im Anschluß daran auch die Lehre über die
sinnliche Wahrnehmung durchzugehen. Denn Wahrnehmen und Denken sind
verschieden, wie es scheint, weil das eine sich auf die Materie, das
andere sich auf das wesenhafte Sein bezieht. Mir scheinen aber beide
eine Einheit zu bilden und nicht voneinander getrennt werden zu
können, jedenfalls bei den Menschen. Bei den anderen Lebewesen
nämlich ist die Wahrnehmung mit der (materiellen) Natur zu
einer Einheit verbunden, bei den Menschen (auch) das Denken.228 [Seite
85]
Der Geist unterscheidet sich in dem Maße vom Denken, wie Gott
vom
göttlichen Wirken. Denn das göttliche Wirken
geschieht durch Gott,
das Denken durch den Geist, wobei es mit der Sprache verschwistert ist;
oder
beide dienen einander als Werkzeuge. Denn weder können Worte
ausgesprochen
werden ohne Denken, noch tritt das Denken zutage ohne die Sprache.
2. Wahrnehmen und Denken fließen beide im Menschen zusammen,
als wären sie miteinander verflochten. Denn weder kann man
ohne Wahrnehmen denken, noch
wahrnehmen229 ohne Denken. Ist es möglich, daß ein
Gedanke ohne
Wahrnehmung gedacht wird, wie es die tun, die in Träumen
Gesicht haben?230
Mir scheint dagegen, daß beide Kräfte in der Schau
der Träume
vorhanden sind231 - denn man ist wach geworden232 durch die
Wahrnehmung; sie
ist ja aufgeteilt auf Körper und Seele - und daß,
wenn beide Teile
der Wahrnehmung miteinander in Einklang stehen, das Gedachte
ausgesprochen wird, geboren vom Geist. [Seite 86]
3. Der Geist gebiert alle Gedanken, gute, wenn er von Gott die Samen
empfängt, gegenteilige, wenn von einem der Dämonen;
denn in keinem Teil der Welt fehlt ein Dämon, der unvermerkt
in den von Gott (nicht) Erleuchteten233 eindringt und den Samen seiner
ihm eigenen Wirksamkeiten sät, und der Geist gebiert das
Gesäte: Ehebruch, Mord, Mißhandlung der Eltern,
Tempelschändung, Gottlosigkeit, Tod durch Erhängen
und Herabstürzen von Felsvorsprüngen und alles
andere, was Werke der Dämonen sind.
4. Die Samen Gottes sind wenige, aber sie sind bedeutend,
schön und gut: Tugend, Besonnenheit und Frömmigkeit.
Frömmigkeit ist die Erkenntnis
Gottes;234 wer ihn erkannt hat, wird von allem Guten erfüllt
und hat
von Gott eingegebene Gedanken, die nicht denen der Masse
ähnlich sind.
Deswegen gefallen weder diejenigen, die in der Erkenntnis sind, der
Masse,
noch gefällt die Masse ihnen. Sondern sie werden für
verrückt gehalten und sind dem Gelächter ausgesetzt,
werden gehaßt und verachtet
und bald wohl auch getötet. Die Schlechtigkeit muß
nämlich, so behauptete ich es, hier unten wohnen, wo ihr Platz
ist. Denn ihr Platz ist die Erde, nicht der Kosmos, wie einige
vielleicht gotteslästerlich behaupten werden.235 Der
Gottesfürchtige nun wird alles ertragen, da er der Erkenntnis
inne geworden ist. Einem solchen Menschen gereicht alles zum Guten,
auch wenn es für die anderen schlecht ist. Und wenn er
verfolgt wird, führt er alles auf [Seite 87] seine Erkenntnis
zurück; er allein wendet auch das Schlechte zum Guten.
5. Nun will ich wieder zu der Lehre von der Wahrnehmung
zurückkehren. Dem Menschen eigentümlich ist die
Verbindung von Wahrnehmung und Denken. Aber nicht jeder Mensch, wie ich
vorher236 sagte, macht sich die Vorteile des Denkens zunutze, sondern
der eine Mensch läßt sich durch die Materie, der
andere durch das wesenhafte Sein bestimmen.237 Derjenige, der auf die
Materie ausgerichtet ist und sich mit der Schlechtigkeit eingelassen
hat, erhält, wie ich sagte,Q36) den Samen seines Denkens von
den Dämonen, die anderen, die das Gute in sich tragen und sich
am wesenhaften Sein orientieren,235 finden durch Gott ihr Heil. Denn
Gott, der Schöpfer von allem, macht in seinem Schaffen alles
sich selbst ähnlich; obwohl es aber (alles) so geschaffen
worden ist, daß es gut ist, wird es, seinen eigenen
Kräften überlassen, unterschiedlich.239 Denn die
kosmische Bewegung läßt es zu Reibungen240 kommen
und beeinflußt dadurch den Zustand der Schöpfungen
in bald dieser, bald jener Weise: die einen verdirbt sie durch die
Schlechtigkeit, die anderen reinigt sie durch das Gute. Denn auch der
Kosmos, Asklepios, hat
seine eigene [Seite 88] Wahrnehmung und sein eigenes Denken, nicht so
wie
beim Menschen auch nicht so vielfältig, sondern anders,
nämlich stärker und einfacher.
6. Das Wahrnehmen und das Denken des Kosmos bilden eine Einheit,
nämlich alles zu schaffen und alles wieder
zurückzubilden und in sich aufzunehmen,241 ein Werkzeug des
göttlichen Willens und wirklich als Werkzeug geschaffen, damit
er (der Kosmos) alle Samen, nachdem er sie von Gott empfangen hat, bei
sich bewahrt und alles in sich mit seiner Kraft entstehen
läßt und alles auflöst und wieder erneuert,
und deshalb läßt242 er allem, was243
aufgelöst worden ist, wie ein guter,Gärtner' des
Lebens durch den Wechsel im Zuge seiner Bewegung die Erneuerung zuteil
werden. (Nichts) gibt es, was er nicht lebendig macht, sondern durch
seine Bewegung belebt er alles und ist zugleich Ort und
Schöpfer des Lebens.
7. Die Körper stammen aus der Materie in unterschiedlicher
Weise. Denn sie bestehen teils aus Erde, teils aus Wasser, Luft und
Feuer. Alle sind sie
zusammengesetzt, die einen mehrfach, die anderen einfacher. Mehr
zusammengesetzt sind die schwereren, weniger die leichteren
Körper.244 [Seite 89]
Die Schnelligkeit seiner245 Bewegung bewirkt die Vielfalt in der
Beschaffenheit der Geschöpfe. Denn der (durch die Bewegung
entstehende) pneumatische Luftstrom, der ununterbrochen weht, bringt
den Körpern ihre Beschaffenheit mit einer einzigen
Ergänzung, nämlich der des Lebens. 8. Gott ist also
Vater des Kosmos, der Kosmos aber Vater von allem, was im Kosmos ist,
und der Kosmos ist Sohn Gottes; was aber im Kosmos ist stammt vom
Kosmos ab.
Und mit Recht heißt er Kosmos (Ordnung, Schmuck). Er
schmückt und
gestaltet nämlich alles mit der Vielfalt des Werdens, mit der
Kontinuität des Lebens, der Unerschöpflichkeit der
Kraft, der Schnelligkeit der zwangsläufigen
Abläufe, der Zusammensetzung der Elemente und mit der Ordnung
von allem
Werdenden. Dasselbe (Ordnung/Schmuck und Welt) dürfte also
notwendigerweise
und zu Recht Kosmos heißen.
Bei allen Lebewesen kommen Wahrnehmen und Denken von außen
und strömen (wie ein Luftstrom) ein aus246 dem umgebenden
(Raum); der Kosmos aber, der sie ein für allemal zugleich mit
seinem Werden empfangen hat, hat sie als Gabe von Gott. 9. Gott ist nun
nicht, wie einige glauben werden, ohne Wahrnehmung und ohne Denken. Sie
lästern nämlich aus
übermäßiger Ängstlichkeit vor dem
Göttlichen. Denn alles, was ist, Asklepios, das ist in Gott,
und es ist aus Gott entstanden und hängt von ihm ab: alles,
was durch Körper wirkt, alles, was durch das seelische Sein
bewegt, alles, was durch das Pneuma belebt, und alles, was das lote
aufnimmt, und das ist mit gutem Grund so. Oder vielmehr behaupte ich,
daß er es nicht in sich hat, sondern - ich sage die Wahrheit
- daß er selbst alles ist;
er nimmt es nicht von außen zu sich auf, sondern gibt es nach
außen
ab; und dies ist das [Seite 90] Wahrnehmen und Denken Gottes: alles
immer
zu bewegen; und es wird niemals eine Zeit geben, in der irgendetwas von
dem,
was ist, verloren geht. Wenn ich sage, von dem, was ist, meine ich: von
Gott.
Denn Gott umfaßt alles Seiende, und nichts ist
außerhalb von
ihm, und er ist nicht außerhalb von irgendetwas.
10. Das Gesagte dürfte dir, Asklepios, Wem du es begreifst,
als wahr erscheinen, aber als unglaubhaft wenn du nicht zur Erkenntnis
gelangst. Denn Begreifen bedeutet Überzeugtsein, Zweifeln aber
bedeutet Nicht-Begreifen. Denn das gesprochene Wort kann die Wahrheit
nicht erreichen, der Geist aber ist groß und kann, vom Wort
ein Stück weit geleitet, dann die Wahrheit247
erreichen. Und wenn er alles gut bedacht hat und feststellte,
daß es
mit dem, was das Wort vermittelte, übereinstimmt, ist er
überzeugt
und findet Ruhe in seiner sicheren Überzeugung. Wer das zuvor
Gesagte
durch Gottes Hilfe versteht, hält es für
glaubwürdig, wer
es aber nicht versteht, für unglaubhaft. Dies und soviel soll
man über
Denken und Wahrnehmen sagen."
10
Hermes Trismegistos:
Der Schlüssel [Seite 100]
1. Hermes: Das gestrige Gespräch, Asklepios, habe ich dir
gewidmet,
das heutige werde
ich gerechter Weise Tat widmen, weil es sich um einen Auszug aus den
,Allgemeinen
Lehren¦
(geniko+ l7goi)272 handelt, die ihm vorgetragen worden sind. [Seite
101]
Gott Vater hat
dieselbe Natur wie das Gute, Tat, oder viel mehr273 auch dieselbe
Wirkkraft.
Der Begriff
Natur schließt den des Wachsens ein,274 zwei Begriffe, die
sich auf
Veränderliches und
Bewegliches beziehen und auf das Unbewegliche, d. h. auf das
Göttliche
und Menschliche
von (all) dem, was nach Gottes eigenem Willen unbeweglich ist.275 An
anderer
Stelle aber
haben wir die Wirkkraft behandelt, soweit sie nämlich auch die
anderen
göttlichen und
menschlichen Gegebenheiten betrifft; all das muß man an
dieser Stelle
bedenken.
2. Seine Wirkkraft nun ist der Wille, und sein Wesen ist zu wollen,
daß
alles existiere. Was
ist nämlich Gott Vater und das Gute anderes, als das Sein von
allem,
was nicht mehr ist,
sondern das Vorhandensein selbst all dessen, was ist?276 Dies ist Gott,
dies
der Vater, dies
das Gute, mit keinem anderen vergleichbar.277 Denn der Kosmos und (in
ihm)
die Sonne ist
zwar auch seinerseits Vater (all) dessen, was Teil von ihm ist,275 aber
bei
ihm liegt vielleicht
nicht mehr in gleicher Weise [Seite 102] für die Lebewesen der
Ursprung
des Guten und auch
nicht der des Lebens. Wenn sich dies aber so verhält,
unterliegt der
Kosmos in jeder Weise
nun dem Zwang eines Willens, der auf das Gute zielt, ohne den nichts
sein
oder werden kann.
3. Ein Vater ist nur dann der Urheber seiner Kinder, was ihre Zeugung
und
ihren Unterhalt
angeht, wenn er durch die Sonne das Verlangen, Gutes zu wirken,
empfängt.
Das Gute
nämlich ist das schaffende Prinzip. Dies kann aber keinem
anderen innewohnen
außer jenem
allein, der nichts empfängt, aber will, daß alles
existiert. Ich
will nämlich nicht sagen, Tat:
dem, der schafft; denn wer schafft, läßt es in dem
langen Zeitraum,
in dem er bald schafft, bald
aber nicht schafft, fehlen an Qualität und Quantität;
bisweilen
nämlich schafft er Dinge mit
einer bestimmten Quantität und Qualität, bisweilen
aber deren Gegenteil.
Gott aber ist der
Vater und das Gute dadurch, daß alles ist.279 4. So
verhält sich
dies für den jenigen, der sehen
kann. Denn Gott will, daß es (das Gute) gibt, und es
existiert vor
allem durch sich selbst; denn
auch alle anderen Dinge existieren durch das Gute. 280 Eine
Eigentümlichkeit
des Guten ist
es nämlich, als das Gute erkannt zu werden, Tat." [Seite 103]
Tat: "Durch dich, Vater, wurden wir von einer guten und
wunderschönen
Vision erfüllt,
und beinahe wäre mein geistiges Auge von einem solchen Anblick
geblendet252
worden."
Hermes: "Nein, nicht so wie die Strahlen der Sonne in ihrer feurigen
Glut
blenden und das
Blinzeln der Augen bewirken wirkt auch die Schau des Guten. Im
Gegenteil,
sie erleuchtet
sogar nur in dem Maße, wie einer, wenn er dazu in der Lage
ist, das
Einströmen des geistigen
Glanzes ertragen kann. Denn es dringt stärker in uns ein, ist
aber unschädlich
und ganz voll
von Unsterblichkeit. 5. Diejenigen, die von seinem Anblick etwas mehr
aufnehmen
können,
trennen sich oft vom Körper wie im Schlaf und gelangen zu
einer Vision
von größter
Schönheit, wie es Uranos und Kronos, unsere Vorfahren,283
erlebt haben."
Tat: "Wenn es doch auch uns, Vater, so erginge."
Hermes: "Ja, mein Sohn. Jetzt sind wir aber noch zu schwach
für diese
Vision und haben
noch nicht die Kraft, die Augen unseres Geistes zu öffnen und
die unvergängliche,
unfaßbare
Schönheit jenes Guten zu schauen. Denn du wirst sie dann
schauen, wenn
du darüber nichts
sagen kannst. Denn ihre Erkenntnis ist göttliches Schweigen
und Untätigkeit
aller
Sinnesorgane. 6. Denn wer diese Schönheit erkennt, kann nichts
anderes
erkennen, und wer
dies schaut, kann nichts anderes sehen und nichts anderes
hören und
überhaupt kann er den
Körper nicht bewegen. Er vergißt alle
körperlichen Wahrnehmungen
und Bewegungen und ist
ohne jede Regung. Sie (die Schönheit des Guten) umstrahlt den
Geist
gänzlich, läßt die ganze
Seele wieder aufleuchten, zieht sie durch den Körper hinauf
und verwandelt
ihn (den inneren
Menschen) ganz in wahres Sein. Denn es ist unmöglich, mein
Sohn, [Seite
104] daß eine
Seele, solange sie im Körper des Menschen weilt, (die)
Schönheit
des Guten schaut und
vergottet wird."
7. Tat: "Was meinst du mit Vergottung, Vater?"
Hermes: "Jede abgetrennte Seele, mein Sohn, unterliegt
Veränderungen.
Tat: "Was meinst du nun wieder mit ,abgetrennter Seele¦?"
Hermes: "Hast284 du nicht in den ,Allgemeinen Lehren¦
gehört,
daß von der einen All
Seele alle Seelen hier abstammen und sich im ganzen Kosmos hin und her
bewegen,285
gleichsam von ihr abgetrennt? Für diese Seelen nun gibt es
viele Veränderungen,
für die einen
zum Besseren, für die anderen zum Gegenteil. Die einen, die in
Kriechtieren
wohnen,
wechseln in die Kör per von Wassertieren, die der Wassertiere
in Körper
von Landtieren, die
der Landtiere in Körper von Vögeln, die der
Vögel in Körper
von Menschen, und die
Menschenseelen sind die ersten, die die Möglichkeit haben,
unsterblich
zu werden, wenn sie
in Körper von Dämonen wechseln und dann auf diese
Weise in den
Chor der Götter gelangen.
Es gibt zwei Chöre der Götter, einen der Planeten,
den anderen
der Fixsterne. 8. Und dies ist
der größte Ruhm und Glanz für eine Seele.
Eine Seele aber,
die in Menschen eingegangen ist,
kostet, wenn sie schlecht bleibt, weder die Unsterblichkeit, noch
erhält
sie am Guten
Anteil;286 zurück gestoßen kehrt sie auf ihrem Weg
zu den Kriechtieren
zurück, und das ist
die Strafe für eine schlechte Seele.
Die Schlechtigkeit der Seele ist ihre Unwissenheit. Denn eine Seele,
die
nichts von dem,
was ist, nicht dessen Natur und auch nicht das Gute erkennt, sondern
blind
ist, läßt sich durch
die [Seite 105] körperlichen Affekte erschüttern, und
die unselige,
die sich selbst nicht kennt,
ist Sklavin von unheilvollen und nichtswürdigen
Körpern, wobei
sie ihren Körper wie eine
Last trägt und nicht herrscht, sondern beherrscht wird. Dies
ist die
Schlechtigkeit der Seele.
9. Im Gegensatz dazu liegt die moralische Vollkommenheit der Seele in
der
Erkenntnis.
Denn wer erkennt, ist gut, fromm und bereits göttlich." Tat:
"Wer ist
das, Vater?" Hermes:
"Derjenige, der nicht vieles redet und nicht vieles hört. Wer
mit Rede
und Gegenrede seine
Zeit zubringt und allem sein Ohr leiht, mein Sohn, kämpft mit
Schatten.
Denn Gott-Vater und
das Gute sind weder Gegenstand des Redens noch des Hörens.
Obwohl sich
dies so verhält,
verfügen alle Wesen über Sinneswahrnehmungen, weil
sie ohne sie
nicht existieren
können.287 Erkenntnis unterscheidet sich aber von Wahrnehmung
beträchtlich.
Denn die
Wahrnehmung bezieht sich auf etwas, das von außen
Einfluß auf
uns nimmt, Erkenntnis ist
dagegen die Vollendung des Wissens, und Wissen ist ein Geschenk Gottes.
10.
Denn jedes
Wissen ist unkörperlich, es belmtzt allein den Geist als
Werkzeug, der
Geist aber den Körper.
Beides also, das Geistige und das Materielle, geht in den
Körper ein.
Denn aus Widerstreit und
Gegensatz muß alles bestehen; und anders kann es nicht sein."
Tat: "Wer ist nun dieser materielle Gott?"
Hermes: "Der schöne Kosmos; aber er ist nicht gut; denn er ist
materiell
und unterliegt
leicht Einwirkungen von außen und ist der erste von allem,
was veränderlich
ist, der zweite
aber vom Seienden, und er ist nicht in sich vollkommen. Und er255 ist
zwar
[Seite 106]
einst259 geworden, ist aber immer existent, und zwar existent im Werden
und
immer im
Prozeß des Werdens; es ist das Werden von Qualitäten
und Quantitäten;
denn er ist in
Bewegung; denn alle Bewegung der Materie ist Werden.
11. Die Unbewegtheit des Geistigen verursacht die Bewegung der Materie
in
folgender
Weise.290 Die Welt ist eine Kugel, d. h. ein Kopf - über dem
Kopf ist
nichts Materielles, wie
auch unter den Füßen nichts Geistiges ist, sondern
alles materiell,
und der Geist ist der Kopf
291 -, und sie wird kugelförmig bewegt, das heißt
nach Art eines
Kopfes; was nun durch die
Haut dieses Kopfes, (in dem) die Seele ist, zu einer Einheit wird, ist
unsterblich,
wie wenn in
der Seele ein Körper geschaffen ist, und hat mehr Seele als
Körper;
was sich aber jenseits der
Haut befindet, ist sterblich und hat mehr Körper als Seele;
jedes Lebewesen,
wie eben auch
das All, besteht aus Materiellem und Geistigem.
12.292 Und der Kosmos steht an erster Stelle, der Mensch ist das zweite
Lebewesen
nach
dem Kosmos, das erste aber unter den sterblichen Wesen, er hat das
Beseeltsein
wie die
anderen Lebewesen; er ist aber nicht mehr nur nicht gut, sondern auch
schlecht,
weil er
sterblich ist. Der Kosmos ist nämlich nicht gut, weil er
bewegt ist,
aber er ist nicht schlecht,
weil er unsterblich ist; der Mensch aber, weil er bewegt und weil er
sterblich
ist, ist schlecht.
[Seite 107]
13. Die Seele des Menschen hat auf folgende Art und Weise ein
,Gefährt¦:293
der Geist im
vernünftigen Seelenteil (Logos), der vernünftige
Seelenteil in
der (übrigen) Seele, die Seele
im Pneuma das Pneuma durchdringt das Blut der Venen und Arterien und
bewegt
so das
Lebewesen und trägt es gleichsam in gewisser Weise. Deswegen
glauben
auch einige, daß die
Seele das Blut sei und unterliegen damit einem Irrtum, was deren Natur
angeht
weil sie nicht
wissen, daß zuerst das Pneuma in die Seele
zurückkehren muß
- das Blut wird dann fest und
die Venen und Arterien leer - und daß es dann das Lebewesen
zugrunde
gehen läßt;294 und
das ist der Tod des Körpers.
14. Von einem einzigen Anfang hängt das All ab, der Anfang
aber hängt
vom Einen und
Einzigen ab, und der Anfang bewegt sich, damit er wieder zum Anfang
wird,
das Eine und
Einzige aber steht fest und bewegt sich nicht. Ferner nun gibt es diese
drei:
(erstens)
Gott-Vater und das Gute, (zweitens) den Kosmos und (drittens) den
Menschen.
Und Gott
umfaßt den Kosmos, der Kosmos den Menschen. Und der Kosmos
entsteht
als Sohn Gottes,
der Mensch als Sohn des Kosmos, gleichsam ein Enkelsohn.
15. Gott ist nicht in Unkenntnis über den Menschen, sondern er
kennt
ihn durchaus und
will erkannt werden. Das allein bedeutet für den Menschen
Heil, die
Erkenntnis Gottes. Das
ist der Aufstieg zum Olymp. Allein295 auf diese Weise ist die Seele gut
und
niemals wird eine
Seele gut,296 sondern nur schlecht; das geschieht zwangsläufig
so."
[Seite 108]
Tat: "Wie meinst du das, Trismegistos?"
Hermes: "Betrachte die Seele eines Kindes, mein Sohn, für sich
genommen,
wenn sie ihre
Trennung noch nicht erfahren hat und der Körper, in dem sie
weilt, noch
klein an Masse297
und noch nicht ganz ausgewachsen ist, wie schön sie in jeder
Hinsicht
anzusehen ist, noch
nicht beeinträchtigt von den körperlichen Affekten,
da sie beinahe
noch an der Weltseele
hängt. Wenn der Körper aber gewachsen ist und in
seiner Größe
und Schwere die Seele zu
sich hinabgezogen hat, löst sie sich, läßt
Vergessen entstehen
und hat keinen Anteil am
Schönen und Guten. Das Vergessen aber wird zur Schlechtigkeit.
16. Dasselbe geschieht auch mit denen, die aus dem Körper
heraustreten:
298 die Seele
nämlich kehrt zu sich selbst zurück - das Pneuma
befindet sich
im Blut und die Seele im
Pneuma ,299 der Geist aber, der von Natur aus göttlich ist,
durchstreift
jeden Raum, nachdem
er, frei geworden von seinen Umhüllungen, einen feurigen
Körper
angenommen und die Seele
dem Gericht und ihrem verdienten Urteil überlassen hat."
[Seite 109]
Tat:300 "Wie meinst du das, Vater? Der Geist trennt sich von der Seele
und
die Seele von
ihrem Pneuma, wenn du doch sagtest, die Seele sei Hülle des
Geistes
und das Pneuma Hülle
des Seele?"
17. Hermes: "Wer zuhört, mein Sohn, muß mit Geist
und Seele30¦
den Worten des
Redenden folgen und muß schneller und besser mit seinem
Gehör
erfassen, als der Redende
spricht. Die Verbindung (des Geistes) mit diesen Umhüllungen,
mein Sohn
erfolgt im
irdisch-vergänglichen Körper. Denn es ist
unmöglich, daß
der Geist sich in einem
vergänglichen Körper nackt für sich allein
niederläßt.
Denn weder kann der vergängliche
Körper eine so große Unsterblichkeit ertragen, noch
kann etwas,
was eine solche
Vollkommenheit verkörpert, es aushalten, daß mit ihm
ein Körper
in enge Berührung kommt,
der der ständigen Veränderung unterworfen ist. Also
nimmt er sich
wie einen Umhang die
Seele, und die Seele, die auch selbst göttlich ist, benutzt
das Pneuma
wie einen Diener. Das
Pneuma aber durchwaltet das Lebewesen.
18. Wenn sich der Geist nun von dem irdisch vergänglichen
Körper
getrennt hat, zieht er
sich sofort sein eigenes Gewand an, das feurige, mit dem er sich nicht
im
irdischen Körper
niederlassen konnte. Denn Erde erträgt kein Feuer. Sogar von
einem kleinen
Funken gerät sie
ganz in Brand, und deswegen ist die Erde vom Wasser umgeben wie von
einem
Schutzwall
und einer Mauer zur Abwehr der Feuersglut. Der Geist ist das schnellste
und
durchdringendste von allem, was Gott erdacht hat, und benutzt als
Körper
das schnellste und
durchdringendste aller Elemente, das Feuer. Der Geist ist der
Schöpfer
aller Dinge, und als
Werkzeug für seine Schöpfung benutzt er das Feuer.
Der Geist des
Alls [Seite 110] ist
Schöpfer aller Dinge; der menschliche Geist ist nur
Schöpfer der
Dinge auf Erden. Denn
entkleidet des Feuers, kann der im Menschen wohnende Geist nicht das
Göttliche
schaffen,
weil er durch seine Wohnung menschlich ist.
19. Die menschliche Seele, allerdings nicht jede, sondern nur die
fromme,
ist in gewisser
Weise von dämonischer und göttlicher Natur.302 Und
eine solche
Seele303 wird nach der
Trennung vom Körper ganz Geist, nachdem sie den Kampf um die
Frömmigkeit
bestanden
hat - der Kampf um die Frömlnigkeit besteht darin, das
Göttliche
zu erkennen und keinem
Menschen Unrecht zu tun. Die unfromme Seele aber bleibt auf ihr eigenes
Wesen
beschränkt,
wird durch sich selbst bestraft und sucht einen irdischen
Körper, in
den sie eingehen kann,
einen menschlichen allerdings. Denn ein anderer Körper kann
eine menschliche
Seele nicht
aufnehmen, und es verstieße gegen die göttliche
Ordnung, wenn
eine menschliche Seele in
den Körper eines vernunftlosen Lebewesens gerät. Es
besteht nämlich
das Gesetz Gottes, die
menschliche Seele vor einer solchen Schmach zu bewahren."
20. Tat: "Wie wird nun, Vater, die menschliche Seele bestraft?" Hermes:
"Welche
Strafe
für die menschliche Seele ist größer, mein
Sohn, als die
Gottlosigkeit? Welches Feuer hat eine
solche Glut wie die Gottlosigkeit? Welches bissige Tier gibt es, das
den
Körper so sehr
mißhandelt, wie die gottlose Seele sich selbst?304 Oder
siehst du nicht,
wie große Qualen die
gottlose Seele leidet, wenn sie laut schreit: ,Ich brenne, ich lodere;
was
soll ich sagen, was
tun? Ich weiß es nicht. Ich unselige werde verzehrt von den
Lastern,
die mich beherrschen. Ich
kann weder hören noch sehen.¦ Sind das nicht die
Schreie einer
Seele, die bestraft wird? Oder
meinst auch du, mein Sohn, wie es die meisten glauben, daß
[Seite 111]
die Seele, wenn sie
den Körper verlassen hat, zum Tier wird? Das ist ein sehr
grober Irrtum.305
21. Denn die
Seele wird auf folgende Weise bestraft. Es ist nämlich
festgesetzt,
daß der Geist, wenn er ein
Dämon wird, einen feurigen Körper erhält, um
damit Gott zu
dienen. Und er dringt in eine
ganz gottlose Seele ein und mißhandelt sie dann mit den
Peitschenhieben
ihrer Sünden.306
Und unter der Wirkung dieser Schläge wendet sich die gottlose
Seele
zu Morden, Freveltaten,
Lästerungen und vielfachen Gewalttaten, durch die den Menschen
Unrecht
geschieht. Wenn
der Geist aber in eine fromme Seele kommt, führt er sie zum
Licht der
Erkenntnis. Eine solche
Seele wird niemals müde, Gott mit frommen Worten zu preisen
(und)307
allen Menschen in
Werk und Wort in allem Gutes zu tun, weil sie ihren Vater nachahmen
will.
22. Deshalb, mein
Sohn, muß man Gott danken und ihn um den guten Geist bitten.
Die Seele kann also in eine höhere Stufe übergehen,
nicht aber
in eine niedrigere. Es308
besteht aber eine Verwandtschaft der Seelen; und zwar sind die Seelen
der
Götter mit denen
der Menschen verwandt und die der Menschen mit denen der vernunftlosen
Lebewesen.
Die
Höherstehenden kümmern sich um die Niedrigeren, die
Götter
um die Menschen, die
Menschen um die vernunftlosen Lebewesen, Gott um alle. Denn er steht
über
allem, und alles
ist ihm unterstellt.309 Der Kosmos ist also Gott untergeordnet, der
Mensch
dem Kosmos, die
vernunftlosen [Seite 112] Lebewesen dem Menschen. Gott ist
über allem
und um alles. Die
Wirkkräfte sind gleichsam Strahlen Gottes, die
Naturkräfte die
Strahlen des Kosmos und die
Künste und Wissenschaften die der Menschen.3·0 Und
die (göttlichen)
Kräfte wirken überall
im Kosmos, auch auf den Menschen mittels der in den
Naturkräften wohnenden
Strahlen des
Kosmos, die Naturkräfte wirken durch die Elemente, die
Menschen durch
die Künste und
Wissenschaf ten.
23. Und dies ist die Ordnung und Lenkung des Alls, abhängig
von der
Natur des Einen und
durch den einen Geist überall zugegen. Nichts311 ist
göttlicher
und hat größere Wirkkräfte
und nichts ist geeigneter, die Menschen mit den Göttern und
die Götter
mit den Menschen zu
vereinen. Er ist der ,Gute Dämon¦
(êAgaj/' Da[mwn).312
Selig ist die Seele, die von ihm
vollkommen erfüllt ist, unselig diejenige, die ganz leer von
ihm ist."
Tat: Wie meinst du das wieder, Vater?"
Hermes: "Du glaubst also, mein Sohn, daß jede Seele den guten
Geist
besitzt? Denn von
diesem handelt unser Gespräch jetzt, nicht von dem, der
dienende Funktion
hat, über den wir
vorher313 geredet haben, der von der,Gerechtigkeit¦ (D[kh)
herabgesandt
wurde. 24. Denn
eine Seele ohne Geist ,kann weder etwas sagen noch tun¦.314
Oft nämlich
verläßt der Geist die
Seele und in jener Zeit kann die Seele weder sehen noch hören,
sondern
gleicht einem
unvernünftigen Lebewesen. So groß ist die Kraft des
[Seite 113]
Geistes. Aber auch eine
schwerfällige und stumpfe Seele erträgt er nicht,
sondern verläßt
eine Seele von solcher Art,
weil sie ganz ihrem Körper ergeben ist und von ihm nach unten
gedrückt
wird.315 Eine solche
Seele hat keinen Geist, mein Sohn. Daher darf man einen solchen auch
nicht
,Mensch¦ nennen.
Denn der Mensch ist ein göttliches Lebewesen und
läßt sich
auch nicht mit den anderen
Lebewesen vergleichen, die auf der Erde Ieben, sondern nur mit denen
oben
im Himmel, die
Götter genannt werden. Oder vielmehr, wenn man es wagen darf,
die Wahrheit
zu sagen: der
Mensch, der wirklich Mensch ist, steht sogar über jenen, oder
sie gleichen
sich in geradezu
jeder Beziehung an Kraft.
25. Denn keiner der himmlischen Götter wird den Bereich des
Himmels
verlassen und zur
Erde hinabsteigen, der Mensch aber steigt zum Himmel hinauf, unternimmt
an
ihm seine
Messungen und316 weiß, welche Höhen und Tiefen es in
ihm gibt,
und alles andere erkundet
er genau; und das Großartigeste von allem: er
verläßt nicht
einmal die Erde, um nach oben zu
kommen. Von solchen Ausmaßen ist seine Reichweite. Deshalb
muß
man es auszusprechen
wagen, daß der irdische Mensch ein sterblicher Gott und der
Gott am
Himmel ein
unsterblicher Mensch ist. Deshalb existiert das All durch diese beiden,
durch
den Kosmos und
den Menschen; vom Einen aber stammt das All."
11
Gespräch des
Geistes mit Hermes [Seite 123]
CH XI 317 Inhalt:
1-4 Sentenzen über Gott - Aion - Kosmos - Zeit - Werden
5-6 Gott als Urheber von Leben, Unsterblichkeit und Wandel
6-8 Die Ordnung des Kosmos
9- 11 Die Einheit des Schöpfers
12-14 Gott schafft Leben in allen Bereichen des Kosmos
15 Die Lehre vom Tod
16-17 Gottes Gestalt und Form
I S-20 Gotteserkenntnis durch eine Allvision
21-22 Gottes Sichtbarkeit in der Schöpfung
1. Geist: "Begreife nun meine Worte, Hermes Trismegistos, und behalte
das,
was ich sage,
im Gedächtnis. Und ich werde nicht zögern, so zu
sprechen, wie
es mein Denken mir
eingibt.¦¦337
Hermes: "Nachdem viele Menschen vieles und das auch noch
widersprüchlich
über das All
und Gott gesagt haben und ich die Wahrheit nicht habe erfahren
können,
bringe du mir nun,
Herr,338 Klarheit darüber. Denn dir ganz allein und deiner
Offenbarung
darüber möchte ich
vertrauen."
2. Geist: "Höre, mein Sohn, wie es sich mit Gott und dem All
verhält.
Gott, der Aion,339
der Kosmos, die Zeit, das Werden.340 Gott schafft den Aion, der Aion
den
Kosmos der
Kosmos die Zeit, die Zeit das Werden. Im Guten, Schönen, in
der Glückseligkeit
und341 der
Weisheit liegt gewissermaßen das Sein Gottes. Das Sein des
Aion ist
die [Seite 124]
Identität, das des Kosmos die Ordnung, das der Zeit die
Veränderung,
das des Werdens
Leben und Tod. Das Wirken Gottes äußert sich in
Geist und Seele,
das des Aion in
Beständigkeit und Unsterblichkeit, das des Kosmos in der
periodischen
Folge von
Untergang und Erneuerung,342 das der Zeit in Wachstum und Verfall; das
des
Werdens in
Qualität (und Quantität).343 Der Aion nun ist in
Gott, der Kosmos
im Aion, die Zeit im
Kosmos, das Werden in der Zeit. Und der Aion ruht um Gott, der Kosmos
bewegt
sich im
Aion, die Zeit durchläuft ihre Bahn im Kosmos, das Werden
vollzieht
sich in der Zeit.
3. Quelle von allem ist Gott, der Aion ist das wesenhafte Sein, der
Kosmos
ist die Materie.
Gottes (ausstrahlende) Kraft ist der Aion, das Werk des Aion ist der
Kosmos,
der niemals
geworden ist, aber durch den Aion immer im Werden ist. Deswegen wird er
auch
niemals
vergehen - denn der Aion ist unvergänglich -, und nichts im
Kosmos wird
zugrunde gehen,
weil der Kosmos vom Aion umfangen wird."
Hermes: "Was bedeutet die Weisheit Gottes?"344 [Seite 125]
Geist: "Das Gute und das Schöne, Glückseligkeit und
die gesamte
Vollkommenheit und
der Aion. Der Aion schafft also die kosmische Ordnung,345 indem er in
die
Materie
Unsterblichkeit und Beständigkeit bringt.
4. Denn das Werden jener (Materie) hängt vom Aion ab, wie auch
der Aion
von Gott. Das
Werden und die Zeit gibt es am Himmel und auf der Erde und sie sind von
doppelter
Natur:
am Himmel sind sie unveränderlich und unvergänglich,
auf der Erde
veränderlich und
vergänglich. Und die Seele des Aion ist Gott, die Seele des
Kosmos ist
der Aion, die Seele der
Erde ist der Himmel. Und Gott ist im Geist, der Geist in der Seele, die
Seele
in der Materie.
Alles dies ist so durch den Aion. Dieses All ist ein Körper,
in dem
sich alle Körper befinden,
die Seele, voll346 von Geist und von Gott, füllt das All von
innen her
aus und umgreift es von
außen, wobei sie das All belebt, und zwar von außen
dieses große
und vollkommene
Lebewesen, den Kosmos, innerhalb von ihm aber alle Lebewesen, und sie
verharrt
oben am
Himmel in ihrer Identität, unten aber auf der Erde
verändert sie
das Werden.
5. Der Aion hält diesen Kosmos zusammen, sei es durch
Notwendigkeit
(anankä) sei es
durch Vorsehung (Pronoia), sei es aufgrund der Natur oder was sonst man
glaubt
oder
glauben wird. Dies alles ist Gott in seinem Wirken,347 und die
Wirksamkeit
Gottes, die eine
Kraft ist,345 ist unübertrefflich, mit der man [Seite 126]
weder Menschliches
noch Göttliches
vergleichen kann. Deswegen, Hermes, halte niemals etwas hier unten und
dort
oben für
gottähnlich; denn dann wirst du die Wahrheit verlassen. Nichts
ist nämlich
ähnlich dem
Unähnlichen, dem Alleinigen und dem Einen. Und glaube nicht,
daß
er in seiner Kraft hinter
einem anderen zurücksteht. Wen gibt es denn nach ihm als
Schöpfer
von Leben,
Unsterblichkeit (und) Wandel? Ist er es nicht selbst, der schafft?349
Gott
ist nämlich nicht
untätig, denn sonst wäre alles untätig.
Alles ist in derTat
voll von Gott. Nein, auch im Kosmos
gibt es nirgendwo Untätigkeit und auch nirgendwo anders.
Untätigkeit
ist ein Wort ohne Sinn,
sowohl im Hinblick auf den Schaffenden als auch auf das Werdende. 6.
Alles
muß werden,
immer und auch entsprechend seiner Bedeutung350 für jeden
einzelnen
Ort. Denn der
Schöpfer ist in allem, und nicht verweilt er an diesem oder
jenem Ort
und befaßt sich nicht mit
der Erschaffung von nur einer einzigen351 Sache, sondern er erschafft
alles.
Er ist [Seite 127]
eine wirkungsmächtige Kraft und gewinnt seine
Selbständigkeit nicht
durch das, was er
geschaffen hat, sondern das, was entsteht, ist von ihm
abhängig. Betrachte
durch mich352 den
Kosmos, wie er vor deinen Augen liegt, und begreife genau seine
Schönheit:
er ist ein
unversehrter Körper und nichts wird je älter sein als
er, und dennoch
steht er in allem in der
Blüte seiner Kraft, ist jung und blüht über
und über.
7. Sieh auch die (vor dir) liegenden sieben Welten,353 deren Ordnung in
ewig
gültiger
Weise geregelt ist und die in ihrem unterschiedlichen Lauf den Aion354
ausmachen;
alles
(Irdische) ist nun voller Licht, aber nirgendwo ist Feuer.355 Denn die
Liebe
und Vermischung
des Gegensätzlichen und Unähnlichen ist zu Licht
geworden, das
von oben seine Leuchtkraft
bekommt von der Wirkkraft Gottes, des Erzeugers von allem Guten und
aller
Ordnung356 der
sieben Welten. Sieh den Mond, der all jenen (Welten) vorauseilt,357 das
Werkzeug
der Natur,
der die Materie [Seite 128] unten verändert. Und sieh die
Erde, die
Mitte des Alls, die als
Fundament des schönen Kosmos daliegt, die Ernährerin
und Amme der
irdischen Wesen.
Betrachte, wie groß die Menge der unsterblichen und auch der
sterblichen
Lebewesen ist und
wie der Mond in der Mitte von beiden, nämlich der
unsterblichen und
sterblichen Wesen,
seine Kreisbahn zieht.
8. Alle Lebewesen sind aber erfüllt von Seele, und alle sind
in Bewegung,
die einen am
Himmel, die anderen auf der Erde, und zwar bewegen sich die Lebewesen
rechts
nicht nach
links und die Lebewesen links nicht nach rechts und auch nicht die oben
nach
unten und die
unten nach oben. Und daß sie alle geworden sind, teuerster
Hermes,
brauchst du von mir nicht
mehr zu erfahren. Denn sie sind Körper und haben Seele und
bewegen sich.
Unmöglich aber
ist es, daß sie zu einer Einheit zusammenkommen355 ohne den,
der sie
zusammenführt.
Diesen muß es geben, und auf jeden Fall muß er ein
einziger sein.
9. Denn weil die Bewegungen unterschiedlich und von
größer Zahl
sind und die Körper
nicht gleich sind, aber dennoch ein einziges Gefüge der
Geschwindigkeiten359
für alle
festgesetzt ist, kann es unmöglich zwei oder gar mehrere
Schöpfer
geben. Denn unter der
Leitung vieler kann eine einzige Ordnung nicht eingehalten werden. Denn
wo
es viele gibt, ist
Eifersucht auf den Stärkeren die Folge. Und ich sage dir: Auch
wenn
der Schöpfer der
veränderlichen und sterblichen Lebewesen ein anderer
wäre, hätte
er das Verlangen gehabt,
auch unsterbliche zu schaffen, wie auch der Schöpfer der
unsterblichen
Wesen das Verlangen
hatte, sterbliche zu schaffen. Nun nimm [Seite 129] aber an,360 es
gäbe
wirklich zwei, aber
nur eine Materie und eine Seele, bei wem von ihnen befänden
sich dann
die Mittel361 für die
Schöpfung? Wenn aber bei beiden, bei wem wäre der
größere
Teil?
10. Denke es dir dagegen so, daß jeder lebende
Körper aus Materie
und Seele
zusammengesetzt ist, sowohl der eines unsterblichen als auch der eines
sterblichen
und auch
der eines vernunftlosen Wesens.362 Denn alle lebenden Körper
sind beseelt,
wenn sie aber
nicht leben, ist die Materie wiederum für sich und die Seele
in gleicher
Weise für sich, wobei
sie als Urheberin des Lebens beim Schöpfer verweilt. Urheber
aber des
gesamten363 Lebens
ist der Urheber der Unsterblichen. Inwiefern sind also die sterblichen
Lebewesen
anders als
die unsterblichen?364 Warum darf derjenige, der das Unsterbliche und
Unsterblichkeit
schafft, nicht ein sterbliches Lebewesen schaffen?365
11. Und daß irgendeiner existiert, der die Lebewesen
erschafft, ist
[Seite 130]
offensichtlich, daß er aber auch ein einziger ist, ist
vollkommen klar;
denn es gibt auch (nur)
eine einzige Seele, ein einziges Leben und eine einzige Materie. Wer
ist
dies? Wer sonst sollte
es sein, wenn nicht der eine einzige Gott? Welchem anderen
käme es wohl
zu, beseelte
Lebewesen zu schaffen, wenn nicht Gott allein? Gott ist also ein
einziger.
Es ist vollkommen
lächerlich:366 Du hast zugestanden, daß der Kosmos
immer (einer)367
ist und die Sonne eine
einzige, der Mond ein einziger und auch die göttliche
Wirkkraft eine
einzige ist, unter
wieviele (seinesgleichen) willst du dann Gott selbst einreihen? 12. Er
allein
schafft also alles.
Der Gipfel des Lächerlichen ist folgendes:(366) Wie368 sollte
es denn
für Gott etwas (zu)
Großes sein, Leben und Seele und Unsterblichkeit und
Veränderung
zu erschaffen, wo auch
du so vieles tust? Denn du siehst, sprichst, hörst, riechst,
tastest,
bewegst dich fort, denkst und
atmest, und es ist nicht ein anderer, der sieht, ein an derer, der
hört,
spricht, tastet, riecht, sich
fortbewegt, denkt, und ein anderer, der atmet, sondern ein einziger ist
es,
der dies alles tut.
Aber auch jene Tätigheiten sind nicht ohne Gott zu denken.
[Seite 131]
Wie du nämlich kein Lebewesen mehr bist wenn du damit
aufhörst,
so ist - man darf es gar
nicht ausprechen - Gott nicht mehr Gott, wenn er aufhört,
jenes zu erschaffen.
13. Wenn nun bewiesen ist, daß (du nicht)369 existierst, wenn
du nichts
vermagst, um
wieviel mehr gilt das für Gott! Wenn es nämlich etwas
gibt, was
er nicht erschafft - man darf
es gar nicht aussprechen - ist er unvollkommen; wenn er aber einerseits
nicht
untätig,
andererseits aber vollkommen ist, erschafft er also alles. Wenn du dich
mir
noch eine kurze
Zeit anvertraust, Hermes, wirst du noch leichter begreifen,
daß Gottes
Werk ein einziges ist
damit alles wird, was im Werden ist oder was einmal geworden ist oder
was
werden wird.
Dies, mein Teuerster ist Leben, dies ist das Schöne, dies ist
das Gute,
dies ist Gott.
14. Wenn du es aber auch praktisch begreifen willst, dann sieh, was dir
geschieht
wenn du
zeugen willst. Jedoch ist es nicht dasselbe. Gott empfindet ja keine
Lust.
Er hat auch keinen
Partner. Alleinwirkend ist er, ist immer in Tätigkeit und ist
selbst,
was er erschafft. Würde das
von ihm getrennt, müßte nämlich alles
zwangsläufig in
sich zusammenfallen, und alles müßte
sterben, weil es dann kein Leben mehr gäbe. Wenn aber alles
lebendig
ist, und das Leben ein
einziges ist, dann ist Gott auch ein einziger. Und noch einmal: Wenn
alles
lebendig ist am
Himmel und auf der Erde und überall ein einziges Leben durch
Gott entsteht,
dann ist dies
Gott;370 alles entsteht also durch Gott, das Leben aber ist die
Verbindung371
[Seite 132] mit
Geist und Seele. Der Tod ist aber nicht die Vernichtung dessen, was
zusammengebracht
wurde, sondern lediglich die Trennung dieser Verbindung.
15.372 Man sagt, daß die Veränderung (deshalb) Tod
bedeute, weil
der Körper sich
auflöse, das Leben aber ins Unsichtbare verschwinde. Das, was
sich diesen
Worten zufolge
auflöst, mein teuerster Hermes, und der Kosmos - so
hörst du es
in deiner religiösen
Ängstlichkeit (von anderen)-373 verändern sich nach
meiner Auffassung
(lediglich) deshalb,
weil täglich ein Teil von ihm unsichtbar wird, sich aber
niemals auflöst.
Und das ist es, was
mit dem Kosmos geschieht: Drehungen374 und Prozesse des Verschwindens.
Die
Drehung
bedeutet Umwendung,375 das Verschwinden aber Erneuerung.
16. Der Kosmos ist allgestaltig, wobei er nicht Formen
enthält, die
(von außen) in ihn
hineingelegt worden sind, sondern in sich verändert er sich
selbst.
Da nun der Kosmos
allgestaltig geschaffen ist, wie beschaffen dürfte dann [Seite
133]
sein Schöpfer sein? Doch
nicht ohne Gestalt! Wenn er aber auch selbst allgestaltig ist, dann
wird
er dem Kosmos gleich
sein. Und wenn er eine einzige Gestalt hat? In diesem Falle wird er dem
Kosmos
unterlegen
sein. Wie sollen wir ihn uns also vorstellen, damit wir den
Gedankengang
nicht in eine Aporie
führen? Denn was man über Gott denkt, darf nicht in
eine Aporie
führen. Er hat also eine
einzige (geistige) Form 38la) - wenn es denn eine Form von ihm gibt-,
die
nicht unserer
Sinneswahrnehmung unterliegt d. h.unkörperlich ist und alle
Formen durch
die Körper
sichtbar macht.
17. Und wundere dich nicht, daß es eine
unkörperliche Form gibt.
Denn sie ist wie die des
Wortes. Und auch auf den Bildern sieht man Berggipfel, die zwar steil
herausragen,
aber in
der Bildwirklichkeit vollkommen glatt und eben sind.376 Bedenke das
Gesagte;
es ist zwar
recht kühn, aber wahr. Wie der Mensch nämlich ohne
Leben nicht
leben kann, so kann auch
Gott nicht leben, ohne das Gute zu schaffen. Dies ist gleichsam das
Leben
und die Bewegung
Gottes: alles zu bewegen und zu beleben.
18. Manehe meiner Worte erfordern ein ganz besonderes Mit- und
Nackdenken;
so z. B.
versuche zu verstehen, was ich nun sagen will. Alles ist in Gott, nicht
als
ob es sich an einem
Ort377 befände - denn ein Ort ist auch ein Körper,
und zwar ein
unbewegter Körper, und alles,
was sich irgendwo befindet, hat keine Bewegung, es befindet sich
nämlich
in anderer Weise in
seiner unkörperlichen Vorstellungskraft. Erkenne den, der
alles umgreift,
und begreife, daß
nichts das Unkörperliche begrenzen [Seite 134] kann,
daß es nichts
gibt, was schneller ist und
mehr vermag. Das Unkörperliche ist von allem das Unbegrenzte,
das Schnellste
und das, was
am meisten vermag.
19. Und so versuche es auch von deiner eigenen Erfahrung her zu
verstehen:
Befiehl deiner
Seele nach Indien378 zu reisen, und schneller als dein Befehl wird sie
dort
sein. Befiehl ihr,
dann zum Ozean zu gehen, und so wird sie wiederum in Kürze
dort sein,
nicht als ob sie von
einem Ort zum anderen ginge, sondern als ob sie oängst) dort
wäre.
Befiehl ihr, auch in den
Himmel hinaufzufliegen, und sie wird keine Flügel
benötigen. Es
wird ihr aber auch nichts im
Wege sein, weder das Feuer der Sonne noch der Äther, nicht die
Umdrehung
(der Fixsterne),
nicht die Körper der anderen Sterne. Durch alles wird sie sich
einen
Weg bahnen und bis zum
äußersten Körper379 fliegen. Wenn du aber
auch ihn ganz aufreißen
wolltest und auch das
anschauen, was außerhalb ist wenn es überhaupt etwas
außerhalb
des Kosmos gibt dann steht
es dir frei.
20. Siehe, wie groß deine Kraft, wie groß deine
Schnelligkeit
ist. Und du sollst das können,
Gott aber nicht? Auf diese Weise also begreife, daß Gott
alles wie
Gegenstände seines
Denkens in sich hat: den Kosmos und sich selbst ganz und gar.380 Wenn
du
dich Gott nicht
gleichmachst, kannst du Gott nicht erkennen. Denn Gleiches kann nur
durch
Gleiches erkannt
werden. Vergrößere dich um eine
unermeßliche Größe,
lasse jede Körperlichkeit zurück,
erhebe dich über alle Zeit, werde zum Aion, und du wirst Gott
erkennen
können. Nimm an,
nichts sei dir unmöglich, und glaube, daß du
unsterblich bist
und alles begreifen kannst, jede
[Seite 135] Fertigkeit, jede Kenntnis, jeden Lebewesens Wesensart.
Werde
höher als jede
Höhe, niedriger als jede Tiefe, erfasse in dir alle
Sinneseindrücke
zugleich, die es von dem
Geschaffenen381 gibt: vom Feuer, vom Wasser, vom Trocknen, vom
Feuchten,
und denke,
überall zugleich zu sein: auf der Erde, im Meer, im Himmel,
vor der
Geburt, im Mutterleib,
ein junger Mann, ein alter Mensch, tot und nach dem Tode; und wenn382
du
dies alles
zugleich denken kannst: Zeiten, Räume, Dinge,
Qualitäten, Quantitäten,
kannst du Gott
erkennen.
21. Wenn du aber deine Seele im Körper einschließt
und sie demütigst
und sagst: ,Nichts
erkenne ich, nichts vermag ich; ich fürchte das Meer, ich kann
nicht
zum Himmel aufsteigen
ich weiß nicht, wer ich war, ich weiß nicht, wer
ich sein werde¦,353
was hast du dann mit Gott
zu schaffen? Nichts vom Schönen und Guten kannst du dann
erkennen, weil
du den Körper
liebst und schlecht bist. Denn vollkommene Schlechtigkeit ist es, das
Göttliche
nicht zu
erkennen. Aber es erkennen zu können, dies zu wollen und
darauf zu hoffen,
das ist ein
gerader Weg, der überall zum Guten führt384 und
leicht für
dich zu begehen ist. Überall wird
es dir begegnen, und überall wirst du es sehen, an einem Ort
und zu
einer Zeit, wo du es nicht
erwartest, im Wachen, im Schlaf, [Seite 136] zu Wasser, zu Lande,
nachts,
am Tage, wenn du
sprichst und wenn du schweigst. Denn nichts gibt es, was es nicht ist.
22. Und dann sagst du: ,Gott ist unsichtbar¦? Schweig und
versündige
dich nicht. Wer ist
denn sichtbarer als er? Aus eben diesem Grund hat er alles erschaffen
damit
du ihn durch alles
siehst. Dies ist das Gute Gottes, darin liegt seine Vollkommenheit
(2ret=)
daß er durch alles
sichtbar wird. Nichts ist nämlich unsichtbar, nicht einmal
etwas Unkörperliches.
Geist wird
sichtbar im Denken und Gott wird sichtbar im Schaffen.356 Soweit ist
dir
dies alles offenbart
worden, Trismegistos. Alles übrige begreife in gleicher Weise
für
dich allein, und du wirst
keiner Täuschung unterliegen.
12 Gespräch des Hermes Trismegistos mit Tat [Seite
146]
Über
den
(allen Wesen) gemeinsamen Geist (per+ koino« no«)
Inhalt
1-4Der Ursprung des Geistes und seine unterschiedlichen Wirkungen in
Mensch
und Tier
5- 7 Schicksal (heimarmenä)
und Geist
8-9Drei Worte des "Guten Dämon" über den Geist
10-11 Der Geist als ,Erleiden¦ (p1jo')
12-14 Geist und Logos (Denken und Sprache)
14-15 Die kosmische Ordnung und die zusammengesetzten Körper
15-18 Die Lebendigkeit des Kosmos und seiner Teile
19-20 Der Mensch als herausgehobenes Lebewesen
21-23 Die natürliche Gotteserkenntnis
[Seite 146]
1. Hermes: "Der Geist, Tat, stammt allein aus Gottes Wesen, wenn es
denn
ein Wesen
Gottes gibt. Und auch von welcher Beschaffenheit es ist, das411
weiß
er allein genau. Der
Geist ist also nicht abgetrennt von der Wesenhaftigkeit Gottes, sondern
breitet
sich gleichsam
(von ihr) aus412 wie das Sonnenlicht (von der Sonne). Und dieser Geist
ist
in den Menschen
Gott. Deswegen sind auch einige Menschen Götter, und ihr
Menschsein413
steht dem
Gottsein nahe. Der ,Gute Dämon¦ (êAgaj/'
Da[mwn), nannte
ja auch die Götter unsterbliche
(Menschen) und die Menschen sterbliche Götter. In den
unvernünftigen
Lebewesen dagegen
ist (der Geist)4¦5 der natürliche Instinkt. [Seite
147]
2. Wo nämlich Seele ist, dort ist auch Geist, ebenso wie dort
wo Leben
ist, auch Seele ist; in
den unvernünftigen Lebewesen aber ist die Seele Leben ohne
Geist. Der
Geist ist nämlich der
Wohltäter der menschlichen Seelen, denn er wirkt zum Guten hin
auf sie
ein; die
unvernünftigen Lebewesen unterstützt er durch den
natürlichen
Instinkt in jedem einzelnen,
den menschlichen (vom Körper beeinträchtigten) Seelen
aber wirkt
er entgegen. Denn jede
Seele wird, kaum ist sie im Körper, durch Kummer und Freude
verdorben.
Denn der Körper
ist zusammengesetzt, und wie Säfte brodeln in ihm Kummer und
Freude,
in die dann die Seele
völlig eintaucht.
3. All den Seelen nun, die der Geist leitet, läßt er
sein eigenes
Licht scheinen und wirkt
ihren Vorstellungen entgegen. Wie ein guter Arzt dem Körper,
der von
der Krankheit
befallen4l6 ist durch Brennen oder Schneiden Schmerz zufügt,
auf dieselbe
Weise fügt der
Geist der Seele Schmerz zu, indem er sie von den sinn lichen Freuden
zurückreißt,
wovon jede
Krankheit der Seele kommt. Eine große Krankheit der Seele ist
die Gottlosigkeit
und dann ihr
Scheinwissen,417 die alle (anderen) Übel nach sich ziehen und
nichts
Gutes. Indem also der
Geist ihr zuwiderhandelt, schafft er der Seele das Gute, wie auch der
Arzt
dem Körper die
Gesundheit.
4. Allen menschlichen Seelen, die den Geist nicht als Lenker besitzen,
geschieht
dasselbe
wie denen der unvernünftigen Lebewesen; er wird ihnen
nämlich Gehilfe,
gibt sie ihren
Begierden preis und läßt zu, daß sie von
der Heftigkeit
ihres Verlangens fortgerissen werden
und nach dem Unvernünftigen streben;418 und wie die
unvernünftigen
Lebewesen geraten
diese [Seite 148] Seelen in unvernünftige Leidenschaften und
hören
nicht auf, ohne Verstand
zu begehren und finden keine Sättigung ihrer Laster. Denn
Leidenschaften
(Jymo[) und
unvernünftige Begierden (5pijum[a) sind
übergroße Laster;
um sie ans Licht zu bringen und
zu bestrafen,4l9 dazu hat Gott das Gesetz aufgestellt."
5. Tat: "Hiermit, Vater, scheint die Lehre über das
Schicksal (heimarmenä)
wie sie sich
bisher mir ergeben hat, umgestoßen zu werden. Wenn es
nämlich
durch das Schicksal
unbedingt festgelegt ist, daß ein bestimmter Mensch Ehebruch
begeht
oder einen Tempel
ausraubt oder irgendeine andere Übeltat begeht, dann wird doch
eigentlich
derjenige bestraft,
der die Tat aus Schicksalszwang420 begangen hat." Hermes: "Alles ist
Werk
des Schicksals
(heimarmenä) mein Sohn, und es gibt nichts in der
körperlichen
Welt, nichts Gutes und nichts
Schlechtes, (was)421 ohne es geschehen kann. Durch das Schicksal ist
festgelegt,
daß auch
der, der das Gute tut, ihm unterliegt, und deswegen handelt er, damit
ihm
widerfährt, was ihm
widerfährt, weil er so gehandelt hat.422
6. Zum jetzigen Zeitpunkt423 soll aber nicht (die) Rede von
Schlechtigkeit
und Schicksal
sein. Darüber haben wir an anderer Stelle424 gesprochen. Jetzt
[Seite
149] handelt unser
Gespräch vom Geist, was er vermag und wie unterschiedlich er
wirkt,
bei den Menschen auf
die eine Weise, bei den unvernünftigen Lebewesen in ganz
anderer Weise.
Und noch einmal
sage ich, daß er in den anderen (den vernunftbegabten)425
Lebewesen
nicht (nur) wohltätig
wirkt, sondern unterschiedlich in allen, je nachdem in welchem
Maße
er den
leidenschaftlichen (t/ jumik7n) und begehrenden Seelenteil (t/
5pijumik7n)
unterdrückt;
und von diesen muß man die einen für
vernünftige, die anderen
für unvernünftige Menschen
halten. Alle Menschen unterliegen aber dem Schicksal und dem Werden und
der
(ständigen)
Veränderung; darin liegt nämlich Anfang und Ende des
Schicksals.
7. Und allen Menschen
widerfährt das, was vom Schicksal bestimmt ist; den
Vernünftigen,
die, wie wir sagten, der
Geist beherrscht, widerfährt es nicht in gleicher Weise wie
den anderen,
sondern befreit von
der Schlechtigkeit, erfahren sie es, ohne schlecht zu sein."
Tat: "Wie meinst du das wieder, Vater? Der Ehebrecher ist nicht
schlecht?
Der Mörder
nicht schlecht, und all die anderen?"426
Hermes: "Nein, so meine ich es nicht, sondern der Vernünftige,
mein
Sohn, unterliegt dem
Schicksal (heimarmenä) ohne Ehebruch begangen zu
haben, aber wie
wenn er ein Ehebrecher
wäre, und ohne gemordet zu haben, aber wie wenn er ein
Mörder wäre:427
es ist unmöglich,
dem zu entkommen, was die (ständige) [Seite 150]
Veränderung und
auch das Werden mit
sich bringen.428 Aber der Schlechtigkeit kann entkommen, wer den Geist
besitzt.
8. Ich habe auch den ,Guten Dämon¦
(êAgaj/' Da[mwn) deshalb
immer wieder sagen
hören - und wenn er es aufgeschrieben und herausgegeben
hätte,
hätte er dem
Menschengeschlecht großen Nutzen gebracht; jener
nämlich hat allein,
mein Sohn, in
Wahrheit als erstgeborener Gott das All geistig erfaßt und
göttliche
Worte ausgesprochen; ich
hörte ihn jedenfalls einmal sagen: ,AIles ist eins, und das
gilt besonders
für (die) geistigen
Körper. Wir leben durch die Kraft und das Wirken (Gottes),
nämlich
durch den Aion.¦429
Und: ,Gottes Geist ist gut, der430 ja auch seine Seele ist.¦
Weil
es sich nun so verhält, ist das
Geistige ohne räumliche Ausdehnung. Daher kann der Geist, da
er alles
beherrscht und Gottes
Seele ist, schaffen, was er will.
9. Du begreife es und bringe diese Lehre mit dem in Verbindung,
worüber
du mich vorher
befragt hast; ich meine: über das Schicksal
(heimarmenä)(heimarmenä)
(und) den Geist.431 Wenn du
nämlich deine streitsüchtigen Reden vollkommen
zurückstellst,
mein Sohn, wirst du finden,
daß der Geist, die Seele Gottes, wahrhaftig über
alles herrscht,
über das Schicksal, das Gesetz
und alles übrige. Und nichts ist ihm unmöglich, weder
die menschliche
Seele über das
Schicksal zu setzen, noch sie [Seite 151] unter das Schicksal zu
setzen,
was ja vorkommt,
wenn sie unbekümmert und fahrlässig lebt. Und soviel
soll nun über
die bedeutendsten
Aussprüche des ,Guten Dämon¦
(êAgaj/' Da[mwn) gesagt
sein."
Tat: "Und das geschah in göttlicher, wahrhaftiger und
nützlicher
Weise, Vater. 10. Jenes
mache mir aber noch deutlich. Du sagtest nämlich,
daß der Geist
in den unvernünftigen
Lebewesen als natürlicher Instinkt wirke und mit ihren Trieben
zusammenwirke.
Die Triebe
der unvernünftigen Lebewesen sind meiner Meinung nach ein
,Erleiden¦.432
Wenn aber nun
der Geist mit den Trieben zusammenwirkt433 und die Triebe ein
,Erleiden¦
sind, ist dann nicht
auch der Geist ein ,Erleiden¦, weil er mit dem, was ein
,Erleiden¦
ist, in Berührung gerät?"
Hermes: "Gut so, mein Sohn, zu Recht fragst du; ich muß dir
antworten.
11. Alles
Unkörperliche im Körper, mein Sohn, erfährt
ein,Erleiden¦
und ist im eigentlichen Sinne ein
,Erleiden¦.434 Denn jedes Bewegende ist
unkörperlich und jedes
Bewegte ist Körper, und die
Körper435 werden vom Geist bewegt. Bewegung ist aber ein
Vorgang des
,Erleidens¦: beides
,erleidet¦ etwas, sowohl das Bewegende als auch das Bewegte,
wobei
das eine Ursache ist, das
andere verursacht wird. Wenn der Geist sich aber vom [Seite 152]
Körper
befreit, entledigt er
sich auch des ,Erleidens¦. Eigentlich gibt es wohl nichts,
mein Sohn,
was nichts ,erleidet¦,
sondern alles erfährt ein,Erleiden¦. Es besteht
aber ein Unterschied
zwischen ,dem Erleiden¦
(des Subjekts) und dem, was (als Objekt) ein,Erleiden¦
erfährt.436
Das eine nämlich wirkt, das
andere ,erleidet¦ eine Einwirkung. Und das
Unkörperliche437 wirkt
sogar von sich selbst aus;
entweder ist es nämlich unbewegt oder es bewegt sich. In
beiden Fällen
liegt ein ,Erleiden¦
vor, die Körper438 aber sind immer das Objekt des Wirkens, und
deswegen
erfahren sie
ein,Erleiden¦. Laß dich nicht vom Wortgebrauch
verwirren. Das
Wirken und das ,Erleiden¦
meinen dasselbe. Aber den jeweils glücklicheren Ausdruck zu
wählen,
ist nicht von Schaden.¦¦
12. Tat: "Ganz klar und deutlich, Vater, hast du deine Antwort
gegeben."
Hermes: "Betrachte auch jenes, mein Sohn: Gott hat folgende zwei Dinge
dem
Menschen
im Gegensatz zu allen anderen sterblichen Lebewesen geschenkt, den
Geist
und den Logos,
beide gleich wertvoll für die Unsterblichkeit, den Logos aber,
der (als
gesprochenes Wort) aus
dem Inneren hervorgeht, besitzt er (von [Seite 153] sich aus).439 Wenn
ein
Mensch sie (Geist
und Logos) dazu benutzt, wozu man sie benutzen soll, wird sich bei ihm
kein
Unterschied zu
den Unsterblichen finden lassen. Vielmehr wird er nach Verlassen des
Körpers
von beiden
zum Chor der Götter und Glückseligen
geführt."
13. Tat: "Die anderen Lebewesen haben keine Sprache (Logos), mein
Vater?"
Hermes: "Nein, mein Sohn, sondern Laute. Sprache unterscheidet sich
sehr
von Lauten.
Sprache ist nämlich allen Menschen gemeinsam, die Laute sind
dagegen
jeder einzelnen
Tiergattung eigentümlich."
Tat: "Aber ist nicht auch, mein Vater, die Sprache der Menschen bei
jedem
Volk
verschieden?"
Hermes: Zwar verschieden, aber der Mensch ist ein und derselbe. So ist
auch
der Logos ein
und derselbe, und er wird übersetzt, und man entdeckt,
daß er
derselbe ist in Ägypten Persien
und in Griechenland.440 Du scheinst mir, mein Sohn, die Kraft und die
Größe
des Logos zu
verkennen. Der selige Gott, der ,Gute Dämon¦
(êAgaj/' Da[mwn),
behauptete, daß die Seele
im Körper, der Geist in der Seele, der Logos im Geist sei und
Gott der
Vater von diesen allen
sei. 14. Der Logos ist nun Abbild und Geist Gottes; der Körper
Abbild
der Idee und die Idee
Abbild der Seele. Der feinste Teil der Materie ist die Luft, der
feinste
Teil der Luft die Seele,
von der Seele aber der Geist und vom Geist Gott. Und Gott ist [Seite
154]
um alles und
durchdrillgt alles, der Geist aber ist um die Seele, die Seele um die
Luft,
die Luft aber um die
Materie.
Notwendigkeit (anankä) Vorsehung (Pronoia) und Natur wirken
als Werkzeuge
für
den Kosmos und die Ordnung der Materie.
Und jedes der geistigen Dinge ist Sein, und ihr Sein ist
Identität.
Jede der körperlichen
Substanzen442 im All aber ist eine Vielheit. Sie besitzen
nämlich als
zusammengesetzte
Körper443 Identität, und in der wechselseitigen
Veränderung
der einen Substanz in die andere
bewahren sie für alle Zeit die Unvergänglichkeit
ihrer Identität.
15. Bei all den anderen
zusammengesetzten Körpern hat jeder seine Zahl. Denn ohne Zahl
kann
es unmöglich ein
Gefüge, eine Zusamlnensetzung oder eine Auflösung
geben. Die ,Einheiten¦
lassen die Zahl
entstehen, vergrößern sie und nehmen sie, wieder
aufgelöst,
in sich auf; und (doch) bleibt die
Materie eine einzige. Dieser gesamte Kosmos, der große Gott
und Abbild
des größeren
Gottes, der durch jenen zu einer Einheit geworden ist und die Ordnung
und
den Willen des
Vaters bewahrt ist die Fülle des Lebens, und es gibt in ihm
während
eines gesamten Zeitalters,
das durch die vom Vater bestimmte Wiederherstellung aller Dinge
begrenzt
wird,444 nichts,
weder von dem Ganzen noch von einem seiner Teile, was nicht lebt. Denn
weder
gab es im
Kosmos etwas Totes noch gibt es dies oder wird es künftig
geben. Der
Vater [Seite 155]
wollte nämlich, daß der Kosmos ein Lebewesen sei,
solange er besteht.
Deswegen muß er
notwendigerweise auch ein Gott sein.
16. Wie könnte es denn, mein Sohn, in diesem Gott, in dem
Abbild des
Vaters,445 und in
der Fülle des Lebens Totes geben? Denn Totsein heißt
Verderben
und Verderben Untergang.
Wie kann ein Teil des Unvergänglichen vergehen oder ein Teil
Gottes
untergehen?"
Tat: "Sterben also nicht, mein Vater, die Lebewesen in ihm, die doch
Teile
von ihm sind?"
Hermes: "Schweig und versündige dich nicht, mein Sohn; du
läßt
dich durch den Begriff
des Werdens irreführen. Denn die Lebewesen sterben nicht, mein
Sohn,
sondern als
zusammengesetzte Körper lösen sie sich auf. Ihre
Auflösung
aber ist kein Tod, sondern die
Trennung einer Verbindung. Sie lösen sich aber nicht auf, um
zugrunde
zu gehen, sondern um
von neuem zu werden. Denn worin besteht die Kraft des Lebens? Nicht in
der
Bewegung?
Und was ist im Kosmos unbewegt? Nichts, mein Sohn!"
17. Tat: "Scheint dir die Erde nicht unbewegt zu sein?"
Hermes: "Nein, mein Sohn, sondern sie ist das einzige, was sowohl in
vielfacher
Weise
sich bewegt als auch (in sich) stillsteht. Wie lächerlich
wäre
es, wenn die Ernährerin aller
unbewegt wäre, sie, die alles erzeugt und gebiert. Denn ein
Erzeuger
kann unmöglich ohne
Bewegung etwas erzeugen. Höchst lächerlich ist es
aber, wenn du
fragst, ob der vierte Teil
(des Alls)446 untätig sei. Denn die Unbewegtheit eines
Körpers
bezeichnet nichts anderes als
Untätigkeit.
18. Wisse also ganz allgemein, mein Sohn, daß alles, was im
Kosmos
ist, sich bewegt,
entweder indem es abnimmt oder größer wird. Was sich
aber bewegt,
lebt auch, und [Seite
156] notwendigerweise kann ein Lebewesch nicht in jeder Hinsicht
dasselbe
bleiben. Denn
der gesamte Kosmos ist zusammengenommen unver änderlich, mein
Sohn,
aber alle seine
Teile sind veränderlich, und nichts ist vergänglich
oder geht zugrunde,
sondern der
Wortgebrauch verwirrt die Menschen. Denn nicht das Werden, sondern das
Bewußtsein
ist
Leben, nicht die Veränderung, sondern der Verlust des
Bewußtseins
ist Tod. Weil sich dies
nun so verhält, ist alles unsterblich: die Materie, das Pneuma
die Seele
und der Geist, aus
denen447 jedes Lebewesen besteht.
19. Jedes Lebewesen ist also durch ihn448 unsterblich. Von allen
Lebewesen
trifft das aber
am meisten für den Menschen zu, der sogar die
Möglichkeit hat,
Gott in sich aufzunehmen
und mit Gott in Verbindung zu treten. Denn Gott teilt sich allein
diesem
Lebewesen mit, in der
Nacht durch Träume und am Tag durch Vorzeichen, und durch
alles mögliche
sagt er ihm die
Zukunft voraus: durch Vogelzeichen durch Eingeweideschau durch ein
Pneuma,
durch eine
Eiche;449 deshalb behauptet auch der Mensch von sich, Vergangenes,
Gegenwärtiges
und
Zukünf tiges zu wissen.
20. Sieh aber auch jenes, mein Sohn: jedes Lebewesen befindet sich in
einem
einzigen Teil
des Kosmos. Die Wassertiere im Wasser, die Landtiere auf dem Land, die
Vögel
in der Luft,
der Mensch aber benutzt dies alles: das Land, das Wasser die Luft, das
Feuer.
Er sieht ja auch
zum Himmel auf und erreicht auch diesen mit seiner Wahrnehmung. [Seite
157]
Gott ist um
alles und durchdringt auch alles. Denn er ist Wirken und Kraft. Und es
ist
in keiner Weise
schwer, Gott zu erkennen, mein Sohn.
21. Wenn du ihn aber auch sinnlich erfassen willst, betrachte die
Ordnung
des Kosmos und
die Schönheit dieser Ordnung. Betrachte die Notwendigkeit
(anankä)
in der Welt der
(himmlischen) Erscheinungen und die Vorsehung (Pronoia) für
das Gewordene
und
Werdende. Betrachte die Materie, wie sie voll von Leben ist, (und) den
so
großen Gott,450
wie er in Bewegung ist mit allem Guten und Schönen (in ihm),
mit Göttern,
Dämonen und
Menschen."
Tat: "Aber das (alles) sind, mein Vater, (nur) Produkte des
göttlichen
Wirkens?"451
Hermes: "Wenn es nun insgesamt (nur) Produkte des göttlichen
Wirkens
sind, mein Sohn,
wer ist dann der Urheber dieses Wirkens? Ist es ein anderer als
Gott?452
Oder weißt du nicht,
daß so, wie Himmel, Wasser, Erde und Luft Teile des Kosmos
sind, auf
dieselbe Weise Leben
und Unsterblichkeit, Ewigkeit,453 Notwendigkeit, Vorsehung, Natur,
Seele
und Geist
Glieder (Gottes) sind454 und daß das dauernde Vorhandensein
von diesen
allen das [Seite
158] ist, was man das Gute nennt. Und es gibt nichts Werdendes oder
Gewordenes
mehr, wo
Gott nicht ist."
22. Tat: "Also ist er in der Materie, mein Vater?"
Hermes: "Ja, denn ist die Materie getrennt von Gott, welchen Platz
willst
du ihr dann
zuteilen? Was, glaubst du, ist sie dann anderes als ein Haufen, wenn
sie
nicht ein Einwirken
erfährt. Wenn sie aber ein Wirken erfährt, von wem?
Denn wir sagten
doch, daß die
Wirkungen Teile Gottes sind. Von wem wird alles Lebende also lebendig
gemacht?
Von wem
wird alles Unsterbliche unsterblich gemacht? Von wem wird alles
Veränderliche
verändert?
Magst du von Materie, Körper oder Sein sprechen, wisse,
daß auch
dies Wirkungen Gottes
sind.455 Die Wirkkraft, die die Materie entstehen
läßt, ist die
Materialität; die Wirkkraft, die
die Körper entstehen läßt, ist (die)
Körperhaftigkeit;
die Wirkkraft, die das Sein entstehen
läßt, ist die Seinshaftigkeit.456 Und dies ist Gott,
das All.
23. Im All ist nichts, was nicht Gott
ist. Daher gibt es bei Gott weder Größe noch Ort
noch Beschaffenheit
noch Form noch Zeit.
Denn er ist das All. Das All aber schließt alles ein und
umfaßt
alles. Diese Lehre verehre, mein
Sohn, und halte sie heilig. Nur einen einzigen Gottesdienst gibt es:
nicht
schlecht zu sein."457
13 Geheimes Gespräch des Hermes Trismegistos mit
seinem Sohn Tat
in der Wüste - Über
die Wiedergeburt und die Aufforderung zum Schweigen [S 159]
Inhalt:
1-6 Einleitung Hermes versucht, die Wiedergeburt zu erklären
6 Über Körperliches und Unkörperliches;
über Wahrheit
und Trug
7-9 Die Züchtigungen und die göttlichen
Kräfte; Tats Wiedergeburt
10-13 Tats All-Vision; Gebot der Geheimbaltung
11-12 Einschuh: Zehn Kräfte vertreiben zwölf Laster
14 Nachtrag: Der Wiedergeborene und die Vergänglichkeit
15-16 Einleitung der Wiedergeburtshymne
17-20 Die Wiedergeburtshymne
21 Tats Gebet
22 Schluß
[Seite 159]
Der dreizehnte Traktat zählt zu den interessantesten Schriften
im Corpus
Hermeticum.
In ihm wird Tat zur geistigen Wiedergeburt und Vergottung
geführt. CH
XIII besitzt viele
Ähnlichkeiten mit NHC VI, 6 und ist der einzige Traktat, der
sich explizit
auf CH I bezieht,
indem er den Namen Poimandres nennt und auf dessen eschatologischen
Ausblick
in CH I
26 anspielt. In der Forschung wird vor allem die Frage kontrovers
diskutiert,
ob der Text
ein Mysterium wiederspiegelt, das in einer hermetischen Gemeinde (wobei
zu
fragen bleibt,
ob es solche Gemeinden gab) rituell vollzogen wurde, oder ob er nur ein
sog.
"Lesemysterium" darstellt. [Seite 160]
Der Traktat gibt sich als Fortsetzung der,Allgemeinen
Lehren¦ (geniko+
l7goi), die wie
CH XIII selbst (so der Titel) in der Wüste vorgetragen wurden.
Auch
in NHC VI, 6
62,33-63,5 wird die Kenntnis der,Allgemeinen Lehren¦als
Vorstufe für
die Zeugung aus
Gott genannt. Von diesen Lehren besitzen wir durch CH X einen Auszug.
Dort
wird
tatsächlich in den Paragraphen 5-6 auf eine höhere
geistige Schau
hingewiesen, die im
Schweigen und unter Ausschaltung aller Sinnc stattfindet (in dem Auszug
fehlt
allerdings
ein Hinweis auf die Wiedergeburt und die in CH XIII genannte
dafür nötige
Voraussctzung, die Entfremdung von der Welt, wird nicht genannt.) In
den,Allgemeinen
Lehren¦ ist Tat noch nicht zu einer solchen geistigen
Erkenntnis fähig.
In CH X111
beteuert er; nun die nötigen Bedingungen zu erfüllen.
Er habe sich
der Welt entfremdet
und von ihrem Trug abgewandt und verlangt nun die Unterweisung in die
Wiedergeburtslehre (¦ 1).
Das Motiv der Fremdheit in der Welt wird bereits im ps.-platonischen
Axiochos
365 b
ausgesprochen, Mark Aurel hat ihm oft Ausdruck verliehen,459 und vor
allem
die
Gnostiker haben sich als Fremde in dieser Welt empfunden.460 Vom Trug
der
Welt spricht
auch der frühchristliche Diognet-Brief (X 7), vgl. Clem. Alex.
Strom.
II 10 (47,1). Im
gnostischen Evangelium Veritatis (NHC 1,3) ist der Irrtum (pl1nh)
Symbol
fur die
unerlöste und unwissende Welt (s. besonders 16,15ff:). Dieses
Lebensgefühl
bringt auch
der dreizehnte Traktat zum Ausdruck. In der körperlichen Welt
gibt es
aufgrund der
ständigen Veränderung keine Wahrheit (s. Iyr 6 und
vor allem Exc:
IIA 4 M. 10-13). Wer
zum Heil gelangen will, muß den Trug durchschauen und sich
innerlich
vom Sichtbaren
abwenden. Wenn der Autor hier auch im Gnostizismus vorkommende Motive
benutzt,
ist er
gleichwohl kein Gnostiker [Seite 161] (s. zu CH I S. 5); er preist Gott
als
den Schöpfer der
Welt uneingeschränkt (s. ¦ 17) und kennt keine
herabsteigende
Erlösungsfigur. 461
Hermes beginnt nun nicht wie in anderen Traktaten mit einem
Lehrvortrag,
sondern Tat
versucht, ihm durch Fragen das Geheimnis der Wiedergeburt zu entlocken.
Über
die Kürze
und Unverständlichkeit der Antworten ist Tat ungehalten und
betont,
daß er als Sohn ein
Recht auf die Unterweisung habe (s. auch ¦ 3). Tat fragt
nach dem
Mutterschoß, dem
Samen, dem Vater und dem wiedergeborencn Wesen. Der
Mutterschoß ist
nach Hermes¦
Ausführungen die Weisheit im Schweigen, der Same ist das Gute,
der Vater
der Wille
Gottes und der Wiedergeborene ist ein Gott und Gottes Kind (pa@'
jeo«)462
und besteht
aus allen (göttlichcn) Kräften. Die Geburt selbst
kann man nicht
wie einen
Unterrichtsgegenstand lehren, sondern sie vollzieht sich in der
Wiedererinnerung,
wenn
Gott es will (¦ 2).
Diese Antworten müssen auf den geistigen Prozeß der
menschlichen
Erkenntnis
bezogen werden. Die geistige Weisheit im Schweigen meint die Erkenntnis
des
göttlichen
Geistes, die nicht mehr in Worte zu fassen ist. Wer zur Erkenntnis
gelangt
ist, besitzt auch
vollkommene Tugend (2ret=) und ist wiedergeboren. Wie in CH I konnen
Denken
und
Moral nicht getrennt werden (s. S. 9). Die Wiedergeburt kann aber nur
stattfinden,
wenn
Gott es will. Dieser Aspekt ist dem Autor sehr wichtig. An zahlreichen
Stellen
weist er auf
Gottes Willen hin (¦ 2, 4, 13, 18, 19 u. 20) und betont
dessen Barmherzigkeit
(6leo', ¦ 3, 7,
8, 10) 463 Gott zu erkennen ist kein Werk des autarken Menschen,
sondern
göttliches [Seite
162] Geschenk. Dem Geschenk muß der Dank und Lobpreis folgen.
Das Geschenk
der
Erkenntnis bedeutet Wiedererinnerung an die wahre göttliche
Herkunft
des Menschen, die
er in seiner körperlichen Existenz vergessen hat.464 Der
Wiedergeborene
erkennt alle
göttlichen Kräfte, die im Kosmos wirken, und
trägt sie in
dieser Weisc in sich und wird
selbst zum All-Wesen (zur Allvision s. M. S. 166). Die Wiedergeburt ist
ein
Bild, mit dem der
geistige Prozeß der Gotteserkenntnis beschricbcn wird. Die
Weisheit
als Mutter, der Wille
Gottes als Vater und das Gute als der Same erklären sich von
dorther.
Hinweise auf einen
sakramentalen Vorgang lassen sich in diesem einleitendem Abschnitt
nicht
finden.
Im folgenden 3. Paragraphen versucht Hermes auf Tats
drängendes Nachfragen
den
Prozeß der Wiedergeburt näher zu beschreiben, wobei
er noch einmal
betont, daß dies
keine Sache einer lehrhaften Unterweisung sei (s. auch ¦
16). Angesichts
dieser Polemik
möchte man gegenüber FESTUGI+REs Annahme (1942,
77ff.) eines hermetischen
"Schulbetriebs" Zweifel anmelden. Hermes beschreibt eine geistige
Vision,
bei der das
"Ich" den Körper verläßt und in einen
unsterblichen Körper
eingeht. Durch die
Erkenntnis entsteht ein neues "Ich "der Wiedergeborene, der mit dem
körperlichen
Menschen nichts mehr zu tun hat (¦ 3). Tat ist verwirrt. Er
weiß
nicht mehr; welches sein
eigentliches "Ich" ist. Hermes sieht in dieser Verwirrung den ersten
Schritt
zur
Wiedergeburt. Er hofft, daß Tat seinen Körper in der
Ekstase verläßt
(er vergleicht dies mit
der Trennung der Seele vom Körper im Traum). Tat fragt nun,
wer die
Wiedergeburt
bewirkt. Der für diese Frage benutzte Terminus genesiourg7'
465 bezieht
sich auf den
Menschen, der es in seiner Erkenntnis zur Wiedergeburt kommen
laßt.
Sie betrifft den
inneren Menschen, der durch [Seite 163] Gottes Willen zum Kind Gottes
wird
(¦ 4). Die
Verwandlung in der Wiedergeburt ist dem Menschen allerdings nicht
anzusehen.
Tat muß
feststellen, daß sich Hermes in seinem
Äußeren überhaupt
nicht verändert hat. Aber auch
darin irrt er. Er muß erfahren, daß der menschliche
Körper
ein Truggebilde ist, das sich
ständig wandelt (¦ 5). Das Wahre ist das
Unkörperliche,
das ohne begrenzende Form,
Farbe und Veränderung ist, das Gute (eine sehr
ähnliche Beschreibung
des Wahren steht
in Exc. IIA 9 u. 15). Tat erkennt, daß seine
Wahrnehmungsorgane das
Unkörperliche nicht
erfassen können. Diese können die Eigenschaften der
vier Elemente,
z. B. Schwere und
Feuchtigkeit erfassen, nicht aber das, was diese körperlichen
Eigenschaften
nicht besitzt.
Das Göttliche ist allein durch seine Ausstrahlung und Wirkung
zu erkennen.
Wer diese
Erkenntnis besitzt, versteht auch, was Wiedergeburt meint (¦
6).
Tat ist etwas entmutigt. Aber Hermes fordert ihn auf, seine auf das
Körperliche
bezogenen Wahrnehmungen aufzugeben und in der Erkenntnis des
Göttlichen
wiedergeboren zu werden. Aus dem Aufruf "ziehe es zu dir" hat
FESTUGI+RE466
geschlossen, daß CH XIII in das Milieu von Theurgie und Magie
gehört.
Er zieht zum
Vergleich die sog. Mithrasliturgie (PGM I V 475 ff.) heran, in der es
ebenfalls
zur
Wiedergeburt und zeitweiligen Vergottung kommt (PGM I V 645 ff ). Nun
liegt
das Ziel
dieses Zauberrezepts keineswegs in der Wiedergeburt und Vergottung (das
Wort
paliggenes[a fehlt in den uns bekannten magisch-theurgischen Texten),
sondern
in
einem Orakel, das der Gott geben soll. Abgesehen von diesem
wesentlichen
Unterschied ist
der Zaubertext zudem von ganz anderer Art als der hermetische Traktat.
Neben
den
zahlreichen Zaubernamen und Formeln, die zu zitieren sind, stehen in
jenem
Text
Anweisungen, man möge laut brüllen, Amulette
küssen oder eine
Salbe herstellen. Die
erscheinenden Götter [Seite 164] werden als jung und
schön mit
weißem Gewand, roter
Chlamys und Goldhaar vorgestellt. Auch die sieben leibhaftig
erscheinenden
Schicksalsgöttinnen und Polherrscher haben in der Hermetik
keine Parallele.
Der
magische Text durfte keine Orientierungshilfe für das
Verständnis
von CH XIII bieten.
Tat muß nicht nur seine Wahrnehmungen ablegen, sondern auch
gereinigt
werdcn. Die
"Züchtigungen" (timwr[ai) der Materie müsscn
vertricben werden.
Der innere Mensch ((
5ndi1jeto' 3njrwpo'), das eigentlichc "Ich", bcfindct sich
nämlich im
Gefängnis des
Körpers und wird dort von den Lastern gezüchtigt.
Hermes nennt
eine Liste von zwölf
Affekten und Lastern mit der Unwissenheit am Anfang und der
Schlechtigkeit
am Ende
(¦37, zu derartigen Listen s. S. 65). Dieses Bild meint
nicht, daß
der innere Mcnsch vor
seiner hiesigen Existenz eine Art Sündenfall vollzogcn hat,
für
den er nun im Körper
bcstraft wird (der Traktat gibt keinen Hinweis für ein solches
Verständnis),
sondern der
Autor hat das platonische Bild, nach dem die Seele sich im Kerker des
Körpers
befindet (s.
das Vorwort zu CH VII, S. 73), erweitert durch das der strafenden
Laster;
die den inneren
Menschen quälen. Sie strafen ihn für seine Hingabe an
die körperlichen
Begierden, so daß
u ie in CH I 22f. und X 20 Lasterhaftigkeit und Strafe in eins
zusammenfallen
(s. auch S.
98). Befreit sich der Mensch von den körperlichen
Wahrnehmungen und
erkennt das
Unkörperliche und Wahre, dann verlassen ihn auch die von den
Wahrnehmungen
verursachten Affckte und Laster. So kann er im Geist wiedergeboren
werdcn.
An die Stcllc
der Laster treten die göttlichen Kräfte, die den
Menschen zum Logos
werden lassen (der
Logos als Gesamtheit der göttlichen Kräfte s. S.
167). Diescr Austausch
von Lastern und
göttlichcn Kräften wird nun beschrieben. Tat soll
schweigen, damit
die göttliche
Barmherzigkeit ihm die Wiedergeburt schenken kann. Denn die Erkenntnis
des
Göttlichen
ist nicht mehr in Worte zu fassen. Nur durch die Ausschaltung aller
körperlichcn
Funktionen kann die neue Geburt geschehen. An die Stelle der
Unwisscnheit
tritt die
Erkenntnis (gn*si' ), und die Freude darüber stellt sich ein.
[Seite
165]
Nacheinander kann Hermes nun acht weitere göttliche
Kräfte herbeirufen,
zu denen
neben den Tugenden auch das Gute insgesamt und das göttliche
Leben und
Licht gehören
(¦ 8-9). Hier wird bereits der enge Bezug von CHXIII zu CH I
deutlich.
In CH I
umschreiben Leben und Licht das göttliche Sein, das sich durch
den Abstieg
des
"Menschen" (3njrwpo') auch in den Menschen befindet. In CH XIII gehen
Leben
und
Licht im Akt der Wiedergeburt in den Menschen ein und schaffen den
neuen
unsterblichen
"Körper". Das benutzte Bild ist unterschiedlich, der
zugrundeliegende
Gedankengang aber
ähnlich. Auch in CH I muß der Mensch durch die
Abwendung von aller
Körperlichkeit den
inneren geistigen Menschen und den göttlichen Geist als dessen
Ursprung
erkennen.467
Nur so kann er zum Leben und Licht zurückkehren (CH I 21); wer
nicht
erkennt, bleibt im
Dunkel, wird durch die Wahrnehmungen in die Irre geführt und
von seinen
Lastern
gequält (sie werden als "Strafdämon" [timwr/' da[mwn]
zusammengefaßt)
und erleidet
schließlich den Tod (CH I 19 und 23). In CH XIII
erhält der Mensch
durch das Ablegen der
körperlichen Wahrnehmungen und Laster das göttliche
Leben und Licht
geschenkt. Der
innere Mensch findet erst dann zum wahren göttlichen Leben und
Licht,
-wenn er sich
vorm Gefängnis des Körpers befreit hat. In beiden
Texten sind Leben
und Licht Symbol für
ein Dasein in der Erkenntnis, das körperliche Begierden und
Affekte
nicht kennt, sei es
nun, daß sie schon früher unerkannt im Menschen
schlummerten,
sei es, daß sie durch die
Wiedergeburt geschenkt werden.
Durch das Kommen der zehn göttlichen Kräfte werden
die zwölf
Laster vertrieben. Tat
ist wiedergeboren und vergottet. Die Vergottung, die in CH I 26 nach
dem
Tode als höchste
Vollendung erstrebt wird, wird hier in der Ekstase während des
irdischen
Lcbens erlebt.468
Tat hat sein wahres "Ich" erkannt, das jetzt durch [Seite 166] die
göttlichen
Kräfte in ihm
neu entstanden ist (¦ 10). Dieser neue Zustand
äußert sich
in einer All-Vision, die er in
seinem Geist schaut. Sie erinnert deutlich an die ekstatische Vision,
die
in CH XI 20
beschrieben ist. Der Visionär erkennt Gott, indem er alles,
was ist,
gleichzeitig denkt: alle
Elemente und Räume, alle Lebewesen und alle Zeiten. So
umfaßt
er die göttliche Kraft, die
all dies hat entstehen lassen (¦ 11). Er sieht das All in
sich.469
Die Wiedergeburt ist damit
abgeschlossen. Hermes faßt seine Lehre noch einmal zusammen:
das Denken
orientiert
sich nicht mehr am dreidimensionalen Körper, sondern das
unkörperliche
Göttliche ist
geschaut worden. Die Wiedergeburt ist ein rein geistiges Geschehen.
Hinweise
auf rituelle
Handlungen oder magisch-theurgische Praktiken sind nicht zu erkennen.
Zwischen den Paragraphen 11 und 13 findet sich ein deutlicher Nachtrag,
wobei
unklar
bleibt, ob er von demselben Autor oder einem anderen stammt. Denn
Paragraph
13 schließt
gedanklich unmittelbar an Paragraph 11 (N.-I; Il 205,7) an. Mitten in
seiner
Vision
unterbricht sich Tat plötzlich und fragt, wie eine Dekade
(Zehnheit)
eine Dodekade
(Zwölfheit) vertreiben kann. Die Zwölfzahl der Laster
wird mit
dem Tierkreis in
Verbindung gebracht. (Ist hier an einen Abstieg der Seele durch den
Tierkreis
gedacht, von
dem sie ihre körperlichen Hüllen erhält?).
Unter seinen zwölf
Teilen gibt es Paare, die
Laster entstehen lassen, die nicht voneinandergetrennt werden
können.
So ist es
verständlich, daß zehn Kräfte
zwölf Laster vertreiben.
Außerdem ist die Dekade, die dem
Wiedergeborenen eine neue Seele schenkt, eine pneumatische Einheit
(%n1'),
die wohl vor
allem auf dem göttlichen Leben und Licht beruht. Da auch der
Tierkreis,
aus dem die
Laster stammen, eine einzige Natur darstellt, wird es
verständlicher,
daß die Einheit der
zehn Kräfte die eine Natur der zwölf Laster
vertreibt. [Seite 167]
Am Ende der Wiedergeburtslehre steht die Ermahnung, das gewonnene
Wissen
nicht
der Masse zu verraten. Denn auch Hermes habe diesen Text nur
für die
niedergeschrieben,
für die es Gott wollte.
In Paragraph 14 fragt Tat in einer Art von Nachtrag, ob der neue aus
den
Kräften
bestehende "Körper" sich wieder auflösen werde.
Möglicherweise
ist auch dieser Nachtrag
später eingefügt, da Tat auf Hermes¦
Antwort überhaupt
nicht reagiert. Er wird
zurechtgewiesen und über die Unterschiedlichkeit von
natürlichem
und wiedergeborenem
Körper belehrt. Letzterer ist natürlich
unauflöslich und unsterblich;
denn der
Wiedergeborene ist Gott und Gottes Kind (s. ¦ 2 und 4). Es
fällt
auf, daß der Autor die
geistige Wiedergeburt mit jeweils unterschiedlichen Begriffen
ausdrückt:
"im Geist
geboren werden" (¦ 3); "die Geburt in Gott" (¦
6); "die Geburt
der Gottheit" (I 7);
"geistige Geburt" (¦6 10); "vergöttlicht werden
durch die Geburt"
(¦ 10); "die
vergöttlichende Geburt" (¦ 10);"die Geburt des
wahren Seins"
(¦ 14); "Gott geworden
sein" (¦ 14). Kein einziger Terminus wird wiederholt. Dieses
Bemühen
um Variatio ist
auch bei den Namen des Wiedergeborenen zu beobachten: Er ist "Gott und
Gottes
Kind" (¦
2, 4 M. 14), ein "Allwesen" (Td nal¦, ,; 2 u. 19),
"unsterblicher
Körper" (¦ 3 u. 14), "Auge
des Geistes" (¦ 14 u. 17), der "Mensch Gottes" oder"der eine
Mensch"
(¦ 19 u. 4), "Logos"
(¦ 8, 18 u. 19) und "Aion" (¦ 20). Bei den beiden
letzten Namen
ist daran zu erinnern, daß
der Ideenkosmos als Gesamtheit der göttlichen Kräfte
schon bei
Philon Logos genannt
wurde.473 Wenn Tat im 21. Paragraphen vom geistigen Kosmos, der in ihm
ist,
spricht,
wird deutlich, daß der Autor Bezeichnungen der Ideenwelt auf
das innere
All der Kräfte
übertragen hat (s. CH I 7 [N.-F. I 9,5 f.], wo die Ideen als
Kräfte
erscheinen). [Seite 168]
Der Traktat wird durch einen sehr umfangreichen und einen kleinen
Lobpreis
abgeschlossen (¦ 17-20 und ¦ 21). Ersteren nannte
FESTUGI+RE
zu Recht "explosion de
pneumatisme " (1954, IV 243). Tat will den Gesang der Kräfte
hören,
von dem Poimandres
in seinem eschatologischen Ausblick in CH I 26 sprach. Nach der dort
vorgetragenen
Lehre geht nach dem Tod und dem Ablegen des Körpers der innere
Mensch
in die achte
Himmelssphäre (8gdo1') über den sieben Planetenbahnen
ein und hört
über sich den
Gesang der göttlichen Kräfte. In der Ekstasc kann der
Mensch diese
postmortalen
Ereignisse vorwegnehmen und schon im hiesigen Leben den Körper
verlassen
und diesen
Gesang hören. Denn die göttlichen Kräfte
sind in der Wiedergeburt
in den Menschen
eingegangen. Hermes betont, daß ihm keine anderen
schriftlichen Traditionen
von
Poimandres als CHI zur Verfügung stehen. Den Hymnus
hört er in
sich. Auf Poimandres¦
Geheiß läßt er seinen Schüler an
diesem Gesang der
Kräfte teilhaben, nachdem er ihn zur
Wicdergeburt geführt hat. Hermes und Tat schweigen und
hören den
Gesang der¦ Kräfte,
dle in Ihnen sind. Dreimal betont der Autor im 16. Paragraphen das
Schweigen.
Durch den
Traktat wird also schriftlich übermittelt, was eigentlich
niemals ausgesprochen,
sondern in
einer inneren Versenkung gehört wird.471 Dieser innere
Lobpreis soll
unter freiem
Himmel stattfinden, am Morgen spricht man ihn in östliche, am
Abend
in westliche
Richtung (eine ähnliche Rubrik in Ascl. 41).
Der Hymnus wird als vierter bezeichnet. Diese Zahl bleibt
rätselhaft.
Möglicherweise
stand CH XIII in einer Sammlung hermetischer Schriften, in denen schon
drei
andere
Hymnen überliefert wurden. In der uns erhaltenen Sammlung
enthalten
nur CH I und V
einen Hymnus.472 Der Hymnus selbst ist zweigeteilt. In [Seite 169]
seiner
ersten Hälfte
wird mit vielen Anklängen an die Traditionen der griechischen
Bibel
(LXX) der Schöpfer
gepriesen (¦ 17). Für dieses Gotteslob soll die
gesamte Schöpfung
schweigen und sich dem
Hymnus öffnen. Gottes Schaffen in allen vier Elementbereichen
wird beschrieben:
er hat
die Erde verankert und den Himmcl aufgehängt;473 Wasser und
Feuer hat
er für die
Menschen hervorgebracht. Alle, die wicdergeborcn sind, wollcn ihm dcn
Lobpreis
darbringcn. Dann folgt eine Überleitung, in der der
Schöpfer, der
über den Himmeln
thront, mit dem inneren Auge des Geistes identifiziert wird (N.-F. II
207,26-208,2).
Der
tragende Gedanke des folgenden zweiten Teils des Hymnus (¦
18-20)
liegt darin, daß der
Urheber des Hymnus, das wiedergeborene "Ich", identisch ist mit dem
Empfänger
des
Hymnus. Denn das neue "Ich" sind die göttlichen
Kräfte, die Gott,
die Quelle aller Kräfte
und Energien, besingen: "Leben und Licht, von euch kommt, zu euch geht
der
Lobpreis"
(N.-F. II 208,10). So ruft der Sänger alle Kräfte
einzeln auf (es
fehlt nur die Enthaltsamkeit
[karter[a]), sie mögen sich selbst und Gott preisen, der das
Eine und
das All ist (t/ &n ka+
t/ p0n cf. dazu S. 236f). Wichtig ist dabei der Wille des
Wiedergeborenen,
der die
göttlichen Kräfte in sich zum Gotteslob auffordert.
Aber auch dieser
Wille ist mit Gottes
Willen identisch, weil dieser das Lob und den Dank wünscht.
Mit diesem
Konzept wird auf
originelle Weise ein in den hermetischen Traktaten oft diskutiertcs
Problem
gelöst, wie der
Mensch angemessen Gott preisen kann. In der Hymne in CH XIII ist es
Gott
selbst, der sich
durch seine Kräfte, die in den Wiedergeborenen eingegangen
sind, preist.
Höhepunkt
dieses Lobpreises ist der Ruf des Wiedergeborenen: "Du bist der
alleinige
Gott". Da er die
göttlichen Kräfte, durch die Gott alles geschaffen
hat, nun in
sich trägt, läßt er auch alle
Elemente, das göttliche Pneuma und alle Geschöpfe an
diesem Ruf
teilhaben. In seinem
Ruf wird noch einmal deutlich, daß die Wiedergeburt den Akt
der [Seite
170]
Gotteserkenntnis meint. Durch diese Gotteserkenntnis findet der Mensch
die
Ruhe, die er
gesucht hat.474
Tat nimmt diesen Lobpreis in seine geistige Welt auf und wird dadurch
erleuchtet.
Aber
auch er möchte zu Gott einen Lobpreis sprechen. Es
fällt auf, daß
alle Zeilen dieses kurzen
Gebets elf Silben enthalten (an zwei Stellcn muß man
allerdings aus
anderen Gründcn
konjizieren, s. A. 538f zur Übersctzung). Auch im
großen Hymnus
ergebcn sich an vielen
Stcllcn überraschcndc Übereinstimmungen in der Zahl
der Silben.
Hier könnte ein
Übergangsstadium von der antiken zur byzantinischen Metrik
sichtbar
werden, deren
genaue Struktur wegen des oft unsicheren Textes allerdings verborgen
bleibt.
In seinem
Hymnus preist Tat Gott als Schöpfer, Herrn und Geist. Auch
hier wird
Gottes Wille betont,
der diesen Lobpreis wünscht. Durch seinen Hymnus spendet er
ihm geistige
Opfer. Der
Ausdruck "geistiges Opfer" (logik= jus[a ) stammt aus dem
hellenistischen
Judentum,
vorbereitet durch die hellenistische Opferkritik.475 Auch die Christen
haben
ihn
übernommen.476 Hermes lobt das Gebet, ermahnt den
Schüler aber,
seinen Worten
"durch den Logos" hinzuzufügen. Es ist allein das
wiedergeborene, neue
"Ich" das Gott
preisen darf.
Im Schlußabschnitt wird das Geheimnis-Motiv noch einmal
wiederholt
(vgl. ¦ 13). Wer
die Wiedergeburtslehre nicht verbirgt, erweist sich als
Verräter an
ihr. Der Schlußsatz zeigt
noch einmal, in welchem Sinne der Autor die Wiedergeburt verstanden
wissen
möchte: "Im
Geist hast du dich und unseren Vater erkannt. " Wer sein geistiges
"Ich"
erkennt, kennt
seinen eigenen Ursprung und weiß um den Schöpfer der
Welt. Diesc
zentrale Lehre von CH
I [Seite 171] wird damit als Kern der geistigen Wiedergeburt und
Vergottung
zusammengefaßt.
Die hier versuchte Interpretation zeigt, daß dem Text kein
kultisch
vollzogenes
Mysterium zugrunde liegt. Der Autor hat Motive aus den hellenistischen
Mysterien
aufgenommen und in metaphorischem Sinne benutzt, um das Ereignis der
Selbst-
und
Gotteserkenntnis zu beschreiben (vgl. TRÖGER 1971,13f). Dieser
übertragene
Gebrauch
der Mysterienterminologie ist am besten bei Philon von Alexandrien zu
studieren
(s.
RIEDWEG 1987, S. 70-115). Die Umwendung des Menschen vom
Körperlichen
zum
Geistigen, von einem lasterhaften zu einem sittlich einwandfreien
Leben,
wird wie eine
mystische Geburt dargestellt, in der der Mensch verwandelt wird (s. CH
I
30 [N.-F. I
17,17-20]).
Im folgenden sollen einige Motive genannt werden, die der Autor
wahrscheinlich
aus
der Welt der Mysterien übernommen hat. Das mystische Schweigen
(s. ¦
2, 8 u. 16)
charakterisiert den Akt der Einweihung (s. CASEL 1919), und die
Geheimhaltung477
wird
von allen Eingeweihten verlangt.478 Auch das Motiv der "Traditio"479
ist
in den
Mysterien zuhause.480 Der übertragene Gebrauch wie in CH XIII
findet
sich allerdings
schon bei Platon (Theait. 198b) und vor allem bei Philon.481 Auch der
in
CH XIII sehr oft
vorkommende Vater-Titel für Hermes (s. CH [Seite 172] I V, X
und XII)
konnte auf seine
Rolle als " Mystagoge" der geistigen Wiedergeburt weisen.482
Aus den Mysterien stammt wahrscheinlich auch das entscheidende Motiv
der
Wiedergeburt selbst. Der Terminus paliggenes[a begegnet häufig
und bezeichnet
die
Wiedereinkörperung der Seele. Platon spricht hier von "wieder
entstehen"
(p1lin
gen4sjai Men. 81 b, Phaed. 72 a); der substantivische Terminus selbst
scheint
erst
wesentlich später entstanden zu sein.483 Bereits Cicero
benutzt ihn
in übertragenem Sinne,
um seine Rückbcrufung aus dem Exil zu bezeichnen.484 Bei
Philon wird
die
Wiedererneuerung des Kosmos nach dem Weltenbrand ebenfalls Wiedergeburt
genannt.
Für die Interpretation von CH XIII ist die Frage entscheidend,
ob die
Mysterien eine
Wiedergeburt des Menschen durch die Einweihung versprachen. Einen
sicheren
Hinweis
finden wir einzig in Apuleius¦ Darstellung der
Isis-Mysterien, wo
er die Eingeweihten
als"auf gewisse Weise Wiedergeborene" ("quodam modo renatos")
bezeichnet
(XI 21,6; s.
XI 14,1 u. 16,2) und von einer "Geburtstagsfeier" des Mysten
spricht.485
Nach Sallustios
symbolisieren die Attis-Mysterien die Wiedergeburt und den Aufstieg der
Seele
(Diis et
Mund. 4). Ob die kultische Initiation, etwa in Eleusis oder in den
orphischcn
Dionysosmystericn, tatsächlich auf eine Wiedergeburt zielte,
ist sehr
zweifelhaft (s.
BURKERT 1991, 83-86), in der Interpretation des in den Mysterien
Erlebten
kann man
jedoch die Vorstellung der Wiedergeburt finden. Wichtig für
das Verständnis
von CH XIII
ist nun, daß bereits [Seite 173] Philon die Wiedergeburt vom
rituell
vollzogenen Mysterium
löst und auf die "Einweihung" in die Gottesschau
überträgt.
So ist für ihn der Aufstieg des
Mose zum Sinai eine zweite, unkörperliche Geburt (Qunest. in
Ex. II
46). In allegorischer
Sprache läßt er Gott und die Sophia die menschlichen
Tugenden
hervorbringen.486
Ähnliches finden wir in dem jüdisch-hellenistischen
Roman Joseph
und Aseneth¦.
Aseneths Bekehrung wird als Wiedergeburt und Neuschöpfung
dargestellt,
in der sie Gott
als neuen Vater erhält.487 Die Erben einer solchen Metaphorik
scheinen
die Christen zu
sein, die die Wiedergeburt mit der Taufe verbunden haben.488 Allerdings
findet
sich bei
den frühchristlichen Schriftstellern nur eine einzige Stelle,
an der
dies mit dem Terminus
paliggenes[a umschrieben wird (Tit. 3,5; die Christen sprechen von
2nagen0n
etc.).
Deshalb durfte Cll XIII auch kaum von der christlichen Tradition
abhängig
sein. Unser
Autor war vielleicht durch die jüdisch-hellenistische
Spekulation angeregt,
den Akt der
Erkenntnis als Wiedergeburt darzustellen. Möglicherweise hat
er aber
auch eigenständig
die ihm aus Reinkarnationslehren oder sogar aus den hellenistischen
Mysterien
bekannte
Vorstellung einer neuen Geburt seinem Anliegen dienstbar gemacht, den
Menschen
durch
Erkenntnis und Gotteslob zum Heil zu führen.
[Seite 174]
1. Tat: "In den ,Allgemeinen Lehren¦ (geniko+ l7goi), o
Vater, sprachst
du bei unserer
Unterhaltung in rätselhafter und kaum erhellender Weise
über die
Göttlichkeit. Es war keine
Offenbarung für mich, als du erklärtest,
daß niemand gerettet
werden könne, bevor er die
Wiedergeburt erlangt. Ich flehte dich an, als wir die Wüste
verließen,492
nachdem du dich mit
mir unterhalten hattest, und fragte dich nach der Lehre von der
Wiedergeburt,
um von ihr
Kenntnis zu erhalten, weil ich sie allein im Gegensatz zu allem anderen
nicht
kannte, und da
versprachst du, sie mir anzuvertrauen, ,wenn du dich der Welt
entfremdest¦.493
Jetzt bin ich
bereit und habe mich endgültig von dem Trug der Welt innerlich
abgewandt
und an Stärke
gewonnen.494 Du aber ergänze nun, was mir an Erkenntnis fehlt,
mit den
Belehrungen [Seite
175] über die Wiedergeburt,495 die du mir anvertrauen
wolltest, indem
du sie mir offen oder
verschlüsselt496 darlegst Ich weiß nicht,
Trismegistos, aus welchem
Mutterschoß ein Mensch
(bei der Wiedergeburt) geboren wurde497 und aus welchem Samen."
2. Hermes: "(Der Mutterschoß),498 mein Sohn, ist die geistige
Weisheit,
die im Schweigen
liegt, und der Samen ist das wahrhaft Gute."
Tat: "Wer gibt den Samen, Vater? Ich verstehe das Ganze nicht."
Hermes: "Der Wille Gottes, mein Sohn." Tat: "Und wie ist der (Wieder
)Geborene
beschaffen, Vater? Denn er hat keinen Anteil an meiner Natur, auch
nicht
an meiner
geistigen." 499
Hermes: "Ein anderer wird der (Wieder )Geborene sein: ein Gott, das
Kind
Gottes, ein
All-Wesen im All, aus allen500 Kräften bestehend." [Seite 176]
Tat: "In Rätseln sprichst du zu mir, Vater, und nicht, wie ein
Vater
sich mit seinem Sohn
unterredet." Hermes: "Dieses Geschehen der (Wieder-)Geburt ist keine
Sache
lehrhafter
Unterweisung, mein Sohn sondern es vollzieht sich durch Gott, wenn er
es
will, in der
Wiedererinnerung."
3. Tat: "Unbegreifliches sagst du mir und Willkürliches,
deshalb will
ich dir angemessen
darauf erwidern: Bin ich ein Fremder unter den Söhnen aus
deinem väterlichen
Geschlecht?s¦¦ Neide es mir nicht, Vater; ich bin
ein rechtmäßiger
Sohn. Erkläre mir die Art
der Wiedergeburt!" Hermes: "Was soll ich sagen, mein Sohn? Nichts kann
ich
sagen außer
folgendem: Ich sehe502 in mir eine Vision, die jenseits aller
Körperlichkeit
durch Gottes
Barmherzigkeit entstanden ist, und ich bin aus mir selbst
herausgetreten503
in einen
unsterblichen Körper und bin jetzt nicht mehr der, der ich
war, sondern
wurde im Geist
geboren. In dieser Sache kann man nicht lehrhaft unterwiesen werden,
auch
nicht durch dieses
materielle [Seite 177] Element,504 durch welches wir sehen
können. Deshalb
bedeutet auch
die erste zusammengesetzte Gestalt für mich nichts mehr; ich
habe keine
Oberfläche und
Farbe mehr, man kann mich nicht anfassen, und ich habe keine
Körpermaße;
diese Dinge
gehören nicht zu mir. Jetzt versuchst du mich, mein Sohn, mit
deinen
Augen zu sehen; was du
aber auch wahrnimmst,505 wenn du mit dem körperlichen
Sehvermögen
schaust, mit diesen
Augen kann ich jetzt nicht geschaut werden."
4. Tat: "In nicht geringe Erregung und Verwirrung meines Verstandes
hast
du mich
gestürzt, Vater. Denn ich sehe mich jetzt selbst nicht mehr."
Hermes:
"Wärst doch auch du,
mein Sohn, (schon) aus dir selbst herausgetreten, wie jene, die im
Schlaf
Träume haben,
jedoch ohne Schlaf." Tat: "Sage mir noch dies: Wer ist derjenige, der
die
Wiedergeburt
bewirkt?" Hermes: "Das Kind Gottes, der eine506 Mensch, nach dem Willen
Gottes."
5. Tat: "Jetzt endlich, Vater, hast du mich sprachlos gemacht, weil du
dich
von deinem
früheren Verstand entfernt hast;507 ich [Seite 178] sehe
nämlich
deine Gestalt in ihrem
Erscheinungsbild unverändert, Vater.¦¦
Hermes: "Auch darin täuschst du dich. Denn die sterbliche Form
verändert
sich Tag für
Tag; durch die Zeit nämlich unterliegt sie dem
Prozeß des Wachsens
und Schwindens,
gleichsam ein Truggebilde.
6. Tat: "Was ist nun eigentlich wahr, Trismegistos?"
Hermes: "Das, was nicht unrein ist, mein Sohn, was nicht begrenzt ist,
was
ohne
Oberfläche und Farbe ist, ohne Form und ohne Wandlung, das
Unverhüllte,
das Strahlende,
das, was nur von sich selbst begriffen wird, das
unveränderlich Gute,
das Unkörperliche."
Tat: "Ich bin wirklich von Sinnen, Vater. Denn ich glaubte, durch dich
weise
geworden zu
sein, und nun sind meine Wahrnehmungskräfte für diese
geistige
Erkenntnis blockiert.¦¦508
Hermes: "So ist es, mein Sohn.509 Das eine (das Körperliche)
steigt
auf wie das Feuer und
strebt herab wie die Erde und ist feucht wie das Wasser und durchweht
alles
wie die Luft, wie
wirst du (aber)510 mit Hilfe deiner Wahrnehmungen erkennen
(können),
was an sich existiert:
was nicht fest ist (wie die Erde) was nicht feucht ist (wie das
Wasser),
was (nicht)
uneingrenzbar [Seite 179] ist (wie das Feuer),511 was nicht alles
durchdringt
(wie die Luft)
was nur an seiner Kraft und Wirkung gedanklich zu erfassen ist, und was
desjenigen
bedarf,
der die Geburt in Gott begreifen kann?"
7. Tat: "Ich kann es also nicht, Vater."
Hermes: "Bewahre, mein Sohn! Ziehe es zu dir, und es wird kommen. Wolle
es,
und es
wird geschehen. Schalte die Wahrnehmungen des Körpers aus, und
die Geburt
der Gottheit
wird sich ereignen. Reinige dich von den Züchtigungen der
Materie, die
auf Unvernunft
beruhen.
Tat: "Züchtiger habe ich in mir, Vater?"
Hermes: "Nicht wenige, mein Sohn, sondern sie sind furchterregend und
viele.
Tat:
"Davon weiß ich nichts Vater. Hermes: "Das ist die erste
Züchtigung,
mein Sohn, die
Unwissenheit; die zweite ist die Trauer, die dritte die
Maßlosigkeit,
die vierte die Begierde,
die fünfte die Ungerechtigkeit, die sechste die Habsucht, die
siebente
der Betrug, die achte der
Neid, die neunte die List, die zehnte der Zorn, die elfte die
Unbesonnenheit,
die zwölfte die
Schlechtigkeit. Dies sind zwölf an der Zahl, unter ihnen gibt
es aber
(noch) andere mehr, mein
Sohn; durch seine Gefangenschaft512 im Körper zwingen sie den
inneren
Menschen infolge
seiner Wahrnehmungen zu leiden. Die Züchtigungen aber
entweichen eine
nach der anderen
von dem, dessen sich Gott erbarmt hat, und so ergibt sich die Art und
Weise
und die Lehre der
Wiedergeburt. 8. Doch nun schweige, mein Sohn, und versündige
[Seite
180] dich nicht mit
unheiligen Worten, und so wird die Barmherzigkeit, die Gott an uns
übt,
nicht aufhören.513
Freue dich nun, mein Sohn, durch die Kräfte Gottes gereinigt
zu werden,
damit sie sich zum
Logos in dir verbinden. Es kam zu uns die Gotteserkenntnis; mit ihrem
Kommen,
mein Sohn,
wurde die Unwissenheit vertrieben. Es kam zu uns die Freude
über die
Erkenntnis514 durch
ihre Anwesenheit wird die Trauer zu denen, die ihr Raum geben, fliehen
müssen.
9. Nach der Freude rufe ich als (göttliche) Kraft, mein Sohn,
die Beherrschung;
du
hochwillkommene Kraft, wir wollen, mein Sohn, sie voller
Bereitwilligkeit
empfangen. Wie
hat sie doch gleich mit ihrem Kommen die Unbeherrschtheit vertrieben!
Als
vierte rufe ich
jetzt die Enthaltsamkeit, die Kraft gegen die Begierde. Auf der jetzt
folgenden
Stufe findet die
Gerechtigkeit ihren Platz, mein Sohn. Denn sieh nur, wie sie ohne
Urteilsspruch
die
Ungerechtigkeit vertrieb. Wir sind zu Gerechten geworden, weil die
Ungerechtigkeit
verschwunden ist. Als sechste rufe ich zu uns die Kraft gegen den
Eigennutz,
den Gemeinsinn.
Nachdem der Eigennutz sich davongemacht hat, rufe ich noch die
Wahrheit,
und es flieht der
Trug, Wahrheit ist nun da. Siehe, wie das Gute vollendet ist, mein
Sohn,
nachdem die
Wahrheit gekommen ist. Der Neid ist nämlich von uns gewichen;
und der
Wahrheit folgte
auch das Gute gleichzeitig mit Leben und Licht, und es ist
überhaupt
keine Züchtigung der
Dunkelheit mehr wiedergekehrt, sondern besiegt flogen sie mit
Getöse
davon.
10. Du kennst jetzt die Art und Weise der Wiedergeburt, mein Sohn. Mit
dem
Kommen der
Zehnheit, mein Sohn, vollzog sich [Seite 181] die geistige Geburt; die
Zwölfheit
wurde
vertrieben, und wir sind vergöttlicht durch diese Geburt. Wenn
also
einer dank der Gnade
(Gottes) die vergöttlichende Geburt erlangt und die sinnliche
Wahrnehmung
hinter sich
gelassen hat, erkennt er sich selbst, nun aus diesen Kräften
bestehend,515
und ist voller
Freude.
11. Tat: "Unerschütterlich bin ich geworden, Vater, und durch
Gott habe
ich eine Vision
nicht mit der Sehkraft meiner Augen, sondern durch die geistige
Energie,
die von den Kräften
stammt. Im Himmel bin ich, in der Erde, im Wasser, in der Luft; in den
Tieren
bin ich, in den
Pflanzen; im Mutterleib, vor der Empfängnis, nach der Geburt,
überall.
Aber sage mir noch
dies: Wie wurden die Züchtigungen der Dunkelheit, die
zwölf an
der Zahl sind, von zehn
Kräften vertrieben? Wie kann das geschehen, Trismegistos?
12. Hermes: "Diese körperliche Behausung, mein Sohn, aus der
wir nun
herausgetreten
sind, entstand aus dem Tierkreis; und dieser besteht aus Gliedern,516
zwölf
an der Zahl,
(aber) aus einer einzigen Natur in vielerlei Gestalt zur
Täuschung der
Menschen. Es gibt
Unterteilungen darin, mein Sohn, die in ihrem Wirken eine Einheit
bilden,
ungetrennt517 ist
die Unbesonnenheit vom Zorn; sie sind auch nicht voneinander
abzugrenzen.519
Also ist es
wahrscheinlich bei rechter Überlegung, daß sie sich
davonmachen,
weil sie von den zehn
Kräften, das bedeutet von der Zehnheit, vertrieben werden.
Denn die
Zehnheit, mein Sohn,
schafft eine Seele; Leben und Licht bilden eine Einheit, und dabei
ergibt
sich der Zahlbegriff
Einheit aus der pneumatischen Natur. Die [Seite 182] Einheit
umfaßt
also, recht verstanden,
die Zehnheit, die Zehnheit aber die Einheit."
13. Tat: "Vater, das All sehe ich und mich selbst im Geist.
Hermes: "Darin liegt die Wiedergeburt, mein Sohn, daß man
seine Vorstellungen
nicht
mehr im Hinblick auf den dreidimensionalen Körper entwickelt,
veranlaßt519
durch diese
Lehre von die Wiedergeburt, die ich aufgeschrieben halle - damit wir
nicht
zu Verrätern520 an
dem Ganzen gegenüber der breiten Masse werden - (nur)
für die,
für die Gott selbst es
will.521
14. Tat: "Sage mir, Vater, löst sich dieser Körper,
der aus den
Kräften zusammengesetzt ist,
irgendwann einmal auf?
Hermes: "Versündige dich nicht und sprich nicht Dinge aus, die
unmöglich
sind; denn du
wirst eine Verfehlung begehen, und das Auge deines Geistes wird das
Opfer
deiner
Gottlosigkeit.522 Der natürliche Körper, den man
wahrnehmen kann,
ist weit entfernt von der
Geburt des wesenhaften Seins. Der eine Körper kann
aufgelöst werden,
der andere ist
unauflöslich, der eine sterblich, der andere unsterblich.
Weißt
du nicht, daß du ein Gott bist
und Kind des Einen, wie auch ich?
15. Tat: "Schon lange wollte ich, Vater, den hymnischen Lobpreis der
Kräfte
hören, von
dem du sagtest, daß ich521 ihn hören würde,
wenn ich in der
Achtheit (Ogdoas) wäre." [Seite
183]
Hermes: "Weil Poimandres vorausschauend über die Achtheit524
gesprochen
hat, mein
Sohn, strebst du mit Recht danach die körperliche Behausung
abzulegen;
denn du bist525
gereinigt. Poimandres, der Geist, der die höchste Macht hat,
hat mir
nicht mehr übermittelt als
das, was schriftlich vorliegt; denn er wußte, daß
ich von mir
selbst aus in der Lage sein würde,
alles zu denken und zu hören, was ich will, und alles zu
sehen, und
er hat mir aufgetragen, das
Gute zu tun. Deshalb singen nun auch in allen (Wiedergeborenen)526 die
Kräfte,
die in mir
sind. Tat: "Ich möchte, Vater, hören und
möchte dies (alles)
in meinen Geist aufnehmen.
16. Hermes: "Gib Ruhe, mein Sohn, und höre jetzt den ent
sprechenden
Lobpreis, die
Hymne der Wiedergeburt; sie nur dir am Ende des Ganzen so bereitwillig
vorzutragen,
dazu
habe ich mich entschieden. Denn das (alles) ist keine Sache lehrhafter
Unterweisung,
sondern
wird in Schweigen verborgen. So stelle dich denn, mein Sohn, an einen
Ort
unter dem freien
Himmel, blicke in südliche Richtung beim Untergang der
sinkenden Sonne
und bete
kniefällig. Verhalte dich so in gleicher Weise, wenn die Sonne
aufgeht,
gen Osten. Wahre
Schweigen, mein Sohn. [Seite 184]
Geheime Hymne, Dankgebet 4
17. Die gesamte Natur des Kosmos soll dem Hymnus Gehör
schenken.
Öffne dich, Erde,
alle Schleusen des Regens sollen sich mir öffnen,
ihr Bäume, bewegt euch nicht.
Ich will den Herrn der Schöpfung besingen und das All und das
Eine.
Öffnet euch, ihr Himmel, und ihr Winde, legt euch.
Der unsterbliche Himmelskreis Gottes soll mein Gebet empfangen.
Denn ich will den, der alles schuf, besingen,
den, der die Erde fest verankerte,
und den, der den Himmel aufgehängt hat;
und den, der angeordnet hat, daß aus dem Ozean das
süße
Wasser
für bewohntes und unbewohntes Land vorhanden sei
zur Ernährung und Schöpfung528 aller Menschen,
den, der angeordnet hat, daß das Feuer erscheine
für jedes Tun sowohl für Götter als auch
für Menschen.
[Seite 185]
Wir wollen ihm alle gemeinsam529 den Lobpreis darbringen,
dem, der über allen Himmeln thront,
dem Schöpfer aller Natur.
Dieser ist das Auge des Geistes.
Und er möge den Lobpreis meiner Kräfte empfangen.
18. Ihr Kräfte, die ihr in mir seid, besingt das Eine und das
All;
singt zusammen mit meinem Willen, all ihr Kräfte in mir.
Heilige Erkenntnis, erleuchtet von dir besinge ich durch dich das
geistige
Licht
und freue mich in der Freude des Geistes.
Alle ihr Kräfte, singt mit mir.
Auch du, Beherrschung, singe;
meine Gerechtigkeit, besinge das Gerechte durch mich;
mein Gemeinsinn, besinge das All durch mich;
besinge, Wahrheit, die Wahrheit;
das Gute (in mir), besinge das Gute;
Leben und Licht, von euch kommt, zu euch geht der Lobpreis.
Ich danke dir, Vater, Energie der Kräfte;
ich danke dir, Gott, Kraft meiner Energien.
Dein Logos besingt dich durch mich;
durch mich nimm das All in meinen Worten als ein geistiges Opfer an.530
[Seite
186]
19. Dies rufen die Kräfte, die in mir sind;
das All besingen sie, deinen Willen erfüllen sie.
Dein Wille von dir, zu dir das All;531
nimm von allen532 ein geistiges Opfer an.
Das All, das in uns ist, rette es, Leben,533
erleuchte es, Licht, Pneuma,534 Gott.
Denn deinen Logos läßt du weiden, Geist,535
du Träger des Pneuma und Schöpfer;
20. Du bist der (alleinige) Gott.
Dein Mensch ruft dies
durch (das) Feuer, durch (die) Luft
durch (die) Erde, durch (das) Wasser,
durch (das) Pneuma, durch deine Geschöpfe.
Von deinem Aion536 habe ich (den) Lobpreis gefunden
und das, was ich suche:
durch deinen Willen bin ich zur Ruhe gelangt,
geschaut habe ich nach deinem Wunsche. [Seite
187]
21. Tat: "Diesen Lobpreis wollen wir sprechen, den537 ich nun, Vater,
auch
in meine Welt
aufgenommen habe.
Hermes: "Sage, mein Sohn: ,in meine geistige (Welt)¦.
Tat: "In meine geistige (Welt), Vater; das kann ich nun sagen. Durch
deinen
Hymnus und
deinen Lobpreis ist mein Geist ganz erleuchtet. Mehr noch, auch ich
will
aus der Tiefe meines
Herzens Gott einen Lobpreis schicken."
Hermes: "Mein Sohn, tue das nicht unbedacht!"
Tat: "Was ich im Geist sehe, Vater, das will ich sagen.
Dir, Ursprung und Herr der Schöpfung,
dem Gott, schicke ich, Tat, geistige Opfer.
Gott Vater,535 du bist der Herr, du bist der Geist;
nimm die Opfer539 an, die du von mir wünschst
denn nach deinem Willen wird alles vollendet."
Hermes: "Du, mein Sohn, schicke Gott, dem Vater von allem, ein (ihm)
angenehmes
Opfer; aber füge auch hinzu, mein Sohn: ,durch den
Logos¦. [Seite
188]
22. Tat: "Ich danke dir, Vater, daß du dieses mein Gebet gut
heißt.
540 Hermes: "Ich freue
mich, mein Sohn, daß du541 die guten Früchte aus der
Wahrheit
hervorgebracht hast, die
unsterblichen Erzeugnisse. Nachdem du dies alles von mir erfahren hast,
versprich
Schweigen
über das göttliche Wunder, mein Sohn, und tue
niemandem die Überlieferung
der
Wiedergeburt kund, damit wir nicht für Verräter542
gehalten werden.
Denn jeder von uns hat
sich hinreichend bemüht, ich als Sprechender, du als
Hörender.
In Geist hast du dich und
unseren Vater erkannt."
14
Brief des Hermes
Trismegistos an Asklepios: Wohlergehen für Geist und Seele
[Seite 193]
Inhalt:
I Einleitung
2-3Das Geschaffene und der Schöpfer
4Gottes Namen: Gott, Schöpfer und Vater
5-6Die Zweiheit Gott und Geschöpf umfaßt alles
Seiende
7-8Gott schafft alles, auch das Unbedeutende; das Problem des
Schlechten
9-10 Gott und das Gute; Vergleich zwischen Gott und einem Bauern
1. Als mein Sohn Tat in deiner Abwesenheit die Natur aller Dinge
begreifen
wollte, und
mir keinen Aufschub gestattete, sah ich mich gezwungen, weil er ja mein
Sohn
ist und als
jüngerer erst vor kurzem zur Erkenntnis gelangt ist,551
ausführlicher
über jede Einzelheit zu
sprechen, damit er der Lehre gut folgen könne. Für
dich will ich
nur die wichtigsten
Hauptpunkte des Gesagten auswählen und sie dir in kurzen
Worten brieflich
zukommen
lassen, wobei ich sie mehr in der Art einer Geheimlehre
erläutere, weil
du im entsprechenden
Alter und über die Natur (der Dinge) nicht unwissend bist.
2. Wenn alles, was zur Welt der Erscheinungen gehört, geworden
ist und
wird, wenn das
Geschaffene552 nicht aus sich selbst, sondern durch einen anderen
entsteht,
wenn vieles oder
vielmehr alles geschaffen ist, was zur Welt der Erscheinungen
gehört
und insgesamt voller
Vielfalt ist und sich untereinander nicht gleicht, [Seite 194] und wenn
das,
was entsteht, durch
einen anderen entsteht, dann gibt es einen, der dies alles schafft, und
dieser
ist ungeschaffen,
damit er allem Geschaffenen vorausliegt. Denn das Geschaffene, behaupte
ich,
entsteht durch
einen anderen, von dem Geschaffenen kann aber nichts alles andere an
Alter
übertreffen; das
kann allein das Ungeschaffene.
3. Dies ist einer, der größere Macht hat ein
einziger und in Wahrheit
allein umfassend
weise ist, weil es überhaupt nichts gibt, was
ursprünglicher wäre
als er. Denn er ist der erste
durch seine Größe, seine Macht und seine
Verschiedenheit zu allem
Geschaffenen553 und im
Hinblick auf sein ewig fortdauerndes Schöpfungswerk.
Darüber hinaus
ist das Geschaffene
sichtbar, jener aber ist unsichtbar. Deswegen schafft er, damit er
sichtbar
ist. Immer schafft er;
also ist er denn auch sichtbar.554
4. Zu dieser Erkenntnis soll man gelangen und, wenn man dazu gelangt
ist,
voller
Bewunderung sein und in dem Gefühl der Bewunderung sich selbst
glücklich
preisen, weil
man den Vater erkannt hat. Denn was ist schöner, als einen
wirklichen
Vater zu haben? Wer
ist das nun, und wie können wir ihn erkennen? Ist es richtig,
daß
wir ihm den Namen Gott -
und nur ihm - beilegen oder den Namen Schöpfer oder den Namen
Vater
oder auch alle drei?
Ja, den Namen Gott wegen seiner Machtfülle, den Namen
Schöpfer
wegen seiner
Wirkkraft,555 den Namen Vater, weil er gut ist. Machtfülle ist
er und
unterscheidet sich darin
von allem Gewordenen, Wirkkraft ist er, und sie
äußert sich darin,
daß alles wird. [Seite 195]
Deshalb muß man die vielen Worte und das leere Gerede lassen
und allein
diese zwei
begreifen: das Geschöpf und den Schöpfer. Denn
zwischen diesen
beiden gibt es nichts
drittes.
5. Bei allem, was du denkst, und bei allem, was du hörst,
vergegenwärtige
dir diese beiden
und sei überzeugt, daß sie alles umfassen, und
nichts soll dich
in Ratlosigkeit versetzen, nichts
von dem, was oben ist, nichts von dem, was unten ist, nichts
Göttliches,
nichts Veränderliches
und nichts Unterirdisches.556 Denn nur die zwei sind alles: das, was
geschaffen
wird, und
das, was schafft, und das eine kann sich von dem anderen nicht trennen.
Denn
der Schöpfer
kann nicht ohne das Geschöpf existieren. Denn jedes von ihnen
meint
denselben Vorgang.
Deswegen kann auch das eine nicht von dem anderen getrennt werden,
vielmehr
würde es von
sich selbst getrennt werden.557
6. Wenn der Schöpfer nichts anderes ist als das alleinige,
einfache,
unzusammengesetzte
schaffende Prinzip, muß dieses notwendigerweise ganz von sich
aus schaffen,
so daß der
Prozeß des Werdens das Schaffen des schaffenden Prinzips
bedeutet und
alles Werdende
nicht durch sich selbst im Prozeß des Werdens sein, sondern
nur durch
einen anderen in diesen
Prozeß gelangen kann. Ohne das schaffende Prinzip kann das
Geschaffene
weder geschaffen
werden noch sein. Denn das eine verliert ohne das andere, wenn es des
anderen
beraubt wird,
seine eigene Natur wenn553 man also zustimmt, daß das Seiende
zweierlei
ist, das [Seite 196]
Werdende und das Schaffende,554 dann sind sie eins, wenn sie sich
vereinigen;
das eine geht
voran, das andere folgt. Der schaffende Gott ist das, was vorangeht,
das
Werdende, was
immer es ist,560 folgt.
7. Und habe angesichts der bunten Vielfalt des Werdenden keine
ängstliche
Scheu, Gott
mit Dingen, die unbedeutend und seinem Ruhm abträglich sind,
in Verbindung
zu bringen.
Denn dies allein ist sein Ruhm, alles zu schaffen, und dies ist
gleichsam
der Körper Gottes,
seine Schöpfung. Für ihn, den Schöpfer, gilt
nichts als schlecht
und schändlich. Das sind
Einwirkungen von außen,561 die sich erst nach der Entstehung
einstellen,
wie der Grünspan
bei der Bronze und der Schmutz am Körper. Aber weder hat der
Schmied
den Grünspan
geschaffen, noch die Eltern den Schmutz, noch Gott die Schlechtigkeit.
Die
fortdauernde
Existenz des Gewordenen läßt dies (wie einen
Ausschlag) gleichsam
ausbrechen, und Gott
schuf deswegen den Wandel gewissermaßen als Reinigung des
Gewordenen.
8. Soll es außerdem ein und demselben Maler möglich
sein, einen
Himmel zu schaffen,
Götter, Erde, Wasser, Menschen und alle Tiere und Pflanzen,
und Gott
soll dies nicht möglich
sein? Was ist dies für eine Unvernunft und Unwissenheit
über Gott!
Etwas ganz Unerhörtes
passiert Leuten, die so denken. Denn wenn sie behaupten, Gott darin zu
verehren
und zu
preisen, daß sie ihm nicht die Schöpfung von allem
zuschreiben,
kennen sie Gott nicht; und
abgesehen davon, daß sie Gott nicht kennen, begehen sie auch
größten
Frevel an Gott, indem
sie ihm die Eigenschaften Hochmut und Unfähigkeit zuschreiben.
Denn
wenn es [Seite 197]
zuträfe, daß er nicht alles schafft, so geschieht
dies entweder
aus Hochmut oder weil er es
nicht kann. Das zu behaupten, ist Frevel.
9. Denn Gott hat nur die einzige Eigenschaft, gut zu sein; einer, der
gut
ist, ist aber weder
hochmütig noch unfähig. Denn dies ist Gott,
nämlich das Gute
und die ganze Macht, alles zu
schaffen; und alles Geschaffene ist von Gott geschaffen, das bedeutet
von
dem Guten und
dem, der die Macht und Fähigkeit hat, alles zu schaffen. Wenn
du aber
begreifen willst, wie er
allein schafft und wie das Werdende wird, so vermagst du es. Sieh ein
wunderschönes
Bild
das dem Gemeinten völlig entspricht!
10. Sieh einen Bauern, der Samen in die Erde wirft, hier Weizen, dort
Gerste,
dort einen
anderen Samen. Sieh, wie derselbe einen Weinstock pflanzt und einen
Apfelbaum
und andere
Bäume. So sät auch Gott im Himmel Unsterblichkeit,
auf der Erde
ständigen Wandel, überall
aber Leben und Bewegung. Dies ist nicht viel, sondern wenig und leicht
zu
zählen. Denn nur
vier Dinge machen alles aus, dazu Gott selbst und seine
Schöpfung; darin
besteht das Seiende.
15
Suda 11 413f. Nr.3038 (Adler)
s.v. Hermes Trismegistos [Seite 198]
Hermes Trismegistos war ein ägyptischer Weiser. Er lebte vor
den Pharaonen.
Er hieß
Trismegistos, weil er über die Dreiheit sprach und sagte,
daß
die Dreiheit eine einzige Gottheit
ausmache auf folgende Weise: Es gab ein geistiges Licht vor einem
(anderen)
geistigen Licht,
und zwar gab es in Ewigkeit einen lichtförmigen Geist des
Geistes, und
nichts anderes war
seine Einheit. Und es gab ein Pneuma, das alles umfaßte.
Daneben gab
es keinen Gott, keinen
Engel und kein anderes Sein. Denn er ist Herr, Vater und Gott von
allem,
und alles ist unter
ihm und in ihm. Sein Logos ist vollendet, zeugend und
schöpfungsmächtig
und begab sich in
die fruchtbare Natur und das zeugungskräftige Wasser herab und
machte
das Wasser
schwanger.563 Und dies alles hat Hermes gesagt und betete: "Dich
beschwöre
ich, Himmel,
du [Seite 199] Werk der Weisheit des großen Gottes. Dich
beschwöre
ich, Stimme des Vaters,
die er zuerst ertönen ließ, als er den ganzen Kosmos
befestigte.
Dich beschwöre ich im Namen
seines einziggeborenen Logos und im Namen des Vaters, der alles
umfaßt:
Sei gnädig, sei
gnädig!"
16
Brief des Asklepios
an den König Ammon: Enthüllungspfeiler
Über Gott, die Materie, die Schlechtigkeit, das
Schicksal (heimarmenä),
die Sonne, das geistige Sein, das göttliche Sein, den
Menschen, die
Einrichtung (o]konom[a) der Gesamtheit, die sieben Planeten und
über
den abbildhaften Menschen [Seite 200]
In diesem Traktät wird die literarische Fiktion der
Authentizität
einer her1netisc/·en
OJtenbarungsschriJt auf dic .Spitzc gctrieben. Obwohl der Leser einen
griechischen
Text
in der Hand halt, wird er über die großen Nachteile
einer Übersetzung
aus dem
Ägyptischen ins Griechische belehrt.565 Dem Leser, der die
griechische
Schrift vor sich
hat, soll die Illusion gegeben werden, den originalen
ägyptischen Brief¦vor
sich zu haben,
welchen Hermes¦ Schüler Asklepios an Ammon (=
Amun), den ägyptischen
Götterkönig,
geschrieben habe. Der Brief sei die Krönung aller hisherigen
Darlegungen
(s. Exc. VI 1).
Asklepios bittet den König, seine schriftliche Abhandlung
nicht ins
Griechische übersetzen
zu lassen. Denn dcr Sinn der Worte werde durch den pompösen
Stil des
[Seite 201]
Griechischen verdreht. Griechische Philosophie sei
"Wort-Getöse" ohne
Kraft und
Erhabenheit. In der Übersetzung könne man den tiefen
und geheimnisvollen
Sinn der
ägyptischen Worte, die, nur oberflächlich gesehen,
als simpel und
klar erscheinen,
überhaupt nicht mehr erfassen. Und wenn man den wahren Sinn
der Worte
nicht erfasse,
könne auch der Anschein entstehen, daß Asklepios
seinen eigenen
Worten widerspreche.
Dies sei aber nicht der Fall, sondern es läge nur ein
Widerspruch zu
den Auffassungen der
Masse vor (¦ 1-2). Erstaunlich an dieser Einleitung ist
nicht nur
das Ausmaß der
literarischen Fiktion, sondern auch die sonst in der Hermetik
unübliche
offene Polemik
gegen die griechische Philosophie. Vergleichbares findet sich sonst nur
in
der jüdischen
und christlichen Apologetik.566
Asklepios¦ Brief ist mit dem Titel "Grenzen, Definitionen"
()roi )
überschrieben. Da
sein Inhalt aher alles andere als Definitionen liefert,567 wird man das
Wort
wohl auf den
Zwcck des Bricfes, die Erinnerung an die bisherigen Lehren
(¦ 1,
s. CH XIII 13), beziehen
und anders erklären müssen. Denn )ro' bedeutet auch
Grenzstein;568
Asklepios¦ Worte
sind Erinnerungspfeiler, die, wie Grenzsteine an jemandes Eigentum, an
die
hermetischen
Lehren erinnern sollen.
Das zentrale Thema des Briefes betrifft die Sonne als
Schöpfungsmittlerin
und die
Dämonen als Urheher der irdischen Wirrnisse. Diesen Inhalt
trifft der
Untertitel " Über
Gott, Materie, Schlechtigkeit, Schicksal etc." kaum. Ein Redaktor
scheint
für die
Überschrift ihm wichtig erscheinende Begriffe aus dem Traktat
gesammelt
zu haben, wobei
die Gründe der Anordnung unklar bleiben.
Merkwürdigerweise hat
er dabei das wichtige
Thema [Seite 202] "Dämonen" ausgelassen. Die
Überschrift scheint
aber darauf
hinzuweisen, daß der Traktat nicht vollständig
überliefert
ist (so fehlt auch der Anfang des
folgenden Traktats CH XVII). Denn am Ende nennt er den abbildhaften
Menschen,
der im
erhaltenen Traktat nicht behandelt wird. Möglicherweise wurde
also in
einem jetzt
verlorenen Schluß die Abbildreihe Gott - Kosmos Mensch
aufgestellt
(s. dazu die
Einleitung zu CH VIII, S. 76).
Nach einer Anrufung Gottes beginnt der Brief mit dcm bekannten Satz:
alles
ist eins (s.
die Einleitung zum ,Asclepins¦, S. 236f.). Gott ist der
Eine, der
alles in sich umfaßt. Das All
ist keine Vielheit, sondern eine Gesamtheit (pl=rwma ), das in sich
eine
Einheit bildet. So
sind Gott und das All nicht voneinander zu trennen (¦ 3).
Wichtig
ist hier der ungnostische
Gebrauch des Begriffes pl=rwma. Er wird nicht auf den transzcndenten
göttlichen
Kosmos, sondern auf die sichtbare Welt bezogen, die eine Fülle
oder
Gesamtheit von allem
Geschaffenen darstellt (s. CH XII 15). Der Autor benutzt diesen Begriff
im
Gegensatz zu
"Vielheit, Menge" (pläpo' ), um die Einheit aller
Geschöpfe deutlich
zu machen.
Die Einheit alles Geschaffenen wird zuerst am Beispiel der Erde
demonstriert.
Denn sie
hirgt in sich Quellen von Wasser und Feuer (s. Ps. Arist. Mund. 395
b18-26),
so daß an
einem Ort drei Elemente vereinigt sind, die aus einer einzigen Wurzel
stammen.
Wie eine
Vorratskammer (tamie@on) bringt die Erde alles aus sich hervor und
nimmt
alles wieder in
sich auf(s SCII. N(Zt. JU{ICSt 11 5 und Vl 16,3). Ursache
dafür ist
die Sonne. Sie steht
zwischen dem geistigen Sein (in umschreibender Form wird es "Himmel"
genannt)
und
dem Irdischen und verbindet beides. Das geistige Sein, die Ideen,
bringt
sie durch ihr Licht
nach unten und führt die Materie hinauf. Sie zieht einerseits
alles
an sich, andererseits läßt
sie ihr Licht und ihre Wirkkräfte his in die tiefsten Tiefen
der Erde
gelangen (¦ 4 - 5).
Über den geistigen Kosmos macht Asklepios nur vage Andeutungen
(zudem
ist der Text
gerade hier zerstört). Über die Sonne[Seite 203] aber
erhebt er
seinen Lobpreis.569 Als
Mittelpunkt des Kosmos wird sie als Wagenlenkerin bezeichnet, die mit
den
Zügeln Leben,
Unsterblichkeit, Seele, Pneuma und Werden seine
regelmäßige Bewegung
verursacht.570
Der Vergleich mit einem Wagenlenker erinnert an das alte Bild des
Sonnenwagens,
das
hier mit der Vorstellung des göttlichen Weltherrschers als
Wagenlenker
verbunden
wird.571 Wichtig ist in diesem Zusammenhang der von Dio Chrysostomos
überlieferte
persische Mythos vom Gespann des Zeus mit vier Pferden, der aber vor
allem
das
periodische Vergehen und Wiederentstehen der Welt erklären
will (Or.
36,39-60). Hier
wird jedoch ausdrücklich gegen den Sonnenwagen polemisiert, so
daß
ein direkter
Zusammenhang zwischen dem iranischen Mythos und CH XVI ausscheidet.
Mit ihrem Licht nährt sie einerseits die über ihr
liegenden unsterblichen
Teile des
Kosmos und belebt andererseits den unteren Raum und die in ihm lebenden
Wesen.
Sie ist
verantwortlich für den ewigen Kreislauf von Werden und
Vergehen. Das
Unsterbliche
vollzieht diesen Kreislauf, ohne sich aufzulösen, das
Sterbliche löst
sich in seine
Bestandteile auf und entsteht aus ihnen wieder neu. REINHARDT (S. A.
564)
hat in dieser
Sonnentheologie das kosmologische System des Poseidonios entdeckt,
wobei
zu beachten
wäre, daß in CH XVI die Sonne weder mit dem
Weltgeist noch mit
Gott identifiziert wird,
sondern in ihrer Funktion als Schöpfer und Erhalter diesen
beiden untergeordnet
wird (¦
6-9).
Unter der Sonne stehen die Dämonen. Sie weilen im Bereich der
unsterblichen
Sterngötter und wachen von dort übcr die menschlichen
Angelegenheiten.
Sie sind für alle
Art von Naturkatastrophen, Hungersnöte und Kriege
verantwortlich, mit
denen [Seite 204]
sie die Gottlosigkeit der Menschen bestrafen.572 Alle anderen Vergehen
der
Menschen, die
sie aus Dummheit oder unter dem Einfluß des Schicksals tun,
werden
von ihnen nicht
bestraft, einzig die größte Schlechtigkeit, die
Gottlosigkeit
(¦ 10-11). In dieser Darstellung
liegt eine implizite Antwort auf ein in CH Xll 5 ff. diskutiertes
Problem.
Weshalb werden die
Menschen bestraft, wenn sie unter dem Zwang des Schicksals handeln? Das
damit
entstehende Freiheitsprobem wird hier so gelöst, daß
der Mensch
allein für sein
Gottesverhältnis verantwortlich ist und entsprechend bestraft
wird,
wenn er Gott nicht
erkennt und verehrt.
Im 12. Paragraphen setzt Asklepios neu an. Es entsteht der Eindruck,
daß
er in einer Art
Parallelfassung das bisher Gesagte noch einmal in etwas anderer Form
wiederholt.
Die
Sonne wird Bewahrer und Ernährer alles Gattungen genannt. Sie
wird jetzt
mit dem
geistigen Kosmos verglichen. Wie dieser den sichtbaren Kosmos
untfaßt
und mit den
geistigen Formen erfüllt, so läßt die Sonne
alles entstehen
und wachsen und nimmt das
Vergehende wieder in sich auf. Noch einmal werden die Dämonen
genannt,
die jedem
einzelnen Stern zugeordnet sind. Asklepios betont jetzt, daß
die Dämonen
in ihren
Wirkungen entweder gut oder böse oder beides sind. Dessen
ungeachtet
wird im folgenden
allein deren negatives Wirken beschrieben (¦ 14-16). Sie
sind für
alle irdischen Wirrnisse
verantwortlich, indem sie in unsere Seelen, Nerven und Blutbahnen
eindringen.
Denn
jeder Mensch erhält den Dämon, der im Momcnt seincr
Geburt seinen
Dienst zu erfüllcn
hatte. Dieser dringt in die unteren Seelenteile ein und
beeinflußt
diese in seinem Sinne.
Allein der vernünftige Seelenteil bleibt frei von
Dämonen und kann
Gott aufnehmen.
Durch die Sonne gelangt ein Lichtstrahl Gottes in ihn, so daß
die Dämonen
ihre Macht
verlieren (s. CH IX 3-5). Dies geschieht abcr nur bei sehr wenigen
Menschen.
Die übrigen
werdcn von den Dämonen [Seite 205] umhergetrieben und folgen
allein
ihrem
körperlichen Verlangen. Dieses Regiment habe Hermes Schicksal
(%imarm4nh
) genannt.
Diese Dämonenlehre hat eine Parallele in Porphyrios Abhandlung
,De abstinentia¦
(II
36-43). Interessant ist in CH XVI die Verknüpfung mit der
astrologischen
Lehre vom
Einfluß der Sternkonstellation in der Geburtsstunde (s. Ascl.
35).
Die Wirkungen der
Gestirne werden personalisiert und Dämonen genannt.
Im 17. Paragraphen beginnt eine dritte Fassung, die wiederum die
Bedeutung
der
Sonne und der Dämonen behandelt. Asklepios stellt die Reihe
Gott - geistiger
Kosmos -
sinnlich wahrnehmbarer Kosmos auf. Die Sonne vermittelt Gottes
schöpferische
Kraft an
bcide Welten. Damit wird ihre Position etwas anders als in ¦
5-6 beschrieben,
wo sie
zwischcn dcm gcistigcn und sinnlichen Kosmos stand, ohne daß
dort von
Gott eigens die
Rede war. Die Sonne ist auch hier der Mittelpunkt von acht Kreisbahnen:
ganz
außen
befinden sich die Fixsterne und die Erde, dazwischen die sechs
Planeten.
Unter den acht
Bahnen stehen die Dämonen, unter ihnen die Menschen. So ergibt
sich
folgende Reihe:
Gott Sonne - Fixsterne, Planeten, Erde - Dämonen - Menschen.
Vater von
allem ist Gott,
die Sonne ist der Schöpfer. Hier wird einmal die in anderen
Texten bekämpfte
Lehre
ausgesprochen, daß Gott von einem Schöpfer zu
unterscheiden ist.573
Darauf dürfte sich
auch der anfängliche Hinweis auf scheinbare
Widersprüche zu andcrcn
hermetischen
Schriften beziehen. Es folgt dann eine weitere Reihe: geistiges Sein -
Himmel
- Götter-
Dämonen Menschen. Durch die Götter und
Dämonen schafft Gott
alles, was somit Teil von
ihm ist. Damit kehrt der Text zu seinem Ausgangspunkt zurück:
Gott ist
alles. Und wie Gott
selbst ohne Anfang und Ende ist, so wird auch sein Schaffen ewig sein.
Inhalt:
1-2Einleitung
3 Alles ist eins: das All und sein Schöpfer
4-5 Die Erde und die Sonne
6-9 Die Sonne als Lebensspenderin des gesamten Kosmos
10-11 Die Dämonen als Wächter über die
menschliche Gottlosigkeit
12-13 2. Fassung: Die Sonne und die Dämonen
14-16 Die Dämonen im Menschen und der Lichtstrahl Gottes
17-18 3. Fassung: Gott, die Sonne, der geistige und sinnliche Kosmos
und
die Dämonen
[Seite 206]
1. Wichtig ist die Abhandlung, mein König, die ich dir
zuschicke, sozusagen
als Krönung
von allem anderen und als Erinnerung daran, sie ist nicht
verfaßt im
Einklang mit den
Ansichten der Masse, sondern widerspricht diesen an vielen Stellen. Ja
sogar
einigen meiner
eigenen Worte wird sie dir zu widersprechen scheinen. Denn Hermes, mein
Lehrer,
hat sich
oft mit mir allein unterhalten und manchmal auch in Tats Anwesenheit
und
dabei gesagt:
"Denen, die meine Bücher zur Hand haben, wird die Art meiner
Darstellung
sehr einfach und
klar erscheinen, obwohl sie im Gegenteil geheimnisvoll ist und der Sinn
ihrer
Worte
verborgen ist, und darüber hinaus werden sie gänzlich
unverständlich,
wenn die Griechen
später unsere Sprache in ihre eigene übersetzen
wollen, was zu
größter Verdrehung und
Unklarheit des Geschriebenen führen wird.¦
2. 576 In dieser Abhandlung aber, die in unserer eigenen Muttersprache
formuliert
wird, ist
der Sinn der Wörter eindeutig. Denn schon allein die besondere
Eigenart
unserer Sprache und
(...)577 der ägyptischen Wörter bewahren in sich das,
was mit dem
Gesagten ausgedrückt
werden soll. [Seite 207]
Soweit es dir also möglich ist, König, - und du
vermagst ja alles
- bewahre die Abhandlung
vor einer Übersetzung, damit solche Geheimnisse nicht zu den
Griechen
gelangen und damit
der überhebliche, kraftlose und gleichsam aufgeputzte Stil der
Griechen
nicht die
Erhabenheit, Kraft und wirkungsvolle Fügung der Worte zunichte
macht.
Denn die Griechen,
mein König, haben eine Darstellungsweise, die ohne
Argumentationskraft
nur auf sprachliche
Wirkung angelegt ist; und das ist die Philosophie der Griechen:
Wort-Getöse.
Wir aber
benutzen nicht nur Wörter sondern eine Ausdrucksweise, die
bestimmt
ist von der
darzustellenden Realität.578
3. Ich werde meine Abhandlung nun beginnen, nachdem ich Gott angerufen
habe,
den
Herrn, Schöpfer, Vater und Umfasser von allem; ihn, der als
der Eine
alles ist und als das All
der Eine. Detm die Gesamtheit des Alls ist eine einzige und ist in dem
Einen,
wobei das
Eins-Sein sich nicht wiederholt,579 sondern beide zusammen eine Einheit
bilden.
Und diese
Einsicht, mein König, behalte mir während der ganzen
Beschäftigung
mit meiner Abhandlung
im Gedächtnis. Wenn man nämlich Hand anlegt an das,
was alles und
eins und dasselbe zu
sein scheint um es von dem Einen abzutrennen, indem man den Begriff
,All'
auf eine Vielheit
und nicht auf eine Gesamtheit bezieht, dann löst man, was
unmöglich
ist, das All von dem
Einen und zerstört das All. Das All muß
nämlich eins sein,
wenn es wirklich das Eine gibt, und
das gibt es, und es hört niemals auf, eins zu sein, damit
seine Gesamtheit
nicht zerstört wird.
[Seite 208]
4. Sieh nun, wie auf der Erde viele Quellen von Wasser und Feuer aus
ihren
innersten
Teilen hervorquellen, und wie die drei Naturen an ein und demselben Ort
zu
beobachten sind:
Feuer, Wasser und Erde, die alle aus einer einzigen Wurzels80 stammen.
Daher
meint man
auch, die Erde sei ,Vorratskammer¦ von allem Stofflichen,
und zwar
bringt sie einerseits das,
womit sie alles ausstattet,581 aus sich hervor; nimmt aber andererseits
alles,
was oben
vorhanden ist, dafür wieder in sich auf.
5. So nämlich verbindet582 der Schöpfer, und damit
meine ich jetzt
die Sonne, Himmel
und Erde, das Sein führt sie hinab, die Materie aber hinauf,
sie zieht
alles in ihren Bereich und
auf sich hin, gibt allen von sich alles und spendet das Licht in
reicher
Fülle. Denn sie ist es,
deren gute Wirkkräfte nicht nur im Himmel und in der Luft
(wirken),
sondern sie dringen auch
auf der Erde in die tiefsten Tiefen und Abgründe.555
6. Wenn es aber auch ein geistiges Sein gibt, dann macht dies ihren
Umfang
und ihr
Gewicht aus; denn sein Träger dürfte das Licht der
Sonne sein.
Wo dieses Sein aber entsteht
oder woher es zufließt, weiß die Sonne allein (...)
oder weil
sie dem Ort und der Natur nach
sich selbst nahe ist (... der geistige Kosmos) wird nicht von uns
gesehen,
sondern durch
Mutmaßung werden wir gezwungen, ihn gedanklich zu erfassen
(...).584
7. Die Schau [Seite
209] der Sonne aber hat nichts mit Mutmaßung zu tun, sondern
ihre Erscheinung
selbst
erleuchtet mit strahlend hellem Licht den gesamten Kosmos, den unter
ihr
liegenden wie den
über ihr befindlichen. Denn sie ruht in der Mitte und
trägt den
Kosmos wie einen Kranz, und
wie ein guter Wagenlenker bringt sie den Wagen des Kosmos sicher durch
alle
Gefahren und
hat ihn an sich gebunden, damit seine Bewegung in geordneter Bahn
verläuft.
Ihre Zügel aber
sind Leben, Seele, Pneuma, Unsterblichkeit und Werden. Sie
läßt
es nicht zu, daß er (der
Kosmos) sich unabhängig von ihr bewegt, sondern, wenn es gilt,
die Wahrheit
zu sagen er
kann es nur mit ihr:
8. Und auf diese Art und Weise schafft sie alles;585 einerseits gibt
sie
den Unsterblichen
die ewige Beständigkeit und nährt mit dem nach oben
strebenden
Licht, das sie von ihrer
anderen, dem Himmel zugewandten Seite hinaufsendet, die unsterblichen
Teile
des Kosmos;
andererseits belebt und bewegt sie mit dem Licht, das, dort
eingeschlossen,
den gesamten
Raum von Wasser, Erde und Luft ringsum erhellt, die in diesen Teilen
des
Kosmos lebenden
Wesen durch Werden und Wandel.
9. Auch verändert und formt sie eines ins andere um, wobei die
Wesen
sich im Wechsel
von einem ins andere, Art für Art und Gattung für
Gattung, ineinander
verwandeln, nach Art
eines Kreislaufes, wie sie auch bei den großen
(Himmels)körpern
wirkt in ihrer
schöpferischen Tätigkeit. Denn das Fortbestehen eines
jedes Körpers
liegt in seiner
Verwandlung, und zwar bei einem unsterblichen (in einer
Veränderung)
ohne Auflösung,
beim sterblichen dagegen verbunden mit Auflösung. Und darin
unterscheidet
sich das
Unsterbliche vom Sterblichen und das Sterbliche vom Unsterblichen.
10. Und wie ihr Licht niemals nachläßt, so
läßt sie
auch niemals darin nach, Leben zu
schaffen, und keinen Ort läßt sie aus, und [Seite
210] nie hört
sie auf, alles auszustatten. Denn
die Chöre der Dämonen um sie herum sind zahlreich und
gleichen
buntgewürfelten Truppen,
die586 als Nachbarn auch den Unsterblichen nicht fern sind. Nachdem sie
deren587
Bereich
zugewiesen erhielten, wachen sie von dort aus über die
Angelegenheiten
der Menschen und
führen das ihnen von den Göttern Befohlene aus durch
Stürme,
Orkane, Blitz und Donner,
Feuersnöte588 und Erdheben, außerdem noch durch
Hungersnöte
und Kriege, und bestrafen
damit die Gottlosigkeit.
11. Sie ist nämlich die größte
Schlechtigkeit der Menschen
gegenüber den Göttern. Den
Göttern nämlich kommt es zu, Gutes zu tun, den
Menschen, gottesfürchtig
zu sein, und den
Dämonen, Beistand zu leisten.559 Alles andere, was die
Menschen im Irrtum,
aus Frevelmut,
aus Notwendigkeit (anankä) die sie Schicksal
(heimarmenä) nennen,
oder aus Unwissenheit
unbesonnen tun, für dies alles wird von den Göttern
keine Rechenschaft
verlangt. Allein die
Gottlosigkeit unterliegt der Strafe.
12. Erhalter und Ernährer jeder Gattung (von Lebewesen) ist
die Sonne.
Und wie der
geistige Kosmos den sichtbaren umfaßt, ihn erfüllt
und ihm Umfang
und Gewicht gibt durch
die unterschiedlichen und vielgestaltigen Formen, so umfaßt
auch die
[Seite 211] Sonne alle
Dinge im Kosmos, gibt allem, was entstanden ist, Umfang und Gewicht und
schenkt
ihm
Kraft. Und wenn es stirbt und vergeht,590 nimmt sie es wieder auf.
13. Unter ihr fand der Chor, besser die Chöre der
Dämonen ihren
Platz, denn es sind viele
und verschiedenartige, aufgestellt unter den Stern-Bezirken,591
für
jeden von ihnen die
gleiche Anzahl. So verteilt, dienen sie jedem einzelnen der Sterne,
sind
ihrer Natur nach, d.h.
in ihrem Wirken, gut oder böse. Das Wesen eines
Dämons liegt nämlich
in seinem Wirken;
einige von ihnen sind aber auch gemischt: gut und böse.
14. Sie alle haben die Macht über die irdischen
Angelegenheiten erhalten,
zumal über die
irdischen Wirrnisse, und sie verursachen ganz unterschiedliche
Störungen
sowohl allgemein
in den Städten und bei den Völkern, als auch privat
bei jedem einzelnen.
Denn sie formen
unsere Seelen um und ermuntern sie in ihrem Sinne; dafür haben
sie sich
in unseren Nerven,
in unserem Mark, unseren Venen und unseren Arterien und sogar in
unserem
Gehirn
niedergelassen und durchdringen uns auch bis in unser Innerstes selbst.
15. Denn jeden von uns, sobald er geboren ist und eine Seele erhalten
hat,
übernehmen die
Dämonen, die, jedem einzelnen der Sterne zugeordnet, in jenem
Moment
der Geburt ihren
Dienst tun. Denn sie lösen sich in jedem Moment ab, und es
bleiben nicht
dieselben, sondern
sie wechseln in regelmäßigem Turnus. Sie dringen nun
durch den
Körper in zwei der drei
Seelenteile ein, und jeder verwirrt diese im Sinne seiner eigenen
Kraft.
Der vernünftige
Seelenteil aber, frei von der Herrschaft der Dämonen, bleibt
unerschüttert
und ist fähig, Gott
aufzunehmen. 16. Wem nun in seinem [Seite 212] vernünftigen
Seelenteil
ein Lichtstrahl
(Gottes) durch die Sonne aufleuchtet - das sind aber insgesamt sehr
wenige
-, bei denen
verlieren die Dämonen ihre Wirkung. Denn niemand, kein
Dämon und
kein Gott, vermag
etwas gegen einen einzigen Lichtstrahl Gottes. Alle anderen aber werden
in
ihrer Seele und
ihrem Körper von den Dämonen getrieben und bestimmt,
weil sie an
deren Kräften Gefallen
haben und sie lieben. Und ihre Vernunft ist Verlangen,592 irregeleitet
und
irreleitend. Dieses
ganze irdische Regiment üben die Dämonen also durch
unsere Körper,
ihre Werkzeuge, aus;
dieses Regiment hat Hermes Schicksal (heimarmenä) genannt.593
17. Der geistige Kosmos hängt also von Gott ab, der sichtbare
Kosmos
vom geistigen
Kosmos, und die Sonne spendet überall im geistigen und
sinnlich wahrnehmbaren
Kosmos
das Gute, das aus Gott kommt,594 d. h. seine schöpferische
Kraft. Um
die Sonne bewegen
sich die acht Himmelskugeln (sfa@rai ), die von ihr ab hängen,
eine
der Fixsterne, sechs der
Planeten und die eine um die Erde.595 Von diesen Himmelskugeln
hängen
die Dämonen ab
von den Dämonen die Menschen. Und so hängt alles und
jeder von
Gott ab.
18. Deshalb ist der Vater von allem Gott, der Schöpfer aber
die Sonne
und der Kosmos das
Werkzeug596 der Schöpfung. Und das geistige Sein regiert den
Himmel,
der Himmel die
Götter, und die [Seite 213] Dämonen, die den
Göttern unterstehen,
regieren die Menschen.
Dies ist das Heer der Götter und Dämonen.
19. Durch sie schafft Gott alles aus sich selbst, und alles ist Teil
Gottes.
Wenn aber alles
Teil Gottes ist, ist Gott also alles. Indem er nun alles schafft,
schafft
er sich selbst und dürfte
niemals damit aufhören, weil es auch für ihn selbst
kein Aufhören
gibt. Und wie Gott kein
Ende hat, hat auch sein Schaffen weder Anfang noch Ende.
17
Schlußfragment eines Gespräches Tot
mit Ammon [Seite 215]
Dieser kurze Text stellt lediglich den Abschluß
eines längeren
Gespräches des Tat mit
einem König dar, der wahrscheinlich der
Götterkönig Ammon
(= Amun) ist. Man kann
davon ausgehen, daß in dem Arehetyp unserer Handschriften das
Ende
von CH XVI und
der Anfang von CH XVII ausgefallen ist. In den Handschriften folgt der
Text
in direktem
Anschluß an CH XVI (nur in Hs. D ist ein Absatz markiert).
Der kurze
Dialog setzt die
Situation eines Gastmahles voraus, bei dem Tat den König mit
seinen
theologischen
Ausführungen in Beschlag nimmt. Dieser beendet das
Gespräch mit
dem Hinweis, daß er
sich nun um die Gäste kümmern müsse. Tat
wird von dem König
Prophet genannt, was
wahrscheinlich als Übersetzung des Titels einer
ägyptischen Priesterklasse
zu verstehen
ist.595 Das Thema des Gespräches oder seines letzten Teiles
betraf die
Anbetung von
Götterstatuen. Tat versucht den König davon zu
überzeugen,
daß in den aus materiellen
Stoffen von Menschenhand hergestellten Götterstatuen
Unkörperliches
enthalten ist, das
die Anbetung verdient. Dieses Unkörperliche seien die Ideen
des geistigen
Kosmos, die sich
in den Götterstatuen in be sonderer Weise manifestieren. Zu
diesem Zweck
versucht Tat
dem König zuerst die Existenz von Unkörperlichem zu
beweisen (s.
CH XI 17). Er tut dies
mit dem Hinweis auf die unkörperhehen Spiegelbilder. Zwischen
dem Körper
und seinem
Spiegelbild herrsche das gleiche Verhähnis wie zwischen der
sichtbaren
und geistigen
Welt. Da der König die Existenz der Ideen akzeptiert, ist es
für
Tat leicht, das allgemeine
Verhältnis von Urbild und Abbild auf die Götterbilder
zu übertragen.
Weil sich auch in
ihnen das Göttliche spiegelt, muß man sie anbeten.
Das Interesse
der Hermetiker für
Götterbilder, denen man sogar eine tatsächliche
Einwirkung auf
die irdischen
Angelegenheiten unterstellte, zeigt sich auch im
lateinischen,Asklepios¦.
Dort wird
allerdings von einer direkten Beschwörung von Seelen der
Dämonen
oder Engel
gesprochen, die in die Götterbilder eingehen (¦
37f; s. ¦
23). Interessant ist auch, daß in
einem mittel- und einem neuplatonischen Text der Gedanke der
Abbildhaftigkeit
der
sichtbaren Welt (auch hier der Spiegelvergleich; s. Plat. Soph. 239d)
mit
der Verehrung
von Götterbildern verbunden wird (Plut. Is. et Os. 76, 382A C,
Plotin
IV 3 [271,11). Die
platonische Lehre bot eine Hilfestellung, die Göttlichkeit der
materiellen
Götter als
Verkörperung der transzendenten Ideen zu beweisen.
Gespräch
des
Tat mit dem König Ammon599 [Seite 215]
Tat: "Wenn du darüber aber nachdenkst, König: es gibt
auch im Bereich
des Körperlichen
Unkörperliches."
Der König erwiderte: Was soll das sein?"
Tat: "Meinst du nicht, daß die Körper, die in den
Spiegeln erscheinen,
unkörperlich sind?"
Der König sagte: "Ja, so ist es, Tat. Göttliche
Gedanken hast du."
[Seite 216]
Tat: "Es gibt aber noch anderes, was unkörperlich ist; meinst
du z.
B. nicht, daß es die
Ideen gibt, die unkörperlich sind, aber in den
Körpern, nicht nur
von beseelten, sondern auch
von unbeseelten Wesen, in Erscheinung treten?"
König: "Recht sprichst du, Tat."
Tat: "So spiegelt sich das Unkörperliche in den
Körpern und die
Körper im
Unkörperlichen, d. h. der sinnlich wahrnehmbare Kosmos im
geistigen
Kosmos und der
geistige im sinnlich Wahrnehmbaren. Deshalb bete die
Götterbilder an,
mein König, weil
auch sie Ideen aus dem geistigen600 Kosmos in sich tragen." Da stand
der
König auf und
sagte: "Es ist Zeit, du Künder des Göttlichen, sich
um die Gäste
zu sorgen. Morgen wollen wir
in unserem theologischen Gespräch die weiteren Fragen
behandeln."
18
Die Behinderung
der Seele durch die Affektionen des Körpers [Seite 222]
Inhalt:
1-3Der Redner als Musiker: die göttliche Inspiration und
dasfehlerhafte
Instrument
4+5 Der Künstler und die Mangelhaftigkeit seines Instruments
6-7Der Redner als Musiker ohne Instrument wird von Gott inspiriert
8-10 Gott und die Könige, denen er den Sieg schenkt
11-14 Der Lobpreis Gottes
15 -16 Das Lob der Könige und ihr Friedensamt
1. Wenn Musiker, die ein überaus kunstvolles Lied
ankündigen, in
dem alles zu einem
harmonischen Zusammenklang findet, während ihres Vortrags
durch die
Verstimmtheit der
Instrumente in irgendeiner Weise in ihrem gestalterischen Willen
beeinträchtigt
sind,607 ist
ihr Vorhaben der Lächerlichkeit preisgegeben. Denn wenn die
Instrumente
für ihren Zweck
zu schlecht sind, kann es nicht ausbleiben daß der Musiker
von den
Zuhörern verspottet wird.
Denn er trägt zwar seine Kunst vor, ohne in seinem [Seite 223]
guten
Willen nachzulassen, die
Unzulänglichkeit seiner Instrumente aber wird getadelt.608
Denn wahrlich
ist der von Natur
aus musisch Begabte ein Gott,609 und nicht nur die harmonisch
gefügten
Lieder
hervorzubringen, sondern auch zu den einzelnen Instrumenten den
Rhythmus
der passenden
Klänge hinzuzufügen, darin ist dieser Gott
unermüdlich. Denn
bei einem Gott gibt es kein
Ermüden.
2. Wenn aber einmal einem Künstler, der mit
größtmöglichem
Erfolg an einem
musikalischen Wettbewerb teilnehmen will, eben noch haben auch die
Trompeter
denselben
Beweis ihres Könnens gegeben, eben haben auch die
Flötisten mit
ihren melodischen
Instrumenten helltönende Klänge produziert, (und
andere Musiker)610
mit Rohrflöte und
Plektron den Gesang ihres Liedes vorgetragen (...) ,611 schiebt man die
Schuld
nicht auf das
den Musiker inspirierende Pneuma, gibt man die Schuld nicht der
Gottheit,612
sondern man
erweist ihm die gebührende Ehre, tadelt aber die
Mangelhaftigkeit des
Instruments, weil sie ja
das besonders Schöne beeinträchtigte, indem sie den
Musiker in
seinem Gesang behinderte
und die Zuhörer um den Genuß des
helltönenden Liedes brachte.
[Seite 224]
3. Und so soll auch kein Zuschauer wegen unserer körperlichen
Schwäche
in gottloser
Weise unsere Zunft613 tadeln, sondern er soll wissen, daß der
Gott
(in uns) ein unermüdliches
Pneuma ist, niemals in seinem nur ihm eigenen Wissen
nachläßt,
ohne Unterlaß seine
Glückseligkeit genießt und immer dieselben Wohltaten
tut.614
4. Wenn aber sogar615 dem Meister Phidias das Material, das er
gebrauchte,
sich nicht
fügte für ein vollkommenes, kunstvolles Werk, der
Künstler
aber, was ihn selbst angeht, der
Aufgabe seiner Fähigkeit nach gewachsen war, (...),616 dann
wollen wir
nicht auf ihn die
Schuld schieben, sondern die Unzulänglichkeit der Saite
tadeln, weil
sie in der Spannung
nachließ, weil sie617 die Spannung schwächer werden
ließ
und dadurch den Wohlklang der
schönen Musik zunichte machte.
5. Aber wenn nun das Mißgeschick mit dem lnstrument geschehen
war,
hat niemals jemals
den Musiker beschuldigt, sondern je mehr man das Instrument tadelte,
desto
mehr lobte man
den Musiker, immer wenn die Zuhörer, obwohl die
Instrumentalbegleitung
mehrfach gegen
den Klang der Stimme einfiel,615 jenem Musiker noch mehr Liebe
entgegenbrachten
und ihm
(infolgedessen) trotzdem keine Vorwürfe machten. So stimmt
auch ihr,
hochverehrtes
Publikum, im Innern eure eigene Leier wieder für den
Musiker.619
6. Aber ich sehe nun, daß [Seite 225] einer, der
Künstler ist,
sogar auch ohne die
Mitwirkung der Leier, wenn er einmal für ein
großartiges Thema
vorbereitet ist, gleichsam
sich selbst oft als Instrument gebraucht und auf geheimnisvolle Weise
das,
was die Saite sonst
leistet, einbezieht, damit das Publikum das, woran es eigendich
mangelt,
als etwas
Großartiges empfindet620 und darüber über
die Maßen
erstaunt. Man erzählt ja nun auch, daß
ein Künstler in einem Kithara-Wettbewerb spielte und die Saite
riß
und daß er dann von der
Gottheit (...).621 Man erzählt ja nun von einem
Kitharöden, dem
der Schutzgott der Musik
wohlgesinnt war;622 nachdem ihm im Kithara-Wettbewerb beim Spiel die
Saite
riß und ihn
um seinen Kampfpreis zu bringen drohte, ergänzte das
Wohlwollen der
Gottheit die Saite und
gewährte ihm die Gunst des Ruhms; denn anstelle der Saite habe
sich
aufgrund der Fürsorge
der Gottheit eine Zikade niedergelassen, das Spiel ergänzt und
die Stelle
der Saite
eingenommen; der Kitbaröde aber habe nach der Heilung der
Saite seinen
Kummer vergessen
und den Ruhm des Sieges geerntet.
7. Nun habe ich beinahe das Gefühl, daß es mir auch
selbst so
ergeht, hochverehrtes
Publikum. Denn ich schien eben noch meine Schwäche zugeben zu
müssen
und kurz zuvor
noch in schlechter Verfassung gewesen zu sein, (jetzt) aber scheine ich
dank
der Macht der
Gottheit meine Kunst vorzutragen, nachdem [Seite 228] mein Gesang
über
den König621
gleichsam ergänzt wurde. Daher wird denn auch im
Rühmen der Könige
dieser Beistand sein
Ziel erreichen, und die von ihnen verliehenen Siegespreise werden in
meinem
Eifer für den
Vortrag ihren Zweck finden.624 Wohlan, laßt uns beginnen;
denn das
will der Musiker.
Wohlan, laßt uns eilen; denn das will der Musiker. Und
dafür hat
er seine Leier gestimmt, und
er wird desto helltönender singen und gefälliger
musizieren, je
größer das Thema ist, das sein
Lied bestimmt.
8. Da nun sein Leierspiel besonders auf die [Seite 227] Könige
eingestimmt
ist und den
Ton von Preisliedern hat und sein Ziel in den Lobpreisungen der
Könige
sieht, da richtet er
sich zuerst an den höchsten König des Weltalls, den
guten Gott,
und von oben beginnt er sein
Lied, geht dann an zweiter Stelle zu denen hinab, die nach seinem Bild
das
Szepter tragen;
denn es ist auch den Königen selbst lieb, daß das
Lied von oben
Stufe für Stufe hinabsteigt,
und daß sie von dort, von wo ihnen der Erfolg des Sieges
geschenkt
wird, folge richtig auch
ihre Hoffnungen herleiten.
9. Es soll nun also der Musiker sich dem größten
König des
Weltalls zuwenden, zu Gott,
der immer unsterblich ist, ewig und seit aller Zeit die Macht besitzt,
der
erste ruhmvolle
Sieger, von dem alle Siege auf die Nackfolgenden kommen, die den Sieg
empfangen.625
10. Zu Lobpreisungen also eilt meine Rede hinabzusteigen, zu
Lobpreisungen
auf die
Könige, die für die allgemeine Sicherheit und den
Irieden sorgen;
ihnen ist seit alters her von
der Gottheit626 in Fülle die Macht übertragen, ihnen
ist von seiner
Hand der Sieg verliehen,
ihnen stehen die Siegespreise auch schon vor ihren Heldentaten in den
Kriegen
bereit, ihre
Siegeszeichen werden schon vor dem Kampf aufgestellt, ihnen ist nicht
nur
bestimmt, Könige
zu sein, sondern auch die Besten zu sein, vor ihnen geraten die
Barbaren
in Angst und
Schrecken, schon bevor sich ein Heer in Bewegung setzt.
Der Lobpreis der Gottheit und die Verherrlichung des Königs
11. Meine Rede beeilt sich, mit dem Ende zum Anfang
zurückzukehren627
und in den
Lobpreis der Gottheit, dann aber auch die Rede in den Lobpreis der
göttlichsten
Könige, die
uns den Frieden schenken, ausklingen zu lassen. Denn wie wir mit der
Gottheit
und der oberen
Macht begonnen haben, so werden wir wieder zu eben dieser Gottheit das
Ende
hinlenken.
Und wie die Sonne, die Ernährerin aller Kreatur, als erste
nach ihrem
Aufgang selbst die
Erstlinge der Früchte erntet, wobei sie ihre Strahlen wie
riesige Hände
zum Abpflücken der
Früchte benutzt, - und ihre Strahlen sind für sie die
Hände,
die die Früchte, die am meisten
Ambrosia enthalten, zuerst abpflücken -, so müssen
dann auch wir,
die wir von der Gottheit
unseren Anfang genommen haben und den Ausfluß ihrer Weisheit
erhielten
und ihn
gebrauchen für die überhimmlischen
Sprößlinge, unsere
Seelen, im Gegenzug von unserer
Seite aus uns im Lobpreis auf die Gottheit üben, und Gott
selbst wird
uns jeden Sproß dieses
Lobpreises nähren.
12. Es ziemt sich (also), zu Gott, der absolut rein und der Vater
unserer
[Seite 228] Seelen
ist, aus unzähligen Kehlen und Stimmen den Lobpreis aufsteigen
zu lassen,
auch wenn es
nicht möglich ist, ihn seinen Verdiensten entsprechend zu
loben, da
wir nicht in der Lage sind,
es mit Worten zu tun. Denn auch die Neugeborenen können ihren
Vater
nicht gebührend
preisen; aber in der ihnen angemessenen Weise leisten sie, was in ihren
Kräften
steht, und
verdienen dafür Nachsicht. Oder vielmehr gereicht gerade dies
zum Ruhme
Gottes, daß er
größer ist als seine Geschöpfe und
daß die Präludien,
der Anfang,628 die Mitte und das Ende
der Lobpreisungen darin übereinstimmen, daß der
Vater in seiner
Macht und seiner Größe
keine Grenzen kennt.
13. So liegen die Dinge auch im Hinblick auf einen König.629
Denn von
Natur aus, weil
wir ja gewissermaßen von jenem abstammen, liegt es in uns
Menschen,
ihn (Gott) zu
lobpreisen, aber wir müssen um Seine Nachsicht bitten, wenn
uns diese
auch meistens schon
vor unserer Bitte vom Vater gewährt wird. Wie auch ein Vater
sich nicht
nur von seinen
neugeborenen Kindern wegen ihrer Hilflosigkeit nicht abwenden kann,
sondern
sich sogar
freut, von ihnen erkannt zu werden, so verhält es sich mit
unserer Erkenntnis
des Alls, die alle
(Menschen) zum Leben führt und zum Lobpreis auf Gott, mit dem
er uns
beschenkt hat.630
14. Denn Gott, der gut ist und immer Licht ist und in sich zu aller
Zeit
die Vollendung
seiner eigenen ewigen Herrlichkeit trägt, der unsterblich ist
und in
sich das Los des ewigen
Lebens umschließt, läßt auch niemals den
Zustrom der Kraft
versiegen,631 die von dort
ausgeht, und gibt auch in diesen [Seite 229] (irdischen) Kosmos die
Verheißung,
daß der
Lobpreis Rettung und Bewahrung bedeutet. In jener Welt nun gibt es
gewiß
keinen Streit
untereinander,632 dort gibt es keinen Wankelmut, sondern alle haben
dieselbe
Gesinnung,
alle verfügen über das gleiche Vorauswissen, einen
einzigen Geist,
ihren Vater, besitzen sie;
nur eine und dieselbe Empfindung ist in ihnen, die ihre Zuneigung
zueinander
bewirkt, und
die bei allen gleiche Liebe, die eine einzige Übereinstimmung
unter
allen schafft.633
15. So laßt uns also Gott lobpreisen. Aber wir wollen doch
auch zu
denen hinabsteigen, die
von jenem ihr Szepter empfangen haben. Denn wir müssen mit den
Königen
beginnen und
uns durch die dabei gewonnene Übung nun bereits an
Lobpreisungen gewöhnen
und die
fromme Ergebenheit gegenüber der Gottheit preisen; und634 wir
müssen
den ersten Anfang
des Lobes bei jener (Gottheit) einüben und uns der weiteren
Übung
durch sie unterziehen,
damit wir uns die Übung in der Frömmigkeit
gegenüber Gott
und auch die Lobpreisung der
Könige zu eigen machen.
16. Denn auch ihnen gegenüber müssen wir uns
erkenntlich zeigen
dafür, daß sie uns den
Segen des Friedens, der so wichtig ist, beschert haben. Die Tapferkeit
eines
Königs und schon
allein sein Name gewährleisteten den Frieden. Denn deswegen
wird er
König (basileus)
genannt, weil er mit leichtem Schritt (basileia)635 [Seite 230] die
höchste
Machtstellung
einnimmt und über das Wort, das Frieden schafft,
verfügt, und weil
er von Natur aus den
barbarischen Königen überlegen ist, ist auch sein
Name schon Symbol
für den Frieden. Daher
pflegt auch die Nennung des Wortes ,König¦ den
Feind oft schon
zum Rückzug zu bewegen.
Außerdem aber sind auch die Statuen des Königs
Zufluchtstätten
des Friedens für die, die in
ein schweres Unglück geraten sind. Und so geschah es,
daß bereits
das Erscheinen des
Königsbildes den Sieg bewirkte, den Einwohnern die Angst nahm
und ihnen
Schutz vor
persönlichem Schaden gewährte.
Auszüge
aus Jamblichos
In den anderen uns überlieferten Schriften und Fragmenten
Jamblichs
findet sich nur noch
in einem von Proclos überlieferten Jamblichfragment ein
Hinweis auf
Hermes Trismegistos.
Test. 16 - Jambl. Myst. VIII 6 - N. F. IV 114 f. (ScoTr IV 34 f.)
Du sagst nun also, daß die meisten Ägypter auch das,
was in unserer
Macht steht, von der
Bewegung der Gestirne abhängig sein lassen.20 Wie sich das
aber verhält,
muß dir
ausführlicher aus den hermetischen Vorstellungen
erklärt werden.
Denn wie diese Schriften
sagen, hat der Mensch zwei Seelen: die eine geht aus dem ersten
Geistigen
hervor und hat
auch Anteil an der Kraft des Schöpfers; die andere ist die,
die aus
der Kreisbewegung der
Himmelskörper dem Menschen gegeben wird. Und in diese gelangt
dann die
Seele, die die
Fähigkeit hat, Gott zu schauen.
Test. 17 -Jambl. Myst. X 15 - N. E IV 115 (Sco rr IV 39)
Für das Gute an sich im göttlichen Bereich halten die
Ägypter
Gott, der das höchste
Erkenntnisziel darstellt,22 für das im menschlichen Bereich,
die Vereinigung
mit ihm.
Ebendas hat Bitys23 aus den hermetischen Büchern
übersetzt.
Test. 18 - Jambl. bei Proclos In Tim. 117D - N. F. IV 116
(Scorr IV
103)
Und in der Tat sagt auch die Überlieferung der
Ägypter dasselbe
über sie (sc. die Materie).
Zumindest hat doch der göttliche Jamblich berichtet, auch
Hermes wolle
die Materialität aus
dem Sein ableiten. Und so ist es dann auch wahrscheinlich,
daß auch
Plato aus dieser Quelle
zu einer derartigen Lehre über die Materie kam.24
Zosimus
Quellen: 11 Te\f·2TaLa aTrO>XTl: (1) M. BrRTTTTT.OT
8t Ch. E. RUEI.LE,
Col
Ieetion des Aneiens Alchimistes Grecs, (Nachdruck in einem Band) London
1963,
239 - 246;
(2) A. J. FESTUGI+RE 1950, 11 363 - 368 (Übersetzung: a. a.
O., 275-281).
Unverfälscher
Kommentar zu dem Brief Omega: (1) M. BFRTHELOT 86 Ch. E. RUELLE, a. a.
O.
228-235;
(2) Ed. and transl. by H. M. JACKSON, Missoula 1978. Syrisehe Fragmente
in
Übersetzung:
R. DUVAL, in: M. BERTHELOT, La ehi llTiC au moyen age, Bd. 2, Paris
1893,
203-331.
Sek.lit.: FOWDEN 1986, 120Ä126.
In den uns überlieferten Schriften und Fragmenten des
ägyptischen
Alchemisten
Zosimus von Panopolis werden Hermes Trismegistos und seine Schriften
mehrfach
genannt. In seiner Schrift · TC3f uTma a TuX 125 spielt
Zosimus auf
CH I und CH IV
an.26 Auch in den bisher nur in Übersetzung publizierten
syrischen Fragmenten
finden
sich Hinweise auf die Benutzung hermetischer Quellen.27
Explizite Zitate finden sich in der Schrift "Unverfälschter
Kommentar
zu dem Brief
Omega", in der Zosimus rivalisierenden Alchemisten vorwirft, durch die
Heimarmene
beherrscht zu werden. Hermes wird in dieser Schrift siebenmal genannt
(4,1
f=Test. 19/);
5,1 + 7,4 f=Test. 20/); 7,4 + 8,2 f=Test. 2i/; 8,11; 15,1), wobei er
zwar
nie als Hermes
Trismegistos bezeichnet wird, jedoch einmal als unendlich
größer
Hermes dem "dreifach
großen Plato gegenübergestellt wird. In 15, 1f
werden die "heiligen
Bücher des Hermes"28
als Quelle des Zosimus genannt.
Test. 19 - Zosimus 111, XLIX 2 - N. F. IV 117 (Scorr IV 105; JACKSON
54)
Solche Menschen nannte Hermes gewöhnlich in seinem Buch
,Über die
Naturen¦ Wesen
ohne Verstand, nur Mitläufer des Schicksals
(heimarmenä) ohne Vorstellung
von irgend etwas
Unkörperlichem und vom Schicksal selbst, das sie
verdienterweise führt.
Statt dessen
schimpfen sie über dessen körperliche
Erziehungsmahnahmen und denken
an nichts anderes
als an das Glück, das es schenkt.
Test. 20 - Zosimus 111, XLIX 3-4 - N. F. IV 117f (Scorr IV
105; JACKSON
55 5.7)
[3] Hermes und Zoroaster sagten, daß der Stand der
Philosophen über
dem Schicksal
(heimarmenä) stehe, weil sie sich weder über
das von ihm geschenkte
Glück freuen - denn sie
sind Herr über die sinnliche Lust -, noch werden sie durch das
von ihm
kommende Unglück
niedergeworfen, weil sie stets ein Leben fern von allem Materiellen
führen,29
noch nehmen
sie die schönen Geschenke von ihm an, weil sie das
böse Ende bedenken
...
[4] Zoroaster rühmt sich des Wissens um alles Obere und der
Magie der
mit physischen
Mitteln ausgesprochenen Worte und behauptet, alles Unglück des
Schicksals
(heimarmenä)
sowohl im einzelnen als auch im allgemeinen (dadurch) von sich abwehren
zu
können.
Test. 21 - Zosimus 111, XLIX 4 - N. E IV 1l8f. (Scorr IV
105f.; JACKSON
55
78)
Hermes jedoch verwirft in seinem Buch ,Über die
Immaterialität¦30
auch die Magie und
sagt: Der pneumatische Mensch, der sich selbst erkannt hat, darf weder
mithilfe
der Magie
irgend etwas zustande bringen, selbst wenn es allgemein für
gut gilt,
noch darf er der
Notwendigkeit (anankä) trotzen, sondern muß sie
entsprechend ihrer
Natur und ihrem
Ratschluß wirken lassen. Und er muß sich auf seinem
Weg allein
von der Suche nach sich
selbst leiten lassen, Gott erkennen und die unaussprechliche Dreiheit
erfassen;
und er muß
dem Schicksal (heimarmenä) den ihm unterworfenen Schmutz, d.
h. den
Körper, überlassen, zu
tun damit, was es will. Und wenn du zu diesem Denken und zu die ser
Lebenshaltung
gekommen bist¦: sagt er, "dann wirst du sehen, daß
der Sohn
Gottes den heiligen Seelen
zuliebe in jedes Wesen sich verwandelt, um die Seele aus dem Bereich
des
Schicksals
(heimarmenä) herauszureißen in den Bereich
des Unkörperlichen.
Sieh wie er sich in jedes
Wesen verwandelt in Gott, in einen Engel, in einen Menschen, der
äußeren
Einflüssen
ausgesetzt ist. Denn er vermag alles, verwandelt sich in alles, was er
will,
mld gehoreht dem
Vater, indem er jeden Körper durchdringt. Er erleuchtet den
Geist jeder
Seele31 und läßt ihn
in den glückseligen Raum hinaufsteigen, wo er war, bevor er in
einen
Körper einging, denn
der Geist folgt ihm, sehnt sich nach ihm und wird (von ihm)32 in jenes
Licht
geführt.
Betrachte auch die Tafel, die Bitos geschrieben hat, und der dreifach
große
Plato und der
unendlich große Hermes,33 daß in der ersten
hieratischen Sprache
der erste Mensch,Thoytos¦
genannt wird als Ausleger von allem, was existiert, und als Namengeber
aller
körperlichen
Dinge."
Markell
von Ankyra
Quellen: E. KLOSTF.FMANN/G. HANSEN, Gegen Mareen. Über die
kirehliche
Theologie. Die Fragmente Mareellr, Eusobius Werke IV, 31991 (GCS 14);
K.
SEIBT, Die
Theologie des Markell von Ankyra, Berlin/New York 1994 (AKG 59). G.
MERCATt,
Anthimi Nicomediensis episcopi et martyris de saneta Ecciesia, in: Note
di
Letteratura biblica
e eristiana antica 111, 1901 (St 5), 95-98. Sek.lit.: M. RICHARD,
Uß
opuseule meconnn de
Mareol Evequc de Ankyra, MSR 6 (1949), 5-28 (= ders., Opera omnia 11,
Turnhout,
Lowen
1977, Nr. 33); FowDeN 1986, 209.
Markell von Ankyra (ca. 280-374 n. Chr.) rezipiert heretische
Traditionen
in seiner nur
fragmentarisch erhaltenen Erstlingsschrift ,An den Kaiser
Konstantin¦
und in dem
Brieffragment ,Über die heiligen Kirehe¦.34 In ,De
sancta ecclesia¦
werden Hermes, Platon
und Aristoteles summarisch in Paragraph 7 als Quellen der gnostischen
Häresien,
in
Paragraph 16 als Quellen der zeitgenössischen Gegner des
Markell genannt.
In Paragraph
9 wird die Drei-Hypostasen-Lehre Valentins und die
Drei-Hypostasen-Lehre
der Arianer
auf Hermes und Plato zurückgeführt. In einem
ähnlichen Kontext
verweist Markell auch
in Frag. 85 (Klostermann) des ,Opus ad Constantinum
Imperatorem¦ auf
Hermes und
Plato als Quelle seiner Gegner. In ,De sancta
ecclesia¦(¦ 10-12)
nimmt Markell Hermes
Trismegistos zunächst als Ursprung für die den
Arianern vorgeworfene
Zwei-Götter Lehre
in Anspruch und zitiert Ascl. 8 (N. F. II 304,20 -305,2. 69). In
Paragraph
15 zitiert Markell
als Beleg für eine seiner Auffassung nach unbiblische, d. h.
die Einheit
Gottes zerstörende
Lehre der Arianer ein hermetisches Testimonium, das uns nur hier
überliefert
ist:
Test. 36 - De sancta ecclesia 5 14 f. - N. F. IV 143 (SCOTT
IV 159f.)
Von woher aber haben sie (sc. die Arianer) die Ansicht
begründet, daß
der Logos Gottes
sich dem Willen Gottes unterstellt? Haben sie nicht auch das von
Trismegistos
gelernt? (15)
Denn nach dem ersten Gott spricht er über den zweiten Gott und
sagt
folgendes: "Wir werden
den Gott, der das höchste Erkenntnisziel darstellt, erkennen,
(. . .)35
der völlige
Übereinstimmung mit jenem besitzt, weil jener es so gewollt
hat, der
aber in zweifacher
Weise zurücksteht, nämlich dadurch, daß er
in einem Körper
ist und daß er sichtbar ist."