…formar modelli nuovi… Marinos Poetik des ‚Neuen‘ und die Struktur des literarischen Barock in Italien

Gefördert von der DFG als Einzelprojekt im Rahmen der DFG-Forschungsgruppe 2305 Diskursivierungen von Neuem

Laufzeit 2019-2023

 

Ausgehend von den in der ersten Förderperiode der FOR 2305 gewonnenen Ergebnissen zu Tassos poetischer Praxis und seinen dichtungstheoretischen Reflexionen möchte das Teilprojekt ‚alt‘-‚neu‘-Beziehungen in nachahmungspoetischen Produktionsprozessen bei G.B. Marino als epochale Indikatoren ‚barocker‘ Literatur in Italien untersuchen. Bei Tasso ließen sich starke Tendenzen zur Hybridisierung von Gattungs- und Stilgrenzen nachweisen. Diese Hybridisierungen werden von Tasso auf theoretischer Ebene ebenso ‚subjektivistisch‘ (über individuelle concetti) wie auch mit dem Hinweis auf referentielle Angemessenheit und Überzeugungskraft begründet. Marino schreibt diese, in ihrem systematischen Zuschnitt mit zeitgenössischer Homiletik verwandten, Ansätze Tassos dahingehend fort, dass er in einer massiven Aufwertung des auktorialen ingegno die Normativität von Traditionen weitgehend ausschaltet. An deren Stelle tritt das Prinzip freier Kombination, welche dem individuellen poetischen capriccio folgt und nicht dem überindividuellen Konsens humanistischer Diskursregeln. Während Tassos Hybridisierungen auf Integration des Verschiedenen, auf die Konstruktion eines ‚neuen‘, möglichst konsistenten semantischen und formalästhetischen Modells im Horizont des ‚Alten‘ abgestellt waren, entfalten Marinos modelli nuovi sich zwar keineswegs im Sinne moderner ‚Innovation‘, sondern wie in den humanistischen Dichtungslehren und -praktiken im Rückbezug auf ‚alte‘ Repertoires, versuchen aber – vor allem im Gattungswandel vom poema eroico zum poema di pace – die Differenzqualitäten und traditionell mitgeführten Semantiken der Bezüge zu tilgen (Bsp: der Vergil-Bezug eines Tasso war demonstrativ durch Vergil-Zitate als solcher erkennbar und rief bestimmte Vorstellungen epischer Klassizität auf; Marino durchkreuzt in seinem Rearrangement des ‚Alten‘ aber solche Zusammenhänge). Vor diesem Hintergrund schlägt das Projekt in Hinblick auf eine pointierte Beschreibung der ‚alt‘-‚neu‘-Beziehungen bei Marino und in Ergänzung zu dem Hybridisierungsbegriff des Verbunds die Beschreibungskategorie der ‚Amalgamierung‘ vor. Das Projekt bezieht damit nicht nur seinen wesentlichen Frageimpuls aus den gemeinsamen Interessen des Verbunds, sondern leistet auch die Analyse einer historisch für den Verbund ungewöhnlichen, ja singulären Konstellation, in der Kategorie des ‚Neuen‘ unter prononcierter Entwertung des ‚Alten‘ als epochal spezifisches Dispositiv für die Herstellung auktorialer Geltung aufgebaut wird.

 

 

Canto l’arme pietose. Hybridisierungen von ‚alt‘ und ‚neu‘ in Epos und Epostheorie des Secondo Cinquecento.

Gefördert von der DFG als Einzelprojekt im Rahmen der DFG-Forschungsgruppe 2305 Diskursivierungen von Neuem. Tradition und Novation in Texten des Mittelalters und der Frühen Neuzeit

Laufzeit 2016-2019

 

Das Teilprojekt möchte die gemeinhin präsupponierte Dichotomie posttridentinischer und humanistischer Diskurse im Bereich der Literatur einer Revision unterziehen und vorschlagen, die kulturelle Situation des Secondo Cinquecento nicht als diachrone Abfolge und/oder synchronen Widerstreit von ‚weltlicher Renaissance‘ einerseits und ‚rigoristisch-spiritueller Gegenreformation‘ andererseits zu beleuchten, sondern das Konzept der Hybridisierung als Beschreibungskategorie in Anschlag zu bringen. Dabei ist der Aspekt der Zeitlichkeit bedeutsam, wenn das Secondo Cinquecento der communis opinio zufolge durch humanistische und durch tridentinische Regelsysteme geprägt ist, wobei erstere in ihrer ‚Weltlichkeit‘ modern wirken, im historischen Diskursgefüge aber gleichsam ‚alt‘ und ‚erschöpft‘ einen Geltungsverlust zu erfahren scheinen, während gegenreformatorische Ordnungsmodelle einerseits tief restaurativ anmuten, andererseits aber nachgerade „modernisierungswütig“ ‚neue‘ Darstellungs- und Wissensformen entwickeln. Dass es dabei auf der historischen Objektebene zu Übergänglichkeiten und Vermischungen kommt, ist von der Forschung durchaus beobachtet worden. Das Projekt möchte aber weiter gehen und auch auf Konzeptebene vorschlagen, das Verhältnis Humanismus/Gegenreformation nicht dichotomisch anzugehen, sondern als Hybride zu begreifen. Mit hoher Repräsentativität finden sich humanistische und tridentinische Ordnungsschemata im Bereich des Epos, für dessen Praxis und Theorie Torquato Tassos Gerusalemme-Epen und Discorsi del poema eroico kanonisch sind. Die These lautet, dass hier ‚alte‘ und ‚neue‘ Diskurse in einem Spannungsverhältnis von Rückversicherung und Traditionsbruch nicht nur miteinander konkurrieren, sondern dass sie sich vielfach gegenseitig durchdringen. Auf Objektebene gilt, dass ‚alte‘ und ‚neue‘ Sinn- und Darstellungssysteme sowohl explizit als solche ausgestellt als auch implizit mitgeführt, verschliffen und überblendet werden können. Dabei sind alle drei im Dachkonzept der FG benannten Objektebenen von Belang: so liefert die Liberata auf der Ebene poetischer Praxis Bausteine zu einer inhärenten Poetik, was häufig mit einer autoreflexiven Selbstthematisierung verbunden wird, welche jene historische Theoriebildung narrativ in den poetischen Text einholt, die als historische Theoriebildung ihren Ort in den Discorsi bzw. in jenen dichtungs- und kunsttheoretischen Texten humanistischer und tridentinischer Provenienz hat. Auf analytischer Metaebene sollen die Beziehungen von ‚alt‘ und ‚neu‘ insgesamt als integrative Wissens- und Repräsentationsdynamiken erfasst werden; es soll geprüft werden, wie sich die Verschränkung von Tradition und Novation als Hybride denken und beschreiben lässt. Ein Reiz der Fragestellung liegt darin, dass binnenliterarische und außerliterarische Dimensionen verknüpft sind. Damit impliziert das Frageinteresse des Projekts, auch ‚Gegenreformation‘ und ‚Humanismus‘ als strikt dichotomische Epochenbegriffe in Frage zu stellen.

 

 

Singularisierung – Sodalisierung. Poetische Selbstautorisierung in der italienischen und französischen Literatur der Frühen Neuzeit. Laufzeit 2013 - 2016

Gefördert von der Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung

 

Die Selbstautorisierung eines Autors als Autorität poetischer imitatio widerspricht einem traditionell zentralen Geltungsargument für die Vorbildhaftigkeit eines Autors im Rahmen der imitatio veterum, nämlich die Anciennität seiner Schriften. Selbstautorisierung ist damit  Grundfigur einer dynamischen, prospektiv ausgerichteten Performativität jener poetischen Rede in der Frühen Neuzeit, die zwar grundsätzlich durch retrospektive Ausrichtung an klassischen Vorbildern, die es im Sinne der renovatio zu aktualisieren gilt, gekennzeichnet ist, die in ebensolchem Maße aber auch das poetische Jetzt und die Zukunft in den Blick nimmt. Die zentrale These lautet in diesem Zusammenhang, dass Francesco Petrarca in Hinblick auf die Etablierung spezifisch frühneuzeitlicher Autorität auf nachdrückliche Selbstautorisierung setzt und dabei zwei morphologisch gegenstrebige und funktional komplementäre Verfahren nutzt: Singularisierung und Sodalisierung. Dies bedeutet, dass der Autor als Trägerfigur der Werkautorität sich als einzigartiges Individuum stilisieren kann oder sich als konstitutiven Teil einer Gemeinschaft in Szene setzen kann, wobei von Petrarca an beide Dispositive auktorialer Selbstdarstellung und Selbstautorisierung sich vielfach ergänzen und in ihrer Verbindung ein ganzheitliches und erfolgreiches Bild vom Autor als Autorität erzeugen sollen. Bei Petrarca selbst sind hier insbesondere Canzoniere und Familiares von Belang; neben der Darstellung der für Petrarca einschlägigen morphologischen Aspekte der Selbstautorisierung ist ihre Zurichtung auf epochenspezifische Rationalitäten ebenso Gegenstand des Projekts wie ihre Rückführung auf antike (Cicero, Ovid, Horaz) und mittelalterliche (Dante) Formen poetischer Selbstautorisierung sowie ihre Abgrenzung von diesen Bezugssystemen. 
Ausgehend von der Analyse der Verbindung von Singularisierung und Sodalisierung im volkssprachlichen und lateinischen Werk Petrarcas soll das Projekt exemplarisch Verfahren der Selbstautorisierung in der frühneuzeitlichen Literatur des 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts beleuchten. Für das 16. Jahrhundert bietet sich hier der Bereich markierter Petrarca-imitatio als Untersuchungsfeld an. ‚Petrarca-imitatio‘ kann dabei vom vermeintlich orthodoxen Petrarkismus über Hybridisierungen des petrarkischen Paradigmas – etwa durch die Kontamination mit der elegischen Tradition – bis hin zum radikalen Antipetrarkismus reichen. Im Bereich der italienischen Literatur sollen die beiden großen Opponenten Pietro Bembo und Pietro Aretino untersucht werden; im Bereich der französischen Literatur Joachim Du Bellay, Pierre de Ronsard und Louise Labé. In der Sache wird zu zeigen sein, dass ganz wie bei Petrarca die beiden Dispositive der Singularisierung und Sodalisierung komplementär in Hinblick auf eine wirkungsvolle Selbstautorisierung genutzt werden, wobei es freilich zu unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen oder zu (teils einseitig) amplifizierenden Varianten des Modells kommen kann.  Die insbesondere bei Ronsard zu beobachtende Privilegierung singularisierender Momente als Zeichen formalästhetischer Exzellenz öffnet dabei die vulgärhumanistische Selbstautorisierung strukturell auf ein Charakteristikum barockmanieristischer Selbstautorisierung, welche den Untersuchungsbereich abschließen soll, und dies nicht im teleologischen Sinne etwa einer auf zunehmende Desubstantialisierung auslaufenden Literaturgeschichte der Renaissance, sondern als besonders prononcierte Ausprägung der Aufwertung des weltlichen Autors als Autorität poetischen Schreibens.