Seite 1 Flavius Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges
Übersetzt und mit Einleitung und Anmerkungen versehen von Dr. Heinrich Clementz.
Mit ausführlichem Namenregister und zwei von F. Spiess gezeichneten Tafeln
Halle an der Saale Verlag von Otto Hendel
Eingescannt und korrekturgelesen mit Verweisen auf die Originalseite auf in der Digital General Collection der Universität Michigan
Zum ImpressumDas Meisterwerk des Historikers Flavius Josephus (siehe das Nähere über Leben, Schriften und Charakter in der Einleitung zu meiner Übersetzung der „Jüdischen Altertümer") ist seine Geschichte des Jüdischen Krieges, die er, obwohl sie zeitlich den „Altertümern" nachfolgt, doch früher als diese geschrieben hat. Was in der Einleitung zu letzterem Werke von seiner Darstellungsweise gesagt wurde, dass sie nämlich klar, lebendig und elegant sei, trifft gerade bei der Geschichte des „Jüdischen Krieges" besonders zu. 1 Geschickte Verteilung und Anordnung des Stoffes, spannende Erzählung, ergreifende Darstellung tragischer Begebenheiten, malerische Naturschilderungen verleihen dem Werke einen prägnanten, originellen Charakter, woran freilich die abwechselungsreiche Folge der Ereignisse selbst nicht den kleinsten Anteil hat. Sind die „Altertümer" wegen ihres engen Anschlusses an das alte Testament stellenweise nicht frei von schleppender und trockener Darstellungsweise, so muss dem „Jüdischen Kriege" hingegen eine besondere Lebendigkeit der Erzählung nachgerühmt werden, die ihn von jeher zu einer Lieblingslektüre aller Freunde gediegener Geschichtschreibung gemacht hat. Wer lernte auch nicht gern die ergreifenden Schick-
1 Oberthür nennt Josephus den griechischen Livius
Seite 4 sale des verblendeten, irregeleiteten Volkes kennen, das mit hohen Geistesgaben ausgestattet und im Besitze unschatzbarer natürlicher Hilfsquellen, anscheinend zu etwas Besserem bestimmt war, als unter den ehernen Tritten des römischen Eroberers zermalmt zu werden? Und wen ergriffe nicht, wenn er diese packenden Schilderungen höchsten menschlichen Elendes, dieses verzweifelte Ringen eines gottgläubigen, markigen Volkes mit dem heidnischen, in der Kriegstaktik wohlbewanderten Weltbezwinger, diese blutigen Schlussscenen des erschütternden Dramas insbesondere an seinem geistigen Auge vorüberziehen sieht, das tiefste Mitgefühl? Mitgefühl mit den Leidenden wohlverstanden, nicht mit den halsstarrigen Führern des Aufstandes und ihrem Anhang räuberischer Spiessgesellen, die in ihrer Verblendung sondergleichen dem Schicksal selbst dann noch zu trotzen wagten, als der Untergang ihnen unabwendbar erscheinen musste. Das war kein edler Heldenmut, keine Aufopferung für die heimatliche Scholle mehr - das war wahnwitzige Auflehnung gegen die göttliche Macht, der kein Mensch ungestraft sich widersetzen kann. So endete denn dieser Verzweiflungskampf mit der Zerstörung der majestatischen, heiligen Stadt Jerusalem, mit der Einäscherung des gewaltigen Jehovah- Tempels, mit der Knechtung des unglücklichen Volkes - der erste Akt des düsteren Schauspiels, das mit dem zweiten, nämlich der 62 Jahre später unter Hadrian 135 n Chr erfolgten gänzlichen Niederwerfung der Juden und Verödung Judaeas seinen Abschluss fand. Auch in dem vorliegenden Werke zeigt Josephus wie in den „Altertümern" vielfach das Bestreben, seinen
Seite 5 heidnischen Lesern nicht zu nahe zu treten. Insbesondere äussert er diese Rücksichtnahme hinsichtlich seiner hohen Gönner Vespasianus und Titus, deren Thaten überall ins gehörige Licht gerückt sind, und deren edle, menechenfreundliche Gesinnung nach der Darstellung ihres Schützlings ausser allem Zweifel zu stehen scheint. Wir gehen aber wohl nicht fehl, wenn wir annehmnen, dass die erste Ausarbeitung der Geschichte des Jüdischen Krieges, die in des Josephus Muttersprache, der syrochaldaeischen, für die innerasiatischen Völkerschaften (siehe Vorwort 1) geschrieben war, im Hervorheben der Verdienste der beiden Cäsaren etwas masshaltender gewesen. sei. Diese syrochaldaeische Bearbeitung ist nämlich nicht mehr vorhanden; vielmehr besitzen wir nur die griechische Übersetzung oder, besser gesagt, die den Machthabern zu Gefallen vorgenommene Umarbeitung derselben. I Gleichwohl darf die Schilderung, was die nackten historischen Thatsachen angeht, als durchaus wahrheitsgetreu gelten, wofür als Beweis u. a. der Umstand herangezogen werden kann, dass König Agrippa II, mit dem Josephus regen brieflichen Verkehr unterhielt, sich mit der Darstellung des Krieges ausdrücklich einverstanden erklärte (Selbstbiographie des Josephus, Abschnitt 65). Weniger freilich will die am nämlichen Ort gemachte Bemerkung besagen, dass Titus die Bearbeitung durchgesehen und zur Beglaubigung unterschrieben habe. Übrigens wird die
1 Ausserdem haben wir noch den s y r i s c h e n Text des sechsten Buches, der wahrscheinlich eine Übersetzung aus der ursprünglichen syrochaldaeischen Bearbeitung darstellt und somit ein Bild davon geben konnte, wie Josephus die Uebertragung aus dem Syrochaldaeischen ins Griechische vorgenommen hat und von welchen Grundsätzen er dabei geleitet wurde (vergl. Kottek, das 6. Buch des Bellum judaicum nach der von Cerian photolithographisch edierten Peschitta-Handschrift).
Seite 6 Wahrheitsliebe unseres Schriftstellers auch durch die denselben Gegenstand behandelnden Werke anderer Historiker (Tacitus, Dio Cassius) erhärtet, deren Beschreibung der Belagerung bezw. Zerstörung Jerusalems ich des Vergleiches halber für interessant genug hielt, um sie unten folgen lassen zu sollen. Dass die geographischen und topischen Einzelheiten des „Jüdischen Krieges" sowohl wie auch der „Altertümer" vollen Anspruch auf Zuverlässigkeit haben, wird ja durch die neueren und neuesten Untersuchungen immer klarer dargethan. Die Q u e 11 e n, aus denen Josephus bei Abfassung der Geschichte des Jüdischen Krieges schöpfte, waren verschiedenartige und lassen erkennen, dass unser Schriftsteller in der That, wie er im Vorwort (Abschnitt 6) hervorhebt, weder Mühe noch Kosten gescheut hat, um etwas Gediegenes und Vollständiges bieten zu können. Zunächst kam ihm in dieser Hinsicht seine eigene Anschauung zu statten, da er in der ersten Zeit des Krieges als Kommandant von Galilaea den tätigsten Anteil an den Ereignissen nahm, und es ist klar, dass die Schilderung dieser Periode des Krieges als den Thatsachen am genauesten entsprechend angesehen werden muss. Als Josephus dann nach dem Falle der von ihm heldenmütig verteidigten Festung Jotapata in römische Gefangenschaft geraten war und durch sein schlaues, berechnendes Auftreten die Gunst des Vespasianus sowie später die Möglichkeit erlangt hatte, der Belagerung seiner Vaterstadt als Zuschauer beizuwohnen, fand er während seiner Anwesenheit im Lager der Römer vor Jerusalem die beste Gelegenheit, schriftliche Notizen teils nach eigenen Wahrnehmungen, teils nach den Berichten der zahlreichen jüdischen Überläufer, die der Hunger und das grausame
Seite 7 7 Wüten der Zeloten aus der belagerten Stadt trieb, in ausgiebigstem Masse zu sammeln (vergl. „Gegen Apion" I, 9). Dieses höchst wertvolle Material ergänzte er dann endlich noch durch eine weitläufige Correspondenz, die er von Rom aus führte, und die ihm - das können wir ihm in anbetracht der damaligen Verkehrsverhältnisse glauben - ganz erhebliche Unkosten verursacht haben muss. Was die Zeit deräbfassung desWerkes anlangt, so ergiebt sich aus den vorstehenden Ausführungen von selbst, dass es jedenfalls noch vor Ablaufder Regierungszeit des Vespasianus, also noch vor dem Jahre 79 n. Chr. geschrieben sein muss. Da anderseits nach beendetem Kriege zur Vervollständigung und Sichtung des Materials sowie zur Übersetzung aus dem Syrochaldaeischen immerhin eine geraume Zeit erforderlich war, so wird man das Jahr 75 oder 76 n. Chr. wohl als dasjenige bezeichnen dürfen, in welchem Josephus die Arbeit in der Form vollendete, wie sie uns jetzt vorliegt. Das Werk zerfällt in zwei Teile, von denen der erste einen Zeitraum von 234 Jahren (168 vor bis 66 nach Chr.) umfasst und die Vorgeschichte des Krieges nebst einer Darlegung der Ursachen desselben enthalt. Auf den ersten Blick könnte es wohl scheinen, als hatte Josephus da etwas zu weit ausgeholt; doch wird man bei näherer Betrachtung finden, dass die Ereignisse seit 168 v. Chr. so eng untereinander in Zusammenhang stehen, dass eine andere Anordnung nicht möglich war, wenn eine wirklich klare Schilderung der politischen Verhältnisse vor dem Kriege gegeben werden sollte. In gedrängter Kürze bietet somit dieser erste Teil zunächst die Geschichte der Juden unter den unabhängigen Fürsten aus dem Asmonaergeschlecht, schildert dann, wie mit dem Empörkommen des idumaeischen Königshauses und ins-
Seite 8 besondere mit der Einmischung der Römer die Selbständigkeit der Juden zu Grunde ging, und wendet sich hierauf nach einem Überblick über die Regierungszeit Herodes des Grossen und dessen zerrüttete häusliche Verhältnisse zu den direkten Ursachen des Krieges, ala welche die schlechte Regierung des Etlinarchen Archelaus, der durch die unselige Erwartung eines politischen Messias geschärte Fanatismus einzelner Juden und die Bedrückung des Volkes durch römische Landpfleger zu bezeichnen sind. Unter dem grausamen Wüterich Gessius Florus läuft dann endlich das Mass über, und der Aufruhr schlägt in hellen Flammen empor. Diese, ganze Vorgeschichte hat Josephus in das erste Buch und die 16 ersten Kapitel des zweiten Buches zusammengedrängt, und. es ist bei dieser IKirze, wohl verständlich, dass manches nur flüchtig und. ungenau berichtet wird. Vielleicht ist es diesem Umstand zum Teil zuzuschreiben, dass in den später verfassten „ Altertümern"1 die Geschichte der Herodianer mit ausführlicher Breite dargestellt wurde, wobei dann die friflieren Ungenauigkeiten von selbst ihre Ergänzung bezw. Berichtigung fanden. Deshalb dürfte es Li~r den Leser zweckmässig sein, sich mit den entsprechenden Abschnitten der „Altertümer" bekannt zu machen. Ich werde übrigens nicht verfehlen, an den in Betracht kommenden Stellen auf die Abweichungen beider Werke voneinander hinzuweisen. Mit dem 17. Kapitel des zweiten Buches beginnt dann der z w e i t e T ei 1 des Werkes, die eigentliche Geschichte des Krieges, der im April des Jahres 73 n. Chr. mit der Einnahme Masadas durch die Römer sein Ende erreichte. Bezüglich der geographischen und sonstigen Hilfsmittel beim Studium des „Jüdischen Krieges" verweise ich
Seite 9 auf die von mir in der Einleitung zu den „Altertümern" gemachten Angaben. Ganz besonderes Interesse erweckt natürlich die Topographie Jerusalems, die unser Schriftsteller teils in breiten Schilderungen, teils in einzelnen gelegentlichen Bemerkungen behandelt. Zu ihrer Veranschaulichung dienen die beiden der vorliegenden Übersetzung beigegebenen, von F. Spiess äusserst sorgfältig und korrekt nach der Darstellung des Josephus gezeichneten Tafeln, die einen Plan von Jerusalem und einen Grundriss des Tempels samt der Burg Antonia vor Augen führen, und für deren gütige Überlassung dem Autor auch an dieser Stelle mein wirmster Dank erstattet sei. Hierbei will ich nicht ermangeln, auf die sehr instruktiven Monographien aufmerksam zu machen, denen die Tafeln entnommen sind, nämlich: F. Spiess, Das Jerusalem des Josephus, und desselben Verfassers: Der Tempel zu Jerusalem während des letzten Jahrhunderts seines Bestandes nach Josephus (Berlin, Carl Habel, 1881). Sie behandeln mit erschöpfender Gründlichkeit Jerusalem und den Tempel zu der Zeit, die der Zerstörung voranging. Die Übersetzung habe ich wiederum nach der Textausgabe von Dindorf (Paris 1865) angefertigt und dabei die alte Havercampsche Ausgabe zum Vergleich herangezogen; aus der letzteren stammen insbesondere die bei Dindorf fehlenden Kapitelüberschriften. Für die geographischen Anmerkungen, die ich wieder in das Namenregister verwies, leistete mir wie bei den „Altertümern" Bottgers „topographisch-historisches Lexikon zu den Schriften des Flavius Josephus" die besten Dienste, wie ich auch von Raumers „Palistina" mehrfach mit Nutzen zu verwenden in der Lage war. Möge denn diese neue Übersetzung, für deren Voll-
Seite 10 ständigkeit und engen Anschluss an den Urtext ich Gewähr leiste, auch ihrerseits dazu beitragen, das Interesse für den Schriftsteller Josephus zu wecken und zu beleben, wozu gerade dieses sein bestes Werk in erster Linie berufen erscheint.
Brauweiler, im Mai 1900. Dr. Heinrich Clementz.
10. Gleichwohl (nämlich trotz der Tyrannei und Willkür der Landpfleger) hielt die Geduld der Juden stand bis auf den Landpfleger Gessius Florus. Unter diesem brach der Krieg aus, und Cestius Gallus, der Legat von Syrien, welcher sich Mühe gab, ihn zu unterdrücken, bestand wechselnde, öfters aber unglückliche Schlachten. Als nun Cestius eines natürlichen Todes oder aus Verdruss gestorben war, sandte Nero den Vespasianus, der in Zeit von zwei Sommern mit siegreichem Heere durch sein Glück, seinen Ruf und seinen tüchtigen Gehilfen Herr des ganzen platten Landes und aller Städte ausser Jerusalem wurde. Das nächste Jahr, in welchem der Bürgerkrieg wütete, ging, was die Juden betraf, ruhig vorüber. Sobald aber in Italien der Friede errungen war, wandte sich die Sorge wieder dem Ausland zu, und es wuchs die Erbitterung darüber, dass allein die Juden sich nicht gefügt hatten. Gleichzeitig schien es im Hinblick auf alle Ereignisse und Unfälle der neuen Regierung zweckmässiger, dass Titus im Felde blieb. So schlug er also, wie oben (V, 1) erwähnt, vor den Mauern Jerusalems sein Lager auf und liess die Legionen sich zum Kampf rüsten. 11. Die Juden stellten ihre Schlachtlinie dicht vor den Mauern auf, um im Falle eines Sieges weiter vorzudringen und im Falle einer Niederlage gleich eine Zuflucht zu haben. Die mit den leichtbewaffneten Kohorten gegen sie abgeschickte Reiterei kämpfte unentschieden. Bald zogen sich die Feinde zurück, lieferten jedoch an den folgenden Tagen häufig Gefechte vor den Thoren, bis sie infolge beständiger Verluste hinter die Mauern zurückgedrängt wurden. Nun schritten die Römer zum Sturmangriff. Denn es schien unwürdig, die Aushungerung der Feinde abzuwarten; auch verlangte man nach dem Kampf, ein Teil aus Tapferkeit, viele aber aus Wildheit und aus Sucht, dafür belohnt
Seite 12 zu werden. Dem Titus selbst schwebten Rom, Machtstellung und Vergnügen vor Augen, und wenn Jerusalem nicht sogleich fiel, schien es damit noch weite Wege zu haben. Aber die an sich schon hochgelegene Stadt war noch besonders befestigt durch Werke und Wälle, mit denen auch ein ebener Platz genügend wäre verwahrt gewesen. Denn zwei unermesslich hohe Hügel wurden von Mauern eingeschlossen, welche künstlich schief oder einwärts gekrümmt erbaut worden waren, damit die Flanken der Sturmkolonnen den Geschossen ausgesetzt waren. Der äusserste Rand der Felsenmasse war abschüssig, und dazu erhoben sich noch Türme, wo der Berg dies möglich machte, zu 60 und in Vertiefungen zu 120 Fuss, wunderbar anzuschauen und, von fern gesehen, einander gleich. Weitere Mauern waren innerhalb um die Königsburg gezogen, und in beträchtliche Höhe ragte der Antoniusturm empor, den Herodes so dem Marcus Antonius zu Ehren genannt hatte. 12. Der Tempel erhob sich wie eine Burg wieder mit eigenen Mauern, welche an mühsamer Arbeit die anderen noch übertrafen. Ja, selbst die Säulenhallen, welche rings um den Tempel liefen, bildeten ein vortreffliches Bollwerk. Es gab da eine Quelle von unversieglichem Wasser, unterirdische Gemächer in den Bergen, Fischteiche und Cisternen zur Aufbewahrung des Regenwassers. Vorausgesehen hatten die Erbauer wegen der Verschiedenheit der Sitten häufige Kriege. Daher war alles auf eine wenn auch noch so lange Belagerung eingerichtet. Auch hatte bei der Eroberung durch Pompejus die Furcht und ausserdem die Erfahrung ihnen noch manches an die Hand gegeben. Ja, sie hatten sich während des Claudius habsüchtiger Zeiten das Befestigungsrecht erkauft und führten im Frieden Mauern wie zum Kriege auf. Ihre Zahl vermehrte sich übrigens durch ein gewaltiges Zusammenströmen von Menschen, wenn andere Städte zerstört worden waren. Und gerade die Allerhartnäckigsten hatten dorthin ihre Zuflucht genommen, weshalb sie um so mehr zum Aufruhr geneigt waren. Sie hatten drei Anführer und ebenso viele Heere. Die äusserste und ausgedehnteste Ringmauer hatte Simon, der auch Bargioras (Sohn des Gioras) genannt wurde, die mittlere Stadt Johannes und den Tempel Eleazar besetzt.
Seite 13 Johannes und Simos Stärke beruhte auf der grossen Zahl und Bewaffnung ihrer Anhänger, diejenige Eleazars aber in der Örtlichkeit. Doch wüteten unter ihnen selber Kampf, Hinterlist und Brandstiftung, und es ging eine grosse Menge Getreide in Flammen auf. Alsdann sandte Johannes unter dem Vorwand, opfern zu wollen, Leute ab, welche den Eleazar und dessen Schar niedermachten, und bemächtigte sich des Tempels. Auf diese Weise teilte sich nun die Stadt in zwei Parteien, bis bei Annäherung der Römer der von aussen drohende Krieg die Eintracht wiederherstellte. 13. Wohl hatten sich wunderbare Vorzeichen eingestellt, die jedoch dieses dem Aberglauben ergebene, heiligem Brauch aber abgeneigte Volk weder durch Schlachtopfer noch durch Gelübde zu sühnen für erlaubt hält. Man erblickte Schlachtreihen am Himmel im Kampfe und rötlich schimmernde Waffen und den Tempel von plötzlichem Wolkenfeuerschein erhellt. Auf einmal öffneten sich die Thore des Heiligtums, und man vernahm eine übermenschliche Stimme: „Die Götter ziehen aus", und zugleich der Ausziehenden gewaltiges Getöse. Alles das deuteten nur wenige in schrecklichem Sinne; die Mehrzahl war der Überzeugung, es stehe in den alten Schriften der Priester, gerade um diese Zeit werde das Morgenland mächtig werden, und von Judaea werde die Macht ausgehen, welche die Weltherrschaft gewinnen solle. Diese rätselhaften Worte hatten sich auf Vespasianus und Titus bezogen; das Volk aber deutete, wie es die Art der menschlichen Begehrlichkeit ist, ein so hocherhabenes Geschick auf sich selbst und ward nicht einmal durch Unglück zur rechten Einsicht bekehrt. Die gesamte Menge der Belagerten, jedweden Alters, männlichen und weiblichen Geschlechtes, betrug, wie wir vernahmen, 600000 Köpfe. Waffen hatte jeder der sie nur tragen konnte, und mehr Leute noch, als die Zahl erwarten liess, wagten sich damit in den Kampf. Männer und Frauen erwiesen sich gleich hartnäckig und fürchteten sich mehr vor dem Leben, falls man sie zur Auswanderung würde zwingen wollen, als vor dem Tode. Das war die Stadt, das war das Volk, gegen welche nun der Caesar Titus, weil die Örtlichkeit stürmichen und augenblicklichen Angriff nicht zuliess,
Seite 14 mit Wällen und Schutzdächern zu kämpfen beschloss. Die Arbeiten wurden unter die Legionen verteilt, und die Gefechte ruhten einstweilen, bis man alles fertig hatte, wie es von den Alten zur Eroberung von Städten schon erfunden war oder jetzt neu ersonnen wurde.
(Der Schluss ist wohl mit dem Rest des fünften Buches und den Büchern VI bis XIV verloren gegangen; doch lässt sich schon aus diesem Bruchstück unschwer erkennen, dass Tacitus die Darstellung des Josephus gekannt und benutzt, mithin auch für zuverlässig gehalten hat.)
4. Titus erhielt die Führung des Krieges gegen die Juden. Nachdem er sie anfangs durch Gesandtschaften und Versprechungen zur Unterwerfung zu bestimmen gesucht, aber nichts ausgerichtet hatte, beschloss er, sie förmlich zu bekriegen. Die ersten Schlachten verliefen unentschieden; dann aber schlug er die Juden und belagerte Jerusalem. Die Stadt hatte drei Mauern, die um den Tempel mitgerechnet. Nun warfen die Römer gegen die Mauer Erdwälle auf und besetzten dieselben mit Maschinen. Unternahmen die Juden Ausfälle, so gingen sie ihnen zu Leibe und trieben sie zurück; von den Mauern aber scheuchten sie sie mit Schleudern und Geschossen weg. Denn auch von den auswärtigen Königen waren ihnen viele Hilfstruppen gesandt worden. Aber die Juden erhielten ebenfalls nicht nur aus dem Lande selbst, sondern auch von ihren Glaubensgenossen aus den römischen Provinzen und selbst von jenseits des Euphrat Unterstützungen und warfen ihrerseits teils aus der Hand, teils aus Maschinen Geschosse und Steine, die von der Höhe herab um so wirksamer waren. Sobald sie eine günstige Gelegenheit erspäht hatten, machten sie bei Tag und Nacht Ausfälle, steckten die Maschinen in Brand, metzelten viele Feinde nieder, untergruben die Wälle und warfen die Erde davon an ihre eigene Mauer. Die Sturmböcke zogen sie mit Schleifen herauf oder rissen sie mit Haken in die Höhe, oder sie suchten durch dicke, mit Eisen beschlagene Bretter,
Seite 15 die sie vor der Mauer hinabliessen, die Stösse derselben unschädlich zu machen. Am meisten aber litten die Römer durch Mangel an Wasser, das nur schlecht war und aus der Ferne herbeigeschafft werden musste. Den Juden dagegen kamen unterirdische Gänge, die sie von innen her unter der Mauer weg nach entfernten Gegenden führten, sehr zu statten. Aus ihnen stürzten sie sich hervor auf die, welche Wasser holten, und fügten den Vereinzelten grossen Schaden zu. Titus liess deshalb alle diese Ausgange verschütten. 5. Bei diesen Kämpfen blieb es natürlich nicht aus, dass auf beiden Seiten viele verwundet, viele auch getötet wurden. Titus selbst wurde von einem Stein an der linken Schulter getroffen und behielt davon eine Schwäche in der Hand. Endlich erstiegen die Römer die äussere Mauer, bezogen zwischen den beiden Mauern (der ersten und zweiten) ihr Lager und berannten nun die zweite, hatten aber hier ungleich hartere Arbeit. Da nämlich alle Juden sich hinter dieselbe zurückzogen, konnten sie, in eine engere Verteidigungslinie zusammengedrängt, sich ihrer Feinde leichter erwehren. Titus liess ihnen daher von neuem durch Herolde Verzeihung anbieten; gleichwohl aber beharrten sie auch jetzt noch bei ihrem Widerstand. Den Römern verdarben unterdessen die Gefangenen und Überläufer heimlich das Wasser und mordeten jeden, den sie einzeln trafen, sodass Titus keinen mehr anzunehmen befahl. Mittlerweile entsank auch auf seiten der Römer einigen der Mut, wie das wohl bei einer langeren Belagerung vorzukommen pflegt, zumal da sie anfingen, dem Gerüchte von der Unbezwingbarkeit der Stadt Glauben zu schenken, und sie gingen zu den Juden über. Diese nahmen sie, so grossen Mangel an Lebensmitteln sie auch hatten, sehr gut auf, um ihren Feinden zu zeigen, dass man sogar zu ihnen übergehe. 6. Als nun auch in die (zweite) Mauer Bresche gelegt war, waren die Juden doch noch nicht bezwungen, sondern hieben eine Menge der eindringenden Feinde zusammen. Auch steckten sie einige der nächstgelegenen Gebäude in Brand, um die Römer, falls sie auch dieser Mauer Herr werden sollten, vom ferneren Vordringen abzuhalten. Allein damit beschädigten sie auch die Mauer und setzten
Seite 16 ferner, was nicht in ihrer Absicht lag, die Festungswerke um den Tempel in Brand. So ward denn den Römern der Weg zum Tempel selbst eröffnet. Aus religöser Scheu drangen sie indes nicht sogleich ein, und Titus vermochte sie erst spät in das Innere vorzuschieben. Die Juden ihrerseits erachteten es als ein grosses Glück, um und für ihren Tempel kämpfend das Leben zu lassen. Die vom Volke hatten sich unten im Vorhof, die vom hohen Rat auf den Treppen, die Priester aber im Tempel selbst aufgestellt. Und so gering auch ihre Zahl gegen die Übermacht war, so wurden sie doch nicht eher überwunden, als bis ein Teil des Tempels in Brand geriet. Jetzt stürzten sie sich freiwillig in die Schwerter der Feinde, oder mordeten einander selbst, oder sprangen ins Feuer. Allen erschien es kein Tod, sondern Sieg, Heil und Seligkeit, unter den Trümmern ihres Tempels begraben zu werden. 7. Gleichwohl machte man Gefangene, darunter auch ihren Anführer Bargioras (den Sohn des Gioras), der allein beim Triumph mit dem Leben büssen musste. So wurde denn Jerusalem gerade am Saturnustage (Sabbat), der auch den heutigen Juden noch heilig ist, erobert. Seit dieser Zeit musste jeder, der den Gebräuchen seiner Vüter treu blieb, jährlich dem Jupiter Capitolinus zwei Denare entrichten. Beide Sieger (Vespasianus und Titus) nun erhielten zwar den Titel Imperator, doch führte keiner von ihnen den Namen Judaicus, obgleich ihnen alle bei einem so grossen Siege hergebrachten Ehreubezeugungen und somit auch Triumphbogen zuerkaunt wurden.
1. Vorwort, enthaltend die Gründe, die den Autor zur Abfassung des Geschichtswerkes bewogen, sowie eine allgemeine Inhaltsübersicht. 2. Wie Antiochus Epiphanes wegen einer Empörung der Jerusalemer deren Stadt einnahm und die Juden schlecht behandelte. Wie Onias zu Ptolemaeus floh. 3. Wie die Priester Matthias (Mattathias) das Volk um sich scharte und den Bakchides (Apelles), der gegen Eleazar grausam gewütet hatte, umbrachte. Wie er darauf gegen Antiochus Krieg führte und sterbend den Oberbefehl seinem ältesten Sohne Judas hinterliess, der durch glückliche Feldzüge dem Verfall Einhalt that. 4. Wie nach des Epiphanes Tod dessen Sohn und Nachfolger Antiochus gegen Jerusalem zu Felde zog und die Stadt besetzte, und wie Eleazar, des Judas Bruder, von einem Elefanten zu Tode gedrückt wurde, ohne eine nennenswerte Kriegsthat vollbracht zu haben. Wie Judas und sein Bruder Joannes umkamen. 5. Wie des Judas Brader Jonathas zur Herrschaft gelangte, von des Antiochus Erzieher Tryphon aber mit List gefangen genommen und getötet wurde. 6. Wie Simon, der jüngste der Brüder, nachdem er den Oberbefehl übernommen und durch seine Thatkraft die Juden nach 170 jähriger Bedrückung von der Herrschaft der Macedonier befreit hatte, vom Volke zum Hohepriester gewählt wurde, aber den Nachstellungen seines Schwiegersohnes Ptolemaeus bei Gelegenheit eines Gastmahles zum Opfer fiel. 7. Wie Joannes mit dem Beinamen Hyrkanus, Simons Hohn und Nachfolger, den Händen des Ptolemaeus entging und den Antiochus vertrieb. Welche Kriegsthaten er selbst sowohl als auch seine Söhne Aristobulus und Antigonus vollbrachten, und wie er nach 33 jähriger friedlicher Regierung mit Hinterlassung von 5 Söhnen starb, nachdem. er des Volkes Fürst, Hohepriester und Prophet gewesen war. Wie Aristobulus, des Hyrkanus ältester Sohn, 471 Jahre nach Beendigung der babylonischen Gefangenschaft sich die Königskrone aufsetzte und nach tyrannischer Regierung von nur einjähriger Dauer starb.
Seite 18 9. Wie des Aristobulus Bruder Alexander nach ihm den Thron bestieg, und was er während seiner Regierung vollbrachte. Wie seine Unterthanen ihn seiner Grausamkeit wegen hassten, und wie er nach 27jähriger Regierung aus dem Leben schied. 10. Wie seine Gattin Alexandra glänzend regierte, ihren ältesten Sohn Hyrkanus zum Hohepriester ernannte, den Aristobulus ins Privatleben verwies und durch die Macht der Pharisäer in Gefahr geriet. 11. Wie Aristobulus, als seine Mutter nach neunjähriger Regierung starb, unter Ausschluss seines Bruders von der Leitung des Staates den Thron bestieg, später aber sich mit ihm dahin einigte, dass er selbst die Königswürde und Hyrkanus das Hohepriesteramt behielt. 12. Wie unter der Herrschaft des Aristobulus dessen Gegner und besonders der Idumäer Antipater aus Furcht vor ihm den Hyrkanus beredeten, zum Araberkönige Aretas zu fliehen. Wie Hyrkanus von einem grossen Kriegsheer in sein Vaterland zurückgeführt wurde und über seinen Bruder beinahe obgesiegt hatte, wenn der römische Feldherr Scaurus nicht von Aristobulus durch Geschenke bewogen worden wäre, Jerusalem zu entsetzen. 13. Wie Pompejus auf Hyrkanus und Antipaters Bitten und inm Zorn über des Aristobulus Anmassung Jerusalem erstürmte und dem Hyrkanus die hohepriesterliche Wirde wieder verlieh. 14. Wie Pompejus die syrischen Städte, welche die Makkabäer einst für die Juden erobert hatten, diesen wieder abnahm und über die Städte und das übrige Syrien den Scaurus als Statthaltcr setzte. Von der Erzeugung und Bereitung des Balsams. Was Pompejus im Tempel vorfand. Zahl der auf beiden Seiten Gefallenen. 15. Wie Pompejus nach der Gefangennahme des Aristobulus und seiner Familie sich mach Rom begab, und wie Alexander, einer der Söhne des Aristobulus, auf der Reise entwich. Wie Scaurus in Arabien einfiel, sich aber wieder zurückzog. Thaten und Schicksale des flüchtigen Alexander. 16. Wie Gabinius, der Nachfolger des Scaurus in Syrien, den Alexander besiegte, ihm auf seine Bitte Verzeihung gewährte und ganz Judaea in fünf Gerichtsbezirke teilte. 17. Wie auch Aristobulus, der aus Rom geflohen und gegen Gabinius zu Felde gezogen war, endlich besiegt und abermals in Fesseln nach Rom geschickt wurde. 18. Wie Gabinius auf seinem Marsche gegen die Parther durch des Ptolemaeus Angelegenheit aufgehalten wurde, und wie er die wiederum in Aufruhr geratenen Juden zu Paaren trieb. 19. Wie des Gabinius Nachfolger Crassus von den Parthern getötet wurde. Des Cassius Kriegsthaten in Syrien. 20. Von Antipater und seiner Familie.
Seite 19 21. Wie Caesar den Aristobulus freiliess und nach Jerusalem schickte, und was dieser sowie seine Kinder von den Anhängern des Pompejus zu erdulden hatten. 22. Wie Antipater aus Gefälligkeit gegen Caesar dem Mithradates bei der Belagerung von Pelusium Hilfe leistete und sich tapfer schlug. Caesar schenkt ihm dafür das römische Bürgerrecht und Steuerfreiheit. Wie er von Aristobulus Sohn Antigonus bei Caesar angeklagt wurde, aber obsiegte, worauf Hyrkanus in der Hohepriesterwürde bestätigt und er selbst zum Statthalter von ganz Judaea ernannt wurde. 23. Wie Antipater die von Pompejus zerstörte Stadtmauer wiederherstellte, einen Aufstand in der Provinz dämpfte und alsdann seinen ältesten Sohn Phasael zum Befehlshaber von Jerusalem nebst Umgegend, den Herodes aber in derselben Eigenschaft für Galilaea ernannte. 24. Wie Hyrkanus auf Anreizung von seiten der Neider des Herodes und weil er auch selbst auf dessen kriegerische Erfolge eifersüchtig wurde, ihn vor Gericht lud, dann aber freisprach, und wie Herodes im Unmut darüber gegen Hyrkanus zu Felde zog, auf seines Vaters und Phasaels Rat jedoch von weiteren Unternehmungen Abstand nahm. 25. Von dem bei Apamea unter den Römern ausgebrochenen Bürgerkriege. 26. Wie Brutus und Cassius den Caesar meuchlings ermordeten. Des Cassius Auftreten in Judaea. Antipater von Malichus vergiftet. 27. Wie Herodes mit Hilfe des Cassius gegen Malichus einschritt, und wie Helix, um den Tod seines Bruders Malichus zu rächen, gegen Phasael zu Felde zog, von diesem besiegt wurde, dann aber von Herodes auf seine Bitte freien Abzug erhielt. Wie der Tyrann Marion von Herodes aus Galilaea vertrieben wurde. 28. Wie Herodes zu seiner ersten Gattin eine zweite nahm, nämlich Mariamne, die Enkelin des Hyrkanus und Tochter des Aristobulus. 29. Wie nach des Cassius Ermordung Antonius nach Asien kam und Herodes sowie dessen Bruder, die von den Juden angeklagt waren, nicht nur in der Herrschaft beliess, sondern auch beide zu Tetrarchen ernannte. 30. Was von den Parthern Barzapharnes und Pakorus angestellt wurde, um dem Antigonus wieder auf den Thron zu helfen. Wie Phasael umkam und Herodes ihren Nachstellungen entging, Hyrkanus aber, seiner Ohren beraubt, nach Parthien weggeführt wurde, und wie Antigonus die Herrschaft erlangte. 31. Wie Herodes sich zum Araberkönig begab, um von ihm Geld zum Loskauf seines Bruders zu erhalten, aber in seiner Erwartnng sich getäuscht fand und über Alexandria nach Rom reiste, wo er bei Antonius und Caesar Augustus sein Unglück
Seite 20 beklagte, die mit Hilfe der Parther erfolgte Thronbesteigung des Antigonus meldete und von beiden mit Zustimmung des Senates zum König ernannt wurde. 32. Wie Antigonus die in Masada eingeschlossenen Verwandten des Herodes belagerte. 33. Wie Herodes nach seiner Rückkehr von Rom gegen Antigonus Krieg führte und, während er die Seinen zum Kriege gegen die Parther sandte, selbst die Räuber in ihren Höhlen angriff und in seine Gewalt brachte. 34. Wie während des Herodes Unternehmung gegen Antigonus die Galiläer einen Aufruhr gegen Samaria anzettelten, und wie Herodes deshalb zurückkehrte und den Aufstand niederwarf. Wie er dann nach Überwindung der Parther Hilfstruppen von Antonius zum Kriege gegen Antigonus erhielt, aber, da deren Führer Machaeras sich als schlechter Bundesgenosse erwies, zu Antonius zurückkehrte und ihm bei der Belagerung von Samosata half, während sein Bruder Joseph in seiner Abwesenheit sich in ein Treffen mit Antigonus einliess, sein ganzes Heer verlor und selbst fiel, worauf die Untergebenen sich wieder empörten. 35. Wie Herodes zurückkehrte, mit den Anhängern des Antigonus kämpfte, ausser anderen kleineren Städten auch Jericho einnahm und Pappus, dem Heerführer des Antigonus, der seinen Bruder Joseph getötet hatte, das Haupt abschlagen liess. 36. Wie er im dritten Jahre seiner Königsherrschaft Jerusalem eroberte und den Jerusalemern arg mitspielte. Des Antigonus Tod. 37. Was Antonius der Kleopatra zuliebe that. 38. Wie beim Ausbruch des Krieges von Actium Herodes von Antonius gegen die Araber geschickt wurde und dieselben völlig niederwarf. Seine Rede an das von einem Erdbeben eingeschüchterte Heer. 39. Wie Herodes nach der Schlacht bei Actium sich zum Caesar begab, mit ihm verhandelte und reich beschenkt wurde. 40. Von der Wiederherstellung des Tempels und den durch Herodes errichteten Bauwerken. Seine körperlichen und geistigen Vorzüge. 41. Von dem Leid und den Zwistigkeiten, die in des Herodes Familie wegen seiner Gattin Mariamne entstanden, und was ihm widerfuhr, weil er einst den Hyrkanus, der Mariamne Grossvater, gefangennehmen und ihn wie seinen Bruder Joseph hatte umbringen lassen. Hinrichtung der Mariamne. 42. Wie Herodes infolge der Verleumdungen von seiten seines Sohnes Antipater gegen die Söhne der Mariamne in Erbitterung geriet, den Alexander nach Rom schleppte, um seine Bestrafung beim Caesar zu erwirken, sich aber mit ihm aussöhnte und nach Jerusalem zurückkehrte, wo er dem Volke über alles Vorgefallene Bericht erstattete. Charakter Antipaters und der Söhne Mariamnes.
Seite 21 44. Von Herodes Bruder Pheroras und seinen Streitigkeiten mit ihm. 45. Von des Herodes Verschnittenen, und wie sie die Ursache waren, dass Alexander in Lebensgefahr geriet. 46. Wie Alexanders Schwiegervater Archelaus aus Kappadocien kau und die Prinzen mit ihrem Vater aussöhnte. 47. Von der Betrügerei des Lakedaemoniers Eurykles, der den Herodes abermals gegen seine Söhne aufreizte. 48. Wie Herodes infolge der Verleumdungen von seiten Salomes Alexander und Aristobulus einkerkern liess, sie beim Caesar verklagte und nach erhaltener Ermächtigung hinrichten liess. 49. Wie Antipater allgemein verhasst wurde, und wie der König die Kinder der Hingerichteten mit seinen Verwandten verlobte. 50. Wie des Pheroras Gattin und Antipaters Mutter mit Salome in Zwist gerieten und den Grund zum Verderben Antipaters und der Seinen legten. Wie Antipater, um seinem Vater aus den Augen zu kommen, sich mit glänzender Ausstattung nach Rom zum Caesar begab. Vom Araber Syllaeus und dem Tode des Pheroras. 51. Wie des Pheroras Ende dem Antipater zum Verderben gereichte. 52. Wie des Pheroras Gattin sich vom Dache hinabstürzte, aber durch Fügung Gottes, der den Antipater zur Strafe ziehen wollte, am Leben erhalten wurde. 53. Antipaters Rückkehr von Rom, und wie aus Hass gegen ihn niemand von den Vorgängen in Judaea ihm Bericht erstattete. 54. Wie der König eine Gerichtssitzung anberäumte und den Nikolaus zum Ankläger Antipaters in Anwesenheit des Varus bestellte. Antipaters Verteidigung. 55. Wie Antipater durch einen zufällig aufgefangenen Brief Akmes, der Sklavin der Julia, überführt wurde, auch gegen Salome Ranke geschmiedet zu haben. 56. Von den Gesetzeslehrern Judas und Matthias, und von dem goldenen Adler. 57. Von des Königs Krankheit, und wie er angesichts des Todes viele vornehme Juden aus ganz Judaea zusammenkommen liess und ihre Niedermetzelung anordnete, sobald er selbst den Geist aufgegeben hatte. 58. Wie Herodes seinen Sohn Antipater hinrichten liess und am fünften Tage nachher selbst starb.
1. Der Krieg der Juden gegen die Römer, der an Bedeutung unter allen Kriegen zwischen einzelnen Städten oder Völkern. nicht nur unseres, Zeitalters, sondern auch vergangener Tage seinesgleichen sucht, ist zwar scion wiederholt beschrieben worden. Doch unternahmen dies teils solche Schriftsteller, die, ohne Zeugen der Ereignisse gewesen zu sein, aus, blossen Gerüchten thörichtes, widerspruchsvolles Gerede sammelten und nach sophistischer Weise I verarbeiteten, teils solche, die zwar mit dabei waren, aber aus Liebedienerei gegen die Römer oder aus Hass gegen die Juden es mit der Wahrheit nicht genau nahmen, sodass ihre Schriften aus einem Gemisch von Anklagen und Lobhudeleien bestehen, historische Treue dagegen stark vermissen lassen. Aus diesem Grunde habe ich, Josephus, des Matthias Sohn, aus Jerusalem gebürtiger Hebräer und Priester, der ich im Anfange des Krieges selbst gegen die Römer gekämpft und in seinem späteren Verlauf als unfreiwilliger Augenzeuge ihn mitgemacht habe, den Entschluss gefasst, die Geschichte des Krieges, die ich schon früher den innerasiatischen Völkern 2 in ihrer Muttersprache habe zugehen lassen, nunmehr auch für diejenigen, welche unter dem römischen Scepter leben, in griechischer Übersetzung zu bearbeiten. 2. Als diese, wie gesagt, höchst bedeutungsvolle Bewegung im Entstehen begriffen war, krankte der römische Staat an inneren Übeln 8, während anderseits diejenigen Juden, die auf Umsturz der bestehenden Verhältnisse sannen, die unruhigen Zeiten zur Erregung eines Aufstandes für geeignet hielten, zumal sie an Streitkräften
1 D. h. nur um ihre schriftstellerische bzw. rednerische Begabung zu zeigen.
2 Welche Vö1ker Josephus damit meint, ergiebt sich aus Vorwort 2.
3 Gemeint ist die Zerfahrenheit miter Neros tyrannischer Regierung und der Wirrwarr nach seinem Tode.
Seite 23 wie an Geldmitteln keinen Mangel hatten. So war denn in der argen Verwirrung bei den einen die Hoffnung, den Orient zu gewinnen, nicht minder gross als bei den anderen die Furcht, ihn zu verlieren. Hegten doch die Juden die feste Überzeugung, ihre Stammesgenossen jenseits des Euphrat würden insgeramt zugleich mit ihnen zu den Waffen greifen, indes den Römern nicht nur die benachbarten Gallier, sondern auch die unruhigen Kelten zu schaffen machten. Nach Neros Tode vollends geriet alles in Aufruhr; gar manchen veranlasste die günstige Gelegenheit, seine Hand nach der Krone auszustrecken, und dem nach Geschenken listernen Heere war ein Thronwechsel allezeit willkommen. Den wahren Sachverhalt so wichtiger Vorgänge nun nicht aufzuklären und, während Parther, Babylonier, die fernsten Araber, unsere Volksgenossen jenseits des Euphrat und die Adiabener durch meine Bemühung von der Entstehung, den vielen Wechselfällen und dem endlichen Ausgang des Krieges genaue Kenntnis erhalten hatten, die Griechen sowie diejenigen Römer, die den Feldzug nicht mitgemacht, darüber in Unwissenheit und auf die Lektüre schmeichlerischer oder lügenhafter Machwerke angewiesen zu lassen, konnte ich nicht für recht halten. 8. Und doch entblöden sich die Verfasser nicht, den Titel „Geschichten" über solches Geschreibsel zu setzen, das, ganz abgesehen von seinem mangelhaften Inhalt, mir wenigstens auch noch seinen Zweck zu verfehlen scheint. Denn in der Absicht, die Römer recht gross erscheinen zu lassen, suchen sie der Juden Macht durchgehends zu verkleinern und verächtlich zu machen. Es will mir aber nicht einleuchten, inwiefern die Besieger unbedeutender Feinde so gross erscheinen sollten. Dazu kommt noch, dass sie weder die lange Dauer des Krieges berücksichtigen, noch die bedeutenden Verluste des römischen Heeres, noch die Grösse der Feldherren, deren Ruhm meines Erachtens doch sicherlich zusammenschrumpft, wenn die so ausserordentlich mühsame Eroberung Jerusalems keine glänzende Kriegsthat gewesen sein soll.
Seite 24 4. Dennoch liegt es keineswegs in meiner Absicht, mich mit den Lobrednern der Römer zu messen und meinerseits nun die Thaten meiner Volksgenossen zu verhimmeln, sondern ich will eben nur das auf beiden Seiten thatsächlich Geschehene genau berichten, und indem ich aus Trauer über das Unglück meiner Vaterstadt mich meinem Schmerz überlasse, will ich mit der Erzählung der Begebenheiten zugleich meiner Stimmung ein kleines Opfer bringen. Denn dass innerer Hader den Untergang der Stadt verschuldete, und dass die Tyrannen der Juden selbst es waren, welche die Römer wider deren Willen zwangen, Hand anzulegen und den Feuerbrand in den heiligen Tempel zu werfen, davon ist dessen Zerstörer, der Caesar Titus, selbst Zeuge, der während des ganzen Krieges Mitleid mit dem Voike hatte, weil es sich von den Empörern leiten liess, und der die Zerstörung der Stadt zu wiederholten Malen aus eigenem Antrieb hinausschob und die Belagerung in die Länge zog, um den Schuldigen Zeit zur Sinnesanderung zu lassen. Will mich aber jemand um dessetwillen schelten, was ich, seufzend über das traurige Los meiner Vaterstadt, gegen die Tyrannen und ihren Anhang von Banditen im Tone der Anklage vorbringe, so möge er diesen Verstoss gegen das Gesetz der Geschichtschreibung meinem Schmerze zugut halten. Denn von allen Städten unter der Oberhoheit der Römer hatte keine den grossen Wohlstand erreicht, wie die unsere, keine aber sturzte auch in eine solche Tiefe des Unglückes hinab. Ja, kein Missgeschick aller Zeiten scheint mir mit dem der Juden den Vergleich aushalten zu können. Dass nun auch noch nicht einmal ein Fremder die Schuld daran trügt, das ist es, was es mir schier unmöglich macht, meiner Wehmut Herr zu werden. Ist jedoch jemand ein so unerbittlicher Richter, dass sein Herz dem Mitleid völlig verschlossen ist, so schreibe er die Thatsachen auf Rechnung der Geschichte, die Wehklagen aber auf Rechnung des Geschichtschreibers.
Seite 25 5. Übrigens konnte ich mit vollem Recht den Gelehrten der Griechen Vorwürfe darüber machen, dass sie trotz so grosser selbsterlebter Begebenheiten, welche bei Anstellung eines Vergleiches die früheren Kriege an Bedeutung weit hinter sich lassen, dennoch stets an den Leistungen der Schriftsteller, die diese vergangenen Kriege beschrieben haben, verkleinernde Kritik üben, obwohl sie von diesen, wenn auch nicht an gewandter Darstellung, so doch jedenfalls an Ehrlichkeit übertroffen werden. Da unternehmen esjene Gelehrten, die Geschichte der Assyrier oder der Meder zu bearbeiten, als hatten die alten Geschichtschreiber das lange nicht so gut verstanden. Und doch sind ihnen dieselben ebensowohl in echter Geschichtschreibungskunst, als in planvoller Anlage ihrer Werke überlegen. Denn jeder von diesen verfolgte eben nur den Zweck, die Begebenheiten der eigenen Tage zu schildern, wobei einerseits der Umstand, dass sie die Ereignisse selbst miterlebt hatten, eine besonders lichtvolle Darstellung ermöglichte, anderseits aber auch lügenhafte Berichte von den mit dem wirklichen Sachverhalt Vertrauten wohl gleich als solche gebrandmarkt worden waren. Auf ein besonderes Lob kann also nur derjenige Anspruch machen, der die genau den Thatsachen entsprbchende Geschichte seiner eigenen Zeit der Vergessenheit entreisst und sie für die Nachwelt aufzeichnet. Und fleissige, sorgültige Arbeit kann nicht dem nachgerühmt werden, der bloss eines anderen Plan und Gedankengang umformt, sondern nur dem, der einem an sich originellen Stoff durch selbständige Darstellung Geist und Leben verleiht. So habe auch ich, wiewohl ein Fremdling, weder Mühe noch Kosten gescheut,um Griechen wie Römern die Geschichte jener Kriegsthaten darbieten zu können. Die Einheimischen haben ja zwar, wo es Geldgewinn und Rechtsstreitigkeiten gilt, stets einen offenen Mund und eine gelöste Zunge. Handelt es sich aber um Geschichtschreibung, wo man bei der Wahrheit bleiben und mit vieler Mühe die Thatsachen zusammensuchen muss, so spielen sie die Stummen und überlassen
Seite 26 es talentlosen Leuten, die zudem oft noch nicht einmal recht Bescheid wissen, die Thaten der Feldherren zu schildern. So werde denn die echte Geschichtschreibungskunst bei uns um so mehr in Ehren gehalten, als sie bei den Griechen vernachlässigt wird. 6. Der Juden alte Geschichte zu schreiben und darzuthun, was für ein Volk sie waren, wie sie den Auszug aus Aegypten bewerkstelligten, welche Linderstrecken sie durchirrten, welche Gebiete sie dann einnahmen und wie sie von da wieder wegzogen, hielt ich jedoch hier nicht für geboten und ausserdem auch für überflussig, da ja einerseits viele Juden vor mir die Geschichte ihrer Ahnen hinreichend genau bearbeitet haben, anderseits nianche Griechen, indem sie jene Schriften in ihre Muttersprache übertrugen, von der Wahrheit im allgemeinen nicht sehr abgewichen sind. Meine Darstellung soll vielmehr da beginnen, wo diese Schriftsteller und die Propheten aufhören. Und zwar werde ich nur den von mir selbst miterlebten Krieg ausführlicher und mit möglichster Genauigkeit beschreiben, bei den Ereignissen vor meiner Zeit dagegen mich mit einem kurzen Überblick begnügen. 7. Somit werde ich berichten, wie Antiochus mit dem Beinamen Epiphanes, nachdem er Jerusalem erobert und die Stadt drei Jahre und sechs Monate in seiner Gewalt gehabt hatte, von den Asamonüern aus dem Lande vertrieben wurde; wie deren Nachkommen in einem Thronstreit die Entscheidung der Römer und des Pompejus anriefen; wie Herodes, der Sohn des Antipater, mit Hilfe des Sosius ihrer Herrschaft ein Ende bereitete; wie nach des Herodes Tod unter dem römischen Caesar Augustus und dem Statthalter des Landes Quintilius Varus das Volk sich empörte; wie im zwölften Jahre von Neros Regierung der Krieg ausbrach; was sich unter Cestius ereignete, und wie viele Platze die Juden zu Beginn des Krieges mit stürmender Hand angriffen. 8. Weiterhin will ich erzahlen, wie die Juden die umliegenden Städte befestigten; wie Nero nach den
Seite 27 Niederlagen des Cestius seine Oberhoheit gefährdet glaubte und den Vespasianus mit der Leitung des Krieges betraute; wie dieser mit seinem ältesten Sohn in das Land der Juden einrückte; wie zahlreich das von ihm befehligte Römerheer war, und wie viele Hilfstruppen ihm, bei der Verwüstung von ganz Galilaea zu Gebote standen; wie er die Städte dieser Landschaft teils mit Gewalt, teils durch freiwillige Kapitulation in seinen Besitz brachte. Alsdann will ich die Kriegstaktik der Römer; die vortreffliche Ausbilönng ihrer Legionen, ferner die Grösse und natürliche Beschaffenheit von Ober- und Untergalilaea, die Grenzen Judaeas, die Eigentümlichkeiten des Landes, seine Seen und Quellen, endlich die Schicksale jeder eroberten Stadt mit äusserster Sorgfalt schildern, und zwar nach meiner eigenen Anschauung und nach meinen Erlebnissen. Denn auch von meinem persönlichen Missgeschick will ich nichts verschweigen, da ja meine Leser mit den Thatsachen bekannt sind. 9. Im ferneren Verlauf werde ich mitteilen, wie um die Zeit, da es mit den Juden schon bedenklich stand, Nero starb und Vespasianus, der eben gegen Jerusalem aufgebrochen war, infolge seiner Erhebung zum Imperator abberufen wurde; welche Vorzeichen dem letzteren diese Würde verkündet hatten; wie Rom von einrückenden Truppen überflutet, und wie Vespasianus wider seinen Willen von den Soldaten zum Selbstherrscher ausgerufen wurde; wie hierauf, nachdem er zur Ordnung der Reichsangelegenheiten nach Aegypten abgereist war, Streitigkeiten unter den Juden ausbrachen und Tyrannen die Herrschaft über sie erlangten, die aber dann auch ihrerseits sich gegenseitig bekämpften. 10. Die Erzählung fahrt dann fort zu berichten, wie Titus von Aegypten her abermals ins Land einfiel; auf welche Weise, wo und in welcher Stirke er sein Heer zusammenbrachte; wie bei seinem Anrücken die Stadt infolge des inneren Haders litt; wie oft er stürmen und wie viele Wälle er aufführen liess. Weiterhin werde ich schildern den Umfang und die Grösse der drei
Seite 28 Mauern, die starke Befestigung der Stadt, den Plan des Heiligtums und des Tempels, die Massverhaltnisse dieser Bauwerke und des Altares, und zwar alles mit genauester Sorgfalt; sodann auch einige festliche Gebräuche, die sieben Reinigungen und die gottesdienstlichen Verrichtungen de- Priester, der letzteren und des Hohepriesters Kleidung, sowie die Beschaffenheit des Allerheiligsten im Tempel, ohne dem, was ich als sicher verbürgen kann, etwas hinzuzufügen noch etwas davon zu verschweigen. 11. Hierauf werde ich das grausame Wüten der Tyrannen gegen ihre eigenen Volksgenossen klarlegen und auf der anderen Seite das schonende Verhalten der Römer gegen die Fremden, dann wie oft Titus, von dem Wunsche beseelt, die Stadt und den Tempel zu retten, die Empörer zu einem Vergleich aufforderte. Auch werde ich die Not und das vielfache Unglück des Volkes auseinandersetzen und zeigen, was es bis zum Falle der Stadt durch den Krieg, durch inneren Zwist und durch Hunger zu leiden hatte. Verschweigen will ich auch weder das traurige Geschick der Überläufer noch die Hinrichtung der Gefangenen, und sodann werde ich berichten, wie der Tempel gegen den Willen des Caesars in Flammen aufloderte und was von den heiligen Geräten der Wut des Feuers entrissen wurde; weiterhin die völlige Zerstörung der Stadt und die wunderbaren Vorzeichen, die sie angekündigt hatten; die Gefangennahme der Tyrannen; die Menge der als Sklaven verkauften Juden und ihr verschiedenartiges Schicksal; hierauf wie die Römer die letzten Reste kriegerischen Widerstandes brachen und die festen Platze von Grund aus zerstörten; endlich wie Titus das ganze Land bereiste, die Ordnung herstellte, nach Italien zurückkehrte und triumphierte. 12. Das alles habe ich, um den Kennern der Thatsachen und Augenzeugen des Krieges jeden Grund zu Klagen oder Vorwürfen zu benehmen, für wahrheitsliebende, nicht aber für bloss unterhaltungssüchtige Leser in
Seite 29 sieben Büchern beschrieben. Es beginne also die eigentliche Erzählung in der Weise, wie ich es in der allgemeinen Inhaltsübersicht angedeutet habe.
1. Zu der Zeit l, als Antiochus Epiphanes mit Ptolemaeus dem Sechsten 2 wegen des Besitzes von GesamtSyrien 3 im Streite lag, entstanden unter den vornehmen Juden Zwistigkeiten über den Machtvorrang, da niemand von denen, die in Würden standen, sich seinesgleichen unterordnen wollte. In diesem Zwiste gewann Onias, einer von den Hohepriestern, die Oberhand und vertrieb die Söhne des Tobias aus der Stadt 4 (Jerusalem). Letztere nahmen nun ihre Zuflucht zu Antiochus, den sie baten, in Judaea einzurücken und dabei ihre Dienste als Heerfuhrer anzunehmen. Der König liess sich um so leichter hierzu bereden, als er sich schon lange mit dieser Absicht trug. Er drang daher mit grosser Streitmacht ins Land ein, nahm die Stadt mit stürmender Hand5, liess eine grosse Menge der Anhänger des Ptolemaeus niedermachen, verstattete seinen Soldaten uneingeschranktes Plündern, beraubte selbst den Tempel und
1 Um 174 v. Chr.
2 Philometor; er vermochte übrigens dem Antiochus das Streit. objekt nicht zu entreissen, das er an dessen Bruder und Vorgänger Seleukus IV. (Philopator) von Syrien verloren hatte.
3 Xv)q 1upia, welches hier Coelesyrien (xo[Xrl Xupia), Phoenicien und Judaea zusammen begreift (vergl. Gegen Apion, II, 5). Judaea stand damals unter der Herrschaft der Seleukiden.
4 Nicht Onias war es, sondern Jesus (Jason), der die Söhne des Tobias verjagte (s. Jüd. Altert. XII, 5, 1). 6 Nach J. A. XII, 5,3 und 4 nahm Antiochus Jerusalem zweimal ein, das erste Mal durch Verrat und zwei Jahre später durch List. Josephus meint hier die zweite Eroberung (170 v. Chr.).
Seite 30 brachte die Abhaltung der täglichen Opfer auf die Dauer von drei Jahren und sechs Monaten zum Stillstand. Der Hohepriester Onias 1 aber floh zu Ptolemaeus und erhielt von ihm einen Platz im Bezirke von Heliopolis 2 wo er ein Jerusalem ähnliches Städtchen und einen Tempel nach dem Muster des zu Jerusalem befindlichen erbaute. Hierüber werde ich an passender Stelle 3 noch näheres mitteilen. 2. Dem Antiochus indes genügte weder die unverhoffte Einnahme der Stadt, noch die Plünderung, noch das gewaltige Blutbad, sondern im Taumel seiner Leidenschaft und im Andenken an seine während der Belagerung bestandenen Strapazen zwang er die Juden, im Widerspruch mit den heimischen Gesetzen ihre Kinder unbeschnitten zu lassen und Schweine auf dem Altar zu opfern. Gegen diese Verordnungen lehnte sich das ganze Volk auf; die angesehensten Bürger aber erlagen dem Richtschwert. Bakchides vollends, der von Antiochus geschickte Kommandant der Besatzungstruppen, verschärfte die gottlosen Befehle noch durch seine natürliche Grausamkeit und überschritt jedes Mass des Frevels, indem er die vornehmen Juden der Reihe nach foltern liess, und der gesamten Bürgerschaft tagtäglich mit Zerstörung der Stadt drohte, bis endlich das Übermass seiner Greuel die Bedrängten zu einem Racheversuch trieb. 3. Matthias nämlich, der Sohn des Asamonaeus 4, ein Priester, aus dem Dorfe Modein 5, bewaffnete sich und die Seinigen (er hatte fünf Söhne) und erdolchte den Bakchides 6, worauf er aus Furcht vor der zahlreichen Besatzung
1 Sohn des Hohepriesters Onias III. Er war jedoch nie wirklicher Hohepriester, sondern wird nur so genannt, weil er von R~echts wegeu die Würde Witte bekleiden sollen.
2 Wegen der Einzelheiten betreffend die Lage von Städten und grösseren Gebietsteilen verweise ich hier und im weiteren Verlauf der Geschichte auf das Namensregister.
3 VII, 10, 2.
4 Nach J. A. XII, 63,1 Mattathias, der Sohn Joannes, des Sohnes Simons, des Sohnes des Asamonaeus.
5. A. Modiim, (Modiem).
6 J. A. XII, 6, 2 Apelles, nicht Bakchides.
Seite 31 zunächst sich ins Gebirge zurückzog. Als aber eine Menge Volkes sich um ihn scharte, fasste er Mut, stieg von den Bergen herab, schlug die Heerführer des Antiochus in förmlicher Schlacht und vertrieb sie aus Judaea. Dieses sein Waffenglück verschaffte ihm Macht und Ansehen, und gern wählten ihn seine Landsleute aus Dankbarkeit für die Befreiung vom Joche der Fremden zum Herrscher. Bei seinem Tode hinterliess er den Oberbefehl seinem ältesten Söhne Judas 1. 4. Dieser setzte nun in der Voraussetzung, dass Antiochus nicht ruhig bleiben werde, aus seinen Landsleuten ein Heer zusammen, schloss - der erste, der dies that - ein Freundschaftsbündnis mit den Römern und schlug den Epiphanes, als derselbe wiederum ins Land einfiel, mit grossem Verlust zurück. Im frischen Vollgefühl seines Sieges stürzte er sich alsdann auf die in der Stadt befindliche Besatzung, die noch nicht vernichtet war, warf sie aus der oberen Stadt und drängte sie nach der unteren - Akra genannt - zusammen, bemächtigte sich des Tempels, reinigte den ganzen Platz, umgab ihn mit einer Mauer, liess, weil die früheren gottesdienstlichen Geräte unrein geworden, neue anfertigen und in den Tempel schaffen, errichtete einen anderen Altar und liess die Opfer wieder ihren Anfang nehmen. Kaum erfreute sich die Stadt wieder ihres feierlichen Gottesdienstes, da starb Antiochus, und Erbe seines Thrones wie seines Judenhasses ward sein Sohn Antiochus. 5. An der Spitze eines Heeres von 50000 Mann zu Fuss, ungeführ 5000 Reitern und 80 Elefanten drang dieser nun durch Judaea in das Bergland ein, eroberte das Städtchen Bethsura und stiess in dem Engpass bei dem Orte Bethzacharia mit Judas und seinen Truppen zusammen. Bevor jedoch die Heere handgemein wurden, erspähte des Judas Bruder Eleazar den Elefanten, der merklich über die anderen hervorragte und mit grossem Turm und vergoldeter Schutzwehr geschmückt war. In
1 167 v. Chr.
Seite 32 der Meinung nun, auf diesem Elefanten befinde sich Antiochus, eilt er den Seinen weit voraus, durchbricht den Haufen der Feinde und dringt bis zu dem Elefanten vor. Wegen der Höhe des Tieres vermochte er indes den vermeintlichen König nicht zu erreichen, verwundete aber den Elefanten am Bauch, sodass er über ihm zusammenbrach und ihn zu Tode drückte So vollbrachte er eigentlich nichts weiter, als dass er, ein Leben für den Ruhm in die Schanze schlagend, sich an eine Grossthat heranwagte. Der Führer des Elefanten war übrigens ein gemeiner Soldat. Wäre es jedoch auch zufällig Antiochus gewesen, was hatte der kühne Krieger wohl anderes erreicht als den Ruhm, in der blossen Hoffnung auf eine herrliche That sich dem Tode freiwillig preisgegeben zu haben? Für seinen Bruder war übrigens dieses Ereignis eine Vorbedeutung des Ausganges der Schlacht. Denn die Juden hielten zwar tapfer und lange Zeit stand; doch die Königlichen gewannen, an Zahl überlegen und vom Glücke begünstigt, endlich die Oberhand. Nach schweren Verlusten floh Judas mit dem Rest des Heeres in die Toparchie1 von Gophna. Antiochus aber marschierte nach Jerusalem; indes zog er nach einem Aufenthalt von nur wenigen Tagen aus Mangel an Lebensmitteln wieder ab unter Zurücklassung einer, wie ihm schien, hinreichend starken Besatzung. Sein übriges Heer führte er dann nach Syrien in die Winterquartiere. 6. Nach dem Abzug des Königs blieb Judas nicht untätig. Mit der zahlreichen Menge seiner Landsleute, die sich an ihn anschloss, und dem Überrest derer, die sich aus der Schlacht gerettet hatten, lieferte er bei dem Dorfe Adasa den Heerführern des Antiochus wieder ein Treffen, in welchem er aber, nachdem er Wunder der Tapferkeit verrichtet und viele Feinde niedergemacht hatte, seinen Tod fand 2. Wenige Tage nachher wurde
1 Bezirk, Kreis. - Nach J. A. XII, 11,
2 fiel Judas erst später in dem Treffen bei Bezetho.
Seite 33 Erstes Buch, 2. Kapitel
sein Bruder Joannes von den Anhängern des Autiochus hinterlistigerweise überfallen und getötet.
1. Dem Judas folgte sein Bruder Jonathas 1, der das Interesse seiner Landsleute sehr umsichtig wahrnahm, durch ein Bündnis mit den Römern seine Herrschaft befestigte und sich mit dem jungen Antiochus aussöhnte. Doch alles dies gewährleistete ihm keine genügende S5icherheit. Der Tyrann Tryphon nämlich, der Vormund des jungen Antiochus, stellte diesem nach dem Leben und suchte daher zunächst dessen Freunde aus dem Wege zu räumen. So nahm er auch Jonathas, der sich mit nur schwacher Bedeckung nach Ptolemais zu Antiochus, begeben hatte, hinterlistigerweise gefangen und legte ihn in Fesseln, worauf er gegen die Juden zu Felde zog. Von Simon, dem Bruder des Gefangenen, zurückgeschlagen, liess er dann den Jonathas aus Zorn miber die erlittene Niederlage umubringen. 2. Nun ergriff Simon mit grosser Energie die Zügel der Regierung 2, eroberte die Nachbarstädte Gazara, Joppe und Jamnia, schleifte die Akra, und machte deren Besatzung zu Gefangenen. Später verbündete er sich mit Antiochus gegen Tryphon, den dieser vor seinem Feldzuge gegen die Meder 3 in Dora belagerte. Obgleich er nun zur Niederwerfung Tryphons seinen Beistand geleistet, vermochte er damit doch nicht die Habgier des Königs zu beschwichtigen. Denn bald darauf sandte Antiochus seinen Feldherrn Kendebaeus an der Spitze
1 60 v. Chr.
2 143 v. Chr.
3 Soll heissen: Parther
Seite 34 eines Heeres, um Judaea zu verwüsten und Simon zu unterjochen. Dieser aber, obwohl bereits ein Greis, führte den Krieg mit jugendlicher Kraft, schickte seine Söhne mit dem Kern seiner Truppen gegen Kendebaeus ins Feld voraus und griff selbst mit einer Heeresabteilung von der anderen Seite an. An vielen Stellen und auch im Gebirge legte er Hinterhalte und beherrschte auf diese Weise die sämtlichen Zuginge. Nach einem glänzenden Siege wurde er zum Hohepriester erwählt und befreite so die Juden von der Herrschaft der Macedonier, unter der sie hundertundsiebzig Jahre lang gestanden hatten. 3. Aber auch er fiel heimtückischen Nachstellungen zum Opfer, die sein eigener Schwiegersohn Ptolemaeus bei Gelegenheit eines Gastmahles ins Werk setzte1. Dieser hatte auch seine Gattin und zwei seiner Söhne eingekerkert und sandte nun Meuchelmörder aus, um den dritten, der gleichfalls Hyrkanus hiess, zu töten. Der Jüngling aber erhielt von deren Ankunft Kunde und eilte in dem festen Vertrauen, dass das Volk der ruhmreichen Thaten seines Vaters gedenken und das freventliche Beginnen des Ptolemaeus verabscheuen werde, in die Stadt. Durch ein anderes Thor suchte nun auch Ptolemaeus in Jerusalem einzudringen, wurde aber vom Volke, das den Hyrkanus bereits aufgenommen hatte, sogleich zurückgewiesen. Darauf zog er sich nach Dagon, einer der Jericho beherrschenden Burgen, zurück; Hyrkanus aber, der das hohepriesterliche Amt seines Vaters angetreten hatte, opferte Gott und brach eiligst gegen Ptolemaeus auf, um seiner Mutter und seinen Brfidern Hilfe und Rettung zu bringen. 4. Obgleich er nun bei der Belagerung der Festung im Vorteil war, beugte ihn doch schweres Leid, und das mit gutem Grund, darnieder. Ptolemaeus nämlich liess, so oft er bedrängt wurde, des Hyrkanus Mutter und Brfider auf die Mauer führen und sie vor seinen Augen 1 135 v. Chr.
Seite 35 Erstes Buch, 2. Kapitel
geisseln, drohte auch, sie hinabstürzen zu lassen, wenn er nicht alsbald abziehe. Mitleid und Furcht ergriffen bei diesem Anblick jedesnmal den Hyrkanus und er. wiesen sich mächtiger als sein Zorn. Seine Mutter aber die weder die Geisselung noch der ihr angedrohte Tod einzuschüchtern vermochte, streckte die Hände aus und beschwor ihren Sohn, doch nicht aus Mitleid mit ihrer Qual des Ruchlosen zu schonen, denn der Tod durch des Ptolemaeus Hand sei ihr süsser als Unsterblichkeit, wenn der Frevler nur für die Schandthaten, die er gegen ihre Familie verübt, büssen müsse. Bedachte nun Joannes die Standhaftigkeit seiner Mutter und hörte er ihr Flehen, so liess er mit Ungestüm den Angriff erneuern; sah er aber, wie man sie schlug und zerfleischte, so wurde es ihm weich ums Herz und er zerfloss in Wehmut. Während hierdurch die Belagerung sich in die Länge zog, kam das Sabbatjahr heran, welches bei den Juden in jedem siebenten Jahre, wie in jeder Woche der siebente Tag, gefeiert wird. Auf diese Weise wurde Ptolemaeus von der Belagerung befreit, tötete nun die Brüder und die Mutter des Joannes und foh zu Zeno mit dem Beinamen Kotylas, dem Tyrannen von Phil. adelphia. 5. Mittlerweile rückte Antiochus, noch immer voll Erbitterung über das, was er durch Simon gelitten hatte, in Judaea ein, setzte sich vor Jerusalem fest und belagerte den Hyrkanus. Dieser aber öffnete das Grabmal Davids, der alle Könige an Reic;htum übertroffen hatte, entnahm der Gruft über dreitausend Talente 1 und bewog durch Zahlung von dreihundert Talenten den Antiochus zur Aufhebung der Belagerung. Der Rest des Geldes ermöglichte ihm, fremde Söldner zu halten, und zwar war er der erste Jude, der dies that. 6. Als in der Folge Antiochus gegen die Meder zu:elde zog und ihm dadurch Gelegenheit zur Rache bot, liel er sogleich über die syrischen Städte her, die er
1 Talent - 4710 Mark
Seite 36 wie es auch wirklich der Fall war, von streitbarer Mannschaft verlassen zu finden hoffte. So eroberte er Medaba und Samaea nebst den umliegenden Städten, dann auch Sikim und Garizim, und brachte die Chuthaer, die um ein dem Tempel zu Jerusalem nachgebildetes Heiligtum herum wohnten, unter seine Botmässigkeit. Auch nahm er nicht wenige Städte Idumaeas ein, darunter Adoreon und Marissa. 7. Alsdann rückte er vor Samaria, wo jetzt die vom Könige Herodes gegründete Stadt Sebaste liegt, schloss sie rings mit einem Wälle ein und übertrug die Leitung der Belagerung seinen Söhnen Aristobulus und Antigonus. Diese betrieben die Belagerung mit allem Eifer, und bald wütete in der Stadt eine solche Hungersnot, dass die Einwohner selbst die ungewöhnlichsten Nahrungsmittel zu sich nahmen. Sie riefen deshalb den Antiochus mit dem Beinamen Aspendius zu Hilfe, der ihrem Verlangen zwar bereitwillig nachkam, aber von Aristobulus geschlagen wurde. Die Brüder setzten ihm bis Skythopolis nach; doch er entkam, und seine Verfolger wandten sich nun wieder gegen Samaria, schlossen dessen Bewohner abermals gänzlich ein, eroberten alsdann die Stadt, zerstörten sie und verkauften die Bürger als Sklaven. Und da ihnen das Glück so günstig war, liessen sie ihren Eifer nicht erkalten, sondern rückten mit ihrem Heere bis vor Skythopolis, berannten die Stadt und verwüsteten das ganze Land diesseits des Karmelgebirges. 8. Aber der Neid über das Glück des Joannes und seiner Söhne rief unter den Einheimischen eine Empörung wach. In Menge rottete man sich gegen sie zusammen und ruhte nicht, bis es zum fömlichen Kampfe kam, in welchem die Aufrührer jedoch geschlagen wurden. Den Rest seiner Tage verlebte dann Joannes im Glücke, und nachdem er volle dreiunddreissig 2 Jahre hindurch aufs trefflichste regiert hatte, starb er mit Hinterlassung
1 oder Grypns (Antiochos VIII.).
2 Nach J. A. XIII, 10, 7: 31, nach XX, 10: 30 Jahre.
Seite 37 Erstes Buch, 3. Kapitel
von fünf Söhnen 1. Er war in der That selig zu preisen; denn sein Lebensgang giebt nicht die geringste Veranlassung, dem Schicksal Vorwürfe zu machen. Drei der höchsten Würden vereinigte er in seiner Person, die Herrschaft über sein Volk, das Hohepriestertum und die Prophetenwürde, und so innig verkehrte mit ihm die Gottheit, dass ihm nichts Zukünftiges verborgen blieb. Daher sah und sagte er auch von seinen beiden ältesten Söhnen voraus, dass sie nicht lange an der Spitze des Staates bleiben würden. Übrigens verlohnt es sich der Mühe, deren Untergang zu schildern, da er so himmelweit von dem Glücke ihres Vaters verschieden war.
1. Nach dem Tode seines Vaters, vierhunderteinundsiebzig Jahre und drei Monate nach der Rückkehr des jüdischen Volkes aus der babylonischen Gefangenschaft, änderte Aristobulus, der älteste der beiden Brüder, die Regierungsform in eine Königsherrschaft um und setzte sich- der erste Asamonier, der dies that - die Krone auf. Dem Antigonus, seinem nächstjüngeren Bruder, dem er augenscheinlich sehr zugethan war, vergönnte er die gleicho Ehre, während er die übrigen in Fesseln und strengem Gewahrsam hielt. Auch seine Mutter, die mit ihm wegen der Regierungsgewalt in Streit lebte, weil Joannes sie zur eigentlichen Herrscherin bestimmt hatte, lisee er ins Gefängnis werfen und trieb sogar seine Grausamkeit so weit, dass er sie im Kerker Hungers sterben liess. 2. Es ereilte ihn aber die Rache in der Person seines Bruders Antigonus, den er liebte und an seiner Seite mitregieren liess. Dieser fiel nämlich als Opfer von Verleumdungen, welche ruchlose Höflinge ersonnen
1 106 v. Chr.
Seite 38 hatten. Anfangs zwar schenkte Aristobulus dem Gerede keinen Glauben, teils weil er seinem Bruder wirklich zugethan war, tells weil er die Anschwärzungen vielfach auf Neid zurückführte. Als aber einst Antigonos von einem Kriegszug zurückkehrte und mit glänzendem Gepränge zu dem Feste kam, an welchem man nach väterlicher Sitte Gott zu Ehren Laubhütten errichtet, traf es sich, dass Aristobulus gerade krank darniederlag. Antigonus begab sich nun in Begleitung seiner Leibgarde am Schlusse des Festes mit denkbar grösstem Prachtaufwand nach dem Tempel, um für seinen Bruder von Herzen zu beten. In diesem Augenblick traten die Rankestifter vor den König hin und schilderten ihm den pomphaften Aufzug der Bewaffneten und das für einen Privatmann gar zu stolze Gebaren des Antigonus, der mit einer so grossen Schar nur gekommen sei, um ihn zu ermorden. Es sei ihm eben unerträglich, einfach nur Mitregent zu sein, da er sich des Thrones selbst bemächtigen zu können glaube. 3. Fast wider seinen Willen schenkte Aristobulus diesen Vorstellungen Glauben, und um einerseits seinen Argwohn nicht offenkundig werden zu lassen, anderseits aber auch für alle Falle gesichert zu sein, beorderte er seine Leibwache in eines der unterirdischen und dunklen Gelasse der Burg, in welcher er lag (diese hiess früher Baris, erhielt aber später den Namen Antonia), und gab Befehl, den Antigonus, falls er unbewaffnet komme, passieren zu lassen, wenn er dagegen bewaffnet sei, ihn Mederzumachen. Zugleich liess er seinen Bruder auffordern, ohne Waffen zu ihm zu kommen. Daraufhin entwarf die Königin mit den Feinden des Antigonus einen sehr verschmitzten Plan. Sie beredeten nämlich die Abgesandten des Königs, dessen Befehl zu verschweigen und dem Antigonus zu melden, sein Bruder habe vernommen, eine wie herrliche Rüstung er sich in Galilaea habe anfertigen lassen; weil aber seine Krankheit es ihm bisher unmöglich gemacht habe, dieselbe in Augenschein zu nehmen, so sei es jetzt, da Antigonus
Seite 39 Erstes Buch, 3. Kapitel
abzureisen gedenke, sein dringender Wunsch, ihn in diesfbm Waffenschmuck zu sehen. 4. Kaum hatte Antigonus das vernommen, so zog er, da die bisher von seinem Bruder ihm entgegengebrachte Gesinnung keinen Argwohn in ihm aufkommen liess, in seiner Waffenrüstung wie zur Parade einher. Als er aber bis zu dem dunklen Gelasse, welches Stratonsturm 3 hiess, gekommen war, wurde er von den Soldaten der Leibwache niedergestochen, ein deutlicher Beweis dafür, dass Verleumdung alle Bande des Wohlwollens und der Natur zerreisst, und dass keines der besseren Gefühle stark genug ist, um der Missgunst die Spitze bieten zu können. 5. Verwundern muss man sich hierbei über einen gewissen Essener Judas, dem in seinen Weissagungen noch ein teilweiser oder gänzlicher Misserfolg begegnet war. Als dieser damals den Antigonus durch den Tempelraum schreiten sah, rief er seinen vertrauten Schülern, deren nicht wenige um ihn weilten, zu: „Ach, nun wäre es mir besser, ich schiede von der Welt, da die Wahrheit vor mir gestorben und eine meiner Weissagungen falsch befunden worden ist! Ist doch Antigonus noch am Leben, der heute hätte sterben sollen. Beim Stratonsturm - so wollte es sein Schicksal. - hätte Meuchelmord ihn dahinraffen sollen; doch der liegt sechshundert Stadien 1 von hier entfernt, und schon ist die vierte Stunde des Tages. Wahrlich, die Zeit straft die Prophezeiung Lügen!" Nach diesen Worten versank der Greis lange in wehmütiges, gedankenvolles Schweigen, bis eine Weile nachher die Ermordung des Antigonus in dem unterirdischen Gelasse gemeldet wurde, das, gleichwie Caesarea am Meer, Stratonsturm hiess. Hierdurch war der Seher verwirrt worden. 6. Die Reue über diesen Frevel verschlimmerte übrigens sogleich des Aristobulus Krankheit. Die beständigen Gewissensbisse wegen des Mordes liessen ihn mehr und
1 Ein Stadion = 185 Meter.
Seite 40 mehr dahinschwinden, bis endlich das Übermass des Grams seine Eingeweide zerriss und er Blut in Strömen von sich gab. Als nun einer der ihn pflegenden Seiten dasselbe forttrug, stolperte er nach göttlicher Fügung gerade an der Stelle, wo Antigonus ermordet worden war, und verschüttete das Blut des Mörders über die Flecken vom Blute des Dahingeschlachteten. Sogleich erhoben die Zuschauer ein Jammergeschrei, als wenn der Seite das Blut absichtlich dort verschüttet hatte. Der König aber hatte das Geschrei kaum vernommen, als er sofort nach der Ursache sich erkundigte, und da niemand ihm dieselbe mitteilen mochte, bestand er um so mehr darauf, sie zu erfahren. Doch erst als er mit Zwangsmassregeln drohte, gestand man ihm die Wahrheit, und nun füllten sich seine Augen mit Thränen, und er sprach unter tiefem Aufseufzen so laut, als seine Schwäche es zuliess: „So konnte ich also mit meinen Frevelthaten dem allsehenden Auge Gottes nicht verborgen bleiben, und schnell ereilt mich die Strafe für die Ermordung meiner Verwandten. Wie lange denn noch, schändlicher Leib, willst du die Seele zurückhalten, die dem Bruder und der Mutter verfallen ist? Und wie lange soll ich ihnen mein Blut tropfenweise als Opfer spenden? Lieber mögen sie es gleich auf einmal nehmen, und nicht treibe fürder die Gottheit ihren Spott mit dem Leichenopfer aus meinen Eingeweiden!" Kaum hatte er diese Worte gesprochen, so verschied er, nachdem er nur ein Jahr regiert hatte. l
1. Des Aristobulus Gemahlin befreite nun dessen Bruder aus der Kerkerhaft und ernannte zum Könige
1 105 v. Chr.
Seite 41 den Alexander, der sowohl seines Alters als seiner Herzensgüte wegen dieses Vorzüges wert zu sein schien. Kaum aber war er auif den Thron gelangt, so liess er den einen von seinen Brüdern, der Herrschgelüste zeigte, umbringen, während er dagegen den anderen, der sich mit einem Leben fern von Staatsgeschäften begnügte, in Ehren hielt. 2. Alsdann lieferte er dem Ptolemaeus mit dem Beinamen Lathurus, der die Stadt Asochis eingenommen hatte, ein Treffen. Aber obgleich er eine Menge Feinde niedermachte, neigte sich der Sieg doch auf des Ptolemaeus Seite. Bald indes, als dieser, von seiner Mutter Kleopatra verfolgt, sich nach Aegypten begeben hatte, bekam Alexander durch eine Belagerung Gadara in seine Gewalt sowie ferner Amathus, die wichtigste Festung jenseits des Jordan, in der auch die kostbarsten Schätze des Theoderos, Sohnes des Zeno, aufbewahrt wurden. Plötzlich jedoch erschien Theoderos, nahm seine eigenen Schätze samt dem Gepäck des Königs und tötete gegen 10000 Juden. Alexander aber erholte sich von diesem Schläge wieder, wandte sich nach der Meeresküste und eroberte Raphia, Gaza und Anthedon, welch letzteres später vom Könige Herodes Agrippias genannt wurde. 3. Als er diese Städte eben unterjocht hatte, brach an einem Feste ein Aufstand der Juden gegen ihn aus, wie denn überhaupt Empörungen meist bei der Feier von Festen entstehen. Diesen Aufruhr niederzuwerfen, wäre ihm wohl nicht gelungen, wenn ihm nicht die fremden Söldner geholfen hatten: Pisider nämlich und Cilicier, denn Syrer nahm er wegen ihres angestammten Hasses gegen die Juden nicht in Sold. Nachdem er nun über 6000 von den Empörern getötet hatte, fiel er in Arabien ein, unterwarf dieses Land sowie die Galaditer und Moabiter, die er tributpflichtig machte, und kehrte alsdann nach Amathus zurück. Da übrigens Theoderos, durch Alexanders Kriegsglück in Schrecken versetzt, die Festung verlassen hatte, traf dieser sie ohne Besatzung an und machte sie dem Erdboden gleich.
Seite 42 4. Bald darauf hatte er ein Treffen mit dem Araberkönig Obedas zu bestehen, der ihm bei Gaulana 1 einen Hinterhalt gelegt hatte. In dieser Schlacht verlor er sein ganzes Heer, das in eine tiefe Schlucht gedrängt und hier von der Menge der Kamele erdrückt wurde. Er selbst entkam nach Jerusalem. Dort aber nahm das Volk, das ihn schon längst hasste, aus der Grösse des ihm zugestossenen Unglückes Anlass zur Empörung gegen ihn. Doch auch diesmal siegte er und metzelte in schnell aufeinanderfolgenden Schlachten nicht weniger als 50000 Juden nieder. Indes gereichten ihm diese Siege, durch welche er die Krafte seines eigenen Reiches aufrieb, so wenig zur Freude, dass er die Waffen niederlegte und auf gütlichem Wege sich mit seinen Unterthanen zu verständigen suchte. Doch erreichte er durch diese Sinnesänderung und sein wenig folgerichtiges Handeln nichts weiter, als dass das Volk ihn nur noch mehr hasste. Als er nun nach der Ursache dieser Abneigung sich erkundigte und fragte, was er denn thun müsse, um die Juden zu besänftigen, entgegneten sie: sterben, wiewohl selbst sein Tod sie kaum mit ihm aussöhnen werde, da er so viele Schandthaten auf dem Gewissen habe. Zugleich riefen sie den Demetrius mit dem Beinamen Eukaerus 2 zu Hilfe, der denn auch in der Hoffnung, besondere Vorteile erlangen zu können, dem Ruf bereitwillig Folge leistete und mit einer Streitmacht heranrückte. Bei Sikim vereinigten sich die Juden mit ihren Bundesgenossen. 6. Aber auch mit dem zweifachen Gegner nahm Alexander es auf. Stand ihm doch ausser 1000 Reitern und 8000 gedungenen Fusssoldaten auch noch der ihm wohlgesinnte Teil der Juden, gegen 10000 Mann, zu Gebote, während die feindlichen Truppen 3000 Reiter und 14000 Mann zu Fuss zahlten. Ehe es nun zum Handgemenge kam, versuchten beide Könige durch
1 J. A. XIII 13, 5 heisst es: bei dem galaditischen Dorfe Gadara
2 Sohn des Antiochus Grypus und König von Damaskus
Seite 43 Erstes Buch, 4. Kapitel
Herolde gegenseitig ihre Truppen zum Abfall zu bewegen: Demetrius hoffte die Söldner Alexanders, dieser hingegen die zu Demetrius haltenden Juden auf seine Seite zu bringen. Da aber weder die Juden ihre Erbitterung noch die Griechen ihre Treue verleugneten, blieb nichts anderes übrig, als das Schwert entscheiden zu lassen. Der Sieg fiel sodann dem Demetrius zu, obwohl Alexanders Söldner sich heldenmütig schlugen. Das Endergebnis der Schlacht gestaltete sich übrigens für beide Teile gleich unerwartet. Denn einerseits blieben dem Demetrius, obwohl er gesiegt hatte, die Juden, die ihn herbeigerufen, nicht treu, und anderseits gingen zu Alexander, der ins Gebirge geflohen war, aus Mitleid mit seinem Unglück 6000 Juden über. Diese Wendung der Dinge vermochte Demetrius nicht zu ertragen, und in der Meinung, Alexander sei jetzt wieder kampfbereit und das gesamte Volk stehe zu ihm, zog er alsbald ab. 6. Doch gab nach dem Abmarsch der Bundesgenossen die übrige Menge die Feindseligkeiten nicht auf, sondern lag ohne Unterlass mit Alexander im Kriege, bis die meisten niedergemacht, die übrigen aber in die Stadt Bemeselis gedrängt und nach deren Zerstörung gefangen in Jerusalem eingebracht waren. Alexanders Zorn kannte nun keine Grenzen nehr, sodass er seine Grausamkeit bis zur Gottlosigkeit trieb. Er liess nämlich gegen 800 von den Gefangenen mitten in der Stadt ans Kreuz schlagen, ihre Weiber und Kinder aber vor ihren Augen hinschlachten, während er selbst mit seinen Kebsweibern zechend und schmausend zusah. Infolgedessen ergriff das Volk ein solcher Schrecken, dass in der Nacht darauf 8000 seiner Gegner aus ganz Judaea flohen, die erst nach dem Tode Alexanders zurückzukehren wagten. Nachdem er durch solche Massnahmen seinem Reiche, freilich spät und mühsam genug, Ruhe verschafft hatte, legte er die Waffen nieder. 7. Abermals aber wurde er aus seiner Musse aufgestört durch des Demetrius Bruder Antiochus mit dem
Seite 44 Beinamen Dionysus, den letzten Seleukiden. Als dieser nämlich zu einem Feldzug gegen die Araber aufbrach, liess Alexander die ganze Strecke zwischen dem Gebirge bei Antipatris1 und der Küste bei Joppe mit einem tiefen Graben durchziehen und vor dem Graben eine Mauer mit hölzernen Türmen erbauen, um die leicht zugänglichen Angriffsstellen zu schützen. Doch vermochte er dadurch den Antiochus nicht abzuwehren. Denn dieser verbrannte die Türme, füllte den Graben aus, marschierte mit seinem Heere durch Judaea und wandto sich sogleich gegen die Araber, indem er die Rache an Alezander, der ihn hatte aufhalten wollen, auf eine spätere Zeit verschob. Der Araberkönig aber zog sich in eine für ihn günstigere Gegend zurück, machte dann mit seiner 10000 Mann starken Reiterei eine plötzliche Schwenkung und griff das Heer des Antiochus an, noch ehe es in Schlachtordnung aufgestellt war. Es entspann sich nun ein heisser Kampf, in welchem des Antiochus Streitmacht, so lange er selbst am Leben war, wacker standhielt, obwohl die Araber ihr gewaltig zusetzten. Sobald er aber gefallen war (er scheute nämlich, um den Bedrängten Hilfe zu leisten, selbst vor der offenkundigsten Gefahr nicht zurück), wandte sich alles zur Flucht. Der grösste Teil seines Heeres kam in der Schlacht oder auf dem Rückzuge um, während der Rest, der sich in das Dorf Kana flüchtete, bis auf wenige Überlebenden dem Hunger erlag. 8. Hierauf riefen die Damascener aus Hass gegen Ptolemaeus Mennaei 2 den Aretas herbei und ernannten ihn zum König von Coelesyrien. Dieser zog alsdann gegen Judaea zu Felde und schlug den Alexander in einem Treffen, kehrte aber nach Abschluss eines Vergleiches wieder heim. Alexander eroberte darauf Pella und rückte, nach des Theoderos Schätzen lüstern, vor Gerasa, schloss die Besatzung mit einer dreifachen
1 Nach.1. A. XIII, 15, 1 hiess die Stadt damals noch Chabarzabal
2 Beherrscher von Chalkis am Libanon,
Seite 45Erstes Buch, 5. Kapitel
Mauer ein und erstürmte die Stadt. Ferner verwüstete er Gaulana, Seleukia und das sogenannte Antiochusthal, inahm dann die starke Festung Garnala, entsetzte den Kommandanten derselben, Demetrius, wegen vieler gegen ihn erhobener Anklagen seines Amtes und kehrte, nachdem er volle drei Jahre im Felde gelegen, nach Judaea zurück, wo er um seiner glänzenden Kriegsthaten willen vom Volke begeistert empfangen wurde. Doch kaum rastete er von seinen Kriegsstrapazen aus, als eine Krankheit sich bei ihm einstellte, und weil das Leiden, ein viertägiges Wechselfieber, ihm arg zusetzte, glaubte er es durch Wiederaufnahme kriegerischer Thätigkeit von sich abschütteln zu können. Als er aber in dieser Absicht zur Unzeit einen Kriegszug unternahm und den Mühen desselben über seine Kräfte hinaus sich aussetzte, fand er seinen Tod. Er starb mitten im Kriegsgetümmel nach 27jähriger Regierung.
1. Die Herrschaft hinterliess er seiner Gemahlin Alexandra, da er überzeugt war, dass die Juden ihr noch am willigsten Gehorsarn leisten würden, einmal weil sie von seiner Grausamkeit weit entfernt war, dann aber auch, weil sie durch ihren Widerstand gegen Ungesetzlichkeiten sich die Zuneigung des Volkes erworben hatte. In dieser Erwartung hatte er sich auch nicht getäuscht: das schwache Weib wusste sich in der That durch die günstige Meinung, die sie von ihrer Frömmigkeit verbreitete, die Herrschaft zu sichern. Denn die väterlichen Gebräuche des Volkes beobachtete sie aufs peinlichste und entsetzte gleich anfangs die Übertreter der heiligen
1 179 v Chr
Seite 46 Gesetze ihrer Ämter. Von den beiden Söhnen, die sie dem Alexander geboren hatte, ernannte sie den Hyrkanus, weil er der ältere und ausserdem zu träge war, als dass er ihr in der Regierung Schwierigkeiten bereite, bereiten können, l zum Hohepriester; den Jüngeren aber, Aristobulus, verwies sie wegen seines feurigen Temperamentes ins Privatleben. 2 Innigen Anteil an ihrer Regierung nahmen übrigens die Pharisäer, eine Jüdische Sekte, deren Angehörige für besonders fromm und gesetzeskundig gelten 2. Ihnen war Alexandra als gottesfürchtige Frau überaus zugethan. Sie aber bethörten allmählich die Einfalt des Weibes und waren bald die eigentlichen Herrscher, die nach Gefallen verbannten und zurückriefen, lösten und banden, wen sie wollten. Alles in allem genommen, hatten sie den Genuss vom Königtum, während Alexandra die Kosten und Beschwerden desselben zur Last fielen. Übrigens war sie der Leitung eines grösseren Staatswesens wohl gewachsen. Ihr Hauptaugenmerk richtete sie auf die Vermehrung ihrer Truppenmacht, wodurch sie dieselbe bald auf die doppelte Stürke brachte, und sie nahm auch nicht wenige fremde Söldner in ihren Dienst, sodass sie, indem sie die Wehrkraft des Volkes steigerte, den auswärtigen Fürsten die nötige Furcht einzuflössen vermochte. So über ihre Unterthanen herrschend, stand sie selbst unter der Herrschaft der Pharisäer. 5. Ihnen war es auch zuzuschreiben, dass ein gewisser Diogenes, ein vornehmer Mann und Freund Alexanders, hingerichtet wurde. Sie beschuldigten ihn nämlich, dem Alexander die Kreuzigung der 800 angeraten zu haben. Ebenso wussten sie es bei der Königin durchzusetzen, dass auch die übrigen Männer, die Alexander dazu veranlasst hatten, mit dem Tode büssen mussten. Aus religiöser Scheu beugte eben Alexandra sich völlig vor den Pharisäern, und so überantworteten diese dem Henker,
1 Vergl. hierzu J. A. XIII, 15, 5.
2 Man erinnere sich hier daran, dass Josephus selbst Pharisäer war.
Seite 47 Erstes Buch, 5. Kapitel
wen sie wollten. Die Angesehensten von denen, die der Gefahr ausgesetzt waren, nahmen nun ihre Zuflucht zu Aristobulus, und dieser brachte denn auch seine Mutter dahin, die Männer ihrer hohen Stellung wegen zu schonen und, wenn sie dieselben nicht für unschuldig halten könne, es wenigstens bei der Verweisung aus der Stadt zu belassen. Nachdem ihnen also Straflosigkeit bewilligt worden war, zerstreuten sie sich im Lande hierhin und dorthin. Hierauf schickte Alexandra unter dem Vorwand, Ptolemaeus bedränge fortwährend Damaskus, ein Heer aus und bemächtigte sich der Stadt, ohne dass sie dabei auf besondere Schwierigkeiten gestossen wäre. Dann suchte sie den Armenierkönig Tigranes, der vor Ptolemais lag und Kleopatra belagerte, durch Verträge und Geschenke zum Abzug zu veranlassen l. Doch entfernte sich derselbe alsbald aus freien Stücken infolge der in seinem eigenen Lande herrschenden Unruhen. Denn Lucullus war in Armenien eingefallen. 4. Um diese Zeit erkrankte Alexandra, und ihr Jüngerer Sohn Aristobulus hatte nun nichts eiligeres zu thun, als mit Hilfe seiner zahlreichen und ihm wegen seines jugendlichen Feuers ohne Ausnahme treu ergebenen Anhänger sämtliche Festungen in Besitz zu nehmen. Mit dem Gelde, das er in denselben vorfand, warb er dann Söldner an und warf sich zum Könige auf. Darüber jammerte Hyrkanus gewaltig, und aus Mitleid mit ihm gab seine Mutter den Befehl, die Gattin und die Kinder des Aristobulus in der Antonia einzukerkern. Es war dies eine im Norden an den Tempel stossende feste Burg, die, wie bereits erwähnt, früher Baris hiess, später aber zur Zeit der Herrschaft des Antonius nach diesem benannt wurde, wie denn auch die Städte Sebaste und Agrippias diese Namen statt ihrer früheren dem Sebastos 2 und Agrippa zu Ehren erhielten. Bevor jedoch Alexandra gegen Aristobulus
1 Damit er nicht in Judaea einfalle (vergl. J. A. XII, 16, 4).
2 Griechische Bezeichnung für Augustus.
Seite 48 wegen der Verdrängung seines Bruders vom Throne einschreiten konnte, starb sie, nachdem sie neun Jahre regiert hatte.1
1. Der eigentliche Erbe des Reiches war nun freilich Hyrkanus, dem auch seine Mutter noch vor ihrem Tode die Königswürde übertragen hatte; doch anEnergie und Geist überragte ihn Aristobulus. In einem Treffen bei Jericho, wo sie miteinander um die Herrschaft stritten, verliessen denn auch den Hyrkanus die meisten seiner Anhänger und gingen zu Aristobulus über. Hyrkanus floh mit dem Rest seiner Getreuen und vermochte noch rechtzeitig die Antonia zu erreichen, wo er sich der Gattin und der Kinder des Aristobulus als Geisel für seine Rettung versicherte. Bevor es indes zu einem unheilbaren Zerwürfnis kam, verglich er sich mit seinem Bruder dahin, dass Aristobulus König sein und er selbst dem Throne entsagen, im übrigen aber alle Ehren geniessen solle, die dem Bruder des Königs gebührten. Unter diesen Bedingungen sohnten sie sich miteinander im Tempel aus, umarmten sich vor den Augen des sie umgebenden Volkes und vertauschten ihre Wohnungen: Aristobulus bezog den Königspalast, Hyrkanus aber das Haus des Aristobulus. 2. Als nun Aristobulus so unverhofft auf den Thron gelangt war, beschlich auch seine übrigen Gegner bange Furcht, darunter ganz besonders den Antipater, der ihm schon längst ein Dorn im Auge war. Von Geburt
1 70 v. Chr.
Seite 49 Erstes Buch, 6. Kapitel
Idumser 1, war er infolge seiner Abstammung, seines Reichtums und seiner sonstigen Macht der Bedeutendste seines Volkes. Dieser Antipater nun beredete einerseits den Hyrkanus, zu dem Araberkönige Aretas zu fliehen, um sich die Königswürde wieder zu erringen, anderseits den Aretas, Hyrkanus aufzunehmen und ihn auf seinen Thron zurückzuführen. Und um Aretas zur Gewährung von Gastfreundschaft besonders geneigt zu machen, schmähte er den Charakter des Aristobulus ebenso sehr, als er den des Hyrkanus lobte, fügte auch hinzu, es stehe dem Beherrscher eines so glänzenden Reiches wohl an, seine schützende Hand über den zu halten, dem Unrecht widerfahren sei. Unrecht aber sei Hyrkanus in der That geschehen, da er des Thrones beraubt worden sei, der ihm seines höheren Alters wegen zukomme. Nachdem er in dieser Weise auf beide eingewirkt hatte, verliess er bei Nacht in Begleitung des Hyrkanus die Stadt und gelangte in eiliger Flucht wohlbehalten nach Petra, der Hauptstadt Arabiens. Hier übergab er den Hyrkanus dem Aretas, suchte diesen mit einem Schwalle von Worten und durch reiche Geschenke zu ködern und brachte ihn schliesslich dahin, dass er seinem Schützling ein Heer zur Verfügung stellte, um ihn in seine Herrschaft wieder einzusetzen. Dieser Truppenmacht, fünfzigtausend Mann zu Fuss und zu Pferde, vermochte Aristobulus nicht standzuhalten, sondern er wurde gleich beim ersten Zusammenstoss geschlagen und nach Jerusalem gedrängt, wo er zweifellos in die Hände seiner Feinde geraten wäre, hatte nicht der römische Feldherr Scaurus die günstige Gelegenheit sich zunutze gemacht und die Stadt entsetzt. Letzterer nämlich war von Pompejus
1 Die Idumäer oder Edomiter (von ihrem Stammvater Esau oder Edom) waren ursprünglich Araber, deren Land sich als ein schmaler, zwischen der Ostwüste und der westlichen Sand-Arabah eingeengter Gebirgszug bis zum Aelanitischen Meerbusen erstreckte. Joannes Hyrkanus unterwarf sie und zwang sie, die Beschneidung anzunehmen (J. A. XIII, 9, 1). Übrigens waren sie Götzendiener (J. A. XV, 7, 9). Antigonus nennt J. A. XIV, 15,2 den Idumäer Herodes (den Grossen) einen „Halbjuden".
Seite 50 Magnus, der gegen Tigranes Krieg führte, aus Armenien nach Syrien geschickt worden. Als er nun nach der soeben von Metellus und Lollius eroberten Stadt Damaskus gekommen war und diese beiden anderswohin beordert hatte, erfuhr er den Stand der Dinge in Judaea und eilte sogleich dorthin, wie wenn er ein besonderes Geschäft zu machen gedachte. 3. Kaum hatte er das Land betreten, so stellten sich auch sogleich Gesandte beider Brüder bei ihm ein, von denen jeder für sich Hilfe erbat. Doch schwerer als Recht und Billigkeit wogen dreihundert Talente, die Aristobulus mitgegeben hatte 1. Nach Empfang dieses Geldes liess Scaurus dem Hyrkanus und den Arabern durch Herolde mit dem Einschreiten der Römer und des Pompejus drohen, falls sie von der Belagerung nicht Abstand nähmen. Daraufhin marschierte Aretas voller Bestürzung aus Judaea nach Philadelphia ab, während Scaurus nach Damaskus zurückkehrte. Dem Aristobulus aber genügte es nicht, der Gefangenschaft entgangen zu sein, sondern er setzte nun mit seiner ganzen Streitmacht den Feinden nach und lieferte ihnen bei dem Orte Papyron ein Treffen, in welchem er über sechstausend Mann niedermachte, darunter auch Antipaters Bruder Phallion. 4. So des Beistandes der Araber beraubt, setzten Hyrkanus und Antipater ihre Hoffnung auf die Gegner, und da Pompejus auf seinem Marsche durch Syrien eben in Damaskus angelangt war, nahmen sie zu ihm ihre Zuflucht. Ohne Geschenke, nur auf die schon bei Aretas geltend gemachten Rechtsgründe sich beziehend, baten sie ihn, das gewaltsame Vorgehen des Aristobulus zu missbilligen und den auf den Thron zu setzen, der seinem Alter und Charakter nach Anspruch darauf habe. Doch auch Aristobulus liess nicht auf sich warten, sondern
1 Nach J. A. XIV, 2, 3 hatte jeder der Brüder vierhundert Talente geboten, Scaurus aber des Aristobulus Anerbieten angenommen, weil dieser eine geringere Gegenleistung verlangte.
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fand sich im Vertrauen auf die Bestechung des Scaurus ebenfalls ein, und zwar mit allem möglichen königlichen Gepränge. Da er es aber für unwürdig hielt, den Unterwürfigen zu spielen, und es nicht über sich bringen konnte, sich um seines Vorteils willen tiefer zu erniedrigen, als es ihm seinem Stand gemäss zieme, zog er sich an der Stadt Dion vorbei zurück. 5. Hierüber ergrimmte Pompejus, und da ihn gleichzeitig auch Hyrkanus und dessen Anhänger mit Bitten bestürmten, brach er mit dem römischen Heere und vielen syrischen Hilfstruppen gegen Aristobulus auf. Als er nun an Pella und Skythopolis vorbei nach Koreae gekommen war, wo landeinwärts Judaea beginnt, vernahm er, Aristobulus habe sich nach Alexandrium, einer aufs beste ausgerüsteten und hoch auf dem Gipfel eines Berges gelegenen Festung, geflüchtet. Er liess ihm daher befehlen, herunterzusteigen. Dieser herrischen Aufforderung gegenüber hatte Aristobulus nicht übel Lust, es lieber aufs äusserste ankommen zu lassen als Folge zu leisten. Da er aber die Seinen von Furcht ergriffen sah, und seine Freunde ihm zuredeten, er möge doch die unwiderstehliche Kraft der Römer bedenken, liess er sich umstimmen und stieg zu Pompejus hinab. Hier setzte er weitläufig seine Rechtsansprüche auf den Thron auseinander und kehrte dann in seine Festung zurück. Später kam er auf Ersuchen seines Bruders abermals herab, besprach sich mit diesem über die Rechtsfrage und begab sich, unbehindert von Pompejus, wieder hinauf. Zwischen Furcht und Hoffnung schwebend, verliess er seine Veste, um den Pompejus durch Bitten zur Bewilligung seiner Forderungen zu veranlassen; zurück aber ging er, um nicht den Anschein zu erwecken, als gäbe er schon zum voraus seine Sache auf. Als jedoch Pompejus ihn aufforderte, die Festungen auszuliefern, und ihn zwang, den Kommandanten derselben, die die Weisung hatten, nur schriftlichen Befehlen ihres Königs zu gehorchen, durch eigenhändige Briefe den Befehl zum Abzug zu erteilen, fügte er sich zwar diesem Ansinnen,
zog sich aber alsdann voll Erbitterung nach Jerusalem zurück und rüstete sich zum Kampfe gegen Pompejus. 6. Der indes folgte ihm, ohne ihm Zeit zu Vorbereitungen zu lassen, auf dem Fusse nach und wurde in seinem Kriegseifer noch wesentlich bestärkt durch die Kunde vom Tode des Mithradates, die er bei Jericho erhielt. Hier ist die fruchtbarste Gegend Judaeas, und es gedeihen daselbst die Palme und der Balsam in Menge. Letzterer wird gewonnen, indem man mit scharfen Steinen den Schaft der Stauden in seinem unteren Teile ritzt und die aus den Einschnitten fliessenden Tränen sammelt. Dort schlug Pompejus für eine Nacht sein Lager auf und rückte in der Morgenfrühe gegen Jerusalem vor. Durch sein Erscheinen in Schrecken versetzt, ging Aristobulus ihm als Bittsteller entgegen, und es gelang ihm auch, durch Geldversprechungen und die Zusage, dass er sich selbst nebst der Stadt in seine Hände geben wolle, den Zorn des Pompejus zu beschwichtigen. Doch hielt er keine seiner Zusagen, und als Gabinius erschien, der zur Empfangnahme des Geldes geschickt war, liessen ihn die Anhänger des Aristobulus nicht einmal in die Stadt ein.
1. Hierüber entrüstet, liess Pompejus den Aristobulus in Gewahrsam nehmen und sah sich, als er der Stadt nähergekommen war, nach einem günstigen Angriffspunkt um. Dabei fand er, dass die Mauern ihrer Festigkeit wegen und weil sie aussen von einer furchtbaren Schlucht umgeben waren, schwer einnehmbar seien, sowie dass das jenseits der Schlucht gelegene Heiligtum derartig starke Befestigungen aufwies, dass selbst nach dem Falle
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der Stadt die Feinde an ihm einen zweiten Zufluchtsort haben würden. 2. Während er nun geraume Zeit zu keinem rechten Entschluss kommen konnte, brach unter den Einwohnern der Stadt ein Streit aus, indem die Anhänger des Aristobulus für den Krieg und die Befreiung des Königs, die auf des Hyrkanus Seite stehenden Bürger aber dafür sich erklärten, dass man dem Pompejus die Thore öffnen solle. übrigens bewirkte die Furcht vor dem wohlgeschulten Heere der Römer, dass die letztere Partei immer starker wurde. Als nun die Anhänger des Aristobulus sich in der Minderheit sahen, zogen sie sich in den Tempel zurück, brachen die denselben mit der Stadt verbindende Brücke ab und rüsteten sich zum äussersten Widerstand. Die andere Partei aber nahm die Römer in die Stadt auf und übergab ihnen den Königspalast, worauf Pompejus einen seiner Unterbefehlshaber, Piso, mit einer Heeresabteilung hineinsandte. Dieser besetzte die Stadt, und da es ihm nicht gelang, auch nur einen der in den Tempel Geflohenen durch gütliches Zureden zum Übertritt zu veranlassen, richtete er alles ringsum zur Belagerung ein, wobei die Leute des Hyrkanus ihm bereitwilligst mit Rat und That zur Hand gingen. 3. Pompejus selbst liess auf der Nordseite den Graben und die ganze Thalschlucht ausfüllen, wozu die Soldaten das Material herbeitrugen. Die Ausfüllung war übrigens recht schwierig, einmal wegen der bedeutenden Tiefe, dann aber auch, weil die Juden von oben her auf alle mögliche Weise die Arbeit zu verhindern suchten. Die Römer waren mit derselben auch wohl nicht zu Ende gekommen, wenn nicht Pompejus jeden siebenten Tag, an welchem die Juden aus religösen Rücksichten sich aller Arbeit enthalten, zur Erhöhung des Dammes benützt und den Soldaten an diesem Tage das Handgemenge untersagt hatte; denn zu ihrer persönlichen Verteidigung dürfen die Juden sich auch am Sabbat wehren. Als nun die Thalschlucht ausgefüllt war, liess er hohe Türme auf dem Damm errichten und die von
Tyrus mitgebrachten Belagerungsmaschinen herbeischaffen, mit denen er einen Versuch gegen die Mauer unternahm, während Steinschleuderer diejenigen zurücktrieben, welche dies von oben her zu vereiteln trachteten. lbrigens hielten die gerade an dieser Seite durch Grösse und Schönheit sich auszeichnenden Türme sehr lange stand. 4. Obwohl nun die Römer viel Ungemach zu erdulden hatten, konnte doch Pompejus nicht umhin, sich über die mutige Ausdauer der Juden im allgemeinen wie auch besonders darüber zu verwundern, dass sie mitten im Hagel der Geschosse nicht das mindeste von ihrem Gottesdienst aufgaben. Als wenn nämlich die Stadt sich des tiefsten Friedens erfreute, wurden die täglichen Opfer, die Reinigungen und der ganze heilige Dienst Gott zu Ehren aufs genaueste vollzogen. Ja, selbst bei der Erstürmung der Stadt, als tagüber die Leichen der Ihrigen sich um den Altar auftürmten, liessen sie von dem gesetzlichen Gottesdienst nicht ab. Im dritten Monat der Belagerung nämlich drangen die Römer, nachdem sie mit vieler Mühe einen der Türme zerstört hatten, in das Heiligtum1 ein. Der erste, der die Mauer zu überspringen wagte, war Cornelius Faustus, der Sohn des Sulla, dem zwei Centurionen, Fürius und Fabius, gefolgt von ihrenAbteilungen, sich anschlossen. Von allen Seiten umzingelten sie die Juden und töteten die einen auf der Flucht nach dem Tempel 1, die anderen nach kurzer Gegenwehr. 5. Da nun blieben viele Priester, obwohl sie die Feinde mit gezückten Schwertern auf sich zukommen sahen, unerschrocken beim heiligen Dienste, und während der Darbringung von Trank- und Rauchopfern wurden sie dahingemordet, sie, denen die Verehrung der Gottheit alles, ihre eigene Rettung aber nichts galt. Die meisten fielen übrigens unter dem Schwerte ihrer eigenen, ihnen feindlich gesinnten Volksgenossen; unzählige stürzten
1 Es ist stets zu unterscheiden zwischen dem Heiligtum (To ieron) oder dem gesamten Tempelbezirk und dem eigentlichen Tempelgebäude (ó naoj).
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sich die steilen Schluchten hinab; einige auch steckten, rasend vor Verzweiflung, die Anbauten der Mauer in Brand und fanden in deren Flammen ihr Ende. Zwölftausend Juden kamen auf diese Weise um, während die Römer nur vereinzelte Tote, dagegen mehr Verwundete hatten. 6. Nichts aber konnte das Volk in dieser schrecklichen Lage so schwer treffen, als dass das bis jetzt nie gesehene Allerheiligste von Fremden enthüllt wurde. Pompejus nämlich ging mit seinem Gefolge in den Teil des Tempels, den nur der Hohepriester betreten durfte, und betrachtete, was darin war: den Leuchter mit den Lampen, den Tisch, die Opferschalen und Räuchergefässe, alles von gediegenem Golde, die Menge des aufgespeicherten Räucherwerkes und den gegen zweitausend Talente betragenden Tempelschatz. Doch rührte er weder diesen noch irgend eines der heiligen Geräte an; vielmehr liess er gleich am Tage nach der Erstürmung den Tempelraum durch die Tempeldiener reinigen und die üblichen Opfer darbringen. Dann ernannte er den Hyrkanus wieder zum Hohepriester, einmal weil er sich bei der Belagerung als sehr hilfsbereit erwiesen, dann aber ganz besonders, weil er das Landvolk, das sich anschickte, für Aristobulus zu den Waffen zu greifen, davon abgehalten hatte. Also gewann er, wie es einem guten Feldherrn ziemt, das Volk mehr durch Wohlwollen als durch Furcht. Unter den Kriegsgefangenen befand sich auch der Schwiegervater des Aristobulus, der zugleich dessen Oheim war. Die Haupturheber des Krieges nun liess Pompejus mit dem Beile hinrichten; den Faustus aber und die, welche an dessen Seite heldenhaft gestritten hatten, beschenkte er mit herrlichen Kampfpreisen. Dann legte er dem Lande und der Stadt Jerusalem eine Steuer auf. 1 7. Eine weitere Folge des Krieges war, dass Pompejus dem Volke die Städte, die es in Coelesyrien erobert
1 Die Eroberung Jerusalems durch Pompejus fand statt 63 v. Chr.
Seite 56 hatte, wieder abnahm, sie dem danmaligen römischen Legaten unterstellte und die Juden auf ihre eigenen Grenzen beschränkte. Das von den Juden zerstörte Gadara baute er einem seiner Freigelassenen, Demetrius, der von dort gabiörtig war, zu Gefallen wieder auf. Sodann befreite er von ihrer Oberberrschaft alle Städte im Binnenland, die sie nicht vorher zerstört hatten, nämlich Hippos, Skythopolis, Pella, Samaria, Marissa, ferner Azot, Janmnia und Arethusa, desgleichen die Küstenstüdte Gaza, Joppe, Dora und die Stadt, die früher Stratonsturm hiess, später aber von dem Könige Herodes aufs prächtigste umgebaut und Caesarea genannt wurde. Alle diese Städte gab er ihren eingeborenen Bürgern zurück und teilte sie der Provinz Syrien zu. Nachdem er nun noch die letztere samt Judaea und dem Gebiet bis nach Aegypten einerseits und dem Euphrat anderseits, dem Scaurus, dem er zwei Legionen zur Verfügung stellte, zur Verwaltung übergeben hatte, eilte er iselbst durch Cilicien nach Rom, wohin er den Aristobulus und dessen Fainilie, zwei T,5chter und zwei Söhne, als Gefangene mitführte. Von den Söhnen entwich der eine, Alexander, unterwegs, während der Jüngere, Antigonus, mit seinen Schwestern nach Rom gebracht wurde.
1. Unterdessen war Scaurus in Arabien eingefallen. Dort hielt ihn zwar von Petra das schwer passierbare Terrain ab; dagegen verwüstete er die Ümgegend von Pella, wiewohl er auch hier viel Ungemach auszustehen
Seite 57 hatte, da sein Heer durch Hunger litt. Hyrkanus säumte nicht zu helfen, indem er durch Antipater Lebensmittel schickte. Da übrigens Antipater auch mit Aretas befreundet war, sandte Scaurus ihn zu diesem, damit der Araber durch Geld den Frieden von ihm erkaufe. Wirklich verstand sich auch Aretas zur Zahlung von dreihundert Talenten, worauf Scaurus sein Heer aus Arabien zurückzog. 2. Nun aber bereitete dem Hyrkanus schwere Sorge der dem Pompejus entwichene Sohn des Aristobulus, Alexander, der im Laufe der Zeit eine starke Truppenmacht zusammengebracht hatte und jetzt verheerend in Judaea einfiel. Es schien sogar, als ob es ihm schnell gelingen würde, Hyrkanus zu stürzen; denn bereits stand er vor Jerusalem und machte sich daran, die von Pompejus zerstörte Mauer wieder aufzubauen. Doch Gabinius, der Nachfolger des Scaurus in Syrien und ein Mann von vielfach erprobter Tapferkeit, zog sogleich gegen Alexander zu Felde, der vor Bestürzung über des Gabinius Anmarsch seine Truppenmacht so vermehrte, dass sie zehntausend Fusssoldaten und fünfzehnhundert Reiter zahlte. Ausserdem befestigte er passende Platze, wie Alexandrium, Hyrkanium und Machaerus in der Nähe des arabischen Berglandes. 3. Gabinius sandte nun den Marcus Antonius mit einem Teile seiner Truppen voraus und folgte selbst mit der Hauptmacht nach. Mit des Antonius Unterbefehlshabern vereinigten sich sodann Antipaters auserlesene Leute und die übrigen Streitkräfte der Juden unter Anführung von Malichus und Pitholaus und rückten dem Alexander entgegen. Bald darauf traf auch Gabinius mit seinen Truppen ein. Diesem vereinten feindlichen Heere hielt sich Alexander nicht gewachsen und zog sich deshalb zurück, wurde aber in der Nähe von Jerusalem zu einem Treffen gezwungen, in welchem
1 Nach der offenbar richtigeren Darstellung J. A; XIV, 5, 2 war es Hyrkanus, der die Mauer wiederherzustellen versuchte.
Seite 58 er sechstausend Mann verlor, nämlich dreitausend, die fielen, und dreitausend, die in Gefangenschaft gerieten. Er selbst floh mit dem Reste nach Alexandrium. 4. Als Gabinius vor dieser Festung anlangte und eine Menge Juden daselbst gelagert fand, versuchte er, indem er ihnen Verzeihung für das Vorgefallene in Aussicht stellte, sie ohne Kampf zu gewinnen. Da sie aber von einem gitlichen Vergleich nichts wissen wollten, machte er viele von ihnen nieder und schloss die übrigen in die Festung ein. In diesem Treffen that sich der Truppenführer Marcus Antonius sehr hervor; zwar benahm er sich auch sonst stets tapfer, doch so heldenhaft wie diesmal nirgends. Gabinius liess nun eine Abteilung zur Eroberung des Kastells zurück und brach selbst auf, um diejenigen Städte, die nicht so viel gelitten hatten, in besseren Zustand zu bringen, die gänzlich zerstörten aber wieder aufzubauen. So wurden auf seinen Befehl wieder wohnlich eingerichtet die Städte Skythopolis, Samaria, Anthedon, Apollonia, Jamnia, Raphia, Marissa, Adoreos, Gamala, Azot und viele andere, und mit Freuden strömten die Einwohner in dieselben zusammen. 5. Nachdem er das besorgt hatte, zog er wieder vor Alexandrium und betrieb die Belagerung so nachdrücklich, dass Alexander voll Verzweiflung Gesandte mit der Bitte um Verzeihung seiner Vergehen zu ihm schickte, ihm die noch in seinem Besitz befindlichen Festungen Hyrkanium und Machaerus übergab und bald auch Alexandrium selbst auslieferte. Alle diese Platze schleifte Gabinius, damit sie nicht zu Brutstatten neuer Kriegswirren würden, und zwar auf Anraten der Mutter Alexanders, die sich aus Besorgnis um die Gefangenen in Rom, ihren Gatten und ihre übrigen Kinder, zu Gabinius begeben hatte, um ihn zur Milde zu stimmen. Hierauf führte Gabinius den Hyrkanus in Jerusalem ein, wo er ihm die Obhut des Tempels übertrug und im übrigen die Verfassung so einrichtete, dass die Angesehensten an der Spitze standen. Das ganze Volk
Seite 59 teilte er sodann in fünf Gemeinschaften und bestimmte, dass der eine Teil auf Jerusalem, der zweite auf Gadara, der dritte auf Amathus, der vierte auf Jericho, der fünfte auf Sepphoris in Galilaea angewiesen sein sollte.1 Zu ihrer Freude waren die Juden somit von der Herrschaft eines Einzigen befreit und für die Folge einer aristokratischen Regierung unterstellt.2 6. Nicht lange danach entstanden neue Unruhen durch Aristobulus, der von Rom entwichen war und eine Menge teils neuerungssüchtiger, teils von früher her ihm ergebener Juden an sich gezogen hatte. Zunächst machte er den Versuch, Alexandrium, das er besetzt hatte, wieder zu befestigen. Als er aber erfuhr, dass Gabinius ein Heer unter Sisenna, Antonius und Servilius gegen ihn gesandt habe, zog er sich auf Machaerus zurück. Dabei entledigte er sich des unnützen Haufens und behielt nur die Bewaffneten bei sich, etwa achttausend an der Zahl, unter denen sich auch der Unterbefehlshaber aus Jerusalem, Pitholaus, befand, der mit tausend Mann zu ihm übergegangen war. Die Römer aber folgten ihnen auf dem Fusse nach, und es kam zur Schlacht, in der des Aristobulus Leute zwar wacker stritten und lange standhielten, endlich aber von den Römern überwältigt wurden. Fünftausend von ihnen fielen, gegen zweitausend flüchteten sich auf eine Anhöhe, die übrigen tausend aber durchbrachen mit Aristobulus die Reihen der Römer und wurden nach Machaerus gedrängt. Hier bezog der König am ersten Abend Nachtquartier in den Ruinen und befestigte alsdann den Platz notdürftig in der Hoffnung, noch ein Heer zusammenbringen zu können, wenn der Krieg vielleicht etwas lässiger geführt würde. Als nun die Römer angriffen, leistete er ihnen zwei Tage lang fast über seine Kräfte Widerstand, wurde aber dann gefangen genommen und samt seinem mit ihm aus Rom entflohenen Sohne
1 Nach J. A. XIV, 5, 2 befanden sich in diesen Städten die Gerichtshöfe (Synedrien) für die einzelnen Bezirke.
2 57 v. Chr.
Seite 60 Antigonus gefesselt vor Gabinius und von diesem weg wieder nach Rom geführt. Dort liess der Senat ihn selbst einkerkern, seine Kinder aber nach Judaea bringen, weil Gabinius in einem Schreiben mitgeteilt hatte, er habe dies der Gattin des Aristobulus für die Auslieferung der Festungen versprochen. 7. Als nun Gabinius gegen die Parther zu Felde ziehen wollte, trat ihm die Angelegenheit des Ptolemaeus 1 hindernd in den Weg. Seinetwegen musste er am Euphrat umkehren, um ihn in Aegypten wieder einzusetzen, wobei Hyrkanus und Antipater ihm in allem zur Hand gingen. Antipater insbesondere verschaffte ihm Geld, Waffen, Getreide und Hilfstruppen; er beredete auch die Juden, welche bei Pelusium wohnten und den Zugang zu Aegypten zu bewachen hatten, den Gabinius passieren zu lassen. Nach dem Abzuge des Gabinius geriet übrigens ganz Syrien in Bewegung, und auch die Juden wurden zu erneutem Abfall verleitet durch Alexander, des Aristobulus Sohn, der eine ansehnliche Truppenmacht zusammenbrachte und nichts geringeres im Schilde führte, als sämtlichen Römern imLande den Garaus zu machen. Hierüber geriet Gabinius, der wegen der Unruhen bereits wieder aus Aegypten herbeigeeilt war, in Besorgnis und sandte deshalb den Antipater zu einigen der Empörer, die sich denn auch wirklich umstimmen liessen. Immerhin aber blieben dem Alexander noch dreissigtausend Mann treu, zu deren Bekampfung Gabinius nun sogleich ausrückte. Ihm entgegen zogen die Juden, und es kam beim Berge Itabyrium 2 zur Schlacht, in welcher zehntausend Juden fielen, während der Rest in wilder Flucht auseinanderstob. Gabinius zog nun nach Jerusalem und richtete die Verfassung nach Antipaters Willen ein. Von dort brach er alsdann auf, schlug die Nabataer3 und liess die parthischen
1 P. XI. (Auletes).
2 Tabor.
3 Hauptvolk des Petraischen Arabien, früher unbedeutend und unter dem Namen Nebajoth erwähnt, mächtig zur Zeit des Augustus.
Seite 61 Flüchtlinge Mithradates und Orsanes heimlich entwischen, während er seinen Soldaten sagte, sie seien entflohen. 1 8. Des Gabinius Nachfolger in der Verwaltung von Syrien war Crassus 2. Dieser entnahm zu dem Feldzuge gegen die Parther dem Tempel in Jerusalem ausser allem übrigen Golde auch die zweitausend Talente, die Pompejus nicht angetastet hatte. Er hatte übrigens kaum den Euphrat überschritten, als er mit seinem Heere umkam. Doch das gehört nicht weiter hierher. 9. Nach dem Tode des Crassus versuchten die Parther in Syrien einzudringen, wurden aber von Cassius, der sich in diese Provinz geflüchtet hatte 3, zurückgeschlagen. Nachdem Cassius also sich Syriens versichert hatte, eilte er nach Judaea, eroberte Taricheae und schleppte gegen dreissigtausend Juden in die Sklaverei. Dann liess er auf Antipaters Rat den Pitholaus töten, der die aufrührerischen Anhänger des Aristobulus gesammelt hatte. Was übrigens Antipater anlangt, so hatte er eine vornehme Araberin Namens Kypron geheiratet, die ihm vier Söhne gebar, Phasael, Herodes (den nachmaligen K3nig), Joseph und Pheroras, sowie ausserdem noch eine Tochter Salome. Mit allen Machthabern ringsum bereits in gastfreundlichen Beziehungen stehend, trat er durch Verwandtschaft in ein besonders enges Verhaltnis zu dem Araberkönige, dessen Obhut er auch, als er den Krieg gegen Aristobulus begann, seine Kinder anvertraute. Cassius nun, um auf diesen zurückzukommen, nötigte den Alexander zu dem Versprechen, Ruhe halten zu wollen, und wandte sich alsdann wieder nach dem Euphrat, um den Parthern den Übergang über denselben zu wehren, wovon noch an anderer Stelle die Rede sein soll. Ihr Reich, dessen Hauptstadt Petra war, endigte zur Zeit des Trajanus. Das Land gehörte später zu Palaestina tertia (vergl. Schenkel, Bibellexikon, IV, S. 269ff.).
1 Vergl. die abweichende Darstellung J. A. XIV, 6, 4.
2 54 v. Chr.
3 Als Überlebender vom Heere des Crassus.
1. Als Pompejus mit dem Senat über das Ionische Meer geflohen und Caesar Herr über Rom und das ganze Reich geworden war, entledigte er den Aristobulus seiner Fesseln, übergab ihm zwei Legionen und wollte ihn schleunigst nach Syrien senden in der Hoffnung, durch ihn diese Provinz und ganz Judaea leicht für sich gewinnen zu können. Doch der Neid machte des Aristobulus guten Willen wie Caesars Hoffnung zu Schanden. Denn Aristobulus wurde von den Anhängern des Pompejus durch Gift aus dem Wege geräumt1, und lange Zeit entbehrte sein Leichnam sogar der Bestattung in heimischer Erde, lag vielmehr in Honig einbalsamiert, bis er später von Antonius den Juden zugeschickt wurde, um in den Königsgräbern beigesetzt zu werden. 2. Auch sein Sohn Alexander musste den Tod erleiden, denn Scipio liess ihn zu Antiochia mit dem Beile hinrichten und zwar auf Befehl des Pompejus und nachdem ihm vorher wegen der den Römern zugefügten Unbilden förmlich der Prozess gemacht worden war. Seiner Geschwister nahm sich Ptolemaeus Mennaei, der Beherrscher von Chalkis am Fusse des Libanon, an, der seinen Sohn Philippion nach Askalon sandte, um dieselben abzuholen. Letzterem gelang es denn auch, Antigonus und dessen Schwestern ihrer Mutter, der Witwe des Aristobulus, zu entreissen und zu seinem Vater zu bringen. In die Jüngere der Schwestern, Alexandra, verliebte er sich und heiratete sie, wurde aber ihretwegen von seinem eigenen Vater getötet, der nun selbst die Alexandra zur
1 49 v. Chr.
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Ehe nahm und um dieser Verbindung willen den Geschwistern seiner Gemahlin sein besonderes Wohlwollen zuwandte. 3. Nach dem Tode des Pompejus wechselte Antipater die Farbe und trat auf Caesars Seite. Als nun der pergamenische König Mithradates mit seinem Heere, das er nach Aegypten führen wollte l, bei Askalon halt machen musste, weil er den Weg über Pelusium nicht erzwingen konnte, bewog Antipater nicht nur die ihm befreundeten Araber zur Hilfeleistung, sondern rückte auch selbst mit etwa dreitausend Mann Jüdischer Fusstruppen heran. Ferner veranlasste er zur Unterstützung des Kriegszuges die syrischen Grössen und die am Libanon wohnenden Fürsten Ptolemaeus und Jamblichus, durch deren Einfluss dann auch die Städte dieser Gegend bereitwilligst ihren Beistand zusagten. Nachdem auf diese Weise dank Antipaters Eingreifen die Streitkräfte des Mithradates sich bedeutend vermehrt hatten, eilte er vor Pelusium und machte sich, als man ihm den Durchmarsch verwehrte, an die Belagerung der Stadt. Bei der dann folgenden Erstürmung bedeckte sich Antipater mit Kriegsruhm, indem er in den ihm zugewiesenen Teil der Mauer Bresche legte und allen übrigen voran mit seiner Schar in die Stadt eindrang. 4. So fiel nun freilich Pelusium; doch beim weiteren Vorrücken ward das Heer abermals aufgehalten, und zwar durch die aegyptischen Juden, die den sogenannten Bezirk des Onias bewohnten. Da war es dann wieder Antipater, der dieselben bewog, nicht nur ihren Widerstand aufzugeben, sondern auch die Truppen mit den nötigen Lebensmitteln zu versehen. Infolgedessen enthielten sich auch die Bewohner der Umgegend von Memphis der Feindseligkeiten und schlossen sich freiwillig an Mithradates an. Dieser umging nun das Delta und lieferte den übrigen Aegyptiern eine Schlacht in der
1 Als Verbindeter Caesars (vergl. die etwas abweichende Darstellung J. A. XIV, 8,1).
Seite 64 Gegend, die „Judenlager" genannt wird. Hier geriet er selbst und sein ganzer rechter Flügel in Gefahr; doch Antipater kam ihm am Ufer des Flusses entlang zu Hilfe und befreite ihn aus der Klemme, nachdem er bereits zuvor mit dem von ihm befehligten linken Flügel die ihm gegenüberstehende feindliche Abteilung geworfen hatte. Alsdann drang er auf die Verfolger des Mithradates ein, tötete viele von ihnen und setzte den übrigen so weit nach, dass er auch noch ihr Lager in seine Gewalt brachte. Dabei fielen von den Seinen nur achtzig Mann, während Mithradates auf der Flucht gegen achthundert verloren hatte. Letzterer erstattete übrigens, nachdem er so unverhofft der Gefahr entgangen war, dem Caesar einen neidlosen Bericht über Antipaters Heldenthaten. 5. Daraufhin spendete Caesar dem Antipater reichliches Lob und verfehlte auch nicht, besondere Hoffnungen in ihm rege zu machen, wodurch er ihn anreizte, noch weiteren Gefahren für ihn sich auszusetzen. In solchen Wagnissen bewies Antipater stets eine ausserordentliche Kühnheit, und bald war fast sein ganzer Körper mit Narben, den Denkzeichen seiner Tapferkeit, bedeckt. Als nun Caesar in Aegypten Ruhe und Ordnung hergestellt hatte und nach Syrien zurückgekehrt war, beschenkte er ihn mit Steuerfreiheit und dem römischen Bürgerrecht, erwies ihm auch noch sonstige Ehren- und Gunstbezeugungen und machte ihn dadurch zum Gegenstand des Neides. Auch dass Hyrkanus von Caesar in seiner hohepriesterlichen Würde bestätigt wurde, war lediglich dem Einfluss Antipaters zu verdanken.
Seite 65 Erstes Buch, 10. Kapitel
1. Um dieselbe Zeit traf es sich merkwürdigerweise, dass des Aristobulus Sohn Antigonus, der sich bei Caesar befand, das Ansehen Antipaters noch vermehrte. Denn statt das Schicksal seines Vaters, der, wie man glaubte, wegen seiner feindseligen Gesinnung gegen Pompejus vergiftet worden war, zu bejammern, statt über Scipios SGrausamkeit gegen seinen Bruder zu klagen, statt sich frei von aller Gehässigkeit zu halten und sich auf Erregung von Mitleid zu beschränken, trat er vielmehr als förmlicher Ankläger gegen Hyrkanus und Antipater auf Er beschuldigte sie nämlich, ihn selbst und seine Geschwister aller Billigkeit zum Hohn aus dem Vaterlande vertrieben und in frechem Übermut ihr Volk vielfach drangsaliert zu haben. Und was den Feldzug nach Aegypten angehe, so hatten sie dazu nicht aus Ergebenheit gegen Caesar Hilfstruppen gestellt, sondern nur aus Furcht wegen ihrer früheren Feindseligkeiten und um ihre Freundschaft für Pompejus wett zu machen. 2. Da riss Antipater sein Gewand auf, zeigte seine zahlreichen Narben und erklärte, es bedürfe doch wohl keiner Worte, um seine gute Gesinnung gegen Caesar darzuthun; denn wenn er auch schweige, so lege doch sein Leib lautes Zeugnis ab. Wundern aber müsse er sich über die Anmassung des Antigonus, der als Sohn eines den Römern entlaufenen und denselben feindlich gesinnten Mannes an Neuerungssucht und Empörungsgeist nur das echte Ebenbild seines Vaters sei, und der sich jetzt unterfange, bei dem römischen Machthaber andere zu verklagen, während er doch froh sein könne, dass er überrhaupt noch lebe. Denn nicht etwa aus
Seite 66 . Dürftigkeit wolle er jetzt teil an den Staatsgeschäften haben, sondern nur, um die Juden zum Aufruhr zu verleiten und seine Macht zum Schaden derer, die sie ihm verliehen, zu missbrauchen. 3. Kaum hatte Caesar das vernommen, so erklärte er den Hyrkanus für besonders wert, Hohepriester zu sein; dem Antipater aber liess er die Wahl eines einflussreichen Postens frei. Als letzterer nun das Mass der Ehrung dem Spender derselben anheimgab, wurde er zum Landpfleger von ganz Judaea ernannt 1 und erhielt ausserdem noch die Erlaubnis, die zerstörten Mauern seiner Vaterstadt wieder aufbauen zu lassen 2. Die Urkunde über diese Vergünstigungen sandte Caesar nach Rom, dainit sie dort auf eherne Tafeln eingegraben und als Denkmal seiner Gerechtigkeit und der Verdienste Antipaters auf dem Kapitolium aufgestellt werde. 4. Antipater gab hierauf dem Diktator bis zur Grenze Syriens das Geleit und kehrte dann nach Judaea zurück. Hier stellte er zunächst die von Pompejus zerstörten Mauern Jerusalems wieder her und bereiste sodann das Land, um den Unruhen ein Ende zu machen, wobei er es weder an Drohungen noch an guten Ratschlägen fehlen liess. Jeder, der dem Hyrkanus wohlgesinnt sei, so erklärte er, solle sich eines glücklichen und ruhigen. Lebens erfreuen, sein Eigentum geschützt sehen und vom allgemeinen Frieden Nutzen ziehen. Wer dagegen von den eitlen Spiegelfechtereien der Empörer sich blenden lasse, die nur auf ihren persönlichen Vorteil bedacht seien, der werde an ihm statt eines fürsorglichen Beraters einen strengen Herrn, an Hyrkanus statt eines milden Regenten einen Tyrannen, an den Römern und Caesar statt Führern und Freunden bittere Feinde haben. Denn die letzteren würden natürlich nie den Sturz eines Mannes zulassen, den sie selbst eingesetzt hatten.
1 47 v. Chr. Nach J. A. XIV, 8,5 war es Hyrkanus, der diese Erlaubnis erhielt, was auch sicher das zutreffendere ist, da ja Jerusalem nicht Antipaters Vaterstadt war.
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Während er so seine Meinung kundgab, ordnete er zugleich nach eigenem Ermessen die Angelegenheiten des Landes; denn Hyrkanus, das sah er wohl ein, war nicht nur zu trage, sondern auch viel zu energielos, um seine Herrscherpflichten erfüllen zu können. Er ernannte also seinen ältesten Sohn Phasael zum Befehlshaber von Jerusalem und Umgegend, den nächstfolgenden aber, Herodes, der noch sehr jung war 1, sandte er in derselben Eigenschaft nach Galilaea. 5. Herodes nun, ein entschlossener Charakter, fand in seinem Wirkungskreise alsbald Gelegenheit, seine Thatkraft zu beweisen. Er setzte nämlich den Räuberhauptmann Ezechias, der mit einer starken Bande die Grenzgegenden Syriens unsicher machte, gefangen und liess ihn nebst vielen seiner Spiessgesellen hinrichten, wodurch er sich die Syrer zu ganz besonderem Dank verpflichtete, sodass man ihn in Dörfern und Städten als Bringer des Friedens und Retter des Eigentums feierte. Hierdurch wurde er auch dem Sextus Caesar, der ein Verwandter des grossen Caesar und Statthalter von Syrien war, bekannt. Phasael seinerseits mochte hinter seinem berühmten Bruder an Edelmut nicht zurückstehen und legte es daher besonders darauf an, sich die Einwohner Jerusalems geneigt zu machen, indem er, obwohl unabhängiger Herr der Stadt, sich jedes anstossigen und übermütigen Auftretens enthielt. So kam es, dass Antipater vom Volke wie ein König geachtet und von jedermann als wirkliches Staatsoberhaupt geehrt wurde. Doch änderte er selbst seine Ergebenheit und Treue gegen Hyrkanus nicht im mindesten. 6. Aber niemand vermag im Glücke der Missgunst zu entgehen. Schon längst war dem Hyrkanus der Ruhm der jungen Leute ein Dorn im Auge; ganz besonders aber argerten ihn die Heldenthaten des Herodes und das protzige Ausposaunen derselben durch eine Menge von Herolden. Auch reizten ihn manche neidische
1 Nach J. A. XIV, 9, 2: 25 Jahre alt.
Seite 68 Höflinge, denen die Klugheit Antipaters oder seiner Söhne im Wege stand und die dem Hyrkanus vorstellten, er habe recht eigentlich dem Antipater und dessen Söhnen die Regierung abgetreten und sitze nun da mit dem blossen Titel eines Königs ohne alle Macht. Wie lange er denn noch in der Täuschung verharren und sich Gegenkönige gross ziehen wolle? Denn da sei doch von Statthaltern nicht mehr die Rede, sondern offen geberdeten sie sich wie die thatsächlichen Herrscher, die ihn als Null betrachteten. Habe doch Herodes, ohne von ihm schriftlich oder mündlich beauftragt worden zu sein, eine Menge Juden auf gesetzwidrige Weise ums Leben gebracht. Noch aber sei der Übeltäter nicht König, sondern Privatmann; somit müsse er vor Gericht gestellt werden, um sich vor Hyrkanus und den heimischen Gesetzen zu verantworten, die es nicht gestatteten, jemand ohne rechtskräftige Verurteilung hinzurichten. 7. Derartige Vorstellungen zündeten allmählich bei Hyrkanus, und so lud er denn endlich im höchsten Zorn den Herodes vor Gericht. Auf Zureden seines Vaters und im Vertrauen auf die Lage der Dinge reiste dieser auch wirklich nach Jerusalem, doch nicht ohne zuvor Galilaea durch militirische Posten gesichert zu haben. Auch nahm er eine Leibwache mit, die zwar nicht so stark war, dass sie dem Hyrkanus hatte gefährlich werden können, immerhin aber genügte, ihn seinen Neidern gegenüber nicht unbewehrt erscheinen zu lassen. Sextus Caesar indes sandte aus Besorgnis, es mochte dem jungen Manne infolge der von seinen Widersachern gesponnenen Ranke etwas Schlimmes zustossen, an Hyrkanus den gemessenen Befehl, die gegen ersteren erhobene und auf Mord lautende Anklage fallen zu lassen. Daraufhin sprach Hyrkanus den Herodes frei, wozu er auch ohnedem schon neigte, da er ihm im Grunde genommen sehr zugethan war.1
1 Etwas anders und offenbar richtiger lautet die Darstellung J. A. XIV, 9, 4 und 5.
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8. Herodes begab sich nun in der Meinung, wider den Willen des Königsl der Verurteilung entgangen zu sein, nach Damaskus zu Sextus Caesar, entschlossen, einer abermaligen Vorladung nicht mehr Folge zu leisten. Wiederum aber suchteil rankesüchtige Menschen den Hyrkanus aufzustacheln, indem sie vorgaben, Herodes sei im Zorn davongegangen und riste nun wider ihn. Diesen Einflsterungen schenkte der König Glauben, und da er wohl einsah, dass sein Gegner ihm überlegen sei, wusste er vor Ratlosigkeit nicht aus noch ein. Als nun aber Sextus Caesar den Herodes auch noch zum Statthalter von Coelesyrien und Samaria ernannte, geriet Hyrkanus nicht nur wegen der Sympathie des Volkes für ihn, sondern auch wegen seiner nunmehr wirklich angsterregenden Macht in die äusserste Beklemmung und erwartete nichts anderes, als dass Herodes in Bilde mit einem Heere gegen ihn anrücken werde. 9. Diese Vermutung erwies sich auch als richtig. Denn Herodes, erbittert über die ihm zugedachte Verurteilung, sammelte in der That ein Heer und zog vor Jerusalem, um Hyrkanus zu stürzen. Er hatte diesen Plan auch wohl ausgeführt, wenn nicht sein Bruder und sein Vater ihm entgegengeeilt waren und seinen Groll beschwichtigt hatten, indem sie ihn beschworen, er möge in seinem Rachedurst es bei der furchterregenden Drohung bewenden lassen und den König schonen, unter dem er zu so grosser Macht gelangt sei. Wenn er über die Vorladung vor Gericht sich entrüstet habe, so solle er anderseits auch dankbar anerkennen, dass er losgekommen sei, und seine Rettung nicht damit vergelten, dass er hartnackig bei seinen Racheplanen verharre. Übrigens möge er bedenken, dass die Gottheit es sei, die das Kriegsglück in der Hand habe, und dass somit der ungerechten Sache kein Erfolg winke, wenn auch ein Heer für sie streite. Er dürfe deshalb nicht
1 Hyrkanus führte ausser der Bezeichnung „Hohepriester" auch den Titel „König".
gar so zuversichtlich auf den Sieg hoffen, zumal er im Begriff stehe, gegen einen König zu Felde zu ziehen, der ihm sehr zugethan sei und ihm viele Wohlthaten, nie aber Feindseligkeiten erwiesen habe. Denn der Schatten von Unrecht, der jetzt scheinbar auf Hyrkanus laste, sei doch nur darauf zurückzuführen, dass er schlechte Ratgeber gehabt habe. Diesen Vorstellungen gab Herodes nach, besonders da er der Meinung war, für seine Zukunftspläne genüge es schon, dass er dem Volke einmal einen Begriff von seiner Macht habe beibringen können. 10. Mittlerweile brachen bei Apamea Unruhen unter den Römern aus, und es kam zum Bürgerkriege dadurch, dass Caecilius Bassus, ein Anhänger des Pompejus, den Sextus Caesar meuchlings ermordet und sich den Oberbefehl über dessen Heer zugelegt hatte, die anderen Offiziere Caesars 1 aber, um den Mord zu rächen, mit ihrer gesamten Streitmacht Bassus zu Leibe rückten. Dem letzteren sandte Antipater sowohl um des getöteten als um des noch lebenden Caesars willen, die beide seine Freunde waren, durch seine Söhne Hilfstruppen zu. Während nun der Krieg sich in die Länge zog, kam Murcus als Nachfolger des Sextus aus Italien an.
1. In eben diese Zeit fiel auch der Anfang des grossen römischen Bürgerkrieges, dessen nähere Veranlassung darin zu suchen war, dass Brutus und Cassius plötzlich den Caesar meuchlings ermordeten 2. Dieser Mord rief die grösste Aufregung hervor. Die Machthaber gerieten
1 Gemeint ist Gajus Julius Caesar.
2 15. März 44 v. Chr.
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miteinander in Streit, und jeder schlug sich in der Hoffnung, seine persönlichen Zwecke erreichen zu können, zu der Partei, die ihm den grössten Vorteil zu versprechen schien. Da machte sich Cassius nach Syrien auf, um die bei Apamea stehenden Truppen für sich zu gewinnen. Hier söhnte er Murcus mit Bassus aus, stiftete Frieden zwischen den einander feindlichen Legionen und befreite so Apamea von der Belagerung. Dann durchzog er selbst an der Spitze eines Heeres das Land und legte den Städten fast unerschwingliche Kriegssteuern auf. 2. Als er nun auch die Juden zur Zahlung von siebenhundert Talenten verpflichtete, verteilte Antipater aus Angst vor den Drohungen des Cassius die schleunige Eintreibung des Geldes auf seine Söhne und einige andere Verwandten, unter denen sich auch der ihm wenig freundlich gesinnte Malichus befand - so sehr drängte ihn die Not. Der erste, der den Römer zufriedenstellte, war Herodes; denn er lieferte alsbald seinen Anteil aus Galilaea im Betrage von einhundert Talenten ab und kam dadurch in grosse Gunst bei Cassius, der nun die übrigen wegen ihrer Saumseligkeit mit Schmähungen überhäufte und auch den Städten selbst gewaltig zürnte. Die Einwohner von Gophna, Ammaus und zwei anderen Städten zweiten Ranges l schleppte er in die Sklaverei und ging sogar so weit, dem Malichus mit Hinrichtung zu drohen, weil er die Eintreibung so lässig vornehme. Von ihm jedoch und von den übrigen Städten wandte Antipater das Verderben dadurch ab, dass er in aller Eile den Cassius durch Zahlung von einhundert Talenten beschwichtigte 2. 3. Malichus erwies sich indes nach dem Abzuge des Cassius gegen Antipater keineswegs dankbar, sann vielmehr gegen den, der schon wiederholt sein Retter gewesen, auf Hinterlist und suchte ihn aus dem Wege zu räumen, weil er seine Frevelthaten zu verhindern wusste. Antipater,
1 Lydda und Thamna (J. A. XIV, 11, 2).
2 Die er von Hyrkanus erhalten hatte (J. A. XIV, 11,2).
Seite 72 den die Macht und Verschlagenheit des Mannes beunruhigte, begab sich auf die andere Jordanseite, um dort zuräbwehr tückischer Anschläge ein Heer zu sammeln. Als nun Malichus auf seinen Schlichen ertappt war, suchte er die Söhne Antipaters durch Frechheit zu berücken, indem er sowohl Phasael, den Befehlshaber von Jerusalem, als auch Herodes, dem die Waffenkammer unterstellt war, durch Ausflüchte und Eidschwüre dahin brachte, dass sie ihn mit ihrem Vater wieder aussöhnten. Ja, als Murcus, der damalige Statthalter von Syrien, sich anschickte, den Malichus wegen seiner aufrührerischen Umtriebe hinrichten zu lassen, trat Antipater sogar für Malichus ein und rettete ihm das Leben. 4. Als sodann der Krieg zwischen dem jungen Caesar 1 und Antonius einerseits, Cassius und Brutus anderseits ausbrach 2, warben Cassius und Murcus in Syrien ein Heer, und da sie sahen, wie Herodes einen grossen Teil der dazu erforderlichen Mittel beisteuerte, ernannten sie ihn zum Statthalter von ganz Syrien und gaben ihm eine Abteilung Truppen zu Fuss und zu Pferde. Cassius versprach ihm auch noch obendrein, er wolle ihn nach Beendigung des Krieges zum König von Judaea machen. Dem Antipater aber kostete die Machtstellung seines Sohnes und die demselben eröffnete glänzende Aussicht das Leben. Denn Malichus, der eine solche Stirkung des Einflusses Antipaters sehr ungern sah, bestach einen der königlichen Mundschenken, dem Antipater Gift zu reichen. So starb denn dieser thatkräftige und in der Leitung wichtiger Angelegenheiten so kundige Mann, dem Hyrkanus die Wiedergewinnung und Befestigung seiner Herrschaft verdankte, während eines Gastmahles als Opfer von Malichus Bosheit. 5. Malichus verstand übrigens die Erbitterung des Volkes, das ihn im Verdacht des Giftmordes hatte, dadurch zu beschwichtigen, dass er die That schlankweg
1 Caesar Octavianus (Augustus). 2 43 v. Chr.
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leugnete. Zugleich aber war er darauf bedacht, seine Macht zu vergrössern, indem er sich Truppen sammelte; denn er nahm an, dass Herodes nicht ruhig bleiben würde. Dieser erschien auch in der That alsbald an der Spitze eines Heeres, um seinen Vater zu rächen. Doch da sein Bruder Phasael ihm riet, den Mann nicht offen zu verfolgen, weil derselbe sonst das Volk aufwiegeln würde, liess Herodes sich herbei, die Rechtfertigung des Malichus anzuhören, that, als wenn er weiter keinen Argwohn mehr gegen ihn hege, und veranstaltete seinem Vater ein glänzendes Leichenbegängnis. 6. Sodann wandte er sich nach Samaria, das von Unruhen zerrüttet war, und stellte daselbst die Ordnung wieder her, worauf er mit seinen Soldaten zu einem Feste nach Jerusalem zurückkehrte. Auf Anraten des Malichus, dem der Anmarsch des Herodes Furcht einflösste, sandte nun Hyrkanus dem letzteren den Befehl entgegen, keinen Fremden zu den Eingeborenen hereinzubringen, da dieselben sich zur Festfeier geheiligt hatten. Herodes aber achtete weder diesen Grund noch die Person desjenigen, der den Befehl erlassen hatte, und rückte bei Nacht in die Stadt ein. Alsbald kam Malichus wieder zu ihm und jammerte über Antipater. Herodes seinerseits verstellte sich ebenfalls, obwohl er seinen Zorn kaum zu bemeistern vermochte, richtete aber dann ein Schreiben an Cassius, der so wie so auf Malichus nicht gut zu sprechen war, und führte über die Ermordung seines Vaters bittere Klage. Cassius schrieb ihm zurück, er solle an dem Mörder Rache nehmen, und erteilte zugleich den ihm unterstellten Tribunen insgeheim den Befehl, Herodes bei diesem Akte der Gerechtigkeit zu unterstützen. 7. Eben hatte Cassius Laodikea eingenommen, und von überall her kamen die Grössen zu ihm mit Kränzen und sonstigen Geschenken. Diesen Zeitpunkt bestimmte Herodes zur Rache. Malichus aber, der sich im Gebiete von Tyrus befand, schöpfte Verdacht, beschloss, seinen
Seite 74 bei den Tyriern als Geisel lebenden Sohn heimlich von dort wegzuschaffen, und schickte sich an, selbst nach Judaea zu entfliehen. Seine verzweifelte Lage gab ihm sogar noch grossartigere Pläne ein. Er dachte nämlich, da Cassius gerade von dem Kriege gegen Antonius in Anspruch genommen war, das Volk zum Abfall von den Römern verleiten, den Hyrkanus mit leichter Mühe stürzen und selbst König werden zu können. 8. Doch das Schicksal spottete seiner Hoffnungen. Herodes nämlich, der seine Absichten durchschaut hatte, lud ihn mit Hyrkanus zu einem Gastmahl ein. Dann rief er einen der in seiner Nähe befindlichen Sklaven zu sich und schickte ihn weg, dem Anschein nach, um die Zurüstungen zum Mahle zu treffen, in Wirklichkeit aber, um den Tribunen sagen zu lassen, sie mochten sich vor der Stadt in einen Hinterhalt legen. Diese gingen denn auch, eingedenk der Befehle des Cassius, mit Schwertern bewaffnet zur Stadt hinaus bis ans Ufer, wo sie den Malichus umringten und durch zahlreiche Stiche töteten. Hyrkanus ward darob vor Schrecken ohnmächtig, kam aber dann langsam wieder zu sich und erkundigte sich bei Herodes, wer den Malichus umgebracht habe. Als ihm darauf einer der Tribunen entgegnete: „Ein Befehl des Cassius", rief er aus: „So ist also Cassius mein und meines Vaterlandes Retter, indem er den aus dem Wege schaffen liess, der beiden gefährlich war!" Ob nun Hyrkanus wirklich so dachte, oder ob er nur aus Furcht seine Worte dem stattgehabten Vorfall entsprechend einrichtete, mag dahingestellt bleiben - genug, Herodes hatte auf diese Weise seine Rache an Malichus befriedigt.
Seite 75 Erstes Buch, 12. Kapitel. 75
1. Als Cassius aus Syrien abgezogen war, brachen zu Jerusalem abermals Unruhen aus. Ein gewisser Helix nämlich trat an der Spitze eines Heerhaufens dem Phasaiel entgegen, um Herodes in der Person seines Bruders für die Ermordung des Malichus zu züchtigen. Herodes, der sich damals bei Fabius, dem Kommandanten von Damaskus, aufhielt, schickte sich alsbald an, seinem Bruder Hilfe zu bringen, wurde aber durch eine Krankheit daran gehindert. Mittlerweile hatte Phasael bereits aus eigener Kraft den Helix überwunden und warf nun dem Hyrkanus Undankbarkeit vor, weil er es mit Helix halte und die Festungen in die Gewalt von Malichus Bruder habe gelangen lassen, der bereits eine ganze Anzahl derselben, darunter auch die stärkste von allen, Masada, weggenommen hatte. 2. Gegen des Herodes Macht vermochte er indessen nichts auszurichten. Denn kaum war dieser genesen, als er ihm auch seinen Raub alsbald wieder abjagte. Da er sich übrigens aufs Bitten verlegte, liess ihn Herodes aus Masada frei abziehen. Alsdann vertrieb er aus Galilaea den Tyrann von Tyrus, Marion, der bereits drei der dortigen Festungen erobert hatte. Die auf diesem Kriegszug gefangenen Tyrier liess Herodes am Leben und schickte einige von ihnen sogar mit Geschenken heim, wodurch er sich bei der Bürgerschaft von Tyrus ebenso beliebt, als bei dem Tyrannen verhasst machte. Obwohl nun Marion seine Herrschaft von Cassius erhalten hatte, der ganz Syrien in dergleichen kleine Fürstentümer teilte, unterstützte er dennoch aus Hass gegen Herodes den Sohn des Aristobulus, Antigonus, und das um so lieber, als letzterer auch den Fabius
Seite 76- durch Geld dazu vermocht hatte, ihm bei seiner Wiedereinsetzung behilflich zu sein. Die sämtlichen hierzu nötigen Mittel gewahrte dem Antigonus der mit ihm verwandte Ptolemaeus. 3. Gegen diese Feinde zog nun Herodes zu Felde, besiegte sie an den Grenzen Judaeas, verjagte den Antigonus und kehrte dann nach Jerusalem zurück, wo man ihn um dieser Kriegsthat willen allseitig willkommen hiess. Denn auch diejenigen, die ihm sonst nicht gewogen waren, traten ihm jetzt wegen seiner verwandtschaftlichen Beziehungen zu Hyrkanus freundlich entgegen. Nachdem nämlich Herodes bereits früher aus den Eingeborenen des Landes eine Gattin von nicht unedler Abkunft, Doris mit Namen, sich erwählt hatte, die ihm einen Sohn Antipater gebar, verlobte er sich nunmehr mit Mariamne, der Tochter von Aristobulus Sohn Alexander und Enkelin des Hyrkanus, und wurde dadurch mit dem Könige verwandt. 4. Als aber nach der Niederlage des Cassius bei Philippi 1 Caesar nach Italien, Antonius nach Asien sich begab, erschienen unter anderen Gesandtschaften, welche die einzelnen Staaten an Antonius nach Bithynien abordneten, auch vornehme Juden, um über Phasael und Herodes Klage zu führen, dass sie die gesamte Macht in Händen hatten, während Hyrkanus nicht mehr als der Träger eines ehrenvollen Titels sei. Doch auch Herodes fand sich ein und hatte den Antonius durch reiche Geschenke bald derart für sich eingenommen, dass seinen Gegnern nicht einmal mehr das Wort verstattet wurde. Und so mussten sie denn für jetzt wieder abziehen. 5. Wiederum aber kamen hundert der angesehensten Juden nach Daphne bei Antiochia zu Antonius, den damals bereits die Liebe zum Sklaven der Kleopatra gemacht hatte, und liessen ihre vornehmsten und beredtesten Genossen als Sprecher auftreten, um die beiden
1 42 v. Chr.
Seite 77 Brüder zu verklagen. Ihnen gegenüber verfocht Messala die Sache der Beschuldigten, wobei er von Hyrkanus als dem nunmehrigen Verwandten derselben unterstützt wurde. Nachdem nun Antonius beide Teile angehört hatte, fragte er den Hyrkanus, wer wohl am meisten sich zum Regenten eigne. Und da dieser dem Herodes und seinem Bruder den Vorzug gab, freute sich Antonius sehr, weil er, als er mit Gabinius nach Judaea kam, bereits bei ihrem Vater Antipater gastfreundliche Aufnahme gefunden hatte. Er ernannte sodann die Brüder zu Tetrarchen 1 und übertrug ihnen die Verwaltung von ganz Judaea. 6. Als nun die Gesandten hierüber ihren Unwillen kundgaben, liess er fünfzehn von ihnen festnehmen und einkerkern und hatte auch im Sinne, sie hinrichten zu lassen 2; die übrigen jagte er mit Schimpf und Schande davon. Dadurch aber wuchs die Gärung in Jerusalem nur noch mehr, und abermals ordnete man Gesandte, diesmal sogar tausend an der Zahl, nach Tyrus ab, wo Antonius, auf dem Zuge nach Jerusalem begriffen, sich aufhielt. Als nun diese Gesandten ein lärmendes Geschrei erhoben, schickte Antonius den Kommandanten von Tyrus gegen sie hinaus mit dem Befehl, alle, deren er habhaft werden könne, niederzumachen und dadurch die Herrschaft der von ihm ernannten Tetrarchen zu befestigen. 7. Vorher aber hatte Herodes in Begleitung des Hyrkanus hinaus ans Ufer sich begeben und dieJuden eindringlich ermahnt, nicht durch unvernünftige Widersetzlichkeit sich selbst den Untergang und ihrem Vaterlande den Krieg zuzuziehen. Als jedoch ihr Unwille trotz dieser Vorstellungen sich noch steigerte, sandte Antonius Bewaffnete hinaus, die eine Menge von ihnen niedermetzelten oder verwundeten. Das Begräbnis der
1 Ehemals Titel für den Beherrscher des vierten Teiles eines Landes, hier aber nur kleine Fürsten überhaupt bezeichnend.
2 Er erliess ihnen jedoch diese Strafe auf Fürsprache des Herodes (J. A. XIV, 13, 1).
Seite 78 Gefallenen und die Pflege der Verwundeten liess übrigens Hyrkanus sich angelegen sein. Diejenigen aber, die dem Blutbad entronnen waren, hielten sich gleichwohl nicht ruhig, sondern reizten die Bevölkerung der Umgegend dergestalt auf, dass Antonius in gewaltige Erbitterung geriet und nun auch die Gefangenen noch hinrichten liess.
1. Zwei Jahre darauf, als der parthische Satrap Barzapbarnes und Pakorus, des Partherkönigs Sohn 1, Syrien innehatten, beredete Lysanias, der seinem Vater Ptolemaeus Mennaei nach dessen Tod in der Regierung gefolgt war, den Satrapen durch das Versprechen von eintausend Talenten und fünfhundert Weibern, Antigonus, wieder auf den Thron zu setzen und Hyrkanus zu stürzen. Pakorus ging hierauf ein und zog selbst der Meereskiliste entlang, während er Barzapharnes durch das Binnenland vorrücken hiess. Von den Küstenbewohnern schlossen die Tyrier vor Pakorus ihre Thore, während die Bürger von Ptolemais und Sidon ihn aufnahmen. Er übergab sodann einem königlichen Mundschenk, der mit ihm gleichen Namens war, einen Teil, der Reiterei und befahl ihm, in Judaea einzufallen, die Lage der Feinde auszukundschaften und dem Antigonus, soweit erforderlich, Hilfe zu leisten. 2. Während nun diese Truppenabteilung verheerend das Karmelgebiet durchzog, strömten viele Juden bei Antigonus zusammen und erklärten sich bereit, an dem Einfall teilzunehmen. Antigonus schickte sie in den
1 Orodes I.
Seite 79 Erstes Buch, 13. Kapitel
sogenannten Eichwald 1 voraus, um diese Gegend zu besetzen. In dem Kampf, der sich dort entwickelte, schlugen sie die Feinde zurück, setzten ihnen nach, eilten nach Jerusalem und gelangten, unterwegs durch Zuzüge noch verstärkt, bis vor den Königspalast. Hier aber rückten ihnen Hyrkanus und Phasael mit ansehnlicher Truppenmacht entgegen, und auf dem Marktplatz kam es zum Treffen, in welchem Herodes mit seinen Kriegern die Feinde zur Flucht nötigte und in den Tempel einschloss, wo er sie durch sechzig Mann starke, auf den nächstgelegenen Häusern aufgestellte Posten bewachen liess. Der den beiden Brüdern feindlich gesinnte Teil des Volkes aber griff die Häuser an und verbrannte sie samt den Soldaten. Über diesen Verlust erbittert, drang Herodes auf seine Gegner ein und machte viele von ihnen nieder. So fielen sie sich täglich rottenweise einander an, und es war des Mordens kein Ende. 3. Um diese Zeit fiel das Fest Pentekoste 2 ein, und es füllte sich infolgedessen die Umgebung des Tempels sowie überhaupt die ganze Stadt mit einer Menge meist bewaffneter Landleute. Phasael hatte die Mauer, Herodes mit einer kleinen Schar den Königspalast besetzt. Letzterer machte nun auf der Nordseite Ausfälle gegen die ungeordneten feindlichen Haufen, metzelte einen grossen Teil derselben nieder, trieb die übrigen in die Flucht und schloss die einen in die Stadt, die anderen in den Tempel, wieder andere in die Äussere Umwallung ein. Da schlug Antigonus vor, den Pakorus als Vermittler in die Stadt einzulassen. Phasael ging darauf ein und nahm den Parther nebst fünfhundert Reitern gastfreundlich auf, wiewohl derselbe nur dem Anschein nach zur Beschwichtigung der Unruhen, in Wahrheit vielmehr zur Unterstützung des Antigonus kam. Pakorus beredete sodann heimtückischerweise den Phasael, behufe
1 Ein Holzland am Fusse des Karmel. Pfingst- oder Erntedankfest, gefeiert am fünfzigsten (rev.rxoar) Tage nach dem Pascha- oder Osterfeste.
Seite 80 Beilegung des Zwistes als Gesandter zu Barzapharnes zu gehen, obgleich Herodes seinem Bruder eindringlich davon abriet und ihn aufforderte, lieber den Arglistigen aus dem Wege zu räumen, als sich seiner Tücke preiszugeben; denn die Barbaren seien von Natur treulos. Phasael aber ging trotzdem mit Hyrkanus hinaus, und Pakorus liess, um weniger Verdacht zu erregen, bei Herodes einige von den Reitern zurück, die man die Freien nannte, während er mit den übrigen dem Phasael das Geleit gab. 4. Als Hyrkanus und Phasael in Galilaea anlangten, trafen sie die Bewohner des Landes in bewaffnetem Aufruhr. Ihre Begleiter planten nun mit Barzapharnes tückische Anschläge und redeten diesem zu, er solle den Verrat hinter Freundschaftsbezeugungen verdecken. Infolgedessen machte der Satrap ihnen zunächst Geschenke; kaum jedoch waren sie abgezogen, so setzte er seine Ranke ins Werk. Die beiden aber kamen hinter die Schliche, als man sie an einen Küstenort Namens Ekdippon führte. Dort nämlich hörten sie von den versprochenen tausend Talenten und vernahmen auch, dass unter den fünfhundert Weibern, die Antigonus den Parthern zugesagt, der grösste Teil ihrer eigenen Frauen sich befinden solle. Ferner erfuhren sie, dass die Barbaren ihnen jede Nacht Hinterhalte gelegt hatten, und dass ihre Gefangennehmung wohl schon längst zur Thatsache geworden wäre, wenn man damit nicht hatte warten wollen, bis Herodes in Jerusalem verhaftet und so daran gehindert sei, auf die Kunde von ihrem Schicksal Vorsichtsmassregeln zu ergreifen. Und dass es sich bei alledem nicht etwa nur um leeres Geschwätz handelte, ging daraus hervor, dass sie in der Ferne bereits die ihretwegen aufgestellten Wächter erblicken konnten. 5. Obwohl nun ein gewisser Ophellius, der von Saramallas, dem reichsten Syrer der damaligen Zeit, den ganzen Anschlag erfahren hatte, dem Phasael dringend zur Flucht riet, konnte dieser es doch nicht über sich bringen, Hyrkanus im Stich zu lassen. Er begab sich
Seite 81 vielmehr geradeswegs zu dem Satrapen und machte ihm ins Gesicht hinein Vorwürfe wegen seines Verrates und ganz besonders wegen seiner Geldgier, die ihn dazu verleitet habe. Sodann bot er ihm für seine Rettung eine grössere Summe, als Antigonus sie ihm für die Wiedergewinnung des Thrones versprochen hatte. Der Parther aber in seiner Verschmitztheit suchte durch Ausflüchte und Eidschwüre den Verdacht von sich abzuwälzen und begab sich zu Pakorus. Alsbald nun nahmen einige der zurückgebliebenen Parther, die hierzu Befehl erhalten hatten, Phasael und Hyrkanus gefangen, die ihrerseits es an Verwünschungen wegen des gegen sie verübten Treubruches und Meineides nicht fehlen liessen. 6. Unterdessen bemühte sich der von den Parthern gesandte Mundschenk, auch den Herodes in seine Gewalt zu bekommen, indem er ihn dem erhaltenen Auftrag gemäss vor die Mauern herauszulocken suchte. Wie aber Herodes von Anfang an gegen die Barbaren Verdacht geschöpft hatte, so auch jetzt, als er erfuhr, dass ein Brief, der ihm die gegen seine Person gerichteten Anschläge zur Kenntnis bringen sollte, den Feinden in die Hände gefallen sei. Er hütete sich deshalb, die Stadt zu verlassen, obwohl Pakorus ihm in unverfänglichster Weise hatte sagen lassen, er solle nur getrost den Überbringern des Briefes entgegengehen; denn die Feinde hatten das Schreiben keineswegs aufgefangen, auch enthalte dasselbe nichts von einem heimtückischen Anschlag, sondern nur Nachricht über das, was Phasael zuwege gebracht habe. Zufällig aber hatte Herodes schon von anderer Seite die Gefangennahme seines Bruders erfahren, Auch fand sich des Hyrkanus Tochter Mariamne1, eine sehr verständige Frau, bei ihm ein und beschwor ihn, in der Stadt zu bleiben und sich nicht den Barbaren anzuvertrauen, die ihm doch offenbar nach dem Leben trachteten.
1 Seine zukünftige Schwiegermutter
Seite 82 7. Während nun Pakorus und seine Leute noch überlegten, wie sie insgeheim ihre Absichten verwirklichen konnten, da man mit offener Gewalt einem so schlauen Manne wohl nichts anzuhaben vermöge, kam Herodes ihnen zuvor und entfloh in der Nacht, ohne dass die Feinde es gewahr wurden, mit seinen nächsten Angehörigen auf Idumaea zu. Kaum hatten die Parther dies erfahren, als sie ihm sogleich nachsetzten. Herodes liess nun seine Mutter, seine Schwester, seine Braut 1 nebst deren Mutter und den Jüngsten von seinen Brüdern vorausziehen, während er selbst mit seinen Kriegern zum Schutze seiner Verwandten die Barbaren aufhielt und bei jedem Angriff eine Menge von ihnen niedermachte. So erreichte er endlich wohlbehalten die Festung Masada. 8. Mehr noch als die Parther machten ihm übrigens auf seiner Flucht die Juden zu schaffen, die ihn beständig bedrängten und ihm, als er sechzig Stadien von der Stadt entfernt war, sogar ein regelrechtes Treffen von ziemlich länger Dauer lieferten. Herodes aber schlug sie und richtete ein grosses Gemetzel unter ihnen an. Spiter gründete er an dieser Stelle zum Andenken an den Sieg eine Ortschaft, die er mit den prächtigsten Palisten schmückte, durch eine sehr starke Burg befestigte und nach seinem Namen Herodium2 nannte. Auf seiner damaligen Flucht nun hatten sich taiglich eine Menge Leute an ihn angeschlossen, so dass, als er nach Thresa in Idumaea kam, sein Bruder Joseph, der ihm bis dahin entgegengezogen war, ihm den Rat gab, die meisten seiner Begleiter zu entlassen, da Masada eine solche Menschenmenge nicht fassen könne. Es waren ihrer nämlich über neuntausend an der Zahl. Herodes befolgte den Rat, entliess diejenigen, welche ihm mehr lästig als nützlich waren, mit Reisegeld in verschiedene Gegenden Idumaeas und gelangte mit den
1 Die Tochter von Aristobulus Sohn Alexander (s. I, 12, 3). J. A. XIV, 13, 9 heisst sie Herodias.
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vertrautesten und rüstigsten seiner Leute, die er bei sich behielt, glücklich in die Festung. Dort liess er zum Schutze der Frauen achthundert Mann mit allen Vorräten für den Fall einer Belagerung zurück und begab sich selbst nach Petra in Arabien. 9. In Jerusalem ergaben sich unterdessen die Parther der Plünderung, brachen in die Häuser der Entflohenen und in den Königspalast ein und liessen nur den Schatz des Hyrkanus unangetastet, der jedoch nicht mehr wie dreihundert Talente betrug. Im übrigen fiel ihnen nicht so grosse Beute in die Hände, als sie wohl erwartet hatten; denn Herodes, der schon längst einer Treulosigkeit von seiten der Barbaren sich versah, hatte seine grössten Kostbarkeiten bereits früher nach Idumaea bringen lassen, und das nämliche hatten auch seine Anhänger gethan. Nach dieser Plünderung gingen die Parther in ihrem Übermute so weit, dass sie ohne förmliche Kriegserklarung das ganze Land verheerend durchzogen, die Stadt Marissa zerstörten und nicht nur den Antigonus als König einsetzten, sondern ihm auch Phasael und Hyrkanus in Fesseln zur Peinigung überantworteten. Dem Hyrkanus nun, der vor ihm auf die Knie gesunken war, biss Antigonus selbst die Ohren ab l, damit er in Zukunft bei einer etwaigen Staatsumwälzung nie wieder das Hohepriesteramt bekleiden könne; denn nur körperlich Fehlerfreie dürfen dieser Würde teilhaftig werden. 10. Was Phasael anlangt, so kam dessen Charakterstärke dem Antigonus zuvor. Da er nämlich weder ein Schwert erfassen konnte noch sonst seiner Hände mächtig war, zerschmetterte er sich den Kopf an einer Steinwand. Sein heldenmütiger Tod erwies ihn als echten Bruder des Herodes und liess den Hyrkanus nur um so erbärmlicher erscheinen. Übrigens entsprach das Ende, das er sich selbst erwählte, ganz den Thaten, die er während seines Lebens vollbracht hatte. Es wird auch behauptet, er habe sich von der Verwundung
1 Nach J. A. XIV, 13, 10 liess er sie ihm abschneiden.
Seite 84 wieder erholt, und erst ein Arzt, der von Antigonus unter dem Schein, ihm Hilfe angedeihen lassen zu wollen, geschickt worden sei, habe die Wunde mit einem todbringenden Gift gefüllt und ihn so ums Leben gebracht. Mag nun das eine oder das andere der Wahrheit entsprechen, jedenfalls war die zuerst erwähnte That die eines Helden. Kurz vor seinem Verscheiden soll er, als er von einem Weibe die Kunde erhielt, dass Herodes entkommen sei, noch gesagt haben: „Nun gehe ich frohen Mutes von hinnen, da ich denjenigen lebend hinterlasse, der mich an meinen Feinden rächen wird." 11. So endete Phasael. Die Parther aber verschafften, obwohl ihnen die Weiber, nach denen es sie am meisten gelüstete, entgangen waren, dem Antigonus dennoch den vollen Besitz der Herrschaft in Jerusalem und führten den Hyrkanus gefangen mit sich nach Parthien fort 1.
1. Herodes beschleunigte nun in der Meinung, sein Bruder sei noch am Leben, seine Reise nach Arabien, um vom Könige Geld zu erhalten, das einzige Mittel, wodurch er die Habsucht der Barbaren zu gunsten Phasaels beeinflussen zu können hoffte. Für den Fall aber, dass der Araber die Freundschaft seines Vaters vergessen haben und zu kleinlich sein sollte, ihm das Losegeld zu schenken, gedachte er dasselbe von ihm zu leihen und den siebenjährigen Sohn Phasaels, den er mit sich genommen, ihm als Pfand zu belassen. Dreihundert Talente war er gewillt als Lösegeld den Parthern zu zahlen, und zwar beabsichtigte er, sich dabei der
1 40 v. Chr.
Seite 85 Erstes Buch, 14. Kapitel
Vermittlung der Tyrier zu bedienen. Das Schicksal aber war seinem Eifer zuvorgekommen: Phasael war tot, und des Herodes liebevolles Eintreten zu gunsten seines Bruders somit zwecklos geworden. Zudem fand er auch, dass von der alten Freundschaft der Araber keine Spur mehr vorhanden war. Ja, ihr König Malichus sandte ihm sogar den Befehl entgegen, das Land schleunigst zu verlassen, wobei die Parther als Vorwand herhalten mussten. Dieselben sollten nämlich durch eine Gesandtschaft an Malichus das Ersuchen gerichtet haben, Herodes aus Arabien hinauszuweisen, während es doch in Wirklichkeit dem Könige nur darum zu thun war, das, was er Antipater schuldete, zu behalten, ohne sich durch dessen Geschenke veranlasst zu fühlen, nun auch seinen in Not befindlichen Söhnen Hilfe zu leisten. Den Rat zu diesem unverschämten Benehmen erteilten ihm solche Menschen, die gleichfalls Lust hatten, das von Antipater in Verwahr gegebene Geld zu unterschlagen, und es waren das gerade die mächtigsten seiner Höflinge. 2. Als Herodes merkte, dass die Araber aus eben dem Grunde, der ihn bewogen hatte, auf ihre gute Freundschaft zu rechnen, seine Feinde geworden waren, antwortete er dem Boten, wie sein Schmerz es ihm eingab, und wandte sich nach Aegypten. Hier bezog er am ersten Abend sein Nachtquartier in einem Tempel auf dem Lande, wo er mit seinem Gefolge, das er verlassen hatte, wieder zusammentraf. Als er nun tags darauf in Rhinokorura anlangte, erfuhr er daselbst den Tod seines Bruders, und obwohl ihn einerseits die Trauer darüber niederbeugte, fühlte er sich anderseits doch auch von einer drückenden Sorge befreit und setzte seine Reise fort. Dem Araber war mittlerweile sein Benehmen leid geworden, und so sandte er eiligst Boten hinter dem Gekränkten her, um ihn zurückrufen zu lassen - doch zu spät, denn Herodes war ihnen schon weit voraus und in Pelusium angekommen. Hier verweigerten ihm die vor Anker liegenden Schiffe die Überfahrt, weshalb er
Seite 86 sich an die Vorsteher der Stadt wandte, die aus Achtung vor dem berühmten und höchstehenden Manne ihn nach Alexandria geleiten liessen. Daselbst ward er von Kleopatra glänzend empfangen, weil sie an ihm einen Feldherrn für den Krieg, zu dem sie gerade rüstete, zu gewinnen hoffte. Herodes indes wies die Anträge der Königin zurück und schiffte sich, ohne die Strenge des Winters oder die Unruhen in Italien zu fürchten, nach Rom ein. 3. In der Nähe von Pamphylien aber geriet er in einen gefahrvollen Seesturm, musste den grössten Teil der Ladung über Bord werfen und rettete sich nur mit genauer Not nach Rhodus, das im Kriege gegen Cassius gewaltig gelitten hatte. Hier wurde er von seinen Freunden Ptolemaeus und Sappinius 1 aufgenommen und liess, obwohl er sich in Geldnot befand, einen sehr grossen Dreiruderer erbauen, in welchem er mit seinen Freunden nach Brundusium fuhr. Von da begab er sich sogleich nach Rom, suchte mit Rücksicht auf die freundschaftlichen Beziehungen seines Vaters zu Antonius den letzteren auf, berichtete ihm sein und seiner Familie Missgeschick und stellte ihm besonders vor, wie er jetzt seine nächsten Angehörigen in einer Festung unter den Gefahren der Belagerung habe zurücklassen müssen und trotz Winter und Meeressturm als Hilfesuchender zu ihm geeilt sei. 4. Solchem Unglück vermochte Antonius sein Mitleid nicht zu versagen, und in dankbarer Erinnerung an die Gastfreundlichkeit Antipaters sowie in Anerkennung der vortrefflichen Eigenschaften des Herodes beschloss er, den früher von ihm ernannten Tetrarchen nunmehr zum Könige der Juden zu machen2. Nicht minder wie sein Wohlwollen für Herodes veraulasste ihn hierzu sein Hass gegen Antigonus3, den er für einen Aufrührer
1 Nach J. A. XIV. 14, 3 hiess er Sappinas.
2 39 v. Chr.
3 Herodes hatte ihm übrigens auch Geld versprochen (s. J. A. XIV, 14, 4).
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und Römerfeind hielt. An Bereitwilligkeit that es ihm übrigens Caesar Octavianus noch zuvor. Denn dieser gedachte des Kriegszuges, den Antipater mit seinem Vater in Aegypten unternommen hatte, sowie seiner Gastfreundschaft und seines gegen jedermann gefälligen Wesens. Zudem hatte er auch seinerseits die Thatkraft des Herodes wohl erkannt. Er berief also den Senat, in welchem Messala und danach Atratinus den Herodes vorstellten und die gute Gesinnung seines Vaters wie auch seine eigene Ergebenheit gegen die Römer hervor. hoben. Zugleich bezeichneten sie den Antigonus als Feind, nicht nur seiner früheren Vergehen wegen, sondern auch deshalb, weil er mitUmgehung der Römer von den Parthern seinen Thron sich habe anweisen lassen. Diese Ausführungen machten schon ersichtlichen Eindruck auf den Senat; als nun aber auch noch Antonius auftrat und zeigte, wie wichtig es für den Krieg gegen die Parther sei, wenn Herodes König werde, stimmte man allseitig zu. Nach Schluss der Senatssitzung nahmen sodann Antonius und Caesar den Herodes in die Mitte und begaben sich unter Begleitung der Konsuln und der übrigen Wurdenträger hinaus, um zu opfern und den Beschluss auf dem Kapitolium niederzulegen. Antonius aber bewirtete den Herodes am ersten Tage seiner Königswürde mit festlichem Mahle.
1. Während dieser Zeit belagerte Antigonus die in Masada Eingeschlossenen, die zwar sonst mit allen Lebensmitteln reichlich versehen waren, aber Mangel an Wasser hatten. Aus diesem Grunde beschloss Joseph, der Bruder des Herodes, mit zweihundert seiner Leute
Seite 88 zu den Arabern zu entfliehen, zumal er gehört hatte, dass Malichus sein Benehmen gegen Herodes bereue. Er hätte auch wirklich die Festung verlassen, wenn nicht gerade in der Nacht, da der Ausmarsch stattfinden sollte, ein sehr starker Platzregen gefallen wäre. So füllten sich die Cisternen wieder mit Wasser, und die Flucht war zwecklos geworden. Die Belagerten unternahmen nunmehr Ausfälle gegen Antigonus und machten teils in offenem Kampfe, teils aus Hinterhalten heraus viele von dessen Leuten nieder. Freilich hatten sie nicht jedesmal Glück, sondern es kam auch hier und da jpr, dass sie sich mit Verlust zurückziehen mussten. 2 Unterdessen rückte der römische Feldherr Ventidius, der den Auftrag hatte, die Parther aus Syrien zu vertreiben, diesen nach und in Judaea ein, angeblich um Joseph und dessen Leuten Hilfe zu bringen, in Wirklichkeit aber, um von Antigonus Geld zu erpressen. Dicht vor den Mauern Jerusalems schlug er sein Lager auf, und als seine Geldgier befriedigt war, liess er, während er selbst mit dem grüssten Teile seiner Truppen abzog, den Silo mit einer kleineren Abteilung zurück, um nicht durch den Abmarsch des gesamten Heeres seine schmutzige Habsucht offenkundig zu machen. Antigonus nun gab die Hoffnung nicht auf, dass die Parther ihm wieder zu Hilfe kommen würden, wollte es aber anderseits auch mit Silo nicht verderben, damit dieser seine Pläne nicht durchkreuze. 3. Schon aber war Herodes von Italien her in Ptolemais gelandet, hatte ein nicht unbeträchtliches Heer von Fremden und Einheimischen gesammelt und zog eilends durch Galilaea gegen Antigonus heran, unterstützt von Ventidius und Silo, welche Dellius, der Abgesandte des Antonius, beauftragt hatte, dem Herodes bei seiner Einsetzung behilflich zu sein. Ventidius war eben im Begriff, in den einzelnen Städten die durch die Parther hervorgerufenen Unruhen zu dimpfen, während Silo, von Antigonus bestochen, in Judaea verblieb. Herodes bedurfte übrigens keiner fremden Ver
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stärkungen; denn im Vorrücken vergrosserte sich seine Streitmacht tagtäglich, und bald war ganz Galilaea mit wenigen Ausnahmen auf seiner Seite. Als wichtigste Aufgabe lag ihm zunächst die Einnahme Masadas am Herzen, die seine Verwandten von der Belagerung freimachen sollte. Hierbei war ihm aber Joppe im Wege, und er musste diese ihm feindliche Stadt jedenfalls nehmen, bevor er auf Jerusalem zu weitermarschierte, weil sonst den Feinden eine seinen Rücken bedrohende Festung verbleiben würde. Nun schloss sich auch Silo bereitwillig an ihn an, da er hierin einen willkommenen Vorwand zum Aufbruch fand. Die Juden aber verfolgten den Römer und setzten ihm hart zu. Da warf sich Herodes mit einer kleinen Schar ihnen entgegen, schlug sie schnell in die Flucht und rettete so den Silo, der sich übrigens schlecht verteidigte. 4. Nachdem er nun Joppe genommen, eilte er nach Masada, um seine Angehörigen zu befreien. Von den Einheimischen schlossen sich jetzt die einen aus alter, noch von seines Vaters Zeit herrihrender Freundschaft, die anderen aus Begeisterung für seinen eigenen Ruhm oder aus Dankbarkeit für die von Vater und Sohn erhaltenen Wohlthaten an ihn an; die meisten freilich führte ihm die Hoffnung zu, die für sie darin lag, dass er des Thrones so gut wie sicher sein konnte. So hatte er denn bald eine gewaltige Streitmacht um sich versammelt. Als er nun vorrückte, stellte Antigonus ihm zwar nach, indem er an passenden Platzen Hinterhalte legte, konnte ihm aber damit wenig oder gar keinen Schaden thun. Herodes entsetzte sodann mit leichter Mühe die Seinen in Masada, nahm auch noch die Festung Resa1 und rückte auf Jerusalem zu, begleitet von Silos Truppen sowie von vielen Einwohnern der Stadt, welche die Furcht vor seiner Macht veranlasst hatte, gemeinsame Sache mit ihm zu machen. 5. Kaum hatte er an der Westseite der Stadt sein
1 Dasselbe wie Thresa (vgl. I, 13, 8).
Seite 90 Lager errichtet, als die dort aufgestellten Wachen die Seinigen mit Pfeilen und Wurfspiessen angriffen und einzelne Scharen sogar Ausfälle gegen seine Vorposten unternahmen. Daraufhin liess Herodes zunächst der Mauer entlang ausrufen, er sei zum Heile des Volkes und zur Rettung der Stadt gekommen und wolle deshalb nicht einmal seinen erklärten Gegnern etwas zuleide thun, sondern selbst seinen bittersten Feinden Verzeihung für die gegen ihn begangenen Fehler angedeihen lassen. Des Antigonus Anhänger aber veranstalteten Gegenkundgebungen und sorgten dafür, dass weder jemand auf die Herolde hörte noch zu Herodes überging. Unterdessen gab Antigonus den Seinen Befehl, die Feinde von der Mauer wegzujagen, und alsbald hatte denn auch ein Pfeilregen alles von den Türmen vertrieben. 6. Da zeigte nun Silo recht deutlich, dass er bestochen war. Auf sein Anstiften fing nämlich eine Menge seiner Soldaten an, sich laut über Mangel an Proviant zu beklagen, Geld zum Lebensunterhalt zu fordern und zu verlangen, dass man sie in ordentliche Winterquartiere führe, da die Umgebung der Stadt von den Leuten des Antigonus gänzlich ausgeplündert sei. Er brach auch in der That auf und schickte sich zum Abzug an. Herodes aber wandte sich an den Unterbefehlshaber Silos und dessen sämtliche Soldaten mit dem Ersuchen, sie mochten ihn, der von Caesar Octavianus, Antonius und dem Senat hergesandt worden sei, doch nicht im Stiche lassen; denn noch am selben Tage werde er ihrer Not ein Ende machen. Und sogleich, nachdem er diese Bitte ausgesprochen, zog er aufs Land hinaus und brpchte ihnen eine solche Menge Proviant mit, dass dem Silo jeder Vorwand benommen war. Damit aber auch für die folgenden Tage die Zufuhr gesichert sei, liess er den Samaritanern, deren Stadt zu ihm hielt, die Weissagung zugehen, Getreide, Wein, Öl und Vieh nach Jericho zu schaffen. Sobald Antigonus dies vernahm, schickte er Truppenabteilungen in die Umgegend, welche die Proviantkolonnen anhalten und abfangen sollten. Seinem Befehl gemäss wurde nun
Seite 91 eine grosse Menge Bewaffneter um Jericho herum aufgeboten und in den Bergen verteilt, um die Züge mit Lebensmitteln zu erspähen. Doch auch Herodes blieb nicht untätig, sondern erschien mit zehn Kohorten, fünf römischen und fünf Jüdischen, sowie einer Anzahl Söldner verschiedener Nationalität und einigen Reitern vor Jericho. Die Stadt selbst fand er verlassen; in die Burg dagegen hatten sich fünfhundert Mann mit Weib und Kind gefüchtet, die er gefangen nahm, aber alsbald wieder freiliess. Nun stürzten sich die Römer in die Stadt, um zu plündern, und fanden die Häuser voll von Schätzen aller Art. Sodann liess der König eine Besatzung in Jericho zurück, kehrte um und liess das römische Heer in den ihm ergebenen Städten Idumaeas, Galilaeas und Samarias Winterquartiere beziehen. Auch Antigonus erlangte übrigens von Silo durch Bestechung die Erlaubnis, einen Teil des römischen Heeres in Lydda aufnehmen zu dürfen, wodurch er sich die Gunst des Antonius zu erwerben gedachte.
1. So liessen sichs denn die Römer während der Waffenruhe recht wohl sein. Herodes aber blieb nicht untätig, sondern liess seinen Bruder Joseph mit zweitausend Fusssoldaten und vierhundert Reitern Idumaea besetzen, um das Land vor einem Handstreich des Antigonus zu schützen. Er selbst brachte seine Mutter nebst den andern aus Masada befreiten Verwandten nach Samaria in Sicherheit und machte sich dann auf, um die noch übrigen Plitze Galilaeas zu erobern und die von Antigonus dorthin gelegten Besatzungen zu vertreiben.
Seite 92 2. Im heftigsten Schneegestöber kam er vor Sepphoris an und nahm die Stadt mit leichter Mühe ein, da die Besatzung bei seinem Anmarsch entflohen war. Nachdem er hierauf seine vom Unwetter hart mitgenommenen Krieger an den reichlich vorhandenen Lebensmitteln sich hatte gütlich thun lassen, brach er gegen die in Höhlen wohnenden Räuber auf, deren häufige Streifzüge den Bewohnern des Landes ebenso lästig geworden waren, wie ein förmlicher Krieg. Drei Kohorten Fusssoldaten und eine Reiterabteilung schickte er bis zu dem Dorfe Arbela voraus und folgte selbst am vierzigsten Tage mit dem Rest seiner Truppen nach. Die Feinde aber fürchteten seinen Angriff nicht, sondern setzten sich mit den Waffen in der Hand zur Wehr; besässen sie doch ebensowohl die Erfahrung von Kriegern, als die Kühnheit von Räubern. So kam es zum Treffen, in welchem zunächst der feindliche rechte Flügel den linken des Herodes zum Weichen brachte. Schnell aber machte Herodes mit seinem rechten Flügel eine Schwenkung, kam den Seinen zu Hilfe, hielt sie von weiterer Flucht ab und brach, über die Verfolger herfallend, deren Andrang, bis er sie endlich nach hitzigem Kampfe in die Flucht schlug. 3. Unter stetem Gemetzel setzte er ihnen nun bis zum Jordan nach und rieb den grössten Teil von ihnen auf, während der Rest sich auf der anderen Flussseite zerstreute. So war denn Galilaea von seinem Hauptschrecken befreit, und es blieb nur noch das Gesindel in den HIhlen übrig, dessen Bekampfung freilich langeren Aufenthalt verursachte. Herodes verteilte deshalb zunächst unter seine Soldaten Belohnungen für die ausgestandenen Strapazen, indem er ihnen Mann für Mann hundertfünfzig Silberdrachmenl, den Hauptleuten aber noch viel mehr zahlen liess. Hierauf schickte er sie in die Winterquartiere und gab seinem Jüngsten Bruder Pheroras den Auftrag, ihnen Proviant zu verschaffen und Alexandrium zu befestigen, was derselbe denn auch besorgte.
1 Eine (attische) Drachme = 79 Pfennige.
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4. Um diese Zeit hielt Antonius sich in Athen auf. Ventidius aber l entbot Silo und Herodes zum Kriege gegen die Parther 2, jedoch mit dem Auftrag, zuvor die Ordnung herzustellen. Herodes liess nun mit Vergnügen den Silo allein zu Ventidius stossen, während er selbst sich gegen die Räuber in den Höhlen aufmachte. Diese Höhlen lagen in steilen Bergabhängen und waren von keiner Seite her zugänglich; nur ganz schmale und schiefe Pfade führten zu ihnen hinauf, und die Felsmasse, an der sich ihre Eingänge befanden, fiel in sehr tiefe Schluchten ab, aus denen sie sich fast senkrecht und wild zerklüftet erhob. Geraume Zeit liess dieses schwierige Terrain den König zu keinem rechten Entschluss kommen, bis er endlich auf eine höchst gefährliche Erfindung verfiel. Er befahl nämlich, die stärksten seiner Leute in Kisten bis zu den Höhlenoffnungen hinabzulassen. Diese Krieger machten dann die Räuber samt deren Familien nieder und schleuderten Feuerbrinde auf die, welche sich zur Wehr setzten. Gern hätte nun Herodes einige von ihnen lebend in seine Gewalt bekommen und liess sie daher durch einen Herold auffordern, sich zu ihm zu verfügen. Niemand aber ergab sich freiwillig, und von denen, die dazu genötigt wurden, zogen viele den Tod der Gefangenschaft vor. Ja, ein greiser Räuber, Vater von sieben Kindern, tötete sogar diese seine Söhne nebst ihrer Mutter, als sie ihn baten, auf Treu und Glauben hinausgehen zu dirfen, in folgender Weise. Er stellte sich selbst an den Eingang der Höhle, hiess seine Söhne einzeln hervorkommen und stiess dann jeden, wie er bei ihm anlangte, nieder. Herodes, der das von fern sah, streckte, von Mitleid bewegt, dem Greise seine Rechte entgegen und beschwor ihn, doch seiner Kinder zu schonen. Der Alte aber mochte davon nichts hören, sondern ergoss sich in Schmähungen gegen Herodes.
1 Der sich in Syrien befand (s. J. A. XIV, 15, 5).
2 38 v. Chr.
Seite 94 wegen dessen niedriger Herkunft, tötete dann auch noch sein Weib, warf die Leichen in den Abgrund und stürzte zuletzt sich selbst ihnen nach.1 5. Auf diese Weise bemächtigte sich Herodes der Höhlen und ihrer Bewohner. Sodann liess er einen Teil des Heeres, der ihm zur Niederwerfung etwaiger Empörungen stark genug zu sein schien, unter dem Kommando des Ptolemaeus zurück und zog selbst mit dreitausend Fusssoldaten und sechshundert Reitern nach Samaria gegen Antigonus. Kaum aber war er fort, so fassten diejenigen, die auch früher die Unruhen in Galilaea gestiftet hatten, wieder Mut, töteten den Ptolemaeus bei einem plötzlichen Überfall, verwüsteten das Land und zogen sich dann in Sümpfe und unwegsame Gegenden zurück. Auf die Nachricht von diesem Aufruhr eilte Herodes schnell zur Hilfe herbei, machte eine Menge Empörer nieder, entsetzte alle belagerten Festungen und trieb von seinen Feinden zur Strafe für die Ruhestörungen hundert Talente ein. 6. Inzwischen waren die Parther aus dem Lande vertrieben und Pakorus getötet worden, und nun sandte Ventidius auf Antonius Befehl dem Herodes tausend Reiter nebst zwei Legionen gegen Antigonus zu Hilfe. Letzterer aber richtete an Machaeras, den Befehlshaber der Truppen, die schriftliche Bitte, er möge auf seine Seite treten. Dabei führte er bittere Klage über des Herodes Gewalttätigkeit und dessen anmassendes Benehmen gegenüber dem Königshause, und versprach ihm zugleich ein Geldgeschenk. Machaeras jedoch hütete sich, es mit dem zu verderben, der ihn gesandt hatte, und da Herodes auch besser zahlte, war er für den Verrat nicht zu haben, trug aber eine freundliche Gesinnung zur Schau und ging trotz der Warnung des Herodes hin, um des Antigonus Lage auszukundschaften. An-
1 Nach Paret waren diese von Josephus als „Räuber" gebrandmarkten Juden zweifellos zugleich Patrioten, die sich der idumaisch-römischen Fremdherrschaft widersetzten.
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tigonus indes durchschaute seine Absicht, verschloss ihm die Stadtthore und wehrte sich von der Mauer herab gegen ihn wie gegen einen Feind, so dass Machaeras schliesslich beschämt zu Herodes nach Ammaus zurückkehren musste. Unterwegs liess er ausZorn über seinen Misserfolg sämtliche Juden, die ihm in die Quere kamen, niederhauen und schonte dabei nicht einmal die Anhänger des Herodes, sondern behandelte sie, als hielten sie alle zu Antigonus. 7. Hierdurch aufgebracht, beschloss Herodes, gegen Machaeras wie gegen einen Feind zu Felde zu ziehen. Doch bezwang er seinen Groll und eilte zu Antonius, um ihn wegen seines nichtswürdigen Benehmens zu verklagen. Machaeras aber hatte unterdessen seinen Fehler eingesehen, reiste dem Könige eilends nach und versöhnte ihn durch eindringliche Bitten. Gleichwohl gab Herodes seine Reise zu Antonius nicht auf, sondern da er vernommen hatte, derselbe belagere mit einem starken Heere die Festung Samosata am Euphrat, beeilte er sich nur um so mehr in der Erkenntnis, eine gute Gelegenheit erwischt zu haben, um seine Tapferkeit zeigen und sich dem Antonius noch gefälliger beweisen zu können. Wirklich ging auch nach seineränkunft dieBelagerung rasch zu Ende. Weil er nun eine Menge Barbaren niedergemetzelt und reicheBeute eingebracht hatte, ward Antonius, der schon zuvor ein Bewunderer seiner Tapferkeit gewesen, in noch höherem Grade für ihn eingenommen; er fügte daher zu den früheren Ehrenbezeugungen viele neue hinzu und steigerte seine Hoffnung auf den Königsthron. Der König Antiochus1 aber war genötigt, Samosata zu übergeben.
1 Von Kommagene, dessen Hauptstadt Samoaata war.
1. Unterdessen aber erlitt des Herodes Sache in Judaea selbst einen empfindlichen Schlag. Er hatte nämlich seinen Bruder Joseph als Oberbefehlshaber zurückgelassen mit der Weisung, bis zu seiner Rückkehr sich jeder kriegerischen Bewegung gegen Antigonus zu enthalten, da Machaeras seinem bisherigen Benehmen zufolge ein durchaus unzuverlässiger Bundesgenosse sei. Sobald jedoch Joseph seinen Bruder in weiter Ferne wusste, rückte er unter Missachtung jenes Befehls mit fünf von Machaeras ihm mitgegebenen Kohorten gegen Jericho aus, um das bereits zur Ernte reife Getreide zu rauben. In dem gebirgigen und unwegsamen Terrain aber griffen ihn die Feinde an, und nach heldenmütigem Kampfe fiel er selbst sowie die gesamte römische Heeresabteilung. Die Kohorten bestanden nämlich durchweg aus syrischen Rekruten und ermangelten der sogenannten Veteranen, die imstande gewesen waren, ihren noch unerfahrenen Kameraden einen festen Halt zu geben. 2. Dem Antigonus indes genügte der Sieg allein noch nicht, sondern er verstieg sich in seiner Erbitterung sogar dazu, sich an Josephs Leichnam zu vergreifen. Nachdem er nämlich die Gefallenen hatte sammeln lassen, befahl er, ihm das Haupt abzuschlagen. obwohlJosephs Bruder Pheroras fünfzig Talente Lösegeld dafür geben wollte. Auf diesen Sieg des Antigonus folgte eine Empörung in Galilaea, die so weit ging, dass die zu Herodes haltenden Grössen von den Anhängern des Antigonus an den See 2 geschleppt und ertrinkt wurden. Auch in Idumaea, wo Machaeras eben ein Kastell mit
1 Hier altgediente, nicht ausgediente Soldaten bezeichnend.
2 Genezareth.
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Namen Gittha wieder befestigte, fing es gewaltig an zu gären. Von all diesen Vorgängen wusste übrigens Herodes noch nichts. - Nach dem Falle von Samosata 1 hatte Antonius den Sosius zum Statthalter von Syrien ernannt und ihm aufgetragen, Herodes gegen Antigonus zu unterstützen, während er selbst sich wieder nach Aegypten begab. Daraufhin schickte Sosius für Herodes Hilfstruppen in der Stärke von zwei Legionen nach Judaea voraus und folgte selbst mit dem übrigen Teile seines Heeres ihnen auf dem Fusse nach. 3. Herodes befand sich gerade zu Daphne bei Antiochia, als ihm durch deutliche Träume der Tod seines Bruders verkündet wurde. Voller Bestürzung darüber war er eben aus dem Bette gesprungen, da traten die Unglücksboten bei ihm ein. Nur kurze Zeit indes überliess er sich seinem Schmerz, schob vielmehr die weitere Trauer hinaus und eilte dem Feinde entgegen. In fast unglaublichen Eilmarschen erreichte er den Libanon, wo er achthundert von den Gebirgsbewohnern anwarb und auch eine Legion Römer vorfand. Mit dieser Streitmacht fiel er nun, ohne auch nur den Anbruch des Tages abzuwarten, in Galilaea ein und warf die ihm entgegenrückenden Feinde wieder in die Festung, aus der sie sich hervorgewagt hatten. Unverzüglich bestürmte er nun den Platz, wurde aber, ehe es zur Eroberung kam, durch ein fürchterliches Unwetter gezwungen, in den benachbarten Dörfern Quartier zu beziehen. Als dann nach wenigen Tagen auch die zweite von Antonius gesandte Legion zu ihm stiess, räumten die Feinde aus Furcht vor seiner Übermacht bei Nacht die Festung. 4. Hierauf eilte er durch Jericho, um sobald wie möglich an den Mördern seines Bruders Rache zu nehmen. Dort erlebte er ein seltsames und wunderbares Ereignis, das ihn, weil er wider Erwarten wohlbehalten daraus
1 Nach Dio Cassius (XLIX, 24) hatte Antonius gegen Samosata nichts ausrichten können.
Seite 98 hervorging, in den Ruf brachte, ein besonderer Liebling der Gottheit zu sein. An jenem Abend nämlich waren viele vornehme Gäste bei ihm zur Tafel geladen. Kaum hatten nun nach Beendigung des Mahles alle Teilnehmer das Haus verlassen, als dasselbe plötzlich zusammenstürzte. Herodes erblickte darin ein Vorzeichen der Gefahren sowohl, die ihn im Kriege erwarteten, als auch seiner Rettung aus denselben, und brach beim Morgengrauen auf. Alsbald stiegen etwa sechstausend Feinde von den Bergen herab und plänkelten gegen seine Vorhut, und wenn sie es auch nicht wagten, mit den Römern handgemein zu werden, so schleuderten sie doch aus der Ferne Steine und Wurfspiesse und verwundeten damit viele ihrer Gegner. Auch Herodes selbst wurde im Vorbeireiten von einem Speer in die Seite getroffen. 5. Um sich nun den Anschein zu geben, als waren die Seinen nicht nur an Kühnheit, sondern auch an Zahl ihren Gegnern überlegen, schickte Antigonus einen seiner Freunde, Pappus, mit einer Heeresabteilung nach Samaria. Dort sollten sie es mit Machaeras aufnehmen. Herodes aber durchzog unterdessen das feindliche Gebiet, zerstörte fünf kleine Städte, tötete zweitausend ihrer Bewohner und kehrte nach Einäscherung ihrer Häuser ins Lager zurück, das er bei einem Dorfe Namens Kana aufgeschlagen hatte. 6. Täglich strömten nun eine grosse Menge Juden aus Jericho selbst und anderen Gegenden teils aus Hass gegen Antigonus, teils aus Begeisterung für seine eigenen Kriegsthaten ihm zu. Die Mehrzahl freilich beseelte dabei ein unbewusstes Verlangen nach Änderung der bestehenden Verhialtnisse. Herodes brannte übrigens vor Begierde, sich mit dem Feinde zu messen; aber auch die Leute des Pappus zogen ihm, ohne sich vor seiner Übermacht und Kampfeslust zu fürchten, mutig entgegen. In der sich nun entspinnenden Schlacht setzte
1 Nach J. A. XIV, 15,12 hatte Pappus sein Lager bei Isanae ia. Samaria aufgeschlagen, wohin also Herodes marschieren musste.
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ihm ein Teil der feindlichen Reihen für kurze Zeit stark zu. Herodes aber, der im Gedanken an den Tod seines Bruders vor keiner Gefahr zurückbebte und sich schlug, als hatte er es mit den Mördern selbst zu thun, ward bald Meister über die, welche sich ihm entgegengeworfen hatten, wandte sich dann auch gegen die, die noch standhielten, schlug sie sämtlich in die Flucht und setzte ihnen nach. Unter stetem Blutvergiessen drängte er sie hierauf in das Dorf 1, aus dem sie hervorgebrochen waren, wobei er besonders ihrer Nachhut entsetzliche Verluste beibrachte. Schliesslich drang er zugleich mit den Feinden in das Dorf ein, wo jedes Haus mit Bewaffneten gefüllt und dazu auch noch die Dächer mit Verteidigern besetzt waren. Sobald er nun die aussen Stehenden überwältigt hatte, liess er die Häuser niederreissen und suchte dadurch die innerhalb Befindlichen zum Verlassen derselben zu nötigen. So wurden die meisten von den einbrechenden Dächern erdrückt; was aber den stürzenden Trümmern entging, fiel unter dem Schwert der Soldaten, und die haufenweise aufgeschichteten Leichen versperrten zuletzt den Siegern selbst den Weg. Ein solches Blutbad nahm den Feinden allen Mut, und wenn sich auch hier und da wieder eine Schar zusammenthat, der Anblick der im Dorfe liegenden Toten trieb sie doch gleich in wilder Flucht auseinander. Herodes wäre nun in seiner Siegesfreude am liebsten sogleich nach Jerusalem geeilt, hatte ihn nicht der überaus strenge Winter daran gehindert. Hierin allein lag also der Grund, weshalb Herodes von der völligen Ausnutzung seines Sieges und der gänzlichen Niederwerfung des Antigonus, der bereits die Stadt zu verlassen gedachte, für jetzt absehen musste. 7. Gegen Abend liess Herodes seine ermatteten Krieger sich erquicken und begab sich selbst noch heiss vom Kampfe nach Soldatenart zum Bade, wobei nur ein einziger Seite ihn bediente. Bevor er nun in den
1 Isanae.
Seite 100 Bäderaum eintrat, lief vor seinen Augen ein feindlicher Soldat mit dem Schwerte in der Hand heraus, ihm nach ein zweiter, dritter und noch mehrere. Sie hatten sich nach dem Gefecht bewaffnet in den Bäderaum geflüchtet und hier vor lauter Angst sich verborgen gehalten. Der Anblick des Königs aber weckte sie aus ihrer Erstarrung, und zitternd liefen sie an ihm, dem Unbewaffneten, vorbei und suchten die Ausgange zu erreichen. Zufällig war niemand von den anderen Kriegern da, der sie hatte festnehmen können, und so entkamen sie alle. 8. Am folgenden Tage liess Herodes dem Feldherrn des Antigonus, Pappus, der im Treffen gefallen war, das Haupt abschlagen und schickte es seinem Bruder Pheroras zum Zeichen, dass die Ermordung ihres Bruders gesühnt sei; denn Pappus war es gewesen, der Joseph den Tod gegeben hatte. Sobald nun die Strenge des Winters nachliess, rückte er gegen Jerusalem,1 führte sein Heer bis an die Mauern heran und schlug, als sich eben das dritte Jahr schloss, seit er in Rom zum Könige ernannt worden war, gerade vor dem Tempel sein Lager auf. Hier nämlich war die Stadt erstürmbar, und von dieser Seite2 aus hatte auch Pompejus früher sie eingenommen. Nachdem sodann Herodes die Belagerungsarbeiten unter seinen Truppen verteilt und die nächste Umgebung der Stadt hatte abholzen lassen, ordnete er das Aufwerfen dreier Wille sowie die Erbauung von Türmen auf denselben an. Zu diesen Arbeiten liess er die emsigsten seiner Leute zurück und ging selbst nach Samaria, um sich mit der Tochter von Aristobulus Sohn Alexander 3 zu vermählen, mit der er, wie schon oben erwähnt, verlobt war. So machte er die Hochzeit zu einer Nebenhandlung der Belagerung; denn bereits fing er an, seine Gegner zu verachten.
1 37 v. Chr. Der Nordseite.
2 Mariamne (graecisiert aus dem hebraischen Mirjam), wohl zu unterscheiden von der gleichnamigen Tochter des Hohepriesters Simon, die ebenfalls des Herodes Gattin war (vergl. I, 28,4).
Seite 101 9. Sobald die Vermählungsfeierlichkeiten zu Ende waren, kehrte er mit bedeutenden Truppenverstärkungen nach Jerusalem zurück, da inzwischen Sosius mit einem ansehnlichen Heere von Reitern und Fusssoldaten zu ihm gestossen war. Letzteres sandte er durch das Innere des Landes voraus, während er selbst seinen Marsch durch Phoenicien nahm. 1 Die gesamte Truppenmasse, gegen elf Legionen Fusssoldaten und sechstausend Reiter, wozu noch die nicht unbedeutenden Hilfstruppen aus Syrien kamen, lagerte sich nun in der Nähe der nördlichen Stadtmauer. Herodes selbst verliess sich bei diesem Vorgehen auf den Senatsbeschluss, durch den er zum Könige ernannt worden war, Sosius aber auf Antonius, der das unter seinem Befehl stehende Heer dem Herodes zu Hilfe geschickt hatte.
1. Nun aber bemächtigte sich der in der Stadt ein. geschlossenen Menge von Juden eine Aufregung mannigfacher Art. Die Schwächeren sammelten sich um den Tempel und priesen den glücklich, der in solcher Zeit sein Leben endige, weil das als besondere Gunst der Gottheit angesehen werden müsse. Die Verwegenern dagegen verübten rottenweise vielfältige Räubereien und plünderten besonders die Umgegend der Stadt aus, weil es an Lebensmitteln für die Menschen und Futter für die Pferde gebrach. 2 Der besser disciplinierte Teil der
1 Nach J. A. XIV, 16,1 kam Herodes direkt von Samaria nach Jerusalem, während des Sosius Truppen in zwei Abteilungen getrennt durch das Binnenland bezw. der Küste entlang marschierten.
2 Nach J. A. XIV, 16, 2 war das Jahr, in welches die Belagerung fiel, ein Sabbatjahr, und es durfte somit in demselben weder gesät noch geerntet werden; daher die Not.
Seite 102 streitbaren Mannschaft endlich war zur Abwehr der Belagerer aufgestellt. Sie trieben die Schanzarbeiter von der Mauer weg und ersannen gegen die Belagerungsmaschinen immer wieder neue Verteidigungsmittel. In nichts aber übertrafen sie die Feinde so sehr, als in der Anlegung von Minengingen. 2. Gegen die Räubereien legte der König Hinterhalte, wodurch es ihm auch gelang, den Ausfällen ein Ende zu machen, und dem Mangel an Lebensmitteln steuerte er durch Zufuhren aus der Ferne. Mit den kriegsgewandten römischen Truppen war er übrigens gegen die Belagerten stark im Vorteil, obwohl die letzteren an Kühnheit nicht leicht übertroffen werden konnten. Sie vermieden es zwar, im offenen Felde sich mit den Römern zu schlagen, da das für sie gleichbedeutend mit sicherem Untergang sein musste; dagegen erschienen sie aus ihren unterirdischen Gängen oft unerwartet mitten unter den Feinden, und ehe noch ein Teil der Mauer zerstört war, hatten sie schon wieder eine andere aufgeführt - kurz, es ermatteten weder ihre Hände noch ihre Erfindungskraft, und offenbar waren sie zum äussersten Widerstand entschlossen. So hielten sie trotz der Stärke des sie einschliessenden Heeres fünf Monate lang die Belagerung aus, bis endlich einige auserlesene Leute des Herodes sich daran machten, die Mauer zu ersteigen, und, gefolgt von den Centurionen des Sosius, in die Stadt einbrachen. Zuerst wurde die Umgebung des Tempels genommen; dann ergoss sich das Heer in die Stadt, und es entstand allenthalben ein fürchterliches Blutbad. Denn die Römer waren durch die lange Dauer der Belagerung aufs höchste erbittert, und die zu Herodes haltenden Juden thaten das ihrige, um keinen von der Gegenpartei am Leben zu lassen. Ganze Haufen wurden so in den engen Gassen, in den Häusern, wo sie sich zuammengedrängt hatten, und auf der Flucht nach dem Tempel niedergemetzelt. Weder Kinder, noch Greise, noch schwache Frauen konnten auf Mitleid rechnen, und obwohl der König überall herumschickte
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und Schonung anbefahl, hielt doch niemand den Arm ein, sondern die Soldaten wüteten wie rasend gegen jedes Alter. Währenddessen kam Antigonus, der weder für sein früheres noch für sein jetziges Geschick eine Empfindung hatte, aus der Burg herab und warf sich Sosius zu Füssen. Der aber brach, ungerührt durch solchen Glückswechsel, in ein unbändiges Gelächter aus und schalt ihn Antigone. Doch liess er ihn nicht wie ein Weib frei ausgehen, sondern befahl, ihn gefesselt aufzubewahren. 3. Nach Niederwerfung seiner Feinde war es des Herodes erste Sorge, dem Ungestüm der Hilfstruppen zu wehren. Das fremde Volk nämlich drängte sich in Masse heran, um den Tempel und die Heiligtümer zu sehen. Der König jedoch hielt sie teils durch Bitten, teils durch Drohungen, teils sogar mit Waffengewalt zurück, überzeugt, dass sein Sieg schimpflicher als eine Niederlage sein würde, wenn die Fremden etwas sahen, was nicht angeschaut werden darf. Ebenso verhinderte er die Plünderung der Stadt, indem er Sosius ein über das anderemal fragte, ob denn die Römer die Stadt von Geld und Menschen völlig entblössen und ihn als König einer Einöde zurücklassen wollten, während er die Herrschaft über die ganze Welt nicht mit dem Blute so vieler Bürger erkaufen möchte. Als Sosius hierauf entgegnete, man müsse den Soldaten für die Strapazen der Belagerung billigerweise die Plünderung zukommen lassen, erklärte Herodes, er wolle aus seiner eigenen Kasse jedem einzelnen eine Belohnung anweisen. Dadurch gelang es ihm, den übrigen Teil der Stadt loszukaufen, und sogleich erfüllte er nun auch sein Versprechen, indem er jeden Soldaten glänzend, die Offiziere entsprechend reicher, Sosius selbst aber wahrhaft königlich beschenkte, sodass niemand ohne Geld von ihm schied. Sosius weihte alsdann Gott dem Herrn eine goldene Krone und verliess Jerusalem, um den Antigonus gefangen zu Antonius zu bringen. Dem Leben des Antigonus, das er in eitler Hoffnung bis zum letzten
Seite 104 Augenblick geliebt hatte, machte übrigens, wie sein unedler Sinn es verdiente, 1 das Beil ein Ende. 2 4. Der König Herodes nahm nun unter den Bürgern der Stadt eine Sichtung vor, indem er seine eigenen Getreuen durch Verleihung von Ehrenstellen sich noch gewogener machte, die Anhänger des Antigonus dagegen hinrichten liess. Aus Mangel an barem Geld liess er sodann aus allen Kleinodien, die er besass, Münzen prägen und schickte dieselben dem Antonius und dessen Vertrauten zu. Doch vermochte er damit allein sich noch keine dauernde Sicherheit zu erkaufen; denn bereits war Antonius, von seiner Leidenschaft für Kleopatra fast verzehrt, ganz der Sklave seiner Sinnlichkeit geworden. Nachdem nun Kleopatra mit ihrer eigenen Familie dergestalt aufgeräumt hatte, dass keiner ihrer nahen Verwandten mehr übrig war, kehrte sich ihr Blutdurst fortan nach aussen, und indem sie die syrischen Grössen bei Antonius verleumdete, suchte sie ihn zu deren Ermordung zu bewegen, um sich alsdann mit leichter Mühe ihrer Besitzungen bemächtigen zu können. So hatte sie in ihrer Habgier den Blick auch bereits auf Judaea und Arabien geworfen und arbeitete nun im geheimen daran, die Könige der beiden Länder, Herodes und Malichus, aus dem Wege zu räumen. 6. Obwohl nun Antonius bis jetzt alle ihre Forderungen bewilligt hatte, vermochte er doch in der Ermordung so wackerer Männer und bedeutender Könige nichts anderes als einen Frevel zu erblicken. Immerhin aber löste er seine engen freundschaftlichen Beziehungen zu denselben und nahm ihnen bedeutende Gebietsteile ab, die er der Kleopatra zuwies, so den Palmenwald bei Jericho, wo der Balsam gewonnen wird, und sämtliche diesseits des Flusses Eleutherus gelegenen Städte mit Ausnahme von Tyrus und Sidon. Nachdem sie also
1 Die Hinrichtung mit dem Beil war somit eine entehrende Strafe, 37 v. Chr. zu Antiochia. Mit seinem Tode erlosch die Herrschaft der Asmonaer.
Seite 105 deren Gebieterin geworden, begleitete sie den Antonius auf seinem Kriegszug gegen die Parther l bis an den Euphrat und kam dann über Apamea und Damaskus nach Judaea. Hier besänftigte Herodes durch grosse Geschenke ihre üble Laune und pachtete ihr die von seinem Königreich weggenommenen Ortschaften für zweihundert Talente Jährlich ab, worauf er ihr unter allen möglichen Ehrenbezeugungen bis Pelusium das Geleit gab. Bald nachher 2 kam Antonius aus dem Lande der Parther 1 an und führte den Sohn des Tigranes, Artabazes, gefangen mit sich, den er samt den Kleinodien und allen übrigen Beutestücken sogleich der Kleopatra zum Geschenk machte.
1. Beim Ausbruch des Krieges von Actium 3 rüstete sich Herodes, mit Antonius zu Felde zu ziehen, da jetzt die Unruhen in Judaea überhaupt aufhörten und auch die Festung Hyrkania, die des Antigonus Schwester bis dahin noch gehalten hatte, in seinen Händen war Kleopatra aber verstand es, ihn arglistiger Weise von der Waffenverbrüderung mit Antonius abzuhalten. Sie hatte es nämlich, wie schon erwähnt, auf ihn und den Araberkönig abgesehen und beredete deshalb den Antonius, dem Herodes den Krieg gegen die Araber anzuvertrauen, um im Falle seines Sieges Arabien, im Falle seiner Niederlage Judaea in ihre Gewalt zu bekommen und so den einen der beiden Fürsten durch den anderen zu vernichten.
1 Muss nach J. A. XV, 4,2 heissen: Armenier.
2 34 v. Chr.
3 31 v. Chr.
Seite 106 2. Der Anschlag fiel jedoch zum Vorteil des Herodes aus. Zuerst nahm er den Feinden Geiseln ab, griff sie sodann mit einer von ihm angeworbenen beträchtlichen Reiterschar bei Diospolis an und schlug sie trotz tapferer Gegenwehr. Diese Niederlage rief eine grosse Bewegung unter den Arabern hervor: sie sammelten sich alsbald wieder bei Kanatha in Coelesyrien und erwarteten in grosser Anzahl die Juden. Als Herodes mit seinem Heere dort anlangte, gedachte er den Krieg mit aller Vorsicht zu führen und liess daher ein befestigtes Lager errichten. Doch seine Leute versagten den Gehorsam und stürzten sich, durch den ersten Sieg kühn gemacht, auf die Araber, die sich denn auch gleich beim ersten Angriff zur Flucht wandten. Bei der Verfolgung aber wurde dem Herodes ein schlechter Streich gespielt. Athenion nämlich, einer der Feldherren Kleopatras, der mit ihm von jeher in Feindschaft lebte, reizte die Einwohner von Kanatha gegen ihn auf. Ihr Angriff machte auch den Arabern wieder Mut, sodass sie umkehrten, sich zusammenschlossen und auf felsigem, unwegsamem Terrain die Leute des Herodes in die Flucht schlugen, wobei sie ein schreckliches Blutbad unter ihnen anrichteten. Was aus der Schlacht entkommen war, flüchtete sich nun nach Ormiza. Die Araber jedoch umzingelten das Lager, eroberten dasselbe und machten die Mannschaft zu Gefangenen. 3. Bald nach dieser Niederlage traf Herodes mit Hilfstruppen ein, jedoch zu spät. Schuld an dem Unfall war lediglich der Ungehorsam seiner Offiziere; denn wäre das Gefecht nicht so überstürzt begonnen worden, so hatte Athenion keine Gelegenheit zum Verrat gefunden. Übrigens richte sich Herodes durch häufige verheerende Einfälle in das Gebiet der Araber, sodass sie für den einmaligen Sieg recht oft büssen mussten. Während er nun seinen Feinden zusetzte, traf ihn im siebenten Jahre seiner Regierung, als eben der
1 Vom Tode des Antigonus an gerechnet.
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Krieg von Actium seinen Höhepunkt erreicht hatte, ein anderes Unglück. Zu Beginn des Frühlings nämlich richtete eine Erderschütterung eine zahllose Menge Vieh und dreissigtausend Menschen in seinem Reiche zu Grunde; nur das Heer blieb unbeschädigt, weil es unter freiem Himmel lagerte. Das Gerücht nun, das traurigen Vorfällen immer noch etwas Schlimmeres anhängt und jetzt eine Verwüstung von ganz Judaea meldete, stärkte den Mut der Araber gewaltig. Sie fielen daher in der Meinung, das entvölkerte Land leicht in Besitz nehmen zu können, in dasselbe ein, nachdem sie zuvor die Gesandten der Juden, welche sich gerade bei ihnen befanden 1, als Opfer geschlachtet hatten. Als nun das Kriegsvolk durch diesen Einfall in den grössten Schrecken. geriet und infolge der Schlag auf Schlag eintretenden Unglücksfülle völlig niedergebeugt war, rief Herodes dasselbe zusammen und suchte es durch folgende Ansprache zur Standhaftigkeit anzufeuern. 4. „Widersinnig scheint es mir, dass ihr euch jetzt so in Furcht jagen lasst. Dass freilich die von Gott gesandten Plagen euch ängstigen, ist natürlich; wenn aber ein Angriff von Menschen denselben Eindruck bei euch erzeugt, so ist das unmännlich. Was mich betrifft, so bin ich so weit entfernt, nach dem Erdbeben vor meinen Feinden mich zu fürchten, dass ich vielmehr glaube, Gott habe mit demselben den Arabern gewissermassen eine Lockspeise hinwerfen wollen, damit sie über uns herzufallen veranlasst würden. Denn nicht sowohl im Vertrauen auf ihren starken Arm und ihre Waffen, als vielmehr im Hinblick auf die unglücklichen. Naturereignisse, von denen wir heimgesucht wurden, haben sie uns angegriffen. Eine Hoffnung aber, die sich nicht auf eigene Kraft gründet, sondern. auf fremdes Missgeschick, trügt gar sehr. Ist denn etwa das Unglück oder sein Gegenteil von Bestand unter den Menschen? Oder schwankt nicht vielmehr das Glück, wie die Er-
1 Als Friedensunterhändler (s. J. A. XV, 5,2).
Seite 108 fahrung zeigt, hin und her? Beispiele dafür braucht ihr wahrlich nicht weit zu suchen. Denn seht, der Feind hat uns, die wir in der früheren Schlacht Sieger waren, überwunden; aller Wahrscheinlichkeit nach aber wird er jetzt, obwohl er sich mit Siegeshoffnungen schmeichelt, unterliegen. Allzu grosses Selbstgefühl macht unbehutsam, Furcht dagegen lehrt Vorsicht: daher ist es eben eure Angstlichkeit, die mir Mut einflisst. Denn da ihr euch mit mehr Ungestüm, als geboten war, den Feinden entgegenwarft und wider meinen Willen sie angriffet, fand Athenion Gelegenheit zu seinem Verrat. Jetzt aber verbirgt eure Zaghaftigkeit und scheinbare Mutlosigkeit mir die Gewissheit des Sieges. Bis die Stunde des Kampfes gekommen ist, mag ja diese Stimmung am Platze sein; in der Schlacht selbst aber müsst ihr euren Mut entflammen und jenen gottlosen Horden beweisen, dass weder eine von Menschen noch eine von Gott kommende Drangsal die Tapferkeit der Juden, so lange noch ein Fünkchen Leben in ihnen ist, zunichte machen kann, und dass keiner von euch den Araber, den ihr so oft schon fast als Gefangenen wegführtet, Herrn seines Eigentums werden lasst. Lasset euch also durch Naturerscheinungen nicht bange machen und haltet nur ja die Erderschütterung nicht für ein Anzeichen weiteren Unheils. Denn was in den Elementen vorgeht, vollzieht sich nach natürlichen Gesetzen und bringt den Menschen keinen weiteren Schaden, als eben das Naturereignis an sich zu erzeugen pflegt. Freilich können Hungersnot, Pest und Erdbeben durch besondere Vorboten sich ankündigen; die Plagen selbst aber sind doch durch ihre eigene Grösse begrenzt. Bedenkt doch nur: wie konnte uns denn selbst ein siegreicher Feind schlimmeren Schaden zufügen, als das Erdbeben gethan hat? Dagegen aber haben unsere Feinde ein gewaltiges Vorzeichen ihrer Vernichtung erfahren, das weder die Natur noch irgend eine andere Macht ihnen kundgethan hat. Haben sie doch dem Völkerrecht zum Hohn unsere Gesandten auf grausame
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Weise ermordet und ihrer Gottheit als Opfer für den Ausgang des Krieges dargebracht! Aber sie werden Gottes allsehendem Auge und seinem unbesiegten Arm nicht entrinnen. Und allsogleich.werden sie uns Genugthuung geben müssen, wenn wir noch eine Spur vom Sinne unserer Väter in uns haben und zur Bestrafung der Treulosigkeit uns erheben. So ziehe denn nun ein jeder nicht für sein Weib und seine Kinder, auch nicht für das gefährdete Vaterland, sondern um Rache für die Ermordung der Gesandten zu nehmen, in den Kampf. Denn bessere Heerführer als wir, die Lebenden, sirid die Schatten dieser Mianner. Ich aber werde, wenn ihr mir den Gehorsam nicht versagt, euch voran den Gefahren entgegengehen. Und unbezwinglich, das wisset ihr, ist eure Tapferkeit, wenn ihr nicht durch iÜberstürzung euch selbst schadet." 5. Als er durch diese Ansprache seine Soldaten ermuntert hatte und ihre Kampfesfreudigkeit bemerkte, opferte er Gott und überschritt nach Beendigung der heiligen Handlung mit seinem Heere den Jordan. Bei Philadelphia schlug er nicht weit von den Feinden sein Lager auf und versuchte in der Hoffnung, dass es bald zu einer förmlichen Schlacht kommen werde, zunächst durch leichte Scharmützel ein zwischen den beiden Heeren liegendes Kastell in seinen Besitz zu bringen, zu dessen Eroberung auch der Gegner eine Abteilung vorgeschoben hatte. Des Königs Truppen aber schlugen sie alsbald zurück und besetzten die befestigte Anhohe. Herodes selbst rückte nun tagtäglich mit seiner Streitmacht aus, stellte sie in Schlachtordnung aufund suchte die Araber dadurch zum Kampfe zu reizen. Da sich aber niemand ihm entgegenstellte - denn ein gewaltiger Schrecken hatte sie ergriffen, und ihr Befehlshaber Elthemus war beim Anblick des feindlichen Heeres vor Furcht fast erstarrt -, rückte er endlich vor und fing an, ihre Verschanzungen zu durchbrechen. Auf diese Weise zur Gegenwehr gezwungen, zogen sie ohne alle Ordnung, Fusssoldaten und Reiter durcheinander, zum
Seite 110 Treffen aus. An Zahl waren sie den Juden überlegen, an Kampflust aber standen sie ihnen nach, obwohl auch sie aus Verzweiflung wie wahnsinnig fochten. 6. So lange sie standhielten, hatten sie demnach keine grossen Verluste. Kaum aber hatten sie den Rücken gekehrt, als eine Menge von ihnen teils durch das Schwert der Juden, teils durch ihre eigenen Leute, die sie zertraten, umkam. Fünftausend Mann fielen so auf der Flucht, während die übrigen in dichtgedrängten Haufen sich hinter die Verschanzungen retteten. Hier schloss Herodes sie ein und belagerte sie; aber noch ehe sie durch Waffengewalt zur Übergabe genjtigt wurden, zwang sie der Durst dazu, da ihnen das Wasser ausgegangen war. Ihre Abgesandten empfing der König mit stolzer Verachtung, und als sie sich mit fünfzig Talenten loskaufen wollten, setzte er ihnen nur um so heftiger zu. Da aber der Durst sie mehr und mehr quälte, kamen sie endlich scharenweise hervor und ergaben sich freiwillig den Juden. So wurden in fünf Tagen ihrer viertausend gefesselt; am sechsten rückte alsdann die übrige Menge in heller Verzweiflung zum Kampfe aus, in welchem Herodes wiederum gegen siebentausend Mann niedermachte. Durch diese schweren Schläge rachte er sich an den Arabern und demütigte ihren Stolz in solchem Grade, dass sie seine Oberherrschaft anzuerkennen sich bequemen mussten.
1. Gleich darauf aber ward Herodes mit banger Sorge um seine Herrschaft erfüllt, und zwar wegen seiner freundschaftlichen Beziehungen zu Antonius; denn soeben hatte Caesar Octavianus bei Actium gesiegt. Seine
Seite 111 Angst war indes grösser, als die wirkliche Sachlage berechtigt erscheinen liess. Caesar nämlich hielt den Antonius noch nicht für überwunden, so lange Herodes demselben treu blieb. Der König fasste nun den Entschluss, der Gefahr mutig ins Auge zu schauen. Er schiffte sich daher nach Rhodus ein, wo Octavianus sich damals aufhielt, und erschien vor ihm ohne Diadem, in Kleidung und Gebaren ein einfacher Privatmann, doch anGesinnung ein echter König. Ohne also seine wahren Gedanken zu verheimlichen, sprach er freimütig folgendermassen: „Caesar, ich bin von Antonius zum Könige der Juden gemacht worden und habe, ich gestehe es offen, als solcher alles gethan, wodurch ich ihm nützen konnte. Imgleichen verhehle ich nicht, dass du mich jedenfalls auch im Kampfe an seiner Seite gesehen haben würdest, wenn die Araber mich nicht daran gehindert hatten. Nach besten Kräften habe ich ihm Bundesgenossen verschafft und viele tausend Scheffel Getreide ihm geliefert. Ja, selbst nach seiner Niederlage bei Actium habe ich meinen Wohlthäter nicht im Stich gelassen. Denn da ich ihm als Kampfgenosse nicht mehr zu nützen vermochte, ward ich sein bester Ratgeber, indem ich ihm als einziges Mittel, seine verzweifelte Lage zu bessern, den Tod der Kleopatra bezeichnete. Für den Fall, dass er dieses Weib aus dem Wege räumen lassen wolle, versprach ich ihm Geld, schützende Festungen, ein Heer und meine persönliche Teilnahme am Kriege gegen dich. Aber die sehnsüchtige Liebe zu Kleopatra und die Gottheit selbst, deren Gunst du deinen Sieg verdankest, machten ihn taub gegen meine Vorstellungen. So bin ich denn also mit Antonius besiegt und lege, weil ich auch im Unglück sein Gefährte sein will, die Krone nieder. Zu dir aber kam ich in der Hoffnung, mein männlich offenes Benehmen werde mir deine Gunst erringen, und in dem Gedanken, man werde untersuchen, WPs für ein Freund, und nicht, wessen Freund ich gewesen bin." 2. Hierauf entgegnete Octavianus: ,Sei gutes Muts
Seite 112 und herrsche von nun an mit noch grösserer Sicherheit als König. Denn du bist wert, über viele Menschen zu gebieten, da du so treu die Freundschaft pflegtest. Suche nun aber auch dem ergeben zu bleiben, der mehr Glück als sein Gegner hatte und der auf deinen Edelsinn die glänzendsten Hoffnungen setzt. Wahrlich, Antonius hat wohl daran gethan, dass er lieber auf Kleopatra hörte als auf dich; denn durch seinen Unverstand habe ich dich gewonnen. Übrigens hast du dich, wie ich sehe, bereits um mich verdient gemacht. Quintus Didius nämlich schreibt mir, du habest ihm gegen die Gladiatoren 1 Hilfe gesandt. Ich will dich daher durch förmlichen Beschluss in deiner Königswürde bestätigen und dir auch weiterhin meine Gunst zu beweisen suchen, damit du den Antonius nicht vermissest." 3. Nach diesen freundlichen Worten setzte Octavianus dem Könige das Diadem auf und machte die ihm erwiesene Gunstbezeugung durch einen Erlass bekannt, in welchem er hochherzigerweise das Lob des Herodes laut verkündete. Dieser suchte ihn nun durch Geschenke auch noch zur Freilassung eines gewissen Alexander zu bewegen, der ein Freund des Antonius war und Herodes um seine Vermittlung angefleht hatte. Doch der Zorn des Caesars 2 behielt die Oberhand, da er dem Manne, für den Herodes sich ins Mittel legte, viele und schwere Vergehen vorzuwerfen hatte, und so schlug er denn die Bitte ab. Spiter empfing Herodes den Caesar, als derselbe durch Syrien nach Aegypten marschierte, mit dem ganzen Geprange, das einem König zu Gebote steht, ritt, als er bei Ptolemais Heerschau hielt, zum ersten
1 Diese Gladiatoren, die Antonius in Kyzikos hielt, suchten sich nach der Niederlage ihres Herrn nach Aegypten durchzuschlagen, um ihm beizustehen, wurden aber von Quintus Didius, dem Statthalter von Syrien, daran gehindert.
2 Der ursprüngliche Eigenname, aus dessen graecisierter Form Kaisaroj unser deutsches Wort Kaiser entstand, war bereits der Titel des römischen Alleinherrschers geworden. Dasselbe gilt von dem Beinamen Augustus, den der Senat im Jahre 27 v. Chr. dem Octavianus erteilte.
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mal an seiner Seite, gab ihm wie seinen sämtlichen Freunden ein Festmahl und liess auch dem Heere alles, was zu einem Schmause gehört, verabreichen. Ferner sorgte er dafür, dass die Römer auf ihrem Zuge durch die wasserarme Gegend bis Pelusium und ebenso auf dem Rückmarsch reichlich mit Wasser versehen wurden und dass sie auch an allen übrigen Lebensmitteln keinen Mangel litten. Ganz von selbst drängte sich dabei dem Caesar und den Soldaten der Gedanke auf, dass das Reich des Herodes im Verhältnis zu seinen Leistungen viel zu klein sei. Sobald daher Octavianus nach Aegypten gekommen war - wo er übrigens Kleopatra und Antonius bereits nicht mehr am Leben fand -, verlieh er ihm nicht nur eine Reihe weiterer Auszeichnungen, sondern vergrösserte auch sein Königreich, indem er das ihm von Kleopatra früher entrissene Gebiet und ausserdem Gadara, Hippos, Samaria, sowie die Küstenstädte Gaza, Anthedon, Joppe und Stratonsturm hinzufügte. Obendrein schenkte er ihm auch noch eine Leibwache von vierhundert Galliern, welche früher die persönliche Garde der Kleopatra gebildet hatten. So reiche Zuwendungen hatte Herodes vorzugsweise seiner eigenen Hochherzigkeit zu verdanken. 4. Nach Ablauf der ersten Aktiadel vergrosserte der Caesar das Königreich des Herodes noch weiter durch die Landschaft, die Trachon 2 genannt wird, sowie die daran grenzenden Landschaften Batanaea und Auranitis, und zwar aus folgender Veranlassung. Ein gewisser Zenoderus, welcher das Gebiet des Lysanias gepachtet hatte, hetzte unaufhlorlich die in Trachon hausenden Raüberbanden gegen die Damascener. Diese nahmen nun ihre Zuflucht zu Varro, dem Statthalter von Syrien, und baten ihn, den Caesar von ihrer schlimmen Lage
1 Zeitraum von fünf Jahren. Doch wurde die erste Aktiade bereits drei Jahre nach der Schlacht bei Actium, die 31 v. Chr. statt. fand, gefeiert (s. Dio Cassius LIII, 1). Es ergiebt sich somit für die vorliegende Zeitbestimmung das Jahr 28 v. Chr.
2 Oder Trachonitis
Seite 114 in Kenntnis, zu setzen. Daraufhin erging von Porn der Befehl, das Raubgesindel auszurotten. Varro brach also mit Heeresmacht auf, säuberte das Land von den Banditen und nahm es dem Zenoderus ab. Damit dasselbe nun später nicht wiederum den Schlupfwinkel bilde, von dem aus die Räuber Damaskus beunruhigen könnten, schenkte der Caesar es dem Herodes. Als nach weiteren zehn Jahren Augustus abermals in die Provinz kam, ernannte er ihm sogar zum Statthalter von ganz Syrien, sodass die unter ihm, stehenden Landpfleger keinerlei Anordnungen treffen durften, ohue vorher seine Zustimmung einzuholen. Nach dem Tode des Zenoderus betraute der Caesar ihn dann auch noch mit dem ganzen Gebiet zwischen Trachon und Galilaea. Grösseren Wert indes als alle diese Vergünstigungen hatte für Herodes der Umstand, dass er dem Augustus nach Agrippa I und dem Agrippa nach Augustus der liebste Freund war. Nachdem er so den Gipfel äusseren Glückes erklommen hatte, gab er auch seinem Geiste höheren Schwung und verlegte sich vorzugsweise auf Werke der Frömmigkeit, wozu er wirklich grossartige Pläne entwarf.
1. Im fünfzehnten 2 Jahre seiner Regierung nämlich liess er den Tempel umbauen, den Tempelbezirk um das doppelte erweitern und eine feste Mauer ringsum aufführen, alles mit unermesslichen Kosten und unübertrefflichem Prachtaufwand. Davon zeugten insbesondere die grossen, den Tempel umgebenden Säulenhallen und
1 Murcus Vipsanius Agrippa, Schwiegersohn des Augustus.
2 Nach J. A. XV, 11, 1 im achtzehnten.
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die im Norden an denselben stossende feste Burg. Die Hallen richtete er von Grund aus neu auf, die Burg aber baute er mit grossen Kosten um, sodass sie einem Königsschlosse in nichts nachstand, und nannte sie dem Antonius zu Ehren Antonia. Seinen eigenen Königspalast legte er in der oberen Stadt an und benannte die zwei grössten und schönsten Flügel desselben, mit denen nicht einmal der Tempel den Vergleich aushielt, nach seinen hohen Freunden Caesareum und Agrippeum. 2. Doch nicht bloss einzelne Gebäude weihte er dem Gedächtnis und Namen dieser Männer, sondern er ging noch weiter und that, um sie zu ehren, dasselbe mit ganzen Städten. So umgab er im Samariterlande eine Stadt mit einer hervorragend schonen Mauer im Umfang von beiläufig zwanzig Stadien, versetzte sechstausend Einwohner dahin, wies denselben die fruchtbarsten Ländereien an, erbaute mitten in der neugegründeten Stadt einen gewaltigen Tempel mit einem freien Platze von änderthalb Stadien zu Ehren des Caesars und nannte die Stadt Sebaste1. Ihren Bewohnern aber gab er eine ausgezeichnete Gemeindeverfassung. 3. Als sodann der Caesar ihm noch weitere Landstriche schenkte, erbaute Herodes ihm auch dort einen Tempel von weissem Marmor, und zwar an den Quellen des Jordan; der Ort heisst Panium. Hier erhebt sich ein Berggipfel zu ungeheurer Höhe, und an der Seite der unter dem Berge befindlichen Schlucht öffnet sich eine schattige Grotte, in deren Innerem eine abgrundartige Vertiefung sich in eine unermessliche Kluft senkt, die mit stehendem Wasser gefüllt und für das Senkblei unergründlich ist. Aussen am Rande dieser Grotte sprudeln die Quellen hervor, und hier befindet sich, wie einige meinen, der Ursprung des Jordan. Genaueres darüber werde ich später 2 mitteilen. 4. Auch zu Jericho liess der König zwischen dem
1 Dem Saparo; (Augustus) zu Ehren.
2 S. unten III, 10, 7
Seite 116 Kastell Kypron 1 und dem früheren Königspalast ein neues, besseres und bequemeres Gebhude aufführen, das er nach seinen Freunden benannte. Kurz, es gab keinen Ort in seinem Reiche, den er nicht, falls er sich sonst dazu eignete, mit Bauwerken zu Ehren des Caesars versehen hatte. Nachdem er nun sein eigenes Land mit Tempeln angefullt hatte, liess er es auch in der Provinz nicht an Ehrendenkmalen für Augustus fehlen und errichtete in vielen Städten Caesareen 2. 5. So erschien ihm auch eine Stadt an der Meereskuste mit Namen Stratonsturm, die damals im Verfall begriffen war, wegen der Schönheit des Gelandes so recht geeignet zur Betätigung seines Vorhabens, den Caesar zu ehren. Er baute sie daher ganz aus weissen Steinen wieder auf, schmückte sie mit prächtigen Palästen und zeigte hier in besonders hohem Masse seinen angeborenen Sinn für grossartige Unternehmungen. Stratonsturm lag nämlich mitten zwischen Dora und Joppe, und auf der ganzen Strecke zwischen diesen beiden Städten war die Küste ohne Hafen, sodass mancher, der an Phoenicien vorbei nach Aegypten zu segelte, auf offenem Meer umtreiben musste wegen der Gefahren des Südwindes 3, der selbst bei mässigem Wehen eine solche Brandung an den Felsen erzeugt, dass die zurückgeworfenen Wellen auf weite Strecken hin das Meer in Aufruhr bringen. Der König jedoch besiegte durch seinen Ehrgeiz und unter Aufwendung bedeutender Kosten die Natur und schuf einen Hafen, der den Piraeus 4 an Grösse übertraf, sowie im Innern desselben eine Reihe vortrefflicher Ankerplätze. 6. Obwohl nun die Örtlichkeit recht ungünstig war, reizte doch gerade die Schwierigkeit den Eifer des Königs, ein Werk herzustellen, dessen Festigkeit dem Anprall der Meereswogen Widerstand leisten konnte und dessen
I Wohl dasselbe, wie das unten in Abschnitt 9 erwähnte.
2 D. h. Gebäude zu Ehren des Caesars.
3 Richtiger des Südwestwindes.
4 Den Hafen von Athen.
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Schönheit die darauf verwendete Mühe nicht im entferntesten ahnen lassen sollte. Zunächst also liess er den für den Hafen bestimmten Raum in der bereits erwähnten Grösse abstecken und alsdann gewaltige Felsstücke, von denen die meisten fünfzig Fuss lang, neun Fuss hoch und zehn Fuss breit waren, zwanzig Ellen l tief ins Meer versenken. Nachdem so die Tiefe ausgefüllt war, liess er den über die Oberfläche des Wassers hervorragenden Teil des Dammes auf eine Breite von zweihundert Fuss bringen. Hundert Fuss davon waren vorgebaut, um die Gewalt der Meeresfluten zu brechen, weshalb diese Hälfte den Namen Prokymia 2 erhielt. Der übrige Raum diente einer steinernen, rings um den Hafen laufenden Mauer als Unterlage und war mit sehr hohen Türmen versehen, deren grösster und schönster nach Drusus, dem Stiefsohn des Caesars, Drusium genannt wurde. 7. Zahlreiche Gewölbe dienten den Schiffern zur Herberge, und eine vor denselben befindliche, rund um den Hafen sich hinziehende Plattform bot den Ankömmlingen reichlichen Raum zu Spaziergängen. Die Hafeneinfahrt lag gegen Norden, weil der Nordwind dort der mildeste von allen Winden ist. Zu beiden Seiten der Einfahrt befanden sich drei auf Sockeln ruhende kolossale Standbilder, die links von einem massiven Turm, rechts von zwei miteinander verbundenen aufrechten Säulen getragen wurden; diese Säulen waren übrigens grösser als der ihnen gegenüberliegende Turm. Die an den Hafen stossenden Gebäude waren ebenfalls von weissem Marmor, und die Strassen der Stadt liefen in gleichen Abständen voneinander alle auf den Hafen zu. Dem Hafeneingang gegenüber stand auf einem Hügel ein durch Grösse und Schönheit ausgezeichneter Tempel des Caesars, und in demselben seine Kolossalbildsäule, die ihrem Muster, dem Olympischen Zeus, nichts nachgab, sowie
1 Eine jüdische Elle ist etwa einem halben Meter gleich.
2 D. i. Bollwerk gegen den Anprall der Wogen.
Seite 118 eine solche der Roma nach dem Vorbild der Here zu Argos. Die Stadt nun weihte Herodes der Provinz, den Hafen den ihn benutzenden Seefahrern, die Ehre der ganzen Anlage aber dem Caesar, nach welchem er die Stadt Caesarea benannte. 8. Auch die übrigen von ihm dort errichteten Gebäude, ein Amphitheater und ein Theater, sowie der Marktplatz waren des Beinamens, den sie trugen, wohl wert. Sodann stiftete der König fünfjährige 1 Kampfspiele, die er gleichfalls nach dem Caesar benannte, und setzte fürs erste in der hundertzweiundneunzigsten Olympiade 2 selbst bedeutende Kampfpreise aus, wobei nicht nur die eigentlichen Sieger, sondern auch die zweit- und drittbesten nach ihnen seine königliche Freigebigkeit erfuhren. Weiterhin baute er die in den Kriegen zerstörte Seestadt Anthedon wieder auf und gab ihr den Namen Agrippium 3. Ja, aus übergrosser Ergebenheit gegen seinen Freund Agrippa liess er dessen Namen sogar über dem von ihm erbauten Thore des Tempels eingraben. 9. Auch in kindlicher Liebe liess er sich von nienmand übertreffen. So gründete er zum Andenken an seinen Vater in der schönsten Ebene seines Reiches 4, die gut bewässert war und Überfluss an Bäumen hatte, eine Stadt, die er Antipatris nannte. Seiner Mutter aber weihte er ein von ihm neu befestigtes, überaus starkes und schönes Kastell oberhalb Jericho, indem er ihm den Namen Kypron gab, und seinem Bruder Phasael den Phasaelsturm zu Jerusalem, dessen Gestalt und grossartige Pracht ich später 4 noch schildern werde. Gleichfalls Phasael zu Ehren gründete er die Stadt Phasaelis
1 D. h. alle fünf Jahre wiederkehrende.
2 Eine Olympiade war ein Zeitraum von vier Jahren; die Rechnung nach Olympiaden begann 776 v. Chr.
3 J. A. XIII, 13, 3 heisst sie Agrippias.
4 Ebene Saron. 5 V, 4, 3.
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seitwärts von der Thalschlucht, die von Jericho aus in nördlicher Richtung sich erstreckt. 10. Nachdem er so das Andenken seiner Verwandten und Freunde verewigt hatte, sorgte er auch für sein eigenes, indem er auf dem Gebirge gegen Arabien hin eine Festung erbaute, die er nach sich selbst Herodium nannte. Den gleichen Namen gab er einem in Gestalt einer weiblichen Brust von Menschenhand aufgeworfenen, sechzig Stadien von Jerusalem entfernten Hügel, den er aber mit grösserer Pracht ausschmückte. Seine Kuppe nämlich umgab er mit runden Türmen, und die von diesem Festungsring eingeschlossene Fläche besetzte er mit herrlichen Palästen, die nicht nur im Innern glänzend anzuschauen, sondern auch aussen an Wänden, Zinnen und Dächern mit verschwenderischer Pracht ausgestattet waren. Mit ungeheurem Kostenaufwand liess er sodann aus weiter Ferne Wasser in reichlicher Menge herleiten und einen Aufstieg von zweihundert aus blendend weissem Marmor bestehenden Treppenstufen herstellen; denn der Hügel war ziemlich hoch und durchweg ein Werk von Menschenhand. Auch am Fusse desselben errichtete er noch weitere Paläste zur Aufnahme seiner Hofhaltung und seines Gefolges und gab ihnen eine so reiche Ausstattung, dass die ganze Anlage wie eine Stadt mit dem Umfang einer Königsburg aussah. 11. Als er diese grossartigen Bauwerke vollendet hatte, bewies er auch einer Anzahl auswärtiger Städte seine fürstliche Freigebigkeit. So versah er Tripolis, Damaskus und Ptolemais mit Ringschulen, Byblus mit einer Stadtmauer, Berytus und Tyrus mit Säulengängen, Hallen, Tempeln und Mirkten, Sidon und Damaskus mit Theatern, die Seestadt Laodikea mit einer Wasserleitung, Askalon mit prachtvollen Bädern und Brunnen und ausserdem noch mit Säulenhallen von staunenswerter Grösse und Arbeit. Anderen Städten schenkte er Haine und Wiesen, und viele erhielten sogar Lände-
1 Nach Eusebius war Herodes in Askalon geboren.
Seite 120 reien von ihm, als ob sie zu seinem Reiche gehörten. Vorsteherämter fremder Ringschulen dotierte er mit festen Jährlichen Einkünften, wobei er, wie zum Beispiel in Kos, zur Bedingung machte, dass es nie an Kampfpreisen fehlen dürfe. Weiterhin spendete er Getreide allen, die in Not waren; den Rhodiern gab er oft und bei verschiedenen Anlässen Geld zur Ausrüstung ihrer Flotte; den abgebrannten Tempel des Pythischen Apollo baute er auf eigene Kosten und schöner wieder auf. Wozu soll ich noch die Schenkungen erwähnen, die er den Lykiern und den Samiern zukommen liess, oder die Freigebigkeit, mit der er in ganz Ionien so manche Not linderte? Sind nicht Athen und Lakedaemon, Nikopolis und die mysische Stadt Pergamos voll von Weihgeschenken des Herodes? Und hat er nicht die wegen ihres Schmutzes gemiedene Hauptstrasse von Antiochia in Syrien in der Länge von zwanzig Stadien mit geglattetem Marmor gepflastert und zum Schutz vor dem Regen mit einem ebenso langen Säulengang geschmückt? 12. Kamen nun, wie man wohl sagen konnte, diese Wohlthaten zunächst nur den einzelnen Gemeinden zugut, denen sie erwiesen wurden, so bedachte er dagegen Elis mit einem Geschenk, an dem nicht nur Griechenland, sondern die ganze Welt Anteil hat, soweit der Ruf der olympischen Spiele gedrungen ist. Als er nämlich sah, dass diese Spiele aus Mangel an Geld dem Verfall nahe waren und somit das einzige Überbleibsel des alten Hellas zu verschwinden drohte, trat er nicht nur in dem Olympiadenjahr, in welches seine Seereise nach Rom fiel, als Preisrichter auf, sondern stiftete auch für alle kommenden Zeiten bestimmte Geldeinkünfte, wodurch er das Andenken an seine Thätigkeit als Kampfrichter verewigte. Doch ich würde wohl nicht zu Ende kommen, wollte ich auch noch alle die Schulden und Abgaben herzaihlen, die er nachliess; als Beispiel erwähne ich nur die Städte Phasaelis und Balanea sowie eine Reihe von Städtchen an der Grenze von Cilicien, denen er durch
Seite 121 Herabminderung ihrer jährlichen Abgaben Erleichterung verschaffte. Was übrigens seine Freigebigkeit am meisten hemmte, war die Furcht, dadurch Neid zu erregen oder in den Verdacht zu geraten, als ob er, indem er den Städten grössere Wohlthaten erwies wie ihre eigenen Gebieter, weiter ausschauende Pläne verfolge. 13. Den geistigen Vorzügen des Herodes entsprach sein Körper. Von jeher war er ein vortrefflicher Jager, wobei ihm seine Geschicklichkeit im Reiten besonders zu statten kam. So erlegte er einst an einem Tage vierzig Stück Wild. Das dortige Land nährt nämlich auch Wildschweine; reicher jedoch ist es an Hirschen und wilden Eseln. Als Krieger war Herodes unwiderstehlich, und auch bei den gymnastischen Übungen fürchteten sich gar viele vor ihm, da sie sahen, wie gerade er die Lanze warf und wie sicher er mit dem Bogen schoss. Bei all diesen geistigen und körperlichen Vorzügen war er auch noch vom Glücke begünstigt. Denn selten stiess ihm im Kriege ein Unfall zu, und wenn er einmal einen solchen erlitt, war nicht er selbst, sondern irgend ein Verräter oder die Unbesonnenheit seiner Soldaten daran schuld.
1. Sein äusseres Glück indes verleidete ihm das Schicksal durch häusliche Widerwärtigkeiten, und zwar ward eben das Weib, das er so innig liebte, die Ursache seines Unglückes. Nachdem er nämlich zur Regierung gelangt war, hatte er die Gattin, die er als Privatmann geheiratet hatte, eine Jerusalemerin mit Namen Doris, entlassen und Mariamne, die Tochter von Aristobulus Sohn Alexander, geehelicht. Schon früher zwar war
Seite 122 diese Verbindung für ihn die Quelle häuslicher Zwistigkeiten geworden; als er aber von Rom zurückgekehrt war, wurde sie dies mehr denn je. Zunächst verwies er um der Söhne Mariamnes willen seinen Sohn Antipater, den er von der Doris erhalten hatte, aus der Stadt und erlaubte ihm das Betreten derselben nur an Festtagen. Sodann räumte er den Grossvater seiner Gattin, Hyrkanus, der aus Parthien zu ihm gekommen war, aus dem Wege, weil er ihn im Verdacht einerVerschwörung hatte. Hyrkanus war bekanntlich von Barzapharnes bei dessen Einfall in Syrien gefangen genommen worden; seine Volksgenossen jenseits des Euphrat aber hatten aus Mitleid mit ihm seine Freilassung erbeten. Hatte er nun ihre Warnungen, nicht zu Herodes zu reisen, beachtet, so wäre er nicht ums Leben gekommen. Die Heirat seiner Enkelin aber ward die Verlockung, die ihm den Tod brachte. Denn im Vertrauen auf diese Verbindung und aus übergrossem Heimweh war er zurückgekehrt. Herodes war ihm übrigens nicht etwa deshalb feind, weil er wirklich seine Hand nach der Krone ausgestreckt hatte, sondern weil ihm dieselbe von Rechts wegen gebührte. 2. Mariamne gebar dem Herodes fünf Kinder, zwei Töchter und drei Söhne. Von den Söhnen starb der Jüngste in Rom, wo er sich zu seiner Bildung aufhielt. Den beiden älteren liess er teils wegen der vornehmen Abkunft ihrer Mutter, teils weil sie ihm während seiner eigentlichen Regierungszeit geboren waren, eine königliche Erziehung angedeihen. Noch mehr freilich veranlasste ihn dazu die Liebe zu Mariamne, welche von Tag zu Tag heftiger in ihm entbrannte, sodass er für das Herzeleid, das ihm die heissgeliebte Frau bereitete, noch nicht einmal eine Empfindung hatte. Denn so gross seine Liebe zu Mariamne, so gross war ihr Hass gegen ihn. Und da sie für diese Abneigung ihre guten auf Thatsachen beruhenden Gründe hatte, und die über-
1 Die babylonischen Juden.
Seite 123 Erstes Buch, 22. Kapitel
zeugung, geliebt zu sein, ihr Freimütigkeit verlieh, warf sie ihm unverhohlen vor, was er gegen ihren Grossvater Hyrkanus und ihren Bruder Aristobulus verbrochen hatte. Denn auch den letzteren hatte er trotz seiner Jugend nicht geschont, sondern, nachdem er ihn mit siebzehn Jahren zum Hohepriester ernannt, gleich nach seinem Amtsantritt getötet. Als nähmlich Aristobulus an einem Feste in der heiligen Gewandung zum Altare trat, weinte das versammelte Volk1, und das war der Grund, weshalb der junge Mann noch in der Nacht nach Jericho geschickt und dort von einigen dazu bestellten Galliern beim Baden in einem Teiche ertrankt wurde. 3. Wegen dieser Schandthat also machte Mariamne dem König Vorwürfe und überhäufte auch seine Schwester und seine Mutter mit argen Schmähungen. Herodes in seiner leidenschaftlichen Liebe schwieg still dazu; bei den Frauen dagegen setzte sich ein heftiger Groll fest, und um den König so recht in Wallung zu bringen, beschuldigten sie seine Gattin des Ehebruchs. Zum Beweise dieser Behauptung brachten sie unter anderem die Angabe vor, sie habe ihr Bild dem Antonius nach Aegypten gesandt und sich so in übermässiger Sinnlichkeit abwesend einem Manne gezeigt, der als Wüstling bekannt und auch imstande sei, Gewalt zu gebrauchen. 2 Wie ein Blitz traf diese Nachricht den Herodes, den ohnehin seine Liebe im höchsten Grade eifersüchtig gemacht hatte, und da er ausserdem auch an die Grausamkeit der Kleopatra dachte, der zulieb der König Lysanias und der Araber Malichus ihr Leben hatten lassen müssen, fürchtete er nicht nur, seine Gattin möchte ihm entrissen werden, sondern hielt auch sein eigenes Leben für gefährdet. 4. Im Begriff, zu verreisen, vertraute er daher dem Gemahl seiner Schwester Salome, Joseph mit Namen,
1 Aus Begeisterung für seine edle Erscheinung (vergl. J. A. XV, 3,3).
2 Dass das Verleumdung war, ergiebt sich aus J. A. XV, 2, 6.
Seite 124 einem zuverlässigen und schon aus verwandtschaftlichen Rücksichten ihm wohlgesinnten Manne, seine Gattin an und gab ihm insgeheim den Auftrag, sie zu töten, falls Antonius ihn, den König, ums Leben bringen würde. Joseph aber verriet das Geheimnis, nicht in böser Absicht, sondern um Mariamne die Liebe des Königs zu beweisen, der nicht einmal im Tode von ihr getrennt sein wolle. Als nun Herodes nach seiner Rückkehr ihr im vertraulichen Beisammensein wieder und wieder seine Liebe beteuerte und versicherte, dass er nie ein anderes Weib mit solcher Innigkeit werde lieben können, entgegnete sie: „Allerdings hast du deine Liebe zu mir glänzend bewiesen, indem du Joseph den Befehl gabst, mich zu töten!" 5. Kaum hatte Herodes das gehört, als er, seiner Sinne nicht mehr mächtig, die Worte hervorstiess:,Joseph würde wohl niemals den Befehl verraten haben, wenn er dich nicht gesclündet hätte!" Rasend vor Zorn sprang er sodann vom Lager auf und rannte in seinem Palast bin und her. Diesen für Verleumdungen so günstigen Augenblick erhaschte seine Schwester Salome und verstärkte den Verdacht gegen Joseph. Ausser sich vor Wut und Eifersucht gab Herodes nun den Befehl, die beiden auf der Stelle hinzurichten. Doch der leidenschaftlichen Aufwallung folgte sogleich die Reue, und kaum hatte der Zorn sich gelegt, so flammte die Liebe wieder auf. Ja, so stark ward die Glut seiner Sehnsucht, dass er an Mariamnes Tod durchaus nicht glauben wollte, sondern in seinem Gram sie anredete, als sei sie noch am Leben, bis er endlich, von der Zeit belehrt, die Dahingeschiedene mit derselben Inbrunst betrauerte, mit der er sie im Leben geliebt hatte.
1 Die Söhne erbten den Hass ihrer Mutter und betrachteten, wenn sie der Unthat ihres Vaters gedachten, denselben nicht anders denn als Feind. Bereits in Rom hatte diese Gesinnung sich ihrer bemächtigt, als sie dort ihrer Studien halber sich aufhielten; nach ihrer Heimkehr aber verschärfte sich dieselbe noch ganz erheblich und wuchs mit den Jahren mehr und mehr an. Als sie dann, im heiratsfähigen Alter angelangt, sich vermählten, der eine mit der Tochter seiner Tante Salome I, die seine Mutter angeklagt hatte, der andere mit der Tochter des Kappadocierkönigs Archelaus 2, gaben sie ihrem Hass auch in freimütiger Rede Ausdruck. Ihre Kühnheit aber benutzten Verleumnder dazu, ihnen Schlingen zu legen, und bald sagten gewisse Leute dem Könige ziemlich deutlich, seine beiden Söhne führten etwas gegen ihn im Schilde; ja, der Schwiegersohn des Archelaus, rüste sich im Vertrauen auf seinen Schwiegervater bereits zur Flucht, um Herodes beim Caesar zu verklagen. Solche Ohrenbläsereien verfehlten auf die Dauer ihre Wirkung beim Könige nicht, und so nahm er den Sohn der Doris, Antipater, gleichsam als Schutzwehr gegen seine anderen Söhne wieder auf und fing an, ihn auf alle mögliche Weise vorzuziehen. 2. Diese Veränderung aber war für die Söhne der Mariamne unerträglich, und da sie den Sohn der Mutter aus bürgerlichem Stande in so hohem Grade begünstigt sahen, vermochten sie als Sprösslinge eines edlen Geschlechtes ihren Unwillen nicht zu unterdrücken, sondern liessen bei jeder neuen Kränkung ihren Groll offen
1 Berenike
2 Glaphyra
Seite 126 hervortreten. Während nun die beiden Prinzen von Tag zu Tag aufsässiger wurden, suchte Antipater seine eigenen Interessen zu fördern, indem er seinen Vater mit grossem Geschick umschmeichelte, gegen seine Brüder allerlei Ränke schmiedete und teils selbst sie anschwärzte, teils durch seine Freunde Verleumdungen ausstreuen liess, bis er ihnen endlich alle Hoffnung auf den Thron abgeschnitten hatte. Denn nicht nur war er im Testament bereits als erklärter Thronfolger aufgeführt, sondern er wurde auch mit königlichem Geprange und Gefolge zum Caesar geschickt, sodass ihm zum Könige eigentlich nur das Diadem noch fehlte. Ja, allmählich stieg sein Einfluss so sehr, dass er seine Mutter in Mariamnes Ehebett zurückbrachte. Den König aber wusste er durch zwei Waffen, die er zum Nachteil seiner Brüder gebrauchte, Schmeichelei nämlich und Verleumdung, so zu bearbeiten, dass dieser bereits den Gedanken fasste, die beiden hinrichten zu lassen. 3. Den Alexander wenigstens schleppte Herodes nach Rom und beschuldigte ihn vor dem Caesar, seinem Vater mit Gift nach dem Leben getrachtet zu haben1. Hierauf wusste Alexander zunächst vor schmerzlicher Bestürzung kaum etwas zu erwidern. Da er sich aber einem Richter gegenüber sah, der erfahrener war als Antipater und vernünftiger als Herodes, fasste er sich und verschleierte zwar die Febler seines Vaters voll Ehrerbietung, wies aber um so entschiedener dessen falsche Beschuldigungen zurück. Nachdem er darauf auch die Unschuld seines mit ihm in gleicher Gefahr schwebenden Bruders dargethan hatte, beschwerte er sich über Antipaters Arglist und die ihnen widerfahrene Zurücksetzung, wobei ihm nicht nur sein reines Gewissen, sondern auch seine machtvolle Beredsamkeit zu Hilfe kam; denn er war ein ausgezeichneter Redner. Und als er dann schliesslich noch ausrief, ihr Vater möge sie immerhin töten, da er
1 Nach J. A. XVI, 4, 1ff. nahm Herodes beide Söhne, Alexander und Aristobulus, mit nach Italien, und nach 4,1 fand die Verhandlung nicht in Rom, sondern in Aqileja statt.
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nun einmal die Beschuldigung gegen sie vorgebracht habe, rührte er alle Anwesenden zu Tränen und versetzte auch den Caesar in eine solche Gemütsbewegung, dass dieser die gegen die Prinzen erhobene Anklage verwarf und Herodes sogleich mit ihnen aussöhnte. Zur Bedingung wurde dabei gemacht, dass die beiden ihrem Vater in allen Stücken gehorsam sein sollten, letzterer aber zu seinem Nachfolger ernennen könne, wen er wolle. 4. Hierauf kehrte der König von Rom aus heim und gab sich den Anschein, als lege er den gegen seine Söhne vorgebrachten Beschuldigungen kein Gewicht mehr bei, wmährend er doch in Wirklichkeit von Argwohn durchaus nicht frei war. Dafur sorgte schon der Rankestifter Antipater, der ihn begleitete, wenn derselbe auch aus Furcht vor dem hohen Vermittler es nicht wagte, seine Feindschaft offen zu zeigen. Als sie nun an der Küste von Cilicien dahinsegelten, landeten sie auf Elaeusa, wo Archelaus sie freundlich bewirtete, für die Rettung seines Schwiegersohnes dankte und sich über die Versöhnung hocherfreut zeigte, zumal er selbst sogleich an seine Freunde in Rom geschrieben hatte, sie möchten Alexander bei der Führung seiner Sache behilflich sein. Alsdann gab er seinen Gasten bis Zephyrium das Geleit und verehrte ihnen Geschenke im Betrage von dreissig Talenten. 5. In Jerusalem angelangt, versammelte Herodes das Volk, stellte ihm seine drei Söhne vor, gab über seine Reise Rechenschaft und sprach seinen innigen Dank gegen Gott aus sowie gegen den Caesar, der den Zwistigkeiten in seinem Hause ein Ende gemacht und seinen Söhnen ein Gut verliehen habe, grosser als die Herrschaft, nämlich die Eintracht. „An mir", fuhr er fort, „soll es gelegen sein, dieses Band noch fester zu knüpfen. Der Caesar hat bestimmt, dass ich der alleinige Herrscher in meinem Reiche sein und das Recht haben soll, über meinen Nachfolger zu entscheiden. Indem ich nun, ohne mein eigenes Interesse hintanzusetzen, in seinem Sinne zu handeln suche, ernenne ich diese meine drei
Seite 128 Söhne zu Königen und bitte nächst Gott auch euch, diesem Beschluss zuzustimmen. Denn bei dem einen lässt sein Alter, bei den anderen ihre edle Abkunft den Anspruch auf die Thronfolge gerechtfertigt erscheinen, und das Königreich ist ja auch so gross, dass es noch für mehrere zureichen würde. So wollet denn das Recht derer, die der Caesar in Eintracht verbunden und ihr Vater eingesetzt hat, anerkennen und einem jeden von ihnen die gebührende Ehre rückhaltlos erweisen, und zwar nach dem Vorrang des Alters; denn die Freude dessen, der mehr geehrt würde, als ihm seinem Alter gemäss zusteht, würde wohl nicht so gross sein, wie der Schmerz des dadurch Zurückgesetzten. Welche Verwandten und Freunde nun die Umgebung der einzelnen Prinzen bilden sollen, werde ich bestimmen. Dieselben werden mir zugleich dafür bürgen müssen, dass die Eintracht unter meinen Söhnen aufrecht erhalten wird. Denn ich weiss recht wohl, dass Hader und Streit vielfach nur durch rünkesiuchtige Höflinge hervorgerufen werden, dass aber auch anderseits nichts geeigneter ist, die gegenseitige Zuneigung zu fordern, als eine rechtschaffene Umgebung. Ferner ist es mein Wille, dass nicht nur diese meine Söhne, sondern auch die Offiziere meines Heeres für jetzt noch an mir allein ihren Rückhalt suchen. Denn nicht das Königtum selbst, sondern nur dessen Ehre übertrage ich meinen Söhnen, sodass also sie die Annehmlichkeiten davon geniessen, während ich selbst die Lasten, freilich ungern genug, zu tragen habe. Bedenke doch ein jeder von euch mein Alter, meine Lebensweise und meine Frömmigkeit. Wahrlich, ich bin weder so alt, dass man schon bald mein Ende zu erwarten hatte, noch frone ich der Uppigkeit, die selbst jungeLeute dahinzuraffen pflegt, und die Gottheit habe ich stets so verehrt, dass ich mich wohl auf eine recht lange Lebensdauer freuen darf1. Wer also in der 1 Mit seiner FrSmmigkeit sah es jedoch in Wirklichkeit sehr windig aus; denn was er darin leistete, diente nur der Befriedigung seines Ehrgeizes und seiner Prachtliehe.
Seite 129 Hoffnung auf mein baldiges Ableben meinen Söhnen den Hof macht, der wird mir auch um ihretwillen dafür büssen müssen. Denn nicht etwa aus Eifersucht will ich übertriebene Ehrenbezeugungen gegen die, die ich gezeugt, vermieden wissen, sondern weil ich weiss, dass Schmeichelei für junge Leute leicht eine Anreizung zum Trotze wird. Wenn daher jeder, der mit ihnen verkehrt, erwagt, dass nur der Gutgesinnte auf meinen Dank rechnen kann, der Störenfried dagegen nicht einmal von dem, welchem er schmeichelt, eine Belohnung für seine Schlechtigkeit zu erwarten hat, so werden, glaube ich, alle meine Unterthanen mein Interesse wahrnehmen, das ja auch zugleich das meiner Söhne ist; denn diesen kann es nur Nutzen bringen, wenn ich an der Spitze und in gutem Einvernehmen mit ihnen bleibe. Ihr aber, meine braven Söhne, denkt an die heiligen Bande der Natur, die selbst beim wilden Tier die Fortdauer der Liebe sichern, an den Caesar, der die Versöhnung zwischen uns zustande gebracht, und dann endlich auch an mich, der ich da bitte, wo ich befehlen könnte, und bleibet BruiderI Ich gebe euch nun königliche Gewänder und königliche Hofhaltung und fehe zu Gott, dass er dieser meiner Entscheidung seinen Schutz nicht versagen möge, wofern ihr nur einig bleibt." Nach dieser Ansprache umarmte er liebevoll jeden seiner Söhne und entliess dann das Volk, von welchem der eine Teil seinen Worten den besten Erfolg wünschte, während die Neuerungssüchtigen sich stellten, als hatten sie nichts gehört.
1. Die Brüder aber liessen von ihrer Zwietracht nicht ab, und als sie sich trennten, war ihr Argwohn gegeneinander schlimmer denn zuvor. Alexander und Aristo-
Seite 130 bulus fühlten sich dadurch gekränkt, dass dem Antipater sein Altersvorrang nunmehr förmlich bestätigt worden war; dieser hingegen missgönnte seinen Brüdern selbst das noch, dass sie die nächsten nach ihm sein sollten. Während aber Antipater seine Gedanken für sich zu behalten verstand und als äusserst verschmitzter Mensch seinen Hass gegen die Brüder geschickt verbarg, hatten die letzteren, wie es ihre edle Abkunft mit sich brachte, stets das Herz auf der Zunge. Zudem gaben sich viele ihrer Freunde eifrig Mühe, sie aufzuhetzen, und noch grösser war die Zahl derer, die sich als Späher bei ihnen eingeschlichen hatten. So kam es, dass jedes Wort Alexanders schon im nächsten Augenblick bei Antipater war, von wo es dann mit Zusätzen zu Herodes wanderte. Selbst ganz harmlose Äusserungen des jungen Mannes wurden in verleumderischem Sinne verdreht und als schuldvoll ausgelegt; hatte er aber einmal auch nur ein klein wenig freier gesprochen, so that die Phantasie das ihrige, um die Kleinigkeit ins ungeheuerliche aufzubauschen. Dabei schickte Antipater unter der Hand stets Leute ab, die Alexander aufhetzen sollten, damit die Lüge durch wirkliche Vorgänge wenigstens in etwa gestützt würde. Denn wenn selbst nur ein Körnchen von dem, was das Gerücht meldete, sich als wahr erwies, fand das übrige um so eher Glauben. Seine eigenen Freunde dagegen waren entweder von Natur sehr verschwiegen oder durch Geschenke soweit bearbeitet, dass sie nichts von dem verlauten liessen, was geheim gehalten werden sollte. Ganz treffend könnte man Antipaters Leben einen Geheimdienst der Bosheit nennen. Denn auch diejenigen, welche mit Alexander verkehrten, hatte er durch Bestechung oder arglistige Schmeichelei, seine Hauptlockmittel, zu Verrätern gemacht, die alles, was vorging oder gerddet wurde, ihm insgeheim zutrugen. Er selbst gab dabei den richtigen Schauspieler ab und wusste mit grosser Schlauheit seine Verleumdungen bei Herodes anzubringen, indem er selbst die Maske als Bruder trug und andere Leute als Angeber vorschob.
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War nun über Alexander etwas hinterbracht worden, so kam er scheinbar zufällig zu Herodes, verwarfanfangs das Gesagte, wusste es aber dann doch unvermerkt glaublich zu machen und den Unwillen des Königs zu erregen. Alles musste auf Nachstellungen bezogen werden und den Anschein erwecken, als ob Alexander die Ermordung seines Vaters plane; nichts aber vermochte den Verleumdungen mehr Glauben zu verschaffen, als Antipaters Auftreten in der Rolle des Verteidigers. 2. So verbitterte sich denn des Herodes Gemüt mehr und mehr, und in dem Masse, wie er tagtäglich seine Liebe den jungen Leuten entzog, wandte er dieselbe Antipater zu. Mit ihm zog sich übrigens auch die Hofgesellschaft von den Prinzen zurück, die einen freiwillig, die anderen auf Befehl, wie Ptolemaeus, der angesehenste Freund des Königs, ferner des Herodes Brüderl und seine ganze übrige Familie. Denn Antipater galt alles, und allvermögend war zum grossen Leidwesen Alexanders auch Antipaters Mutter, deren Rat stets gegen ihn und seinen Bruder Aristobulus sich richtete, und die, weil sie schlimmer wie eine Stiefmutter war, die Söhne der Königin auch bitterer denn als blosse Stiefsöhne hasste. Von allen Seiten wurde nun Antipater um seiner glänzenden Aussichten willen der Hof gemacht, während anderseits ein Befehl des Königs den Vornehmen jeden Verkehr mit Alexander und seiner Umgebung untersagte und dadurch die beiden jungen Leute vollends aller ihrer Freunde beraubte. Denn das vom Caesar dem Herodes verliehene, sonst noch keinem König zugestandene Recht, flüchtige Personen selbst aus einer ihm nicht gehörenden Stadt herausholen zu dirfen, schreckte nicht nur die einheimischen, sondern auch die auswärtigen Freunde der Prinzen ab. Von allen diesen Ranken nun hatten die beiden nicht die geringste Ahnung, und so konnte es bei ihrer Unvorsichtigkeit
1 Muss wohl heissen: Bruder, da von des Herodes Brüdern ja nur noch einer, Pheroras, am Leben war.
Seite 132 nicht ausbleiben, dass sie mehr und mehr in dieselben verstrickt wurden. Ihr Vater nämlich machte ihnen niemals offene Vorwürfe, und nur seine Kälte und sein rasches Aufbrausen bei unangenehmen Vorfallen liess sie den Sachverhalt vermuten. Unterdessen hatte Antipater auch ihren Oheim Pheroras gegen sie eingenommen sowie ihre Tante Salome, mit der er so vertraulich, als wäre sie seine Gattin, verkehrte, um sie aufzuhetzen. Die Feindseligkeit der Salome erhielt übrigens noch besondere Nahrung durch die Prahlerei der Gemahlin Alexanders, Glaphyra, die gern ihre vornehmen Ahnen aufzählte und als Sprössling des Temenos von väterlicher und des Darius Hystaspis von mütterlicher Seite sich als Gebietern sämtlicher im Königshause befindlichen Frauen geberdete. Auch schmähte sie gar häufig nicht nur des Herodes Schwester wegen deren niedriger Herkunft, sondern auch seine Gattinnen, von denen sie behauptete, der König habe sie doch nur um ihrer körperlichen Schönheit, nicht um ihres Adels willen zur Ehe genommen. Herodes hatte nämlich eine ganze Anzahl Frauen, einmal weil den Juden nach ihrem Gesetze Vielweiberei gestattet ist, und dann auch, weil er sein Vergnügen daran fand. Alle diese Frauen wurden nun infolge von Glaphyras Grossthuerei und Lasterreden zu erbitterten Feindinnen Alexanders. 3. Aber auch Aristobulus zog sich, obwohl er Salomes Schwiegersohn war, deren Feindschaft zu, und das uM so mehr, als sie bereits durch Glaphyras Lästerungen in Zorn versetzt war. Er warf nämlich seiner Gattin beständig ihre unedle Abkunft vor und beklagte sich darüber, dass, während sein Bruder Alexander eine Königstochter geheiratet habe, er selbst mit einer Frau aus birgerlichem Stande sich habe begnügen müssen. Unter Tränen hinterbrachte sie dies ihrer Mutter Salome und fügte hinzu, Alexander und Aristobulus hatten gedroht, sie wollten, wenn sie nur erst am Ruder wären,
1 Mythischer König von Argos.
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die Mutter ihrer übrigen Brüder wie Sklavinnen an den Webstuhl schicken und die Brüder selbst zu Dorfschreibern machen, da dieselben ja, wie sie spöttelnd hinzugefügt, eine so vortreffliche Ausbildung genossen hatten. Salome vermochte ihren Ärger hierüber nicht zu bemeistern, sondern teilte alles ihrem Bruder Herodes mit, und da sie gegen ihren eigenen Schwiegersohn auftrat, fand sie leicht Glauben. Noch ein anderes Gerede trug dazu bei, den Zorn des Königs zu entflammen. Es ward ihm nämlich zu Ohren gebracht, die Söhne der Mariamne riefen häufig unter Schluchzen und Verwünschungen gegen Herodes den Namen ihrer Mutter aus, und jedesmal, wenn ihr Vater ein Kleid der Mariamne einer der später geehelichten Frauen zuteile, verstiegen sie sich zu der Drohung, statt königlicher Gewänder würden diese Weiber wohl bald harene anlegen müssen. 4. So sehr nun auch dieses stolze Gebaren derjungen Leute den König beunruhigte, gab er doch die Hoffnung, sie auf bessere Wege zu bringen, nicht auf. Im Begriff, nach Rom zu reisen, berief er sie daher zu sich und stiess zunächst einige Drohungen in seiner Eigenschaft als König gegen sie aus; dann aber sprach er ihnen als Vater zu, ermahnte sie, ihre Brüder zu lieben, und verhiess ihnen Verzeihung für die bisher begangenen Fehler, wenn sie sich in Zukunft bessern wollten. Die beiden wiesen hierauf das gegen sie vorgebrachte Geschwätz als lügenhaft zurück und betonten, dass doch schon ihre Handlungen dazu angethan seien, ihrer Verteidigung Glauben zu verschaffen. Nun solle der König aber auch den Klatschereien einen Riegel vorschieben und nicht mehr so leichtgläubig sein; denn an Lügen gegen sie werde es wohl so lange nicht fehlen, als es jemand gebe, der sie glaube. 5. Indem sie sich mit diesen Vorstellungen an das Vaterherz des Königs wandten, beseitigten sie zwar für den Augenblick die Gefahr; um so trauriger aber gestalteten sich ihre Aussichten für die Zukunft, da sie jetzt von der feindseligen Stimmung der Salome und
ihres Oheims Pheroras Kenntnis erlangten. Beide waren erbitterte und gefährliche, Pheroras aber dazu auch noch ein mächtiger Gegner; denn er war Mitregent des Herodes,nur ohne Krone, hatte hundert Talente Einkünfte von eignem Besitz und genoss den Ertrag des ganzen Landes jenseits des Jordan als Geschenk seines Bruders, der ihn auch mit Einwilligung des Caesars zum Tetrarchen gemacht und der Ehe mit dem Spross eines Königshauses gewürdigt hatte, indem er ihm die Schwester seiner eigenen Gattin vermählte. Nach deren Tod hatte der König ihm seine älteste Tochter nebst einer Mitgift von dreihundert Talenten zugedacht, doch war Pheroras aus Liebe zu einer Sklavin der Heirat mit der Königstochter aus dem Wege gegangen. Aus Ärger darüber vermählte nun Herodes seine Tochter mit einem seiner Neffen l, der später im Kriege gegen die Parther fiel, liess aber doch bald seinen Zorn gegen Pheroras aus Nachsicht mit dessen Liebeskrankheit fahren. 6. Schon früher, als die Königin 2 noch lebte, war Pheroras beschuldigt worden, dem Könige mit Gift nach dem Leben getrachtet zu haben. Jetzt aber häuften sich die diesbezüglichen Anschuldigungen wieder in dem Masse, dass Herodes, so innig er seinen Bruder auch liebte, doch endlich dem Gerede Glauben schenkte und in Angst geriet. Nachdem er nun dieserhalb viele von den als Mitwisser verdächtigten Personen hatte foltern lassen, kam schliesslich die Reihe auch an des Pheroras Freunde. Von diesen gestand zwar keiner einen förmlichen Mordanschlag ein, wohl aber vernahm man, dass Pheroras Anstalten getroffen habe, seine Geliebte zu entführen und mit ihr zu den Parthern zu fliehen, ferner dass Kostobar, der Gatte der Salome, mit dem sie der König vermählt hatte, nachdem ihr erster Gemahl wegen Ehebruchs hingerichtet worden war, jenen Plan
1 Einem Sohne Phasaels (s. J. A. XVI, 7, 3). Gemeint ist Mariamne, die, wie es scheint, allein unter allen Gattinnen des Herodes so genannt wurde.
2 Joseph (s. 22, 4 und 5).
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und die Flucht habe unterstützen wollen. Aber auch Salome blieb nicht frei von Beschuldigungen; denn ihr Bruder Pheroras klagte sie an, sich mit Syllaeus, dem Verwalter des gegen Herodes äusserst feindlich gesinnten Araberkönigs Obedas, in ein Verlöbnis eingelassen zu haben.1 Obwohl sie nun dieser wie aller übrigen von Pheroras wider sie erhobenen Anklagen überführt ward, erhielt sie dennoch Verzeihung, und auch den Pheroras sprach der König von dem ihm zur Last gelegten Vergehen frei 2. 7. So zog sich denn das Gewitter über Alexander allein zusammen und entlud sich gänzlich auf sein Haupt. Unter seinen Verschnittenen hatte der König drei, die er sehr schätzte, wie schon aus den ihnen obliegenden Dienstverrichtungen hervorging. Der eine nämlich versah das Amt eines Mundschenken, der andere trug bei Tische auf, und der dritte bediente ihn, wenn er zur Ruhe ging, und schlief in seiner nächsten Nähe. Diese drei nun machte Alexander durch grosse Geschenke seiner Wollust dienstbar. Der König aber erhielt Kenntnis davon und liess sie peinlich verhören. Hierbei gestanden sie den unzüchtigen Umgang sogleich ein und gaben auch die Versprechungen an, wodurch Alexander sie verführt habe. Von Herodes, habe er gesagt, dürften sie nichts mehr erhoffen; denn er sei ein alter Narr, der sich das Haar färbe, um für jung gehalten zu werden. Sie sollten sich vielmehr zu ihm halten, da er in Bälde selbst wider den Willen seines Vaters zur Herrschaft gelangen, seine Feinde züchtigen und seine Freunde, vor allen sie selbst, reich und glücklich machen werde. Schon seien im stillen die Grössen des Reiches auf seiner Seite, und die hohen wie niederen Offiziere hatten geheime Zusammenkünfte mit ihm.
1 Nach J. A. XVI, 7, 6 kam diese Ehe nicht zustande, weil Syllaeus sich weigerte, zum Judentum überzutreten.
2 Vergl. hierzu besonders J. A. XVI, 7, 3 - 7, 6. Die oben erwähnte Anklage gegen Pheroras wird übrigens im folgenden Kapitel noch einmal, und zwar ausführlicher, behandelt.
Seite 136 8. Diese Aussagen erschreckten den König in solchem Grade, dass er für den Augenblick nicht einmal offenen Gebrauch davon zu machen wagte. Er schickte vielmehr unter der Hand bei Nacht wie bei Tage Späher aus, durch die er alles erfuhr, was vor sich ging und gesprochen wurde; wer in Verdacht geriet, musste auf der Stelle sein Leben lassen. Voll von schrecklichem Frevel ward nun der Königspalast. Jeder nämlich erdichtete Verleumdungen, wie Feindschaft und Hass sie ihm eingaben, und viele missbrauchten den mordgierigen Zorn des Königs zum Nachteil ihrer Gegner. Die Lüge fand augenblicklich Glauben, und fast schneller, als die Beschuldigung ausgesprochen werden konnte, vollzog sich die Strafe. Ja, manchmal wurde jemand, der eben noch Ankläger gewesen, selbst angeklagt und zugleich mit seinem Opfer hingerichtet. Denn die Sorge um sein eigenes Leben verleidete dem König langwierige Untersuchungen. Schliesslich verbitterte sich sein Gemüt derart, dass er auch die Unschuldigsten nicht mehr gnädig ansah und sogar seine Freunde im höchsten Grade abstossend behandelte. So verbot er vielen von ihnen den Palast, und an wem seine Hand sich nicht vergreifen durfte, den beleidigte er mit Worten. Um nun auf Alexander zurückzukommen, so machte Antipater sich dessen unerquickliche Lage zunutze und liess, indem er seine Verwandten wie eine festgeschlossene Rotte um sich scharte, alle möglichen Verleumdungen gegen ihn los. Der König aber wurde durch Antipaters Blendwerk und Erdichtungen in solche Angst gejagt, dass er beständig Alexander mit gezücktem Schwert vor sich zu sehen wähnte. Er liess ihn daher plötzlich ergreifen und in Fesseln legen und schritt sodann zur Folterung seiner Freunde. Die meisten von diesen starben schweigend, ohne etwas wider besseres Wissen ausgesagt zu haben; diejenigen aber, welche durch die Folterqualen sich zu Lügen treiben liessen, sagten aus, Alexander trachte im Verein mit seinem Bruder Aristobulus dem Könige nach dem Leben und warte nur auf eine Gelegenheit, ihn auf
Seite 137 der Jagd zu ermorden und dann nach Rom zu fliehen. Solchen unwahrscheinlichen, weil in der Todesangst hervorgestossenen Geständnissen schenkte der König nur zu gern Glauben und tröstete sich über die Einkerkerung seines Sohnes mit der scheinbaren Gerechtigkeit dieser Massregel.
1. Als Alexander einsah, dass es unmöglich sei, seinem Vater eine andere Überzeugung beizubringen, beschloss er, der Gefahr kühn die Stirn zu bieten. Er verfasste daher vier Bücher gegen seine Feinde, worin er zwar den verbrecherischen Anschlag eingestand, zugleich aber auch die meisten seiner Gegner, besonders Pheroras und Salome, als seine Mitverschworenen bezeichnete. Letztere, behauptete er, habe sich sogar einmal des Nachts bei ihm eingedrängt und ihn wider seinen Willen zum Beischlaf genötigt. Diese Bücher voll schwerer Anklagen gegen die mächtigsten Personen waren schon in den Händen des Königs, als Archelaus aus Angst um seinen Schwiegersohn und seine Tochter eilends in Judaea ankam - ein sehr gewandter Helfer in der Not, da er die von seiten des Königs drohende Gefahr durch List abzuwenden verstand. Kaum nämlich war er bei Herodes eingetreten, als er in die Worte ausbrach: „Wo ist doch mein verruchter Schwiegersohn, und wo finde ich den Vatermörder, dass ich ihm das Haupt mit eigener Hand zerfleische? Auch meine Tochter will ich ihrem sauberen Gemahl beigesellen; denn wenn sie auch an seinen Anschlügen nicht teilnahm, so ist sie doch durch die eheliche Verbindung mit einerm solchen Menschen entehrt. Wundern muss ich mich nur
über die von dir, dem Gefährdeten, bewiesene Langmut, und dass Alexander überhaupt noch am Leben ist. Denn als ich von Kappadocien hierher eilte, nahm ich als selbstverständlich an, dass ich ihn schon längst hingerichtet finden und mit dir nur noch meine Tochter zur Verantwortung zu ziehen haben würde, die ich ihm aus Hochachtung vor dir und deinem Stande zur Ehe gegeben hatte. Nun aber müssen wir über beide beschliessen, und wenn du zu sehr Vater sein solltest und zu weichherzig, um den Sohn, der dir nach dem Leben trachtete, zu bestrafen, so wollen wir die Rollen tauschen und einer des anderen Zorn übernehmen." 2. Durch diese hochtönenden Worte wusste Archelaus den Herodes, wiewohl derselbe sich anfangs recht zurückhaltend benommen hatte, doch etwas zutraulicher zu machen. Und alsbald gab Herodes ihm die von Alexander verfassten Bücher zum überlesen, blieb bei jedem Hauptabschnitt derselben stehen und ging den Inhalt mit ihm durch. Diese Gelegenheit nahm Archelaus wahr, um seinen schlau ersonnenen Plan auszuführen, und schob unvermerkt alle Schuld auf die in der Schrift genannten Personen, besonders aber auf Pheroras. Sobald er nun merkte, dass der König anfing, seinen Worten Glauben zu schenken, fuhr er fort: „Wir müssen untersuchen, ob nicht vielmehr dem jungen Manne von diesen vielen Bösewichtern Fallen gelegt werden, statt dass er dir Nachstellungen bereitet. Denn es liegt doch eigentlich gar kein Grund vor, weshalb er sich eines solchen Frevels schuldig machen sollte, da er schon jetzt königliche Ehren geniesst und Aussicht auf die Thronfolge hat, es müssten denn Verführer dagewesen sein, die seinen jugendlichen Leichtsinn ausgebeutet hatten. Solche Menschen pflegen ja nicht bloss jungen, sondern auch alten Leuten gar oft den Kopf zu verdrehen und vornehme Familien wie ganze Königreiche ins Verderben zu stürzen." 8. Diesen Ausführungen zollte Herodes Beifall, und in dem Masse, wie sein Groll gegen Alexander nachliess,
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verstärkte sich seine Erbitterung gegen Pheroras, von dem die vier Bücher vornehmlich handelten. Als letzterer nun die gereizte Stimmung des Königs und den mächtigen Einfluss des Archelaus bemerkte, setzte er zum Zweck seiner Rettung, die er auf ehrenhafte Weise nicht zu erreichen vermochte, all seinen Mannesstolz beiseite. Ohne sich nämlich weiter um Alexander zu kümmern, nahm er seine Zuflucht zu Archelaus. Dieser erklärte ihm, er sehe keine Möglichkeit, der Gefahr zu entrinnen, da so viele Beschuldigungen gegen ihn vorlägen, aus denen klar hervorgehe, dass er dem Könige nach dem Leben gestellt und den jungen Mann in seine jetzige schlimme Lage gebracht habe; es sei denn, dass er sich entschliessen könne, aller Arglist und Lüge zu entsagen, die ihm zur Last gelegten Schandthaten einzugestehen und Herodes im Vertrauen auf dessen Bruderliebe um Verzeihung zu bitten. In diesem Fall wolle er seinerseits alles aufbieten, um ihm beizustehen. 4. Pheroras ging auf diesen Vorschlag ein, legte, um einen recht erbarmenswerten Eindruck zu machen, ein schwarzes Gewand an und fiel Herodes zu Füssen. Unter Tränen bat er ihn sodann, wie das früher schon manchmal geschehen war, um Verzeihung und bekannte sich als den ruchlosen Menschen, der alle die ihm vorgeworfenen Schlechtigkeiten sich habe zu schulden kommen lassen, jammerte aber zugleich darüber, dass die Leidenschaft für ein Weib ihn in Geistesverwirrung und Wahnsinn gestürzt habe. Nachdem nun Archelaus dergestalt es fertig gebracht hatte, Pheroras zum Ankläger und Zeugen wider sich selbst zu machen, da erst legte er sich aufs Bitten und suchte den Zorn des Herodes zu beschwichtigen, indem er ein Beispiel aus seiner Familie anführte. „Auch ich," sprach er, „hatte einen Bruder, von dem ich noch weit schlimmere Unbilden erfuhr, und doch habe ich das Gebot der Natur höher geachtet als das der Rache. Denn auch in Staaten
Nämlich die 24, 5 erwähnte Sklavin.
entstehen leicht, wie in grossen Leibern, infolge der Schwere einzelner Teile entzündliche Auswüchse, die man nicht abschneiden, sondern durch gelinde Mittel heilen muss." 5. Durch solche und ähnliche Vorstellungen gelang es Archelaus, den Herodes gegen Pheroras milder zu stimmen. Er selbst jedoch hielt an seinem scheinbaren Zorn gegen Alexander fest und erklärte sogar, er wolle seine Tochter von ihm trennen und mit sich nehmen, bis er endlich den Herodes so weit brachte, dass dieser sich für den jungen Mann ins Mittel legte und Archelaus bat, er möge doch Glaphyra ihrem Gatten belassen. Mit gewinnendster Freundlichkeit stellte nun Archelaus dem Könige frei, Glaphyra mit irgend einem beliebigen Manne zu vermählen, nur nicht mit Alexander; denn nichts liege ihm so sehr am Herzen, als die Aufrechterhaltung der guten Beziehungen, in denen er zu Herodes stehe. Letzterer jedoch versicherte, er werde seinen Sohn wie ein Geschenk aus Archelaus Hand annehmen, wenn dieser die Ehe ungelöst lassen wolle, die ja bereits mit Kindern gesegnet sei. Auch erfreue sich Glaphyra der zärtlichsten Liebe ihres Gatten und werde, so lange sie bei ihm bleibe, ihn gewiss vor ähnlichen Verirrungen bewahren. Werde sie ihm aber entrissen, so könne das leicht den jungen Mann zur Verzweiflung treiben; denn wo die angenehm zerstreuenden häuslichen Freuden fehlten, da sei das Ungestüm der Jugend nicht mehr in Schranken zu halten. Hierauf gab denn Archelaus, wiewohl zögernd, endlich nach, liess von seinem scheinbaren Unwillen gegen Alexander ab und söhnte den jungen Mann mit seinem Vater wieder aus. Doch, fügte er hinzu, müsse man ihn jedenfalls nach Rom schicken, damit er den Caesar sprechen könne; denn er selbst habe dem Augustus bereits über alles brieflichen Bericht erstattet. 6. Damit hatte Archelaus die Rolle des Verstellers zu Ende gespielt und seinen Schwiegersohn gerettet. Gelage und Freudenfeste folgten nun der Versöhnung,
Seite 141 und als Archelaus abreiste, verehrte Herodes ihm siebzig Talente, einen goldenen, mit Edelsteinen verzierten Thronsessel, mehrere Verschnittene und ein Kebsweib Namens Pannychis; auch das Gefolge ward entsprechend beschenkt. Weitere prächtige Gaben erhielt Archelaus auf Befehl des Königs von dessen Verwandten. Alsdann gaben Herodes und die Grössen ihm das Geleit bis Antiochia.
1. Bald darauf landete in Judaea ein Mann, der in listigen Kunstgriffen noch erfahrener war als Archelaus, und der nicht bloss die von letzterem zu gunsten Alexanders bewirkte Aussöhnung wieder zunichte machte, sondern auch dazu noch den Untergang des Prinzen verschuldete. Es war dies ein Lakedaemonier mit Namen Eurykles, den schnöde Geldgier ins Jüdische Königreich geführt hatte, nachdem Griechenland für seine Verschwendungssucht zu klein geworden war. Dem Herodes brachte er als Lockmittel glänzende Geschenke, um dadurch seine Zwecke zu fördern, und erhielt auch wirklich sogleich Gegengeschenke von weit höherem Wert. Doch nicht zufrieden mit dieser reinen Gabe, glaubte er vielmehr, die Gunst eines Königs auch noch mit Blut erkaufen zu müssen. Zunächst also schlich er sich bei Herodes durch Schmeicheleien und gleissnerische Lobeserhebungen ein, die er mit beredten Worten anzubringen wusste, und als er, was schnell der Fall war, des Königs Charakter durchschaut hatte, redete und that er alles nur ihm zu Gefallen. Auf diese Weise wurde er bald einer der vertrautesten Freunde des Herodes und als Spartaner von diesem wie dem ge-
Seite 142 samten Hofe schon um seines Vaterlandes willen mit grösster Auszeichnung behandelt. 2. Kaum nun hatte dieser Mann die wunden Punkte der königlichen Familie, nämlich die Feindseligkeit zwischen den Brüdern und die ungleichartige Gesinnung des Vaters seinen Söhnen gegenüber bemerkt, als er unter dem Vorgeben, ein alter Freund des Archelaus zu sein, Wohlwollen für Alexander heuchelte, während er doch bereits bei Antipater gastliche Aufnahme gefunden und bei dieser Gelegenheit sich in dessen Vertrauen eingeschlichen hatte. Von Alexander ward er übrigens aus dem erwähnten Grunde sogleich wie ein erprobter Freund aufgenommen, und auch bei dessen Bruder Aristobulus wusste er sich alsbald zu empfehlen. In allen Rollen bewändert, verstand er jedem auf eine besondere Art beizukommen; vorzugsweise jedoch ward er Antipaters Soldling und Alexanders Verräter. Dem ersteren machte er Vorwürfe darüber, dass er als der älteste Prinz Leute neben sich dulde, die nur darauf ausgingen, seine Anwartschaft auf den Thron zunichte zu machen, dem Alexander aber darüber, dass er, der Sohn einer Königin und Gemahl einer Königstochter, der noch dazu an Archelaus einen so trefflichen Rückhalt habe, es zulasse, dass der Sohn eines bürgerlichen Weibes zur Thronfolge gelange. Weil nun Eurykles sich lügenhafterweise auf die Freundschaft des Archelaus bezog, glaubte Alexander an ihm einen zuverlässigen Ratgeber zu haben und beklagte sich deshalb nicht nur offenherzig bei ihm über Antipater, sondern liess auch die Bemerkung fallen, Herodes, der ihre Mutter ermordet habe, werde sich wohl auch kein Gewissen daraus machen, ihnen den Thron zu entreissen, auf den sie als die Söhne eben dieser Mutter ein Anrecht hatten. Auf diese Äusserungen hin verfehlte Eurvkles nicht, Mitleid und
1 Die Juden hatten bereits zu wiederholten Malen Freundschaftsbündnisse mit den Lakedaemoniern geschlossen (s. J. A. XII, 4, 10; XIII, 5, 8).
Seite 143 Bedauern zu heucheln. Sobald er aber auch dem Aristobulus ähnliche Klagen entlockt und beide zu unzufriedenen Auslassungen über ihren Vater verleitet hatte, hinterbrachte er schleunigst das Geheimnis dem Antipater, nicht ohne die rein erfundene Behauptung hinzuzufügen, die Brüder hätten es auf seine Ermordung abgesehen und seien drauf und dran, ihn mit blanker Waffe zu überfallen. Reich beschenkt für diese Mitteilungen, strich er sodann Antipater bei Herodes gehörig heraus und arbeitete endlich geradeswegs auf Aristobulus und und Alexanders Untergang hin, indem er sie bei ihrem Vater anklagte. Alsbald nämlich begab er sich zu Herodes und erklärte ihm, er wolle ihm als Gegengeschenk für die empfangenen Wohlthaten und zum Dank für die genossene Gastfreundschaft das Leben retten. Schon lange sei das Schwert zur Ermordung des Königs geschürft und Alexanders Rechte gegen ihn ausgestreckt. Doch habe er, Eurykles, die Ausführung des Anschlages aufzuhalten gewusst, indem er der Verschwörung zum Schein als Genosse beigetreten sei. Alexander pflege zu sagen, Herodes sei nicht zufrieden, auf einem Thron zu sitzen, der ihm nicht gehore, und nach der Ermordung ihrer Mutter deren Reich zu zerstückeln, sondern er stelle auch noch einen Bastard als Thronfolger auf, diesen verwünschten Antipater, dem er ihr angestammtes Königreich zugedacht habe. Er aber, Alexander, werde den Schatten des Hyrkanus und der Mariamne ein Suhnopfer darbringen; denn aus der Hand eines solchen Vaters dürfe er die Herrschaft nicht ohne Blutvergiessen annehmen. ltbrigens vergehe kein Tag, an dem er nicht durch vielfache Anlisse gereizt werde, und kein Wort komme über seine Lippen, das man unverdreht lasse. Sei von der edlen Abkunft anderer Menschen die Rede, so schmähe man ihn ohne Grund, und besonders Herodes pflege dann zu bemerken: „Alexander allein ist edelgeboren, darum missachtet er auch seinen Vater, der von geringer Herkunft ist." Auf der Jagd stösse man sich daran, wenn er schweige;
Seite 144 thue er aber seinen Mund auf, um eine Anerkennung auszusprechen, so wolle man einen Spott heraushören. Bei jeder Gelegenheit fahre sein Vater ihn rauh an, und nur gegen Antipater erweise derselbe sich liebreich. Gern wolle er deshalb sterben, wenn der Anschlag gegen Herodes fehlgehe. Gelinge dagegen die Ermordung des Königs, so erwarte er Rettung in erster Linie von seinem Schwiegervater Archelaus, zu dem er leicht werde entkommen können, und nächst ihm vom Caesar, der bis jetzt den wahren Charakter des Herodes noch gar nicht kenne. Denn nicht wie früher werde er ihm dann gegenüberstehen, zitternd vor dem mitanwesenden Vater, noch sich auf die seine Person allein betreffenden Klagen beschränken, sondern vornehmlich wolle er dann das Elend seines Volkes schildern und darthun, wie man demselben durch Steuerdruck das Mark ausgepresst, für welche Schlemmereien und Schandthaten man das Blutgeld verschleudert, was für Menschen es seien, die sich vom Eigentum seiner Landsleute bereichert, und denen man ganze Städte zum Geschenk gemacht; da endlich wolle er auch um Rache rufen für seinen Grossvater und seine Mutter und alle Greuel der jetzigen Regierung ans Licht bringen. Dass man ihn aber dann noch als Vatermörder verurteilen werde, glaube er nun und nimmer. 3. Als Eurykles mit diesen seinen abenteuerlichen Lügen über Alexander zu Ende war, überhäufte er Antipater mit Lobsprüchen und hob hervor, wie dieser allein seinen Vater liebe, und wie deswegen an ihm allein bisher der Anschlag gegen des Königs Leben gescheitert sei. Herodes, der die früheren Vorfalle noch nicht ganz vergessen hatte, geriet nunmehr in rasenden Zorn. Antipater aber nahm, wie auch früher, die günstige Gelegenheit wahr, um andere Ankläger gegen seine Brüder vorzuschieben, welche aussagten, die Prinzen hatten heimliche Zusammenkünfte mit Jucundus und Tyrannus gehabt, zwei ehemaligen königlichen Reiteroffizieren, die Jüngst wegen gewisser Verfehlungen ihres Dienstes enthoben worden waren. Dadurch ward Herodes
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in die äusserste Wut versetzt und liess die letzteren augenblicklich der Folter unterwerfen. Sie bekannten jedoch nichts von dem, was man ihnen fälschlich zur Last gelegt hatte. Nun wurde auch noch ein Brief Alexanders vorgebracht, in welchem er den Kommandanten einer Festungl des Königs ersuchte, ihn nach der Ermordung seines Vaters mit seinem Bruder Aristobulus in die Festung aufzunehmen und ihm die Benutzung der Waffen und anderen Kriegsgeräte zu gestatten. Diesen Brief erklärte Alexander für eine Fälschung des Diophantos, eines königlichen Schreibers, der ein frecher Mensch und in der Nachahmung von Handschriften äusserst geschickt war. Nachdem er übrigens eine Menge derartiger Fülschungen begangen hatte, ward er endlich wegen einer gleichen Frevelthat hingerichtet. Herodes liess darauf den Festungskommandanten ebenfalls foltern, vermochte aber auch aus ihm nichts herauszubringen, was auf die Anklage Bezug hatte. 4. Obwohl nun der König die Beweise schwach fand, liess er doch seine Söhne verhaften, vorläufig indes ohne sie zu fesseln. Den Eurykles aber, der das Verderben über sein Haus gebracht und den ganzen schündlichen Plan ersonnen hatte, nannte er seinen Retter und Wohlthäter und beschenkte ihn mit fünfzig Talenten. Bevor übrigens sein Frevel ruchbar wurde, eilte Eurykles nach Kappadocien und entlockte auch dem Archelaus ein Geldgeschenk, indem er ihm mit frecher Stirn vorlog, er habe Herodes mit Alexander ausgesohnt. Alsdann setzte er nach Griechenland über und verwandte das Sindengeld zu ähnlichen Schurkenstreichen, ward aber endlich, nachdem er zweimal beim Caesar wegen aufrührischer Umtriebe in Achaja und Betrügereien gegen städtische Kassen verklagt worden war, mit Verbannung bestraft. So fand die von ihm an Aristobulus und Alexander begangene Unthat ihre Sühne. 5. Diesem Spartaner verdient der Koer 2
1 Evaratus Alexandrium (s. J. A. XVI, 10, 4).
2 Bewohner von Kos.
Seite 146 einer der besten Freunde Alexanders, gegenübergestellt zu werden. Er war um dieselbe Zeit wie Eurykles nach Judaea gekommen, und als der König ihn wegen der von letzterem gemachten Angaben befragte, versicherte er eidlich, nichts dergleichen von den Prinzen gehört zu haben. Dieses Zeugnis half freilich den Unglücklichen nichts; denn nur für böse Einflüsterungen hatte Herodes ein offenes Ohr, und beliebt bei ihm war nur derjenige der mit ihm daran glaubte und mit ihm sich darüber ereiferte.
1. Auch Salome that das ihrige, um Herodes gegen seine Söhne aufzustacheln. Um nämlich seine Schwiegermutter und Tante mit in die ihm selbst drohenden Gefahren zu verstricken, hatte Aristobulus ihr die Warnung zugehen lassen, sie solle auf ihre Rettung bedacht sein, denn der König treffe Anstalten zu ihrer Hinrichtung auf Grund der bereits früher gegen sie erhobenen Anklage, dass sie, um den Araber Syllaeus als Gemahl zu gewinnen, demselben die Geheimnisse des mit ihm verfeindeten Königs verrate. Das aber ward gewissermassen die Sturzwelle, die den vom Sturm bereits hart mitgenommenen jungen Leuten vollends den Untergang bereiten sollte. Salome nämlich hatte nichts eiligeres zu thun, als zum Könige zu laufen und ihm die ihr zugegangene Warnung mitzuteilen. Herodes vermochte sich nun nicht mehr zu halten, liess die beiden Söhne fesseln und voneinander trennen und schickte eiligst den Obersten Volumnius nebst seinem Freunde Olympus mit einem schriftlichen Bericht zum Caesar. Als diese Männer in Rom angelangt waren und das Schreiben des Königs überreicht hatten, empfand der Caesar zwar inniges Mitleid mit den Prinzen, glaubte aber ihrem
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Vater die Gewalt über seine Söhne nicht nehmen zu dürfen. Er erwiderte demnach, Herodes sei ja Herr in seinem Hause; dennoch werde er wohl daran thun, aus seinen Verwandten und den obersten Beamten der Provinz einen Gerichtshof zu bilden und die Verschwörung untersuchen zu lassen. Stelle sich dann die Schuld der jungen Leute heraus, so verdienten sie den Tod; hätten sie aber nur die Absicht gehabt, zu entfliehen, so sei eine mildere Strafe am Platz. 2. Dieser Aufforderung kam Herodes nach, begab sich der Anordnung des Caesars zufolge nach Berytus und berief den Gerichtshof. Den Vorsitz in demselben führten laut der vom Caesar ihnen erteilten schriftlichen Anweisung die obersten Beamten, Saturninus und Pedanius mit seinen Legaten. Ausserdem hatten sich eingefunden der Finanzverwalter Volumnius, die Verwandten und Freunde des Königs, darunter auch Salome und Pheroras, sowie die sämtlichen syrischen Grössen mit Ausnahme des Königs Archelaus; denn diesem traute Herodes nicht recht, weil er Alexanders Schwiegervater war. Seine Söhne selbst liess der König übrigens aus wohlerwogenen Gründen dem Gerichte nicht vorführen; wusste er doch, dass ihr blosser Anblick allseitiges Mitgefühl wachrufen und dass, wenn sie das Wort erhielten, Alexander mit Leichtigkeit die Anklage entkräften würde. Sie wurden vielmehr in Platana, einem Dorf im Gebiete der Sidonier, gefangen gehalten. 3. Nunmehr erhob sich der König und fuhr gegen seine Söhne los, als ob sie wirklich anwesend waren. Zwar die Anklage wegen des Mordplanes berührte er nur obenhin, da diese, wie er wohl selbst fühlte, auf sehr schwachen Füssen stand. Dagegen zählte er dem Gerichtshof eine Menge von Schmähungen, Spottreden, Kränkungen und sonstigen Vergehen gegen seine Person her, für welche die Todesstrafe noch viel zu gelinde sei. Und als niemand darauf erwiderte, erging er sich in Klagen darüber, dass er selbst schwer genug gestraft sei, und dass der Sieg, den er über seine Kinder davontrage,
Seite 148 für ihn nur die Quelle bitteren Grams sein werde. Sodann befragte er jeden der Anwesenden um seine Meinung. Saturninus, der zuerst abstimmte, erachtete die jungen Leute für schuldig, doch nicht des Todes; denn es zieme sich nicht für ihn, eines anderen Mannes Kinder dem Untergang zu weihen, während seine eigenen drei Söhne ihm zur Seite ständen. Derselben Ansicht waren auch die beiden Legaten, denen dann noch einige andere Stimmen sich anschlossen. Volumnius war der erste, der sich für eine härtere Strafe entschied, und nach ihm verurteilten auch alle übrigen Beisitzer des Gerichtes die Prinzen zum Tode, die einen aus Liebedienerei, die anderen aus Hass gegen Herodes, keiner aber aus Entrüstung über die Angeklagten. Ganz Syrien und Judaea war übrigens auf den Ausgang des Trauerspiels gespannt, doch glaubte niemand, Herodes werde die Grausamkeit bis zur Hinrichtung seiner Söhne treiben. Er aber schleppte die beiden nach Tyrus, fuhr von da zu Schiff nach Caesarea und überlegte nur noch, auf welche Weise er sie vom Leben zum Tode bringen lassen sollte. 4. Mittlerweile geschah es, dass ein alter Soldat des Königs mit Namen Teron, dessen Sohn ein sehr vertrauter Freund Alexanders war und der auch selbst die beiden Prinzen aufrichtig liebte, vor übergrossem Unwillen über die Verurteilung derselben wahnsinnig wurde. Anfangs lief er umher und schrie, das Recht sei zu Boden getreten, die Wahrheit zu Grunde gegangen, die Natur verkehrt und die Welt voller Frevel, und was sonst der Schmerz einem Menschen eingeben kann, der sein Leben in die Schanze geschlagen hat. Endlich wagte er dann auch vor den König selbst hinzutreten und ihm die Worte entgegenzurufen: „Du bist, wie mir scheint, von einem bösen Dämon besessen, dass du den verruchtesten Menschen Glauben schenkst gegen diejenigen, die dir am teuersten sein sollten. Denn einem Pheroras und einer Salome, die du schon so oft des Todes schuldig erkennen musstest, traust du, wenn sie wider deine Kinder auftreten. Und doch bezwecken diese Bösewichter
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nichts anderes, als die rechtmässigen Thronfolger aus dem Wege zu räumen und dir Antipater allein übrig zu lassen, damit sie einen König bekommen, der ihnen in allen Stücken zu willen ist. Überlege indes, ob ihm nicht der Tod seiner Brüder den Hass der Soldaten zuziehen könnte. Denn im ganzen Heere gibt es niemand, der nicht Mitleid mit den beiden Prinzen empfinde, und von den Offizieren machen gar viele aus ihrem Unwillen durchaus kein Hehl." Alsdann nannte Teron auch die Namen der Unzufriedenen. Der König aber liess dieselben auf der Stelle samt Teron und seinem Sohne verhaften. 5. Nun kam auch ein Hofbarbier namens Tryphon in einem Anfall von Verrücktheit daher und gab sich selbst an. „Denke dir," sprach er, „dieser Teron wollte mich beschwatzen, dich beim Barbieren mit dem Schermesser umzubringen, und er stellte mir dabei ein grosses Geschenk von Alexander in Aussicht." Kaum hatte Herodes dies vernommen, als er sogleich Teron und dessen Sohn sowie den Barbier auf die Folter spannen liess. Die ersteren jedoch leugneten hartnackig, und da auch der Barbier nichts weiter aussagte, liess er diesen noch empfindlicher quälen. Nun aber versprach des letzteren Sohn, von Mitleid überwältigt, dem Könige, alles angeben zu wollen, wenn er seinen Vater begnadige. Und als Herodes ihm dies zugestanden, sagte er aus, sein Vater habe auf Alexanders Anstiften den König ums Leben bringen wollen. Diese Angabe hielten einige für eine Erdichtung, die der Sohn vorgebracht habe, um seinen Vater von den Folterqualen zu erlösen, andere hingegen für Wahrheit. 6. In einer Volksversammlung erhob hierauf Herodes Anklage gegen Teron und die Offiziere und hetzte das Volk dergestalt gegen sie auf, dass sie sogleich mitsamt dem Barbier von der Menge durch Steinwürfe und Stockschläge getötet wurden. Seine Söhne aber sandte er nach der unweit Caesarea gelegenen Stadt Sebaste 1 und
1 Samaria.
Seite 150 gab Befehl, sie daselbst zu erdrosseln, was unverzüglich geschah. Die entseelten Leiber liess er nach der Festung Alexandrium bringen, wo sie neben Alexander, ihrem Grossvater von müterlicher Seite, beigesetzt wurden. Ein solch trauriges Ende nahmen Alexander und Aristobulus.
1. Antipater war nun freilich unbestrittener Thronfolger, aber fast unerträglich lastete auf ihm der Hass des Volkes; denn allseitig ward es bekannt, dass er der eigentliche Urheber aller gegen seine Brüder gerichteten Verleumdungen war. Übrigens beschlich ihn keine geringe Furcht, wenn er sah, wie die Nachkommenschaft der Gemordeten mehr und mehr heranwuchs. Alexander nämlich hatte von der Glaphyra zwei Söhne, Tigranes und Alexander, Aristobulus aber von Berenike, der Tochter Salomes die Söhne Herodes, Agrippa und Aristobulus sowie die Töchter Herodias und Mariamne. Nach Alexanders Hinrichtung sandte Herodes die Glaphyra samt ihrer Mitgift nach Kappadocien zurück, des Aristobulus Gattin Berenike aber vermählte er mit Antipaters Oheim von mütterlicher Seite l, und zwar hatte Antipater selbst diese Heirat zustande gebracht, um Salome, mit der er verfeindet war, sich geneigt zu machen. Auch den Pheroras suchte er durch Geschenke und sonstige Aufmerksamkeiten auf seine Seite zu bringen, desgleichen die Freunde des Caesars, denen er beträchtliche Geldsummen nach Rom schickte. Ferner überhäufte er den Saturninus in Syrien und dessen ganze Umgebung
1 Theudion, Bruder der Doris (s. J. A. XVII, 4, 2 und im vorliegenden Werke I, 30, 5).
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mit Geschenken. Je mehr er aber spendete, desto verhasster wurde er; denn man wusste wohl, dass er nicht freigebig war aus Hochsinn, sondern verschwenderisch aus Furcht. So kam es, dass die Empfänger seiner Gaben ihm um nichts gewogener, die nicht Beschenkten aber um so erbittertere Feinde von ihm wurden. Immer glänzender ward seine Freigebigkeit, als er auf einmal ganz wider Erwarten bemerken musste, dass der König den Waisen seine Sorge zuwandte und durch Mitleid mit den Nachkommen seiner Söhne der Reue über deren Hinrichtung Ausdruck gab. 2. Eines Tages nämlich versammelte Herodes seine Verwandten und Freunde um sich, stellte ihnen die Kinder vor und sprach tränenden Auges wie folgt: „Ein trauriges Geschick hat mir die Väter dieser Kinder entrissen; sie selbst empfiehlt darum die Stimme der Natur und das Mitgefühl mit ihrer Verlassenheit meiner Fürsorge. So will ich denn versuchen, nachdem ich als Vater so unglücklich gewesen, als Grossvater um so liebreicher zu sein, und ihnen, sollt ich von hinnen scheiden, meine besten Freunde als Beschützer hinterlassen. Deine Tochter, Pheroras, verlobe ich daher mit dem ältesten Söhne Alexanders, damit du als sein Vormund mit ihm in engste Verwandtschaft tretest, und mit deinem Söhne, Antipater, verlobe ich die Tochter des Aristobulus - mögest du der Waise ein Vater werdenI Ihre Schwester aber soll mein Herodes zur Ehe nehmen, der mütterlicherseits einen Hohepriester zum Grossvater hat. Wer mich nun liebt, der trete dieser meiner Entscheidung bei, und niemand versuche dieselbe umzustossen, wofern ihm meine Freundschaft etwas gilt. Zu Gott aber flehe ich, dass er diese Verbindungen zum Heile meines Reiches und meiner Enkel segnen und diese Kinder mit gnädigerem Auge anschauen möge, als er ihre Vater angeschaut hat." 8. Während dieser Ansprache weinte er und legte die Hände der Kinder ineinander. Dann umarmte er jedes von ihnen herzlich und entliess die Versammlung.
Seite 152 Antipater aber geriet in die äusserste Bestürzung, und jedermann konnte ihm seinen Ärger am Gesicht ablesen. War er doch der Meinung, die von seinem Vater den Waisen erwiesene Auszeichnung sei gleichbedeutend mit seinem eigenen Sturz, und es stehe für ihn abermals alles auf dem Spiel, wenn die Kinder Alexanders ausser an Archelaus auch noch an dem Tetrarchen Pheroras 1 einen Beschützer haben sollten. Ferner zog er in Erwägung den Hass des Volkes gegen seine Person, desselben Volkes Mitleid mit den Waisen, die Anhänglichkeit, welche die Juden den durch seine Schuld umgekommenen Brüdern während ihres Lebens bewiesen hatten, und das ehrenvolle Andenken, das sie denselben nach ihrem Tode noch bewahrten. Das alles brachte in ihm den Entschluss zur Reife, die Verlobungen um jeden Preis rückgängig zu machen. 4. Listige Kniffe zu gebrauchen, hielt er indes nicht für ratsam, da er seines Vaters Strenge und grosse Reizbarkeit bei argwohnerregenden Anlässen fürchtete. So fasste er sich also ein Herz, ging geradeswegs zum König und bat ihn, er möge ihn doch der Ehre, der er ihn gewürdigt, nicht wieder berauben, indem er anderen die wirkliche Gewalt, ihm selbst aber nur den Titel eines Königs überlasse. Denn er werde wohl niemals zur Regierung gelangen, wenn der Sohn Alexanders ausser an seinem Grossvater Archelaus auch noch an Pheroras als seinem Schwiegervater eine Stütze finde. Er bitte daher inständigst, die Heiratspläne abzuändern, was ja bei der grossen Zahl der Mitglieder des Königshauses nicht schwer fallen könne. Der König war nämlich mit neun Frauen vermählt, von denen sieben ihm Kinder geboren hatten. Antipater selbst war von der Doris, Herodes von der Hohepriesterstochter Mariamne, Antipas und Archelaus 2 sowie die Tochter Olympias, welche seinen Neffen Joseph zum Manne hatte, von der
1 Dessen Tetrarchie jenseits des Jordan lag (s. 24, 5).
2 Der Nachfolger Herodes des Grossen.
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Samariterin Malthake, Herodes und Philippus von der Jerusalemerin Kleopatra, Phasael von der Pallas. Ferner hatte er zwei Töchter Roxane und Salome, erstere von der Phaedra, letztere von der Elpis, und ausserdem noch zwei Töchter von Alexanders und Aristobulus Mutter Mariamne. Zwei seiner Frauen, Nichten von ihm, waren kinderlos. Auf diese zahlreiche Nachkommenschaft also stützte Antipater seine Bitte um Abänderung der Verlobungen. 5. Der König aber, der aus diesem Gesuche Antipaters dessen wahre Gesinnung gegen die Waisen erkannte, geriet in heftigen Zorn, und schon stieg die leise Ahnung in ihm auf, es könnten auch die Väter derselben den Intrigen Antipaters zum Opfer gefallen sein. Er erteilte ihm daher eine höchst ungnädige Antwort und wies ihn ab; später jedoch liess er sich durch seine Schmeichelreden umstimmen und gab ihm selbst die Tochter des Aristobulus, seinem Sohne aber die Tochter des Pheroras zur Frau. 6. Wieviel hierbei Antipater durch seine Schmeicheleien vermochte, kann man an Salome ersehen, die mit einem ähnlichen Anliegen beim Könige nicht durchzudringen imstande war. Als sie nämlich im Vertrauen auf die mächtige Fürsprache der Gattin des Caesars, Julia l, die Bitte vorbrachte, den Araber Syllaeus heiraten zu dürfen, schwur Herodes ihr, er werde sie, obwohl sie seine leibliche Schwester sei, für seine ärgste Feindin halten, wenn sie von ihrem Verlangen nicht Abstand nehme. Zuletzt vermählte er sie wider ihren Willen mit einem seiner Freunde, Alexas, und von ihren Töchtern die eine mit dem Sohne des Alexas, die andere mit Antipaters Oheim von mütterlicher Seite. Von Mariamnes
1 Die Gemahlin des Augustus hiess eigentlich Livia und erhielt den Namen Julia erst nach dem Tode des Caesars, als sie in das Julische Geschlecht aufgenommen wurde (s. Tacitus, Annalen, I, 8). Vergl. übrigens wegen der Intervention der Livia die abweichende Darstellung J. A. XVII, 1, 1.
Seite 154 Töchtern hatte die eine 1 den Sohn seiner Schwester, Antipater, die andere seinen Neffen Phasael zum Gemahl.
1. Nachdem Antipater so die Aussichten der Waisen zunichte gemacht und die ehelichen Verbindungen seinem, Interesse gemäss ins Werk gesetzt hatte, glaubte er am Ziel seiner Wünsche zu sein. Das zu seiner Bosheit sich gesellende Selbstgefühl aber machte ihn nun unerträglich, und ausserstande, den allgemeinen Hass von sich abzuwälzen, suchte er sich dadurch Sicherheit zu verschaffen, dass er Schrecken um sich verbreitete. Pheroras, der schon den künftigen König in ihm erblickte, ging ihm dabei hilfreich zur Hand. Obendrein bildete sich am Hofe auch eine Weiberclique, welche die Zerwürfnisse noch vermehrte. Die Gattin des Pheroras nämlich betrug sich im Verein mit ihrer Mutter und ihrer Schwester, an welche sich Antipaters Mutter anschloss, höchst übermütig im Königspalast und erkühnte sich sogar, zwei Töchter des Königs zu beschimpfen. Sie zog sich deswegen den heftigsten Unwillen des Herodes zu, wusste aber trotzdem mit ihren Genossinnen die anderen zu beherrschen. Salome allein störte das Einvernehmen der Clique, indem, sie dieselbe beim König anschwärzte, als fiführe sie nichts Gutes gegen ihn im Schulde. Sobald nun die anderen Frauen erfuhren, dass sie verdächtigt waren mid der König über sie ungehalten sei, gaben sie,lie offenen Zusammenkünfte und den freundschaftlichen Verkehr auf und stellten sie, wenn der König zugegen
1Salampsio, (a. J. A. XVIII, 5, 4).
2 Kypros (ebend.)
3 Den Sohn seines verstorbenen Bruders Phaaagl.
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war, als ob sie in Feindschaft miteinander lebten. An dieser Verstellerei nahm auch Antipater teil, der einmal sogar dem Pheroras eine öffentliche Beleidigung zufügte. Insgeheim jedoch hielten sie auch fernerhin Zusammenkünfte und nächtliche Schmausereien, und das Bewusstsein, beobachtet zu werden, befestigte ihr Einvernehmen nur um so mehr. Salome aber erlangte von ihrem ganzen Treiben Kenntnis und hinterbrachte alles dem Könige. 2. Da entbrannte des Herodes Zorn, und zwar am heftigsten gegen die Gattin des Pheroras, die von Salome in erster Linie verdächtigt worden war. Er berief daher seine Freunde und Verwandten zusammen und brachte unter vielen anderen Klagen über diese Frau auch deren beleidigendes Verhalten gegen seine Tochter zur Sprache, sowie dass sie die Pharisiäer durch Geldgeschenke gegen ihn aufgehetzt und durch Zaubertranke ihm das Herz seines Bruders entfremdet habe. Schliesslich wandte er sich in seiner Rede an Pheroras und stellte ihm die Wahl, ob er seinen Bruder oder seine Gattin aufgeben wolle. Als Pheroras darauf erklärte, lieber wolle er sein Leben lassen als sein Weib, wandte sich Herodes, unschlüssig darüber, was er thun sollte, an Antipater und befahl ihm, jeden Verkehr mit dem Weibe des Pheroras, diesem selbst und seinem Anhang aufzugeben. Dieses Verbot übertrat Antipater von jetzt an zwar nicht offen, brachte aber insgeheim ganze Nächte in Gesellschaft der genannten Personen zu. Da jedoch Salomes Spioniererei auf die Dauer ihm Angst einjagte, veranlasste er durch Vermittlung seiner Freunde in Italien, dass er mit einer Reise nach Rom betraut wurde. Dieselben schrieben nämlich, es sei nötig, dass Antipater binnen kurzem zum Caesar geschickt werde. Daraufhin sandte Herodes ihn unverzüglich mit glänzendem Gefolge und reichlichen Geldmitteln ab, um dem Caesar sein Testament zu überbringen, in welchem als künftiger König Antipater und als dessen Nachfolger Herodes, der Sohn der Hohepriesterstochter Mariamne, bezeichnet war. 3. Zur selben Zeit fuhr auch der Araber Syllaeus
Seite 156 nach Rom, der den Befehlen des Caesars nicht nachgekommen war1 und jetzt von Antipater wegen derselben Dinge verklagt werden sollte, die schon früher Nikolaus gegen ihn vorgebracht hatte. Ausserdem aber hatte Syllaeus auch mit seinem eigenen Könige Aretas sich überrworfen, weil er mehrere von dessen Freunden, darunter Soemus, den mächtigsten Mann in Petra, ums Leben gebracht hatte. Mit vielem Gelde hatte er nun des Caesars Verwalter Fabatus auf seine Seite zu bringen versucht und gedachte an ihm auch gegen Herodes eine Stütze zu finden. Herodes aber zog durch ein noch reicheres Geldgeschenk den Fabatus von Syllaeus ab und wollte mit seiner Hilfe die dem Araber vom Caesar auferlegte Geldbusse eintreiben. Syllaeus jedoch verweigerte nicht nur die Zahlung, sondern verklagte auch den Fabatus noch bei Augustus, indem er ihm vorwarf, er versehe sein Verwalteramt nichtim Interesse des Caesars, sondern in dem des Herodes. Das erbitterte den Fabatus, der bei Herodes noch immer in besonderer Gunst stand, so sehr, dass er die Geheimnisse des Syllaeus verriet und dem König mitteilte, derselbe habe seinen Leibwachter Korinthus bestochen; er solle den Mann nur verhaften lassen. Dieser Angabe schenkte der König um so eher Glauben, als Korinthus im Palast aufgewachsen und Araber von Geburt war. Alsbald nun liess er nicht nur den Korinthus festnehmen, sondern auch noch zwei andere Araber, die man bei ihm vorfand, einen Freund des Syllaeus nämlich und einen Stammeshauptling. Diese gestanden auf der Folter, den Korinthus durch das Versprechen einer grossen Belohnung zur Ermordung des Herodes verleitet zu haben. So wurden denn auch sie, nachdem Saturninus, der Statthalter von Syrien, sie verhört hatte, mit nach Rom geschickt.
1 Hierüber wie über das folgende vergl. J. A. XVI, 10,8. Hofhistoriograph und Sachwalter des Herodes, eine in den J. A. oft erwähnte merkwürdige Persönlichkeit. Über seinen schriftstellerischen Charakter fällt Josephus ein absprechendes Urteil J. A. XVI, 7,1.
Seite 157 4. Herodes liess übrigens nicht nach, dem Pheroras wegen Scheidung von seiner Gattin zuz.usetzen; denn so viele Grinde er auch hatte, sie zu hassen, so wusste er doch kein anderes Mittel, sich an ihr zu rächen, bis er endlich im Übermass des Unwillens seinen Bruder samt dessen Gattin von seinem Hofe verwies. Diese Krinkung nahm Pheroras indes gleichmütig auf und zog sich in seine Tetrarchie zurück, schwor aber dabei, dass erst mit dem Tode des Herodes seine Abwesenheit vom Hof ihr Ende erreichen solle und dass er während seines Bruders Lebzeiten nie mehr dahin zurfckkehren werde. Getreu diesem Schwur weigerte er sich denn auch, zu Herodes zu kommen, als dieser krank wurde, obwohl derselbe ihn dringend darum bitten liess, weil er in Balde sterben zu miussen glaubte und ihm noch einige Auftrage hinterlassen wollte; doch genas er unverhofft. Bald nachher erkrankte auch Pheroras, und nun benahm Herodes sich versöhnlicher, reiste zu seinem Bruder und pflegte ihn sorgsam. Pheroras aber überstand die Krankheit nicht, sondern starb nach wenigen Tagen, und obwohl Herodes ihn bis an sein Ende geliebt hatte, munkelte man doch, er habe auch ihn, und zwar mit Gift, ums Leben gebracht. Seinen Leichnam liess er nach Jerusalem bringen, schrieb dem ganzen Volk die tiefste Trauer vor und hielt dem Toten ein prunkvolles Leichenbegängnis. Einer der Mörder Alexanders und seines Bruders Aristobulus hatte somit sein Ende gefunden.
1. Bald aber ereilte auch den eigentlichen Urheber des Frevels, Antipater, seine Strafe, und zwar gab der Tod des Pheroras dazu den Anlass. Einige Freigelassenen des letzteren nämlich kamen tiefbetrübt zum König und
Seite 158 teilten ihm mit, sein Bruder sei durch Gift ums Leben gekommen. Seine Gattin habe ihm ein ganz ungewöhnlich zubereitetes Gericht auftragen lassen, nach dessen Genuss er sogleich erkrankt sei, und zwei Tage vorher seien deren Mutter und Schwester mit einem kräuterkundigen Weibe aus Arabien angekommen, um dem Pheroras einen Liebestrank zu bereiten. Statt dessen aber habe das Weib auf Anstiften des Syllaeus, mit dem sie bekannt gewesen, ihm ein todbringendes Gift gereicht. 2. Erschüttert von den vielen sich ihm aufdrängenden argwöhnischen Gedanken, liess nun der König eine Anzahl Sklavinnen und mehrere freie Dienerinnen der Folter unterwerfen, wobei eine der letzteren in ihren Qualen ausrief: „Möge Gott, der Herr des Himmels und der Erde, die Urheberin dieser unserer Leiden, Antipaters Mutter, zur Strafe ziehen!" Diese Äusserung gab dem König einen Anhaltspunkt, von dem aus er zur weiteren Erforschung des Sachverhaltes übergehen konnte. Die Gefolterte enthüllte darauf den vertrauten Verkehr der Mutter Antipaters mit Pheroras und seinen Frauen sowie ihre heimlichen Zusammenkünfte, berichtete auch, wie Pheroras und Antipater, wenn sie vom Könige gekommen seien, mit den Weibern ganze Nächte unter Ausschluss aller männlichen und weiblichen Dienerschaft gezecht hätten. Diese Aussagen machte eine der freien Dienerinnen. 3. Alsdann liess Herodes auch die Sklavinnen einzeln foltern, und alle machten dieselben Angaben wie die zuerst verhörte Dienerin, fügten auch noch hinzu, es sei zwischen Antipater und Pheroras verabredet gewesen, dass ersterer nach Rom reisen, letzterer nach Peraea sich zurückziehen sollte. Denn zu wiederholten Malen hätten sie geäussert, Herodes werde wohl jetzt, nachdem er Alexander und Aristobulus beseitigt habe, auch gegen sie und ihre Frauen wüten; vor dem, der eine Mariamne und deren Kinder habe umbringen können, sei eben niemand mehr sicher. Es sei daher geratener, dieser Bestie soweit als möglich aus dem Wege zu gehen. Oft auch habe Antipater seiner Mutter geklagt, er sei jetzt
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schon ergraut, während sein Vater täglich Jünger aussehe, und schliesslich werde er wohl noch aus dem Leben scheiden, ehe er zur wirklichen Regierung gelange. Aber selbst wenn Herodes vor ihm sterbe - und wie lange könne das noch dauern -, werde er sich nur kurze Zeit des Besitzes der Herrschaft erfreuen; denn die Köpfe der Hydra, Aristobulus und Alexanders Kinder, wüchsen nach, und seinen eigenen Kindernhabe ja der König alle Hoffnung abgeschnitten, indem er in seinem Testament keines von diesen, sondern Herodes, den Sohn der Mariamne, als Thronfolger nach seinem (Antipaters) Tod in Aussicht genommen habe. Aber darin täusche sich der alte Mann doch sehr, wenn er meine, sein Testament sei keiner Änderung fähig; er (Antipater) werde schon dafür sorgen, dass keiner von des Königs Nachkommen am Leben bleibe. Kein Vater habe je seine Kinder so gehasst, wie Herodes, aber noch grosser sei sein Bruderhass. So habe er ihm Jüngst hundert Talente gegeben, damit er mit Pheroras kein Wort mehr spreche. Auf dessen Frage, was er denn dem König zuleide gethan, habe Antipater erwidert: „Wir können schon zufrieden sein, wenn er, nachdem er uns alles genommen, uns nur das nackte Leben lasst. Aber es ist unmöglich, einem so mordgierigen Ungeheuer zu entrinnen, das es nicht einmal gern sieht, wenn man anderen offen seine Zuneigung beweist. Jetzt freilich kommen wir noch insgeheim zusammen, bald jedoch werden wir dies auch öffentlich thun können, wenn wir einmal das Herz und die Faust echter Männer besitzen." 4. Also sagten die gefolterten Sklavinnen aus und fügten noch hinzu, Pheroras habe beabsichtigt, mitihnen nach Peraea zu entfliehen. Was nun dem Könige alle diese Angaben besonders glaubhaft machte, war die Erwähnung der hundert Talente; denn davon hatte er nur mit Antipater allein gesprochen. Zunächst entlud sich infolgedessen sein Zorn über Antipaters Mutter Doris. Ihr nahm er allen Schmuck im Werte von vielen Talenten, den er ihr früher geschenkt hatte, wieder ab und verstiess
Seite 160 sie zum zweitenmal. Die Weiber des Pheroras dagegen begnadigte er und liess sie von den durch die Folterung entstandenen Verletzungen heilen. Von jetzt an war er übrigens vor Angst wie ausser sich. Der leiseste Verdacht versetzte ihn schon in Aufregung, und er liess eine Menge Unschuldiger zur Folter schleppen, um nur ja keinen Schuldigen zu übergehen. 5. So kam er auch an den Samariter Antipater, den Verwalter seines Sohnes Antipater. Auf der Folter sagte dieser aus, sein Herr habe durch einen seiner Freunde, Antiphilus, ein todliches Gift zur Ermordung des Königs aus Aegypten kommen lassen. Von Antiphilus habe Antipaters Oheim Theudion dasselbe in Empfang genommen und es dem Pheroras eingehändigt, der von Antipater beauftragt worden sei, Herodes damit umzubringen, während er selbst in Rom ausser dem Bereich des Verdachtes sich befinde. Pheroras aber habe das Gift seiner Gattin zur Aufbewahrung gegeben. Die letztere liess nun der König sogleich rufen und befahl ihr, den ihr anvertrauten Gegenstand herbeizuschaffen. Sie ging, anscheinend um das Verlangte zu holen, hinaus, sturzte sich aber dann vom Dach hinab, um der Untersuchung und der vom Könige angeordneten Folterung zu entgehen. Hierbei jedoch fiel sie durch augenscheinliche Fügung Gottes, der den Antipater strafen wollte, nicht auf den Kopf, sondern auf andere Körperteile, und kam so mit dem Leben davon. Als man sie nun brachte, liess der König ihr, weil sie vom Falle noch betäubt war, erquickende Mittel reichen und fragte sie dann, aus welchem Grunde sie sich hinabgestürzt habe. Wenn sie die Wahrheit gestehe, so wolle er, wie er eidlich versicherte, ihr alle Strafen erlassen; verheimliche sie dagegen etwas, so werde er ihren Leib auf der Folter derart zurichten lassen, dass nichts mehr davon zum Begräbnis übrig bleibe. 6. Hierauf entgegnete das Weib nach kurzem Bedenken:,Wozu soll ich noch das Geheimnis bewahren, da Pheroras tot ist? Und wozu soll ich Antipater schonen,
Seite 161 der uns alle zu Grunde richten wollte? So höre denn, o König, und ausser dir sei Gott, den man nicht hintergehen kann, mein Zeuge, dass ich die Wahrheit sage. Als du, in Tränen gebadet, bei dem sterbenden Pheroras weiltest, rief er mich zu sich und sprach: „Wahrlich gar sehr, liebes Weib, habe ich mich über die Gesinnung getäuscht, die mein Bruder gegen mich hegt. Gehasst habe ich ihn, der mich so innig liebt, und töten wollte ich den, der mich jetzt schon, da ich noch nicht gestorben bin, so tief betrauert. Ich freilich empfange nur den gerechten Lohn für meine Lieblosigkeit; du aber hole das für ihn bestimmte Gift, das Antipater uns hiergelassen hat und das du aufbewahrst, herbei und vernichte es sogleich vor meinen Augen, damit ich nicht den Rachegeist mit mir in die Unterwelt l nehme."" Seinen Befehl vollzog ich, holte das Gift und schüttete den grössten Teil davon vor seinen Augen ins Feuer, den Rest aber bewahrte ich für mich aus Furcht vor dir und für den Fall der Not auf." 7. Mit diesen Worten langte sie die Büchse hervor, die noch etwas Gift enthielt. Der König aber liess die Mutter und den Bruder des Antiphilus peinlich befragen, und diese bekannten denn auch, Antiphilus habe die Büchse aus Aegypten mitgebracht, wo er sie samt dem Gift von seinem Bruder, einem Arzt in Alexandria, erhalten habe. So brachten die im Palast umgehenden Geister der Brüder Alexander und Aristobulus verborgene Frevelthaten ans Licht und zogen diejenigen, auf die sich am wenigsten der Verdacht lenkte, zur Verantwortung. Denn auch die Hohepriesterstochter Mariamne ward überführt, um die Verschwörung gewusst zu haben; ihre eigenen Brüder hatten es auf der Folter ausgesagt.
1 Das Scheol (die Scheinwohnung Ps. 49, 15, die Grube des Nichte Jes. 38, 17), wo die Schatten ein Scheindasein führen, ohne Wirklichkeit, daher sie nicht harren des Herrn (Ps. 6, 6), entspricht der Hölle im Gegensatz zu dem für die Guten, Seligen bestimmten Orte der Gotteserkenntnis, dem Paradiese; doch hat erst die christliche Kirche diesen Gegensatz scharf ausgeprägt.
Seite 162 Für die Frevelthat der Mutter aber liess der König den Sohn büssen, indem er den zum Nachfolger Antipaters bestimmten Herodes aus dem Testamente strich.
1. Schliesslich trat auch noch ein gewisser Bathyllus als Zeuge auf und lieferte die vollgültigsten Beweise für die Anschläge Antipaters, dessen Freigelassener er war. Er brachte ein anderes tödliches Mittel zum Vorschein, Natterngift und Säfte von sonstigem Gewürm, womit Pheroras und dessen Gattin sich gegen den König waffnen sollten für den Fall, dass das erste Gift seine Wirkung versagen wurde. Gewissermassen als Anhang zu den vatermörderischen Plänen legte er dann noch Briefe vor, deren Inhalt von Antipater zum Sturze seiner Brüder ersonnen war. Zwei Söhne des Königs nämlich, Archelaus und Philippus, die bereits im Jünglingsalter standen und voll hohen Strebens waren, hielten sich ihrer Bildung halber in Rom auf. Um nun diese, Jünglinge, die seine Aussichten zunichte zu machen drohten, möglichst rasch aus dem Wege zu räumen, schrieb Antipater teils selbst falsche Briefe unter dem Namen seiner Freunde in Rom, teils bestach er andere mit Geld, Briefe zu schreiben, welche besagten, die beiden Prinzen schmähten häufig ihren Vater, beklagten offen Alexanders und Aristobulus Geschick und seien sehr unwillig darüber, dass sie heimkehren sollten. Ihr Vater hatte sie nämlich soeben zurückberufen, was den Antipater im höchsten Grade beunruhigte. 2. Übrigens hatte er schon vor seiner Abreise, als er noch in Judaea weilte, dergleichen Briefe gegen sie für Geld von Rom aus schreiben lassen, ohne den Argwohn
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seines Vaters wachzurufen; denn er selbst trat als Verteidiger seiner Brüder auf, indem er bald das Geschriebene für falsch erklärte, bald ihre Vergehungen als jugendlichen Leichtsinn darstellte. Weil er aber auf diese Weise grosse Geldsummen für diejenigen aufzuwenden hatte, welche die Briefe gegen seine Brüder schrieben, suchte er etwaige Zeugen irrezuleiten und kaufte kostbare Kleider, bunte Teppiche, silberne und goldene Trinkgefüsse sowie eine Menge anderer Gegenstande zusammen, um hinter der Grösse der Ausgaben für diese Sachen den Lohn für die Brieffälscher zu verstecken. Schliesslich betrug die Rechnung für seinen Gesamtaufwand an zweihundert Talente, die, wie er vorgab, grösstenteils der Prozess mit Syllaeus verschlungen habe. Da nun durch sämtliche Aussagen auf der Folter der Vatermord, durch die Briefe aber ein abermaliger Mordplan gegen seine Brüder laut bezeugt wurde, so waren damit alle seine Schandthaten, die kleineren wie die grösseren, völlig enthüllt. Dennoch teilte ihm niemand von denen, die nach Rom kamen, mit, wie schlimm die Sachen für ihn in Judaea standen, obwohl zwischen jenen Verhören und seiner Rückkehr sieben Monate verflossen: so gross und allgemein war der Hass, den man gegen ihn empfand. Vielleicht schlossen auch die Schatten der gemordeten Brüder denen den Mund, welche ihn gern benachrichtigt hatten. So kündigte er denn vergnügt in einem Briefe seine baldige Rückkehr von Rom an und berichtete zugleich, wie ehrenvoll er vom Caesar verabschiedet worden sei. 3. Der König nun, der vor Begierde brannte, den Rankestifter in seine Gewalt zu bekommen, aber auch besorgt war, dieser möchte die Sache vorher erfahren und auf seiner Hut sein, spielte in seinen Briefen an ihn auch seinerseits den Heuchler, schrieb ihm recht freundlich und ermahnte ihn besonders zur Eile; falls er seine Heimreise beschleunige, werde er, Herodes, auch den Klagen gegen seine Mutter ein Ende machen können. Die Verstossung seiner Mutter war nämlich
Seite 164 Antipater nicht unbekannt geblieben. Schon vorher hatte er in Tarent auch einen Brief erhalten, der ihm den Tod des Pheroras meldete, und grosse Trauer um letzteren getragen. Manche wollten ihm dieses Verhalten als ein Zeichen besonderer Anhänglichkeit an seinen Oheim hoch anrechnen; doch scheint es, dass er im Grunde nur wegen des Misslingens der Verschwörung niedergeschlagen war und also in Pheroras nur den Helfershelfer seiner Schlechtigkeit beweinte. Übrigens beschlich ihn im Gedanken an seine Frevelthaten bereits die Angst, das Gift mochte entdeckt worden sein. Als er aber in Cilicien den erwähnten Brief seines Vaters erhielt, reiste er sogleich eiligst weiter und landete alsbald in Kelenderis, wo ihn der Gedanke an das Unglück seiner Mutter quälte und auch bereits seiner selbst wegen bange Ahnungen ihn erfüllten. Seine besonneneren Freunde rieten ihm nun, sich nicht eher vor seinem Vater blicken zu lassen, als bis er erfahren habe, aus welchem Grunde seine Mutter verstossen worden sei; denn es stehe zu befürchten, dass die Anklage gegen sie auch ihn in MitIeidenschaft ziehen würde. Die Unvorsichtigeren hingegen, die nicht sowohl Antipaters Interesse im Auge hatten, als vielmehr möglichst bald ihre Heimat wiederzusehen wünschten, trieben ihn zur Eile, indem sie ihn ermahnten, er solle doch nicht durch Zögern den Argwohn seines Vaters erregen und den Verleumdern einen willkommenen Anlass bieten. Denn wenn bis jetzt etwas gegen ihn angestellt worden sei, so habe das nur seine Abwesenheit begünstigt, während in seiner Anwesenheit niemand sich dessen erdreisten würde. Unvernünftig handle er also, wenn er um eines unsicheren Verdachtes willen sicherer Vorteile sich begeben wolle. Er solle vielmehr so rasch wie möglich sich dem Vater in die Arme werfen und die Königskrone zu erlangen trachten, die auf des Herodes Haupt, so lange dieser allein sei, schwanke. Von seinem bösen Dämon getrieben, gab Antipater dem letzteren Rate nach, schiffte sich ein und landete alsbald in Sebastos, dem Hafen von Caesarea.
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4. Hier aber fand er sich wider Erwarten einsam und verlassen: jeder ging ihm aus dem Wege, und niemand wagte es, sich ihm zu nähern. Allen nämlich war er in gleichem Masse verhasst, und dieser Hass durfte sich jetzt offen zeigen. Viele mieden ihn auch aus Füreht vor dem Könige; denn die ganze Stadt durchschwirrten bereits böse Gerüchte über Antipater, der allein keine Ahnung davon hatte, wie es um ihn stand. Nie ward jemand glänzender verabschiedet, als er bei seiner Abreise von Rom, nie aber auch jemand weniger ehrenvoll empfangen. Schon fing er übrigens an, das Unglück zu wittern, das ihn zu Hause erwartete; doch war er schlau genug, sich das nicht merken zu lassen. Innerlich halbtot vor Angst, zwang er sich, die Miene stolzer Zuversicht zur Schau zu tragen. Einen Weg zur Flucht gab es nicht, und auch sonst sah er keine Möglichkeit, sich aus der Schlinge zu ziehen. Etwas Sicheres über die Vorgänge zu Hause aber erfuhr er auch hier nicht, weil der König jede diesbezügliche Mitteilung aufs strengste verboten hatte. So blieb ihm denn nur noch der eine Hoffnungsschimmer, dass vielleicht nichts entdeckt worden sei, oder wenn auch, dass er durch unverschimtes Auftreten und listige Kniffe doch noch die Anklage entkrüften könne; ein anderer Ausweg zu seiner Rettung war nicht denkbar. 5. In dieser Verfassung betrat er den Königspalast, jedoch ohne seine Freunde; denn diese waren am ersten Thore höhnisch zurückgewiesen worden. Im Inneren war zufällig Varus l, der Statthalter von Syrien, anwesend. Antipater ging nun zu seinem Vater hinein, und all seine Dreistigkeit zusammennehmend, näherte er sich ihm, um ihn zu umarmen. Herodes aber streckte die Hände vor, wandte den Kopf weg und riefaus: „Dessen kann auch nur ein Vatermörder sich erfrechen, mich umarmen zu wollen, wenn er solche Schuld auf sich ge-
1 Derselbe, der später nach Germanien ging und im Jahre 9 nach Chr. von Arminius geschlagen wurde.
Seite 166 laden hat. Zum Henker mit dir, ruchloser Mensch, und rühre mich nicht an, bis du dich von der Schuld gereinigt hast 1. Ein Gericht will ich dir jetzt geben, und einen Richter in der Person des Varus, der gerade zu gelegener Zeit gekommen ist. Fort nun, und besinne dich auf deine Verteidigung bis morgen; denn diese Frist will ich dir zu deinen Schlichen noch einräumen." Vor Bestürzung unfähig, etwas darauf zu erwidern, zog Antipater sich zurück und erhielt alsbald den Besuch seiner Mutter und seiner Gattin, die ihn mit sämtlichen Beweisen bekannt machten. Allmählich fasste er sich dann wieder so weit, dass er an seine Verteidigung zu denken vermochte.
1. Am folgenden Tage berief der König eine Versammlung seiner Freunde und Verwandten, zu der er auch Antipaters Freunde einlud. Den Vorsitz führte er selbst in Gemeinschaft mit Varus. Er liess nun die sämtlichen Zeugen vorführen, unter denen sich auch einige erst kürzlich verhaftete Diener der Mutter Antipaters befanden, welche einen Brief von ihr an Antipater überbracht hatten. Dieser Brief hatte folgenden Wortlaut: „Da alles Bewusste zur Kenntnis deiaes Vaters gelangt ist, so hite dich, in seine Niahe zu kommen, es sei denn, du könntest auf die Hilfe des Caesars rechnen." Als nun diese sowie alle anderen Zeugen vorgeführt waren, trat Antipaterein, fiel zu seines Vaters Füssen auf sein Angesicht nieder und sprach: „Ich bitte dich, Vater, du wollest mich nicht im voraus verdammen, sondern meiner Verteidigung gnädiges Gehör schenken; denn wenn du es gestattest, werde ich meine Unschuld beweisen."
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2. Herodes aber herrschte ihn an, er solle schweigen, und sprach dann, zu Varus gewandt: „Wie jeder gewissenhafte Richter, so wirst auch du, Varus, des bin ich sicher, in Antipater einen höchst verworfenen Menschen erkennen. Ich fürchte nur, du möchtest dich voll Abscheu von mir wenden und glauben, ich verdiente all dieses Unglück, weil ich solchen Söhnen das Leben gegeben habe. Und doch bin ich deswegen im Grunde bemitleidenswert, weil ich diesen Bösewichtern von Söhnen noch ein so liebevoller Vater war. Meinen früheren Söhnen habe ich schon, als sie noch Jünglinge waren, Königsrang zuerkannt, habe sie in Rom bilden lassen, sie zu Freunden des Caesars und damit zum Gegenstande des Neides für andere Könige gemacht. Aber ich fand, dass sie mir nach dem Leben trachteten, und so mussten sie, vornehmlich Antipater zulieb, sterben; denn ihm, dem jungen Thronfolger, wollte ich in erster Linie Sicherheit verschaffen. Diese schreckliche Bestie jedoch missbrauchte meine Geduld und kehrte ihre ganze Wut gegen mich. Mein Leben dauerte Antipater zu lange, mein Alter ward ihm unbequem, und nicht anders als durch Vatermord wollte er König werden. Strafe sollte ich dafür verdient haben, dass ich den Verstossenen vom Lande wieder hereinholte, die Söhne, die eine Königin mir geboren, überging und ihn zum Thronfolger ernannte. Das war allerdings, ich gestehe es dir, Varus, arge Verblendung von mir. Jene Söhne habe ich gegen mich aufgebracht, weil ich ihre gerechten Ansprüche zu gunsten Antipaters unterdrückte. Wann aber habe ich denselben jemals solche Wohlthaten erwiesen, wie diesem hier? Obwohl selbst noch am Leben, habe ich ihm fast meine ganze Gewalt eingeräumt, habe ihn ausdrücklich im Testament als Thronfolger bezeichnet, habe ihm fünfzig Talente eigener Einkünfte zugewiesen, ihm noch reichliche Mittel dazu aus meiner Privatkasse bewilligt, ihm Jüngst bei seiner Abreise nach Rom dreihundert Talente gegeben und ihn allein vor meiner ganzen Familie dadurch ausgezeichnet, dass ich ihn als
Seite 168 den Retter seines Vaters dem Caesar empfahl. Was haben jene anderen sich zu schuldenkommen lassen,das mit Antipaters Frevelthaten verglichen werden konnte? Und wann wurden jemals gegen sie solche Beweise vorgebracht, wie gegen diesen Bösewicht? Doch der Vatermörder hat sich ja erkühnt, hier noch etwas zu seiner Verteidigung anzuführen, und hofft abermals die Wahrheit durch trügerische Künste verhüllen zu können. Sieh dich also vor, Varus! Ich kenne das Ungeheuer, ich sehe schon voraus, wie er sich den Schein der Glaubwürdigkeit zu geben und durch sein heuchlerisches Gewinsel Eindruck zu machen versuchen wird. Er ist es, der mich warnte, vor Alexander, so lange dieser noch lebte, mich in acht zu nehmen und meine Person nicht jedermann anzuvertrauen. Er ist es ferner, der Zutritt zu meinem Schlafgemach hatte und aufpasste, dass niemand mir nachstellen möchte. Er ist es endlich, der meinen Schlaf bewachte, der für meine Sicherheit sorgte, der mich in meiner Trauer über die Hingerichteten tröstete, der die Gesinnung seiner noch lebenden Brüder zu beobachten hatte, kurz: er war mein Hüter und Leibwächter. Wenn ich nun, o Varus, seine Arglist und Heuchelei bedenke, so vermag ich kaum zu begreifen, wie ich noch lebe und einem so durchtriebenen Verräter entrinnen konnte. Aber da einmal, wie es scheint, ein böser Dämon mein Haus zu veröden und meine liebsten Angehörigen gegen mich aufzuhetzen trachtet, so kann ich nur die Ungerechtigkeit meines Geschickes beklagen und meine Vereinsamung beweinen. Niemand indes, der nach meinem Blute dürstet, soll mir entschlüpfen, und machte der Schuldbeweis auch die Runde durch alle meine Kinder!" 3. Hier vermochte der König vor Erschütterung nicht weiter zu reden und hiess daher seinen Freund Nikolaus die Beweise vortragen. Mittlerweile richtete Antipater, der bis dahin zu Füssen seines Vaters hingestreckt gelegen hatte, sich auf und rief: „Du selbst, Vater, hast meine Verteidigung geführt! Denn wie kann ich ein
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Vatermörder sein, da du an mir, wie du selbst gestehst, beständig einen Wächter hattest? Meine kindliche Liebe, sagst du freilich, sei nichts als Lug und Trug gewesen. Wie aber müsste ich, der ich sonst in allem so schlau sein soll, doch so unsinnig gewesen sein, um nicht einzusehen, dass, wer solche Schandthaten ins Werk setzt, nicht einmal vor den Menschen sich zu verbergen weiss, geschweige denn vor dem allsehenden und allgegenwärtigen Richter im Himmel! Oder war mir etwa das Ende meiner Brüder unbekannt, die Gott für den verbrecherischen Anschlag gegen dich so schwer gezüchtigt hat? Und was soll mich denn wider dich aufgebracht haben? Etwa die Aussicht, König zu werden? Aber ich war ja König! Oder der Gedanke, von dir gehasst zu sein? Ward ich denn nicht geliebt? Oder dass ich deinetwegen mich vor anderen fürchten musste? Aber ich war ja vielmehr anderen furchtbar dadurch, dass ich dich beschützte! Oder vielleicht Geldmangel? Wer durfte denn grösseren Aufwand machen als ich? Wäre ich aber auch der verworfenste aller Menschen und besässe ich die Tücke des wilden Tieres, hatten mich dann nicht, o Vater, deine Wohlthaten bezähmen müssen, da du mich, wie du selbst sagtest, in dein Haus wieder aufgenommen, deinen vielen übrigen Kindern vorgezogen, noch bei deinen Lebzeiten zum Könige ernannt und durch eine Menge anderer Auszeichnungen zum Gegenstande des Neides gemacht hast? 0, welch ein Unglück ist diese verwünschte Reise für mich geworden! Wieviel Anlass habe ich dadurch der Missgunst, wie lange Frist meinen Verleumdern gegeben! Aber dir zulieb, Vater, und in deinem Interesse habe ich doch die Reise unternommen, damit nicht Syllaeus deines Alters spotte. Rom ist Zeuge meiner kindlichen Liebe, und nicht minder der Caesar, der mich oft den Vaterliebenden nannte. Nimm, Vater, dieses Schreiben von ihm, das glaubwürdiger ist als die hier gegen mich vorgebrachten Verleumdungen; es ist auch zugleich mein einziger Verteidiger und soll Zeugnis ablegen von meiner zärtlichen
Seite 170 Liebe zu dir. Erinnere dich, wie ungern ich abreiste, da ich die heimliche Feindseligkeit, die man im Reiche gegen mich hegte, wohl kannte. Du, Vater, hast, ohne es zu wollen, mich ins Verderben gestürzt, indem du mich nötigtest, dem Neide Zeit zum Anschwärzen zu lassen. Nun aber bin ich wieder da, bin da, um den Beweisen entgegen zu treten, und zu Wasser wie zu Lande ist der Vatermörder wohlbehalten geblieben. Freilich hilft mir dieses Zeugnis nichts, denn bei Gott und bei dir, Vater, bin ich verdammt. Als Verdammter aber bitte ich dich, du wollest nicht den Aussagen trauen, die andere auf der Folter gemacht - sondern gegen mich selbst bringe man das Feuer heran, und in meinen Eingeweiden mögen die Marterwerkzeuge wühlen! Schonet dann meiner nicht, wenn ihr das Jammern hört, das von dem verruchten Körper ausgeht! Denn wenn ich wirklich ein Vatermörder bin, so darf ich nicht ungefoltert sterben." Diese Worte stiess Antipater unter Weinen und Schluchzen hervor und rührte damit alle übrigen Anwesenden sowohl als auch den Varus zum Mitleid. Herodes allein in seinem Grolle blieb thränenlos, denn er wusste zu gut, wie begründet die Anklage war. 4. Auf Befehl des Königs nahm nun Nikolaus das Wort und richtete, nachdem er Antipaters Arglist besprochen und das ihm entgegengebrachte Mitleid wieder zerstreut hatte, eine scharfe Anklage wider ihn. Er legte ihm nämlich sämtliche Schandthaten zur Last, die im Königspalast vorgekommen waren, besonders aber den Untergang der beiden Brüder, der, wie er zeigte, Antipaters Ranken allein beizumessen war. Überdies, fuhr er fort, stelle derselbe auch noch den übrigen Mitgliedern des Königshauses nach, die ihm seiner Meinung nach die Thronfolge gefährdeten. Denn wer seinem Vater einen Gifttrank habe bereiten können, der werde auch vor der Ermordung seiner Brüder nicht zurückschrecken. Indem Nikolaus sich dann zu den Beweisen für den beabsichtigten Giftmord wandte, ging
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er der Reihe nach die Zeugenaussagen durch und gab insbesondere seiner Entrüstung darüber Ausdruck, dass Antipater auch den Pheroras zum Brudermörder gemacht und durch Verführung der besten Freunde des Königs den Palast in eine Verbrecherhöhle umgewandelt habe. So fuhr er noch eine Weile mit der Darlegung von Beweisen fort und schloss dann seine Rede. 5. Als Varus hierauf an Antipater die Frage richtete, was er zu seiner Rechtfertigung anzuführen habe, brachte dieser nichts weiter als die Worte hervor: „Gott ist Zeuge meiner Unschuld", und blieb schweigend liegen. Varus liess nun das Gift bringen und es einem zum Tode verurteilten Gefangenen eingeben, der infolgedessen sogleich tot niederfiel. Nachdem sodann der Statthalter noch eine geheime Unterredung mit Herodes gehabt, erstattete er dem Caesar schriftlichen Bericht über die Verhandlung und reiste tags darauf weg. Der König aber liess Antipater in Fesseln legen und ordnete eine Gesandtschaft ab, um dem Caesar von seinem Unglück Nachricht zu geben. 6. Gleich nach diesen Vorgängen ward auch noch ein Anschlag Antipaters gegen Salome entdeckt. Von Rom nämlich war ein Diener des Antiphilus mit Briefen von Akme, einer Kammerfrau der Julia, angekommen. Diese Akme schrieb dem Könige, sie habe in den Papieren der Julia Briefe von Salome gefunden und übersende ihm dieselben anbei insgeheim aus Ergebenheit gegen ihn. Die Briefe aber enthielten die bittersten Schmähungen und schwersten Beschuldigungen wider den König und waren von Antipater gefälscht worden, der auch die Akme durch Bestechung veranlasst hatte, sie dem Herodes zu senden. Überführt wurde nun Antipater durch einen an ihn selbst gerichteten Brief, in welchem Akme schrieb: „Ich habe deinem Auftrage gemäss an deinen Vater geschrieben und ihm die bewussten Briefe geschickt. Der König wird, des bin ich gewiss, seine Schwester nicht am Leben lassen, wenn er dieselben gelesen hat. Ist alles glücklich ab
Seite 172 gelaufen, so wirst du hoffentlich deine Versprechungen nicht vergessen." 7. Als dieser sowie die gegen Salome gerichteten Briefe aufgefangen waren, da erst regte sich beim Könige der Verdacht, es möchten solche Fälschungen auch gegen Alexander begangen worden sein. Der Gedanke übrigens, dass Antipater ihn beinahe zum Mörder seiner Schwester gemacht hätte, erbitterte ihn so heftig, dass er denselben ohne weiteren Aufschub für alle seine Verbrechen büssen lassen wollte. Doch als er eben Anstalten dazu traf, ward er von einer schweren Krankheit befallen. Er gab nun in betreff der Akme sowie der gegen Salome geschmiedeten Ränke dem Caesar Nachricht, liess sich alsdann sein Testament bringen und änderte dasselbe dahin ab, dass er mit Übergehung seiner ältesten Söhne Archelaus und Philippus, die Antipater gleichfalls bei ihm verdächtigt hatte, den Antipas als Thronerben bezeichnete. Dem Caesar vermachte er ausser den nicht in Geld bestehenden Geschenken tausend und dessen Gattin, Kindern, Freunden und Freigelassenen etwa fünfhundert Talente; an viele andere Personen verteilte er Ländereien; mit den glänzendsten Geschenken aber bedachte er seine Schwester Salome. In dieser Weise änderte Herodes sein Testament.
1. Des Königs Krankheit aber verschlimmerte sich mehr und mehr, wozu besonders Kummer und Alter das ihrige beitrugen. Er war nämlich fast siebzig Jahre alt, und das Unglück, das er mit seinen Kindern gehabt, hatte sein Gemüt derart verdüstert, dass er nicht einmal in gesunden Tagen seines Lebens so recht froh geworden war. Eine weitere Steigerung erfuhr die Krankheit durch
Seite 173 den Gedanken, dass Antipater noch lebe; doch wollte er ihn vorläufig noch nicht, sondern erst nach seiner Wiedergenesung hinrichten lassen. 2. Um das Unheil voll zu machen, brach nun auch noch ein Volksaufstand aus. Es lebten damals in der Stadt 1 zwei Schriftgelehrte, die für besondere Kenner des väterlichen Gesetzes galten und darum beim Volke in sehr hohem Ansehen standen, Judas, der Sohn des Sepphoraeus 2, und Matthias, der Sohn des Margalos 3. Wenn diese Männer das Gesetz erklärten, strömten die jungen Leute in Menge bei ihnen zusammen, und so lehrten sie tagtäglich vor einem ganzen Heere von Zuhörern. Als sie nun erfuhren, wie Gram und Krankheit den König allmählich verzehre, liessen sie ihren Schülern gegenüber die Worte fallen, jetzt sei es an der Zeit, die Ehre Gottes zu verteidigen und die dem Gesetz der Väter zuwider errichteten Bildwerke zu zerstören. Denn ungesetzlich sei es, an dem Tempel Standbilder, Büsten oder sonstige Bildwerke anzubringen, die den Namen lebender Wesen trügen. Herodes nämlich hatte über dem grossen Tempelthor einen goldenen Adler aufstellen lassen, und eben diesen rieten die Schriftgelehrten herunterzureissen, indem sie hinzufügten, wenn auch Gefahr damit verbunden sein sollte, so sei es doch ehrenvoll, für das väterliche Gesetz zu sterben. Wer so ende, dessen Seele werde unsterblich sein und ewige Glückseligkeit geniessen, und nur unedle Menschen, die jeder wahren Weisheit bar seien und kein Verständnis dafür hätten, was ihrer Seele fromme, zögen den Tod durch Krankheit dem Heldentode vor. 8. Zugleich mit diesen Reden verbreitete sich das Gerücht, der König liege in den letzten Zügen, und nun gingen die jungen Leute um so dreister ans Werk. Mitten am Tage, während eine Menge Volkes in der Nähe des Tempels sich aufhielt, liessen sie sich an
1 Jerusalem.
2 J. A. XVII, 6, 2 heisst er Sariphaeus.
3 J. A. XVII, 6, 2: Margaloth.
Seite 174 starken Seilen vom Tempeldach hinab und zerhieben den goldenen Adler mit Äxten. Sogleich wurde hiervon dem königlichen Palastkommandanten Meldung erstattet, der dann eilends mit einer starken Truppenabteilung heranrückte, etwa vierzig junge Leute festnahm und sie vor den König führte. Gleich auf die erste Frage, ob sie es gewesen, die sich erfrecht hatten, den goldenen Adler zu zerstören, gestanden sie die That trotzig ein, und auf die weitere, wer ihnen dazu den Auftrag gegeben, erwiderten sie: Das Gesetz ihrer Väter. Als sie dann auch noch gefragt wurden, weshalb sie so freudig gestimmt seien, da sie doch den Tod erleiden müssten, erklärten sie, nach dem Tode werde ihnen grösseres Glück zuteil werden. 4. Der übermässige Zorn, in welchen der König hierüber geriet, bewirkte eine Besserung seiner Krankheit, sodass er persönlich in eine Volksversammlung 1 gehen konnte, wo er in länger Rede die jungen Leute als Tempelschänder anklagte, die unter dem Vorwand, das Gesetz zu schützen, weitergehende Absichten verfolgten. Sodann verlangte er, sie sollten als Gotteslästerer bestraft werden. Weil aber das Volk fürchtete, es konnten eine Menge Menschen in die Untersuchung verwickelt werden, bat es ihn zunächst, er möge nur die Anstifter bestrafen, und hernach, er möge nur gegen die bei der That Ertappten einschreiten, den übrigen dagegen Verzeihung gewähren. Der König, der nur ungern nachgab, liess nun die, welche sich an den Seilen herabgelassen hatten, samt jenen Schriftgelehrten lebendig verbrennen, während er die anderen Verhafteten dem Henker zur Hinrichtung überantwortete. 5. Von da an ergriff die Krankheit seinen ganzen Leib und erzeugte in dessen einzelnen Teilen verschiedenartige Leiden. Das Fieber war zwar nicht heftig, aber auf der ganzen Körperoberfläche empfand er unerträgliches Jucken und in den Eingeweiden beständige
1 Die nach J. A. XVII, 6, 3 in Jericho stattfand.
Seite 175 Schmerzen. An den Füssen bildeten sich Anschwellungen wie bei Wassersüchtigen, im Unterleib eine Entzündung und an den Schamteilen ein fauliges Geschwür, welches Würmer erzeugte. Ausserdem quälten ihn Atembeschwerden, die ihm das Liegen unmöglich machten, und Krämpfe in allen Gliedern. Die Wahrsager erklärten, die Krankheit sei eine Strafe für die Tötung der Schriftgelehrten. Er selbst hing, wiewohl er so viele Qualen auszustehen hatte, dennoch mit Zähigkeit am Leben, erhoffte seine Genesung und sann auf Heilmittel. Und alsbald liess er sich über den Jordan bringen, um die warmen Quellen von Kallirrhoel zu gebrauchen, deren Wasser in den Asphaltsee 2 fliesst und so süss ist, dass man es auch trinken kann. Dort hielten die Arzte es für angezeigt, seinen ganzen Leib in warmem Oel zu baden. Als man ihn aber in eine mit Oel gefüllte Wanne setzte, wurde es ihm schwarz vor den Augen, und er verdrehte sie wie ein Sterbender. Das Geschrei jedoch, das seine bestürzten Diener erhoben, brachte ihn wieder zu sich, und nun gab er selbst alle Hoffnung, zu genesen, auf und liess den Soldaten Mann für Mann fünfzig Drachmen, den Offizieren und seinen Freunden aber noch weit grössere Geldgeschenke verabreichen. 6. Als er auf der Rückreise nach Jericho kam, ergriff ihn die schwarze Galle 3, und als wollte er dem Tode selbst noch drohen, verfiel er auf eine ruchlose Handlung. Er liess nämlich die angesehensten Männer von ganz Judaea aus den einzelnen Ortschaften zusammenkommen und sie in dem sogenannten Hippodrom 4
1 Heute Zerka Matn, wo sich warme Schwefelquellen befinden, deren heisseste nach Badeker-Socin eine Temperatur von 61,50 C. hat. Die Araber bedienen sich der Quellen noch jetzt vielfach zur Badeund Trinkkur.
2 Das tote Meer.
3 D. i. hochgradige Gelbsucht; hiernach scheint das Leiden des Herodes entweder die Leberschrumpfung (Cirrhose) oder der Leberkrebs gewesen zu sein.
4 Der Rennbahn.
Seite 176 einschliessen. Sodann beschied er seine Schwester Salome nebst ihrem Manne Alexas zu sich und sprach zu ihnen: „Ich weiss, dass die Juden meinen Tod wie ein Freudenfest feiern werden. Doch es sollen mir schon andere dazu verhelfen, dass ich betrauert werde und ein glänzendes Leichenbegängnis erhalte, wenn ihr nur meinen Auftrag ausführen wollt. Alsbald nach meinem Ableben nämlich lasset ihr die eingesperrten Männer durch Soldaten umzingeln und schleunigst niedermachen, damit ganz Judaea und jede einzelne Familie wider Willen meinen Tod beweine." 7. Hierauf langten Briefe von den zu Rom befindlichen Gesandten an, welche meldeten, dass Akme auf Befehl des Caesars hingerichtet und Antipater zum Tode verurteilt worden sei; doch wenn der Vater, so hiess es weiter, ihn lieber in die Verbannung schicken wolle, habe der Caesar nichts dagegen einzuwenden. Herodes zeigte nun auf kurze Zeit wieder etwas Lebensmut; als aber bald nachher mangelnde Nahrungsaufnahme und krampfhafter Husten ihn zermarterten, beschloss er im Übermass seiner Leiden, dem Geschick zuvorzukommen. Er nahm also einen Apfel und verlangte ein Messer dazu, um ihn seiner Gewohnheit gemäss zu zerschneiden, ehe er ihn verspeiste. Dann sah er sich um, ob vielleicht jemand ihn hindern würde, und erhob seine Rechte, um sich zu erstechen. Sogleich aber stürzte sein Vetter Achiab herbei, fiel ihm in den Arm und vereitelte den Selbstmord. Im Palast erhob sich nun ein gewaltiges Klagegeschrei, wie wenn der König schon gestorben wäre. Kaum hatte Antipater dasselbe vornommen, als er wieder Mut fasste und voller Freude seine Wächter bestürmte, ihn gegen ein Geldgeschenk seiner Fesseln zu entledigen und entwischen zu lassen. Der Wachkommandant jedoch, weit entfernt, dies zuzugeben, lief vielmehr zum Könige und machte ihm von dem Bestechungsversuch Meldung. Mit einer in anbetracht seines leidenden Zustandes ausserordentlich starken Stimme schrie Herodes auf und schickte sogleich einige
Seite 177 Erstes Buch, 33. Kapitel
Trabanten ab, um Antipater hinzurichten. Nachdem er sodann Befehl gegeben, den Leichnam in Hyrkanium beizusetzen, änderte er nochmals sein Testament und schrieb als Thronfolger seinen ältesten Sohn Archelaus, den Bruder des Antipas, hinein, während er den letzteren zum Tetrarchen ernannte. 8. Fünf Tage nach der Hinrichtung seines Sohnes starb auch Herodes l. Seitdem er durch Ermordung des Antigonus sich der höchsten Gewalt bemächtigt hatte, waren vierunddreissig, seit seiner Ernennung zum Könige durch die Römer siebenunddreissig Jahre verflossen. Wie kaum ein anderer war er nach aussen hin vom Glücke begünstigt. Denn als Privatmann war er in den Besitz eines Königreiches gelangt und konnte es nach langjähriger Regierung eigenen Kindern hinterlassen; nur in seinem Familienleben traf ihn Unglück über Unglück. - Bevor nun das Heer seinen Tod erfuhr, begab sich Salome mit ihrem Gatten hinaus und liess die Gefangenen frei, die der König umzubringen befohlen hatte, indem sie vorgab, er habe sich anders besonnen und sende sie jetzt alle wieder in ihre Heimat zurück. Erst nachdem diese fort waren, teilte sie den Soldaten den Sachverhalt mit und berief sie samt dem übrigen Volke zu einer Versammlung in das Amphitheater zu Jericho. Dort trat Ptolemaeus auf, dem Herodes seinen Siegelring anvertraut hatte, pries den König glücklich, tröstete das Volk und las das Schreiben vor, das der König den Soldaten hinterlassen hatte und in welchem er sie eindringlich ermahnte, seinem Nachfolger die Treue zu bewahren. Nach Verlesung des Schreibens eröffnete Ptolemaeus das Testament und machte seinen Inhalt bekannt. Philippus war darin zum Erben von Trachon und der angrenzenden Länder, Antipas, wie schon oben erwähnt, zum Tetrarchen und Archelaus zum Könige ernannt. Dem letzteren war zugleich aufgetragen, den Siegelring des Herodes und die versiegelten Akten über
1 4 v. Chr.
Seite 178 die Reichsverwaltung dem Caesar zu überbringen; denn dem Caesar verbleibe die letzte Entscheidung über alle Bestimmungen des Testamentes, und er müsse dasselbe zunächst bestätigen. Im übrigen solle es bei den früheren Anordnungen sein Bewenden haben. 9. Sogleich wurde nun Archelaus unter lautem Zuruf beglückwünscht. Truppweise zogen die Soldaten samt dem Volke an ihm vorbei, gelobten ihm Treue und flehten Gottes Huld auf ihn herab. Hierauf traf man Anstalten zur Beisetzung des Königs. Archelaus liess es an keinem Aufwand fehlen und stellte, um ein prunkvolles Leichenbegängnis zu ermöglichen, den gesamten königlichen Schmuck zur Schau. Das Paradebett war ganz von Gold und mit Edelsteinen besetzt, die Decke von buntgesticktem Purpur, und der Leichnam, der auf ihr lag, gleichfalls mit einem Purpurgewand umhüllt. Auf seinem Haupte ruhte das Königsdiadem und darüber eine goldene Krone, und die Rechte hielt das Scepter. Das Paradebett umgaben die Söhne und die übrigen zahlreichen Verwandten des Königs; alsdann folgten die Soldaten der Leibwache, die thrakische Abteilung, die Germanen und die Gallier, alle in voller Kriegsrüstung. Voran schritt der übrige Teil des Heeres unter Führung seiner Obersten und Hauptleute, ebenfalls in vollem Waffenschmuck, und daran schlossen sich fünfhundert Diener und Freigelassene, welche köstliche Spezereien trugen. So zog man mit dem Leichnam zweihundert Stadien 1 weit nach Herodium, wo er dem Befehle des Verstorbenen gemäss beigesetzt wurde. Das war das Ende des Herodes.
1 So weit war also Herodium von Jericho, wo Herodes starb, entfernt, während die Entfernnng von Jerusalem 60 Stadien betrug (s. 13, 8 und J. A. XIV, 13, 9). Die Angabe J. A. XVII, 8,4, der Leichnam sei acht Stadien weit getragen worden, ist somit falsch
1. Wie Archelaus nach der Trauer um seinen Vater und der Bewirtung des Volkes dem letzteren die Erfüllung seiner Forderungen zusagte. 2. Wie er viele von denen, welche die wegen der Zerstörung des Adlers zum Tode verurteilten Gesetzeslehrer betrauerten und einen Aufstand gegen ihn schürten, töten liess, darunter besonders diejenigen, die zur Zeit des Paschafestes sich versammelt hatten. 3. Wie Sabinus, als Archelaus nach Rom abreiste, auf dem Marsche nach Jerusalem demselben begegnete und auf Varus Aufforderung wieder umkehrte, dann aber nach des letzteren Abreise abermals dorthin zog und, wiewohl vergeblich, die Königsburg in Besitz zu nehmen und alles Geld zu rauben trachtete. 4. Wie Antipas mit Archelaus um den Thron stritt, und was jeder von beiden zu seinen Gunsten vorbrachte. 5. Wie das Volk, als Sabinus nach Jerusalem gekommen war und nicht nur mit Gewalt die Abgaben eintrieb, sondern auch des Königs Schätze aufstöberte, sich zusammenrottete und sich wider ihn erhob, sodass die Empörung ganz Judaea ergriff. 6. Von den Unruhstiftern in Judaea und von denen, die sich die Königskrone aufsetzten. 7. Wie Varus heranzog, den Aufstand niederwarf und gegen die Rädelsführer einschritt. 8. Wie die Juden sich zum Caesar begaben, den Herodes und seine Söhne anklagten und begehrten, nicht länger mehr unter Königen stehen zu müssen. Wie Archelaus sie widerlegte und ihre Anklagen zunichte machte. 9. Wie der Caesar dem Archelaus die Hälfte des Königreiches gab und ihn zum Ethnarchen ernannte, den Rest aber in zwei Tetrarchien teilte, von denen er die eine dem Philippus, die andere dem Antipater, der auch Antipas und Herodes genannt wurde, verlieh. Was der Caesar den übrigen Nachkommen des Herodes zuerkannte. 10. Vom falschen Alexander und wie er entlarvt wurde. 11. Wie Archelaus im neunten Jahre seines Thrones und Vermögens verlustig ging und in dauernde Verbannung geschickt wurde. Seine und seiner Gattin Traume. Sein Reich wird in eine Provins verwandelt und einem Landpfleger unterstellt.
Seite 180 12. Von Judas dem Galilier, der seine Landsleute zum Abfall reizte, und von den drei Sekten der Juden, den Sadducäern, Pharisäern und Essenern. 13. Tod von Herodes Schwester Salome und des Caesars Augustus. Thronbesteigung des Tiberius. Welche Städte die Tetrarchen Herodes und Philippus gründeten. 14. Wie Pilatus, der Landpfleger von Judaea, Bildnisse des Caesars nach Jerusalem bringen liess, aber auf inständige Bitten des Volkes sie wieder aus der Stadt entfernte. Wie er den Tempelschatz zur Anlage einer Wasserleitung verwenden wollte, dadurch aber das Volk zum Aufruhr trieb und viele Juden umbringen liess. 15. Wie Agrippa, der Sohn des zugleich mit seinem Bruder von Herodes getöteten Aristobulus, sich zu Tiberius begab, um den Herodes anzuklagen, vom Caesar aber nicht nur abgewiesen, sondern auch ins Gefängnis geworfen und schlecht behandelt wurde, weil er des Gajus Regierung herbeigewünscht hatte. 16. Wie er nach dem Ableben des Tiberius und der Thronbesteigung des Gajus freigelassen wurde und die Tetrarchie des verstorbenen Philippus sowie auch die von dessen uder Herodes erhielt, der mit seiner Gattin Herodias seiner Habgier wegen und weil er von Agrippa angeschuldigt worden war, nach Hispanien verbannt wurde. 17. Wie Gajus den Petronius nach Judaea schickte, um seine Bildsäule im Tempel aufstellen zu lassen, und wie fast sämtliche Juden dem Petronius bis nach Ptolemais entgegenzogen und ihn beschworen, dies nicht zu thun. Beschreibung von Ptolemais und des Beleusflusses. Vom Grabmal des Memon und dem Glassande. Wie Petronius sich bewegen liess, von der Aufstellung der Bildsäule abzusehen. 18. Wie nach Gajus Tod Claudius zur Regierung kam, nachdem der Senat auf Agrippas Anraten sich mit ihm ausgesohnt hatte. Wie Claudius den Agrippa mit dem ganzen Reiche seines Vaters belehnte und noch und ere Landesteile hinzufügte, Agrippas Bruder aber, der auch zugleich dessen Schwiegersohn war, zum Könige von Chalkis machte. 19. Wie Agrippa, als er Jerusalem zu befestigen angefangen hatte starb und sein Reich wiederum zur Provinz unter Verwaltung eines Landpflegers wurde. Wie alsdann auch Herodes, der König von Chalkis, aus dem Leben schied, und Claudius dessen Neffen Agrippa, den Sohn Agrippas, mit seinem Reiche belehnte. Wie im Gegensatz zu diesen Nachkommen des Aristobulus die Nachkommen Alexanders in Grossarmenien herrschten. 20. Wie unter dem Landpfleger Cumanus infolge des schamlosen Benehmens eines Soldaten ein Aufstand in Jerusalem ausbrach und gegen zehntausend Juden umkamen. Wie nach Niederwerfung dieser Empörung eine zweite entstand, weil ein Soldat in Samaria das Gesetzbuch verbrannt hatte.
Seite 181 Zweites Buch, Inhalt
21. Wie infolge der Ermordung eines Galiliers durch die Samaritaner wiederum ein schwerer Streit entstand, und auf welche Weise derselbe von Claudius beigelegt wurde. Claudius versetzt den Agrippa von Chalkis in ein grösseres Königreich. 22. Wie nach Claudius Tod Nero den Thron bestieg, die Regierung von Kleinarmenien dem Aristobulus, Sohn des Herodes, übertrug, dem Gebiete des Agrippa noch vier Städte samt den zugehörigen Bezirken hinzufügte und den übrigen Teil von Judaea dem Landpfleger Felix unterstellte, der viele Übeltäter kreu. zigen liess und den Räuberhauptmann Eleazar, nachdem dieser zwanzig Jahre lang das Land beunruhigt hatte, in Ketten nach Rom schickte. 23. Von den sogenannten Sikariern, den falschen Propheten und den Volksaufwieglern. Von dem Streite zwischen Juden und Griechen zu Caesarea um die bürgerliche Gleichberechtigung, und wie jede Partei eine Abordnung an Nero schickte, um ihre Sache zu verfechten. 24. Vom Nachfolger des Festus, dem Landpfleger Albinus, der boshaften Gemütes war, immerhin aber noch ein Muster von Rechtschaffenheit im Vergleich zu seinem viel schlimmeren Nachfolger Florus. 25. Wie die Griechen zu Caesarea es bei Nero durchsetzten, dass sie als Herren der Stadt anerkannt wurden, worauf derJüdische Krieg begann, einesteils weil ein Einwohner von Caesarea in einem Topfe Vogel opferte, andernteils weil Florus aus dem Tempelschatz siebzehn Talente entnehmen liess. 26. Von Berenike, der Schwester Agrippas, und was ihr widerfuhr. 27. Wie Florus den bereits erloschenen Aufruhr wieder entfachte indem er den Juden vorschrieb, sie sollten den Truppen entgegenziehen und sie begrüssen, den Soldaten dagegen befahl, die Begrüssung nicht zu erwidern und, sobald sie unwillige Reden vernähmen, sogleich von ihren Waffen Gebrauch zu machen. 28. Wie Florus die Stadt verliess und Bericht über die Empörung der Juden an Cestius erstattete, der alsdann den Tribun Neapolitanus zur Untersuchung der Angelegenheit schickte. Wie Neapolitanus mit Agrippa die Stadt betrat und die Juden im Frieden mit den Römern, aber in lauten Klagen gegen Florus antraf, worauf er zu seinem Auftraggeber zurückkehrte, während der König dem Volke zu ruhigem Verhalten riet. 29 Wie die Juden, als Agrippa den Aufruhr beschwichtigt hatte und den Versuch machte, sie nun auch mit Florus wieder auszusöhnen, in Wut gerieten und Agrippa durch einen Herold sagen liessen, er solle sich aus der Stadt entfernen. Wie sie darauf die Festung Masada, nachdem sie die römische Besatzung des Platzes niedergemacht hatten, in ihre Gewalt brachten. 30. Wie man, als Eleazar, des Hohepriesters Ananias Sohn, Befehls-
Seite 182 haber der Tempelwache war, die hergebrachten Opfer für den Caesar zurückwies und dadurch erst recht den Krieg schärte. 31. Wie die Vornehmen Abgeordnete an Agrippa sandten und von ihm eine Streitmacht erhielten, deren sie sich gegen Eleazar und seinen aufrührerischen Anhang bedienten. Vom Feste des Holztragens und von den Sikariern. 32. Wie Manäm, der Sohn jenes Galillers Judas, der einst gegen Qürinius das Volk aufgehetzt hatte, sich wider Eleazar erhob, und wie er nebst seinem Anhang und allen Königlichen von den Leuten Eleazars niedergemacht wurde. 33. Wie das ganze Volk der Juden, nachdem die Bewohner von Caesarea alle ihre Jüdischen Mitbürger umgebraeht hatten, sich erhob und Greuelthaten in Syrien und den angrenzenden Gebieten verübte. 84. Wie die Bewohner von Skythopolis ebenfalls ihre Jüdischen Mitbirger niedermachten. Bericht über einen gewissen Simon, der seine ganze Familie und sich selbst tötete. Wie allenthalben die Juden von den Griechen umgebracht wurden. 35. Wie einige Griechen die bei ihnen lebenden Juden verschonten, und wie im Reiche Agrippas die Juden ohne sein Vorwissen niedergemacht wurden. 36. Wie auch anderwärts die Juden schonungslos getötetund namentlich von den Alexandrinern ihrer fünfzigtausend hingeschlachtet wurden. 37. Wie schlimm Cestius auf dem Marsche von Antiochia nach Jerusalem hauste, wie viele Städte er einnahm und wie viele Menschen er umbringen liess. Wie die Juden bei seiner Annliherung an Jerusalem ihn angriffen und viele Römer niedermetzelten, dann aber geschlagen wurden und sich in die Stadt zurückzogen, wöhrend Simon, des Gioras Sohn, noch eine grosse Anzahl Römer tötete. 38. Wie Agrippa Friedensunterhandlungen mit den Juden versuchte, aber nichts ausrichtete, da die Empörer sich ihm widersetzten. 39. Wie Cestius dieselben unversehens angriff und die innere Stadt samt dem Tempel bedrängte, dann aber, obwohl er die Stadt hätte nehmen können, sich zurückzog, da der Lagerpraefekt und die Reiterobersten, die von Florus bestochen waren, ihm dazu rieten. Wie Cestius darauf wiederum die Belagerung in Angriff nahm, aber bald den Ruickzug antrat. 40. Wie Cestius unbesonnenerweise sein Lager von der Stadt entfernte, und was er auf seinem Rückzug von den Juden zu erdulden hatte. 41. Wie die Damascener ihre jiudischen Mitbürger niedermachten, und wie die von der Verfolgung des Cestius zurückkehrenden Juden ihr Augenmerk auf die Sicherung der Stadt richteten und noch weitere Fuihrer wihlten, darunter auch den Verfasser dieser Geschichte.
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42. Welche Anordnungen Josephus in dem ihn unterstellten Bezirke traf. 43. Von Joannes, der sich später als Tyrann erwies. Seine Ränke gegen Josephus. 44. Wie es in Jerusalem unter der Verwaltung des Ananus aussah, und was Simon, des Gioras Sohn, im Bezirk von Akrabatta trieb.
1. Anlass zu neuen Unruhen gab die Reise nach Rom, welche Archelaus unternehmen musste. Nachdem er seinen Vater sieben Tage lang betrauert und dem Volke einen kostspieligen Leichenschmaus gegeben hatte - eine Sitte, infolge deren viele Juden verarmen, denn man ist fast genötigt, die Leidtragenden zu bewirten, weil die Unterlassung als Mangel an Pietat gedeutet wird -, legte er ein weisses Gewand an und begab sich in den Tempel, wo das Volk ihn mit vielfaltigen Segenswünschen empfing. Er selbst begrüsste dann das Volk von einem goldenen Throne aus, der auf hoher Tribuine errichtet war, und dankte für die eifrige Teilnahme am Begräbnis seines Vaters sowie für die Huldigung, die man ihm dargebracht, als wenn erschon -wirklicher König wäre. Er verzichte aber, fuhr er fort, für jetzt nicht nur auf die Ausübung der Herrschergewalt, sondern auch auf die Titel, bis ihn in der Thronfolge der Caesar bestätigt habe, dem der Bestimmung des Testamentes zufolge über alles die endgültige Entscheidung zustehe. Er habe demgemäss auch in Jericho das Diadem, das die Soldaten ihm hätten aufsetzen wollen, nicht angenommen. Für die Beweise von Treue und Ergebenheit werde er übrigens dem Heere wie dem Volke seinen vollen Dank erstatten, sobald er höheren Orts als wirklicher König anerkannt sei. Er werde dann nämlich eifrigst darauf bedacht sein, sich in allen
Seite 184 Stücken gegen seine Unterthanen milder zu zeigen als sein Vater. 2. Voll Freude über diese Zusage stellte das Volk alsbald seine Gesinnung durch hohe Forderungen auf die Probe. Die einen nämlich riefen nach Erleichterung der Abgaben, andere nach Aufhebung der Zolle, wieder andere nach Freilassung der Gefangenen. Um sich beim Volke beliebt zu machen, sagte Archelaus alles zu; hierauf opferte er und hielt mit seinem Gefolge ein Freudenmahl. Gegen Abend aber sammelte sich eine nicht unbeträchtliche Schar Unzufriedener, die, nachdem die öffentliche Trauer um den König zu Ende war, nunmehr ihrer eigenen Ausdruck geben zu müssen glaubten, indem sie diejenigen beklagten, welche Herodes wegen der Zerstörung des am Tempelthor angebrachten goldenen Adlers hatte hinrichten lassen. Das war keine erheuchelte Trauer, die nun die Stadt erfüllte, sondern markerschütterndes Schluchzen und tiefempfundene Wehklage um die Männer, welche, wie man sich ausdrückte, für das Gesetz der Vater und den heiligen Tempel ihr Leben gelassen hätten. Ihren Tod müsse man, so schrie die Menge, an denen rächen, die Herodes zu Amt und Würden erhoben habe. Vor allem aber habe der von ihm eingesetzte Hohepriester abzudanken und einenm frömmeren und reineren Platz zu machen. 3. So sehr Archelaus hierüber in Wallung geriet, enthielt er sich doch mit Rücksicht auf die Dringlichkeit eeiner Reise vorläufig noch des strafenden Einschreitens. Er fürchtete nämlich, die Bewegung möchte, wenn er sich mit dem Volke verfeinde, so anwachsen, dass seine Reise dadurch gänzlich vereitelt würde. Deshalb suchte er die Unzufriedenen mehr mit guten Worten als durch Anwendung von Gewalt zur Ruhe zu bringen und sandte einen höheren Offizier ab, um sie zu friedlichem Verhalten ermahnen zu lassen. Als dieser aber den Tempel betrat, jagten ihn die Empörer, ehe er noch zu Wort gekommen war, mit Steinwürfen wieder weg, und auch die anderen Abgesandten des Archelaus, die nach
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ihm erschienen, um sie zur Besinnung zu bringen, wiesen sie unter leidenschaftlichen Drohungen ab. Es war klar, wenn sie Verstärkung erhielten, so waren sie gar nicht mehr zu bändigen, und gerade jetzt strömte eine Menge von Landleuten zu religösen Feierlichkeiteh in der Stadt zusammen, da das Fest der ungesäuerten Brote bevorstand, welches die Juden Pascha nennen und durch Darbringung unzahliger Opfer verherrlichen. Diejenigen nun, welche die Gesetzeslehrer betrauerten, hielten sich im Tempel beieinander und schärten von hier aus die Flamme des Aufrührs. Darüber geriet Archelaus in Angst, und um die Ausbreitung des Empörungsfiebers auf das ganze Volk zu verhindern, sandte er in aller Stille einen Tribun an der Spitze einer Kohorte ab mit dem Auftrag, sich der Rädelsfuhrer gewaltsam zu bemächtigen. Die gesamte Volksmenge aber stürzte sich den Soldaten entgegen und warf den grössten Teil von ihnen mit Steinen zu Tode. Der Tribun selbst ward verwundet und entkam nur mit genauer Not. Hierauf wandten sich die Empörer, als wenn nichts Schlimbaes vorgefallen wäre, dem Opferdienst zu. Archelaus aber sah ein, dass das Volk ohne Blutvergiessen nicht länger mehr im Zaum zu halten sei. Er liess daher die gesamte Streitmacht gegen dasselbe ausrücken, und zwar die Fusstruppen in geschlossenem Zuge durch die Stadt, die Reiterei aber auf das Feld1. Auf diese Weiso wurden gegen dreitausend Menschen bei der Darbringung der Opfer niedergemacht, während der übrige Teil des Volkes sich in das nahe Gebirge zerstreute. Dorthin folgten ihnen von Archelaus gesandte Herolde, welche den Befehl verkündeten, es solle ein jeder in seine Heimat zurückkehren, worauf sie denn alle das Fest verliessen und sich davonmachten. 1 Um das Eindringen der ausserhalb befindlichen Menge in den Tempel zu verhindern (s. J. A. XVII, 9,3).
1. Er selbst begab sich nun, indem er den Philippus als Reichsverweser und Huter seines Hauses zurückliess, in Begleitung seiner Mutter sowie seiner Freunde Poplas, Ptolemaeus und Nikolaus an die Meeresküste. Zugleich mit ihm reisten Salome und deren Kinder ab, ferner auch noch andere Blutsverwandten und die Schwiegersohne des Königs, dem Scheine nach, um die Ansprüche des Archelaus auf den Thron zu unterstützen, in Wirklichkeit aber, um ihn wegen des gesetzwidrigen Verfahrens im Tenpel zu verklagen. 2. In Caesarea kam ihnen Sabinus, der Finanzverwalter Syriens, entgegen, der im Begriff war, sich nach Judaea zu begeben, um die von Herodes hinterlassenen Schätze in Verwahr zu nehmen. Archelaus aber sandte den Ptolemaeus zu Varus1 und liess ihn aufs angelegentlichste bitten, Sabinus von der Weiterreise abzuhalten. Aus Rücksicht aufVarus unterliess Sabinus es auch wirklich, nach den festen Platzen zu eilen und dem Archelaus die Schatzkammern seines Vaters zu verschliessen, versprach vielmehr, bis zur Entscheidung des Caesars sich gedulden zu wollen, und verblieb in Caesarea. Sobald aber der eine von denen, die ihn aufhielten2, nach Antiochia abgereist war, der andere, Archelaus, sich nach Rom eingeschifft hatte, brach er unverzuglich nach Jerusalem auf, bemächtigte sich des Königspalastes und berief die Kommandanten und Schatzmeister der Festungen zu sich, um die Höhe der Kassenbestände zu erforschen und die Platze in seine Gewalt zu bekommen. Die Kommandanten jedoch hielten sich streng an die Befehle
1 Dem Statthalter von Syrien und Vorgesetzten des Sabinus.
2 Varus, der mit Ptolemaeus nach Caesarea gekommen war (s. J. A. XVII 9, 5).
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des Archelaus und verblieben sämtlich auf ihrem Posten unter Hinweis darauf, dass sie hierfür mehr dem Caesar als dem Archelaus verantwortlich seien, 3. Zur selben Zeit begab sich auch Antipas auf den Weg, um seine Ansprüche auf die Thronfolge geltend zu machen in der Meinung, das frühere Testament, in welchem er als König aufgeführt war 1, habe grössere Kraft als die spätere Abänderung desselben 2. Übrigens hatten Salome und viele seiner übrigen Verwandten, die mit Archelaus die Seereise machten, ihm schon vorher ihre Unterstützung zugesagt. In seiner Begleitung befand sich ausser seiner Mutter auch der Bruder des Nikolaus, Ptolemaeus, dessen Einfluss, wie er glaubte, besonders massgebend sein würde, weil er in so hohem Grade das Vertrauen des Herodes genossen hatte, dessen liebster Freund er gewesen war. Seine grösste Hoffnung jedoch setzte er auf die Gewandtheit des Rhetors Irenaeus; im Vertrauen auf diesen Mann hatte er auch alle Vorstellungen derer zurückgewiesen, die ihm rieten, dem Archelaus als dem älteren und im Testament als Thronfolger bezeichneten Mitbewerber den Vorrang zu lassen. Nach der Ankunft in Rom traten vollends alle Verwandten auf seine Seite; denn Archelaus war ihnen verhasst. Am erwünschtesten zwar wäre jedem von ihnen eine selbständige Regierung unter der Oberhoheit eines römischen Statthalters gewesen; für den Fall aber, dass dies unmöglich sein sollte, war ihnen Antipas als König immer noch am willkommensten. 4. Auch Sabinus war ihnen zur Erreichung ihrer Absichten mit Briefen behilflich, in welchen er Archelaus beim Caesar verklagte und Antipas ins beste Licht zu rücken suchte. Nachdem sodann Salome und ihr Anhang die einzelnen Beschuldigungen schriftlich aufgesetzt hatten, legten sie dieselben dem Caesar vor. Aber auch Archelaus liess die Begründung seiner Ansprüche nieder
1 S. I, 32, 7.
2 S. I, 33,7.
Seite 188 schreiben und die Denkschrift samt dem Siegelring seines Vaters durch Ptolemaeus überreichen. Der Caesar erwog nun zunächst die von beiden Parteien vorgebrachten Gründe, die Grösse des Königreiches, die Höhe der Erträge desselben und die bedeutende Kopfzahl der zur Familie des Herodes gehörigen Personen, las alsdann auch die Briefe, die Varus und Sabinus über die Angelegenheit geschrieben hatten, und berief schliesslich eine Versammlung der vornehmsten Römer, in welcher auch der von ihm an Kindesstatt angenommene Sohn des Agrippa und der Julia, Gajus 1, zum erstenmal Sitz und Stimme erhielt. Sogleich ward nun den streitenden Parteien das Wort verstattet. 5. Zunächst erhob sich Salomes Sohn Antipater, der redegewandteste unter den Gegnern des Archelaus, und brachte seine Anklage vor, indem er sagte, mit Worten bewerbe sich Archelaus wohl um den Thron, in Wirklichkeit aber sei er schon lange König und belästige jetzt das Ohr des Caesars mit eitlen Spiegelfechtereien. Ohne die Entscheidung des Caesars abzuwarten, habe er nach dem Tode des Herodes insgeheim einige Leute angestiftet, ihm das Diadem aufzusetzen, habe sich auf dem Throne niedergelassen, sich als König geberdet, die Heereseinrichtung geändert, Beförderungen vorgenommen, dem Volke alles zugesagt, was es von ihm als seinem König begehrte, und die wegen der schwersten Verbrechen von seinem Vater Eingekerkerten freigelassen. Jetzt komme er nun daher, um sich von seinem Oberherrn den Schatten des Königtums zu erbitten, das er dem Wesen nach bereits an sich gerissen habe, und mache so den Caesar zum Schiedsrichter nicht über Sachen, sondern über blosse Namen. Ausserdem warf er ihm vor, seine Trauer um den Vater sei gleichfalls nur Heuchelei gewesen. Bei Tage habe er eine betrübte Miene zur Schau
1 Gajus Caesar, Sohn von Augustus Tochter Julia und Murcus Vipsanius Agrippa. Im Jahre 4 n. Chr. wurde er von Livia, der Gemahlin des Augustus, dem Tiberius zulieb aus dem Wege geräumt.
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getragen, bei Nacht aber sich berauscht und übermütige Streiche begangen. Dem Unwillen über dieses Benehmen sei es auch allein zuzuschreiben, dass das Volk sich empört habe. Als Hauptargument seiner ganzen Rede führte er sodann den Umstand an, dass eine so grosse Menge Menschen im Bereich des Tempels niedergemacht worden sei. Zur Festfeier seien sie gekommen und neben ihren eigenen Opfertieren grausam hingeschlachtet worden, und im Tempel seien mehr Leichen aufgehäuft gewesen, als wenn ein plötzlicher Überfall seitens auswärtiger Feinde stattgefunden hatte. Diese seine Grausamkeit habe auch sein Vater vorausgesehen und ihm deshalb eigentlich jede Aussicht auf die Thronfolge benehmen wollen; erst zu der Zeit, da Herodes mehr geistig wie körperlich gelitten habe und vernünftiger Überlegung nicht mehr fähig gewesen sei, habe er, ohne sich dessen bewusst zu sein, ihn in einem Testamentszusatz als Thronfolger bezeichnet, obwohl der im früheren Testament bestimmte Nachfolger, den er bei gesundem Leibe und, völlig klarem Verstand eingesetzt, ihm nicht den geringsten Anlass zur Klage gegeben habe. Aber selbst wenn man dem Urteil eines todkranken Menschen grössere Kraft beimessen wolle, müsse man doch jedenfalls gelten lassen, dass Archelaus durch sein allen Gesetzen Hohn sprechendes Verfahren die Herrschaft über das Königreich verwirkt habe. Denn es sei leicht einzusehen, wie nach seiner Bestätigung durch den Caesar ein Mann sich aufführen werde, der bereits vor Erlangung derselben so viele Menschen habe hinwürgen lassen. 6. Nachdem Antipater noch viele derartige Gründe vorgebracht und bei jedem Anklagepunkt die meisten seiner Verwandten als Zeugen aufgerufen hatte, schloss er seine Rede, und es erhob sich nun für Archelaus dessen Sachwalter Nikolaus, der die Notwendigkeit des Blufbades im Tempel zu verteidigen suchte, indem er ausführte, die Getöteten seien nicht bloss Feinde des Königreiches, sondern auch des Caesars, des jetzigen
Schiedsrichters, gewesen. Bezüglich der übrigen Klagepunkte wies er sodann nach, dass gerade die Kläger es gewesen seien, die dem Archelaus die betreffenden Ratschläge erteilt hätten. Den Testamentszusatz aber glaubte er besonders aus dem Grunde für gültig halten zu mässen, weil darin der Caesar als derjenige bezeichnet sei, der den Thronfolger zu bestätigen habe. Denn wer so vernünftig gewesen sei, schloss Nikolaus, sich seiner Gewalt zu gunsten des Weltherrschers zu begeben, der habe gewiss auch in betreff des Thronfolgers kein falsches Urteil gehabt und, indem er den Erben des Reiches erwählte, jedenfalls bei vollem Verstand gehandelt, da er wohl gewusst habe, von wem derselbe in dieser Würde bestätigt werden müsse. 7. Als nun auch Nikolaus mit seiner Rede zu Ende war, trat Archelaus in aller Ruhe vor den Caesar hin und warf sich ihm zu Füssen. Huldvollst hiess dieser ihn aufstehen und erklärte ihn für würdig, seines Vaters Nachfolger zu werden. Doch traf er noch keine bestimmte Entscheidung, sondern entliess die für diesen Tag einberufene Ratsversammlung und dachte mit Rücksicht auf das Gehörte darüber nach, ob er einen der im Testament Bezeichneten zum Thronfolger ernennen oder das Reich unter die sämtlichen Mitglieder der Familie verteilen solle; denn bei der grossen Anzahl der letzteren schien ihm eine derartige Versorgung derselben geboten zu sein.
1. Bevor der Caesar in dieser Angelegenheit einen bestimmten Entschluss gefasst hatte, erkrankte und starb des Archelaus Mutter Malthake, und zugleich langte aus Syrien ein Schreiben des Varus an, welches einen
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Aufstand der Juden meldete. Varus nämlich war, weil er eine Empörung vorausgesehen hatte, nach der Abreise des Archelaus in Jerusalem eingerückt, um ctwäge Unruhen, die jeden Augenblick ausbrechen konnten, zu unterdrücken, hatte eine der drei aus Syrien mitgenommenen Legionen in der Stadt gelassen und war dann selbst nach Antiochia zurückgekehrt. Anlass zu offenem Aufruhr aber gab die Ankunft des Sabinus, der von den Besatzungstruppen der Festungen deren Übergabe erzwang und mit grosser Strenge nach den Schätzen des Königs forschte. Hierbei stützte er sich nicht nur auf die von Varus zurückgelassenen Soldaten, sondern auch auf die grosse Menge seiner eigenen Sklaven, die er sämtlich mit Waffen versehen hatte und nun als Werkzeuge seiner Habgier missbrauchte. Um diese Zeit fiel gerade das Jüdische Fest Pentekoste ein, welches sieben Wochen nach dem Paschafeste gefeiert wird und seinen Namen von der Anzahl der zwischen den beiden Festen liegenden Tage hat1. Doch war es nicht sowohl gewohnte Gottesverehrung, die das Volk zu diesem Feste hinzog, als vielmehr hochgradige Erbitterung. Fast zahllos war die Menschenmenge, die aus Galilaea, Idumaea, Jericho und aus Peraea jenseits des Jordan in Jerusalem zusammenströmte; alle anderen aber übertraf an Zahl und Entschlossenheit das Volk aus dem eigentlichen Judaea. Sie teilten sich alsdann in drei Haufen und schlugen an drei Stellen ein Lager auf, eines nördlich vom Tempel, ein anderes im Süden bei der Rennbahn, und das dritte westlich in der Nähe des Königspalastes. So umzingelten sie die Römer von allen Seiten und begannen sie regelrecht zu belagern. 2. Sabinus, den die grosse Menge der Feinde und deren Kampfesfreudigkeit in Schrecken versetzte, schickte einen Boten nach dem anderen mit der Bitte um schleunige Hilfe an Varus und liess ihm sagen, wenn er zögere, werde die Legion zusammengehauen werden.
1 S. die Anmerkung zu I, 13, 3.
Seite 192 Er selbst bestieg den höchsten Turm der Festungswerke, den Phasaelsturm, so genannt nach dem von den Parthern getöteten Bruder des Herodes, und gab von da aus den Soldaten der Legion das Zeichen zum Angriff; denn in seiner Angst wagte er es nicht einmal, zu den Seinigen herabzukommen. Die Soldaten folgten seinem Befehl, drangen bis zum Tempel vor und lieferten den Juden ein heisses Treffen, in welchem sie mit ihrer Kriegserfahrung den ungeübten Gegnern so lange überlegen waren, als niemand von oben her ihnen zusetzte. Sowie aber die Juden in grosser Anzahl die Hallen erstiegen und ihre Geschosse auf die Köpfe der Römer richteten, fielen die letzteren massenhaft, weil sie dem gleichzeitigen Angriff von oben und aus der Nähe nicht standzuhalten vermochten. 3. So von zwei Seiten bedrängt, steckten die Römer die Hallen, Werke von bewundernswerter Grösse und Pracht, in Brand, wobei viele der oben Stehenden sogleich von den Flammen ergriffen wurden und in ihnen umkamen, viele auch, indem sie heruntersprangen, dem Schwert der Feinde zum Opfer fielen, während andere teils auf der entgegengesetzten Seite von derMauer sich hinabstürzten, teils in der Verzweiflung dem Feuer zuvorkamen und mit ihren eigenen Waffen sich umbrachten. Diejenigen aber, welche von der Mauer herabgeklettert waren und auf die Römer zurannten, wurden in ihrer Bestürzung mit leichter Mühe überwältigt. Nachdem so der eine Teil der Empörer umgekommen war, der andere sich aus Furcht zerstreut hatte, fielen die Soldaten über den unbewachten Tempelschatz her und raubten etwa 400 Talente, und was nicht auf diese Weise gestohlen wurde, eignete Sabinus sich an. 4. Die Zersörung der herrlichen Bauwerke und der Untergang so vieler Menschen aber erbitterte die Juden derart, dass sie bald mit zahlreicheren und kampfgeübteren Scharen den Römern entgegentraten, den
1 Vergl. hierzu J. A. XVII, 10, 2.
Seite 193 Königspalast umzingelten und die gesamte Besatzung niederzurachen drohten, wenn dieselbe nicht schleunigst abrücke. Für den Fall, dass Sabinus diesem ihrem Verlangen gemäss mit seiner Legion abziehen wolle, versprachen sie ihm volle Sicherheit. Die meisten der königlichen Soldaten waren übrigens zu den Empörern übergegangen, während der streitbarste Teil derselben, dreitausend Sebastener1, unter Führung von Rufus und Gratus sich auf die Seite der Römer schügen. Gratus war Befehlshaber der königlichen Fusstruppen, Rufus Anführer der Reiterei, und beide mussten, auch abgresehen von der ihnen untergebenen Streitmacht, um ihrer Entschlossenbeit und Einsicht willen auf den Ausgang des Kampfes grossen Einfluss haben. Die Juden setzten nun die Belagcerung eifrig fort und riefen bei führen Angriffen auf die Mauern der Burg den Leuten l.es Sab. InnS z1, sie sollten doch abzielien und ihnen nicht im Wege stehen, wenn sie jetzt nach längerer Zeit in Freiheit ihrer Väter wiederzugewinnen suchten. Naibius wäre übrigens gern in aller Stille abgerückt, doch er traute den Versprechungen seiner Gegner nicht und argwöhnte, dass sie mit ihrer Milde ihm nur eine Falle stellen wollten. Zudern hoffte er auf baldige Hilfe von seiten des Varus und hielt demgemäss die Belagerung noch weiter aus.
1. Um diese Zeit brachen auch an vielen anderen Orten im Lande Unruhen aus, und gar mancher hielt die Gelegenheit für günstig, sich die Königskrone auf
1 D. h. Soldaten aus dem Bezirk von Sebaste (Samaria).
zusetzen. So griffen in Idumaea zweitausend frühere Krieger des Herodes zu den Waffen und bekämpften die Königlichen. Achiab, der Vetter des Königs, führte den Krieg gegen sie von den stairksten Festungen aus, vermied aber jeden Zusammenstoss in der Ebene. Ferner brachte zu Sepphoris in Galilaea ein gewisser Judas, der Sohn jenes Räuberhauptmannes Ezekias, der einst das Land verheert hatte, aber von dem Könige Herodes gefangen genommen worden war, eine nicht unbedeutende Schar zusammen, erstürmte die königlichen Zeughauser, bewaffnete seine Leute und griff diejenigen an, welche nach der Herrschaft strebten. 2. In Peraea setzte sich Simon, einervon den Dienern des verstorbenen Königs, im Vertrauen auf seine Schinheit und Körpergrösse das Diadem auf, streifte mit den Räubern, die er an sich gezogen hatte, umher, steckte den königlichen Palast zu Jericho sowie viele andere prachtvolle Landhauser in Brand und machte während der Feuersörünste mit leichter Mühe reiche Beute. Auf die Dauer würde er wohl sämtliche Prachtgebäude eingeäschert haben, wenn nicht Gratus, der Anführer der königlichen Fusssoldaten, mit den Bogenschützen von Trachon und den kampfgeübtesten Sebastenern ihm entgegengerückt wäre. In dem Treffen, das sich nun entspann, fiel freilich ein grosser Teil des Fussvolkes, doch wurde Simon selbst, als er durch eine enge Schlucht entfliehen wollte, von Gratus abgeschnitten und durch einen Seitenhieb ins Genick getötet. Von einer anderen Rotte Aufständischer aus Peraea wurde das Königsschloss zu Betharamathon in der Nähe des Jordan niedergebrannt. 3. Sogar ein Hirt mit Namen Athrängaeus 2 wagte es in den unruhigen Zeiten, seine Hand nach der Krone
1 J. A xII, 10, 6 heisst der Ort Amatha. Es handelt sich offenbar um dieselbe Stadt, die sonst Betharamphtha genannt wurde und später von Herodes Antipas der Gemahlin des Augustus zu Ehren den Namen Julias oder Livias erhielt (s. J. A. XVIII, 2, 1).
2 J. A. XVII, 10, 7: Athronges.
Seite 195 auszustrecken. Was ihn in seiner Hoffnung bestärkte, war ausser seiner gewaltigen Körperkraft und seinem todverachtenden Mute besonders die Hilfe, die ihm seine gleichgearteten Brüder gewahrten. Jedem von ihnen unterstellte er eine Rotte von Bewaffneten und liess sie an deren Spitze zu kriegerischen Iberfällen ausrücken, während er selbst wie ein König die wichtigeren Geschäfte erledigte. Dieser Mann also setzte sich damals das Diadem auf und verheerte in Gemeinschaft mit seinen Brüdern langere Zeit hindurch das Land. Vorzugsweise suchten sie Römer und Königliche umzubringen; aber auch wenn Juden ihnen in die Hände fielen, von denen etwas zu erpressen war, schonten sie dieselben nicht. Eines Tages wagten sie sogar bei Ammaus eine ganze römische Kohorte zu umzingeln, die der Legion Proviant und Waffen zuführte. Schon war der Centurio Arius samt vierzig der tapfersten Soldaten ihren Geschossen erlegen, und schon drohte dasselbe Schicksal den übrigen Römern, als Gratus mit den Sebastenern ihnen zu Hilfe eilte und sie rettete. Nachdem nun die Brüder während der ganzen Dauer des Kriegszustandes gegen Einheimische wie Fremde viele derartige Gewaltthaten begangen hatten, gerieten endlich drei von ihnen in Gefangenschaft. Der älteste nämlich fiel dem Arche. laus, die beiden nächsten dem Gratus und dem Ptolemaeus in die Hände. Der vierte dagegen ergab sich dem Archelaus auf Grund eines Vergleiches. Dieses Schicksal ereilte sie indes erst später; damals, wie gesagt, überzogen sie ganz Judaea mit ihrem Raubkriege.
1. Kaum hatte Varus die Briefe des Sabinus und der anderen Befehlshaber erhalten, als er für die ganze
Seite 196 Legion zu fürchten begann und den Entschluss fasste, ihnen schleunigst Hilfe zu bringen. Zu diesem Zweck zog er mit den übrigen zwei Legionen und den zu ihnen gehörigen vier Reiterschwadronen nach Ptolemais, wohin er die Iilfstruppen der Könige und der anderen Fürsten beschieden hatte. Unterwegs nahm er beim Durchmarsch durch Berytus1 auch von dieser Stadt fünfzehnhundert Bewaffnete mit. Bei Ptolemais schloss sich dann ausser den Truppen der übrigen Verbündeten auch noch der Araber Aretas aus Hass gegen Herodes mit beträchtlichen Streitkrüften zu Fuss und zu Pferde an ihn an, und nun entsandte er sogleich einen Teil des Heeres unter dem Kommando seines Freundes Gajus in die unweit Ptolemais gelegenen Grenzgegenden Galilaeas. Dieser schlug die ihm entgegenrückenden Scharen in die Flucht, eroberte die Stadt Sepphoris, steckte sie in Brand und verkaufte die Einwohner in die Sklaverei. Varus selbst marschierte mit dem ganzen übrigen Heer auf Samaria zu, ohne indes die Stadt anzugreifen; es ergab sich nämlich, dass sie an dem aufrührerischen Treiben der anderen Städte nicht teilgenommen hatte. Doch errichtete er sein Lager bei dem Dorfe Arus, das dem Ptolemaeus gehörte und aus diesem Grunde von den Arabern geplündert wurde, denen des Herodes Freunde nicht minder verhasst waren wie er selbst. Von hier rückte er weiter nach Sampho, einem anderen befestigten Dorfe, welches die Araber ebenfalls ausraubten, wie sie denn auch alle ihnen begegnenden Proviantkolonnen überfielen. Feuer und Schwert wüteten allerorts, und nichts vermochte der Raubgier der Araber zu entgehen. Auch Ammaus, dessen Einwohner sich geflüchtet hatten, ward auf Befehl des Varus zur Strafe für die Niedermetzelung des Arius und seiner Leute eingeischert. 2. Als er nun von dort weitermarschiert und vor Jerusalem angelangt. war, zerstreute schon der blosse Anblick seiner Streitmacht die in ihren Lagern be-
1 Er kam aus dem nördlich von Berytus gelegenen Antiochia.
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findlichen Juden 1, und eiligst flohen dieselben landeinwärts. Die Bewohner der Stadt aber öffneten ihm die Thore und suchten jede Schuld an dem Aufstand von sich abzuwälzen, indem sie angaben, sie selbst hätten keineswegs die Ruhe gestört, sondern, nachdem sie notgedrungen des Festes halber die Menschenmenge in die Stadt eingelassen, nicht sowohl mit den Aufständischen gemeinsame Sache gemacht, als vielmehr im Verein mit den Römern die Belagerung ausgehalten. Schon vorher waren Joseph, der Vetter des Archelaus, sowie Gratus und Rufus mit den königlichen Truppen und den Sebastenern, desgleichen die Soldaten der römischen Legion in gewohntem Waffenschmuck dem Varus entgegengezogen. Sabinus dagegen hatte nicht das Herz gehabt, ihm unter die Augen zu treten, und war deshalb bereits vor seiner Ankunft aus der Stadt hinaus zur Meeresküste geeilt. Varus schickte sodann einen Teil seines Heeres auf Streifzüge aus, um die Anstifter der Empirung dingfest zu machen, und es ward eine grosse Anzahl der letzteren eingebracht. Diejenigen nun, welche weniger unruhige Köpfe zu sein schienen, liess er einkerkern, die schuldigsten aber, gegen zweitausend Mann, ans Kreuz schlagen. 3. Hierauf erhielt er die Meldung, in Idumaea ständen noch zehntausend Bewaffnete. Da er indes die Erfahrung gemacht hatte, dass die Araber sich nicht wie Bundesgenossen benahmen, sondern ganz nach ihrem Belieben Krieg führten und aus Hass gegen Herodes mehr, als ihm selbst lieb war, das Land verheerten, entliess er sie und rückte mit seinen eigenen Legionen in Eilmirschen den Aufständischen entgegen. Diese jedoch ergaben sich auf Achiabs Rat den Römern, ohne es zum Handgemenge kommen zu lassen, worauf Varus der grossen Masse Verzeihung gewährte, ihre Anführer aber zur Aburteilung dem Caesar zuschickte. Augustus nun begnadigte die meisten von ihnen, und nur einige
1 Vergl S. H, 3,1.
Seite 198 wandten des Königs Herodes, die sich an die Empörer angeschlossen hatten, liess er hinrichten, weil sie gegen den König, der ihrer Familie angehörte, ins Feld gezogen seien. Nachdem Varus auf diese Weise in Jerusalem die Ordnung wiederhergestellt hatte, bestimmte er, dass die bereits früher in der Stadt befindliche Legion dort zu verbleiben habe, und begab sich nach Antiochia zurück.
1. Unterdessen hatte Archelaus in Rom noch einen anderen Streit mit denjenigen Juden auszutragen, die vor dem Aufstande mit Genehmigung des Varus dort sich eingefunden hatten, um staatliche Selbsthndigkeit für ihr Volk zu erwirken
1. Fünfzig Köpfe zahlte die eigentliche Gesandtschaft, der sich von den zu Rom ansässigen Juden noch über achttausend anschlossen. Der Caesar berief nun eine Versammlung der vornehmsten Römer und seiner Freunde in den auf dem Palatinus stehenden Tempel des Apollo, ein von ihm selbst 2 errichtetes, mit staunenswerter Pracht ausgestattetes Bauwerk. Hier stand die Menge der Juden mit den Gesandten auf der einen, Archelaus mit seinen Freunden auf der anderen Seite. Die Freunde seiner Verwandten jedoch hielten es mit keiner von beiden Parteien; denn einerseits gestattete ihnen Hass und Missgunst gegen Archelaus nicht, sich für diesen aufzuwerfen, und anderseits hielt sie die Scheu vor dem Caesar ab, sich den Anklägern beizugesellen. Ausserdem
1 D. h. sie wollten nicht mehr unter Fürsten aus dem ihnen verhassten Idumaiergeschlecht, sondern unmittelbar unter römischer Oberherrschaft stehen.
2 Nach der Schlacht bei Actium.
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war auch noch Philippus, der Bruder des Archelaus, erschienen, den sein Gönner Varus in zweifacher Absicht hergesandt hatte, einmal nämlich, damit er die Sache des Archelaus verfechten helfe, und zum andern, damit er selbst nicht zu kurz komme, falls der Caesar das Reich des Herodes unter dessen sämtliche Nachkommen verteilen sollte. 2. Nachdem nun den Klägern das Wort verstattet war, schilderten sie zunächst die Unthaten des Herodes, an dem sie, wie sie sagten, keinen König, sondern den grausamsten Tyrannen gehabt hatten, der jemals zur Regierung gelangt sei. Eine Menge Menschen habe er ermordet, und das Los derer, die er am Leben gelassen, sei so traurig gewesen, dass sie die Umgekommenen noch glücklich gepriesen hatten. Denn er habe nicht nur die Leiber einzelner Unterthanen gefoltert, sondern selbst ganze Gemeinwesen seien von ihm misshandelt worden. Um ausländische Städte verschönern zu können, habe er seine eigenen beraubt, und fremden Völkerschaften habe er Geschenke gemacht, die mit dem Blute der Juden bezahlt worden seien. Infolgedessen sei an die Stelle des früheren Wohlstandes und der altehrwürdigen Gebräuche völlige Verarmung und Entsittlichung des Volkes getreten. Überhaupt hatten die Juden in wenigen Jahren durch Herodes mehr Drangsale ausgestanden, als ihren Vorfahren in dem langen Zeitraum seit dem Auszug aus Babylon und der Rückkehr unter Xerxes zugestossen seien. Durch allmähliche Gewöhnung an das Unglück sei dann das Volk so abgestumpft worden, dass es die harte Knechtschaft gewissermassen als Erbteil ruhig hingenommen habe. Denn wie wolle man es sonst erklären, dass es Archelaus, den Sohn des eingefleischten Tyrannen, nach dem Tode seines Vaters so willig als König begrüsst, mit ihm den Tod des Herodes betrauert und ihm zu der Thronfolge Glück gewünscht habe? Archelaus aber habe, um nur ja nicht den echten
1 S. J. A. XI, 5, 1 f.
Seite 200 Sohn des Herodes zu verleugnen, seine Regierung mit der Ermordung von dreitausend Bürgern begonnen. Das seien die Opfer gewesen, durch die er eine glückliche Regierung von Gott habe erflehen wollen, und eine solche Menge Leichen habe er an einem Feste im Tempel des Herrn aufzuhäufen gewagt! Endlich aber hätten diejenigen, die trotz so vieler Leiden noch mit dem Leben davongekommen seien, im Hinblick auf ihre traurige Lage den Entschluss gefasst, lieber nach Kriegerart der Gefahr mutig entgegenzutreten, und sie baten nun die Römer, sich der Trümmer Judaeas zu erbarmen und dieselben nicht den Würgern des Volkes vorzuwerfen, sondern das Land mit Syrien zu vereinigen und es durch römische Landpfleger verwalten zu lassen. Dann werde es sich zeigen, dass die jetzt als aufrührerisch und kriegslustig verschrienen Juden massvollen Herrschern sich wohl zu fügen wüssten. Mit dieser Bitte schlossen die Juden ihre Klage. Hierauf erhob sich Nikolaus und suchte die gegen die beiden Könige vorgebrachten Beschuldigungen zu widerlegen. Die Juden dagegen schilderte er als ein seinem Charakter nach schwer zu regierendes und zum Ungehorsam gegen seine Herrscher geneigtes Volk, und auch die Verwandten des Archelaus, welche die Partei der Kläger ergriffen hatten, suchte er in ungünstigem Licht erscheinen zu lassen. 3. Als so der Caesar die Klagen beider Teile entgegengenommen hatte, entliess er die Versammlung. Nach wenigen Tagen verlieh er dann dem Archelaus die Hälfte des Königreiches sowie den Titel eines Ethnarchen und versprach ihm auch noch, ihn später zum Könige machen zu wollen, wenn er sich dessen würdig zeige. Die andere Hälfte teilte er in zwei Tetrarchien und gab dieselben zwei weiteren Söhnen des Herodes, die eine dem Philippus, die andere dem Antipas, der mit Archelaus um den Thron gestritten hatte. Auf des Antipas Anteil entäelen Peraea und Galilaea mit zweihundert Talenten jährlicher Einkünfte, während Philippus Batanaea und Trachon sowie Auranitis und
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einige Teile von dem Gebiet des Zeno bei Jamnia 1 mit hundert Talenten jährlicher Einkünfte erhielt. Zur Ethnarchie der Archelaus gehörten Idumaea, ganz Judaea und Samaria, welch letzterem der vierte Teil der Steuern erlassen wurde zur Belohnung dafür, dass es den Aufstand der übrigen Landesteile nicht mitgemacht hatte. Ferner wurden seiner Herrschaft unterstellt die Städte Stratonsturm 2, Sebaste 3, Joppe und Jerusalem; die Griechenstädte 4 Gaza, Gadara und Hippos dagegen trennte der Caesar vom Reiche und schlug sie zu Syrien. Die Gesamteinkünfte aus dem Anteil des Archelaus betrugen vierhundert Talente. Salome erhielt ausser dem, was Herodes ihr in seinem Testament ausgesetzt hatte, die Herrschaft über Jamnia, Azot und Phasaelis, und obendrein schenkte ihr der Caesar auch noch den Königspalast zu Askalon. Aus allen diesen Besitzungen sollte sie jährlich sechzig Talente beziehen, doch wurde ihr Gebiet der Ethnarchie des Archelaus untergeordnet. Den übrigen Verwandten des Herodes fielen die ihnen im Testament vermachten Legate zu. Den beiden noch unverheirateten Tochtern desselben aber schenkte der Caesar zu dem von ihrem Vater bestimmten Erbteil fünfhunderttausend Silberstücke und vermählte sie mit den Söhnen des Pheroras. Ja, nach Regelung der ganzen Erbschaftsangelegenheit überliess er ihnen auch noch das ihm von Herodes vermachte Geschenk von tausend Talenten und wählte für sich selbst nur einige Kleinodien von geringerem Wert als Andenken an den Verstorbenen aus.
1 Gemeint ist hier das befestigte Dorf J. in Obergalilaea, weiter unten in diesem Abschnitt dagegen die Stadt J. in Judaea.
2 Caesarea.
3 Samaria.
4 D. h. ausschliesslich oder vorwiegend von Griechen bewohnte Städte.
1. Um diese Zeit kam auch ein junger Mann nach Rom, der, von Geburt Jude, in Sidon bei einem römischen Freigelassenen erzogen worden war und in der Hoffnung, unentlarvt zu bleiben, wegen der Ahnlichkeit der Gestalt sich filschlich für den auf Befehl des Herodes hingerichteten Alexanderl ausgab. Ein Landsmann von ihm, der über alle Vorgänge im Königreich genau unterrichtet war, lieh ihm dabei seine Hilfe und stiftete ihn an, auszusagen, die mit seiner und des Aristobulus Hinrichtung betrauten Henker hatten sie aus Mitleid entkommen lassen und Leichen von Personen, die ihnen ähnlich gewesen, untergeschoben. Durch diese Angaben gelang es ihm, die kretensischen Juden zu tauschen und eine reichliche Reiseunterstützung von ihnen zu erschwindeln, worauf er sich nach Melos einschiffte. Auch hier fand er Glauben, heimste noch glänzendere Geschenke ein und beredete endlich sogar seine Gastgeber, mit ihm nach Rom zu fahren. Nachdem er dann in Dikaearchia2 gelandet und von den dortigen Juden wiederum beschenkt worden war, gaben die Freunde seines angeblichen Vaters ihm wie einem Könige das Geleit. Die äussere Ahnlichkeit war übrigens so gross, dass selbst diejenigen, welche Alexander gesehen und genau gekannt hatten, schwuren, er sei es. Roms gesamte Judenschaft strömte nun zusammen, um ihn zu sehen, und eine ungeheure Menschenmenge erfüllte die Strassen, durch die er getragen wurde. Die Melier nämlich waren derart vom Taumel ergriffen, dass sie ihn auf einem Sessel trugens Den Sohn der Mariamne (s. I, 27, 6). 9 Puteoli. s Nach J. A. XVII, 12, 1 fuhr er in einem Wagen.
Seite 203 und ihm auf ihre Kosten eine königliche Ausstattung beschafften. 2. Der Caesar, der sich der Gesichtszüge Alexanders deutlich erinnerte - war doch der Prinz einst von Herodes bei ihm verklagt worden -, durchschaute den auf der lhnlichkeit beruhenden Betrug, noch ehe er den Betrüger selbst zu Gesicht bekam. Um jedoch auch der günstigeren Annahme einigen Spielraum zu verstatten, schickte er einen gewissen Celadus, der den Alexander gut gekannt hatte, mit dem Auftrag ab, ihm den jungen Mann vorzuführen. Gleich auf den ersten Blick gewahrte dieser den Unterschied in den Gesichtszügen, und da ausserdem die Derbheit des ganzen Körperbaues den Sklaven verriet, lag der Betrug offen zutage. Ganz besonders empörte ihn die Dreistigkeit, mit welcher der Mensch, als man nach Aristobulus fragte, behauptete, derselbe sei noch am Leben, aber absichtlich auf Cypern zurückgeblieben, um sich vor Nachstellungen zu sichern; denn wenn sie voneinander getrennt seien, halte es schwerer, ihrer habhaft zu werden. Celadus nahm ihn nun beiseite und sprach zu ihm: „Der Caesar will dir das Leben schenken, wenn du den namhaft machst, der dich zu diesem Betruge verführt hat." Daraufhin versprach der junge Mann ein offenes Bekenntnis ablegen zu wollen, ging mit Celadus zum Caesar und nannte den Juden, der seine Ahnlichkeit mit Alexander zu Beutelschneidereien missbraucht hatte. Sie hätten, gab er an, in jeder einzelnen Stadt mehr Geschenke erhalten, als Alexander in seinem ganzen Leben. Der Caesar lachte darüber, steckte den falschen Alexander seines kräftigen Körperbaues wegen unter die Ruderer und liess den Verführer hinrichten. Die Melier aber schienen ihm durch den Geldaufwand, den sie gemacht hatten, für ihre Dummheit hinreichend gestraft zu sein. 8. Als Archelaus nun seine Ethnarchie angetreten hatte, behandelte er im Andenken an die frühere Em. porung nicht nur die Juden, sondern auch die Samariter so grausam, dass er vonabordnungen beider Völker.
Seite 204 204 Josephus, Geschichte des Jfidischen Krieges. schaften beim Caesar verklagt und im neunten Jahre seiner Regierung nach Vienna, einer Stadt Galliens, verbannt wurde. Sein Vermögen ward dem Besitztum des Caesars einverleibt. Bevor er übrigens zu Augustus beschieden wurde, soll er im Traume neun volle und reife Ahren gesehen haben, die von Ochsen abgefressen wurden. Er liess hierauf die Wahrsager und einige Chaldier rufen und fragte sie, was der Traum wohl bedeuten könne. Die einen legten ihn auf diese, die anderen auf jene Weise aus; ein gewisser Simon indes, der zum Orden der Essener gehörte, hielt dafür, die Ahren bedeuteten Jahre, die Ochsen aber einen Wechsel der Verhaltnisse, weil sie beim Pflügen das Land veränderten. Archelaus werde daher so viele Jahre regieren, als die Zahl der ihren anzeige, und endlich nach mannigfachem Schicksalswechsel sein Leben beschliessen. Fünf Tage, nachdem er diese Traumdeutung vernommen hatte, ward Archelaus nach Rom berufen, um sich daselbst zu verantworten. 4. Erwähnenswert ist auch der Traum seiner Gattin Glaphyra, der Tochter des Kappadocierkönigs Archelaus, die früher mit Alexander vermählt gewesen war. Dieser Alexander war bekanntlich ein Bruder des Archelaus, von dem hier die Rede ist, und auf Befehl seines Vaters Herodes hingerichtet worden, wie ich bereits früher erzählt habe. Nach dem Tode ihres Gatten heiratete Glaphyra den König von Libyen, Jubas, und als auch dieser gestorben war, kehrte sie heim und lebte bei ihrem Vater als Witwe. Hier sah sie der Ethnarch Archelaus und verliebte sich dergestalt in sie, dass er seine Gattin Mariamne sogleich verstiess und Glaphyra zur Ehe nahm. Kurz nach ihrer Ankunft in Judaea nun träumte sie, Alexander stehe vor ihr und rede sie also an: „Die Heirat in Libyen hatte dir genügen sollen; aber nicht zufrieden damit, kehrst du an meinen Herd zurück und nimmst den dritten Mann, und zwar,
1 Nach J. A. XVII, 13, 3 im zehnten, nämlich im Jahre 6 n. Chr.
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Verwegene, meinen Bruder! Diese Schande lasse ich nicht hingehen, sondern ich nehme dich wieder zu mir, du magst wollen oder nicht." Kaum zwei Tage, nachdem sie diesen Traum erzählt hatte, gab sie den Geist auf.
1. Des Archelaus Gebiet ward nun in eine Provinz verwandelt und als Landpfleger ein Römer von ritterlichem Stande, Coponius, dorthin gesandt, dem der Caesar Gewalt über Leben und Tod verlieh. Während seiner Amtsführung verleitete ein gewisser Galiläer Judas1 seine Landsleute zum Abfall, indem er es für schmachvoll erklärte, wenn sie noch fernerhin Abgaben an die Römer entrichteten und ausser Gott auch sterbliche Menschen als ihre Gebieter anerkannten. Er war der Begrinder einer eigenen Sekte, die mit den anderen nichts gemein hat.2
2. Es giebt nämlich bei den Juden drei Arten von philosophischen Schulen; die eine bilden die Pharisäer, die andere die Sadducäer, die dritte, welche nach besonders strengen Regeln lebt, die sogenannten Essener. 8. Die letzteren sind ebenfalls geborene Juden, aber untereinander noch mehr als die anderen durch Liebe verbunden. Die sinnlichen Freuden meiden sie wie die Sünde, und die Tugend erblicken sie in Enthaltsamkeit und Beherrschung der Leidenschaften. Über die Ehe denken
1 Der auch Apostelgeschichte 5, 37 erwähnt wird.
2 Siehe das Nähere über diese Sekte J. A. XVIII, 1, 6.
3 Pharisäer bedeutet: Abgesonderte, Sadducäer (Zadukaer): Anhänger des Zaduk; der Name Essener (Essäer) erinnert an das aramäisch assyrische Wort assaya (Arzt) und bezeichnet also eine den Therapeuten verwandte Sekte. Die Therapeuten lebten bei Alexandria und beschäftigten sich hauptsächlich mit Naturwissenschaften.
Seite 206 sie gering, dagegen nehmen sie fremde Kinder auf, so lange dieselben noch in zartem Alter stehen und bildungsfähig sind, halten sie wie ihre Angehörigen und prägen ihnen ihre Sitten ein. Doch wollen sie damit die Ehe und die Erzielung von Nachkommenschaft durch dieselbe nicht gänzlich aufheben, sondern sich nur vor den Ausschweifungen der Weiber sichern, da sie glauben, dass keines derselben dem einen Gatten die Treue bewahre. 3. Den Reichtum verachten sie, und bewundernswert ist bei ihnen die Gemeinschaft der Güter, sodass man niemand unter ihnen findet, der mehr besässe als die anderen. Es besteht nämlich die Vorschrift, dass jeder, der der Sekte beitreten will, sein Vermögen der Gesamtheit abtreten muss, und so bemerkt man durchgehends weder niedrige Armut noch übermässigen Reichtum, sondern alle verfügen wie Brüder über das aus dem Besitztum der einzelnen Ordensmitglieder gebildete Gesamtvermögen. Oel halten sie für Schmutz, und wenn einer wider seinen Willen gesalbt worden ist, so wischt er seinen Körper ab. Denn eine rauhe Haut zu haben, gilt ihnen für ebenso ehrenvoll, als beständig in weissen Gewandern einherzugehen. Die Verwalter des gemeinsamen Vermögens werden durch Stimmenmehrheit gewählt, und jeder ohne Unterschied muss sich zu Dienstleistungen für die Gesamtheit bereit finden lassen. 4. Sie haben keine eigene Stadt, sondern in jeder wohnen ihrer viele. Ordensangehörigen, die anderswoher kommen, steht alles, was sie bei ihren Genossen finden, wie ihr eigener Besitz zur Verfügung, und bei Leuten, die sie nie zuvor gesehen, treten sie ein, als wären es vertraute Freunde von ihnen. Deshalb nehmen sie auch auf die Reise durchweg nichts anderes mit als Waffen zum Schutze gegen die Räuber. In jeder Stadt ist ein Beamter eigens für die Fremden angestellt, um sie mit Kleidung und allen anderen Bedürfnissen zu versehen. In ihrem Anzug und ihrer ganzen äusseren Erscheinung machen sie den Eindruck von Knaben, welche noch
Seite 207 unter der Zuchtrute ihrer Lehrmeister stehen. Kleider und Schuhe wechse]n sie nicht eher, als bis sie gänzlich zerfetzt oder durch langen Gebrauch verschlissen sind. Untereinander kaufen und verkaufen sie nichts, sondern ein jeder giebt von seinem Eigentum dem anderen, was dieser nötig hat, und empfingt umgekehrt von ihm das, was er selbst brauchen kann. Ja, sogar ohne alle Gegenleistung kann jeder von einem beliebigen Ordensgenossen das Notige beanspruchen. 5. Auf eine eigentiumliche Art verehren sie die Gottheit. Bevor nämlich die Sonne aufgeht, sprechen sie kein unheiliges Wort, sondern sie richten an das Gestirn gewisse altherkommliche Gebete, als wollten sie seinen Aufgang erflehen. Hierauf werden sie von den Vorstehern zu dem Tagewerk entlassen, auf das ein jeder von ihnen sich versteht. Wenn sie sodann bis zur fünften Stunde1 fleissig gearbeitet haben, kommen sie wieder an einem bestimmten Ort zusammen, schürzen ein linnenes Tuch um und waschen sich den Leib in kaltem Wasser. Nach dieser Reinigung begeben sie sich in ein besonderes Gebäude, das kein Angehöriger einer anderen Sekte betreten darf, und versammeln sich hier, gereinigt, als ginge es in ein Heiligtum, im Speisesaal. Dort setzen sie sich in aller Ruhe nieder, und es legt alsdann der Backer ihnen der Reihe nach Brote vor während der Koch jedem eine Schüssel mit einem einzigen Gericht aufträgt. Ehe das Mahl beginnt, spricht der Priester ein Gebet, und vor dem Gebet darf niemand etwas verzehren. Nach dem Mahle betet er wiederum, sodass zu Anfang und zu Ende desselben Gott als der Spender der Nahrung geehrt wird. Nachdem sie sodann ihre gleichsam heiligen Kleider abgelegt, begeben sie sich wieder an ihre Arbeit bis zur Abenddammerung. Hierauf kehren sie zurück und speisen auf dieselbe Weise; sind zufällig Fremde da, so nehmen diese am Mahle teil. Weder Geschrei noch sonstiger Lärm ent-
1 Uhr vormittags.
Seite 208 weiht je das Haus, sondern ein jeder lässt den anderen reden, wie ihn die Reihe trifft. Auf diejenigen, die ausserhalb des Hauses sich befinden, macht die in demselben herrschende Stille den Eindruck eines schauerlichen Geheimnisses; doch hat die Ruhe ihren Grund nur in der beständigen Nüchternheit der Ordensmitglieder, die Speise und Trank nicht weiter als bis zur Sattigung geniessen. 6. Nichts thun die Essener ohne ausdrücklichen Befehl ihrer Vorsteher, und nur in zwei Dingen besitzen sie völlige Freiheit, in Hilfeleistung nämlich und in Ausübung der Barmherzigkeit. So ist es jedem verstattet, Unterstützungsbedürftigen beizuspringen, wenn sie dessen würdig sind, und den Darbenden Nahrung zu reichen. An Verwandte jedoch darf ohne Erlaubnis der Vorsteher nichts verschenkt werden. Zorn äussern die Essener nur, wo er berechtigt ist; Gemütserregungen wissen sie zu bemeistern; Treu und Glauben halten sie hoch; den Frieden pflegen sie angelegentlich. Das gegebene Wort gilt bei ihnen mehr wie der Eid; ja, sie unterlassen das Schwören, weil sie es für schlimmer als den Meineid halten. Wer ohne Anrufung der Gottheit keinen Glauben finde, der sei, sagen sie, schon im voraus gerichtet. Mit Vorliebe widmen sie sich dem Studium von Schriften der Alten, besonders um zu ergründen, was für Leib und Seele heilsam ist. Aus diesen Schriften suchen sie Wurzeln zur Bannung von Krankheiten und die Eigenschaften der Steine kennen zu lernen. 7. Wer in die Sekte aufgenommen sein will, erhält nicht sogleich Zutritt, sondern er muss zunächst ausserhalb des Ordens ein Jahr lang derselben Lebensweise wie die Mitglieder sich unterziehen, nachdem man ihm vorher eine kleine Axt, das oben erwähnte Lendentuch und ein weisses Gewand gegeben hat. Hat er in diesem Zeitraum die Mässigkeitsprobe bestanden, so tritt er der Genossenschaft um einen Schritt näher: er nimmt an der reinigenden Wasserweihe teil, wird jedoch zu den gemeinsamen Mahlen noch nicht zugelassen. Nachdem
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er nämlich seine Standhaftigkeit dargethan hat, wird nun in zwei weiteren Jahren auch sein Charakter geprüft, und erst wenn er in dieser Beziehung gleichfalls würdig erscheint, wird er förmlich in den Orden aufgenommen. Bevor er indes bei dem gemeinsamen Mahl erscheinen darf, muss er den Ordensangehörigen einen furchtbaren Eid schwören, dass er die Gottheit ehren, seine Pflichten gegen die Menschen erfüllen, niemand aus eigenem Antrieb oder auf Befehl Schaden zufügen, stets die Ungerechten hassen und den Gerechten beistehen, sowie dass er Treue gegen jedermann und besonders gegen die Obrigkeit üben wolle, weil niemand Gewalt habe, ohne dass sie ihm von Gott verliehen sei. Ferner muss er schwören, falls er selbst einmal zu befehlen habe, nie ob seiner Macht sich brüsten und weder in Kleidung noch in sonstigem Schmuck es seinen Untergebenen zuvorthun zu wollen. Des weiteren verpflichtet er sich, stets die Wahrheit zu lieben und die Lüge zu Schanden zu machen, seine Hände von Diebstahl und seine Seele von dem Makel unrechten Gewinnes rein zu halten, den Ordensbrüdern nichts zu verheimlichen, anderen dagegen keines ihrer Geheimnisse zu offenbaren, und sollte man ihn auch bis zum Tode martern; endlich, die Lehrstütze des Ordens niemand auf anderem Wege mitzuteilen, als er sie selbst kennen gelernt, den Strassenraub zu verabscheuen, die Bücher der Sekte und die Namen der Engel geheim zu halten. Durch solche Eidschwüre versichern sich die Essener der neu Aufzunehmenden. 8. Wer schwerer Sünden überwiesen wird, den schliessen sie aus dem Orden aus, und der also Ausgestossene kommt oft auf die elendeste Weise um. Durch Eidschwüre und Ordensgebrauche gebunden, darf er nämlich von Nichtmitgliedern keine Nahrung annehmen und muss sich deshalb von Kräutern nähren, wodurch sein Körper abzehrt und endlich dem Hunger erliegt. Sie haben daher schon manchen dieser Unglücklichen, der in den letzten Zügen lag, aus Mitleid wieder
Seite 210 aufgenommen, indem sie die Qual, die ihn dem Todt, nahe brachte, als hinreichende Sühne fur seine Sünden. ansahen. 9. Sehr gewissenhaft und gerecht verfahren sie bei gerichtlichen Entscheidungen. Recht sprechen sie nur dann, wenn mindestens hundert Mitglieder versammelt sind, und das Urteil. dieses Gerichtes ist unabänderlich. Nächst Gott zollen sie die grösste Verehrung dem Namen des Gesetzgebers 1; wer ihn lästert, wird mit dem Tode bestraft. Dem Alter und der Mehrheit Gehorsam zu erweisen, halten sie für ehrenvoll. Wenn daher zehn von ihnen beisammen sitzen, redet wohl keiner gegen den Sinn der neun übrigen. Ferner hüten sie sich, vor anderen oder nach der rechten Seite hin auszuspeien. Peinlicher als alle übrigen Juden vermeiden sie es, am Sabbat sich mit Arbeit zu befassen, und demzufolge bereiten sie sich nicht nur die Speisen tags vorher, um am Sabbat kein Feuer anzünden zu, müssen, sondern sie wagen am Ruhetage nicht einmal, ein Gefäss von der Stelle zu rücken oder ihre Notdurft zu verrichten. An anderen Tagen aber höhlen sie mit der einer Hacke ähnlichen kleinen Axt, die jedem neu Eintretenden verabfolgt wird, eine Grube von der Tiefe eines Fusses aus, verhüllen dieselbe mit ihrem Mantel, um den Lichtglanz Gottes nicht zu beleidigen, entleeren sich darein und scharren dann mit der ausgegrabenen Erde das Loch wieder zu; auch suchen sie zu dieser Verrichtung die abgelegensten Plätze aus. Und obwohl die Entleerung der Körperexcremente etwas Natürliches ist, ist es doch bei ihnen gebräuchlich, sich nachher zu waschen, als ob sie sich verunreinigt hätten. 10. Nach der Dauer ihrer Zugehörigkeit zum Orden sind sie in vier Klassen geteilt, und zwar stehen die Jüngeren Mitglieder den älteren so sehr nach, dass die letzteren, wenn sie von jenen berührt worden sind, sich waschen, wie wenn ein Ausländer sie verunreinigt hätte. Moyses.
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Sie leben sehr lange, und viele von ihnen werden - wie mir scheint, infolge der Einfachheit ihrer Lebensweise und der bei ihnen herrschenden Ordnung - über hundert, Jahre alt. Dabei lässt das schrecklichste Ungemach sie kalt; denn Schmerzen überwinden sie durch Seelenstärke, und einen ruhmvollen Tod ziehen sie dem längsten Leben vor. Diese ihre Gesinnung trat so recht im Kriege gegen die Römer zutage. Auf die Folter wurden sie gespannt, ihre Glieder gereckt, verbrannt, zerbrochen; mit allen erdenklichen Marterwerkzeugen quälte man sie, um sie zur Lästerung des Gesetzgebers oder zum Genuss einer ihnen verbotenen Speise zu zwingen, aber weder das eine noch das andere vermochte man durchzusetzen. Kein bittendes Wort an ihre Peiniger kam über ihre Lippen, und ihre Augen blieben tränenleer. Lächelnd unter Schmerzen spotteten sie ihrer Henker, und freudig gaben sie ihre Seelen dahin in der sicheren Hoffnung, sie einst wieder zu erhalten.
11. Sie hegen nämlich den festen Glauben, dass der Körper zwar der Verwesung anheimfalle und vergänglich sei, die Seele dagegen in Ewigkeit fortlebe und dass sie, aus dem feinsten Äther stammend, durch einen natürlichen Zauberreiz herabgezogen und in den Körper gleichwie in ein Gefängnis eingeschlossen werde. Sobald die Seele aber von den Banden des Fleisches befreit sei, entschwebe sie, wie aus länger Knechtschaft erlöst, in seliger Wonne zur Höhe. In Übereinstimmung mit den jüngeren 1 Hellenen lehren sie, den Guten sei ein Leben jenseits des Ocean beschieden und ein Ort, den weder Regen noch Schnee noch Hitze belästige, sondern ein beständiger, vom Ocean her sanft wehender Zephyr kühle; den Bösen dagegen weisen sie eine finstere kalte Höhle voll ewiger Qualen an. Derselbe Gedanke findet sich, wie, mir scheint, bei den Hellenen, indem sie ihren Helden, die sie Heroen und Halbgötter nennen,
1 So übersetze ich das Wort paisi/n, dessen von Paret vorgeschlagene Änderung in tisi/n somit unnötig wird.
Seite 212 die Inseln der Seligen zuweisen, den Seelen der Schlechten aber den Ort der Frevler im Hades, wo der Sage nach ein Sisyphos, Tantalos, Ixion und Tityos ihre Strafen erleiden. Damit wollen sie zunächst die Unsterblichkeit der Seele feststellen, dann aber auch zur Tugend antreiben und vom Laster abschrecken, indem sie darauf rechnen, dass die Guten während ihres irdischen Lebens durch die Hoffnung auf Belohnung nach dem Tode noch besser, die Anschläge der Bösen dagegen durch Furcht zunichte werden, da die letzteren sich darauf gefasst machen müssen, selbst wenn bei Lebzeiten ihre Schlechtigkeit verborgen bleiben sollte, doch noch im Jenseits ewiger Strafe zu verfallen. Diese Lehre der Essener über die Seele ist das Zauberband, durch welches sie diejenigen, die einmal ihre Weisheit gekostet haben, dauernd an sich fesseln. 12. Es finden sich übrigens auch solche unter ihnen, die, nachdem sie sich von Jugend auf mit den heiligen Büchern, den Sprüchen der Propheten und mancherlei Reinigungen vertraut gemacht haben, die Zukunft vorherzuwissen behaupten. Und in der That ist es ein seltener Fall, wenn einmal ihre Weissagungen nicht in Erfüllung gehen. 13. Ausserdem giebt es nun noch einen zweiten Zweig der Essener, der in Lebensart, Sitten und Gebräuchen mit dem anderen ganz übereinstimmt, in der Ansicht über die Ehe dagegen von ihm abweicht. Sie glauben nämlich, dass die, welche nicht in die Ehe traten, den wichtigsten Lebenszweck, die Erzielung von Nachkommenschaft, ausser acht liessen, oder vielmehr, dass, wenn alle so dachten, das ganze Menschengeschlecht in kürzester Zeit aussterben müsse. Doch erproben sie die Bräute drei Jahre lang, und wenn sie nach dreimaliger Reinigung deren Fähigkeit, Kinder zu gebären, erkannt haben, nehmen sie dieselben zur Ehe. Während der Schwangerschaft enthalten sie sich des Beischlafes zum Beweise, dass sie nicht aus Wollust, sondern um Kinder zu erzielen geheiratet haben. Die Weiber baden im Hemd,
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wie die Männer in einer Schürze. Soviel von den Gebräuchen dieser Sekte. 14. Was nun die beiden zuerst genannten Sekten betrifft, so ist die der Pharisäer die älteste unter allen dreien. Sie gelten für besonders kundige Erklärer des Gesetzes, machen alles von Gott und dem Schicksal abhängig und lehren, dass Recht- und Unrechtthun zwar grösstenteils den Menschen freistehe, dass aber bei jeder Handlung auch eine Mitwirkung des Schicksals stattfände. 2 Die Seelen sind nach ihrer Ansicht alle unsterblich, aber nur die der Guten gehen nach dem Tode in einen anderen Leib über, während die der Bösen ewiger Strafe anheimfallen. Die Sadducäer hingegen, die zweite der obengenannten Sekten, leugnen das Schicksal völlig und behaupten, Gott habe mit dem Thun und Lassen der Menschen gar nichts zu schaffen; vielmehr seien gute wie böse Handlungen gänzlich dem freien Willen anheimgestellt, und nach eigenem Gutdünken trete ein jeder auf die eine oder andere Seite. Weiterhin leugnen sie auch die Fortdauer der Seele, 5 sowie die Strafen und
1 Die Essener waren es vornehmlich, die durch ihr hohes Ansehen beim Volke der Lehre Jesu Christi Anhang und Popularität verschafften.
2 Eine Ansicht, welcher der Pharisäer Josephus in den J. A. wiederholt, Ausdruck verleiht, so z. B. J. A. VIII, 15, 4; 15, 6; IX, 9,3; XVI, 11, 8.
3 Da jedoch die Unsterblichkeitslehre einen Grundpfeiler jeder positiven Religion bildet, und da die Sadduciter erwiesenermassen Jahrhunderte hindurch den Pharisäern den Rang streitig machten, sodass aus ihrer Mitte oft Hohepriester und Mitglieder des hohen Rates hervorgingen, ist es nicht wahrscheinlich, dass sie die Unsterblichkeit einfach leugneten; vielmehr haben sie wohl nur die Auferstehungslehre, die nicht Jüdischen Ursprunges ist und ihre Hauptverfechter an den Pharisäern fand, verworfen, die Unsterblichkeit aber im Princip geglaubt und darauf die Grundsätze ihrer Religion gestützt (s. Spiegler, Geschichte der Philosophie des Judentums, S. 202). Die Sekte der Sadduciter löste sich übrigens nach der zweiten Zerstörung Jerusalems auf, und ihre Mitglieder traten teils zum Christentum über, teils schlossen sie sich an die Pharisäer an, die nun unter Führung der Rabbinen den reinen Mosaismus mit einem Wall von Satzungen, Ceremonien und Geboten umgaben und zu seiner Verteidigung mit dem Talmud die heute noch bestehende feste Burg des Rabbinismus errichteten (ebendas. S. 202f.).
Seite 214 Belohnungen in der Unterwelt. Während aber die Pharisäer sich eng aneinander anschliessen und zum Wohle der Gesamtheit die Eintracht hochhalten, ist das Benehmen der Sadducäer gegen ihresgleichen weit unfreundlicher, sodass sie mit ihren Gesinnungsgenossen so abstossend wie mit Fremden verkehren. Das ist es, was ich über die philosophischen Schulen der Juden bemerken wollte.
1. Während nun die Ethnarchie des Archelaus in eine Provinz verwandelt wurde, regierten die anderen Fürsten, Philippus und Herodes Antipas, ihre Tetrarchien weiter. Salome aber war unterdessen gestorben und hatte der Gemahlin des Augustus, Julia,1 ihr Gebiet nebst Jamnia und dem Palmenwald bei Phasaelis hinterlassen. Auch als nach dem Tode des Augustus,2 der siebenundfünfzig Jahre, sechs Monate und zwei Tage an der Spitze des römischen Staates gestanden hatte, die Regierung auf Tiberius, den Sohn der Julia, übergegangen war, verblieben Herodes und Philippus im Besitz ihrer Tetrarchien, und es erbaute der letztere im Bezirk Paneas an den Quellen des Jordan die Stadt Caesarea 3 sowie in Unter - Gaulanitis die Stadt Julias, 4
1 S. die Anmerkung zu I, 28, 6.
2 13 n. Chr.
3 Nach ihrem Erbauer Caesarea Philippi genannt.
4 Wo früher Bethsaida sich befand, d. h. B. am Ostufer des Jordan, nicht das B. der Bibel, welches im Westen des Galilaeischen Meeres lag.
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21. Herodes aber in Galilaea Tiberias mid in Peraea ein gleichfalls nach der Julia benannte Stadt.1 2. Was Judaea anlangt, so sandte Tiberius dorthin den Pilatus als Landpfleger. 2 Einst nun liess dieser eine Anzahl verhüllter Bildnisse des Caesars, welche die Römer „signa“ nennen, zur Nachtszeit nach Jerusalem bringen. Kaum aber graute der Tag, als eine hochgradige Aufregung sich der Stadt bemächtigte. Denn was in die Nähe 4 kam, entsetzte sich über den Anblick wie über eine schwere Verhöhnung des Gesetzes, das den Juden die Aufstellung jedweden Bildwerkes in der Stadt untersagte. Allmählich zog die Erbitterung der Stadtbewohner auch das Landvolk in grossen Scharen herbei, und alle machten sich nun auf den Weg nach Caesarea zu Pilatus, den sie flehentlich baten, die Bildnisse aus Jerusalem entfernen und an ihren althergebrachten religiösen Satzungen nicht rütteln zu wollen. Da Pilatus aber die Bitte abschlug, warfen sie sich zu Boden und blieben fünf Tage und ebenso viele Nächte liegen, ohne sich zu rühren. 3. Am folgenden sechsten Tage nahm Pilatus in der grossen Rennbahn auf einer Tribüne Platz und liess das Volk herbeirufen, als wolle er ihm Bescheid erteilen, gab aber dann den Soldaten, die vorher verständigt waren, ein Zeichen, die Juden mit den Waffen in der Hand zu umzingeln. So von einer dreifachen Reihe Bewaffneter eingeschlossen, gerieten die Juden über den unerwarteten Anblick zunächst in gewaltige Bestürzung. Als aber Pilatus drohte, er werde sie niedermetzeln
1 S. die Anmerkung zu II, 4, 2.
2 25 n. Chr. Seine Vorgänger waren seit des Archelaus Verbannung: Coponius (6 n. Chr.), Marcus Ambivius (etwa 9 n. Chr.), Annius Rufus (etwa 11 n. Chr.), Valerius Gratus (14 n. Chr.).
3 Feldzeichen, bestehend aus an Spiessen befestigten Adlern, denen um diese Zeit noch keine Brustbilder des Caesars beigefügt wurden.
4 Des Praetoriums, wo die Feldzeichen sich befanden. Das Praetorium war das Absteigequartier der für gewöhnlich in Caesarea maritima residierenden Landpfleger.
Seite 216 lassen, wenn sie die Bildnisse des Caesars nicht bei sich aufnähmen, und den Soldaten einen Wink gab, ihre Schwerter zu entblössen, fielen die Juden wie auf Verabredung sämtlich nieder, boten den Nacken dar und erklärten mit lauter Stimme, sie wollten sich lieber umbringen lassen als das Gesetz übertreten. Über dieses heldenmütige Eintreten des Volkes für seine Religion erstaunte Pilatus und gab Befehl, die Feldzeichen sofort aus Jerusalem wegzubringen. 4. Später rief er neue Unruhen dadurch hervor, dass er den Tempelschatz, Korban genannt, zur Anlage einer Wasserleitung verwendete, die vierhundert 1 Stadien lang werden sollte. Hierüber entrüstete sich das Volk, und als Pilatus eines Tages nach Jerusalem kam, umringte es lärmend seinen Richterstuhl. Er aber hatte von dem beabsichtigten Auflauf zuvor Kunde erhalten und bewaffnete Soldaten in bürgerlicher Kleidung heimlich unter der Menge verteilt mit dem Befehl, gegen die Schreier nicht das Schwert zu gebrauchen, aber mit Knitteln auf sie einzuhauen. Als er nun vom Richterstuhl herab das Zeichen gab, kamen viele Juden teils unter den Schlägen der Soldaten, teils dadurch um, dass sie von ihren eigenen Landsleuten auf der Flucht zertreten wurden. Der Schrecken über das traurige Schicksal der Getöteten aber brachte das Volk alsbald zum Stillschweigen. 5. Um diese Zeit begab sich Agrippa, der Sohn des von Herodes, seinem Vater, getöteten Aristobulus, zu Tiberius, um den Tetrarchen Herodes zu verklagen wurde aber mit seiner Klage abgewiesen. Doch blieb er in Rom und suchte die Gunst anderer einflussreicher Römer, besonders von Germanicus´ Sohn Gajus, der damals noch Privatmann war, zu gewinnen. Als er denselben eines Tages festlich bewirtete und ihn mit Liebenswürdigkeiten überhäuft hatte, breitete er zuletzt
1 Nach J.A. XVIII, 3, 2 nur 200. Siehe hierzu: Spiess, Jerusalem des Josephus, S. 54f.
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die Hände aus und betete mit lauter Stimme, es möge ihm vergönnt sein, den Gajus nach dem hoffentlich bald erfolgenden Tode des Tiberius als Herrn der Welt begrüssen zu dürfen.1 Einer seiner Diener aber hinterbrachte dies dem Tiberius, der darüber so unwillig wurde, dass er den Agrippa einkerkern und sechs Monate lang bei harter Behandlung im Gefängnis zubringen liess, bis er selbst nach einer Regierung von zweiundzwanzig Jahren, sechs Monaten und drei Tagen starb. 6. Kaum war Gajus 2 zum Caesar ausgerufen, als er den Agrippa freiliess und ihn zum König über die Tetrarchie des inzwischen verstorbenen Philippus ernannte. 3 Das aber weckte den Neid des Tetrarchen Herodes, dem insbesondere seine Gattin Herodias Hoffnung auf Erlangung der Königswürde machte. Sie warf ihm nämlich seine Untätigkeit vor und behauptete, nur weil er nicht zum Caesar habe reisen wollen, sei er um die Rangerhöhung gekommen; denn der Caesar, der den Privatmann Agrippa zum Könige gemacht, würde doch erst recht ihm, dem Tetrarchen, diese Beförderung zuerkannt haben. Durch solche Vorstellungen liess Herodes sich bereden und begab sich zu Gajus, wurde aber von ihm für seine Habgier mit der Verbannung nach Hispanien 4 bestraft. 5 Agrippa nämlich war ihm nachgereist, um ihn zu verklagen, und erhielt nun von Gajus die Tetrarchie des Herodes noch zu seinem eigenen Königreich hinzu. 6 Herodias folgte übrigens ihrem Gatten in die Verbannung nach Hispanien, wo er bis zu seinem Tode verblieb.
1 Nach J. A. XVIII, 6, 5 sprach er diesen Wunsch bei Gelegenheit einer gemeinsamen Wagenfahrt aus. Vergleiche übrigens in betreff der Schicksale Agrippas die weitläufige Darstellung J. A. XVIII, 6.
2 Gajus Caesar Caligula.
3 36 n. Chr.
4 J. A. XVIII, 7, 2 heisst es: nach Lugdunum (Lyon) in Gallien.
5 38 n. Chr.
6 40 n. Chr.
1. Mittlerweile war der Caesar Gajus infolge seines Glückes so übermütig geworden, dass er sich nicht nur selbst für einen Gott hielt und von anderen so genannt zu werden verlangte, sondern auch sein Vaterland der edelsten Männer beraubte. Nicht minder hatten die Juden unter seiner Ruchlosigkeit zu leiden. Eines Tages nämlich sandte er den Petronius an der Spitze eines Heeres nach Jerusalem, um seine Bildsäule im dortigen Tempel aufzustellen.1 Zugleich erteilte er ihm die Weisung, er solle, wenn die Juden sich etwa nicht fügen wollten, die Widerspenstigen hinrichten lassen und das gesamte übrige Volk in die Sklaverei verkaufen. Gottes Fürsorge indes verhinderte die Ausführung dieser Befehle. - Petronius rückte also von Antiochia aus mit drei Legionen und zahlreichen syrischen Hilfstruppen gegen Judaea heran. Ein Teil der Juden schenkte den Kriegsgerüchten noch keinen Glauben, der andere, der sie für zutreffend hielt, war in Verlegenheit, wie er sich verteidigen sollte. Bald jedoch ergriff allgemeiner Schrecken das Volk; denn schon stand das Heer vor Ptolemais. 2. Diese Stadt, unweit Galilaeas in der grossen Ebene 2 gelegen, ist eine Seestadt und von Bergen umgeben. Im Osten nämlich erhebt sich, sechzig Stadien entfernt, das Galilaeische Gebirge, gegen Süden in einer Entfernung von hundertundzwanzig Stadien der Karmel, und nach Norden zu in einem Abstand von hundert Stadien der sehr hohe Berg, den die dortige Bevölkerung die Tyrische Leiter nennt. Zwei Stadien von der Stadt
1 39 n.Chr
2 Jezreel?
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entfernt fliesst der ganz kleine sogenannte Belaeusfluss 1 vorbei, in dessen Nähe sich ein Denkmal des Memon 2 und ein sehr merkwürdiger Platz von hundert Ellen im Umfang befindet. Der letztere nämlich ist rund und hohl und liefert den Glassand, der sich, sowie er von den vielen vor Anker liegenden Schiffen erschöpft wird, jedesmal wieder ergänzt, indem die Winde gleichsam absichtlich den schimmernden Sand von aussen dorthin zusammentreiben. Die Grube verwandelt den gesamten Sand sogleich in Glas; noch wunderbarer aber kommt es mir vor, dass das aus der Grube überfliessende Glas wieder zu gemeinem Sande wird. 3 Das ist die natürliche Beschaffenheit dieser Gegend. 3. Die Juden versammelten sich nun mit Weib und Kind in der Ebene bei Ptolemais und baten den Petronius flehentlich um Schutz zunächst für ihre heimischen Gebräuche und dann auch für sich selbst. Die grosse Menge der Flehenden und die Beharrlichkeit, mit der sie ihre Bitten vorbrachten, machte auf Petronius einen solchen Eindruck, dass er Heer und Bildsäule in Ptolemais zurückliess und sich nach Tiberias in Galilaea begab, wohin er das Volk und besonders alle angesehenen Juden berief. Alsdann erörterte er weitläufig die Macht der Römer und die Drohungen des Caesars und suchte ihnen zugleich zu beweisen, wie unvernünftig ihr Begehren sei. Alle unterjochten Völkerschaften, schloss er, hätten doch in jeder Stadt ausser den Bildsäulen anderer Götter auch solche des Caesars auf
1 Bei Tacitus (Hist. V, 7) heisst er Belus.
2 Sohn des Tithonos und der Eos, dessen Gebeine mehrere Orte zu besitzen vorgaben.
3 Nach der offenbar richtigeren Darstellhmg des Tacitus (Hist.V,7) wurde der Sand unter Beimischung von Salpeter zu Glas geschmolzen. S. auch Plinius, Naturgeschichte, V, 17 und XXXVI, 65. Noch im Mittelalter holte man den Sand des Belus nach Genua und Venedig zur Glasfabrikation. Velde fand am Belus bei al-Mekr im Osten von Acre (Ptolemais) die Hügel mit einer Schicht Glas bedeckt. Die Bemerkung des Josephus, dass das überfliessende Glas wieder zu Sand geworden sei, ist selbstverständlich irrig.
Seite 220 gestellt, und wenn nun die Juden allein sich dagegen sträubten, so sei dieses Benehmen eigentlich nichts anderes als Empörung, und zwar noch dazu eine mit Beschimpfung des Caesars verbundene Empörung. 4. Als die Juden dagegen sich auf ihr Gesetz und die althergebrachten Sitten beriefen, die nicht einmal das Bild Gottes, geschweige denn das eines Menschen im Tempel oder auch nur an irgend einer ungeweihten Stelle des Landes aufzustellen gestatteten, entgegnete Petronius: „Nun, ich muss doch auch das Gesetz meines Herrn erfüllen, und wenn ich es übertrete, um euch zu schonen, so werde ich, und das mit Recht, den Tod erleiden. Der mich gesandt hat, wird mit euch Krieg führen, nicht ich; denn auch ich stehe, wie ihr, unter seiner Botmässigkeit." Hierauf schrie die ganze Volksmenge, sie seien bereit, für ihr Gesetz zu leiden. Nachdem Petronius den Lärm wieder gestillt und gefragt hatte, ob sie denn gesonnen seien, gegen den Caesar zu kämpfen, antworteten die Juden, täglich zweimal brächten sie Opfer für den Caesar und das römische Volk dar. Wolle er aber auch noch die Bildsäule aufstellen, so müsse er zuvor das ganze Volk der Juden opfern; denn samt Weib und Kind seien sie bereit, sich hinschlachten zu lassen. Staunen und Mitleid zugleich ergriff den Petronius, als er die unerschütterliche Frömmigkeit der Juden und ihre Bereitwilligkeit, den Tod zu erleiden, gewahrte, und unverrichteter Sache trennte man sich für diesmal. 5. An den folgenden Tagen berief er die einflussreichen Männer besonders zu sich und versammelte auch wieder das Volk, wobei er es bald mit Bitten, bald mit Zureden versuchte, zumeist jedoch drohte, indem er die Macht der Römer, den Unwillen des Gajus und seine eigene Zwangslage schilderte. Da aber alles dies nichts fruchtete und Petronius erkannte, dass man Gefahr laufe, das Land uneingesät zu lassen - war das Volk doch nun schon fünfzig Tage lang in der Saatzeit müssig geblieben -, berief er endlich nochmals eine
Seite 221 Volksversammlung und sprach: „So will ich denn lieber die Gefahr auf mich nehmen: entweder stimme ich mit Gottes Hilfe den Caesar um und freue mich mit euch der Rettung, oder ich gebe, wenn er in Zorn gerät, mein Leben für so viele gern dahin!" Sodann verabschiedete er sich unter den Segenswünschen der Menge, holte in Ptolemais sein Heer und kehrte nach Antiochia zurück. Von dort schrieb er sogleich an den Caesar, schilderte seinen Einmarsch in Judaea, die flehentlichen Bitten des Volkes, und wie er, wenn er nicht Land und Leute hätte zu Grunde richten wollen, den Juden die Beobachtung ihres Gesetzes habe gestatten und die Erledigung seines Auftrages unterlassen müssen. Des Gajus Antwort auf diesen Brief lautete keineswegs gnädig; vielmehr drohte er dem Petronius mit dem Tode, weil er bei der Ausführung seiner Befehle sich so lässig gezeigt habe. Doch der Zufall fügte es, dass die Überbringer dieses Schreibens drei Monate lang durch Sturm auf dem Meere hingehalten wurden, während andere mit der Nachricht vom Tode des Gajus eine glückliche Fahrt hatten, und so erhielt Petronius den Brief mit der Todesmeldung siebenundzwanzig Tage früher, als das gegen ihn selbst gerichtete Schreiben.
1. Als Gajus nach einer Regierung von drei Jahren und acht Monaten durch Meuchelmord umgekommen war,1 schleppten die in Rom stehenden Truppen den Claudius auf den Thron. Der Senat jedoch vertraute gemäss dem Vorschläge der Konsuln Sentius Saturninus
1 41 n. Chr. S. die ausführliche Schilderung J. A. XIX, 1, Iff.
Seite 222 und Pomponius Secundus den drei ihm treugebliebenen Legionen die Bewachung der Stadt an, versammelte sich auf dem Kapitolium und beschloss im Hinblick auf die Grausamkeit des Gajus, gegen Claudius Krieg zu führen. Es sollte entweder die frühere aristokratische Verfassung hergestellt oder ein des Thrones würdiger Mann durch Abstimmung gewählt werden. 3. Damals nun befand sich zufällig Agrippa in Rom und wurde vom Senat zu einer Beratung eingeladen, während gleichzeitig auch Claudius aus der Kaserne zu ihm sandte, um sich seine Dienste zu sichern. Agrippa, der wohl erkannte, dass Claudius infolge seiner Macht bereits wirklicher Caesar war, begab sich zu diesem hin. Claudius schickte ihn nun als Abgeordneten an den Senat, um denselben von seinen Absichten in Kenntnis zu setzen. Wider seinen Willen, liess er sagen, hätten die Soldaten ihn fortgerissen, und wie er einerseits es nicht für recht halte, ihren Eifer unberücksichtigt zu lassen, so wolle er auch anderseits sein Glück noch nicht für gesichert erachten, da ja die Berufung auf den Thron gewisse Gefahren mit sich bringe. Er sei übrigens entschlossen, wie ein milder Fürst, nicht wie ein Tyrann zu regieren; auch werde er mit der Ehre des Caesarentitels sich begnügen und bei allen Staatsgeschäften das Volk um seine Willensmeinung befragen. Und wäre er selbst von Natur nicht zur Milde geneigt, so müsse ihm doch schon das Ende des Gajus als hinreichender Antrieb zur Mässigung vor Augen stehen. 3. Diese Botschaft überbrachte Agrippa dem Senat und erhielt zur Antwort, im Vertrauen auf das Heer und ihr gutes Recht würden sie sich der Knechtschaft nicht freiwillig unterwerfen. Als Claudius diesen Bescheid vernommen hatte, sandte er den Agrippa abermals hin mit der Erklärung, er werde die, welche ihm Treue geschworen, unter keinen Umständen im Stich lassen und sehe sich also zum Kampfe gegen die genötigt, mit denen zu streiten er durchaus kein Verlangen trage. Zuvor
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übrigens müsse man einen Platz ausserhalb der Stadt für das Treffen bestimmen; denn es wäre doch frevelhaft, um des unheilvollen Entschlusses der Senatoren willen die Heiligtümer der Vaterstadt mit Bürgerblut zu beflecken. Auch von dieser Erklärung gab Agrippa dem Senate Kenntnis. 4. Nun aber zog einer der Soldaten, die auf seiten des Senates standen, sein Schwert und rief: „Kameraden, wozu sollen wir unsere Brüder morden und unsere Verwandten bekämpfen, die zu Claudius halten, da wir an ihm einen Herrscher haben, dem man nichts Schlechtes nachsagen kann, und da wir durch heilige Pflichten denen verbunden sind, gegen die wir mit den Waffen in der Hand ausrücken sollen?" Nach diesen Worten schritt er eilig mitten durch die Versammlung hinaus und zog alle übrigen Soldaten mit sich fort. Im ersten Augenblick waren die Patrizier über den Abzug der Soldaten erschreckt; als aber keine andere Aussicht auf Rettung sich ihnen darbot, eilten sie auf demselben Wege wie die Soldaten zu Claudius hin. Gleich vor der Stadtmauer stiessen sie auf eine Anzahl Bewaffneter, die durch eifriges Eintreten für den neuen Herrscher ihr Glück machen wollten und mit gezückten Schwertern daherstürmten. Es wäre nun wohl, bevor noch Claudius von dem Vorgehen der Soldaten Kenntnis erlangte, um die Senatoren an der Spitze des Zuges geschehen gewesen, wenn Agrippa nicht zu Claudius geeilt wäre und ihn von dem Ernst der Lage benachrichtigt hatte. Entweder müsse er dem Ungestüm der über die Patrizier bis zur Wut erbitterten Soldaten wehren, oder er werde die besten Stützen seines Thrones verlieren und Beherrscher einer Einöde sein. 5. Kaum hatte Claudius dies vernommen, als er der Aufregung im Heere Einhalt that, den Senat freundlich in die Kaserne aufnahm und alsbald mit ihm hinauszog, um der Gottheit für seine Thronbesteigung Dankopfer darzubringen. Gleich darauf beschenkte er den Agrippa mit dem ganzen Königreich seines Grossvaters und
Seite 224 fügte noch die von Augustus dem Herodes verliehenen Gebiete Trachonitis und Auranitis sowie die sogenannte Herrschaft des Lysanias 1 hinzu. 2 Dem Volke machte er diese Schenkung in einem Erlasse bekannt, dem Senat aber befahl er, die Schenkungsurkunde in eherne Tafeln eingraben und diese auf dem Kapitolium niederlegen zu lassen. Auch den Bruder des Agrippa, Herodes, der durch seine Ehe mit Berenike zugleich dessen Schwiegersohn war, beschenkte er, und zwar mit dem Königreiche Chalkis. 6. Bald flossen dem Agrippa aus einem so weiten Gebiet grosse Reichtümer zu, und er verwendete diese Gelder auch zu nicht unbedeutenden Unternehmungen. So begann er Jerusalem mit einer derart starken Mauer zu umgeben, dass, wäre sie vollendet worden, die Belagerungsarbeiten der Römer wohl keinen Erfolg gehabt hätten. Allein ehe das Bauwerk seine Höhe erreichte, starb er in Caesarea, 3 nachdem er drei Jahre König und vorher ebenfalls drei Jahre Tetrarch gewesen war. Er hinterliess drei mit der Kypros gezeugte Tochter, Berenike, Mariamne und Drusilla, sowie einen von derselben Mutter geborenen Sohn Agrippa. Da der letztere noch viel zu jung war, 4 verwandelte Claudius das Königreich wieder in eine Provinz und sandte den Cuspius Fadus 5 und nach ihm den Tiberius Alexander 6 als Landpfleger dorthin, unter denen das Volk sich ruhig verhielt, weil sie seine heimischen Gebräuche unangetastet liessen. Bald darauf 7 starb auch Herodes, der König von Chalkis, und hinterliess von Berenike, der Tochter seines Bruders, zwei Söhne, Berenikianus und Hyrkanus, sowie von seiner früheren Gattin Mariamne einen Sohn
1 Abilene oder Abila (s. Lukas 3, 1 und J. A. XIX, 5, 1).
2 41 n. Chr.
3 44 n. Chr.
4 Nämlich 17 Jahre alt (geboren 27 n. Chr.).
5 44 n. Chr.
6 Etwa 45 n. Chr.
7 49 n. Chr.
Seite 225 Aristobulus. Ein anderer Bruder Agrippas, Aristobulus mit Namen, war mit Hinterlassung einer Tochter Jotape als Privatmann gestorben. Das waren, wie schon früher erwähnt, die Söhne von Herodes Sohn Aristobulus. Den letztern wie dessen Bruder Alexander aber hatte Herodes bekanntlich mit der Mariamne gezeugt und, obwohl ihr leiblicher Vater, sie beide dem Henker überantwortet. Was Alexanders Nachkommen angeht, so herrschten diese in Grossarmenien.
1. Nach dem Tode des Herodes, der Chalkis beherrschte, setzte Claudius dessen Neffen, den jungen, mit seinem Vater gleichnamigen Agrippa,1 über das Königreich des Verstorbenen, während die Verwaltung der Provinz von Alexander auf Cumanus überging. 2 Unter letzterem begannen wieder die Unruhen, infolge deren eine Menge Juden umkamen. Als nämlich das Volk zum Fest der ungesäuerten Brote nach Jerusalem zusammenströmte, war über der Säulenhalle des Tempels eine römische Kohorte aufgestellt, wie denn die Römer an Festtagen stets eine Heeresabteilung auf Wache stehen hatten, um etwaige aufrührerische Bewegungen der versammelten Menge zu unterdrücken. Da zog auf einmal einer der Soldaten seinen Mantel in die Höhe, kehrte mit einer unanständigen Verbeugung den Juden das Gesäss zu und gab einen seiner Stellung entsprechenden Laut von sich. Voll Entrüstung darüber forderte die gesamte Menge von Cumanus mit lautem Geschrei die Bestrafung des Soldaten; ja, eine Anzahl
1 Agrippa II. (reg. 49-101 n. Chr.). 2 49 n. Chr.
jugendlicher Brauseköpfe und der stets zur Empörung geneigte Teil des Volkes schritten sogar ohne weiteres zum Angriff, rafften Steine zusammen und bewarfen die Soldaten damit. Cumanus, der einen Angriff von seiten des ganzen Volkes befürchtete, liess sogleich eine grössere Abteilung Schwerbewaffneter heranrücken. Als diese nun in die Hallen eindrangen, befiel die Juden ein gewaltiger Schrecken, sodass sie eilends aus dem Tempel rannten und in die Stadt flohen. Dadurch entstand aber an den Ausgangen ein so fürchterliches Gedränge, dass mehr als zehntausend Menschen zertreten und erdrückt wurden. So wandelte sich die Festfreude in eine allgemeine Trauer des ganzen Volkes, und jedes Haus hallte wieder von Jammer und Wehklagen. 2. Bald nach diesem Unglück brachen abermals Unruhen aus infolge eines Strassenraubes. Auf der Landstrasse bei Bethoron nämlich fielen Räuber über einen Diener des Caesars mit Namen Stephanus her und raubten ihm alles Gepäck, das er bei sich hatte. Sogleich sandte Cumanus Streifscharen aus, liess die Bewohner der nächstgelegenen Dörfer gefangen einbringen und warf ihnen vor, dass sie die Räuber nicht verfolgt und festgenommen hatten. Bei dieser Gelegenheit fand ein Soldat in einem Dorfe das heilige Gesetz, zerriss das Buch und warf es ins Feuer. Darüber gerieten die Juden in eine Aufregung, als ob ihr ganzes Land vom Feuer verheert würde, und in ihrer religiösen Angst eilten sie, von Zaubermacht fortgerissen und wie auf ein gegebenes Zeichen samt und sonders nach Caesarea zu Cumanus, den sie inständig baten, den Menschen, der Gott und das Gesetz so masslos beschimpft, doch nicht ungestraft zu lassen. Cumanus, der wohl einsah, dass das Volk nicht ruhig bleiben würde, wenn er ihm keine Genugthuung gewähre, liess den Soldaten herbeiholen und durch die Reihen seiner Ankläger hindurch zur Hinrichtung abführen. Hierauf entfernten sich die Juden. 3. In der Folge kam es zu Streitigkeiten zwischen
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Galiliern und Samaritern. Bei dem Dorfe Gemal nämlich, das in der grossen Ebene von Samaria liegt, war einer der vielen nach Jerusalem zum Feste reisenden Juden, ein Galiläer, ermordet worden. Aus diesem Anlass rotteten sich eine Menge Galiläer zusammen, um den Samaritern ein Treffen zu liefern. Die vornehmsten Männer aus Samaria aber begaben sich zu Cumanus und baten ihn, nach Galilaea zu kommen und die Urheber des Mordes zu bestrafen; denn nur auf diese Weise sei es möglich, die Menge zum Auseinandergehen zu bewegen und den Kampf zu verhüten. Cumanus indes nahm, da er gerade dringende Geschäfte zu erledigen hatte, auf das Gesuch zunächst keine Rücksicht und liess die Bittsteller unverrichteter Sache heimkehren. 4. Die Kunde von der Mordthat aber rief auch zu Jerusalem allgemeine Aufregung hervor, und alsbald liess die Menge von der Festfeier ab und stürmte ohne Anführer und ohne den obrigkeitlichen Personen, die sie von dem Wagnis abhalten wollten, Folge zu leisten, auf Samaria zu. Unterwegs stellten sich an die Spitze des aufrührerischen und auf Raub ausgehenden Haufens Eleazar, der Sohn des Dinaeus, und ein gewisser Alexander, welche nun über die der Toparchie Akrabatta zunächst wohnenden Samariter herfielen, alles ohne Unterschied des Alters niedermetzelten und die Dörfer in Brand steckten. 5. Da brach Cumanus mit einer Abteilung Reiter, den sogenannten Sebastenern, von Caesarea auf, um den Bedrängten zu Hilfe zu eilen, nahm eine beträchtliche Anzahl der Leute Eleazars gefangen und machte die meisten von ihnen nieder. Zu der übrigen Menge aber, die zur Bekriegung der Samariter ausgezogen war, begaben sich in Eile die angesehensten Männer von Jerusalem in Trauergewändern, das Haupt mit Asche bestreut, und beschworen sie, heimzukehren und nicht durch
1 J. A. XX, 6, 1 heisst das Dorf Ginaea
Seite 228 ihren Rachezug gegen die Samariter die Römer gegen Jerusalem aufzureizen. Sie möchten sich doch ihres Vaterlandes, des Tempels, ihrer eigenen Weiber und Kinder erbarmen und nicht um eines einzigen Galiliers willen alles aufs Spiel setzen. Diesen Vorstellungen gaben die Juden nach und gingen auseinander. Viele von ihnen aber verlegten sich in der Hoffnung, unentdeckt zu bleiben, auf das Räuberhandwerk, und so gehörten bald im ganzen Lande Räubereien und unter den Entschlosseneren auch Empörungsversuche zu den alltäglichen Ereignissen. Aus diesem Anlass machten sich die einflussreichsten Samariter nach Tyrus zu Ummidius Quadratus, dem Statthalter von Syrien, auf und baten ihn, doch gegen die Verwüster des Landes einschreiten zu wollen. Ausser den Samaritern hatten übrigens auch die vornehmsten Juden samt dem Hohepriester Jonathas, dem Sohne des Ananus, sich eingefunden und erklärten nun, die erste Veranlassung zu den Unruhen hatten allerdings die Samariter durch die Ermordung des Galiläers gegeben, an dem weiteren Verlauf aber sei Cumanus schuld, weil er es unterlassen habe, die Urheber des Mordes zur Strafe zu ziehen. 6. Quadratus vertröstete nun beide Teile durch die Zusage, wenn er einmal in die Gegend komme, alles genau untersuchen zu wollen. Als er bald darauf nach Caesarea kam, liess er alle Empörer, die Cumanus lebendig gefangen genommen hatte, ans Kreuz schlagen. Von da begab er sich nach Lydda, wo er die Samariter nochmals verhörte. Hierauf liess er achtzehn Juden, die, wie er erfuhr, am Kampfe sich beteiligt hatten, herbeiholen und mit dem Beile hinrichten. Zwei andere einflussreiche Männer aber, sowie die Hohepriester Jonathas und Ananias samt dem Sohne des letzteren, Ananus, und noch einigen anderen vornehmen Juden sandte er zugleich mit den angesehensten Samaritern zum Caesar. Dann befahl er dem Cumanus und dem Tribun Celer, sich nach Rom einzuschiffen, um vor Claudius wegen des Vorgefallenen Rechenschaft abzulegen. Nachdem
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er diese Anordnungen getroffen hatte, reiste er von Lydda nach Jerusalem, kehrte aber, da er sich überzeugte, dass das Volk in aller Ruhe das Fest der ungesäuerten Brote feierte, alsbald nach Antiochia zurück. 7. Bei dem Verhör, welches der Caesar zu Rom mit Cumanus und den Samaritern anstellte, war auch Agrippa zugegen und trat eifrig zu gunsten der Juden ein, weil Cumanus ebenfalls viele mächtige Fürsprecher hatte. Schliesslich erklärte der Caesar die Samariter für schuldig und liess drei ihrer vornehmsten Männer hinrichten, während er den Cumanus mit Verbannung bestrafte. Den Celer aber schickte er in Fesseln nach Jerusalem, wo er den Juden zur Peinigung überantwortet, durch die Stadt geschleppt und dann enthauptet werden sollte. 8. Hierauf 1 ernannte der Caesar den Bruder des Pallas, Felix, 2 zum Landpfleger von Judaea, Galilaea, Samaria und Peraea. Den Agrippa aber versetzte er 3 von Chalkis in ein grösseres Königreich, indem er ihm die ehemalige Tetrarchie des Philippus, nämlich Trachonitis, Batanaea und Gaulanitis verlieh; auch fügte er noch die Herrschaft des Lysanias und das ehemalige Gebiet des Varus 4 hinzu. Nach einer Regierung von dreizehn Jahren, acht Monaten und zwanzig Tagen starb der Caesar Claudius 5 und hinterliess als Thronerben den Nero, den er infolge der Intriguen und Zauberkünste seiner Gemahlin Agrippina dazu bestimmt hatte, obwohl er von seiner früheren Gemahlin Messalina einen leiblichen Sohn Britannicus hatte. Seine Tochter Octavia, gleichfalls von der Messalina, hatte er mit Nero ver-
1 52 n. Chr.
2 Der auch Apostelgeschichte 23 —25 erwähnt wird. Vergleiche weiterhin über ihn Tacitus, Annalen XII, 54.
3 53 n. Chr.
4 Gemeint ist hier nicht etwa die von Varus verwaltete Provina Syrien, sondern eine ihrer Lage nach unbekannte Privatbesitzung dieses Statthalters.
5 54 n. Chr.
Seite 230 mählt. Ausserdem war ihm noch eine andere Tochter mit Namen Antonia geboren worden, und zwar von der Petina.
1. Wie Nero im Taumel seines Glückes und Reichtums frevelnd dem Schicksal trotzte, wie er der Reihe nach seinen Bruder, seine Gattin und seine Mutter mordete, wie alsdann seine Grausamkeit sich gegen die edelsten Männer richtete, und wie er endlich in seinem Wahnsinn auf die Bühne und ins Theater sich verirrte, will ich, da es allbekannte Dinge sind, hier nicht weiter berühren und mich zu den Begebenheiten wenden, die unter seiner Regierung bei den Juden sich ereigneten. 2. Zum Könige von Kleinarmenien ernannte er Aristobulus, den Sohn des Herodes, 1 und zu dem Königreiche des Agrippa fügte er noch vier Städte mit ihren Gebieten hinzu, nämlich Abila 2 und Julias in Peraea, Taricheae und Tiberias in Galilaea. Den übrigen Teil Judaeas unterstellte er dem Landpfleger Felix. Dieser nahm den Räuberhauptmann Eleazar, der zwanzig Jahre lang das Land verheert hatte, samt vielen seiner Spiessgesellen gefangen und sandte sie nach Rom. Weiterhin liess er eine Menge Räuber ans Kreuz schlagen und viele Bürger, die mit ihnen gemeinsame Sache gemacht hatten, ebenfalls hinrichten.
1 Von Chalkis.
2 Nicht das am Libanon gelegene Abila, das Agrippa ja schon besass, sondern Abila auf der Ostseite des Jordan gegenüber Jericho (s. IV, 7, 6).
Seite 231 Zweites Buch, 13. Kapitel
8. Nachdem das Land auf diese Weise gesäubert war, machte sich in Jerusalem eine andere Art von Banditen bemerklich, die man Sikarier l nannte. Sie begingen am hellen Tage und mitten in der Stadt Mordthaten, mischten sich besonders an Festtagen unter das Volk und erstachen ihre Gegner mit kleinen Dolchen, die sie unter ihrer Kleidung versteckt trugen. Stürzten ihre Opfer zu Boden, so beteiligten sich die Mörder an den Kundgebungen des Unwillens und waren um dieses ihres unbefangenen Benehmens willen gar nicht zu fassen. Der erste, der von ihnen erdolcht wurde, war der Hohepriester Jonathas, 2 und in der Folgezeit häuften sich die Mordthaten von Tag zu Tag derart, dass die Furcht vor ihnen mehr Entsetzen verbreitete als die Unglücksfälle selbst, indem wie in der Schlacht niemand auch nur einen Augenblick vor dem Tode sicher war. Schon von fern witterte man Feinde, ja selbst den Freunden, denen man begegnete, traute man nicht mehr, und doch kamen trotz aller argwöhnischen Vorsicht immer neue Mordanfälle vor - so gross war die Gewandtheit der Banditen und ihre Fertigkeit, sich unsichtbar zu machen. 4. Gleichzeitig mit diesen Elenden kam eine andere Rotte von Bösewichtern auf, deren Hände zwar reiner, deren Gesinnungen aber noch ruchloser waren als die der Sikarier, und die nicht weniger als diese das Glück der Stadt untergraben halfen. Es waren dies Verführer und Betrüger, die unter dem Vorwand göttlicher Sendung auf Umwälzung und Aufruhr hinarbeiteten und das Volk zu religiöser Schwärmerei hinzureissen suchten, indem sie es in die Wüste lockten, als ob Gott ihnen dort durch Wunderzeichen ihre Befreiung ankündigen würde. 3 Felix, der in diesen Vorgängen den Keim der
1 Von den kleinen krummen Dolchen (sicae), die sie führten (a. J. A. XX, 8, 10).
2 Wie aus J. A. XX, 8, 5 hervorgeht, auf Anstiften des Felix.
Vergl. hierzu die Warnungen des Heilandes bei Matthaeus (24, 4; 5,26).
Seite 232 Empörung erkannte, liess Reiterei und Fussvolk gegen die Menge ausrücken und viele niedermetzeln. 5. Eine noch schlimmere Plage für die Juden war der falsche Prophet aus Aegypten. Es war nämlich ein Betrüger ins Land gekommen, der sieh das Ansehen eines Propheten verschafft und gegen dreissigtausend Betrogene um sich gesammelt hatte. Mit diesen zog er aus der Wüste auf den sogenannten Ölberg, von wo er mit Gewalt in Jerusalem einzudringen gedachte. Weiterhin beabsichtigte er dann die römische Besatzung zu überwaltigen und sich zum Beherrscher des Volkes aufzuwerfen, wobei er die Genossen seiner Unternehmung als Leibwache gebrauchen wollte.1 Felix indes vereitelte den Plan, indem er dem Betrüger mit römischen Schwerbewaffneten entgegenrückte, unterstützt vom ganzen Volke, das an der Gegenwehr teilnahm. Gleich nach Beginn des Treffens machte sich der Aegyptier mit wenigen Begleitern davon,2 während die meisten seiner Anhänger niedergemacht wurden oder in Gefangenschaft gerieten. Der Rest zerstreute sich, und jeder suchte sich in seiner Heimat zu verbergen. 6. Kaum war dieser Schaden beseitigt, so brach wie an einem kranken Körper die Entzündung anderswo wieder hervor. Die Betrüger und Räuber nämlich thaten sich jetzt zusammen, verleiteten viele Juden zum Abfall und reizten sie zum Befreiungskampfe auf. Wer die römische Oberhoheit anerkannte, den bedrohten sie mit dem Tode, und offen sprachen sie es aus, dass die, welche freiwillig die Knechtschaft auf sich nähmen, mit Gewalt zur Freiheit geführt werden müssten. Truppweise verteilten sie sich demgemäss ins Land, plünderten die Besitzungen der Grössen, mordeten die Eigentümer und äscherten die Dörfer ein, sodass ganz Judaea unter
1 Vergl. hierzu J. A. XX, 8, 6.
2 Für den entkommenen Aegyptier scheint der in der Apostelgeschichte (21, 38) erwähnte römische Hauptmann den Apostel Paulus gehalten zu haben.
Seite 233 ihren Frevelthaten zu leiden hatte und der Krieg von Tag zu Tag heftiger entbrannte. 7. Unruhen anderer Art entstanden in Caesarea, indem die syrischen Bewohner der Stadt mit ihren jüdischen Mitbürgern in Zwist gerieten. Letztere nämlich behaupteten, die Stadt gehöre ihnen, weil ein Jude, der König Herodes, ihr Erbauer gewesen sei. Die Syrer ihrerseits gaben wohl zu, dass ein Jude Caesarea gegründet habe, nahmen aber die Stadt selbst als Eigentum der Griechen in Auspruch: denn hatte Herodes sie für die Juden bestimmt, so würde er wohl keine Standbilder und Tempelgebäude in ihr errichtet haben. Darüber entbrannte der Streit, und endlich stieg die Erbitterung so gewaltig, dass man zu den Waffen griff und tagtäglich die Kühnsten von jeder Partei zum Kampfe hervortraten. Denn einerseits vermochten die Ältesten der Juden die Heisssporne ihrer Gemeinde nicht mehr im Zaum zu halten, und anderseits kam es den Griechen schimpflich vor, sich von den Juden an Mut übertreffen zu lassen. An Reichtum und Körperkraft waren die Juden überlegen, die Griechen aber dadurch, dass die Truppen zu ihnen hielten; denn der grösste Teil der dort liegenden römischen Streitmacht bestand aus Syrern, die den Griechen als Stammesgenossen beizustehen stets bereit waren. Die Befehlshaber gaben sich übrigens alle Mühe, die Unruhen im Keime zu ersticken, indem sie die Kampflustigsten auf beiden Seiten jedesmal festnehmen liessen und sie mit Geisselung und Einkerkerung bestraften. Das Schicksal der Verhafteten aber, weit entfernt, den übrigen Mässigung oder Furcht beizubringen, machte diese nur noch erbitterter und aufrührerischer. Als eines Tages die Juden Sieger geblieben waren, erschien Felix auf dem Marktplatz und befahl ihnen unter Drohungen, sich zurückzuziehen; da sie sich aber weigerten, der Aufforderung nachzukommen, liess er eine Truppenabteilung anrücken, zahlreiche Juden niedermetzeln und ihre Habe der Plünderung preisgeben. Trotzdem dauerten die Reibereien.
Seite 234 fort, bis endlich Felix die angesehensten Männer von jeder Partei auswählte und sie als Gesandte an Nero schickte, vor dessen Richterstuhl sie ihre Händel austragen sollten.
1. Festus, der nun das Landpflegeramt erhielt, schritt sogleich nachdrücklich gegen die allgemeine Landplage ein, indem er die meisten Räuber aufgreifen und eine beträchtliche Anzahl derselben hinrichten liess. Sein Nachfolger Albinus 2 aber führte die Verwaltung in ganz anderem Geiste als er; denn keine Schändlichkeit gab es, die er nicht verübt hatte. Nicht genug, dass er die öffentlichen Kassen bestahl, eine Menge Privatleute ihres Vermögens beraubte und das ganze Volk mit Abgaben belastete - er gab auch noch die, welche von ihrer Obrigkeit oder den früheren Landpflegern wegen Räubereien eingekerkert worden waren, ihren Verwandten gegen Lösegeld frei, und nur wer nicht zahlen konnte, blieb als Übeltäter im Gefängnis. Jetzt wuchs auch den Umstürzlern in Jerusalem wieder der Mut: die Reichen brachten den Albinus durch Bestechung auf ihre Seite, sodass sie, unbehelligt von ihm, den Aufruhr schüren konnten, und das niedere Volk, dem die Ruhe nicht gefiel, hielt sich zu denen, die mit Albinus gemeinsame Sache gemacht hatten. Jeder Bösewicht hatte bald eine eigene Rotte um sich gesammelt, während Albinus unter allen wie ein Räuberhauptmann oder Tyrann hervorragte und mit Hilfe seiner Anhänger die friedliebenden
1 61 n. Chr.
2 63 n. Chr.
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Bürger brandschatzte. Ja, es kam so weit, dass die Geplünderten, anstatt, wie es richtig gewesen wäre, ihrer Entrüstung Ausdruck zu geben, nicht den Mund aufzuthun wagten, und dass die, welche bislang verschont geblieben waren, aus Furcht vor ähnlicher Misshandlung dem Unhold sogar noch schmeichelten. Ein freies Wort zu sprechen getraute sich überhaupt niemand mehr, und die Herrschaft nicht eines einzigen, sondern einer ganzen Menge Tyrannen liess man sich ruhig gefallen. Damals wurde der Same ausgestreut, aus dem das Verderben der Stadt in Bälde erwachsen sollte. 2. Gleichwohl erschien Albinus noch als Muster von Rechtschaffenheit im Vergleich zu seinem Nachfolger Gessius Florus. 1 Während nämlich der erstere die meisten seiner Schandthaten wenigstens noch im geheimen und mit einer gewissen Vorsicht verübte, trug Gessius seine Frevel gegen das Volk prahlerisch zur Schau und schreckte, wie wenn er als Henker zur Bestrafung Verurteilter gesandt worden wäre, vor keiner Art von Raub und Misshandlung zurück. In seiner Grausamkeit kannte er kein Mitleid, in seiner Ruchlosigkeit keine Scham, und noch nie hat jemand so wie er die Wahrheit in Lug und Trug verkehrt oder schlauere Mittel zur Erreichung seiner verbrecherischen Absichten zu ersinnen gewusst. An der Habe einzelner sich zu bereichern, hielt er nicht für der Mühe wert; dagegen raubte er ganze Städte aus und richtete ganze Gemeinwesen zu Grunde. Ja, es fehlte nicht viel, so hätte er im Lande ausrufen lassen, es stehe jedem frei, Räubereien zu verüben, wofern nur er selbst einen Teil von der Beute mitbekäme. Ganze Bezirke wurden durch seine Habsucht entvölkert, und gar viele verliessen die Wohnsitze ihrer Väter und flüchteten sich in fremde Provinzen. 2 3. So lange nun Cestius Gallus in der von ihm ver-
1 64 n. Chr.
2 Hier endigen die „Altertümer" des Josephus.
Seite 236 walteten Provinz Syrien weilte, getraute sich niemand, Gesandte an ihn zu schicken, um Florus zu verklagen. Als er aber kurz vor dem Fest der ungesäuerten Brote nach Jerusalem kam, umringten ihn nicht weniger als drei Millionen l Juden, die ihn flehentlich baten, sich der schlimmen Lage des Volkes zu erbarmen, und unter lautem Geschrei Florus als die Geissel des Landes bezeichneten. Florus, der selbst anwesend war und neben Cestius stand, erwiderte diese Anklagen mit höhnischem Lachen; Cestius aber beschwichtigte die Menge durch das Versprechen, den Florus milder stimmen zu wollen, und kehrte nach Antiochia zurück. Um ihm Sand in die Augen zu streuen, gab Florus ihm bis Caesarea das Geleit, suchte aber dann voll Erbitterung die Juden in einen förmlichen Krieg zu verwickeln, durch den allein er seine Schandthaten verdecken zu können meinte. So lange nämlich Friede war, hatte er stets zu gewärtigen, dass die Juden ihn beim Caesar verklagen würden; brachte er aber eine Empörung zuwege, so konnte er vielleicht hoffen, durch das grössere Übel ihre Aufmerksamkeit von den kleineren abzulenken. So drangsalierte er denn das Volk mit jedem Tage mehr, um ihm die römische Oberherrschaft möglichst verhasst zu machen. 4. Unterdessen hatten auch die Griechen zu Caesarea es bei Nero durchgesetzt, dass sie als Herren der Stadt anerkannt wurden, und erschienen nun mit der Urkunde, die diese Entscheidung verbriefte. Damit nahm der Krieg seinen Anfang im zwölften Jahre von Neros Regierung und im siebzehnten der Königsherrschaft des Agrippa, und zwar im Monat Artemisios. 2 Die Grösse
1 Diese ungeheure Zahl erscheint nicht übertrieben, wenn man bedenkt, dass nach der Vorschrift des Gesetzes jeder männliche Israelit vom 13. Lebensjahre an alljährlich zu den Hauptfesten (Paschafest, Wochen- oder Pfingstfest und Laubhüttenfest) „vor dem Herrn erscheinen," d. h. im vorliegenden Falle: nach Jerusalem pilgern musste (s. Mos. II, 23, 17; 34, 23 und besonders V, 16,16).
2 Josephus gebraucht stets den Syromacedonischen Kalender, zu dessen Erklärung folgendes vergleichende Verzeichnis der Monatsnamen dienen möge (wegen der durch das hebr. Schaltjahr, das drei zehn Monate hat, öfters stattfindenden Verschiebung ist freilich die Übereinstimmnung nur eine annähernde):
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der Leiden freilich, die aus ihm entsprangen, stand zu der näheren Veranlassung in gar keinem Verhältnis. Die Juden von Caesarea nämlich hatten eine Synagoge auf einem Platz, der einem griechischen Einwohner der Stadt gehörte. Zu wiederholten Malen hatten sie versucht, den Platz käuflich zu erwerben, und einen Preis dafür geboten, der den wahren Wert sehr überstieg. Der Eigentümer indes kümmerte sich nicht um ihr Anliegen, errichtete vielmehr, um sie zu ärgern, auf dem Platze Gebäulichkeiten, in denen er Werkstätten unterbrachte, sodass für die Juden nur ein enger, höchst unbequemer Eingang übrig blieb. Zuerst machten einige jugendliche Hitzköpfe Anstalt, den Bau zu hindern; als aber Florus ihrem Ungestüm Einhalt that, wussten die vermögenderen Juden, denen auch der Zollpächter Joannes sich anschloss, keinen anderen Rat, als dem Florus acht Talente anzubieten, damit er den Bau untersage. Florus versprach, um das Geld zu bekommen, alles thun zu wollen; kaum aber hatte er es in Händen, als er von Caesarea nach Sebaste reiste und die Streitenden ihre Sache allein ausmachen liess, als wenn er den Juden die Erlaubnis, zu den Waffen zu greifen, verkauft hätte. 5. Am folgenden Tage, einem Sabbat, stellte, während die Juden in der Synagoge versammelt waren, ein
Seite 238 händelsüchtiger Einwohner von Caesarea einen umgekehrten Topf vor den Eingang der Synagoge und opferte Vögel. 1 Das versetzte die Juden in gewaltige Wut; denn in dieser Handlungsweise lag ebensowohl eine Verhöhnung ihrer Gesetze als eine Verunreinigung des Ortes. Während nun die ruhigeren und besonneneren Juden der Meinung waren, man solle sich noch einmal an die Behörden wenden, vermochten die leidenschaftlichen und heissblütigen jungen Leute ihre Streitlust nicht mehr zu unterdrücken. Die Händelsüchtigen von der Gegenpartei standen übrigens auch schon kampfgerüstet da, denn sie hatten das Opfer absichtlich veranstalten lassen. So kam es denn alsbald zum Handgemenge. Der römische Reiteroberst Jucundus, der den Auftrag hatte, die Ruhe wiederherzustellen, nahm den Topf weg und versuchte dem Streit ein Ende zu machen. Da er aber gegen die Caesareer nichts ausrichtete, holten die Juden eiligst ihre Gesetzbücher und zogen sich nach Narbata, einem Jüdischen, sechzig Stadien von Caesarea entfernten Orte zurück. Nun begaben sich Joannes und zwölf der vornehmsten Juden nach Sebaste zu Florus, drückten ihr Bedauern über das Vorgefallene aus und baten ihn um seinen Beistand, indem sie ihn so nebenbei an die acht Talente erinnerten. Er aber liess die Abgeordneten ins Gefängnis werfen, weil sie - das sollte ihr Vergehen sein - die Gesetzbücher aus Caesarea mitgenommen hatten. 6. Diese Vorgänge versetzten die Bewohner Jerusalems in gewaltige Erbitterung; doch hielten sie ihren Zorn einstweilen noch zurück. Florus aber fachte, wie wenn er sich dazu verdungen hätte, die Kriegsflamme absichtlich an. Er schickte nämlich nach dem Tempelschatz und liess siebzehn Talente daraus entnehmen unter dem Vorwand, der Caesar habe das Geld nötig. Darob all-
1 Die hierin liegende Beleidigung ergiebt sich aus Mos. III, 14, 4: Aussatzige hatten ein solches Opfer darzubringen, wenn sie rein wurden. Die Juden sollten somit als aussätzig hingestellt werden (vergl. hierzu: Josephus, Gegen Apion, I, 2öf. und J. A. III, 11, 4.
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gemeine Bestürzung im Volke: alsbald strömte es unter durchdringendem Geschrei in den Tempel, rief den Namen des Caesars an und flehte um Befreiung von der Tyrannei des Florus. Einige aus der Menge stiessen die ärgsten Schmähungen gegen letzteren aus, gingen mit einem Gefäss umher und bettelten um Almosen „für den armen, unglücklichen Florus." Das alles aber, weit entfernt, seiner Geldgier ein Ziel zu setzen, reizte ihn nur noch zu weiteren Erpressungen. Anstatt nämlich nach Caesarea zu eilen, das dort ausbrechende Kriegsfeuer zu löschen und die Ursache der Streitigkeiten hinwegzuräumen, wofur er ja auch bezahlt worden war, brach er mit Reiterei und Fussvolk nach Jerusalem auf, um seinen Forderungen durch die Waffen der Römer Nachdruck zu geben und die Stadt durch Drohungen in Schrecken zu jagen. 7. Um seinen Groll im voraus zu beschwichtigen, ging das Volk den Soldaten mit bewillkommnenden Zurufen entgegen und traf Anstalten, auch Florus selbst aufs ehrenvollste zu empfangen. Der aber schickte den Centurio Capito mit fünfzig Reitern voraus und liess ihnen befehlen, sich heimzuscheren. Sie bräuchten jetzt keine freundliche Gesinnung gegen den zu heucheln, den sie früher so schändlich geschmäht hatten. Wenn sie echte Männer seien und eine freimütige Sprache nicht scheuten, so sollten sie ihn auch in seiner Gegenwart verspotten und ihre Freiheitsliebe nicht nur Worten, sondern auch mit den Waffen in der Hand beweisen. Im selben Augenblick sprengten auch schon Capitos Reiter in die Menge hinein, die nun vor lauter Schrecken auseinanderstob, noch ehe sie Florus begrüsst und den Soldaten ihre unterwürfige Gesinnung hatte begreiflich machen können. Alles zog sich sodann in die Häuser zurück und verbrachte die Nacht in Zittern und Zagen. 8. Florus aber, der im Königspalast abgestiegen war, liess sich am folgenden Tage vor demselben auf einem Richterstuhl nieder, worauf die Hohepriester, die Grössen
Seite 240 und überhaupt der vornehmere Teil der Bürgerschaft sich einfanden und vor dem Richterstuhl Aufstellung nahmen. Er verlangte nun von ihnen die Auslieferung derer, die ihn beschimpft hatten, und drohte ihnen, sie selbst zur Strafe zu ziehen, wofern sie ihm die Schuldigen nicht vorführten. Sie dagegen wiesen auf die friedliche Stimmung des Volkes hin und erbaten Verzeihung für die, welche in ihren Reden zu weit gegangen. Es sei nicht zu verwundern, wenn in einer so grossen Menschenmenge auch einige Schreier und jugendlich unbesonnene Leute sich fänden; unmöglich aber sei es, die Schuldigen zu ermitteln, da alle ihren Sinn geändert hatten und aus Furcht vor Strafe sich aufs Leugnen verlegen würden. Florus möge daher dem Volke den Frieden und den Römern die Stadt zu erhalten suchen und deshalb lieber um der vielen Unschuldigen willen den wenigen Schuldigen verzeihen, als wegen einiger Bösewichter den gutgesinnten grösseren Teil des Volkes in Gefahr bringen. 9. Diese Vorstellungen entfachten jedoch erst recht seinen Zorn, sodass er den Truppen zuschrie, sie sollten den sogenannten oberen Markt plündern und jeden, der ihnen in den Weg käme, niederstossen. Dieser Befehl ihres Herrn kam den beutegierigen Soldaten sehr gelegen, und sie plünderten nun nicht bloss den ihnen angewiesenen Stadtteil aus, sondern stürmten auch in jedes beliebige Haus hinein und mordeten die Bewohner. In den engen Gassen drängten sich die Fliehenden; wer ergriffen wurde, konnte seines Todes gewiss sein, und keine Art von Räuberei gab es, die nicht verübt worden wäre. Eine Menge friedliebender Bürger wurden festgenommen und zu Florus geschleppt, der sie schmählich geisseln und dann kreuzigen liess. Die Gesamtzahl der an diesem einen Tage Umgekommenen einschliesslich der Weiber und Kinder - denn nicht einmal die Unmündigen wurden verschont - belief sich auf etwa dreitausendsechshundert. Was das Unglück aber noch schwerer machte, war eine bis dahin bei den Römern
Seite 241 unerhörte Grausamkeit; denn Florus erkühnte sich, was keiner seiner Vorgänger gewagt hatte, Männer von ritterlichem Stande, die zwar ihrer Abstammung nach Juden waren, aber eine römische Würde bekleideten, vor dem Richterstuhl geisseln und ans Kreuz schlagen zu lassen.1
1. Um diese Zeit war der König Agrippa nach Alexandria gereist, um dem Alexander, 2 der von Nero mit der Verwaltung Aegyptens betraut worden war, hierzu Glück zu wünschen. Seine Schwester Berenike aber war damals gerade in Jerusalem anwesend und musste nun die Greuelthaten der Soldaten mit ansehen. Von innigem Mitleid ergriffen, sandte sie zu wiederholten Malen ihre Reiteroffiziere und Leibwächter zu Florus mit der Bitte, er möge doch dem Morden Einhalt gebieten. Aber weder die grosse Zahl der Getöteten noch die edle Abkunft der Fürsprecherin vermochte ihn zu rühren; er sah vielmehr nur auf den Gewinn, den die Plünderungen ihm eintrugen, und liess ihre Bitten völlig unbeachtet. Ja, die Wut der Soldaten richtete sich sogar gegen die Königin 3 selbst; denn nicht nur marterten und töteten sie die Gefangenen vor Berenikes Augen, sondern sie würden auch sie selbst ums Leben gebracht haben, wenn sie sich nicht schleunigst in den Königspalast gefüchtet hätte, wo sie aus Furcht vor einem Überfall seitens der Soldaten die ganze Nacht
1 Die Kreuzigung als supplicium servile durfte gegen römische Bürger und Ritter nicht angewendet werden.
2 Tiberius Alexander, dem ehemaligen Landpfleger von Judaea ts. 11, 6 und 12, 1).
3 Sie war nämlich in erster Ehe mit dem König Herodes von Chalkis, in zweiter mit dem König Polemon von Cilicien vermählt gewesen (9. J. A. X X, 7, 3).
Seite 242 unter dem Schutz einer Wache zubrachte. Der Zweck ihres damaligen Aufenthaltes in Jerusalem war die Erfüllung eines dem Herrn abgelegten Gelübdes. Es ist nämlich Sitte, dass Juden, die von einer schweren Krankheit oder sonst einem Unglück heimgesucht worden sind, dreissig Tage lang, bevor sie die Opfer darbringen, dem Gebet obliegen, sich des Weines enthalten und ihr Haupthaar scheren. In der Erfüllung eines solchen Gelübdes begriffen, erschien Berenike damals barfuss als Bittstellerin vor dem Richterstuhl des Florus, erfuhr aber nicht nur eine unehrerbietige Behandlung, sondern geriet auch obendrein noch in Lebensgefahr. 2. Das geschah am sechzehnten des Monats Artemisios. Am nächsten Tage strömte das Volk in grosser Erregung auf dem oberen Markt zusammen und bejammerte unter lautem Klagegeschrei die Gemordeten, während zugleich der Hass gegen Florus sich in argen Verwünschungen Luft machte. Voll Besorgnis darüber zerrissen die Vornehmen und die Hohepriester l ihre Kleider, fielen einzelnen Männern aus dem Volke zu Füssen und beschworen sie, inne zu halten und den Florus nicht soweit zu reizen, dass er den bisherigen Quälereien noch weitere Grausamkeiten hinzufüge. Alsbald beruhigte sich denn auch die Menge, teils aus Ehrfurcht vor den Bittenden, teils in der Hoffnung, Florus werde nun keine Ungerechtigkeiten mehr begehen. 3. Dem Landpfleger jedoch kam das Erlöschen des Aufruhrs sehr ungelegen, und er sann daher auf Mittel, ihn wieder anzufachen. In dieser Absicht beschied er die Hohepriester sowie die angesehensten Bürger zu sich und eröffnete ihnen, er könne nur dann überzeugt sein, dass die Juden nicht mehr an Empörung dächten, wenn sie den von Caesarea heranrückenden Truppen zur Begrüssung entgegenzögen. Es waren nämlich zwei
1 Diesen Titel führten ausser dem amtierenden Hohepriester auch dessen Stellvertreter sowie diejenigen Personen, welche früher einmal die Würde bekleidet hatten.
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Kohorten im Anmarsch. Während nun die Genannten das Volk zusammenriefen, liess er durch vorausgeschickte Boten den Centurionen der Kohorten sagen, sie sollten ihren Leuten befehlen, die Begrüssung seitens der Juden durch nichts zu erwidern und, wenn sie unwillige Reden über ihn hörten, von ihren Waffen Gebrauch zu machen. Mittlerweile hatten die Hohepriester das Volk im Tempel versammelt und es ermahnt, den Römern ruhig entgegenzuziehen und, um ein Unglück zu verhüten, die Kohorten freundlich zu empfangen. Davon aber wollten die Empörungslustigen nichts wissen, und was die grosse Masse betraf, so neigte sie unter dem noch frischen Eindruck des Gemetzels sich bedenklich auf die Seite der Tollkühnen. 4. In diesem kritischen Augenblick erschienen die sämtlichen Priester und Diener Gottes, die heiligen Geräte vor sich hertragend und mit dem Schmucke angethan, den sie beim Gottesdienst zu tragen pflegten, ferner die Kithara-Spieler und die Chorsänger mit ihren Instrumenten, fielen nieder und flehten das Volk an, ihnen doch den Besitz des heiligen Schmuckes zu sichern und die Römer nicht zur Wegnahme der gottgeweihten Kleinodien zu reizen. Die Hohepriester selbst sah man das Haupt mit Asche bestreut und mit entblösster Brust, da sie ihre Kleider zerrissen hatten. Sie beschworen die einzelnen Vornehmen unter Nennung ihres Namens und das Volk im ganzen, doch nicht durch Unterlassung einer unbedeutenden Förmlichkeit ihre Vaterstadt denen preiszugeben, die sie zu verwüsten trachteten. „Können denn," so frugen sie, „die Soldaten etwa einen besonderen Vorteil von der Begrüssung haben, die ihr ihnen bieten sollt? Oder wird vielleicht dadurch, dass ihr euch weigert, ihnen entgegenzuziehen, das geschehene Unglück ungeschehen gemacht? Empfanget also eurer Gewohnheit gemäss die Truppen recht freundlich; denn auf diese Weise werdet ihr dem Florus jeden Anlass zum Kriege nehmen, eure Vaterstadt vor dem Untergang bewahren und euch vor weiteren Misshandlungen sichern.
Ohnedem verrät es ja eine grosse Unbesonnenheit, wenn ihr von den wenigen unruhigen Köpfen euch leiten lasst, anstatt, wie es sich bei eurer grossen Anzahl gehört, ihre Zustimmung zu euren Beschlüssen zu erzwingen." 5. Durch diese Worte beschwichtigten sie nicht nur die Menge selbst, sondern sie brachten auch die Empörer teils durch Drohungen, teils durch ihre ehrfurchtgebietende Haltung zum Schweigen. Ruhig und in festlichem Schmuck zog nun das Volk den Soldaten entgegen und begrüsste sie, als sie näher gekommen waren. Da aber der Gruss nicht erwidert wurde, fingen die Unruhigen an, über Florus zu schimpfen. Damit war das Zeichen zum Losschlagen gegeben: im nu hatten die Soldaten die Juden umzingelt und hieben mit Knitteln auf sie ein, und wer sich zur Flucht wandte, wurde von den Reitern verfolgt und von den Hufen der Rosse zertreten. Viele erlagen den Schlägen der Römer, aber noch weit grösser war die Zahl derer, die von ihren eigenen Landsleuten zu Tode gedrückt wurden. Fürchterlich war das Drängen an den Thoren: jeder suchte vor dem anderen hereinzukommen, wodurch allen die Flucht erschwert wurde und die, welche zu Boden stürzten, auf grauenvolle Weise umkamen. Erstickt nämlich und von der Menge derer, die auf sie traten, zerquetscht, wurden sie so unkenntlich, dass niemand mehr die Seinigen auch nur zum Zwecke des Begräbnisses herauszufinden vermochte. Zugleich mit den Fliehenden drangen auch die Soldaten in die Stadt ein, unablässig auf alle losschlagend, die sie erreichen konnten, und suchten das Volk in den Bezetha genannten Stadtteil zu treiben, um es so zur Seite zu drängen und sich des Tempels und der Burg Antonia zu bemächtigen. In der nämlichen Absicht war auch Florus mit seiner Streitmacht aus dem Königspalast herbeigeeilt und suchte nun an die Festung heranzukommen. Der Anschlag misslang indes, denn auf einmal wandte sich das Volk, hielt dem Angriff stand und schoss, über die
Seite 245 Dächer verteilt, auf die Römer hinab. Da diesen aber die aus der Höhe kommenden Geschosse arg zusetzten, und sie übrigens auch zu schwach waren, um die in den engen Gassen sich aufstauende Menschenmasse zu durchbrechen, zogen sie sich in ihr Lager nahe beim Königspalast zurück. 6. Die Aufrührer konnten sich nun der Besorgnis nicht erweliren, Florus rnbchte bei einem abermaligen Angriff den Tempel von der Antonia aus in seine Gewät bekommen. Sie ejiten daher alsbald hinauf und rissen die Säulenhallen nieder, welche den Tempel mit der Burg verbanden. Das kühlte die Habsucht des Florus ab: es hatte ihn nämlich nach den Gottesschätzen gelüstet, und darum hatte er die Antonia zu erreichen gesucht; nun aber die Hallen abgebrochen waren, enthielt er sich des Angriffs. Er beschied sodann die Hohepriester samt dem Rate zu sich und erklärte ihnen, er wolle die Stadt verlassen und ihnen eine Besatzung in der Stärke, die sie wünschten, zurücklassen. Darauf versprachen sie, für die Ruhe und Sicherheit der Stadt einstehen zu wollen, wenn er ihnen eine einzige Kohorte dalasse, jedoch nicht die, welche eben gekämpft habe; denn über diese sei das Volk wegen der erlittenen Verluste erbittert. Diesem Verlangen entsprechend, gab er ihnen eine andere Kohorte und kehrte mit den übrigen Truppen nach Caesarea zurück.
1. Um nun dem Kriegsfeuer neuen Brennetoff zuzuführen, sandte Florus an Cestius einen Bericht, in welchem er lügenhafterweise die Juden des Abfalls beschuldigte, ihnen vorwarf, dass sie den Kampf angefangen, und ihnen zur Last legte, das gethan zu haben, was sie viel
Seite 246 mehr von den Römern erlitten hatten. Anderseits schwiegen aber auch die obrigkeitlichen Personen in Jerusalem nicht still, sondern schilderten gemeinschaftlich mit Berenike dem Cestius in einem Schreiben das aller Gerechtigkeit Hohn sprechende Verfahren des Florus gegen die Stadt. Als Cestius von den beiderseitigen Berichten Kenntnis genommen hatte, beriet er sich mit seinen Offizieren, was zu thun sei. Einige von diesen waren der Meinung, Cestius solle mit einem Heere nach Jerusalem aufbrechen, um die Stadt für den Abfall zu züchtigen, wenn ein solcher wirklich stattgefunden habe, oder aber die Juden, falls sie treu geblieben, in dieser Gesinnung zu bestärken. Ihm selbst indes schien es geratener, zunächst einen seiner Freunde hinzusenden, der den Stand der Dinge untersuchen und über die Stimmung der Juden zuverlässigen Bericht erstatten sollte. Mit dieser Aufgabe betraute er einen seiner Tribunen, Neapolitanus, der bei Jamnia mit dem aus Alexandria heimkehrenden König Agrippa zusammentraf und ihm den Namen seines Auftraggebers sowie den Zweck seiner Sendung mitteilte. 2. Ebendaselbst fanden sich auch die Hohepriester und Vornehmen der Juden samt dem Rate ein, um dem König ihre Aufwartung zu machen. Und nachdem sie ihre Huldigung dargebracht, klagten sie ihre Not und schilderten ausführlich die Grausamkeit des Florus. So sehr nun Agrippa darüber in Unwillen geriet, liess er doch mit berechnender Klugheit seinen Zorn gegen die Juden aus, mit denen er innerlich Mitleid empfand. Es lag nämlich in seiner Absicht, ihren Stolz zu demütigen und sie durch die Meinung, als hätten sie ihre Leiden selbst verschuldet, von Rachegedanken abzubringen. In der That erkannten sie als gebildete und schon mit Rücksicht auf ihren eigenen Besitz friedliebende Männer sehr wohl, wie gut des Königs Vorwürfe gemeint waren. Nun aber kam auch das niedere Volk von Jerusalem Agrippa und Neapolitanus etwa sechzig Stadien weit entgegengezogen, um sie zu begrüssen, allen voran unter
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lauten Wehklagen die Weiber der Gemordeten. Alsbald stimmte die gesamte Menge in deren Jammergeheul ein und flehte Agrippa um seinen Beistand an; dem Neapolitanus aber klagten sie laut die vielen Misshandlungen, die Florus ihnen zugefügt, und zeigten ihm wie dem Könige nach dem Einzug in die Stadt den verödeten Marktplatz und die zerstörten Häuser. Dann liessen sie durch Agrippa den Neapolitanus bereden, mit nur einem Diener die ganze Stadt bis zur Siloaquelle zu durchwandern, damit er sich überzeuge, dass die Juden in allen anderen Stücken sich fügten und nur gegen Florus wegen dessen massloser Grausamkeit aufgebracht seien. Als er nun die ganze Stadt begangen und hinreichende Beweise für die friedliche Gesinnung der Bürger gefunden hatte, stieg er zum Tempel hinauf. Dorthin liess er dann auch das Volk zusammenrufen, erteilte ihm wegen seiner Treue gegen die Römer reiches Lob, ermahnte es eindringlich zu friedlichem Verhalten und kehrte, nachdem er, soweit ihm dies gestattet war, dem Tempel Gottes seine Verehrung bezeugt hatte, zu Cestius zurück. 3. Nach seiner Abreise wandten sich die Juden an den König und die Hohepriester mit der Bitte, den Florus durch eine Gesandtschaft bei Nero verklagen zu lassen, weil nichts geeigneter sei, sie in den Verdacht des Abfalls zu bringen, als wenn sie zu den vielen Mordthaten stillschweigen würden. Falls sie nämlich den, der zuerst mit Waffengewalt vorgegangen sei, nicht schleunigst namhaft machten, werde es den Anschein gewinnen, als hätten sie selbst es gethan. Dass unter diesen Umständen von Erhaltung der Ruhe beim Volk nicht die Rede sein konnte, wenn die Gesandtschaft unterblieb, war klar. Agrippa aber sah wohl ein, dass er sich durch Zulassung der Anklage gegen Florus Feindschaft zuziehen würde, und da er anderseits auch von dem Wiederauflodern der Kriegsflamme unter den Juden keinen Vorteil für sich erwarten konnte, berief er das Volk nach dem durch eine Brücke mit dem Tempel
Seite 248 verbundenen Xystos l, stellte seine Schwester so neben sich, dass sie von jedermann gesehen werden konnte, und hielt vor dem Palast der Asamonaer, welcher über dem Xystos an der Grenze der Oberstadt lag, folgende Rede: 4. „Wenn ich sähe, dass ihr allesamt auf Krieg mit den Römern drängtet, und nicht vielmehr überzeugt wäre, dass der lauterste und edelste Teil des Volkes entschlossen ist, Frieden zu halten, so würde ich nicht vor euch hintreten und es wagen, euch meinen Rat anzubieten. Denn überflüssig ist ja jedes Wort hinsichtlich dessen, was man thun soll, wenn sämtliche Zuhörer sich schon zum voraus auf einen verderblichen Entschluss geeinigt haben. Da es sich aber hierbei entweder um junge ungestüme Leute handelt, die des Krieges Drangsale noch nicht aus Erfahrung kennen, oder um solche, die teils von unvernünftiger Hoffnung auf Freiheit getrieben werden, teils auch von Habgier und der Erwartung, bei dem allgemeinen Wirrwarr die Schwächeren ausbeuten zu können, so erachtete ich es für notwendig, euch alle hier zu versammeln und zu sagen, was nach meiner Ansicht am geeignetsten ist, einerseits jene Tollkühnen zur Ernüchterung und Umkehr zu bringen und anderseits die Gutgesinnten davor zu bewahren, dass sie von einigen Unbesonnenen ins Verderben gerissen werden. Unterbreche mich aber niemand, wenn er etwas hört, das ihm nicht gefällt. Denn wer den Aufruhr um jeden Preis will, dem steht es ja frei, auch nach meiner Ermahnung bei seiner Gesinnung zu verharren; dagegen geht, wenn nicht alle ruhig bleiben, mein Wort auch für diejenigen verloren, die es gern hören möchten. - Ich weiss, dass gar viele übertreiben, wenn es sich um Klagen über die Ungerechtigkeit der Landpfleger oder um Lobreden auf die Freiheit handelt. Bevor ich nun erörtere, was ihr selbst seid und was die sind, mit denen ihr Krieg zu führen beabsichtigt, will ich zunächst die Ver-
1 Versammlungsplatz am äussersten Nordostende des Zion.
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wirrung, die in betreff der Vorwände zum Kriege herrscht, zu lösen suchen. Wenn ihr euch nämlich nur der Personen erwehren wollt, die euch drangsalieren, wozu preist ihr dann die Freiheit? Kommt es euch aber überhaupt unerträglich vor, dass ihr einen Herrn über euch habt, so ist der Tadel gegen die Landpfleger ganz überflüssig; denn dieselben mögen noch so massvoll sein, die Unterwürfigkeit bleibt doch nicht weniger schimpflich. Geht ihr nun die einzelnen Punkte der Reihe nach durch, wie geringfügig erscheint da die Veranlassung zum Kriege? Was zunächts die Klagen über die Landpfleger angeht, so muss man den Machthabern huldigen, nicht aber ihren Zorn erregen, und wenn ihr kleine Vergehen mit heftigen Schimpfworten erwidert, so thut ihr das nur zu eurem eignen Nachteil; denn nicht mehr insgeheim und mit einer gewissen Scheu fügen sie euch Schaden zu, sondern offen richten sie euch zu Grunde. Nichts vermag den Schlägen so sicher Einhalt zu thun, als wenn sie geduldig ertragen werden, und die ergebene Ruhe der Misshandelten wandelt gar oft den grausamen Sinn der Peiniger. Gesetzt aber auch, die von den Römern geschickten Beamten seien unverbesserlich hart, so bedrücken euch ja weder die Römer in ihrer Gesamtheit, noch der Caesar, und diese sind es doch, gegen die ihr Krieg führen wollt. Und wird auch einmal zufällig ein ruchloser Mensch als Landpfleger geschickt, so hat er doch jedenfalls keinen Auftrag, sich nun auch ruchlos zu benehmen. Übrigens kann man im Westen unmöglich sehen, was hier im Osten vor sich geht, wie ja umgekehrt Nachrichten von uns nur schwer dorthin gelangen. Es ist daher widersinnig, um eines Mannes willen viele, um kleiner Ursachen willen ein so mächtiges Volk bekriegen zu wollen, das nicht einmal weiss, worüber wir zu klagen haben. Immerhin muss doch auch die Möglichkeit ins Auge gefasst werden, dass unseren Beschwerden einmal schnelle Abhilfe zu teil wurde; zunächst nämlich wird nicht ein und derselbe Landpfleger beständig bei uns bleiben, und dann ist es auch
Seite 250 sehr wahrscheinlich, dass als seine Nachfolger Männer von milderer Sinnesart kommen werden. Ist aber der Krieg einmal im Gange, so geht es nicht ohne grosse Verluste ab, mag man ihn nun beendigen oder weiterführen wollen. - Um nun von der Freiheit zu reden, so ist es jetzt nicht an der Zeit, nach ihr zu verlangen. Früher hatte man darum kämpfen sollen, sie nicht zu verlieren; denn der erste Druck der Knechtschaft ist hart, und gerecht der Kampf gegen sie, wenn sie noch erst droht. Wer aber, nachdem er einmal unterjocht ist, wieder abfällt, ist ein eingebildeter Sklave und kein freiheitliebender Mann. Ja, damals hätte man alles aufbieten sollen, die Römer nicht hereinzulassen, als Pompejus zuerst das Land betrat. Damals vermochten unsere Vorfahren und deren Könige, die an Geldmitteln, Streitkräften und persönlichem Mut euch weit überlegen waren, selbst einem kleinen Teil der römischen Heeresmacht nicht standzuhalten; und ihr, die ihr die Knechtschaft gewissermassen als Erbteil empfangen habt und an Hilfsmitteln euren Ahnen, die sich zuerst der römischen Oberhoheit fügten, unendlich nachsteht, wollt jetzt gegen das ganze grosse römische Reich euch auflehnen? Schaut auf die Athener: sie haben einst für die Freiheit Griechenlands ihre Stadt den Flammen preisgegeben, haben den übermütigen Xerxes, der auf dem Lande zu Schiffe fuhr und über das Meer zu Fuss ging, dessen Reich keine Grenzen kannte und für dessen Heer Europa nicht Raum genug bot, verfolgt, als er auf einem einzigen Schiffe entfloh, und bei der kleinen Insel Salamis jene gewaltige asiatische Macht gebrochen - und doch sind sie jetzt den Römern unterthan, und die Stadt, die einst an der Spitze Griechenlands stand, wird jetzt durch Befehle regiert, die von Italien kommen. Die Lakedaemonier ferner, die ihr Thermopylae, Plataeae und einen Agesilaos, den Erschliesser Asiens, hatten, mussten sich dieselben Herren gefallen lassen. Und die Macedonier, die noch immer von Philippos träumen und ihn sehen, wie er mit Alexander die Keime eines Weltreiches ausstreute, fügen
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sich dem Umschwung und huldigen den Machthabern, denen das Glück sich zugewandt hat. Auch unzählige andere Völkerschaften, die von noch höherem Freiheitsdrang beseelt sind, gehorchen dem Scepter der Römer. Ihr allein erachtet es für eine Schande, denen unterworfen zu sein, die den Erdkreis in ihrer Gewalt haben. Wo ist denn das Heer, wo sind die Waffen, die euch dieses Selbstvertrauen einflössen? Und wo ist die Flotte, die die Meere der Römer besetzen soll, wo sind die Geldmittel, mit denen ihr eure Unternehmungen bestreiten wollt? Meint ihr etwa, es seien Aegyptier oder Araber, gegen die ihr das Schwert zu ziehen im Begriffe steht? Bedenkt ihr denn nicht, was es heisst: das römische Reich? Habt ihr keinen Massstab für eure eigene Schwäche? Wurde nicht euer Land schon oftmals von den Nachbarvölkern unterjocht? Die Macht der Römer dagegen beherrscht siegreich die Erde; ja selbst über deren Grenzen hinaus dehnten sie ihr Reich aus. Denn nicht genügte ihnen mehr der ganze Euphrat im Osten, im Norden der Ister,1 im Süden Libyen, das sie bis zur Wüste durchzogen, und Gadira 2 im Westen, sondern jenseits des Ocean suchten sie eine neue Welt, und ihre Adler trugen sie bis zu den vormals unbekannten Britannen. Und ihr, seid ihr denn reicher als die Gallier, tapferer als die Germanen, klüger als die Griechen und zahlreicher als alle Völker des Erdkreises? Was giebt euch den Mut, gegen die Römer anzugehen? Es ist eben, werdet ihr sagen, etwas drückendes um die Knechtschaft. Wie viel drückender aber muss sie den Griechen sein, die für das edelste Volk unter der Sonne gelten und ein so ausgedehntes Land bewohnen! Und doch gehorchen sie den sechs Stäben 3 der Römer! Ebendasselbe thun auch die Macedonier, die sicherlich mehr Recht hatten als ihr, nach Unabhängigkeit zu streben. Und
1 Die heutige Donau.
2 Oder Gades (jetzt Cadiz) in Spanien.
3 Den Rutenbündeln (fasces) der Liktoren.
Seite 252 vollends die fünfhundert Städte Asiens, huldigen sie nicht dem einen Herrn und den Stäben der Konsuln, und das ohne die geringste römische Besatzung? Nicht reden will ich von den Heniochen und Kolchern und dem Volke der Taurer, von den Anwohnern des Bosporus und den Stämmen am Pontus und am See Maeotis,1 die früher nicht einmal von einheimischen Herrschern etwas wussten, jetzt aber von dreitausend Schwerbewaffneten im Zaum gehalten werden, während vierzig Kriegsschiffe in dem einst unfahrbaren, ungestümen Meere den Frieden schirmen. Mit wie grossem Recht könnten Bithynien, Kappadocien und das pamphylische Volk, die Lykier und Cilicier Anspruch auf Unabhängigkeit erheben - und doch zahlen sie ihre Steuern, ohne durch Waffengewalt dazu gezwungen zu sein. Die Thraker, die ein Land bewohnen fünf Tagereisen breit und sieben lang, ein Land, das viel rauher und unzugänglicher ist als das eurige und durch seine grimmige Kälte den Angreifer abschreckt - gehorchen sie nicht einer Besatzung von zweitausend Römern? Die Illyrier ferner, deren Gebiet bis nach Dalmatien und an den Ister sich erstreckt, fügen sie sich nicht der kleinen Truppe von zwei Legionen, die ihnen dazu auch noch die Angriffe der Daker abwehren hilft? Und die Dalmater, die so oft und so hartnäckig ihre Freiheit verteidigten und nach jeder Niederlage immer wieder Kräfte zu neuen Aufständen sammelten, wie ruhig leben sie jetzt nicht unter einer einzigen Legion! Eher aber als alle übrigen Völker könnten doch sicher die Gallier den Abfall wagen, da ihr Land so starke natürliche Befestigungen aufzuweisen hat: im Osten die Alpen, im Norden den Rheinstrom, im Süden das Pyrenaeische Gebirge und im Westen den Ocean. Obwohl sie indes durch solche Bollwerke geschützt sind, dreihundertundfünf Stämme zählen, sozusagen alle Quellen des Wohlstandes in ihrem eigenen Lands besitzen und mit ihren
1 Dem heutigen Asowschen Meer.
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Erzeugnissen fast die ganze Welt überschwemmen, lassen sie es sich doch gefallen, den Römern tributpflichtig zu sein, und finden nichts darin, dass dieselben über den Reichtum ihres Landes nach Belieben verfügen. Und das dulden sie nicht etwa, weil sie feige geworden oder sonst aus der Art geschlagen sind, da sie ja achtzig Jahre lang um ihre Unabhängigkeit gekämpft haben, sondern nur aus Scheu vor der Macht der Römer und deren Glück, dem sie ihre Erfolge noch mehr wie den Waffen verdanken. So genügt denn ein Hauflein von zwölfhundert Soldaten, um sie in Schranken zu halten, während sie fast mehr Städte in ihrem Lande haben. Weiter: den Iberern verhalf in ihrem Freiheitskampf weder das aus dem heimatlichen Boden gegrabene Gold zum Siege, noch die ungeheure Entfernung von den Römern zu Lande wie zu Wasser, noch die Kriegslust der Lusitaner und Kantabrer, noch der nahe Ocean mit seiner selbst den Eingeborenen furchtbaren Brandung. Denn über die Säulen des Herakles hinaus drangen die Heere der Römer vor, bahnten sich auf den Höhen der Pyrenaen einen Weg durch die Wolken und unterwarfen sich auch diese weit entlegenen und schwer zu bekämpfenden Völkerschaften, die nun von einer einzigen Legion in Ruhe gehalten werden. Wer unter euch hat nicht schon von dem zahlreichen Volke der Germanen gehört? Ihre Stirke und Grösse habt ihr wohl schon oft Gelegenheit gehabt zu sehen, da ja die Römer überall Angehörige dieser Nation als Kriegsgefangene haben. Sie bewohnen ein ungeheures Gebiet, und noch grosser als ihre Körperkraft ist ihr Stolz. Einen Mut besitzen sie, der den Tod verachtet, und eine Gemütsart, die heftiger ist als die der wildesten Tiere. Und doch ist der Rhein jetzt die Grenzlinie ihrer Angriffe; von acht römischen Legionen bezwungen, werden sie als Gefangene zu Sklavendiensten verwendet, und die Masse des Volkes sucht ihr Heil in der Flucht. Schaut auch auf die
1 Kalpe und Abyla, das heutige Gibraltar.
Seite 254 Mauer der Britannen, ihr, die ihr eure Hoffnung auf die Mauern Jerusalems setzt! Sie sind von den Fluten des Oceans geschützt und bewohnen eine Insel, die nicht kleine ist als unser Land. Die Römer aber fuhren zu Schiffe hin und unterjochten sie, und seitdem bilden vier Legionen die Besatzung der Insel. Doch was bedarf es noch vieler Worte, da ja selbst die überaus kriegerischen Parther, die über eine ganze Reihe von Völkerschaften gebieten und ungeheure Streitkräfte besitzen, den Römern Geiseln schicken und man in Italien den Adel des Orients mit verhaltenem Grimm Sklavendienste thun sieht. Es beugen sich also fast sämtliche Völker des Erdkreises vor den Waffen der Römer; und da wollt ihr allein Krieg mit ihnen führen, ohne das Ende der Karthager zu bedenken, die sich des grossen Hannibal und ihrer edlen Abkunft von den Phoeniciern ruhmen konnten, gleichwohl aber dem starken Arme Scipios erlagen? Weder die Kyrenier, in deren Adern lakedaemonisches Blut floss, noch die Marmariden, die bis weit in die wasserlose Wüste hinein wohnen, noch die Syrten, Nasamonen und Mauren, deren Namen allein schon Schrecken erregen, noch die zahllosen Horden der Nomadenl vermochten der Tapferkeit der Römer Widerstand zu leisten. So haben sie sich denn auch den ganzen dritten Erdteil,2 dessen Völkerstamme nicht einmal leicht aufzuzahlen sind, der vom Atlantischen Ocean und den Säulen des Herakles begrenzt ist und bis zum Roten Meere hin die zahllosen Aethiopen beherbergt, unterworfen. Abgesehen davon, dass diese Völkerschaften jährlich eine Getreidemenge zu liefern haben, von der die Bevölkerung Roms acht Monate lang sich nährt, entrichten sie auch noch eine ganze Reihe weiterer Abgaben und steuern zu den Bedürfnissen des Reiches bereitwillig bei, ohne eine der Auflagen für entehrend zu halten wie ihr, obgleich nur eine einzige Legion bei
1 D. i Numider.
2 Die Alten kannten nur drei Erdteile: Europa, Asien, Afrika.
Seite 255 ihnen sich aufhalt. Wozu aber brauche ich euch an Beispielen aus der Ferne die Macht der Römer zu zeigen, da doch von ihr das nahe Aegypten Zeugnis giebt, das sich bis zu den Aethiopen und dem glücklichen Arabien erstreckt, an Indien grenzt und nach Ausweis der Kopfsteuer ungerechnet die Bewohner Alexandrias eine Bevölkerung von siebeneinhalb Millionen Menschen hat, gleichwohl aber sich nicht schämt, unter der Oberhoheit der Römer zu stehen. Und doch, welch starken Stitzpunkt für eine Aufstandsbewegung böte ihm die Stadt Alexandria wegen ihrer zahlreichen Bevölkerung, ihres Reichtums und ihrer ungeheuren Grösse. Denn die Stadt ist dreissig Stadien lang und nicht weniger als zehn Stadien (5,5 km lang und 2 km breit) breit; in einem Monat zahlt sie den Römern ehr Tribut wie ihr im ganzen Jahr, und ausserdem versieht sie auch noch Rom auf die Dauer von vier Monaten mit Getreide. Geschützt aber ist sie von allen Seiten, sei es durch unzugängliches Wüstenland, sei es durch hafenlose Meere, sei es durch Flisse oder Sümpfe. Aber alles dies vermochte nichts gegen das Glück der Römer, und so halten heute zwei Legionen das weit ausgedehnte Aegypten und den macedonischen Adel im Zaume. Wo wollt ihr also, da auf der Erde alles römisch ist, eure Bundesgenossen zum Kriege gegen die Römer hernehmen? Etwa aus der unbewohnten Wuste? Es liegt ja allerdings auch noch die Möglichkeit vor, dass den einen oder anderen von euch seine Gedanken über den Euphrat trügen und ihn Hilfe von seiten unserer Glaubensgenossen in Adiabene1 erwarten liessen. Aber sie werden sich in Ermangelung eines triftigen Grundes nicht in einen solchen Krieg verwickeln wollen, und wenn sie auch den verderblichen Entschluss fassten, würden die Parther ihn wohl nicht zur Ausführung kommen lassen; denn diese haben das grösste Interesse an der Aufrechterhaltung des mit den Römern geschlossenen Waffenstillstandes, und sie wurden den Ver-
1 Vergl. J. A. XX, 2.
Seite 256 trag zu verletzen glauben, wenn einer ihrer Unterthanen gegen die Römer zu Felde zöge. So bliebe denn also nichts übrig, als sich auf Gottes Hilfe zu verlassen. Aber auch er steht auf seiten der Römer; denn ohne Gott wäre es ihnen unmöglich gewesen, ein solches Reich zu errichten. Bedenket ferner, wie schwer es euch fallen würde, im Kampfe selbst mit schwächeren Feinden euren Gottesdienst genau nach Vorschrift zu halten. Gebote, deren Erfüllung euch in erster Linie den Beistand Gottes sichert, würdet ihr alsdann notgedrungen übertreten und euch dadurch sein Missfallen zuziehen. Wenn ihr nämlich den Sabbat heilig halten wollt und euch zu keiner Arbeit bewegen lasst, so werdet ihr leicht unterliegen, wie eure Vorfahren deshalb von Pompejus überwältigt wurden, weil dieser die Belagerung vornehmlich an solchen Tagen eifrig betrieb, an denen die Belagerten feiern mussten. Übertretet ihr aber im Kriege das Gesetz eurer Vaiter, so weiss ich nicht, um was ihr eigentlich noch kämpfen wollt. Denn das soll ja gerade einzig und allein euer Streben sein, dass ihre eure väterlichen Gesetze vor dem Verfall bewahrt. Wie könnt ihr nun aber Gottes Beistand erflehen, wenn ihr mit Vorbedacht seine Verehrung ausser acht lasst? Einen Krieg beginnt man stets im Vertrauen auf göttliche oder auf menschliche Hilfe; kann aber der Kämpfende weder auf die eine noch auf die andere rechnen, so ist er selbstverständlich dem Untergang verfallen. Was hindert euch übrigens, jetzt gleich eure Weiber und Kinder eigenhändig zu morden und diese unsere herrliche Vaterstadt in Brand zu stecken? Ihr handelt dann freilich wie Wahnsinnige, aber ihr werdet euch doch die Schmach einer Niederlage ersparen. Es ist wohlgethan, meine Freunde, sehr wohlgethan, so lange das Schiff noch im Hafen liegt, nach dem kommenden Sturm auszuschauen, anstatt mitten ins Unwetter hineinzufahren und so dem Untergang entgegenzutreiben. Denn wen ein unvorhergesehenes Unglück trifft, dem bleibt doch wenigstens noch der Trost des Mitleids; wer aber dem offenen
Seite 257 Verderben sich in die Arme wirft, den treffen obendrein auch noch Vorwürfe. Es wird doch wohl niemand glauben, die Römer würden auf Bedingungen hin Krieg fuhren und, wenn sie euch besiegt haben, Milde walten lassen. Nein, sie werden vielmeir zur Warnung für andere Völker die heilige Stadt in Asche legen und euer ganzes Geschlecht ausrotten. Denn selbst derjenige von euch, dem es gelingen wird, dem Blutbad zu entrinnen wird nirgends eine Zufluchtsstatte finden, da alle Völker entweder schon Unterthanen der Römer sind, oder fürchten nmissen, es zu werden. Ferner wird die Gefahr nicht nur each hier in Jerusalem treffen, sondern auch die Jüdischen Bewohner anderer Städte; giebt es doch kein Volk auf Erden, unter dem nicht eine Anzahl eurer Stammesgenossen lebte. Sie alle wird der Feind um eurer Empörung willen hinschlachten, und infolge des unheilvollen Rates einiger wenigen wird in jeder Stadt jüdisches Blut in Stromen fliessen; wer es aber vergiesst, wird straflos bleiben. Gesetzt indes den Fall, man würde euer schonen - wäre es da, bedenkt das wohl, nicht im höchsten Grade frevelntlich von euch gehandelt, wenn ihr gegen ein so menschlich gesinntes Volk die Waffen ergreifen würdet? Erbarmt euch also wenn nicht eurer Weiber und Kinder, so doch dieser eurer Hauptstadt und der heiligen Hallen! Schonet diese geweihte Stätte, erhaltet euch den Tempel mit seinen Heiligtümern! Denn auch diese werden die siegreichen Römer nicht unangetastet lassen, wenn man ihnen für die frühere Schonung derselben so wenig Dank gewusst hat. Ich aber rufe alles, was euch heilig ist, die Engel Gottes und unser gemeinsames Vaterland zu Zeugen an, dass ich nichts, was zu eurem Heile dient, unterlassen habe. Wenn ihr nun einen vernünftigen Entschluss fasst, werdet ihr wie ich in Frieden leben; lasst ihr euch aber von eurem Ungestüm fortreissen, so mogt ihr allein ohne mich der Gefahr entgegenrennen." 5. Nach diesen Worten brachen der Knig und seine Schwester in Tränen aus, wodurch es ihnen gelang, die
Seite 258 aufwallende Volksleidenschaft grösstenteils zurückzudrängen. Laut riefen nun die versammelten Juden, nicht die Römer seien es, gegen die sie Krieg führen wollten, sondern Florus, ihr Bedränger. Agrippa aber entgegnete ihnen: „Nach euren Thaten zu schliessen, seid ihr doch schon im Kriege mit den Römern begriffen; denn ihr habt dem Caesar die Abgaben nicht entrichtet und die Hallen der Antonia niedergerissen. Den Vorwurf des Aufrührs könnt ihr also nur dadurch von euch abwälzen, dass ihr die Hallen wieder aufbaut und die Steuern bezahlt. Dem Florus aber gehört die Burg nicht, und ebensowenig ist er es, dem ihr das Geld entrichten sollt."
1. Hierdurch liess sich das Volk beruhigen, und alles eilte nun mit Berenike und dem König nach dem Tempel hinauf, um die Hallen wieder aufzubauen. Die Vorsteher aber und die Mitglieder des Rates verteilten sich auf die Dörfer und holten den Tribut ein, der denn auch bald in I-Ihe von vierzig Talenten - so viel war noch im Rückstand - beisammen war. So wusste Agrippa den drohenden Krieg noch aufzuhalten. Als er aber den Versuch machte, das Volk auch zum Gehorsam gegen Florus zu bewegen, bis der Caesar einen anderen Landpfleger senden würde, geriet die Menge in Erbitterung, beschimpfte den König und liess ihm durch einen Herold sagen, er solle die Stadt verlassen; ja, einzelne der Aufrührer erfrechten sich sogar, mit Steinen nach ihm zu werfen. Da freilich musste Agrippa sich sagen, dass die Leidenschaft der Empörer nicht mehr zu bindigen sei. Er schickte nun die Vorsteher samt den angesehensten Juden nach Caesarea zu Florus, dasit dieser aus ihrer Mitte die Steuereinnehmer für das
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Land ernenne, und kehrte selbst voll Unwillen über die ihm widerfahrene Beschimpfung in sein Königreich zurück. 2. Unterdessen hatte sich eine Anzahl derjenigen Juden, die um jedenPreis den Krieg wollten, zusammengeschart und war gegen eine Festung mit Namen Masada aufgebrochen. Dort überrumpelten sie die römische Besatzung des Platzes, machten sie nieder und legten eine Abteilung ihrer eigenen Leute hinein. Um dieselbe Zeit geschah es, dass des Hohepriesters Ananias Sohn Eleazar, ein äusserst verwegener junger Mann, der damals die Tempelwache befehligte, an die dienstthuenden Priester die Aufforderung richtete, keine Gaben oder Opfer mehr von Nichtjuden anzunehmen. Das war der eigentliche Anfang des Krieges gegen die Römer; denn es lag hierin eine Zurückweisung des Opfers für die letzteren und den Caesar. So eindringlich nun auch die Hohepriester und die einflussreichsten Männer den Widerspenstigen zuredeten, die herkömmlichen Opfer für die römische Obrigkeit nicht zu unterlassen, waren dieselben doch nicht zur Nachgiebigkeit zu bewegen, einmal weil sie sich auf die grosse Zahl ihrer Anhänger verliessen, zu denen die rüstigsten der Empörer gehörten, dann aber auch und zwar vorzugsweise im Vertrauen auf Eleazar als den Befehlshaber der Tempelwache. 3. Es traten nun die Vornehmen mit den Hohepriestern und den angesehensten Pharisäern zusammen, um sich angesichts des drohenden Unheils über die Lage der Dinge zu beraten. Man beschloss, es mit einer Ansprache an die Empörungslustigen zu versuchen, und berief das Volk zu einer Versammlung an das eherne Thor, welches im inneren Tempelraum gegen Sonnenaufgang lag. Nachdem hierauf die Redner mit heftigen Worten dargethan hatten, wie tollkuhn es sei, an Abfall denken und das Vaterland in einen so schrecklichen Krieg stürzen zu wollen, suchten sie die Nichtigkeit der Vorwande zum Kriege zu beweisen und führten dann weiter aus, wie ihre Vorfahren das Tempelgebäude
Seite 260 reichlich mit den von Ausländern gestifteten Geschenken verziert und stets die Gaben fremder Völker angenommen hätten. Auch hätten sie nicht nur niemand an der Darbringung von Opfern gehindert - denn das sei im höchsten Grade verwerflich - sondern auch die Weihgeschenke, die man jetzt noch nach so langer Zeit im Inneren des Tempels sehen könne, dort aufgestellt. Sie aber, die Nachkommen, wollten jetzt, nur um die Römer zum Kampf herauszufordern und mit ihnen anzubändeln, Neuerungen bezüglich des Gottesdienstes von Ausländern einführen, bedächten aber nicht, dass sie, ganz abgesehen von dem Gefährlichen ihres Beginnens, der Stadt auch noch den Ruf der Gottlosigkeit zuzögen, wenn bei den Juden allein ein Fremder weder opfern noch anbeten dürfe. Treffe jemand eine derartige Bestimmung einem Privatmann gegenüber, so würden sie das wohl als einen gewissermassen zum Gesetz erhobenen Verstoss gegen das Gebot der Menschenliebe ansehen und darüber in Aufregung geraten; jetzt aber, da es sich um Ausschliessung der Römer und des Caesars von den Opfern handle, fänden sie nichts unrechtes darin. Es stehe indes zu befürchten, dass infolge der Zurückweisung dieser Opfer gar bald auch ihre eigenen Opferhandlungen unmöglich gemacht und der Stadt der Rechtsschutz des Reiches entzogen würde, wenn sie sich nicht schleunigst eines besseren besännen, die Opfer darbrächten und die Beleidigung wieder gut machten, bevor sie den Beleidigten zu Ohren gekommen sei. 4. Während dieser Ansprache hatte man Priester herbeigeholt, die in den alten Gebräuchen besonders Bescheid wussten und nun auseinandersetzten, wie die Vorfahren jederzeit Opfer von Ausländern angenommen hatten. Darauf aber achtete niemand von den Aufständischen, und was die dienstthuenden Priester betraf, die jene den Krieg herauf beschwörende Massregel durchgesetzt hatten, so waren sie noch nicht einmal in der Versammlung erschienen. Da nun die Vornehmen merkten, dass die aufrührerische Bewegung ihnen bereits
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über den Kopf gewachsen war, suchten sie in der Besorgnis, die Römer möchten ihren Zorn zuerst an ihnen selbst auslassen, jede Schuld von sich abzuwälzen. Sie schickten deshalb sowohl an Florus als an Agrippa Gesandte, von denen die ersteren einen gewissen Simon, den Sohn des Ananias, zum Führer hatten, während unter den letzteren hervorragende Männer aus der Verwandtschaft des Königs wie Saulis, Antipas und Kostobar, sich befanden. Die Gesandtschaften sollten darum bitten, dass Florus und Agrippa mit Heeresmacht nach Jerusalem ziehen und den Aufruhr dämpfen möchten, bevor es zu spät sei. Für Florius konnte es natürlich nichts angenehmeres geben, als die Nachricht von den Unruhen, und so liess er in der Absicht, den Krieg zum Ausbruch zu bringen, die Gesandten einfach ohne jede Antwort. Agrippa aber, dem die Aufständischen nicht minder am Herzen lagen als die, gegen welche sie Krieg führen wollten, und der einerseits den Römern die Juden, anderseits den Juden ihren Tempel und ihre Hauptstadt zu erhalten bestrebt war, sah wohl ein, dass die Empörung auch ihm keinen Vorteil bringen könne, und schickte deshalb dreitausend Reiter aus Auranitis, Batanaea und Trachonitis unter Anführung des Obersten Darius und des Unterbefehlshabers Philippus, Sohnes des Jakim, dem Volk zu Hilfe. 5. Dadurch ermutigt, besetzten die Vornehmen mit den Hohepriestern und dem friedliebenden Teil des Volkes die obere Stadt; denn die untere sowie der Tempelbezirk befanden sich in den Händen der Empörer. Unablässig, wurden nun teils mit der Hand, teils mit der Schleuder Steine geworfen sowie eine Menge Pfeilschüsse gewechselt. Ab und zu machten auch einzelne Rotten Ausfälle und bekämpften sich aus der Nike, wobei die Aufständischen an Kühnheit, die Königlichen an Kriegserfahrung sich überlegen zeigten. Letztere trachteten hauptsächlich danach, in den Besitz des
1 S. Spiess, Jerusalem des Josephus, Seite 16ff.
Seite 262 Tempels zu gelangen, um die, welche das Heiligtum entweihten, daraus zu vertreiben; die Empörer unter Eleazar dagegen bemühten sich, ausser den Stadtteilen, die sie bereits innehatten, auch noch die obere Stadt in ihre Gewalt zu bekommen. Sieben Tage lang floss hüben wie drüben viel Blut, ohne dass eine der beiden Parteien aus ihrer Stellung gewichen wäre. 6. Am achten Tage, dem Feste des Holztragens, an welchem jedermann dem Brauche gemäss Holz für den Altar herbeizubringen pflegt, damit dem Feuer, das immerfort brennen soll,1 die Nahrung nicht fehle, schlossen die Anhänger Eleazars ihre Gegner vom Gottesdienst aus. Da sich übrigens zugleich mit dem unbewaffneten Volk auch viele Sikarier - wie man die Banditen mit Dolchen im Gewande nennt - in den Tempel eingeschlichen hatten, nahmen sie mit deren Hilfe ihre Angriffe alsbald in verstärktem Masse wieder auf und drängten die Königlichen, die ihnen an Zahl und Entschlossenheit nachstanden, in kräftigem Ansturm aus der oberen Stadt hinaus, die sie nun selbst besetzten. Hierauf steckten sie das Haus des Hohepriesters Ananias sowie die Paläste des Agrippa und der Berenike in Brand und trugen das Feuer dann auch nach dem städtischen Archiv, um so rasch wie möglich die Schuldurkunden zu vernichten und die Eintreibung der Ausstände unmöglich zu machen. Dadurch zogen sie die grosse Menge derer, denen die Vernichtung der Urkunden zugute kam, auf ihre Seite und wiegelten so die Besitzlosen gegen die Vermögenden auf. Die Anlegung des Feuers war ihnen übrigens so leicht gelungen, weil die Archivwache sich geflüchtet hatte. Nachdem sie auf diese Weise den Nerv der Stadt vernichtet hatten, zogen sie gegen die Feinde selbst los. Ein Teil der Vornehmen und der Hohepriester verbargen sich in den unterirdischen Gängen, während die anderen samt den königlichen
1 Mos. Ill, 6,12.
Seite 263 Truppen sich in den oberen Palast1 zurückzogen, dessen Thore sie eiligst hinter sich schlossen. Unter den letzteren befanden sich der Hohepriester Ananias, sein Bruder Ezekias und die Mitglieder der an Agrippa geschickten Gesandtschaft. Vorläufig liessen nun die Aufständischen, zufrieden mit ihrem Sieg und der Wirkung der Feuersörünste, eine kleine Pause eintreten. 7. Tags darauf aber, am fünfzehnten des Monats Loos, griffen sie die Antonia an, und nachdem sie dieselbe zwei Tage lang belagert hatten, machten sie die Besatzung nieder und steckten das Kastell in Brand.2 Hierauf rückten sie vor den Palast, in welchen die Königlichen sich gefluchtet hatten, teilten sich in vier Haufen und suchten die Mauer zu durchbrechen. Angesichts der überaus zahlreichen Angreifer wagten die Eingeschlossenen keinen Ausfall, sondern verteilten sich auf den Brustwehren und Türmen, beschossen ihre Gegner und töteten eine Menge Banditen unter den Mauern. Bei Tage wie bei Nacht kämpfte man ohne Unterlass, die Empörer in der Hoffnung, die Besatzung aushungern zu können, die Königlichen hingegen in der Meinung, die Belagerer würden schliesslich vor Anstrengung ermatten. 8. Unterdessen machte sich ein gewisser Manäm, ein Sohn jenes streitbaren Schriftgelehrten Judas aus Galilaea, der einst unter Qürinius es den Juden zum Vorwurf gemacht hatte, dass sie ausser Gott auch noch die Römer als Herren anerkannten,8 mit einigen seiner Vertrauten nach Masada auf,4 erbrach hier das Zeughaus
1 D. h. den in der oberen Stadt gelegenen Königspalast des Herodes, in dessen Nähe sich nach II, 15, 5 ein römisches Truppenlager befand. Letzteres muss übrigens in engster Verbindung mit dem Palast gestanden haben, da seine Besatzung, wie wir gleich unten (17, 8) erfahren, mit den Juden belagert wurde.
2 Das aber wohl nur teilweise eingeäschert wurde, da es eimge Zeit später dem Titus starken Widerstand leistete.
3 S. 1I, 8, 1.
4 Das sich übrigens nach 17, 2 bereits in den Händen der Empörer befand.
Seite 264 des Königs Herodes, bewaffnete ausser seinen Landsleuten auch noch fremde Räuber und kehrte mit dieser Rotte als seiner Leibwache wie ein König nach Jerusalem zurück, wo er sich an die Spitze der Empörer stellte und die Leitung der Belagerung übernahm. Es fehlte indes an Maschinen, und offen die Mauer zu untergraben war wegen des Geschosshagels von oben nicht möglich. Die Belagerer gruben daher von einer entfernten Stelle aus auf einen der Tfirme hin einen unterirdischen Gang, sicherten ihn durch ein Holzgerüst vor dem Zusammenfallen, zundeten dann das -Gerüst an und traten heraus. Sowie nun die Holzstützen verbrannt waren, stürzte der Turm augenblicklich ein. Jetzt aber zeigte sich nach innen zu eine zweite Mauer, die der äusseren gegenüber errichtet war. Die Belagerten hatten nämlich den Anschlag ihrer Feinde bemerkt - vielleicht weil der Turm, als er untergraben wurde, ins Schwanken geriet - und sich ein zweites Bollwerk hergestellt. Von diesem unerwarteten Anblick waren die Belagerer, die ihres Sieges schon sicher zu sein glaubten, aufs höchste betroffen. Auf einmal aber sandten die Eingeschlossenen zu Manäm und den Hauptern des Aufstandes und baten um freien Abzug, der denn auch den Königlichen und Einheimischen bewilligt wurde. Nachdem letztere nun wirklich abgezogen waren, bemächtigte sich der allein zurückgebliebenen Römer gewaltige Bestürzung, da sie gegen eine so grosse Überzahl nichts auszurichten vermochten; um gitlichen Vergleich zu bitten aber hielten sie für schmachvoll, ganz abgesehen davon, dass sie nicht sicher sein konnten, ob man das gegebene Wort auch halten würde. Sie verliessen daher ihr Lager, das leicht zu erstürmen war, und flohen nach den königlichen 1 Türmen Hippikus, Phasael und Mariamne. Manäms Leute drangen nun in das verlassene Lager ein, machten alle, die noch nicht daraus entkommen waren, nieder und steckten es, nachdem sie sich des Ge-
1 D.h. von Herodes dem König erbauten.
Seite 265 päckes bemächtigt hatten, in Brand. Das geschah am sechsten des Monats Gorpiaios, 9. Am folgenden Tage wurde der Hohepriester Ananias aus der Wasserleitung des Königspalastes, wo er sich verborgen hatte, hervorgeholt und mit seinem Bruder Ezekias von den Banditen umgebracht. Die Aufständischen. aber bewachten die Türme, damit kein Mann von der Besatzung derselben entweiche. Die Zerstörung der Befestigungen mid der Tod des Hohepriesters Ananlias trieb übrigens Manäm zu unsinniger Grausamkeit, und in dem Wahne, nun keinern Nebenbuhler in der Herrschaft mehr zu haben, ward er ein unerträglicher Tyrann. Eleazars Anhänger erhoben sich deshalb wider ihn, indem sie sich untereinander etwa folgendermassen aussprachen: Nachdem man aus Sehnsucht nach Freiheit sich gegen die Römer aufgelehnt habe, dürfe man dieselbe jetzt nicht an einen Landsmann verlieren und sich die Tyrannei eines Menschen gefallen lassen, der, wenn er auch keine Gewaltthaten verübe, doch weit unter ihnen stehe. Trete aber wirklich die Notwendigkeit ein, an die Spitze der Verwaltung einen einzelnen Mann zu berufen, so komme diese Würde jedem anderen eher als Manahm zu. Mit vereinten Kräften griffen sie ihn sodann im Tempel an, wohin er in prunkvollem Aufzug, angethan mit königlichem Gewande und gefolgt von einer Menge bewaffneter Anhänger, zur Verrichtung seiner Andacht sich begeben hatte. Als nun Eleazars Leute auf ihm eindrangen, beteiligte sich auch das übrige Volk an dem Angriff, raffte Steine zusammen und bewarf den Schriftgelehrten in der Meinung, wenn nur dieser erst aus dem Wege geräumt sei, werde der ganze Aufruhr ein Ende nehmen. Manäm und seine Leute hielten eine Zeitlang stand; als sie aber das gesamte Volk auf sich losstürmen sahen, floh jeder, wohin er konnte. Wer den Gegnern in die Hände fiel, wurde niedergemacht, und die Versteckten spürte man alsbald auf. Nur wenigen gelang es, unbemerkt nach Masada zu entkommen; unter diesen befand sich auch
Seite 266 ein Verwandter Manäms, Eleazar, Sohn des Jairus und nachmaliger Tyrann von Masada.1 Manäm selbst, der nach dem sogenannten Ophla 2 geflohen war und sich dort feige verkrochen hatte, wurde kurz darauf ans Licht gezogen und unter schrecklichen Martern ums Leben gebracht, ebenso auch seine Unterbefehlshaber und das schlimmste Werkzeug seiner Tyrannei, Absalem. 10. Das Volk hatte, wie bereits bemerkt, bei diesem Vorgehen in der Hoffnung mitgewirkt, den ganzen Aufstand dadurch vielleicht beendigen zu können; die anderen 3 hingegen verfolgten, indem sie Manäm stürzten, durchaus nicht den Zweck, den kriegerischen Unruhen ein Ziel zu setzen, sondern dachten dieselben nur noch eifriger zu schüren. Und obwohl das Volk sie dringend ersuchte, von der ferneren Belagerung der Soldaten Abstand zu nehmen, setzten sie den Römern nur um so Ärger zu, bis endlich Metilius - so hiess der römische Befehlshaber - und seine Leute nicht länger Widerstand zu leisten vermochten und daher an Eleazar die Bitte um eidliche Zusicherung freien Abzugs richten liessen, wogegen sie ihre Waffen und ihre sonstige Habe auszuliefern versprachen. Nichts konnte den Anhängern Eleazars gelegener kommen, als dieses Gesuch, und so sandten sie Gorion, den Sohn des Nikomedes, Ananias, den Sohn des Sadduk, und Judas, den Sohn des Jonathas, zu den Römern hin, um den Vergleich durch Handschlag und Eid zu bekräftigen. Hierauf zog Metilius mit den Seinen ab. So lange sie nun noch im Besitz ihrer Waffen waren, griffen die Aufständischen sie weder an, noch liessen sie etwas von Verrat merken. Als aber dem Vertrage gemäss alle Römer ihre Schilde und Schwerter abgelegt hatten und arglos ihres Weges ziehen wollten, stürzten Eleazars Leute plötzlich auf sie
1 S. VII, 7-9.
2 Hügel im Südosten der Stadt.
3 Nämlich Eleazars Anhänger.
Seite 267 los, umzingelten sie und stiessen sie nieder, ohne dass die Angegriffenen Widerstand leisteten oder sich aufs Bitten verlegten; nur auf den unter Eid abgeschlossenen Vertrag beriefen sie sich mit lauter Stimme. So wurden sie denn alle grausam ermordet bis auf Metilius; ihn allein liessen die Empörer am Leben, weil er um Schonung bat und die Jüdische Religion samt der Beschneidung anzunehmen versprach. Für die Römer hatte übrigens der Verlust nicht viel zu besagen, da sie nur wenige Mann von einer ungeheuren Streitmacht einbüssten. Den Juden dagegen erschien das Gemetzel wie ein Vorspiel ihres eigenen Unterganges; denn sie erkannten wohl, dass die Unthat einen Kriegsgrund bilde, den sie nicht mehr aus der Welt schaffen konnten, und dass ihre Stadt von einem Frevel befleckt sei, für den sie, wenn auch zunächst nicht die Rache der Römer, so doch jedenfalls Gottes Strafgericht zu erwarten hatten. Demgemäss stellten sie öffentliche Trauer an, und eine allgemeine Niedergeschlagenheit bemächtigte sich der Stadt. Die Gutgesinnten aber konnten sich der Furcht nicht erwehren, sie mochten für die Empörer büssen müssen. Denn die Metzelei hatte gerade an einem Sabbat, also an einem Tage stattgefunden, an dem man sich des Gottesdienstes wegen aller Thätigkeit zu enthalten pflegt.
1. Am selben Tage und zur selben Stunde geschah es wie durch göttliche Fügung, dass die Bewohner von Caesarea ihre jüdischen Mitbürger ermordeten, sodass in einer Stunde über zwanzigtausend der letzteren hingeschlachtet wurden und in der ganzen Stadt kein Jude mehr übrig blieb; denn auch die Flüchtigen liess Florus aufgreifen und als Gefangene nach den Schiffswerften führen. Die Kunde von diesem Gemetzel versetzte das
Seite 268 gesamte Volk der Juden derart in Wut, dass sie in einzelnen bewaffneten Abteilungen die Dörfer der Syrer und die in der Nähe der Grenze liegenden Städte Philadelphia, Sebonitis, Gerasa, Pella und Skythopolis verheerten. Sodann fielen sie über Gadara, Hippos und Gaulanitis her, wo sie die Ortschaften teils verwüsteten I teils niederbrannten, und rückten weiterhin auf die tyrische Stadt Kedasa sowie auf Ptolemais, Gaba und Caesarea los. Auch Sebaste und Askalon vermochten ihrem Ansturm nicht zu widerstehen, vielmehr äscherten sie die beiden Städte ein und zerstörten dann auch noch Anthedon und Gaza. Ausserdem fielen zahlreiche in der Nähe dieser Städte liegende Dörfer der Plhnderung anheim, und haufenweiso verbluteteten die männlichen Gefangenen unter dem Schwert ihrer Feinde. 2. Doch auch die Syrer richteten kein geringeres Blutbad an; vielmehr töteten sie in den Städten sämtliche Juden, deren sie habhaft werden konnten, und zwar nicht allein wie früher aus Hass, sondern auch um der ihnen selbst drohenden Gefahr zuvorzukommen. Ganz Syrien befand sich in gewaltiger Aufregung, und jede einzelne Stadt war in zwei feindliche Heerlager gespalten, die beiderseitig ihr Heil darin suchten, den Gegner zuerst zu verderben. So vergingen die Tage unter stetem Gemetzel, während die Nichte infolge der allgemeinen Angst noch grauenvoller sich gestalteten. Glaubte man nun die Juden ausgerottet zu haben, so kamen die als Judenfreunde verdächtigten Personen an die Reihe, und was die Zweifelhaften auf beiden Seiten betraf, so mochte man sie wohl nicht ohne weiteres umbringen, fürchtete sie aber, besonders wenn sie mit anderen vereint auftraten, wie ausgesprochene Feinde. Wer sonst für durchaus friedfertig gegolten hatte, den trieb jetzt die Habsucht dazu, den Anhängern der Gegenpartei nach dem Leben zu trachten. Denn ohne jede Scheu riss man das Vermögen der Gemordeten an sich und schaffte, als waren sie im Treffen gefallen, die bei ihnen vorgefundenen Beutestücke in die eigene Be-
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hausung. Ja, man feierte den, der am meisten eingeheimst hatte, wie den Sieger über viele Feinde. Da füllten sich die Städte mit unbegrabenen Leichen: Greise sah man neben unmündigen Kindern tot dahingestreckt, und Weiber, denen man nicht einmal die Verhüllung der Scham gelassen hatte. Unsägliches Elend herrschte in der ganzen Provinz, und fast noch schlimmer afls die wirklich verübten Greuelthaten war die Angst vöor dienen, mit welchen man drohte. 3. 1Hatten die Juden bis dahin nur mit Fremden zu kämpfen gehabt, so mussten. sie dagegen bei ihrem Angruiff auf Skythopolis die Erfahrung machen, dass ihnen. ibro, dortigen Stammesgenossen selbst als Feinde gegyenfübcrtraten. Die letzteren machten ndimlich mit den Skytbopoliten gemeinsame Sache ui-n wollten, indem. sie verwand~tschaftl icibe Thicksichten. ihirer pers~nlichen Sicherheit zum Opfer brachten, gegen. ihre eigenen Lancisleute zu Felde ziehen. Diese ihre. übergrosse Bereitwilligk-eit erregte indes den Argwobn derl Skythopoliten, die nun befürchteten, ihre jüdischen Mit~bürcger m~chten bei Naeht die Stadt überfallen und dadurch, dass sie ein gl-osses Blutbad unter deren Bewohuern anrichteten, den Abüall von ihren Landsleuten wieder gut zu. machen suchen. Sie forderten. sie daher auf, mit ihren Farnilien in. den Hamn überzusiedeln, wenn sie die Eintracht befestigen und ihre Vertragstreue gegen Fremde bekräftigen wollten. Argios leisteten die Juden dieser Auffordeirung Folge, worauf die Skythopoliten, um sie in Sicherheit zu wiegen, zunahelst zwei Tag~e lanos ruhig~ verhielten. In der dritten Nacht aber benutzten sie eine günstige Gelegenheit, metzelten die Juden, die teils im Schiafe lagen, teils aus Sorglosigkeit keine Wachen ausgestellt hatten, über dreizehütausend Menschen an der Zahl, nieder und bemächtigten sich ihrer gesamten Habe. 4. Besondere Erwhhnung verdient hier das Schicksal, das einem gewissen. Simon, dem Sohne eines nicht unangesehenen Mannes Namens Saulus, widerfuhr. Er
Seite 270 war von hervorragender Körperstarke und Kühnheit, missbrauchte aber beide Eigenschaften zum Schaden seiner Landsleute. Täglich zog er aus und tötete viele der vor Skythopolis liegenden Juden, und oft, wenn er ganze Haufen derselben in die Flucht trieb, hatte er allein den Ausschlag im Treffen gegeben. Jetzt aber ereilte ihn die verdiente Strafe für die an seinen Stammesgenossen begangenen Mordthaten. Als nämlich die Skythopoliten die Juden in dem Hain umzingelt hatten und sie mit Geschossen überschitteten, zog er sein Schwert, griff jedoch keinen seiner Feinde an, gegen deren Überzahl, wie er sah, nichts auszurichten war, sondern rief in leidenschaftlicher Erregung aus: „Von euch, ihr Skythopoliten, widerführt mir jetzt, was meine Thaten verdienen; habe ich doch meine Freundschaft für euch durch die Niedermetzluug so vieler mir stammverwandter Menschen beweisen zu müssen geglaubt. Wer so schwer gegen sein eigenesVolk frevelte, dem geschieht ganz recht, wenn er von Fremden Treulosigkeit erfahrt. Fluchbeladen will ich jetzt den Tod von meiner eigenen Hand erleiden, da er mir von Feindeshand nicht zukommt, und wie dieser Tod eine hinreichende Sühne meiner Schandthaten sein soll, so verschaffe er mir auch den Ruhm, als echter Mann gehandelt zu haben. Kein Feind soll sich bruüten, er habe mich erschlagen, noch über meinen Fall frohlocken!" Während er dies sprach, warf er einen mitleidigen und zugleich wutsprühenden Blick auf seine Familie; er hatte nämlich ein Weib, mehrere Kinder und hochbetagte Eltern. Hierauf ergriff er zuerst seinen Vater beim Silberhaar und durchbohrte ihn mit dem Schwert, nach ihm seine Mutter, ohne dass sie sich im mindesten straubte, und endlich sein Weib und seine Kinder, die sich sämtlich der Mordwaffe fast entgegenstürzten, um den Feinden zuvorzukommen. Nachdem er so seine ganze Familie getötet, stellte er sich, weithin sichtbar, auf die entseelten Körper, erhob seine Rechte, damit der Anblick niemand entgehe, und stiess sich das
Seite 271 Schwert bis zum Griff in den Leib. Schade wars um den jungen Mann wegen seiner Körperkraft und Seelengrösse; doch büsste er gerechterweise, weil er fremden Menschen seine Ergebenheit bewiesen hatte. 5. Das Blutbad in Skythopolis hatte übrigens zur Folge, dass auch die Bewohner anderer Städte sich gegen ihre Jüdischen Mitbürger erhoben. Dabei wurden in Askalon zweitausendfünfhundert, in Ptolemais zweitausend Juden niedergemacht und ausserdem noch eine beträchtliche Anzahl derselben eingekerkert. Auch die Tyrier brachten viele Juden um und legten eine noch grössere Menge in Gewahrsam; desgleichen räumten die Bewohner von Hippos und Gadara die thatkräftigeren Juden aus dem Wege, während sie die zaghafteren ins Gefängnis warfen. Ebenso verfuhr man in den übrigen syrischen Städten, je nachdem dort Hass gegen die Juden oder Furcht vor denselben vorherrschend war. Nur die Bewohner von Antiochia, Sidon und Apamea schonten ihre jidlischen Mitbürger und liessen nicht zu, dass auch nur einer von ihnen ermordet oder eingekerkert wurde, vielleicht weil sie im Vertrauen auf die eigene Überzahl etwaigen Unruhen unter den Juden kein Gewicht beilegten, oder, was ich für zutreffender halte, aus Mitleid mit ihnen, da sie keine aufrührerische Gesinnung bei ihnen wahrnehmen konnten. Auch die Gerasener thaten den in der Stadt verbleibenden Juden kein Leid an und gaben sogar denen, welche dieselbe zu verlassen wünschten, noch bis zur Grenze das Geleit. 6. Im Reiche Agrippas wurde gleichfalls Verrat an den Juden geübt. Der König selbst war zu Cestius Gallus nach Antiochia gereist und hatte mit seiner Stellvertretung einen von dessen Freunden Namens Noarus, der mit dem Könige Soemus 1 verwandt war, betraut. Da kamen aus Batanaea siebzig Männer, die vornehmsten und einsichtsvollsten der dortigen Juden, und baten um Truppen, um für den Fall aufrührerischer Bewegungen
1 Von Emesa.
Seite 272 eine genügende Schutzmacht bei sich zu haben, mit deren Hilfe sie die Empörung niederwerfen könnten. Diese Männer nun liess Noarus durch eine Abteilung königlicher Soldaten, die er bei Nacht aussandte, sämtlich umbringen. Masslose Geldgier hatte ihn zu der Unthat, die übrigens ohne Vorwissen Agrippas verübt wurde, getrieben, und er fuhr nun mit grausamer Willkür fort, durch ähnliche Frevel gegen das Volk am Verderben des Reiches zu arbeiten, bis Agrippa Kunde davon bekam und ihm, da er aus Scheu vor Soemus ihn nicht hinrichten lassen mochte, wenigstens die Geschäfte eines Reichsverwesers entzog. Die Empörer hatten sich inzwischen des oberhalb Jericho gclegenen Kastells Kypros bemächtigt, die Besatzung niedergemacht und die Festungswerke geschleift. Auch geschah es in diesen Tagen, dass die in Machaerus lebenden, sehr zahlreichen Juden an die dortige römische Besatzung das Ansinnen stellten, die Festung zu verlassen und ihnen dieselbe auszuliefern. Aus Furcht vor gewaltsamer Vertreibung willigten die Römer unter der Bedingung freien Abzugs ein und nachdem dieser zugesagt war, übergaben sie die Festung, in welche nun Bürger von Machaerus einrückten. 7. Was ferner Alexandria betraf, so hatten die einheimischen Bewohner der Stadt mit den Juden in beständigem Streit gelebt, seitdem Alexander bei letzteren bereitwillige Hilfe gegen die Aegypter gefunden und ihnen dafür die Belohnung zuerkannt hatte, dass sie gleiche Rechte wie ihre griechischen Mitbürger geniessen sollten. Diese Auszeichnung verblieb ihnen auch unter seinen Nachfolgern, die ihnen sogar ein eigenes Stadtviertel anwiesen, damit sie, unvermischt mit Fremden, die Reinheit ihrer Lebensweise besser bewahren könnten, und ihnen erlaubten, sich Macedonier 2 zu nennen. Als
1 Von Macedonien (vergl. über dessen Milde gegen die Juden J. A. XI) 8).
2Vergl. über diesen Ehrentitel „Gegen Apion", 1I, 4 und J. A. X11, 1.
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später die Römer Herren von Aegypten geworden waren mochte weder der erste Caesar noch einer seiner Nachfolger den Juden die ihnen von Alexander verliehenen Vorrechte schmälern. Die Folge davon waren beständige Reibereien zwischen Juden und Griechen, und obwohl die Obrigkeit auf beiden Seiten täglich eine Menge Strafen verhängte, vergrösserte sich doch die Spannung immer mehr. Wie nun damals an anderen Orten Unruhen ausbrachen, so nahm auch in Alexandria der Zwist einen schärferen Charakter an. Als eines Tages die Alexandriner wegen einer an Nero abzuordnenden Gesandtschaft eine Versammlung hielten, hatten mit den Griechen auch viele Juden Einlass ins Amphitheater gefunden. Kaum aber waren die Gegner ihrer ansichtig geworden, als sie ein Geschrei erhoben, sie Feinde und Spione schimpften, sich auf sie warfen und sie thätlich angriffen. Drei Männer gerieten hierbei in die Gewalt der Griechen, die sie fortschleppten, um sie lebendig zu verbrennen; die übrigen wurden auf der Flucht zusammengehauen. Jetzt erhob sich die gesamte Judenschaft zur Rache: zuerst bewarfen sie die Griechen mit Steinen, dann aber rafften sie Fackeln zusammen, eilten nach dem Amphitheater und drohten das ganze darin versammelte Volk dem Flammentod preiszugeben. Dieses Vorhaben wäre ihnen auch gelungen, hätte nicht Tiberius Alexander, der Kommandant der Stadt, ihrer Wut Einhalt gethan. Doch bediente er sich, um sie zur Besinnung zu bringen, zunächst nicht der Waffengewalt, sondern liess sie durch die angesehensten Männer ermahnen, sich ruhig zu verhalten und nicht die Streitmacht der Römer gegen sich aufzubringen. Die Empörer aber beantworteten diese Aufforderung mit Hohngelächter und Schmähungen gegen Tiberius. 8. Da freilich sah Alexander ein, dass die Aufrührer nur durch eine nachdrückliche Züchtigung zu bändigen seien. Er sandte daher die beiden in der Stadt liegenden römischen Legionen sowie noch weitere fünftausend Mann, die zum Verderben der Juden eben aus Libyen ange-
Seite 274 langt waren, gegen sie aus und gestattete den Soldaten nicht nur, die Juden umzubringen, sondern auch ihre Habe zu rauben und ihre Häuser einzuäschern. Die Truppen drangen nun in das sogenannte Delta ein, wo die Judenschaft zusammenwohnte, und vollzogen die ihnen erteilten Befehle, erlitten aber auch ihrerseits grosse Verluste. Die Juden schlossen sich nämlich dicht zusammen, stellten die besser Bewaffneten ins Vordertreffen und hielten mit grösster Zähigkeit stand. Endlich jedoch mussten sie weichen und wurden nun haufenweise erschlagen. Die Niederlage war vollständig: was nicht im Freien vom Feinde ereilt wurde, drängte sich in die Häuser zusammen; diese aber steckten die Römer von unten her in Brand, nachdem sie zuvor das Innere ausgeplündert hatten. Die Sieger kannten weder Mitleid mit Kindern noch Ehrfurcht vor Greisen; vielmehr wurde alles ohne Unterschied des Alters hingeschlachtet, sodass der ganze Platz mit Blut überschwemmt war und an die fünfzigtausend Leichen haufenweise umherlagen. Kein einziger Jude wäre am Leben geblieben, wenn die übrigen sich nicht aufs Bitten verlegt hätten. Ihrer erbarmte sich Alexander und gab den Römern das Zeichen zum Rückzug. Die Soldaten stellten denn auch, an Gehorsam gewohnt, auf den ersten Wink das Morden ein; dagegen hielt es schwer, den aufs äusserste erbitterten alexandrinischen Pöbel zurückzurufen, und kaum liess derselbe sich von den Leichen wegreissen. 9. Das war das Gemetzel in Alexandria. Da übrigens die Juden jetzt allerorten blutig verfolgt wurden, glaubte auch Cestius nicht mehr untätig bleiben zu dürfen. Er brach daher mit der vollzähligen zwölften Legion und zweitausend auserlesenen Soldaten der übrigen Legionen sowie mit sechs Kohorten Fussvolk und vier Reiterschwadronen von Antiochia auf. Dazu kamen noch die Hilfstruppen der Könige: von Antiochus1 zweitausend Reiter und dreitausend Fusssoldaten, durchweg Bogen-
1 von Kommagene.
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schützen, von Agrippa die gleiche Anzahl Fussvolk und an Reitern etwas weniger als zweitausend; auch Soemus stellte viertausend Mann, von denen ein Drittel aus Reitern, der grössere Teil aus Bogenschützen bestand. Mit dieser Streitmacht rückte Cestius bis Ptolemais vor. Von den Städten waren ebenfalls viele Hilfstruppen zusammengebracht worden, die zwar, was Kriegserfahrung betraf, hinter den Soldaten zurückstanden, aber den Mangel an Kenntnissen durch Kampfeseifer und Judenhass ersetzten. Agrippa selbst begleitete den Cestius, um die Marschlinie anzugeben und für Proviant zu sorgen. Mit einem Teile seines Heeres brach nun Cestius gegen die feste galilaeische Stadt Zabulon auf, welche den Beinamen „der Männer" führt und die Grenzstadt gegen Ptolemais bildet. Er fand die Stadt menschenleer, da die Bewohner ins Gebirge geflohen waren, dagegen voll von Schätzen aller Art. Letztere überliess er den Soldaten zur Plünderung; die Stadt selbst aber legte er in Asche, obwohl sie Häuser von bewundernswerter Schönheit hatte, ähnlich denen zu Tyrus, Sidon und Berytus. Hierauf durchstreifte er die Gegend, raubte alles, was ihm unter die Hände kam, steckte die um. liegenden Dörfer in Brand und kehrte alsdann nach Ptolemais zurück. Während nun die Syrer, besonders die von Berytus, noch immer mit Plündern beschäftigt waren, fassten die Juden, die vom Abmarsch des Cestius Kunde erhalten hatten, wieder Mut, fielen unversehens über die Zurückgebliebenen her und machten gegen zweitausend derselben nieder. 10. Cestius verliess übrigens bald Ptolemais wieder und schickte, während er selbst nach Caesarea sich begab, einen Teil seiner Truppen voraus nach Joppe mit dem Befehl, die Stadt, wenn sie dieselbe überrumpeln konnten, zu besetzen, wenn aber ihr Anmarsch bemerkt werden sollte, seine und des übrigen Heeres Ankunft abzuwarten. Teils zur See, teils zu Lande eilte nun die Abteilung dorthin und nahm die Stadt von zwei Seiten ein. Die Bewohner hatten nicht einmal vorher fliehen,
Seite 276 geschweige denn sich zum Kampfe rüsten können und wurden nun mit ihren Angehörigen von den eindringenden Truppen sämtlich getötet; die Stadt aber ward geplündert und den Flammen preisgegeben. Achttausendvierhundert betrug die Zahl der Gefallenen. Desgleichen sandte Cestius in den unweit Caesareas gelegenen Bezirk von Narbata eine starke Reiterabteilung, welche das Land verwüstete, eine grosse Menge Eingeborener niedermetzelte, ihre Habe plünderte und die Dörfer in Brand steckte. 11. Nach Galilaea beorderte Cestius den Anführer der zwölften Legion, Gallus, mit einer Streitmacht, wie sie ihm zur Bezwingung des Volkes auszureichen schien. Die festeste Stadt Galilaeas, Sepphoris, nahm den Gallus mit freudigem Zuruf auf, und nach ihrem klugen Vorgang blieben auch die übrigen Städte ruhig. Das aufrührerische und räuberische Gesindel aber floh insgesamt auf einen mitten in Galilaea gelegenen Berg, der Sepphoris gegenüber liegt und Asamon genannt wird. Gegen diese Horden führte Gallus seine Truppen heran. So lange sie nun eine höher gelegene Stellung innehatten, schlugen sie die Angriffe der Römer mit leichter Mühe ab und töteten gegen zweihundert ihrer Feinde. Als aber die Römer sie umgangen und noch höhere Punkte besetzt hatten, wurden sie bald überwältigt; denn mit ihrer leichten Ausrüstung vermochten sie den Schwerbewaffneten nicht standzuhalten, und wenn sie sich zur Flucht wandten, fielen sie den Reitern in die Hände. So gelang es nur wenigen, sich an unwegsamen Orten zu verbergen, während die übrigen, mehr als zweitausend an der Zahl, als Leichen das Schlachtfeld bedeckten.
1. Als Gallus keine weiteren Unruhen in Galilaea mehr wahrnahm, kehrte er mit seinen Truppen nach Caesarea zurück. Cestius aber brach nun an der Spitze seiner gesamten Streitmacht auf und rückte vor Antipatris. Dort erfuhr er, dass in dem sogenannten Turm des Aphekos eine beträchtliche Schar bewaffneter Juden sich gesammelt habe, und sandte deshalb eine Abteilung seiner Leute hin, um sie anzugreifen. Ehe es indes zum Handgemenge kam, zerstreuten sich die Juden in ihrer Angst, und als die Römer anlangten, steckten sie das unbesetzte Lager und die umliegenden Dbrfer in Brand. Von Antipatris marschierte Cestius nach Lydda, traf aber die Stadt von Menschen verlassen; denn wegen des Laubhüttenfestes war die ganze Bevölkerung hinauf nach Jerusalem gezogen. Nur fünfzig Personen kamen zum Vorschein, nach deren Niedermetzelung er die Stadt in Flammen aufgehen liess. Alsdann rückte er weiter clurch Bethoron und schlug an einem Orte Gabao, fünfzigl Stadien von Jerusalem entfernt, sein Lager auf. 2. Kaum hatten die Juden bemerkt, dass der Krieg sich der Hauptstadt näherte, als sie die Festfeier drangaben, zu den Waffen griffen und im Vertrauen auf ihre grosse Zahl ohne jede Ordnung und unter lautem Geschrei sich in den Kampf stürzten. Nicht einmal auf den siebenten Tag als Ruhetag nahmen sie Rücksicht, während doch sonst der Sabbat aufs strengste von ihnen geheiligt wird. Dieser Kampfeseifer, der sie sogar ihre religösen Pflichten vergessen liess, bewirkte denn auch, dass sie im Treffen die Oberhand gewannen. Mit solchem Ungestüm warfen sie sich auf die Römer, dass sie deren Schlachtlinie erschütterten und mordend mitten durch sie hindurchdrangen. Wären nicht dem Teile des
1 Nach J. A. VIII, 11, 7 nur vierzig.
Seite 278 Heeres, der noch standhielt, das weniger erschöpfte Fussvolk und die Reiterei durch eine Schwenkung zu Hilfe gekommen, so wäre es wohl um die ganze Truppenmacht des Cestius geschehen gewesen. Es fielen in dem Treffen fünfhundertundfünfzehn Römer, nämlich vierhundert Fusssoldaten und einhundertfünfzehn Reiter, von den Juden jedoch nur zweiundzwanzig Mann. Auf seiten der letzteren hatten am tapfersten gefochten die Verwandten des Königs Monobazus von Adiabene, Monobazus und Kenedaeus, nächst ihnen der Peraite1 Niger und der Babylonier Silas, welcher von dem König Agrippa, unter dem er gedient hatte, zu den Juden übergegangen war. Nachdem nun die Juden von vorn geworfen waren, zogen sie sich in die Stadt zurück, während Simon, des Gioras Sohn, den Römern auf deren Marsch nach Bethoron in den Rücken fiel, einen grossen Teil ihrer Nachhut zersprengte und eine Menge Lasttiere raubte, welche er in die Stadt einbrachte. In den folgenden drei Tagen, die Cestius noch in der Gegend verweilte, besetzten die Juden die Anhöhen und legten Wachen an die Passe, ein deutliches Zeichen, dass sie, sobald die Römer den Rückmarsch antreten würden, nicht tintätig zu bleiben gedachten. 3. Agrippa, der sich angesichts der starken, die Berge besetzt haltenden feindlichen Abteilungen nicht verhehlen konnte, dass die Römer in grosser Gefahr schwebten, beschloss, es mit gütlichen Worten bei den Juden zu versuchen, wodurch er sie entweder alle vom Kriege abzubringen oder doch diejenigen, die den Krieg so recht nicht wollten, zum Abfall von den Gegnern zu bewegen hoffte. Er sandte daher zwei seiner Leute ab, die bei den Juden in sehr hohem Ansehen standen, Borkaeus und Phoebus, und liess durch sie die Freundschaft des Cestius und völlige Verzeihung von seiten der Römer für alles Vorgefallene in Aussicht stellen, wenn sie die Waffen niederlegen und sich mit ihnen vergleichen wollten.
1 S. unten 20, 4.
Seite 279 Die Aufständischen aber, welche befürchteten, das ganse Volk mochte, durch die verheissene Straflosigkeit verlockt, zu Agrippa übergehen, drangen auf dessen Abgesandte ein, um sie zu ermorden. Den Phoebus brachten sie auch wirklich um, noch ehe er zu Wort gekommen war, während Borkaeus, allerdings verwundet, durch schleunige Flucht sich zu retten vermochte. Den Teil des Volkes aber, der seinen Unwillen hierüber an den Tag legte, trieben die Empörer durch Steinwürfe und Knittelhiebe in die Stadt hinein. 4. In diesem unter den Juden selbst ausgebrochenen Zwist erkannte Cestius eine günstige Gelegenheit zum Angriff. Er führte demnach seine gesamte Streitmacht gegen sie heran, jagte sie in die Flucht und verfolgte sie bis vor Jerusalem. Hier errichtete er auf dem sogenannten Skopos, 1 sieben Stadien von der Stadt entfernt, ein Lager und unternahm, vielleicht in der Erwartung, die Bewohner würden ihm in etwa entgegenkommen, zunächst drei Tage lang nichts gegen dieselbe, sondern liess nur eine starke Abteilung seiner Leute Streifzüge in die umliegenden Dörfer machen, um Proviant zusammenzurauben. Am vierten Tage aber, dem 30. des Monats Hyperberetaios, stellte er sein Heer in Schlachtordnung auf und führte es in die Stadt hinein. Dort stand das Volk unter Bewachung der Aufständischen; diese selbst aber, erschreckt durch den planvollen Aufmarsch der Römer, gaben alsbald die äusseren Stadtteile auf und zogen sich in die innere Stadt und den Tempel zurück. Nun rückte Cestius ein und steckte Bezetha, die Neustadt und den sogenannten Holzmarkt 2 in Brand. Alsdann zog er auf die obere Stadt an und lagerte sich gegenüber dem Königspalast. Hütte es ihm in diesem Augenblick beliebt, die Mauern zu erstürmen, so wärde er wohl die Stadt sogleich eingenommen haben, und der Krieg wäre zu Ende gewesen. Doch der Lagerpraefekt
1 Einem Hügel auf dem Wege von Jerusalem nach Anathoth. S. Spiess, Jerusalem des Josephus, S. 103.
Seite 280 Tyrannius Priscus und die meisten Reiterobersten, die von Florus bestochen waren, brachten ihn von diesem Pläne ab. Das war der Grund, weshalb der Krieg sich so sehr in die Länge zog und so reich an schweren Unglücksfallen für die Juden geworden ist. 5. Unterdessen lud auf Anraten von Ananus, dem Sohne des Jonathas, eine Anzahl vornehmer Bürger den Cestius in die Stadt ein, deren Thore sie ihm zu öffnen versprachen. Cestius aber mochte schon aus Ärger nichts davon wissen, und da er ihnen auch nicht völlig traute, zauderte er so lange, bis die Aufständischen von dem verraterischen Anschlag Kenntnis erlangten und Ananus mit seinen Anhängern teils von der Mauer hinabstürzten, teils durch Steinwürfe in ihre Behausungen trieben. Sie selbst verteilten sich auf den Türmen und schossen auf diejenigen, welche die Mauer berennen wollten. Fünf Tage lang machten die Römer von allen Seiten Versuche, ohne etwas auszurichten; am sechsten Tage aber nahm Cestius eine starke Abteilung auserlesener Mannschaften sowie die Bogenschützen und griff mit ihnen die Nordseite des Tempels an. Die Juden leisteten von den Säulenhallen herab kräftigen Widerstand und schlugen zu wiederholten Malen den Sturm auf die Mauern ab, mussten aber endlich dem Geschosshagel weichen. Nun bildeten die Römer, indem die Kämpfer der vordersten Reihe ihre Schilde fest gegen die Mauer, die nachfolgenden aber die ihrigen jedesmal an die ihrer Vordermanner anstemmten, die sogenannte Schildkröte,1 von der die aufschlagenden Geschosse wirkungslos abprallten. In aller Sicherheit konnten dieSoldaten jetzt die Mauer untergraben, und alsbald schickten sie sich an, das Tempelthor in Brand zu stecken. 6. Gewaltige Angst ergriff nun die Empörer, und viele von ihnen flüchteten sich bereits aus der Stadt, als stande deren Eroberung im nächsten Augenblick bevor. Ebendeshalb aber fasste das Volk wieder frischen
1 Vergl. Dio Cassius XLIX, 30 und Livius XLIV, 9.
Seite 281 Mut: wie die Bösewichter sich davon machten, näherte es sich den Thoren, um sie zu öffnen und Cestius als Wohlthäter der Stadt aufzunehmen. Hitte dieser die Belagerung nur noch kurze Zeit fortgesetzt, so würde er die Stadt wohl rasch in seine Gewalt bekommen haben. Gott aber hatte, wie ich glaube, um der Frevler willen schon damals sich vom Heiligtum abgewandt und liess deshalb an jenem Tage den Krieg sein Ende nicht erreichen. 7. Cestius nämlich, der weder von der Verzweiflung der Belagerten noch von der Stimmung des Volkes Kenntnis zu haben schien, liess plötzlich seine Soldaten den Rückzug antreten, gab, obwohl kein Missgeschick ihn getroffen, alle Hoffnung auf und verliess unbegreiflicherweise die Stadt. Infolge seines ganz unerwarteten Abmarsches gewannen die Banditen ihre Kühnheit wieder, fielen über die Nachhut der Römer her und machten eine Menge Reiter und Fusssoldaten nieder. Cestius bezog nun für die erste Nacht das Lager auf dem Skopos; tags darauf aber marschierte er weiter und reizte dadurch die Feinde nur noch mehr, sodass sie abermals seiner Nachhut schwere Verluste beibrachten und zugleich auch von der Seite des Weges aus den Römern mit Geschossen zusetzten. Die letzten im Zuge hatten übrigens nicht den Mut, gegen ihre VerfolgerFront zu machen, weil sie dieselben ausserordentlich zahlreich wähnten, und was den Angriff auf den Flanken betraf, so waren die Römer ihm thatsächlich nicht gewachsen, da sie selbst schwerbewaffnet waren und die Marschlinie zu zerreissen fürchteten, während die Juden leichtgerüstet und angriffslustig daherzogen. So mussten die Römer grosse Verluste erleiden, ohne ihrerseits dem Feinde irgendwie schaden zu können. Auf dem ganzen Wege geschlagen und in Verwirrung gebracht, wurden sie massenhaft niedergemetzelt; unter den Gefallenen befanden sich auch Priscus, der Anführer der sechsten Legion, der Tribun Longinus und der Befehlshaber einer Reiterschwadron, Aemilius Jucundus. Endlich erreichten
Seite 282 sie, nachdem sie auch einen grossen Teil ihres Gepäckes verloren hatten, mit Mühe ihr früheres Lager bei Gabao. Unschlüssig bezüglich dessen, was er beginnen sollte, verweilte Cestius hier zwei Tage; als er aber am dritten Tage sehen musste, wie die Zahl seiner Feinde sich noch vermehrt hatte und alles ringsum von Juden wimmelte, ward es ihm klar, dass Zögern ihm nur zum Schaden gereiche und dass, je länger er verweile, desto mehr Feinde sich ansammeln wurden. 8. Um daher die Flucht zu beschleunigen, gab er Befehl, alles zu vernichten, was das Heer aufhalten konnte. Man tötete nun die Maulesel und die übrigen Lasttiere mit Ausnahme derjenigen, welche Geschosse und Maschinen trugen; letztere nämlich konnte man einesteils nicht gut entbehren, andernteils befürchtete man auch, sie möchten den Juden in die Hände fallen und gegen die Römer Verwendung finden. Hierauf rückte das Heer weiter auf Bethoron zu. So lange nun der Marsch über offenes Feld ging, wurden die Römer von den Juden weniger behelligt; sowie sie aber einen engen, abschüssigen Hohlweg gedrängt passieren mussten, eilte ein Teil der Juden voraus, um ihnen den Ausgang zu sperren, während andere die den Schluss des Zuges bildenden Römer in die Schlucht hineintrieben und die Hauptmasse der Jüdischen Streitmacht, die sich an den Abhängen zu beiden Seiten des Weges ausgedehnt hatte, das feindliche Heer mit einem Hagel von Geschossen überschüttete. Da gerieten schon die Fusssoldaten in Verlegenheit, wie sie sich wehren sollten; in noch grösserer Gefahr aber schwebten die Reiter: denn einmal gestatteten ihnen die feindlichen Geschosse nicht, den Abstieg in Reih und Glied zu machen, und dann waren auch die steilen Abhänge, auf denen die Juden sich verteilt hatten, für die Pferde unzugänglich, während auf der anderen Seite Felsspalten und Abgrinde ihnen entgegengahnten, in die sie bei jedem Fehltritt hinabstarzen konnten. In dieser entsetzlichen Lage, die weder ein Entrinnen ermöglichte, noch den Gedanken an
Seite 283 Widerstand aufkommen liess, hatten sie schliesslich nichts als lautes Jammergeheul und das Stöhnen der Verzweiflung, dem die Schlachtrufe der Juden, untermischt mit Freudengeschrei und Wutgebrüll, schauerlich entgegenhallten. Wenig fehlte, so hätten sie das ganze Heer des Cestius aufgerieben, wäre nicht die Nacht hereingebrochen, in der die Römer nach Bethoron flohen, während die Juden alle geeigneten Punkte ringsum besetzten, um den Abmarsch ihrer Feinde überwachen zu können. 9. Cestius sann nunmehr, da er an der Möglichkeit eines offenen Rückzuges verzweifelte, auf heimliche Flucht. Er las demgemäss etwa vierhundert der beherztesten Soldaten aus und stellte sie an den Verschanzungen auf mit dem Befehl, auf denselben die Feldzeichen der Lagerwachen in die Höhe zu richten, damit bei den Juden die Meinung erweckt würde, die Truppen befünden sich noch insgesamt an dieser Stelle. Er selbst zog mit dem übrigen Teil des Heeres in aller Stille dreissig Stadien weiter. Als die Juden beim Morgengrauen den römischen Lagerplatz verlassen sahen, fielen sie über die vierhundert, die ihnen die Tauschung beigebracht hatten, her, schossen sie eiligst nieder und setzten dem Cestius nach. Dieser aber hatte in der Nacht schon einen beträchtlichen Vorsprung gewonnen und beschleunigte auch bei Tage seine Flucht so sehr, dass die Soldaten in ihrer Angst und Bestürzung die Belagerungstürme und Wurfmaschinen sowie den grössten Teil der übrigen Werkzeuge zurückliessen, welche nun von den Juden erbeutet wurden und später gegen ihre ursprünglichen Besitzer Verwendung fanden. Die Juden setzten die Verfolgung der Römer bis Antipatris fort; als sie dieselben hier nicht trafen, traten sie den Rückmarsch an, nahmen die Maschinen mit, plünderten die Leichen, sammelten die im Stich gelassene Beute und zogen unter Siegesgesängen in die Hauptstadt ein. Sie selbst hatten nur wenige Leute terloren, den Römern und deren Bundesgenossen aber
Seite 284 hatten sie fünftausenddreihundert Mann zu Fuss und dreihundertachtzig Reiter getötet. Das geschah am, achten des Monats Dios, im zwölften Regierungisjahre Neros.1
1. Nach der Niederlage des Cestius verliessen viele angesehene Juden die Stadt, wie der Seemann schwimmend das sinkende Schiff verlässt. Unter anderen flohen auch Kostobar und Saulus in Gemeinschaft mit Jakims Sohn Pbilippus, einem Kriegsobersten des Königs Agrippa, aus der Stadt und begaben sich zu. Cestius. Ein gewisser Antipas aber, der mit den Genannten im Königspalast belagert worden war, verschmühte die Flucht und wurde später, wie ich noch berichten werde,2 von den Aufständischen umgebracht. Cestius schickte nun den Saulus und dessen Begleiter auf ihre Bitte nach Achaja zu Nero, teils um ihre eigene Not dort zu schildern, teils um die Schuld für den Ausbruch des Krieges auf Florus zu wälzen. Indem er nämlich Neros Zorn gegen letzteren wachrief, hoffte er die ihm selbst drohende Gefahr verringern zu können. 2. Unterdessen hatten die Damascener von der Niederlage der Römer Kunde erhalten und wussten nun nichts eiligeres zu. thun, als die bei ihnen lebenden Juden zu ermorden. Und wie sie dieselben schon früher einmal aus Argwohn in der Ringschule versammelt hatten, so glaubten sie jetzt bei Gelegenheit einer ähnlichen Veranstaltung den Angriff aufs leichteste ausführen zu
1 66 n. Chr.
2 JV 3, 4.
Seite 285 können. Scheu hatten sie nur noch vor ihren Weibern, welche mit wenigen Ausnahmen alle zur jüdischen Religion übergetreten waren. Sie gaben sich daher die grösste Mühe, den Plan vor den Frauen geheim zu halten, überfielen die in den engen Raum zusammengedrängten, durchweg wehrlosen Juden, zehntausend an der Zahl, und schlachteten sie alle in einer Stunde hin, ohne ihrerseits irgendwelchen Verlust zu erleiden. 3. Als nun die Verfolger desCestius nach Jerusalem zurückgekehrt waren, brachten sie die noch vorhandenen Römerfreunde teils mit Gewalt, teils durch Überredung auf ihre Seite und hielten sodann im Tempel eine Versammlung ab, um noch weitere Heerführer für den Krieg zu ernennen. Als Oberbefehlshaber der Stadt wurden gewählt Josephus, der Sohn des Gorion, und der Hohepriester Ananus; ganz besonders machte man ihnen zur Pflicht, die Mauern der Stadt wieder in Stand zu setzen. Eleazar aber, den Sohn des Simon, wollte man, obwohl er die den Römern abgenommene Beute und die dem Cestius geraubte Kasse sowie ausserdem viele Staatsgelder in Händen hatte, dennoch nicht an die Spitze der Verwaltung stellen, da man ein herrschsüchtiges Wesen,an ihm bemerkt hatte und die ihm ergebenen Zeloten sich wie seine Trabanten benahmen. Nicht lange nachher freilich liess sich das Volk durch den herrschenden Geldmangel und Eleazars Zauberkünste derart berücken, dass es ihm als dem obersten Gebieter Gehorsam zollte. 4. Für Idumaea bestimmte man andere Feldherren, nämlich Jesus, den Sohn des Sapphias, einen der Hohepriester, und Eleazar, den Sohn des Hohepriesters Ananias, deren Oberbefehl der bisherige Kommandant von Idumaea, Niger - derPeraite genannt, weil er aus dem jenseits des Jordan gelegenen Peraea stammte - unterstellt wurde. Auch für die übrigen Landesteile ward gesorgt: nach Jericho sandte man als Befehlshaber Josephus, den Sohn des Simon, nach Peraea Manasses, in die Toparchie Thamna den Essüer Joannes, welch letzterem auch noch Lydda, Joppe und Ammaus zu-
Seite 286 geteilt wurden. Das Kommando in den Bezirken von Gophna und Akrabatta erhielt des Ananias Sohn Joannes, das in beiden Galilaea Josephus,l der Sohn des Matthias, zu dessen Distrikt auch Gamala, die festeste Stadt dieser Gegend, geschlagen wurde. 5. Jeder dieser Befehlshaber verwaltete nun das ihm anvertraute Gebiet nach Massgabe seines guten Willens und seiner Befähigung. Josephus insbesondere war, als er nach Galilaea kam, zunächst darauf bedacht, sich die Zuneigung der Eingeborenen zu erwerben, überzeugt, dass er auf diesem Wege am meisten erreichen würde, selbst wenn er im übrigen kein Glück haben sollte. Ferner erkannte er, dass er einerseits die einflussreichen Galiläer auf seine Seite bringen würde, wenn er die Gewalt mit ihnen teilte, und dass er anderseits des ganzen Volkes sicher sein müsse, wenn er die wichtigsten Anordnungen durch eingeborene und volkstümliche Männer treffen liesse. Zu diesem Zweck wählte er aus den Ältesten des Volkes die siebzig einsichtsvollsten aus und machte sie zur höchsten Behörde für ganz Galilaea. In jeder einzelnen Stadt aber ernannte er sieben Richter zur Entscheidung unwesentlicher Streitigkeiten, während die wichtigeren Angelegenheiten und die peinlichen Falle ihm selbst und den Siebzig vorgelegt werden sollten. 6. Nachdem er so die rechtlichen Verhältnisse innerhalb der einzelnen Gemeinden geordnet hatte, liess er sich auch ihre äussere Sicherheit angelegen sein, und da er einen Einfall der Römer in Galilaea voraussah, befestigte er geeignete Platze wie Jotapata, Bersabe, Selamin, Kapharekcho, Japha und Sigoph, den sogenannten itabyrischen Berg,2 Taricheae und Tiberias. Weiterhin versah er mit Befestigungen die Höhlen am See Gennesar in dem Untergalilaea genannten Landesteil, und in Obergalilaea den Achabarenfels, Seph, Jamnith und
1 Der Verfasser des vorliegenden Geschichtswerkes
2 Den Tabor.
Seite 287 Meroth. In Gaulanitis waren es Seleukia, Sogane und Gamala, die Festungswerke erhielten. Nur den Sepphoriten überliess er es, selbst ihre Mauern wieder aufzubauen, da er sie reichlich mit Geld versehen und ohne besondere Aufforderung zum Kriege geneigt fand. Die Stadt Gischala befestigte in gleicher Weise dem Befehle des Josephus gemäss Joannes, der Sohn des Levi, nach eigenem Plan; bei den anderen Verschanzungsarbeiten aber war Josephus selbst mit Rat und That behilflich. Ausserdem sammelte er in Galilaea ein Heer von über hunderttausend jungen Leuten, die er sämtlich mit alten Waffen, wie er sie gerade auftreiben konnte, ausrüstete. 7. Von einer Schulung seiner Truppen im Geiste der Römer, deren unüberwindliche Macht, wie er wusste, vornehmlich auf Gehorsam und steter Waffenübung beruhte, musste er freilich Abstand nehmen. Da er aber erkannte, dass die Leute sich um so leichter an Disciplin gewohnen würden, je zahlreicher dieFührer seien, teilte er das Heer mehr nach römischer Art ein und ernannte eine grössere Anzahl von Offizieren. Die Soldaten sonderte er in verschieden grosse Abteilungen und stellte sie unter Anführer von je zehn, je hundert und je tausend Mann, über welche dann wieder die Befehlshaber grösserer Truppenverbande zu gebieten hatten. Hierauf lehrte er sie das Weitergeben der Losung, die Trompetensignale zum Angriff und Rückzug, das Zusammenrücken und die Schwenkungen der Flügel, zeigte ihnen auch, wie der siegende Teil dem unterliegenden Hilfe bringen und wie man mit dem bedrängten Kampfgenossen aushalten müsse. Ferner prigte er ihnen beständig ein, wie man Geistesgegenwart und Abhartung des Körpers sich zu eigen mache; besonders aber suchte er den kriegerischen Sinn bei ihnen dadurch zu wecken, dass er ihnen bei jeder Gelegenheit die
1 Gaulanitis war von Agrippa, zu dessen Gebiet es gehört hatte, abgefallen (s. des Josephus Selbstbiographie, Abschnitt 37).
Seite 288 straffe Ordnung der Römer vor Augen führte und sie darauf hinwies, wie sie es mit Männern zu thun haben würden, die durch ihre Körperkraft und ihren Mut fast die ganze Erde beherrschten. Schon vor dem Beginn der Feindseligkeiten, sagte er, wolle er ihre Manneszucht daran erproben, oh sie ihre schlechten Gewohnheiten ablegten, nämlich das Stehlen, Plündern und Rauben, die Unehrlichkeit gegen ihre Landsleute und jene Gesinnung, die sich zum. Schaden des lieben Nächsten zu bereichern suche. Denn in denjenigen Kriegen gehe es am besten, in welche die Kämpfer ein gutes Gewissen mitbrächten; die von Haus aus Schlechten aber hätten nicht nur die gegen sie anrückenden Feinde, sondern auch Gott selbst zum. Widersacher. 8. Unablässig richtete er viele solcher Ermalinungen an sie. Er hatte nun ein schlagfertiges Heer von sechzigtausend Mann zu Fuss, zweihundertundfünfzig Reitern und ausser diesen Truppen, auf die er das nieiste Vertrauen setzte, noch etwa viertausendfünfhundert, Sldner beisammen; sechshundert auserlesene Streiter bildeten seine Leibwache. Mit Ausnahme der Söldner wurde übrigens das Heer von den Städten obne Mühe ernührt; denn von den Ausgehobenen schickte jede derselben nur die Hälfte zum eigentlichen Dienst, während. die übrigen zurückbehalten wurden, um ihren im. Felde stehenden Landsleuten Proviant zuzuführen. So teilten sie sich in die kriegerischen und die friedlichen Arbeiten, wobei diejenigen, welche die Lebensmittel lieferten, den Schutz der Bewaffueten aIs Gegenleistung genossen.
1. Während Josephus dergestalt die Verwaltung Galilaeas einrichtete, erhob sich wider ihn ein hinterlistiger Mensch aus Gischala, der Sohn eines gewissen Levi, mit Namen Joannes, der verschlagen und tückisch wie keiner der Grössen des Landes, in Ruchlosigkeit überhaupt seinesgleichen nicht hatte. Anfangs war er arm, und noch geraume Zeit hindurch stand Mittellosigkeit seinem Frevelmut hindernd im Wege. Dagegen war er stets fertig zur Lüge und ein Meister in der Kunst, seine Lügen glaubhaft zu machen. Betrug hielt er für eine Tugend, und er bediente sich desselben gegen seine besten Freunde. Menschenliebe trug er heuchlerisch zur Schau, während sein Inneres von unersättlicher, aus Gewinnsucht entspringender Mordgier erfüllt war. Stets wollte er hoch hinaus, und doch bauten sich alle seine Pläne nur auf Niedertracht und Schurkerei auf. War er doch eigentlich nichts als ein Räuber, der zunächst sein Handwerk auf eigene Faust trieb, bald aber auch einige verwegene Gesellen seines Schlages gefunden hatte, deren Zahl sich im Laufe der Zeit immer mehr vergrösserte. Übrigens war es iHim sehr darum zu thun „dass niemand in seine Truppe eintrat, der leicht zu be. zwingen war; vielmehr nahm er nur solche Leute, die sich durch krilftigen Körperbau, Entschlossenheit und Kriegserfahrung auszeichneten. So brachte er nach und nach eine Schar von vierhundert Mann zusammen, gröstenteils Flüchtlinge aus dem Stadtgebiet von Tyrus und den dazu gehörigen Dörfern. Mit ihnen zog er plündernd in ganz Galilaea umher und versetzte die grosse Masse der Bevölkerung, die ohuchin dem bevorstehenden Kriege mit ängstlicher Spannung entgegensah, noch mehr in Unruhe. 2. Schon dachte er daran, Feldherr zu werden, und JoQsephus, Jidflucher Krieg. 19
Seite 290NOR r r i. T" 290 . ~~~~.......... trug sich sogar mit noch höheren Plinen; aber immer war es seine Geldnot, die ihm Schwierigkeiten bereitete. Kaum hatte er nun die Wahrnehmung gemacht, dass Josephus an seinem Thatendrang grossen Gefallen fand, als er ihn zunächst zu bereden wusste, ihm den Wiederaufbau der Mauern seiner Vaterstadt anzuvertrauen,1 wobei er von den reichen Bürgern derselben grosse Summen erpresste. Hierauf stellte er sich in höchst verschmitzter Absicht an, als wollte er die Juden in Syrien vor dem Gebrauch des nicht von ihren Stammesgenossen gelieferten Oles bewahren, und bat sich deshalb von Josephus das Recht aus, ihnen Öl an die Grenze schaffen zu dürfen. Mit tyrischer Münze im Wert von vier attischen Drachmen kaufte er sodann je vier Amphoren2 und verkaufte um denselben Preis eine halbe Amphora. Galilaea erzeugt überhaupt viel Öl und hatte gerade damals eine sehr gute Ernte gehabt, während die Syrer daran Mangel litten. Indem nun er allein ihnen grosse Mengen Öl lieferte, gewann er eine Unsumme Geldes, das er alsbald gegen den gebrauchte, der ihm diesen Erwerb verschafft hatte. Und da er der Meinung war, es würde, wenn er Josephus stürzte, ihm selbst der Oberbefehl in Galilaea übertragen werden, wies er die ihm untergebenen Banditen an, ihre Räubereien noch nachdrücklicher zu betreiben, um entweder, wenn an vielen Orten im Lande Aufruhr entstande, den zu Hilfe eilenden Statthalter durch Verrat aus dem Wege zu räumen, oder, falls letzterer die Räuber gewahren liesse, ihn bei den Einwohnern anschwarzen zu können. Weiterhin streute er das Gerücht aus, Josephus wolle den Römern das Land verraten, und suchte durch diese und ähnliche Umtriebe den Sturz des Gehassten herbeizufuhren. 3. Um diese Zeit überfielen einige junge Leute aus dem Dorf Dabaritta, welche zu der Beobachtungstruppe S. 20, 6. s Eine Amphora = 26 Liter.
Seite 291 Zweites Buch, 21. Kapitel. 291 in der grossen Ebene gehörten, den Verwalter des Agrippa und der Berenike, Ptolemaeus, und nahmen ihm alles Gepäck ab, das er bei sich führte, worunter nicht wenige kostbare Gewänder, eine Menge silberner Trinkgefüsse und sechshundert Goldstücke sich befanden. Da sie jedoch ihren Raub nicht unter sich teilen konnten, schafften sie alles nach Taricheae zu Josephus. Dieser verwies ihnen den gewaltsamen Eingriff in das Eigentum königlicher Personen und gab die erbeuteten Gegenstünde dem mächtigsten Bürger von Taricheae, Annaeus, in Verwahr mit der Absicht, sie gelegentlich den Eigentümern wieder zuzustellen. Das aber brachte ihn in die grösste Gefahr. Die Thater nämlich, die einerseits argerlich darüber waren, dass ihnen kein Anteil von der Beute zufallen sollte, und anderseits die Absicht des Josephus, mit dem Preis ihrer Muhe dem Könige und seiner Schwester eine Gefälligkeit zu erweisen, durchschauten, eilten noch in der Nacht durch die Dörfer und schilderten überall den Josephus als Verriter. Auch in den umliegenden Städten brachten sie alles in Aufruhr, sodass gegen Morgen hunderttausend Bewaffnete sich wider ihn vereinigt hatten. Die Menge sammelte sich nun in der Rennbahn zu Taricheae und erhob ein lautes und leidenschaftliches Geschrei: die einen riefen, man müsse den Verräter absetzen, andere, man solle ihn verbrennen. Joannes und mit ihm Jesus, der Sohn des Sapphias, damals Befehlshaber von Tiberias, reizten die Erbitterung des Haufens immer mehr, bis die Freunde und Leibwichter des Josephus aus Angst vor einem Angriff der Menge alle bis auf vier ihr Heil in der Flucht suchten. Er selbst lag noch zu Bett, als schon Feuer angelegt werden sollte; da aber erhob er sich, und obwohl die vier Zurückgebliebenen ihm zur Flucht rieten, sprang er, ohne sich durch seine Vereinsamung oder die Menge der Angreifer erschrecken zu lassen, hervor, mit zerrissenem Gewande, das Haupt mit Asche bestreut, die Hände auf den Rücken haltend und sein eigenes Schwert an den Nacken gebunden. Dieser 19*
Seite 292=15." 292 . Auftritt rief bei allen, die es noch gut mit ihm meinten, besonders bei den Einwohnern von Taricheae, Mitleid wach; die Landleute aber und diejenigen aus seiner näheren Umgebung, die ihn nicht leiden mochten, beschimpften ihn und verlangten, er solle die Schätze, die öffentliches Eigentum seien, auf der Stelle herausgeben und seine verriterischen Verbindungen eingestehen. Sein Gebaren hatte sie nämlich auf den Gedanken gebracht, er werde nichts von dem in Abrede stellen, weswegen man ihn im Verdacht hatte, und er habe den ganzen auf Erregung von Mitleid berechneten Aufzug nur deshalb ins Werk gesetzt, um sich Verzeihung zu verschaffen. Dieses sein demütiges Benehmen war indes nichts als die Einleitung zu einer Kriegslist, und nur in der schlauen Absicht, die auf ihn erbosten Menschen an dem Gegenstand ihres Zornes miteinander zu entzweien, versprach er alles eingestehen zu wollen. Nachdem ihm dann gestattet worden war, das Wort zu ergreifen, liess er sich also vernehmen: „Diese Schütze hatte ich weder im Sinn an Agrippa zu schicken, noch zu meinem eigenen Nutzen zu verwenden; denn nie werde ich euren Gegner für meinen Freund halten, noch das als Gewinn ansehen, was der Gesamtheit Schaden bringt. Vielmehr hatte ich, weil ich sah, dass eure Stadt, ihr Bürger von Taricheae, dringend der Befestigung bedarf und zur Erbauung einer Mauer kein Geld hat, mir vorgenommen, aus Furcht vor dem Volke von Tiberias und den anderen Städten, welche mit neidischen Blicken auf die Beute lauern, die Schätze insgeheim aufzubewahren, um euch damit eine Mauer zu errichten. Missfällt euch nun dieser Vorschlag, so lasse ich die erbeuteten Gegenstünde herbeibringen und gebe sie der Plünderung preis; habe ich es aber gut mit euch gemeint, so strafet euren Wohlthäter!" 4. Diese Worte riefen bei den Taricheaten freudige Zustimmung hervor, während die von Tiberias und die anderen schimpften und drohten. Beide Teile liessen nun von Josephus ab und stritten miteinander. Er
Seite 2937i R ", I;,; " ri Zweites Buch, 21. Kapitel. 293 aber hatte jetzt eine Stütze an den auf seiner Seite stehenden Taricheaten - es waren ihrer gegen vierzigtausend -, und das gab ihm den Mut, dem ganzen Haufen gegenüber eine freiere Sprache zu führen. Zunächst verwies er ihnen eindringlich ihr voreiliges Verfahren und erklärte dann, mit dem vorhandenen Gelde werde er Taricheae befestigen. Aber auch für die Sicherheit der übrigen Städte solle in gleicher Weise gesorgt werden; denn an Geld würden sie keinen Mangel haben, wofern sie nur über die Feinde, gegen die man es verwenden müsse, einig seien und nicht gegen den, der es ihnen verschaffen wolle, sich aufreizen liessen. 5. Nun entfernte sich die grosse Masse seiner Gegner, wiewohl noch grollend; zweitausend Bewaffnete jedoch machten einen Angriff auf ihn und umringten unter lauten Drohungen das Haus, in das er sich noch eben rechtzeitig gefluchtet hatte. Gegen sie gebrauchte Josephus abermals eine List. Er stieg nämlich auf das Dach, gebot mit der Hand Stille und rief ihnen zu, er wisse nicht, was ihr Begehren sei, denn er könne sie wegen ihres Durcheinanderschreiens nicht verstehen. Er werde übrigens alles thun, was sie verlangten, wenn sie einige aus ihrer Mitte in das Haus schicken wollten, um sich in Ruhe mit ihm zu besprechen. Daraufhin gingen die Vornehmsten mit den Anführern zu ihm hinein. Er aber liess sie in den entlegensten Winkel des Hauses schleppen und sie bei verschlossener Thir geisseln, bis ihre Eingeweide sichtbar wurden. Unterdessen stand die Menge draussen in der Meinung, die Abgeordneten hielten sich bei der Verfechtung ihrer Sache etwas länger auf. Plötzlich liess nun Josephus die Thfir öffnen und die bluttriefenden Männer hinausjagen, was dem drohenden Haufen einen solchen Schrecken einflösste, dass er die Waffen wegwarf und auseinanderstob. 6. Diese Vorgänge steigerten den Hass des Joannes, und alsbald ersann er einen zweiten Anschlag gegen Josephus. Indem er nämlich eine Krankheit vorschützte, bat er ihn schriftlich um die Erlaubnis, die warmen
Seite 294294 . Quellen in Tiberias 1 zu seiner Heilung gebrauchen zu dUrfen. Josephus, der noch keine Alinung von seiner Arglist liatte, schrieb an die Behörden der Stadt, sie möchten den Joannes gastfreundlich aufnehmen und ihm alles Nötige gewähren. These Empfehlung nutzte Joannes, auch wirklich aus; kaurn aber war er zwei Tage dort, als er den eigentlichen Zweck seines Aufenthaltes zu verfolgen begann, indem er die Einwohner teils durch falsche Vorspiegelungen, teils durch Bestechung zum Abfall von Josephus zu verleiten suchte. Silas, der von Joseplius den Auftrag erhalten hatte, die Stadt zu überwachen, setzte diesen alsbald briefich von dem verrüterischen Treiben in Kenntnis. Nach Empfang des Schreibens machte sich Josephus noch in der Nacht eiligst auf den Weg und kam mit Tagesanbruch nach Tiberias, wo das Volk ihm zur Begrüssung entgegenzog. Joannes indes, der wohl ahnte, dass des Statthalters Anwesenheit ihm selbst galt, schickte einen seiner Vertrauten, schützte körperliche Schwäche vor und liess ihm sagen, er sei-bettlügerig und könne ihm desbalb seine Aufwartung nicht machen. Als aber Josephus die Tiberienser in der Rennbahn versammelt hatte und eben den Inhalt des Schreibens mit ihnen besprechen wollte, sandte Joannes in aller Stille Bewaffnete ab mit dem Auftrag, ihn aus dem. Wege zu rlumen. Kaurn hatte das versammelte Volk bernerkt, wie die Bewaffneten schon in einiger Entfernung ihre Schwerter entblössten, als es ein lautes Geschrei erhob. Hierdurch aufrnerksam gemacht, wandte Josephus sich um und eilte, da er schon die Schwerter zu seiner Ermordung gezfickt sah, ans Ufer hinab - er hatte nämlich, um zum Volke sprechen zu konnen, einen s~echs Ellen hohen Erdhilgel bestiegen -, sprang I Heute noch finden sich bei Tabartye, dem allen Tiberias, heisse Quellen. Ibrahim Pascha liess hier im Jahre 1833 ein prachtvolles Badehaus errichten. Die Quellen setzen teils weissen, teils rotgelben N~iederschlag ab, enthalten Schwefel, Kochsalz und Eisen und sind also denen von Aachen Ihnlich. Robinson fand die Teinperatur der eiuen Qtiele 492/ 0 R
Seite 295Zweites Buch, 21. Kapitel. 295 in einen dort liegenden Nachen und fliuchtete sich mit. zwei Leibwachtern in die Mitte des Sees. 7. Nun aber griffen seine Soldaten plötzlich zu den Waffen und rückten gegen die Mordbande aus. Aus Besorgnis, es möchte, wenn ein Bürgerkrieg ausbrache, die ganze Stadt den feindlichen Umtrieben einiger wenigen Leute zum Opfer fallen, liess Josephus den Seinigen durch einen Boten sagen, sie sollten nur auf ihre eigene Sicherheit Bedacht nehmen, ohne einen der Schuldigen zu töten oder zur Verantwortung zu ziehen. Diesem Befehl gehorchten die Soldaten und verhielten sich ruhig; die Bevölkerung der Umgegend aber rottete sich, als sie von dem Verrat und seinem Urheber hörte, gegen Joannes zusammen, der sich indessen bereits durch die Flucht nach seiner Vaterstadt gerettet hatte. Aus allen Städten Galilaeas strömten nun viele tausend Bewaffnete zu Josephus und erklärten, sie seien gekommen, um gegen Joannes, den gemeinschaftlichen Feind, zu ziehen und ihn samt der Stadt, die ihn aufgenommen habe, zu verbrennen. Josephus sprach ihnen für ihre gute Gesinnung seine Anerkennung aus, suchte aber ihr Ungestum zu mässigen, weil er seine Feinde lieber durch Klugheit überwaltigen als ums Leben bringen wollte. Und nachdem er von den einzelnen Städten die Namen derjenigen erfahren hatte, welche Joannes abgefallen waren - die Bürger brachten nämlich ihre Verwandten bereitwillig zur Anzeige -, liess er durch Herolde die Drohung verkündigen, er werde die Habe derer, die nicht innerhalb fünf Tagen den Joannes verliessen, plündern lassen und ihre Häuser samt den Familien dem Feuer preisgeben. Dadurch brachte er sogleich dreitausend Mann auf seine Seite, die sich bei ihm einfanden und ihre Waffen ihm zu Füssen legten. Mit dem Reste seiner Anhänger, etwa zweitausend syrischen Flüchtlingen, verlegte sich Joannes wieder auf heimliche Nachstellungen, nachdem der offene Angriff missglückt war. In aller Stille sandte er Boten nach Jerusalem, um den Josephus wegen seiner gewaltigen Streitmacht zu ver
Seite 296296 Josephus, Geschichte des Jfidischen Rrieges. dachtigen, und liess sagen, gar bald werde der Statthalter wohl als Tyrann in die Hauptstadt einziehen, wenn man sich seiner Person nicht vorher versichere. Das Volk hatte dies vorausgesehen und achtete nicht darauf; die Vornehmen aber und einige obrigkeitliche Personen schickten heimlich Geld an Joannes, damit er Söldner anwerben und gegen Josephus zu Felde ziehen könne. Auch beschlossen sie unter sich, letzteren von seinem Befehlshaberposten abzurufen. Da sie jedoch einsahen, der Beschluss allein werde dazu nicht genügen, sandten sie zweitausendfünfhundert Schwerbewaffnete und vier angesehene Männer, Joaesdros, den Sohn des Nomikos, Ananias, den Sohn des Sadduk, Simon und Judas, die Söhne des Jonathas, sämtlich hervorragende Redner, mit dem Auftrag ab, den Josephus um seine Beliebtheit beim Volke zu bringen und, wenn er sich gutwillig stelle, Rechenschaft von ihm zu fordern, wenn er aber seinen Posten mit Gewalt behaupten wolle, ihn als Feind zu behandeln. Den Josephus hatten nun seine Freunde von dem Anmarsch einer Truppenabteilung brieflich in Kenntnis gesetzt, den Grund aber hatten sie ihm nicht angeben können, weil der Plan der Feinde geheim gehalten worden war. Er traf deshalb auch keine Vorsichtsmassregeln, und so fielen alsbald vier Städte zu den Gegnern ab, Sepphoris, Gamala, Gischala und Tiberias. Schnell aber brachte er dieselben ohne Schwertstreich wieder auf seine Seite, bekam dann durch List auch die vier Anführer sowie die mächtigsten der Bewaffneten in seine Gewalt und schickte sie nach Jerusalem zurück. Hier war das Volk nicht wenig über sie aufgebracht und würde sie wohl samt ihren Begleitern umgebracht haben, wenn sie sich nicht durch die Flucht gerettet hätten. 8. Aus Furcht vor Josephus hielt sich Joannes von nun an innerhalb der Mauern Gischalas. Wenige Tage nachher fiel übrigens Tiberias wieder ab, nachdem die Einwohner der Stadt die Hilfe des Königs Agrippa angerufen hatten. Dieser traf aber zu dem bestimmten
Seite 297Zweites Buch, 21. Kapitel. 297 Zeitpunkt nicht ein, und da an demselben Tage einige römische Reiter in der Stadt sich zeigten, erklärten die Bürger durch einen Herold den Josephus für der Stadt verwiesen. Ihr Abfall ward sogleich nach Taricheae gemeldet; indes mochte Josephus, weil er gerade fast alle seine Soldaten zum Einholen von Proviant ausgeschickt hatte, allein gegen die Abtrünnigen nicht ausrücken, anderseits auch nicht bleiben wo er war, weil sonst die Königlichen, während er zögerte, die Stadt erreichen konnten. Am folgenden Tage aber, der als Sabbat den Stillstand der Arbeiten gebot, war es ihm ohnehin nicht möglich, etwas zu unternehmen. So sann er denn darauf, die Abgefallenen zu überlisten: er liess die Thore von Taricheae schliessen, damit niemand seinen Plan denen, gegen welche er gerichtet war, verraten könne, und alle Kähne auf dem See zusammenbringen. Es fanden sich deren zweihundertdreissig, und in jedem waren nicht miehr als vier Schiffer. Mit ihnen fuhr er eiligst nach Tiberias. Er liess nun die halbleeren Nachen in einer Entfernung von der Stadt, wo man sie nicht deutlich sehen konnte, auf dem See umhertreiben, während er selbst mit nur sieben unbewaffneten Leibwachtern mehr in den Gesichtskreis der Stadt hineinfuhr. Kaum aber erblickten ihn seine Gegner, die ihn bis dahin noch geschmäht hatten, von der Mauer herab, als sie in der Meinung, alle Kähne seien mit Kriegern gefüllt, ihre Waffen von sich warfen, wie Schutzflehende mit Olivenzweigen schwenkten und ihn baten, die Stadt zu verschonen. 9. Josephus drohte ihnen mit allem Nachdruck und machte ihnen Vorwürfe darüber, dass sie, die zuerst sich zum Kriege gegen die Römer angeschickt hatten, ihre Krafte nun zum voraus im Bürgerzwist aufrieben, womit sie natürlich ihren Feinden den grössten Gefallen erzeigten. Weiterhin schalt er sie aus, dass sie jetzt den Mann, der für ihre Sicherheit sorge, aus dem Wege zu räumen suchten und sich nicht schämten, ihre Stadt dem zu verschliessen, der sie mit Mauern umgeben habe. Er
Seite 298298 Josephus, Geschichte desJfidischen Krieges. sei jedoch, so schloss er, bereit, diejenigen in Gnaden aufzunehmen, die ihre Schuld eingestehen und ihm behilflich sein wollten, sich der Stadt zu versichern. Daraufhin kamen alsbald die zehn einflussreichsten Bürger von Tiberias ans Ufer herab. Josephus liess sie in eines der Boote einsteigen und weit in den See hinausfahren. Alsdann beschied er fünfzig andere der angesehensten Mitglieder des Rates zu sich, als wollte er auch von ihnen das Gelöbnis der Treue entgegennehmen. Und immer wieder ersann er neue Vorwande, um noch mehr Bewohner der Stadt wie zum Abschluss eines 1tbereinkommens zu sich zu rufen. Den Steuerleuten der angefüllten Schiffe aber gab er Befehl, so schnell wie möglich nach Taricheae zu segeln und die Männer dort ins Gefängnis zu bringen, bis er endlich den ganzen, aus sechshundert Köpfen bestehenden Rat und etwa zweitausend vom niederen Volke in seine Gewalt bekommen und zu Schiff nach Taricheae geschleppt hatte. 10. Die übrigen gaben nun mit lautem Geschrei einen gewissen Kleitos als Hauptanstifter des Abfalls an, und da sie an Josephus die Aufforderung richteten, seinem Zorn gegen ihn freien Lauf zu lassen, erteilte er, weil er entschlossen war, niemand am Leben zu strafen, einem seiner Trabanten Namens Levi den Befehl, jenem die Hände abzuhauen. Der Trabant aber, der sich vor der Menge der Feinde fürchtete, weigerte sich, allein hinzugehen. Als nun Kleitos sah, wie Josephus selbst voll Unwillen ein Schiff bestieg und heraneilen wollte, um die Strafe zu vollziehen, bat er vom Ufer aus flehentlich, man möge ihm doch wenigstens die eine Hand lassen. Jesephus bewilligte ihm die Bitte unter der Bedingung, dass er selbst sich die andere Hand abschlage, und wirklich zog Kleitos mit der Rechten sein Schwert und hieb sich die Linke ab- so gross war seine Angst vor Josephus. Auf diese Weise unterwarf sich letzterer mit leeren Nachen und sieben Trabanten die Einwohner von Tiberias und brachte die Stadt wieder auf seine
Seite 299 Zweites Buch, 22. Kapitel
Seite. Wenige Tage darauf nahm er Gischala, das mit Sepphoris abgefallen war, und überliess es seinen Leuten zur Plünderung. Übrigens gab er alles, was er zusammenbringen konnte, den Bilrgern der Stadt zurück, ebenso denen von Sepphoris und Tiberias; denn er wollte ihnen, nachdem er sie überwältigt hatte, durch die Plünderung nur eine Warnung erteilen, und gewann sich nun durch Rückgabe des Eigentums ihre Zuneigung wieder.
Zweiundzwanzigstes Kapitel. Kriegsrüstungen der Juden. Simon, des Gioras Sohn, verlegt sich auf Räubereien.
1. Damit war die Gärung in Galilaea zu Ende, und man wandte sich nun, da die inneren Zwistigkeiten ruhten, zu den Kriegsrüstungen gegen die Römer. In Jerusalem setzten der Hohepriester Ananus und die Müchtigen, soweit sie nicht römisch gesinnt waren, die Mauer in Stand und liessen eine Menge Kriegsgerät anfertigen. Rings in der Stadt wurden Geschosse und vollständige Rüstungen geschmiedet; haufenweise beschäftigten sich die jungen Leute mit planlosen Waffenübungen, und überall herrschte ein lärmendes Getöse. Grösse Niedergeschlagenheit aber bemächtigte sich der friedliebenden Bürger, und gar viele brachen, den kommenden Jammer voraussehend, in laute Wehklagen aus. Auch stellten sich Wahrzeichen ein, welche von dem ruhigen Teile der Bevölkerung für unheilverkündend gehalten wurden, während die Anstifter des Krieges sie leichtfertig nach ihrem Gefallen auslegten. Noch ehe die Römer heranzogen, hatte Jerusalem bereits das Ansehen einer dem Untergang geweihten Stadt. Ananus gedachte nun die Kriegsrüstungen für kurze Zeit zu unterbrechen, um die I Aufständischen und den Wahnsinn der sogenannten Zeloten auf das allgemeine Wohl hinzulenken, doch
Seite 300 musste er der Gewalt weichen. Später l werde ich noch berichten, welches Ende er fand. 2. In der Toparchie Akrabatene brachte Simon, des Gioras Sohn, eine Menge Unzufriedener zusammen und verlegte sich auf Räubereien, wobei er nicht nur die Häuser der Reichen plünderte, sondern auch sie selbst körperlich misshandelte. Schon jetzt traten die Anfänge seiner späteren Tyrannei zutage. Ananus und die anderen obrigkeitlichen Personen schickten Truppen gegen ihn aus; er aber flüchtete sich mit seinen Spiessgesellen zu den Räubern nach Masada, 2 wo er bis zum Sturze des Ananus und seiner übrigen Gegner verblieb. Während dieser Zeit beteiligte er sich an den Streifzügen der Banditen. nach Idumaea, dessen Behörden infolge der vielen Mordthaten und beständigen Räubereien sich genötigt sahen, ein Heer zu sammeln und Besaftungen in die Dörfer zu legen. So standen damals die Dinge in Judaea.
1 IV, 5,
2. 2S. 17, 2 und 17, 8.
1. In welche Stimmung Nero geriet, als er von dem Wirrwarr in Judaea hörte. 2. Wie die Juden nach des Cestius Niederlage Askalon angriffen, aber zweimal geschlagen wurden und gegen zwanzigtausend Mann verloren. 3. Wie Vespasianus mit den in Antiochia stehenden Truppen nach Ptolemais zog, wo ihm Bürger von Sepphoris in Galilaea entgegenkamen und ihre Unterwerfung anboten. 4. Beschreibung von Galilaea und von ganz Judaea. Wie Josephus sich zur Einnahme von Sepphoris anschickte, aber von dem Tribun Placidus, der zu Hilfe eilte, zurückgeschlagen wurde. 5. Wie Titus von Achaja nach Alexandria übersetzte, dann von dort aufbrach und zu seinem Vater stiess, der so grosse Streitkräfte wie möglich zusammengebracht hatte. 6. Schilderung des römischen Heer- und Lagerwesens, sowie der übrigen vortrefflichen römischen Einrichtungen. 7. Wie Placidus von Jotapata zurückgeschlagen wurde, und wie Vespasianus von Ptolemais aufbrach und in Judaea einfiel. 8. Das römische Heer auf dem Marsche. 9. Wie die Juden in Schrecken gerieten, als sie die straffe Zucht der Römer gewahrten, und wie die Römer nach der Einnahme von Gabara alle Bewohner der Stadt ohne Unterschied des Alters niedermachten. 10. Wie Josephus durch seine Flucht nach Tiberias allen Einwohnern Furcht einjagte, und wie er ein Schreiben über den Stand der Dinge nach Jerusalem richtete, worauf er nach Jotapata zurückkehrte. 11. Wie Vespasianus, sobald er vernommen hatte, Josephus sei nach Jotapata geflohen, ihn dort belagerte. 12. Beschreibung von Jotapata. Wie Vespasianus, nachdem er allen freien Raum vor den Mauern mit Erdwerken ausgefüllt hatte, die Wurfmaschinen aufstellen liess. 18. Wie Josephus Gegenmassregeln traf, die Mauern erhöhte, den Seinigen das Trinkwasser sparsam zumass und andere Mittel ersann, um die Belagerung in die Länge zu ziehen. 14. Wie Josephus, als er die Hoffnung auf Erhaltung der Stadt aufgegeben hatte und sie deshalb verlassen wollte, von den Bürgeru daran gehindert wurde.
15. Über die Beschaffenheit der „Widder" genannten Maschine. Wie die Juden die Belagerungswerke der Römer in Brand steckten. 16. Von Eleazar, dem Sohne des Samaeas. Wie Vespasianus am Fuss verwundet wurde. 17. Von der Kraft der Ballisten und Katapulten, und wie weit die von den Geschossen derselben abgerissenen Körperteile geschleudert wurden. 18. Wie Vespasianus die Stadt mit dreifacher Sturmkolonne umgab, und was Josephus dagegen ins Werk setzte. 19. Wie Josephus siedendes Öl auf die Belagerer hinabgiessen mid die Sturmbrücken durch abgekochtes griechisches Heu schlupfrig machen liess. 20. Wie Vespasianus die Wille erhohen und festere BelagerungsTürme an die Stadt heranrücken liess. 21. Wie die nahe bei Jotapata gelegene Stadt Japha in diesen Tagen von den Römern erstürmt wurde, nachdem zuerst Trajanus und sodann Titus dorthin entsandt worden war. 22. Wie die Samariter von Cerealis gänzlich aufgerieben wurden. 23. Wie Jotapata infolge der Verräterei eines Überläufers eingenommen wurde, und wie der Centurio Antonius dabei umkanm. 24. Wie Josephus sich in einer Cisterne versteckte und samt einer Anzahl WaffengefAhrten dort verborgen blieb, aber, von einem Weibe verraten, den Entschluss fasste, sich den Römern zu ergeben. 25. Wie des Josephus Gefährten sich diesem Plan widersetzten, und welche Vorstellungen er ihnen darauf machte. 26. Wie er, unfithig, sie für seinen Plan zu gewinnen, sie beredete, durchs Los zu bestimmen, wer von ihnen durch die Hand seiner Gefährten umkommen solle, und wie er dann selbst mit noch einem anderen übrig blieb und den Römern vorgeführt wurde. 27. Des Josephus Ansprache an Vespasianus, und wie gnädig er von ihm behandelt wurde. 28. Wie Vespasianus nach Caesarea am Meer zurfckkehrte, um daselbst mit seinem Heere zu überwintern. 29. Wie die aus den zerstörten Städten entflohenen Juden sich zusammenscharten und Joppe wieder befestigten, aber von den Römern niedergemacht wurden, die alsdann die Stadt dem Erdboden gleichmachten. 30. Wie die Jerusalemer durch die Nachricht vom Schicksal Jotapatas erschuttert wurden, und wie sie zuerst, als ihnen der Tod des Josephus gemeldet ward, sich in Wehklagen ergingen, dann aber auf die Kunde, er werde von den Römern sehr Llrenvoll: ehandelt, in Erbitterung gerieten und nun noch stürmischer
Seite 303Drittes Buch, 1. Kapitel.30 303 nach dem Kriege verlangten, um an Josephus wie an den Römern ihre Rache kifühlen zu kbnnen. 31. Wie Vespasianus auf Agrippas Einladung von Caesarea am Meer nach Caesarea Philippi sich begab, wo er die Nachricht vom Abfall der Städte Tiberias und Taricheae erhielt. 32. Wie Tiberias genommen wurde, nachdem die Einwohner aus Reue über ihren Abfall um Verzeihung gebeten hatten. 33. Wie Titus von seinem Vater nach Taricheae geschickt wurde und, als er die Seinigen über die Menge der Feinde in Schrecken geraten sah, sie durch eine Ansprache errnutigte. 34. Wie die RP3nmer, durch des Titus Rede gestärkt und gehoben, Taricheae erstürmten und eine Menge Feinde niedermetzelten. 35. Beschreibung des Jordan und der Landschaft Gennesar. 36. Weiche Bebandlung der Feldherr Vespasianus den gefangenen Taricheaten zuteil werden liess. Erstes Kapitel. Nero betraut den Vespasianus mit der Führung des Krieges, gegen die Juden. 1. Ala Nero von den Unfälen in Judaea Kunde erhielt, ergriff ihn, wie natürlich, geheirne Angst und Bestürsung; jäusserlich jedoch spielte er den tlhermiltigen und behauptete in seinem Zorn, an dem Geschehenen aei mehr die Nachlässigkeit der Fführer als die Tapferkeit der Feinde achuld. Er glaubte nämlich, der Majestüt des Herrschera gezieme es, unglückliche Ereignisse für nichts zu achten und den Schein anzu-nehmen, ala sei seine Seele über alle Widerwärtigkeiten erhaben. Sein kuminervolles Wesen verriet indes deutlich die in seinem Inneren herrachende Unruhe. 2. Indern er nun überlegte, wem er den aufgeregten Orient anvertrauen solite, um die Juden fför ihren Abfall zu züchtigen und sich der Nachbarvslker, die ebenfalls scion vom Geiate der Empörung angesteckt waren, zu veraichern, fand er allein Vespasianusl der Aufgabe I Titus Flavius Vespasianus, geboren 9 n. Chr, hatte bis, dahin Kriegsdienste in Thrakien, Germanien, Britannien und Afrika gethan.
Seite 304 -- III 304 Josephus, Geschichte des JUdischen Krieges. gewachsen und fähig, die Führung eines Krieges von solcher Bedeutung zu übernehmen. War er doch der Mann, der, im Kriegsdienst aufgewachsen und ergraut, schon vor langerer Zeit das von den Germanen erschutterte Abendland den Römern wiedergewonnen, das bis dahin unbekannte Britannien mit Waffengewalt ihrer Oberherrschaft unterworfen und dadurch dem Vater Neros, Claudius, einen völlig mühelosen Triumph verschafft hatte. 3. Dies alles sah Nero als günstige Vorbedeutung an, und da er ausserdem das gesetzte Alter des kriegserfahrenen Mannes, seine bisherige, jetzt auch noch durch seine Söhne verbirgte Ergebenheit, sowie der letzteren jugendliche Kraft, deren sich die Klugheit des Vaters gleichsam als der Hand bedienen konnte, in Betracht zog, vielleicht aber auch, weil Gott schon alles zum voraus so geordnet hatte, sandte er ihn ab,1 um den Oberbefehl über die Heere in Syrien zu übernehmen, nachdem er zuvor, um seinen Eifer anzuspornen, im Drange der Not ihn auf mancherlei Weise zu begütigen und durch freundliches Benehmen zu gewinnen gesucht hatte.2 Vespasianus schickte nun von Achaja aus, wo er sich mit Nero befand, seinen Sohn Titus nach Alexandria, um dort die fünfte und zehnte Legion zu holen. Er selbst aber setzte über den Hellespont und kam auf dem Landweg in Syrien an, wo er die römischen Streitkräfte und von den benachbarten Königen zahlreiche Hilfstruppen zusammenzog. 1 67n.Chr.: Vorher nämlich war er ihm nicht besonders hold gewesen, weil Vespasianus häufig, wenn Nero sang, das Theater verliess oder.einschlief (s. Sueton, Vespas. 3).
Seite 305 Drittes Buch, 2. Kapitel. 30, Zweites Kapitel. Niederlage der Juden bei Askalon. Vespasianus marschiert nach Ptolemais. 1. Nach der Niederlage des Cestius durch ihre unerwarteten Erfolge übermütig gemacht, vermochten die Juden ihr Ungestüm nicht mehr zu mässigen und suchten, wie wenn ihr Glück sie nicht ruhen liesse, dem Kriege immer weitere Ausdehnung zu geben. Unverzüglich sammelte sich daher alles, was streitbar war, und brach gegen Askalon auf. Es ist dies eine alte, fünfhundertzwanzig Stadien von Jerusalem entfernt liegende Stadt, die den Juden von jeher verhasst war, weshalb sie auch jetzt das erste Ziel ihres Angriffs sein sollte. An der Spitze des Unternehmens standen drei durch Körperkraft und Einsicht hervorragende Männer, der Peraite Niger, der Babylonier Silas und der Essäer Joannes. Askalon war zwar stark befestigt, aber fast ohne Besatzungstruppen: es lagen nämlich in der Stadt nur eine Kohorte Fussvolk und eine einzige Reiterschwadron unter dem Kommando des Antonius. 2. In ihrer Erbitterung hatten die Juden ihren Marsch derart beschleunigt, dass sie auf einmal vor der Stadt auftauchten, als waren sie ganz aus der Nähe gekommen. Antonius aber, der von ihrer Absicht, Askalon anzugreifen, in Kenntnis gesetzt worden war, hatte bereits seine Reiter herausgeführt, hielt, ohne sich von der Menge der Feinde und ihrer Kühnheit einschuchtern zu lassen, ihre ersten Anläufe aus und schlug die, welche gegen die Mauer drängten, zurück. Ungeibt gegen kriegsgewandte Soldaten kämpfend, zu Fuss gegen Reiterei, regellos aufgestellt gegen dichtgeschlossene Haufen, Kriegern in voller RIstung gegenüber nur mit schnell zusammengerafften Waffen versehen, mehr von Zorneseifer als von vernünftiger Überlegung geleitet, und dabei Leuten gegenüberstehend, die wohldiscipliniert waren und alle Befehle auf den Wink hin vollzogen, wurden die Juden leicht überwältigt. Denn sobald ihre Joeephus, JUdischer Krleg. 20
Seite 306III I M: :7 IFÜI;I;;NW!2I! - n, ". - 306 . vordersten Reihen einmal in Verwirrung geraten waren, wandten sie sich vor den Reitern zur Flucht, stiessen auf diejenigen, die hinter ihnen der Mauer zudrängten, und verwundeten sich untereinander, bis endlich alles den Angriffen der Reiterei wich und über die ganze Ebene hin sich zerstreute. Diese aber war ausgedehnt und den Pferden überall zugänglich, was den Römern so sehr zu statten kam, dass sie die meisten Juden niedermetzeln konnten. Sie ritten nämlich den Fliehenden voraus und machten dann wieder kehrt gegen sie, sprengten die, welche auf der Flucht sich sammelten, auseinander und töteten sie massenweise. Andere umzingelten einzelne Haufen der Juden von allen Seiten, drängten sie zusammen und schossen sie mit leichter Mühe nieder. Die Juden kamen sich eben trotz ihrer grossen Anzahl verlassen vor, weil sie völlig den Kopf verloren hatten; den Römern aber, so wenige ihrer auch waren, verlieh ihr Glück das Gefühl, als hatten sie i brig genug Mannschaft. Indem nun die ersteren aus Scham über ihre rasche Flucht und in der Hoffnung auf eine günstige Wendung des Treffens mit ihrem Ungli/ck rangen und die anderen nicht müde wurden, ihr G iuc auszunutzen, zog sich der Kampf bis zum Abend hin. Schliesslich deckten zehntausend Juden, unter ihnen auch die beiden AnführerJoannes und Silas, als Leichen das Schlachtfeld, während die übrigen, der Mehrzahl nach verwundet, mit dem noch lebenden Niger sich in ein idumaeisches Städtchen Namens Sallis füchteten. Auf seiten der Römer waren in diesem Treffen nur wenige verwundet worden. 3. Die schreckliche Niederlage vermochte indes den Stolz der Juden nicht zu beugen, sondern das Unglück bestärkte sie in ihrer Tollkühnheit nur noch mehr, und ungeachtet der vielen Leichen, die zu ihren Füssen lagen, liessen sie sich durch ihre früheren Erfolge soweit verblenden, dass sie einer zweiten Niederlage geradezu in die Arme liefen. Sie gönnten sich nämlich nicht einmal so viel Zeit, als zur Heilung ihrerWunden
Seite 307 Dritts Buch, 2. Kapitel. 307 erforderlich war; vielmehr sammelten sie unverziglich ihre ganze Streitmacht wieder, um in noch grösserer Anzahl und mit grimmigerer Wut denn zuvor Askalon abermals anzugreifen. Dorthin aber folgte ihrer Unerfahrenheit und ihren sonstigen kriegerischen Mängeln auch ihr früheres Schicksal auf dem Fusse nach. Da nämlich Antonius schon vorher die Pässe besetzt hatte, fielen sie unvermutet in Hinterhalte, wurden, noch ehe sie sich in Schlachtordnung aufstellen konnten, von den Reitern umzingelt und verloren wiederum über achttausend Mann. Die übrigen ergriffen sämtlich die Flucht, unter ihnen auch Niger, der während des Rückzuges noch manche kühne That verrichtete. Der Feind aber setzte ihnen nach und trieb sie in einen festen Turm des Dorfes Bezedel zusammen. Um nun bei dem fast uneinnehmbaren Turm sich nicht aufhalten zu müssen und doch auch den Anführer der Feinde, der zugleich deren tapferster Krieger war, nicht lebendig entschlüpfen zu lassen, steckten die Leute des Antonius das Mauerwerk von unten in Brand. Kaum hatte das Feuer den Turm zerstört, als die Römer voller Freude davonzogen in der Meinung, auch Niger sei in den Flammen umgekommen. Dieser aber war aus dem Turm in den verborgensten unterirdischen Gang der Burg hinabgesprungen, wo er sich drei Tage später, als die Seinigen ihn wehklagend suchten, um ihn zu begraben, durch Rufe aus der Tiefe zu erkennen gab. Sein Erscheinen erfüllte alle Juden mit unverhoffter Freude; glaubten sie doch, dass Gottes Vorsehung ihnen in seiner Person einen Feldherrn für die Zukunft am Leben erhalten habe. 4. Vespasianus, um auf diesen zurückzukommen, übernahm also in Antiochia, der Hauptstadt Syriens, die, was Grösse und Wohlstand anlangt, unstreitig den dritten Platz1 unter den Städten des römischen Weltreiches einnimmt, sein Heer und vereinigte sich daselbst I Nach Rom und Alexandria. 20*
Seite 308~~O8 ~ Josephus GOeschiehte des Jfldischen Krieges. auch mit dem. König Agrippa, der an der Spitze seiner gesamten Streitmnacht ihn erwartet hatte; alsdann ejite er nach Ptolemais. In dieser Stadt kamen ihm. friedlich gesinnte Bdrger von Sepphoris in Galilaea entgegen, die in rechter Würdigung ihres eigenen Vorteils und der Macht der Römer schon vor der Ankunft des Vespasianus mit Cestius Gallus ein Abkommen getrofflen und B3esaftungstruppen erhalten hatten. Zu freundlicher Begrüssung traten sie jetzt vor den Feldherrn hin und versprachen, am Kampfe gegen ihre Landsleute teilnehmen zu wollen. Auf ihre Bitte bewilligte Vespasianus ihnen eine Besatzung von Reiterei und Fussvolk, die seinem, Daffthralten nach stark genug war, um etwaigen Angriffen unruhiger Juden Widerstand zu leisten; denn der Verlust von Sepphoris schien ihm. für den bevorstehenden Krieg sehr gefährlich, da es die gr15sste Stadt Galilaeas war, die denkbar festeste natürliebe Lage hatte und ein für die tMerwachung des ganzen Volkes hüchst wichtiger Posten werden kounte. Drittes Kapitel. Beschreibung von Galilaea, Samaria und judaca. 1. Galilaea zerfüllt in das sogenannte Ober- und Unterland und ist von Pboenicien und Syrien umgeben.2 Gegen Westen wird es begrenzt von Ptolemais u-nd seinem Gebiet sowie vom. Karmel, dem. einst galäaeischen, jetzt aber tyrischen Gebirge, an welchem die Reiterstadt Gaba liegt, so genannt, weil sich in ihr die vom König Herodes aus dem. Dienst entlassenen Reiter angesiedelt hatten.3 Im. Süden zieht es sich an dem Samariterland und Skytbopolis entlang bis zum Jordanflusse. Gegen Osten stossen daran die Bezirke von 1 D. i. Nord- und Sügalilaea. 2 Nämlich im Westen und Norden. S. J. A. XV, 8, 5.
Seite 309 Drittes Buch, 3. Kapitel. Hippos und Gadara, ferner Gaulanitis und das Königreich des Agrippa1; im Norden endlich schliesst sich Tyrus und dessen Gebiet an. Das galilaeische Unterland erstreckt sich der Länge nach von Tiberias bis Chabulon unweit des Küstenstriches von Ptolemais, und der Breite nach2 von dem Dorfe Xaloth in der grossen Ebene bis Bersabe, wo die Breiteausdehnung von Obergalilaea beginnt und sich bis zu dem Dorfe Baka an der tyrischen Grenze fortsetzt, während die Länge des Oberlandes von Thella, einem Dorfe am Jordan, bis Meroth reicht. 2. Ungeachtet des geringen Umfanges dieser beiden Landschaften und ihrer durchweg nichÜüdischen Umgebung hielten die Galilier doch jedem feindlichen Angriff stand, da sie von Jugend auf mit dem Kampfe vertraut waren und allzeit eine bedeutende Kopfzahl aufwiesen. Den Männern fehlte es nie an Mut, und dem Lande nie an Männern; letzteres nämlich ist ippig und weidereich, mit Biumen aller Art in Hulle und Fülle bepflanzt und so ergiebig, dass es auch den trigsten Landmann zur Arbeit anregt. So kommt es, dass das ganze Land von seinen Bewohnern angebaut ist und kein Teil desselben brach liegt. Aus dem nämlichen Grunde hat es eine Menge von Städten, und auch die Bevölkerung der Dörfer ist wegen der Fruchtbarkeit des Bodens überall so dicht, dass selbst das kleinste Dorf mehr als fünfzehntausend Einwohner zählt.8 3. Überhaupt, wenn man auch der Grösse nach Galilaea unter Peraea setzen will, muss man doch, was Bedeutung angeht, dem ersteren den Vorrang lassen. Denn es ist seiner ganzen Ausdehnung nach angebaut und geradezu überreich an fruchttragenden Gewichsen; Peraea dagegen ist zwar viel grosser, aber doch meistenS. unten Abschnitt 5. Länge bedeutet hier die Ausdehnung von Osten nach Westen, Breite die von Norden nach Süden. 8 Vergl. hierzu von Raumers schone Untersuchung: Die Glaub. würdigkeit des Josephus (von Raumer, Palaestina, 4. Aufl, S. 46öff.).
Seite 310 -Wä- d 310 . teils menschenleer, rauh und zum Anbau der edlen Früchte zu wild. Die weniger rauhen, fruchtbaren Strecken indes und die mit verschiedenartigen Bäumen bepflanzten Ebenen werden meist zum Anbau des Öl -baumes, des Weinstockes und der Palme benutzt und sind von Gebirgsbachen oder, falls diese etwa vom Glutwind ausgetrocknet werden sollten, von beständig fliessenden Quellen hinlänglich bewässert. Der Länge nach erstreckt sich Peraea von Machaerus bis Pella, der Breite nach von Philadelphia bis zum Jordan, und zwar liegt Pella an der Nordgrenze, während der Jordan die Westgrenze bildet; im Süden ist Moabitis das Nachbarland, und im Osten stösst es an Arabien, Silbonitis,1 das Gebiet von Philadelphia und an Gerasa. 4. Das Samariterland liegt in der Mitte zwischen Judaea und Galilaea. Es beginnt bei dem Dorfe Ginaea in der grossen Ebene und endet bei der Toparchie Akrabatene.2 Seine natürliche Beschaffenheit ist genau dieselbe wie die von Judaea; beide Landschaften nämlich sind reich an Bergen und Ebenen, leicht zu bebauen, fruchtbar, mit Bäumen besit und voll wilden und zahmen Obstes. Natürliche Bewasserung ist nirgends reichlich vorhanden, dafür aber fällt um so mehr Regen. Die fliessenden Gewasser sind alle ausnehmend süss, und die Fülle guter Futterkrauter macht das Vieh hier milchreicher als sonstwo. Der beste Beweis für die Trefflichkeit und den Fruchtreichtum beider Landschaften ist die Dichtigkeit ihrer Bevilkerung. 5. Auf der Grenze zwischen Samaria und Judaea liegt das Dorf Anuath mit dem Beinamen Borkeos, und —: zwar bildet dasselbe den Grenzort Judaeas gegen: Norden, während das Südende der Landschaft- diese der Länge nach gemessen - durch ein an der Grenze gegen Arabien liegendes Dorf bezeichnet wird, welches die Wohl dasselbe wie Sebonitis oder Essebonitis (s. II, 18, 1). 2 Die aber selbst schon zu Judaea gehörte (s. unten Abschnitt 5).
Seite 311Drittes Buch, 4. Kapitel. 811 dortigen Juden Jardas nennen. Die Breite erstreckt sich vom Jordanfluss bis Joppe.1 Genau in der Mitte Judaeas liegt Jerusalem, daher denn auch manche diese Stadt nicht unpassend den Nabel des Landes genannt haben. Übrigens entbehrt Judaea auch nicht die Annehmlichkeiten der See, da seine Meeresküste sich bis Ptolemais hinzieht. Eingeteilt wird es in elf Bezirke, welche Jerusalem gleichsam als Königsstadt beherrscht, indem es sich über das umliegende Land erhebt wie das Haupt über den Leib. Die übrigen Städte verteilen sich auf folgende Toparchien: Gophna, Akrabatta, Thamna, Lydda, Ammaus, Pella, Idumaea, Engaddai, Herodium und Jericho. Weitere Kreisstädte2 sind Jamnia und Joppe, und endlich kommen dazu noch3 die Toparchie Gamala, Gaulanitis, Batanaea und Trachonitis, welche zugleich zum Gebiete des Königs Agrippa gehören. Letzteres beginnt beim Libanongebirge und den Quellen des Jordan und reicht der Breite nach bis zum See Tiberias, während seine Länge von dem Dorf Arpha bis Julias sich erstreckt. Die Bevölkerung besteht aus einem Gemisch von Juden und Syrern. Soviel in möglichster Kürze von Judaea und seiner Umgebung. Viertes Kapitel. Josephus greift Sepphoris an, wird aber zurückgeschlagen. Des Titus Ankunft in Ptolemais. 1. Die Hilfstruppen, welche Vespasianus unter dem Kommando des Placidus den Sepphoriten geschickt hatte, tausend Reiter und sechstausend Mann zu Fuss,
1 Im Gegensatz zu Abschnitt 1 wird hier unter Breite die Auslehnung von Osten nach Westen, unter Länge die von Süden nach Norden verstanden.
2 Die jedoch nicht zu Judaea, sondern zu Syrien gehörten (siehe J. A. XVII, 13, 5).
3 Als Bestandteile von Palaestina überhaupt.
Seite 312 schlugen zunächst ein Lager in der grossen Ebene auf, um sich dann zu trennen: das Fussvolk wurde als Besatzung in die Stadt selbst gelegt, während die Reiterei im Lager verblieb. Beide Abteilungen unternahmen übrigens beständige Ausfälle und Streifzüge in die Umgegend und fügten dadurch dem Josephus und seinen Leuten, obwohl diese sich nicht rührten, grossen Schaden zu, plünderten alles im Umkreise der Stadt aus und trieben die Bewohner, wenn sie sich einmal hervorwagten, zurück. Nichtsdestoweniger machte Josephus einen Angriff auf die Stadt und hoffte sie zu erobern, nachdem er selbst sie vor ihrem Abfall von den Galiläern so stark befestigt hatte, dass es sogar den Römern schwer gefallen wäre, sie einzunehmen. Aber gerade deshalb schlug auch seine Hoffnung fehl: er war ebensowenig imstande, die Sepphoriten mit Gewalt zu bezwingen, ala sie durch Überredung auf seine Seite zu ziehen. Dagegen musste er nun sehen, wie der Feind mit um so grösserer Erbitterung im Lande hauste. Im Unwillen über seinen Anschlag nämlich verwüsteten die Römer unablässig bei Tage wie bei Nacht die Felder, raubten den Landbewohnern ihre Habe, machten die streitbare Mannschaft nieder und verkauften die Schwächeren als Sklaven. Ganz Galilaea war von Mord und Brand erfüllt, und keine Plage noch Drangsal gab es, die nicht über das Land gekommen wäre; denn die einzigen Zufluchtsorte für die Verfolgten waren die von Josephus befestigten Städte. 2. Unterdessen war Titus rascher, als die Winterszeit erwarten liess, von Achaja nach Alexandria übergesetzt und hatte die Streitmacht, die er dort holen sollte, übernommen. In Eilmarschen erreichte er alsbald Ptolemais, wo er mit seinem Vater zusammentraf und die zwei ausgezeichneten Legionen, die er selbst xmitgebracht hatte, die fünfte nämlich und die zehnte, mit der von Vespasianus geführten fünfzehnten ver-
1 Letztere aus Julius Caesars Feldzügen rühmlichst bekannt.
Seite 313 einigte. Hierzu kamen noch achtzehn Kohorten, und ausserdem hatten sich eingefunden fünf Kohorten von Caesarea nebst einer Reiterschwadron sowie fünf weitere Schwadronen, die aus syrischen Reitern bestanden. Zehn der Kohorten hatten je tausend, die übrigen dreizehn je sechshundert Mann zu Fuss, die Reiterschwadronen je einhundertzwanzig Mann. Weiterhin wurde ein zahlreiches Heer von den Königen zusammengebracht: Antiochus, Agrippa und Soemus stellten jeder gegen zweitausend Bogenschützen zu Fuss und tausend Reiter, und der Araber Malchus sandte tausend Reiter nebst fünftausend Mann Fusstruppen, grösstenteils Bogenschützen, sodass das gesamte Heer einschliesslich der königlichel Truppen sich auf etwa sechzigtausend Mann zu Fusa und zu Pferde belief. Nicht mitgezahlt ist dabei der Tross, der in grosser Anzahl folgte, obwohl derselbe wegen der auch ihm eigenen Obung im Kriege gleichfalls dem streitbaren Heere zugerechnet werden könnte. Im Frieden nämlich liegen die Diener den gleichen Üungen wie ihre Herren ob, und im Kriege bestehen sie mit ihnen dieselben Gefahren, sodass sie, was Schulung und Körperkraft angeht, von niemand als eben von ihren Herren übertroffen werden. Fünftes Kapitel. Schilderung des römischen Heer- und Lagerwesens. 1. Ist nun die Klugheit der Römer schon in dem einen Punkte zu bewundern, dass sie den Tross der Sklaven nicht nur zu den Dienstleistungen des täglichen Lebens, sondern auch für die Kriege brauchbar zu machen verstehen, so wird man, sieht man auf ihr sonstiges Heerwesen, erst recht inne, dass sie den Besitz ihres grossen Reiches nur ihrer eigenen Tüchtigkeit verdanken und nicht als Geschenk des Glückes anzusehen haben. Denn nicht im Kriege erst fangen sie an, sich mit den
Seite 314 Waffen vertraut zu machen, noch lassen sie die Tage der Not herankommen, ehe sie ihre Hände rühren, um sie dann im Frieden wieder sinken zu lassen, sondern sie leben, als waren sie in den Waffen geboren und aufgewachsen, in beständiger Cbung derselben und warten nicht erst bestimmte Zeiten dafür ab. Bei ihren Üungen zeigen sie denselben straffen Ernst wie im wirklichen Gefecht, und täglich muss jeder Soldat mit allem Eifer Dienst thun wie im Kriege. Daher kommt es, dass sie die Schlachten so leicht nehmen; kann doch weder Verwirrung ihre gewohnte Schlachtordnung auf1osen, noch Furcht sie ausser Fassung bringen, noch Anstrengung sie erschöpfen. Stets ist ihnen deshalb der Sieg über diejenigen sicher, welche ihnen in jenen Stücken nicht völlig gleichstehen. Recht treffend könnte man ihre Übungen unblutige Schlachten, ihre Schlachten blutige Übungen nennen. Auch durch plötzlichen Überfall kann der Feind nicht viel gegen sie ausrichten; denn wenn sie in Feindesland eingedrungen sind, lassen sie sich nicht eher auf eine Schlacht ein, als bis sie ein festes Lager aufgeschlagen haben. Letzteres aber legen sie nicht aufs geratewohl und in unregelmässiger Form an, noch so, dass alle durcheinander daran arbeiten; vielmehr wird zunächst der Platz, wenn er uneben ist, geebnet, und dann ein Viereck für das Lager abgesteckt.1 Hierauf macht sich die Schar der Handwerker mit den nötigen Bauwerkzeugen an die Arbeit. 2. Der innere Raum wird für die Zelte in Beschlag genommen; die äussere Umfriedigung aber bietet den Anblick einerMauer dar und ist in gleichen Abstanden mit Türmen versehen. In den Zwischenräumen zwischen den letzteren stellen sie die Schnellwurfmaschinen, Katapulten, Ballisten2 und sonstigen Schleuderwerkzeuge auf,
1 Viereckig war das Lager in den meisten Fällen, aber nicht immer.
2 Die Katapulte, in Gestalt einer riesigen Armbrust gebaut, schoss Pfeile oder auch Bleikugeln in horizontaler Richtung, während die Balliste mittels der Kraft einer gedrehten Tiersehne Steine in Bogenlinien schleuderte.
Seite 315 und zwar alle schussfertig. Vier Thore sind in die Umwallung gebaut, eines in jede Seite derselben, alle bequem für den Durchgang von Lasttieren und breit genug für etwa nötig werdende Ausfälle. Innen ist der Lagerraum regelrecht in Viertel abgeteilt. In die Mitte kommen die Zelte der Führer zu stehen, und in deren Mitte wieder erhebt sich, einem Tempel ähnlich, das Feldherrnzelt. Der übrige Raum stellt eine gleichsam aus dem Stegreif hingeworfene Stadt dar mit einer Art Marktplatz, einer Stätte für die Handwerker und Richtersitzen für die Obersten und Hauptleute, von denen aus sie etwaige Streitigkeiten schlichten. Die Verschanzung des Umkreises und die ganze innere Lagereinrichtung wird übrigens von den zahlreichen und geschickten Arbeitern mit der Schnelligkeit des Gedankens vollendet. Im Notfall kommt dazu noch ein Graben, der an der Aussenseite der Umwallung vier Ellen tief und ebenso breit gezogen wird. 3. Sind die Verschanzungen fertig, so lagern die Soldaten in Ruhe und Ordnung in den Zelten. Auch alle übrigen Verrichtungen werden von ihnen mit derselben Regelmässigkeit und Pünktlichkeit vollzogen: das Holztragen, die Herbeischaffung des nötigen Proviants und das Wasserholen besorgt immer diejenige Abteilung, die an der Reihe ist. Ferner darf niemand sein Frühstuck oder Mittagsmahl einnehmen, wann es ihm beliebt, sondern es geschieht dies von allen gleichzeitig. Zum Schlafengehen, zum Wachen und zum Aufstehen giebt die Trompete das Zeichen; nichts erfolgt ohne Kommando. Mit Tagesanbruch erscheinen sämtliche Soldaten vor den Centurionen, um sie zu begrüssen, diese ebenso vor den Tribunen, mit welchen sodann alle Offiziere zu demselben Zweck vor den Oberbefehlshaber treten. Dieser giebt ihnen nun herkömmlicherweise die Losung und die sonstigen Befehle, damit sie dieselben ihren Untergebenen mitteilen. Letzteres Verfahren beobachten sie auch in der Schlacht, wodurch es ihnen möglich wird, in dichten Massen schnelle Bewegungen zum Angriff
Seite 316 oder zum Rückzug, je nachdem das eine oder andere erforderlich ist, auszuführen. 4. Soll das Lager verlassen werden, so ertönt ein Trompetensignal. Niemand bleibt da noch müssig; auf den ersten Wink werden die Zelte abgebrochen und alles zum Abmarsch in Bereitschaft gesetzt. Abermals giebt die Trompete ein Zeichen, dass man sich fertig machen solle. Eiligst laden nun die Soldaten den Mauleseln und den übrigen Lasttieren das Gepäck auf und stehen dann wie die Wettlaufer hinter der Schranke, zum Aufbruch gerüstet. Hierauf stecken sie die Verschanzungen in Brand, einmal weil sie an der Stelle des Lagers mit leichter Mühe ein neues errichten können, und dann auch um zu verhüten, dass der Feind sich ihrer zu seinem eigenen Vorteil bediene. Ein drittes Trompetensignal kündigt den Abmarsch an uud treibt die aus irgend einem Grunde noch Zögernden zur Eile, damit niemand an seinem Platz fehle. Nun fragt der zur Rechten des Feldherrn stehende Herold dreimal in römischer Sprache, ob alles zum Kampf bereit sei. Als Antwort rufen die Soldaten ebenso oft ein lautes und freudiges Ja; zuweilen auch warten sie die Frage gar nicht ab, sondern erheben die rechteHand und lassen voll kriegerischer Begeisterung ein weithin schallendes Geschrei ertönen. 5. Alsdann rücken sie aus und ziehen ruhig und in grösster Ordnung ihres Weges; jeder hält seinen Platz im Gliede bei wie in der Schlacht. Das Fussvolk ist mit Brustharnisch und Helm ausgerüstet und tragt an beiden Seiten eine Schneidwaffe; das Schwert zur Linken ist bedeutend länger als die Waffe rechts, die nur in einem spannenlangen Dolch besteht. Die auserlesenen Fusssoldaten in der engeren Umgebung des Feldherrn führen Lanzen und runde Schilde, der übrige Teil des Fussvolkes Speere und langliche Schilde, Sige und Korb, Spaten und Axt, ausserdem noch Riemen, Sichel,l
1 Die Riemen dienten zur Fesselung der Gefangenen, die Sicheln zum Durchschneiden von Stricken oder Riemen, mit denen etwa römische Soldaten gebunden sein sollten.
Seite 317 Kette und Proviant für drei Tage, sodass die Fussginger beinahe so viel wie dieLasttiere zu tragen haben.2 Die Reiter haben an der rechten Seite ein langes Schwert, in der Hand einen kürzeren Speer; an der Seite des Pferdes hängt querüber ein länglicher Schild; im Köcher führen sie drei oder mehr Wurfspiesse mit breiter Spitze und von der Länge einer Lanze. Helm und Panzer sind dieselben wie beim Fussvolk. Die auserlesenen Reiter in der Nähe des Feldherrn haben keine andere Ausrüstung wie die in den Schwadronen. Den Vortrab bildet immer diejenige Legion, welche durchs Los dazu bestimmt ist. 6. So halten es die Römer auf dem Marsch, im Lager und mit den verschiedenen Waffengattungen. Was nun die Schlachten betrifft, so geschieht in ihnen nichts ohne vorherige Überlegung oder aufs geratewohl, sondern es liegt jeder Handlung ein bestimmter Plan zu Grunde; umgekehrt folgt dem Entschluss auch gleich die Ausführung. Deshalb begehen sie fast gar keine Missgriffe, und jederVerstoss wird leicht wieder gut gemacht. Ein Unfall als Folge eines zuvor entworfenen Plänes ist ihnen immer noch lieber, als ein Glück, das ihnen derZufall verschafft. Sie sind eben der Meinung, dass ein ohne Zuthun des Handelnden gewonnener Vorteil zur Unvorsichtigkeit verleite, während vernünftiges Nachdenken, wenn es auch einmal nicht vom Glück begünstigt sei, das edle Streben im Gefolge habe, künftiges Misslingen zu verhiten. Auch seien zufällige Erfolge nicht das Werk dessen, dem sie zugut kamen; traurige Ereignisse dagegen, welcher aller Berechnung zum Trotz eintraten, gewahrten doch wenigstens noch den Trost, dass man gehörig überlegt habe. 7. Mit ihren Waffenübungen wollen sie übrigens ebensowohl den Körper als den Geist kräftigen. Ein
1 Nach Polybius wurde die längere Waffe rechts getragen. Die Darstellungen auf der Trajanssäule zeigen beide Arten der Gurtung.
Seite 318 weiteres Zuchtmittel ist die Abschreckung; denn ihre Gesetze bestrafen nicht nur Fahnenflucht, sondern auch geringere Vergehen mit dem Tode. Furchtbarer noch als die Gesetze ist die Strafgewalt der Feldherren, die nur dadurch, dass sie den Tapferen hohe Belohnungen zuerkennen, der Meinung entgegenarbeiten können, als verführen sie wirklich grausam gegen die Strafwürdigen. Der Gehorsam gegen die Führer ist aber auch so gross, dass das ganze Heer im Frieden den Anblick einer Parade, in der Schlacht den eines einzigen Körpers darbietet - so festgefügt sind die Reihen, so leicht die Schwenkungen, so gespannt die Ohren auf Befehle, die Augen auf Winke, so thatbereit die Hände. Daher sind die römischen Soldaten stets rasch zum Handeln entschlossen und nur sehr schwer in eine bedrängte Lage zu bringen. Stehen sie einmal in Schlachtordnung, so weichen sie weder der Oberzahl, noch der Kriegslist, noch der Schwierigkeit des Terrains, noch selbst der Ungunst des Glückes; denn fester als an letzteres glauben sie an den Sieg. Was wunder also, wenn ein Volk, das immer erst überlegt, bevor es handelt, und hinter dessen Beschlüssen ein so schlagfertiges Heer steht, im Osten den Euphrat, im Westen den Ocean, im Süden die fetten Gefilde Libyens, im Norden die Donau und den Rhein zu Grenzen seines Reiches hat? Der Besitz, kann man mit Recht sagen, ist immer noch kleiner, als die Besitzer verdienen. 8. Mit dieser Darlegung bezwecke ich übrigens nicht so sehr die Römer zu loben, als vielmehr die Unterjochten zu trösten und die Empörungslustigen auf andere Gedanken zu bringen. Vielleicht auch kann die Einrichtung des römischen Heerwesens denen zur Belehrung dienen, die Vortreffliches zu schatzen wissen, ohne es doch recht zu kennen. Nach dieser Abschweifung will ich nunmehr den Faden meiner Erzählung wieder aufnehmen.
1. Vespasianus hielt sich zunächst mit seinem Söhne Titus in PtolemaYs auf und brachte sein Heer in Ordnung. Unterdessen durchzog Placidus Galilaea, wo er eine Menge Einwohner aufgreifen und niedermachen liess. Freilich war das nur der schwächere und mutlos gewordene Teil der Galiläer; denn die streitbare Mannschaft floh, wie Placidus wohl. merkte, jedesmal in die von Josephus befestigten Städte. Er rückte daher gegen die festeste derselben, Jotapata, heran, in der Hoffnung, sie durch Überrumpelung leicht einnehmen, sich selbst dadurch bei den beiden Feldherren rühmlichst empfehlen und den letzteren einen bedeutenden Vorteil für die Weiterführung des Krieges verschaffen zu können; er glaubte nämlich, nach dem Falle der stärksten Festung würden die übrigen Städte sich wohl aus Furcht ergeben. Seine Hoffnung erwies sich indes als trügerisch; denn die Bewohner von Jotapata hatten seine Annäherung erfahren und erwarteten ihn vor der Stadt, wo sie in dem Bewusstsein, für das bedrohte Vaterland und für Weib und Kind zu streiten, kampfgerüstet und kampfesmutig in grosser Anzahl unversehens über die Römer herfielen. In kurzer Zeit hatten sie dieselben geworfen und viele von ihnen verwundet; doch gelang es ihnen nicht, mehr als sieben Römer zu töten, da die Feinde sich in grösster Ordnung zurückzogen. Zudem drangen die Schwerthiebe in die von allen Seiten wohlgeschützten Leiber der Römer nicht tief ein, und es wagten auch die leichtgerüsteten Juden ihre schwerbewaffneten Gegner weniger in der Nähe als vielmehr nur aus der Ferne mit Geschossen anzugreifen. Auf seiten der Juden betrug der Verlust drei Tote und wenige Verwundete. Placidus aber überzeugte sich, dass er zum Angriff auf die Stadt zu schwach sei, und wandte sich zur Flucht.
Seite 320 2. Nun entschloss sich Vespasianus, selbst in Galilaea einzufallen, und brach deshalb von Ptolemais auf, indem er das Heer nach römischer Sitte sich in Marsch setzen liess. Vorauf nämlich schickte er die leichtbewaffneten Hilfstruppen und die Bogenschützen, welche unvermutete Angriffe der Feinde zurückschlagen und verdächtige, zu Hinterhalten geeignete Waldungen durchsuchen sollten. Ihnen folgte eine Abteilung römischer Schwerbewaffneter, Reiterei sowohl als Fussvolk, und diesen von jeder Centurie zehn Mann, welche ausser ihrem eigenen Gepäck die Werkzeuge zum Abstecken des Lagers trugen. Hierauf kamen die Strassenarbeiter, deren Aufgabe es war, höckerige Stellen der Heerstrasse abzutragen, schwer beschreitbare Strecken zu ebnen und hinderliches Buschwerk zu entfernen, damit das Heer nicht infolge allzu beschwerlichen Marschierens ermatte. An sie schloss sich das Gepäck des Feldherrn und der Unterbefehlshaber unter Bedeckung einer zahlreichen Reiterschar, und dann ritt er selbst einher, gefolgt von auserlesenem Fussvolk, Reiterei und Lanzenträgern. Es kamen nun die den Legionen besonders zugeteilten Reiter, deren jede einhundertzwanzig hat, weiterhin die Maultiere mit den Wändeltirmen und den übrigen Belagerungsmaschinen; hierauf die Legaten, die Befehlshaber der Kohorten und die Tribunen, von auserlesener Mannschaft umgeben. Hinter diesen wurden die Feldzeichen getragen, in ihrer Mitte der Adler, den bei den Römern jede Legion an der Spitze fuhrt. Als König und als der stärkste aller Vogel ist er ihnen ein Sinnbild der Herrschaft und scheint ihnen den Sieg über jeden Feind, gegen den sie zu Felde ziehen, zu verkünden. Diesen Heiligtümern 1 folgten die Trompeter, und dann erst kam die Hauptmasse des Heeres in sechs Mann hohen Reihen, begleitet von einem Centurio, der herkömmlicherweise die Ordnung zu beaufsichtigen hat. Der Tross jeder
1 Die Adler galten als die Gottheiten der Legionen und genossen thatsächlich göttliche Verehrung (s. unten VI, 6, 1 und Tacitus, Annalen, II, 17).
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Legion mit dem von Last- und Zugtieren beforderten Gepäck der Soldaten schloss sich unmittelbar an das Fussvolk an, und hinter den sämtlichen Legionen marschierte das Söldnerheer, dem der Sicherheit halber noch der Nachtrab folgte, bestehend aus Leicht- und Schwerbewaffneten sowie einer Menge Reiterei. 3. In dieser Weise marschierte Vespasianus mit seinen Truppen und langte alsbald an den Grenzen Galiaeas an, wo er ein Lager aufschlagen liess und den Kriegseifer seiner Soldaten vorläufig noch zurückdrängte, einmal um den Feinden dadurch, dass er ihnen seine Heeresmacht vor Augen stellte, Schrecken einzujagen, und dann auch, um ihnen vor Beginn des eigentlichen Kampfes noch eine Frist zu etwaiger Sinnesanderung zu geben; gleichzeitig jedoch traf er schon Vorbereitungen zur Erstürmung der Festungen. Wirklich brachte auch das Erscheinen des Feldherrn viele der Empörer auf andere Gedanken; Schrecken aber flösste es allen ein. Diejenigen Juden, welche unter dem Kommando des Josephus nicht weit von Sepphoris bei einer Stadt Namens Garis lagerten, hatten kaum vernommen, dass der Krieg ihnen näher rücke und die Römer drauf und dran seien, mit ihnen handgemein zu werden, als sie, ohne einen Kampf zu wagen, ja selbst ohne ihre Gegner auch nur zu Gesicht bekommen zu haben, in wilder Flucht auseinanderstoben. Josephus, bei dem nur wenige seiner Leute ausharrten, sah wohl ein, dass er mit diesem Hauflein dem Feinde nicht entgegentreten könne, und da er zugleich wahrnahm, wie sehr den Juden der Mut gesunken war und wie sie der Mehrzahl nach wohl gern die Hand zum Vergleich geboten hatten, wenn sie nur auf Zutrauen rechnen durften, beschloss er in banger Sorge um den endlichen Ausgang des Krieges, für den Augenblick der Gefahr so weit als möglich aus dem Wege zu gehen, und foh daher mit denen, die ihm treu geblieben waren, nach Tiberias.
1. Vespasianus griff nun die Stadt Gabara1 an und nahm sie beim ersten Anlauf ein, da er sie von der streitbaren Mannschaft verlassen fand. Gleich nach seinem Einzug liess er alles ohne Unterschied des Alters niedermetzeln; denn in ihrem Hass gegen die Juden und im Andenken an das, was Cestius hatte ausstehen müssen, kannten die Römer kein Erbarmen. Sodann gab er Befehl, nicht nur die Stadt selbst, sondern auch alle Dörfer und Flecken der Umgegend in Brand zu stecken. Letztere traf man der Mehrzahl nach völlig menschenleer, und nur in einigen derselben waren die Bewohner geblieben, die nun sämtlich in die Sklaverei verkauft wurden. 2. In der Stadt, die Josephus als Zufluchtsort gewählt hatte, verbreitete seine Ankunft als Flüchtling gewaltigen Schrecken. Die Bewohner von Tiberias waren nämlich überzeugt, dass er niemals geflohen sein würde, wenn er nicht an dem glücklichen Ausgang des Krieges völlig verzweifelt hätte. In letzterer Hinsicht hatten sie allerdings seine Meinung wirklich erraten; denn er sah wohl ein, wohin das Beginnen der Juden schliesslich führen müsse, und erkannte, dass es kein Heil für sie gab ausser in freiwilliger Unterwerfung. Er selbst aber wollte, wenngleich er von den Römern Verzeihung erhoffen zu dürfen glaubte, lieber hundertmal sterben als durch Verrat an seinem Vaterlande und durch Beschimpfung der ihm anvertrauten Feldherrnwürde sein Glück bei denen machen, die zu bekämpfen er gesandt war. Deshalb beschloss er, die Leiter des Aufstandes in Jerusalem von der Lage der Dinge genau zu unterrichten, um sich
1 Im Text steht: Gadara, doch lag diese Stadt, wie Paret zutreffend bemerkt, dem Vespasianus gar nicht im Wege, weshalb die Änderung in Gabara völlig berechtigt erscheint.
Seite 323 einerseits nicht durch übertriebene Schilderung der Stärke des Feindes später den Vorwurf der Feigheit zuzuziehen und anderseits nicht durch verkleinernde Darstellung diejenigen zu ermutigen, die etwa schon im Begriff standen, sich eines besseren zu besinnen. Er schrieb also, wenn man sich auf einen Vergleich einzulassen gesonnen sei, so solle man ihm unverzüglich antworten; sei man aber zum Kriege entschlossen, so möge man ihm ein Heer senden, das es mit den Römern aufnehmen könne. Dieses Schreiben liess er schleunigst durch Boten nach Jerusalem überbringen. 3. Da Vespasianus erfahren hatte, dass die meisten Feinde nach Jotapata geflüchtet seien, und er überdies in der Stadt einen festen Stützpunkt derselben erkannte, beschloss er, den Platz zu zerstören. Zunächst sandte er deshalb Fussvolk und Reiterei voraus, um den steinigen, für Fussginger beschwerlichen und für Reiter gänzlich unpassierbaren Bergweg zu ebnen. In vier Tagen hatten diese Truppen die Arbeit vollendet und dem Heer eine breite Strasse eröffnet. Am fünften Tage, dem einundzwanzigsten des Monats Artemisios, langte Josephus von Tiberias her in Jotapata an und richtete durch sein Erscheinen den gesunkenen Mut der Juden wieder auf. Dem Vespasianus aber brachte ein Überläufer die willkommene Nachricht von der Ankunft des Josephus in Jotapata und riet ihm zum schleunigen Vorgehen gegen die Stadt, mit deren Eroberung er ganz Judaea in seine Gewalt bringen würde, wofern es ihm nur gelange, sich der Person des Josephus zu versichern. Der Feldherr nahm diese Nachricht wie die Kunde von einem überaus grossen Glücke auf; er hielt es für göttliche Fügung, dass gerade derjenige seiner Feinde, der im Ruf besonderer Klugheit stand, freiwillig in die Falle gegangen sei, und sandte deshalb sogleich den Placidus sowie den Decurio Ebutius, einen durch Tapferkeit und Einsicht ausgezeichneten Mann, mit tausend Reitern ab, um die Stadt einzuschliessen und auf diese Weise ein heimliches Ent weichen des Josephus zu verhindern.
Seite 324 4. Am folgenden Tage brach er selbst an der Spitze seiner gesamten Streitmacht auf und kam abends vor Jotapata an. Im Norden der Stadt, auf einer sieben Stadien davon entfernten Anhohe, lagerte er sich mit seinem Heere, da er den Feinden so nahe wie möglich zu Gesicht kommen wollte, um sie in Schrecken zu versetzen. Letzteres gelang ihm auch alsbald in so hohem Grade, dass kein Jude mehr über die Festungswerke hinauszugehen wagte. Sogleich anzugreifen lag übrigens nicht im Sinne der Römer, weil sie den ganzen Tag marschiert waren; sie beschrainkten sich vielmehr darauf, die Stadt mit einer doppelten Truppenkette zu umziehen und weiter draussen mit der Reiterei noch eine dritte zu bilden, um den Bewohnern jeden Ausweg zu versperren. Gerade hierdurch aber wurden die Juden, die jetzt an kein Entrinnen mehr denken konnten, zur Kihnheit angetrieben; denn nichts macht im Kriege kampfesmutiger als die Not. 5. Tags darauf erfolgte derängriff. Anfangs hielten die Juden, die in der Gegend geblieben waren und vor den Mauern ein Lager errichtet hatten, den Römern gegenüber stand; als aber Vespasianus die Bogenschützen, die Schleuderer und die ganze Masse der mit Wurfgeschossen versehenen Kämpfer vorrücken liess und selbst mit dem übrigen Fussvolk den steilen Abhang hinauförängte, von dessen Gipfel aus die Mauer leicht zu erstürmen war, fürchteteJosephus für die Stadt und machte an der Spitze der gesamten Besatzung einenAusfall. In dichten Scharen warfen sie sich auf die Römer und trieben dieselben von der Mauer weg, wobei sie manche tapfere und entschlossene That verrichteten. Freilich erlitten sie nicht weniger Schaden als sie zufügten; denn in dem gleichen Masse, wie sie selbst von der Verzweiflung, wurden die Römer vom Ehrgefühl angestachelt, und wenn auf seiten der letzteren Kriegserfahrung und Kraft die Waffen führte, so that dies bei den Juden Tollkühnheit, die mit Erbitterung sich paarte. Den ganzen Tag über tobte der Kampf, und erst mit einbrechender Nacht
Seite 325 gönnten die Juden sich Ruhe. Sie hatten eine Menge Römer verwundet und dreizehn getötet, während von ihren eigenen Leuten siebzehn gefallen und sechshundert verwundet waren. 6. Kaum graute der Tag, als sie abermals einen Ausfall gegen die Römer unternahmen und sich mit noch grösserer Hartnackigkeit in -den Kampf stürzten; denn der unerwartet erfolgreiche Widerstand vom vorhergehenden Tage hatte ihren Mut gewaltig gehoben. Aber auch die Romrer wehrten sich kräftiger, weil das Ehrgefühl ihre Wut aufs äusserste steigerte und es ihnen wie eine Niederlage vorkam, dass sie nicht sogleich gesiegt hatten. Bis zum fünften Tage griffen so die Römer ohne Unterlass an, während die Jotapatener ihrerseits die Ausfälle und Mauerkampfe mit stets wachsender Erbitterung fortsetzten, und wie die Juden nicht im mindesten von der Übermacht der Römer eingeschüchtert wurden, so liessen sich anderseits die letzteren durch die Schwierigkeiten, welche ihnen die Einnahme der Stadt zu bieten schien, nicht entmutigen. 7. Jotapata liegt fast ganz auf einem steilen Felsen, an dessen Seiten so tiefe Schluchten abfallen, dass es dem Hinabschauenden schon schwindelt, ehe noch sein Blick die Tiefe ermisst; nur im Norden ist die Stadt zugänglich, wo sie quer über den sich abflachenden Bergrücken hingebaut ist. Aber auch diesen Teil hatte Josephus in die Festungswerke mit eingeschlossen, damit der über ihm ansteigende Berg nicht von den Feinden besetzt werden konnte. Die Stadt war übrigens ringsum von anderen Bergen verdeckt und entzog sich deshalb völlig dem Anblick, bis man in ihre unmittelbare Nähe kam. In solcher Weise war Jotapata befestigt. 8. Trotz dieser starken natürlichen Beschaffenheit des Platzes und der Tollkühnheit der Juden war Vespasianus entschlossen, den Kampf fortzusetzen. Er befahl daher, die Belagerung noch eifriger zu betreiben, und berief seine Offiziere zusammen, um sich mit ihnen über die Art des Angriffs zu beraten. Man beschloss, gegen die
Seite 326 zugängliche Seite der Mauer einen Wall aufzuwerfen, worauf Vespasianus die sämtlichen Soldaten zum Herbeischaffen von Baumaterial aussandte. Während nun. eein Teil der Leute die Anhöhen in der Umgebung der Stadt abholzte und zugleich mit den Baumstammen eine Menge Steine heranschleppte, spannten andere zur Abwehr der von oben kommenden Geschosse Flechtwerk über Pfühle aus, unter dessen Schutz die Mannschaften an dem Wälle arbeiten konnten, ohne nennenswerte Verluste durch die von der Mauer herabgeschleuderten Wurfgeschosse zu erleiden. Wieder andere trugen die in der Nähe befindlichen Hügel ab und führten ihren Kameraden beständig Erde zu, sodass also die gesamten Arbeiten in drei Teile zerlegt waren und kein Mann untätig blieb. Die Juden ihrerseits warfen grosse Felsstücke und Geschosse aller Art von den Mauern auf die Schutzdächer der Feinde, und wenn dieselben auch nicht durchschlugen, so störten sie doch die Arbeiter durch das laute und furchtbare GetSse, welches sie verursachten. 9. Nun liess Vespasianus die Wurfmaschinen, deren das Heer im ganzen hundertsechzig besass, rings um die Stadt aufstellen und nach den die Mauern besetzt haltenden Juden richten. Alsbald spieen die Katapulten ihre Lanzen, und die Ballisten warfen kolossale Steine, Feuerbrande und dichte Schwarme von Pfeilen, welche nicht nur den Juden das Betreten der Mauern unmöglich machten, sondern auch noch einen Raum innerhalb derselben besträchen, zumal da ausser den Maschinen die zahlreichen arabischen Bogenschützen sowie alle Speerwerfer und Schleuderer in Thätigkeit traten. Obwohl nun die Juden an der Gegenwehr von oben herab gehindert waren, blieben sie doch nicht müssig; vielmehr machten sie nach Räuberart Ausfälle in kleineren Rotten, rissen den Arbeitern die Schutzdächer nieder und hieben auf die Wehrlosen ein. Hatten sie auf diese Weise die Schanzarbeiter zum Weichen gebracht, so zerstörten sie den Wall und steckten die Pfühle samt dem Flechtwerk
Seite 327 in Brand, bis endlich Vespasianus sich überzeugte, dass an den Verlusten nur die Trennung der Werke, deren Zwischenräume die Angriffe der Juden ermöglichten, schuld sei. Er liess demgemäss die Schutzdächer aneinander anschliessen, und da hiermit auch eine Verbindung für die Truppen selbst. hergestellt war, wurden die feindlichen Überfalle für die Folge vereitelt. 10. Zusehends wuchs nun der Damm empor, und als er schon beinahe die Höhe der Mauerzinnen erreicht hatte, erkannte Josephus, wie gefährlich es sein würde, wenn er keine Gegenmassregeln zur Rettung der Stadt traife. Er versammelte daher die Bauhandwerker und gab ihnen den Befehl, die Mauer zu erhohen. Da sie es aber für unmöglich erklärten, unter dem beständigen Geschosshagel zu bauen, ersann er für sie folgendes Schutzmittel. Er liess Pfahle einrammen und frisch abgezogene Ochsenhaute darüber ausbreiten, damit die Steine aus den Wurfmaschinen sich in den letzteren fangen, die übrigen Geschosse von ihnen abgleiten und die Feuerbründe durch die Nasse der Haute unschädlich gemacht werden möchten. Hinter dieser Bedeckung konnten nun die Bauleute ungefährdet Tag und Nacht arbeiten, die Mauer auf die Höhe von zwanzig Ellen bringen, zahlreiche Türme auf ihr erbauen und noch eine feste Brustwehr errichten. Infolgedessen sank den Römern, die bereits in der Stadt zu sein wähnten, gewaltig der Mut, und sie erstaunten ebensowohl über die Klugheit des Josephus als über die Geistesgegenwart der Belagerten. 11. Vespasianus selbst aber geriet über diese schlaue Erfindung und dieKühnheit der Jotapataner in heftigen Zorn, besonders da die letzteren, durch das Gelingen des Mauerbaues ermutigt, wiederum Ausfälle gegen die Römer machten. Scharmützel zwischen einzelnen Abteilungen, räuberische Anschläge aller Art, Plünderungen, bei denen man mitnahm, was man nur erhaschen konnte, und Einäscherungen von Belagerungswerken waren wieder an der Tagesordnung, bis Vespasianus beschloss,
den Kampf aufzugeben, sich vor die Stadt zu lagern und sie durch Aushungern in seine Gewalt zu bringen. Er glaubte nämlich, die Jotapatener würden entweder aus Mangel an den notwendigsten Lebensbedürfnissen ihn um Gnade bitten oder, wenn sie ihre Hartnackigkeit aufs äusserste trieben, durch Hunger zu Grunde gehen; jedenfalls hoffte er im Kampfe mit ihnen viel leichter fertig werden zu können, wenn er erst einige Zeit vergehen liesse und dann über seine entkräfteten Gegner herfiele. Er beschränkte sich daher fürs erste darauf, die sämtlichen Zugange zur Stadt bewachen zu lassen. 12. An Getreide und allen anderen Lebensmitteln ausser Salz hatten die Belagerten ltberfluss; dagegen mangelte es an Wasser, da sich in der Stadt keine Quelle befand und die Bewohner sich mit Regenwasser behelfen mussten. Es ist aber eine Seltenheit, wenn es zur Sommerszeit in jenen Landsträchen regnet. Da nun die Belagerung eben in dieseJahreszeit fiel, bemächtigte sich der Jotapatener beim Gedanken an den drohenden Durst grosse Mutlosigkeit, und sie wurden so niedergeschlagen, als wenn das Wasser schon ganz ausgegangen wäre. In anbetracht des Umstandes nämlich, dass die Stadt mit allen sonstigen Bedürfüssen reichlich versehen und der Kampfesmut der Männer ungeschwacht war, hatte Josephus, um die Belagerung auf eine den Römern unerwartete Weise in die Länge zu ziehen, das Trinkwasser in bestimmtem Masse austeilen lassen. Eine solche Sparsamkeit aber kam ihnen lästiger vor als wirklicher Mangel; dass sie nicht nach Belieben trinken konnten, reizte ihr Verlangen noch mehr, und sie lechzten, als ob sie schon am Verschmachten waren. Den Römern blieb dieser Zustand nicht unbekannt; sie sahen nämlich vönl ihrem Wälle aus über die Mauer hinweg, wie die Einwohner der Stadt an einem bestimmten Orte zusammenströmten und das Wasser zugemessen erhielten. Dorthin richteten sie auch ihre Geschütze und brachten so eine Menge Juden ums Leben.
Seite 329 Drittes Buch, 7. Kapitel
13. Bei dieser Sachlage konnte Vespasianus wohl hoffen, dass die Cisternen in Balde geleert und die Belagerten dann gezwungen sein würden, die Stadt zu übergeben. Um ihm diese Hoffnung zu benehmen, liess Josephus viele seiner Leute ihre Kleider ins Wasser tauchen und an den Brustwehren aufhängen, sodass die Mauer alsbald von Wasser troff. Das entmutigte und erschreckte die Römer; sahen sie doch, wie die, denen es ihrer Meinung nach an Trinkwasser gebrach, dasselbe zum Hohn massenhaft vergeudeten. Nun gab auch der Feldherr die Hoffnung auf, die Stadt durch Aushungern bezwingen zu können, und griff wieder zur Waffengewalt. Das war allerdings ganz nach dem Wunsche der Juden; denn da sie an der Rettung der Stadt wie an ihrer eigenen verzweifeln mussten, zogen sie den Tod im Kampfe dem durch Hunger und Durst bei weitem vor. 14. Ausser der erwähnten List ersann Josephus noch eine andere, um in den Besitz von Lebensmitteln zu gelangen. Durch eine unwegsame und deshalb von den feindlichen Posten wenig beachtete Schlucht auf der westlichen Seite des Thales wechselte er durch Boten ganz nach Belieben Briefe mit den Juden ausserhalb der Stadt und verschaffte sich so in reichem Masse die Lebensmittel, an denen es in der Stadt mangelte. Iierbei wies er seine Leute an, in der Regel an den Wachen vorbeizukriechen und den Rücken mit Fellen zu bedecken, damit sie, wenn einmal ein Posten bei Nacht ihrer gewahr würde, wie Hunde aussahen. Endlich aber kamen die Wachen hinter die List und umstellten die Schlucht. 15. Josephus sah jetzt übrigens, d::. die Stadt sich nicht lange mehr halten könne ülü dass, wenn er in, ihr bliebe, seine Rettung sehr fraglich sein würde; er beriet sich daher mit den angesehensten Männern über die Flucht. Die Jotapatener aber bekämen Wind davon, umringten ihn und baten ihn flehentlich, er möge sie. doch nicht im Stich lassen, da sie an ihm allein ihren
Seite 330 Rückhalt hatten. Er sei noch die letzte Hoffnung auf Rettung der Stadt; denn so lange er bleibe, würden sie alle freudig kämpfen, und selbst wenn sie in Gefangenschaft geraten sollten, sei er ihr einziger Trost. Ihm stehe es also schlecht an, vor dem Feinde zu fliehen, seine Freunde zu verlassen und aus dem Schiffe, das er bei ruhiger See betreten, beim Ausbruch des Sturmes zu entspringen. Dann sei das Verderben der Stadt besiegelt, da niemand mehr den Feinden entgegenzutreten wagen würde, wenn der fort wäre, der allen den Mut gehoben habe. 16. Von da an liess Josephus nicht mehr merken, dass es ihm um seine persönliche Sicherheit zu thun war, sondern er erklärte nun, lediglich zu ihrem Besten fortgehen zu wollen. Sein Verbleiben in der Stadt nämlich würde ihnen, wenn sie die Belagerung aushielten, nicht viel nützen; falle die Stadt aber, so gehe er unnitigerweise mit ihnen zu Grunde. Wenn er dagegen durch die Belagerer sich durchschliche, so könnte er ihnen draussen die wesentlichsten Dienste leisten; denn -er würde alsdann die Galilier auf dem Lande so schnell wie möglich sammeln und die Römer dadurch, dass er sie anderweitig beschaftige, von ihrer Stadt abziehen. Er sehe nicht ein, was er ihnen jetzt durch sein Bleiben nützen könne; vielmehr würden die Römer dann nur noch eifriger die Belagerung betreiben, da ihnen sehr viel daran liege, sich seiner Person zu bemächtigen. Erführen sie aber seine Flucht, so werde die Heftigkeit, mit der sie der Stadt zusetzten, bedeutend nachlassen. Gleichwohl vermochte er die Leute nicht zu überzeugen, sondern er bewirkte nur, dass das Volk sich noch mehr um ihn drängte. Knaben, Greise, und Weiber mit Säuglingen im Arm warfen sich weinend vor ihm nieder, umklammerten seine Füsse und flehten ihn unter lautem Schluchzen an, er möge doch bei ihnen bleiben und ihr Schicksal teilen - nicht, wie ich glaube, weil sie ihm seine Rettung missgönnten, sondern weil sie ihre eigene och erhofften; denn so lange sie Josephus bei sich
Seite 331 hatten, meinten sie, könne ihnen kein Leid widerfahren. 17. Überzeugt, dass das Benehmen der Menge, so lange er sich nachgiebig zeigte, das von Flehenden bleiben, dagegen in offene Gewalt umschlagen würde, wenn er auf seinem Vorhaben bestande, beschloss Josephus auszuharren, zumal da auch sein sehnliches Verlangen, wegzukommen, durch das Mitleid mit den jammernden Menschen bedeutend zurückgedrängt wurde. Er waffnete sich nun mit dem Mute der Verzweiflung, den die Lage der Stadt ihm einflösste, und rief aus: „Jetzt, da es keine Hoffnung auf Rettung mehr giebt, ist es Zeit, den Kampf zu beginnen, herrlichen Ruhm mit dem Leben zu erkaufen und sich durch Heldenthaten bei der Nachwelt zu verewigen!" Diesen Worten liess er alsbald die Ausführung folgen: er unternahm mit den rüstigsten Kämpfern einen Ausfall, zersprengte die feindlichen Vorposten, drang bis zum Lager der Römer vor, zerstörte die Dächer, unter denen die Schanzarbeiter sich bargen, und warf Feuer in ihre Werke. In gleicher Weise verfuhr er am folgenden und am dritten Tage sowie noch mehrere Tage und Nachte hindurch, ohne eine Spur von Kampfesmüdigkeit zu zeigen. 18. Durch diese Ausfälle litten die Römer grossen Schaden. Vor den Juden zu fliehen, schämten sie sich; zogen aber die Gegner sich zurück, so wurden sie durch die Schwere ihrer Rüstungen an der Verfolgung gehindert, sodass die Juden, nachdem sie den RömernVerluste beigebracht, ohne selbst welche zu erleiden, sich jedesmal wieder in die Stadt flüchten konnten. Vespasianus befahl daher seinen Schwerbewaffneten, den Angriffen der Juden auszuweichen und sich mit Menschen, die den Tod suchten, in kein Gefecht mehr einzulassen; denn nichts mache tapferer als Verzweiflung. Übrigens werde sich die Kampfeshitze der Juden von selbst abkuhlen, sobald ihr das Ziel fehle, wie das Feuer, wenn ihm der Brennstoff ausgehe. Auch zieme es den Römern, aur den sicheren Weg zum Siege zu wahlen, da sie ja
Seite 332 keinen Verteidigungs-, sondern einen Eroberungskrieg führten. Von nun an wurden mit der Zurücktreibung der Juden zumeist die arabischen Bogenschützen sowie die syrischen Schleuderer und Steinwerfer betraut; doce blieben auch die sämtlichen Wurfmaschinen in Thätigkeit, vor denen sich die Juden durchgehends mit Verlusten zurückzogen. Kamen sie aber einmal Maher an die Geschütze heran, so setzten sie den Römern arg zu und stritten mit wahrer Todesverachtung; dabei trat für die Kampfünfähigen auf beiden Seiten stets wieder frische Mannschaft ein. 19. Fast wollte es übrigens bei der Länge der Zeit und den vielen Ausfallen Vespasianus bedünken, als wäre er selbst der Belagerte. Er beschloss daher, da die Wälle sich schon den Mauern näherten, den Widder anrücken zu lassen. Es ist dies ein gewaltiger, einem Schiffsmast ähnlicher Balken; an seinem vorderen Ende trägt er einen Beschlag von starkem Eisen in Form eines Widderkopfes, woher er auch den Namen hat. In der Mitte ist er mit Seilen an einem anderen wagerechten Balken aufgehingt, der an beiden Seiten auf starken Pfühlen ruht. Von einer grossen Anzahl Männer rückwärts gezogen und dann wieder mit vereinter Kraft nach vorn geschnellt, stösst er mit dem an seiner Spitze angebrachten Eisen gegen die Mauern an.1 Kein Turm ist so fest, keine Mauer so dick, dass sie, wenn sie auch die ersten Stösse aushalten, bei energischer Wiederholung derselben standhalten konnten. Mit diesem Werkzeug also versuchte es jetzt der römische Feldherr; er trachtete nämlich mit möglichster Eile sich der Stadt zu bemächtigen, da eine längere Belagerung bei der Rührigkeit der Juden ihm nur Schaden bringen konnte. Gleichzeitig machten sich die Römer mit den Katapulten und den übrigen Wurfmaschinen herbei, um auf diejenigen zu schiessen, die etwa von der Mauer
1 Der Widder oder Sturmbock arbeitete unter einem besonderei Schutzdach (der testudo arietaria).
Seite 333 herab Widerstand leisten würden, und ebenso zogen sich die Bogenschutzen und Schleuderer möglichst dicht an die Stadt heran. Während nun angesichts dieser Zurüstungen niemand die Mauer zu besteigen wagte, schleppte ein Teil der Soldaten den Widder herbei, der zum Schutze der Bedienungsmannschaft wie der Maschine selbst rings von Weidengeflecht umgeben und oben auch noch mit Fellen bedeckt war. Beim ersten Stösse bereits erbebte die Mauer, und zugleich erhoben die Belagerten ein lautes Geschrei, wie wenn die Stadt schon erstürmt wäre. 20. Als Josephus sah, dass die Römer immer gegen dieselbe Stelle der Mauer stiessen und diese dem Einsturz nahe war, ersann er ein Mittel, um die Gewalt der Maschine in etwa zu brechen. Er befahl nämlich seinen Leuten, Sicke mit Spreu zu füllen und sie jedesmal an die Stelle hinabzulassen, gegen welche sie den Widder zielen sahen, damit seine Richtung unsicher und seine Stösse durch die Elastizitat der Sacke abgeschwächt würden. Den Römern erwuchs dadurch ein gewaltiger Zeitverlust, da die Juden von der Mauer herab die Sacke jedesmal dort anbrachten, wo die Maschine hinzielte, und sie den Stössen entgegenhielten, sodass die Mauer weniger unter deren Wucht zu leiden hatte. Endlich aber kamen die Römer auf den Gedanken, vorn an lange Pfahle Sicheln zu binden und damit die Sacke abzuschneiden. Auf diese Weise konnte der Widder von neuem in Wirksamkeit treten, und da nun die Mauer, frisch gebaut wie sie war, alsbald zu wanken anfing, griffen Josephus und seine Leute zu einem anderen Verteidigungsmittel: zum Feuer. Sie rafften nämlich alles dürre Reisig, dessen sie habhaft werden konnten, zusammen, machten in drei Abteilungen einen Ausfall und steckten die Maschinen, die Schutzdächer und die Pfahlwerke der Römer in Brand. Diese leisteten nur schwachen Widerstand, teils weil die Kühnheit der Belagerten sie ausser Fassung brachte, teils weil die Flammen der Verteidigung zuvorgekommen
Seite 334 waren. Denn das trockene Holz in Verbindung mit Erdharz, Pech und Schwefel verbreitete den Brand mit Blitzesschnelle, sodass in einer Stunde die mihsam errichteten Werke der Römer in Asche lagen. 21. Bei dieser Gelegenheit zeichnete sich ein Jude Namens Eleazar, der Sohn des Samaeus, aus Saab in Galilaea gebürtig, auf eine ruhm- und denkwürdige Weise aus. Er hob nämlich einen ungeheuren Stein auf und schleuderte ihn von der Mauer herab mit solcher Gewalt gegen den Sturmbock, dass er der Maschine den Kopf abschlug. Dann sprang er hinab, holte den Widderkopf mitten aus den Feinden heraus und trug ihn mit grosser Unerschrockenheit auf die Mauer zu. Sämtliche Feinde machten ihn nun zur Zielscheibe, und da er durch keine Rüstung geschützt war, wurde er von fünf Geschossen durchbohrt. Ohne indes darauf zu achten, erstieg er die Mauer, wo er infolge seiner Heldenthat aller Augen auf sich zog; gleich darauf aber stürzte er, unter seinen Wunden sich krümmend, mit dem Widderkopf herab. Nächst ihm erwiesen sich als besonders tapfer die beiden Brüder Netiras und Philippus aus dem Dorfe Ruma, gleichfalls Galilaeer. Sie drangen auf die Soldaten der zehnten Legion ein und warfen sich mit solchem Ungestüm den Römern entgegen, dass sie deren Reihen durchbrachen und alles, was ihnen in den Weg kam, vor sich hertrieben. 22. Ihnen nach stürzte Josephus an der Spitze der übrigen Mannschaft mit einer Menge von Feuerbranden hinaus und setzte die Maschinen sowie die Flecht- und Pfahlwerke der weichenden fünften und zehnten Legion in Brand, während andere eiligst die Werkzeuge und sämtliches Baumaterial unbrauchbar machten. Gegen Abend jedoch richteten die Römer den Sturmbock wieder auf und liessen ihn gegen die Stelle der Mauer wirken, die schon vorher beschadigt worden war. Da geschah es, dass einer von den Verteidigern der Mauer den Vespasianus in die Fusssohle traf. Die Wunde war zwar leicht, weil das Geschoss infolge der beträchtlichen
Seite 335 Entfernung seine Kraft verloren hatte; gleichwohl bemächtigte sich der Römer ein gewaltiger Schrecken. Da nämlich die nächste Umgebung des Feldherrn durch den Anblick des Blutes in Unruhe geriet, verbreitete sich die Nachricht von seiner Verwundung alsbald im ganzen Heere. Die meisten liessen nun von der Belagerung ab und scharten sich voll Angst und Bestürzung um ihren Feldherrn. Vor allen aber trieb den Titus die Sorge um seinen Vater herbei, und da seine Zuge ängstliche Aufregung verrieten, konnte es bei der Anhänglichkeit, mit der die Soldaten ihrem Führer zugethan waren, nicht ausbleiben, dass grosse Niedergeschlagenheit sich ihrer bemächtigte. Leicht jedoch beschwichtigte der Vater den besorgten Sohn und machte so auch der Unruhe im Heer ein Ende. Indem er nun die Schmerzen unterdrückte und allen um seinetwillen Erschrockenen sich zu zeigen suchte, feuerte er den Kampfeseifer gegen die Juden in noch höherem Grade an; denn jeder wollte jetzt als Rächer des Feldherrn der vorderste im Treffen sein. So stürmten sie denn, indem sie sich gegenseitig durch Zuruf ermunterten, alsbald wieder gegen die Mauer an. 23. Obwohl nun von den Leuten des Josephus einer nach dem anderen den Katapulten und Ballisten zum Opfer fiel, liessen sie sich doch nicht von der Mauer verjagen, sondern warfen mit Feuerbrinden, Eisen und Steinen gegen die, welche von Flechtwerk geschützt den Widder bedienten. Sie richteten indes gar nichts oder nur wenig aus, verloren aber selbst eine Menge Leute, da sie, ohne die Feinde zu sehen, beständig von diesen gesehen wurden. Von den Feuerbranden in ihrer eigenen Hand beleuchtet, boten sie den Römern wie bei Tagel ein deutliches Ziel und konnten sich vor den Geschossen der Maschinen, weil diese in der Ferne für sie unsichtbar waren, nicht schützen. So wurden sie haufenweise von der Gewalt der Schnellwurfmaschinen und
1 Es handelt sich um einen Angriff zur Nachtzeit.
Seite 336 Katapulten niedergeschmettert, während gleichzeitig die Wucht der von den Ballisten geschleuderten Steinmassen Mauerbrüstungen wegrüss und die Ecken der Täurme einschlug. Keine Schar von Kriegern ist so dicht, dass sie nicht von der Gewalt und Grösse eines solchen Steines bis zum letzten Glied niedergestreckt würde. Die Kraft des Geschützes kann man aus einigen Vorfallen dieser Nacht ersehen. Einem der Leute des Josephus, der auf der Mauer stand, wurde von einem Stein der Kopf abgerissen und sein Schadel drei Stadien weit weggeschleudert. Ferner wurde gleich nach Tagesanbruch eine schwangere Frau, die eben ihr Haus verlassen hatte, auf den Unterleib getroffen und ihr Kind ein halbes Stadion weit fortgerissen: so gross war die Gewalt der Balliste. Schrecklicher noch war das von den Maschinen verursachte Getöse und das Sausen der Geschosse. Ein Toter nach dem anderen sturzte mit drohnendem Gepolter von der Mauer herab; innen erhoben die Weiber ein entsetzliches Geschrei; von aussen mischte sich darein das Stöhnen der Sterbenden. An der Stelle, wo der Kampf tobte, troff die ganze Mauer von Blut, und man konnte sie auf Bergen von Leichen erklettern. Noch schauerlicher ward das Getöse durch den Wiederhall der umliegenden Berge, und nichts, was für Auge und Ohr schrecklich sein kann, fehlte in jener Nacht. Viele der Verteidiger Jotapatas starben in ihr den Heldentod, viele auch wurden verwundet. Um die Morgenwache1 gab die Mauer endlich den unaufhörlich!! arbeitenden Maschinen etwas nach; bevor indes die Römer ihre Sturmleitern anlegen konnten, hatte ein Teil d: er Leute des Josephus, die stark gepanzert waren, gegenüber dem eingestürzten Stücke der Mauer einen neuen Wall errichtet. 24. Gegen Morgen sammelte Vespasianus sein Heer
1 Die Nacht (sechs Uhr abends bis sechs Uhr morgens) war bei den Römern in vier Wachen von je drei Stunden geteilt. Unter der Morgenwache ist die letzte Nachtwache zu verstehen.
Seite 337 zum Sturm auf die Stadt, nachdem er ihm eine kurze Erholung von den Strapazen der Nacht gegönnt hatte. Da es ihm nun zunächst darum zu thun war, die Verteidiger von den eingestürzten Mauerteilen zu vertreiben, liess er seine tapfersten Reiter absitzen und sich, von Kopf bis zu Fuss bewehrt, mit vorgehaltenen Speeren in drei Linien vor dem zerstörten Mauerstück aufstellen, damit sie, sobald die Sturmleitern angelegt waren, zuerst in die Stadt eindrangen. Hinter ihnen nahm der Kern des Fussvolkes Stellung, während die übrige Reiterei am ganzen Berge herum der Mauer entlang aufmarschierte, um das heimliche Entweichen von Belagerten während der Erstürmung zu verhindern. Rückwärts von dieser Postenkette liess er in gleicher Ausdehnung die Bogenschützen antreten mit dem Befehl, sich schussfertig zu halten, ebenso die Schleuderer und die Bedienungsmannschaften der Geschütze. Andere beorderte er mit Leitern an die unversehrten Teile der Mauer, damit die Aufmerksamkeit der Belagerten dadurch, dass sie diese Leute abzuwehren versuchten, von der Bewachung der Bresche abgelenkt würde; die übrigen sollten dann von der Stelle, wo die Römer einzudringen gedachten, durch den Geschosshagel verjagt werden. 25. Josephus aber durchschaute diesen Plan und stellte deshalb die Ermatteten und die Greise an den unbeschadigten Teilen der Mauer auf in der Voraussetzung, dass ihnen hier kein Leid geschehen würde; in die Nähe der Bresche dagegen beorderte er die kräftigsten Abteilungen seiner Leute und an ihre Spitze wieder je sechs Krieger, deren besonders gefährdete Stellung er selbst teilte. Er wies sie an, ihre Ohren gegen das Schlachtgeschrei der Legionen zu verstopfen, damit sie nicht eingeschüchtert würden, und gegen die Menge der Pfeile sich dadurch zu schützen, dass sie sich auf die Knie niederliessen und ihre Schilde über die Köpfe hielten. Auch sollten sie sich ein wenig zurückziehen, bis die Bogenschützen ihre Köcher geleert hatten;
Seite 338 sobald aber der Feind die Sturmbrücken l werfen würde, sollten sie hervorstürzen und den Römern auf deren eigenem Bau entgegengehen. Ein jeder müsse kämpfen, nicht um seine Vaterstadt zu retten, sondern als ob er schon ihren Untergang rächen wolle. Ferner möchten sie sich vor Augen halten, wie die Feinde demnächst Greise, umbringen, Weiber und Kinder hinschlachten würden, und demgemäss, schon jetzt ihren Zorn ob der kommenden Greuel an denjenigen auslassen, die sie vertiben wärden. 26. In dieser Weise stellte Josephus, die beiden Hauptabteilungen seiner Leute auf. Als, aber jetzt die vielen unbeschäftigten Einwohner, die Weiber und die Kinder nämlich, die Stadt wie mit einem dreifachen Gürtel von Kriegern umzogen sahen, während zugleich auch die bereits früher vorhandenen Wachen ihre Posten beibehielten, als, sie ferner bemerkten, wie die Feinde, mit gezückten Schwertern vor der Mauerlücke standen, die über der Stadt sich erhebenden Berge von Waffen schimmerten und die Geschosse der arabischen Bogenschützen eben abzufliegen drohten, da erhoben sie ein Jammergeschrei wie die letzte Trauerklage über den Untergang der Stadt, als ob das, Unglück nicht erst bevorstünde, sendern schon da, wäre. Damit nun die Weiber den Kampfesmut der Ihrigen nicht durch Erregung von Mitleid. schwächten, hiess Josephus sie in die Häuser einschliessen und legte ihnen unter Drohungen Stillschweigen auf. Alsdann begab er sich auf seinen Posten vor der Bresche, den ihm das Los bestimmt hatte, ohne auf diejenigen Römer, welche den anderen Teilen der Mauer mit Leitern sich näherten, weiter zu achten, und sah mit gespannter Erwartung dem Abfliegen der Geschosse entgegen. 27. Plötzlich schmetterten die Trompeten sämtlicher Legionen, das Heer erhob ein fürchterliches Schlacht-
1 Diese Brücken wurden von den hö1zernen, auf Walzen oder Ldern beweglichen Belagerungstürmen aus geschlagen.
Seite 339 geschrei, und auf ein gegebenes Zeichen wurden von allen Seiten die Pfeile abgeschossen, sodass die Luft sich verfinsterte. Die Leute des Josephus jedoch, eingedenk seiner Weisungen, schützten ihre Ohren vor dem Geschrei, ihre Leiber vor den Geschossen, und als die Sturmbrücken geworfen wurden, stürzten sie sich auf ihnen den Feinden entgegen,- bevor noch die letzteren den Fuss darauf gesetzt hatten. So gerieten sie mit den anrückenden Römern ins Handgemenge, wobei sie zahlreiche von Kraft und Mut zeugende Thaten verrichteten und sich bestrebten, trotz ihrer verzweifelten Lage den weniger gefährdeten Feinden an Tapferkeit nicht nachzustehen. Sie liessen daher von den Römern nicht eher ab, als bis sie entweder selbst gefallen waren oder den Gegner getötet hatten. Da aber die Juden unter der anhaltenden Gegenwehr schliesslich ermatteten und durch frische Truppen nicht abgelost werden konnten, während auf seiten der Römer anstelle der erschöpften Kämpfer stets wieder neue eintraten und für zurückgeschlagene Abteilungen alsbald andere ins Gefecht geführt wurden, so gelang es den letzteren, indem sie sich gegenseitig durch Zurufe ermunterten und nach oben hin mit ihren Schilden sich deckten, eine festgeschlossene, undurchdringliche Masse zu bilden. Mit ihrer ganzen Wucht drängten sie nun, als waren sie ein einziger Leib, die Juden zurück, und schon waren sie drauf und dran, die Mauer zu ersteigen. 28. In dieser angstvollen Lage riet dem Josephus die Not (eine treffliche Erfinderin, besonders wenn Verzweiflung ihre Erfindungskraft scharft), die dicht zusammengedrängten Feinde mit siedendem Öl überschütten zu lassen. Viele seiner Leute hatten solches alsbald in grosser Menge zur Hand, als wenn sie sich schon vorher darauf eingerichtet hatten, und gossen es nun von allen Seiten auf die Römer hinab, denen sie dazu auch noch die glühend heissen Gefüsse auf die Köpfe warfen. Von dem Öl verbrannt, kamen die Römer völlig aus der Ordnung heraus und wälzten sich unter fürchterlichen
Seite 340 Schmerzen die Mauer hinunter; das Öl floss nämlich auch unter der Rüstung leicht vom Scheitel bis zur Fusssohle über den ganzen Leib hin und versengte das Fleisch wie eine Flamme, da es seiner Natur nach sich schnell erwärmt und wegen seiner Fettigkeit erst langsam wieder erkaltet. In ihre Panzer und Helme eingezwingt, konnten sich die Römer von dem Brande nicht losmachen, und da sie aufsprangen und sich in ihren Schmerzen hin und her wandten, stürzten sie schliesslich von den Brücken hinab; andere wurden, indem sie ihren eigenen vorwärts drängenden Leuten entgegenflohen, von den auf ihren Rücken einhauenden Juden mit leichter Muhe überwältigt. 29. Ebensowenig aber, wie die Juden ihre ftberlegung, verloren die Römer trotz ihres Unglücks den festen Mut, und obwohl sie die schrecklichen Leiden ihrer versengten Kameraden sahen, drangen sie doch gegen die Juden, die fortgesetzt Öl hinabgossen, vor, und jeder schmiahte seinen Vordermann, dass er ihn an der Entfaltung seiner Kraft hindere. Die Juden dagegen griffen, um das Vordringen ihrer Gegner zu vereiteln, zu einer weiteren List, indem sie abgekochtes griechisches Heul auf die Bretter der Sturmbrücken schütteten, sodass die Römer ausglitten und hinabrutschten. Niemand konnte sich aufrecht halten, mochte er nun fliehen oder vordringen wollen; vielmehr fielen sie entweder auf den Sturmbrücken rücklings zu Boden, wo sie zertreten wurden, oder sie stürzten in grosser Anzahl auf den Wall und wurden hier von den Juden erschossen. Die letzteren waren nämlich dadurch, dass ihre Gegner zu Fall kamen, vom Handgemenge befreit worden und konnten nun wieder von ihren Schusswaffen Gebrauch machen. Gegen Abend liess derFeldherr seine Soldaten, die bei dem Sturm viel gelitten hatten, den Kampf ein-
1 Die Samen dieser Pflanze (Trigonella Foenum graecum L.) geben mit Wasser gekocht einen sehr schleimigen, schlüpfrig machenden Brei.
Seite 341 stellen. Die Römer hatten ziemlich viele Tote und eine Menge Verwundeter; auf seiten der Jotapatener waren sechs Mann gefallen und dreihundert verwundet hinweggetragen worden. Dieses Gefecht fand am zwanzigsten des Monats Daisios statt. 30. Als Vespasianus sein Heer wegen der ihm zugestossenen Unf/alle trösten wollte, fand er die Soldaten in heller Entrüstung; keinen Zuspruch begehrten sie sondern Gelegenheit zu neuen Kriegsthaten. Er liess daher die Wälle noch weiter erhohen und drei Türme errichten, letztere je fünfzig Fuss hoch und ringsum mit Eisen beschlagen, damit sie einerseits durch ihr bedeutendes Eigengewicht schon feststanden und andermeits dem Feuer trotzen konnten. In diese Türme, die, er auf dem Wälle anbringen liess, legte er Speerwerfer, Bogenschützen und die kräftigsten Schleuderer; auch versah er sie mit leichteren Wurfmaschinen. Dadurch, dass die Türme sehr hoch waren und Brustwehren hatten, entzog ihre Besatzung sich völlig den Blicken der Gegner, vermochte aber ihrerseits die auf der Mauer stehenden Juden deutlich zu sehen und zu treffen. Weil nun die letzteren den von oben kommenden Geschossen nicht leicht ausweichen und gegen die unsichtbaren Schützen sich nicht verteidigen konnten, auch die Unmöglichkeit, mit Handgeschossen die Höhe der Türme zu erreichen oder den Eisenbeschlag derselben durch Feuer zu zerstören, einsahen, zogen sie sich von der Mauer zurück und machten Ausfülle gegen diejenigen feindlichen Abteilungen, welche Sturm laufen wollten. Auf diese Weise hielten die Jotapatener stand, obwohl täglich viele von ihnen umkamen. Besonderen Schaden freilich konnten sie den Feinden nicht zufügen; vielmehr mussten sie sich darauf beschränken, sie mit grossen eigenen Verlusten von sich abzuhalten. 31. In denselben Tagen entsandte Vespasianus den Anführer der zehnten Legion, Trajanus,
1 an der Spitze Den Vater des nachmaligen Imperators.
Seite 342 von tausend Reitern und zweitausend Fusssoldaten gegen eine Nachbarstadt Jotapatas mit Namen Japha, die sich, durch den unerwartet langen Widerstand der Jotapatener ermutigt, empört hatte. Trajanus fand die Stadt schwer einnehmbar, da sie ausser ihrer von Natur schon festen Lage auch noch durch eine doppelte Ringmauer geschützt war. Weil aber die Bewohner kampfgerüstet ihm entgegenzogen, liess er sich mit ihnen in ein Gefecht ein und verfolgte sie, nachdem sie nur kurzen Widerstand geleistet hatten. Sie flüchteten sich hinter die erste Mauer; die Römer jedoch, die ihnen auf der Ferse waren, stürzten sich mit hinein. Als nun die Juden sich hinter die zweite Mauer zurückziehen wollten, schlossen ihre eigenen Leute aus Furcht, die Feinde mochten auch hier miteindringen, die Stadtthore vor ihnen zu. Offenbar war es Gott, der die Galilier zu gunsten der Römer ins Unglück stürzte und der auch damals die ganze streitbare Mannschaft der Stadt, ausgeschlossen durch die Hände der Ihrigen, dem Mordschwert der Feinde preisgab. In dichten Haufen gegen die Thore dringend und deren WVchter laut beim Namen rufend, wurden sie trotz ihrer flehentlichen Bitten niedergemetzelt. Die erste Mauer hatten ihnen die Feinde, die zweite ihre eigenen Mitbürger verschlossen; so waren sie also mitten zwischen die beiden Ringmauern eingezwüngt und kamen elendiglich um: viele erlagen dem Schwert ihrer Kameraden, viele auch durchbohrten sich selbst; die meisten aber fielen durch die Hand der Römer, ohne sich zu irgendwelcher Gegenwehr aufraffen zu können; denn ausser dem Schrecken, den die Feinde ihnen eingejagt, hatte auch das verraterische Benehmen der Freunde ihren Mut völlig gebrochen. So starben sie dahin, nicht den Römern, sondern ihren eigenen Leuten fluchend, bis endlich alle, zwölftausend an der Zahl, niedergemacht waren. Trajanus nahm nun an, dass die Stadt entweder völlig von Verteidigern entblösst sei oder dass, wenn sich noch welche darin befünden, sie aus Furcht nichts unternehmen würden, und schickte deshalb in der Ab-
Seite 343 sicht, die Erstürmung für den Feldherrn aufzusparen, Boten an Vespasianus mit der Bitte, er möge seinen Sohn Titus zur Vollendung des Sieges absenden. Vespasianus aber, der vermutete, es konnte doch vielleicht noch etwas zu thun sein, gab seinem Sohn eine Streitmnacht von fünfhundert Reitern und tausend Fusssoldaten mit. Titus rückte nun eilends vor die Stadt, stellte sein Iteer in Schlachtordnung auf und übergab dem Trajanus den linken Flügel, während er selbst an der Spitze des rechten Flügels den Sturm eröffnete. Als die Soldaten von allen Seiten Leitern an die Mauer anlegten, zogen sich die Galiläer, nachdem sie kurze Zeit von oben her Widerstand geleistet hatten, von der Umwallung zurück, worauf Titus mit den Seinigen die Mauern erstieg und alsbald die Stadt besetzte, doch nicht, ohne gegen die innen zusammengescharten Juden noch einen harten Kampf bestanden zu haben. In den engen Gassen nämlich stürzte sich die streitbare Mannschaft den Römern entgegen, während die Weiber von den Dicchern herab alles, was gerade zur Hand war, ihnen auf die Köpfe warfen. Sechs Stunden lang dauerte die Gegenwehr; als aber die kampffähige Mannschaft dahängerafft war, wurde das übrige Volk teils unter freiem Himmel, teils in den Häusern niedergemacht, jung und alt ohne Unterschied, und nichts Männliches mehr am Leben gelassen ausser den unmündigen Kindern, welche samt den Weibern in die Sklaverei geschleppt wurden. Die Zahl der in der Stadt und bei dem vorangegangenen Treffen Gefallenen betrug fünfzehntausend, die der Gefangenen zweitausendeinhundertdreissig. Diese Niederlage erlitten die Galiläer am fünfundzwanzigsten des Monats Daisios. 32. Auch die Samariter suchte das Unglück heim. Sie hatten sich auf dem von ihnen heilig gehaltenen Berge Garizin versammelt, und obwohl sie sich ausserlich ruhig verhielten, lag doch schon in ihrer Zusammenkunft und in ihrem ganzen Gebaren eine Kriegsdrohung. Die Niederlage ihrer Nachbarn hatte sie eben nicht ge-
Seite 344 witzigt; vielmehr wollten sie, ohne ihre eigene Schwäche in Betracht zu ziehen, es mit dem Glücke der Römer aufnehmen und warteten deshalb begierig auf eine Gelegenheit zum Aufruhr. Vespasianus hielt es für geraten, einer Bewegung ihrerseits zuvorzukommen und ihre Empörungslust zu dampfen; denn in ganz Samaria umher lagen seit längerer Zeit römische Besatzungen, für die man -bei der grossen Menge und der Haltung der Versammelten besorgt sein musste. Er sandte daher den Anführer der fünften Legion, Cerealis, mit sechshundert Reitern und dreitausend Mann Fussvolk gegen sie ab. Diesem schien es jedoch wegen der Überzahl der oben befindlichen Feinde nicht ratsam, den Berg zu ersteigen und sich mit ihnen in ein Gefecht einzulassen, und so beschränkte er sich vorläufig darauf, den Fuss des Berges von allen Seiten mit seinen Leuten zu umstellen und sie den ganzen Tag zu beobachten. Nun traf es sich, dass die Samariter an Wassermangel litten, und da es an jenem Tage - mitten im Sommer - fürchterlich heiss war und die Menge sich auch sonst nicht mit den nötigen Lebensmitteln versehen hatte, starben einige von ihnen noch am selben Tage vor Durst, während andere einem solchen Tod die Knechtschaft vorzogen und zu den Römern übergingen. Al1 Cerealis von diesen Überläufern erfuhr, dass die da oben von ihren Leiden gänzlich entkräftet seien, erstieg er den Berg und schloss die Feinde ringsum mit seiner Streitmacht ein. Sodann liess er sie auffordern, sich zu ergeben, eimahnte sie, auf ihre Rettung bedacht zu sein, und sicherte ihnen Schonung ihres Lebens zu, wenn sie die Waffen von sich werfen wollten. Da er aber hiermit nichts ausrichtete, fiel er über sie her und liess den ganzen Haufen, elftausendsechshundert an der Zahl, niedermachen. Dieser schwere Schlag traf die Samariter F am siebenundzwanzigsten des Monats Daisios. 33. Mittlerweile hielten sich die Jotapatener noch irnmer und trotzten wider Erwarten allen Schrecken der Belagerung, bis endlich am siebenundvierzigsten Tage,
Seite 345 da die Wälle der Römer bis zur Höhe der Stadtmauer emporgestiegen waren, ein Überläufer zu Vespasianus kam und ihm mitteilte, wie klein und schwach das Häuflein der Belagerten sei und wie sie, durch be. ständiges Wachen und unaufhörliche Gefechte aufgerieben, einen Sturmangriff nicht mebr auszuhalten vermöchten. Aber auch mit List würden sie zu überwältigen sein, wenn jemand es darauf anlege; denn um die letzte Nachtwache, wo sie einige Ruhe vor den Angriffen zu haben glaubten und der Morgenschlummer die Todmüden überfalle, ligen auch die Wachtposten in tiefem Schlafe, und er rate daher, um eben diese Stunde zum Angriff zu schreiten. Vespasianus traute zwar dem Überläufer nicht recht, da er die Treue der Juden gegeneinander kannte und wusste, wie wenig sie sich aus körperlichen Strafen machten; hatte doch schon einmal ein gefangener Jotapatener allen Folterqualen widerstanden, ohne den Feinden, die ihm mit Feuer zusetzten, irgend etwas über die Zustände im Innern der Stadt zu verraten, und darum lachelnd den Kreuzestod erlitten. Die innere Wahrscheinlichkeit seiner Angaben jedoch verschaffte dem Verräter Glauben, sodass Vespasianus auf den Gedanken kam, er sage vielleicht doch die Wahrheit. Überdies hielt er dafür, dass eine etwaige Hinterlist jedenfalls für die Römer keine besonders üblen Folgen haben könne. Er liess daher den Mann bewachen und sein Heer sich zum Sturm auf die Stadt rüsten. 34. Um die angegebene Stunde näherten sich die Römer leise der Mauer. Titus mit dem Tribun Domitius Sabinus uud einigen wenigen Leuten der fünften und zehnten Legion erstieg sie zuerst, und nachdem sie die Wachtposten niedergestossen hatten, betraten sie in aller Stille die Stadt. Nach ihnen führten der Tribun Sextus Cerealis und Placidus ihre Mannschaft hinein. Die Burg war besetzt, mitten in der Stadt bewegten sich die Feinde, und bereits war es Tag; gleichwohl hatten die Überfallenen noch keine Ahnung von der Einnahme
Seite 346 der Festung. Die meisten waren eben von Ermattung und Schlaf gelahmt, und den Blick derer, die wach wurden, trübte ein dichter Nebel, der sich gerade über die Stadt lagerte. Erst als das ganze Heer seinen Einzug gehalten hatte, erhoben sie sich, aber nur um ihr Unglück gewahr zu werden und sich unter dem Mordschwert des Feindes von der wirklich erfolgten Einnahme der Stadt zu überzeugen. Die Römer, eingedenk dessen, was sie während der Belagerung ausgestanden hatten, kannten nun weder Mitleid noch Schonung, sondern hieben auf das Volk ein, indes sie es jihlings die Burg hinabdrängten. Hierbei benahm die Ungunst der Örtlichkeit auch den noch Kampffihigen alle Maöglichkeit der Gegenwehr; denn da sie in die engen Gassen hineingepresst wurden und an den abschüssigen Stellen ausglitten, wurden sie von den die Burg herabwogenden Kriegern erdrückt. Das trieb viele, selbst solche von der auserlesenen Mannschaft des Josephus, zum Selbstmord. Als sie sich nämlich ausser stande sahen, einen Römer niederzumachen, scharten sie sich, um wenigstens nicht unter dem Schwert der Feinde zu fallen, am äussersten Ende der Stadt zusammen und brachten sich selbst ums Leben. 35. Einer Anzahl Wachmannschaften, welche gleich anfangs die Einnahme der Stadt bemerkten, war es gelungen, zu entkommen und einen der nördlichen Türme zu ersteigen. Hier wehrten sie sich noch einige Zeit; als sie sich aber von der Menge der Feinde umzingelt sahen, wollten sie Unterhandlungen anknüpfen. Doch es war zu epat, und so liessen sie sich von den eindringenden Römern willig niedermetzeln. lbrigens hatten die letzteren sich rühmen können, das Ende der Belagerung habe sie keinen Tropfen Blut gekostet, wenn nicht ein Centurio Namens Antonius bei der Einnahme der Stadt gefallen wäre, und zwar als Opfer einer Treulosigkeit. Von den zahlreichen Juden nämlich, die sich in die Höhlen geflüchtet hatten, flehte einer den Antonius an, er möge ihm zum Zeichen, dass er ihm das
Seite 347 Leben schenken wolle, die Hand geben und ihm dadurch zugleich heraufhelfen. Unvorsichtigerweise reichte Antonius ihm auch wirklich die Hand; der Jude aber stiess ihm von unten den Speer in den Leib, sodass er plötzlich tot hinfiel. 36. An diesem Tage machten die Römer nur die Menge derer nieder, die ihnen gerade zu Gesicht kamen. An den folgenden Tagen aber durchsuchten sie die Schlupfwinkel und verfolgten die in den unterirdischen Gängen und in Höhlen Verborgenen, wobei sie kein Alter schonten, unmündige Kinder und Weiber ausgenommen. An Gefangenen brachten sie zwölfhundert Mann zusammen; die Gesamtzahl derer, die bei der Einnahme der Stadt und in den vorangegangenen Kämpfen gefallen waren, betrug vierzigtausend. Vespasianus liess nun die Stadt schleifen und ihre sämtlichen Festungswerke einäschern. So fiel Jotapata im dreizehnten Regierungsjabre Neros,1 am ersten des Monats Panemos.
1. Die Römer suchten nun teils aus eigener Erbitterung gegen Josephus, teils weil der Feldherr auf seine Gefangennahme, die er als beinahe entscheidend für den Ausgang des Krieges ansah, sehr erpicht war, unter den Toten und in allen verborgenen Schlupfwinkeln der Stadt nach, um den Gehassten zu finden. Er aber hatte sich während der Einnahme der Stadt wie unter göttlichem Beistand mitten durch die Feinde geschlichen und war in eine tiefe Cisterne hinabgesprungen, die sich seitwärts zu einer von oben unsichtbaren, geraumigen Höhle erweiterte. In diesem Versteck traf er vierzig
1 67 n. Chr.
Seite 348 vornehme Männer an, die auf eine Reihe von Tagen mit Lebensmitteln versehen waren. Bei Tage nun hielt er sich verborgen, weil die Feinde alles ringsum besetzt hatten; bei Nacht dagegen stieg er hinauf, um einen Weg zur Flucht ausfindig zu machen und sich nach den Posten umzusehen. Da aber eben um seinetwillen die Umgebung von allen Seiten so scharf bewacht wurde, dass an heimliches Entschlüpfen nicht zu denken war, begab er sich wieder in die Höhle zurück. Zwei Tage lang entging er so den Nachforschungen; am dritten aber wurde er von einer Frau, die bei ihnen gewesen und gefangen genommen worden war, verraten. Unverzüglich schickte nun Vespasianus zwei Tribunen, Paulinus und Gallicanus, mit dem Auftrag ab, dem Josephus Sicherheit zu versprechen und ihn zum Verlassen der Höhle zu bewegen. 2. Die beiden gingen hin, sprachen ihm zu und verbürgten ihm sein Leben. Sie konnten indes nichts bei ihm ausrichten; denn lediglich die Wahrscheinlichkeit dessen, was er für die mannigfachen Schadigungen der Römer zu gewärtigen hatte, und nicht der milde Charakter derer, die ihm zuredeten, bestimmte seine Meinung bezuiglich des ihm bevorstehenden Loses. Demgemäss konnte er sich der Befürchtung nicht erwehren, man wolle ihn nur hervorlocken, um ihn hinzurichten. Schliesslich sandte Vespasianus einen dritten Boten in der Person des dem Joseplus wohlbekannten und von früher her mit ihm befreundeten Tribuns Nikanor. Dieser kam und schilderte das milde Verfahren der Römer gegen die einmal von ihnen Besiegten, legte auch dar, wie die Heerführer den Josephus um seiner Tapferkeit willen mehr bewunderten als hassten, und wie der Feldherr keineswegs beabsichtige, ihn hinrichten zu lassen, da er ja diese Strafe an ihm vollziehen könne, auch ohne dass er hervorkime, sondern entschlossen sei, ihm als einem tapferen Manne das Leben zu schenken. Übrigens würde Vespasianus, so fügte er hinzu, dem Josephus ebensowerüg in hinterlistiger Absicht seinen Freund
Seite 349 gesandt und so das Schändlichste mit dem Besten, Treulosigkeit mit Freundschaft maskiert haben, als er selbst sich dazu hergegeben haben wdrde, einen Freund zu betrügen. 3. Da aber Josephus auch dem Nikanor gegenüber sich noch nicht entscheiden konnte, trafen die Soldaten in ihrem Zorn Anstalten, Feuer in die Höhle zu werfen. Ihr Anfäurer jedoch hielt sie zurück, weil ihm sehr viel daran lag, den Mann lebendig in seine Gewalt zu bekommen. Während nun Nikanor in ihn drang und die feindliche Schar fortgesetzt Drohungen ausstiess, traten dem Josephus nächtliche Traume in die Erinnerung, in welchen ihm Gott das bevorstehende Unglück der Juden und das künftige Geschick der römischen Imperatoren offenbart hatte. Josephus verstand es nämlich, bei der Auslegung von Träumen auch diejenigen Verkündigungen zu erklären, die die Gottheit zweideutig gelassen hatte, da er als Priester und Priesterssohn mit den Weissagungen der heiligen Bücher wohlvertraut war. Gerade zu dieser Stunde nun ward er von göttlicher Begeisterung ergriffen, und indem er die Schreckbilder kürzlich gehabter Traume sich vergegenwärtigte, schickte er in der Stille ein Gebet zu Gott und sprach: „Weil du beschlossen hast, das Volk der Juden, das du geschaffen, zu beugen, weil alles Glück zu den Römern gewändert ist und du meine Seele erwihlt hast, die Zukunft zu offenbaren, so biete ich den Römern die Hand und bleibe am Leben. Dich aber rufe ich zum Zeugen an, dass ich nicht als Verrüter, sondern als dein Diener zu ihnen übergehe." 4. Nach diesemGebet sagte er dem Nikanor zu. Als aber nun die Juden, die sich mit ihm in dem Versteck befanden, merkten, dass er dem Zureden der Feinde nachzugeben entschlossen sei, umringten sie ihn in dichten Haufen und riefen: „Fürwahr, gar schwer werden über dich die Gesetze der Vater seufzen, und tief wirst du den Gott betrüben, der den Juden Seelen anerschuf, die den Tod verachten. Ist denn das Leben dir, Josephus, so lieb, dass du es über dich bringst, als Sklave das
Seite 350 Licht zu schauen? Wie schnell doch hast du deiner selbst vergessen! Und denkst du nicht mehr daran, wie viele Juden auf deinen Zuspruch hin für die Freiheit gestorben sind? Falsch war also der Ruf von Tapferkeit, in dem du standest, falsch auch der von deiner Einsicht, weil du nun Begnadigung von denen erhoffst, gegen die du so hartnäckig gestritten hast, noch mehr aber, weil du, falls diese Begnadigung überhaupt sicher ist, sie aus ihrer Hand entgegennehmen willst! Aber wenn auch du, vom Glück der Römer geblendet, deiner selbst vergessen hast, so müssen doch wir für die Ehre unseres Vaterlandes besorgt sein. Unsern Arm und unser Schwert stellen wir dir zur Verfügung; stirbst du nun freiwillig, so fällst du als Heerführer der Juden, wenn aber unfreiwillig, als Verräter!" Mit diesen Worten zückten sie ihre Schwerter gegen ihn und drohten ihn niederzustossen, wenn er sich den Römern ergäbe. 5. Aus Furcht vor ihrem Angriff und in der Überzeugung, dass er einen Verrat an den Aufträgen Gottes begehen würde, wenn er vor deren Verkündigung stürbe, begann Josephus im Drange der Not Vernunftgründe gegen sie geltend zu machen. „Wozu sind wir doch, sprach er, „o Freunde, so erpicht darauf, uns selbst zu morden? Oder weshalb wollen wir die innigsten Bande, die zwischen Leib und Seele, zerreissen? Man sagt, ich sei ein anderer geworden - nun, das wissen ja die Römer am besten. Schon ists, im Kriege zu sterben, aber nach Kriegsbrauch, das heisst von der Hand des Siegers. Wenn ich vor dem Schwert der Römer fliehe, dann verdiene ich in der That, durch mein eigenes Schwert, durch meine eigene Hand ums Leben zu kommen; wenn aber die Römer den Wunsch hegen, einen Feind zu schonen, um wie viel mehr müssen wir uns da selbst schonen Es wäre doch thoricht, wenn wir selbst uns das anthun würden, wegen dessen wir mit ihnen im Kampfe liegen. Ehrenvoll ist es, für die Freiheit zu sterben, das sage auch ich, aber kämpfend und durch die Hand derer, die sie uns entreissen wollen.
Seite 351 Nun aber ziehen sie weder gegen uns in die Schlacht, noch haben sie vor, uns das Leben zu nehmen. Feigheit ist ebensowohl, nicht sterben zu wollen, wenn man soll, als sterben zu wollen, wenn man nicht sol, Was fürchten wir denn eigentlich, dass wir nichi zu den Römern hinaufgehen? Doch denTod, nichtwahr? Aber ist es denn so sicher, dass -wir das von seiten der Römer zu fürchten haben, was wir uns jetzt selbst zufügen wollen? Nein, sagt ein anderer, die Knechtschaft ist es, die wir fürchten - als wenn wir jetzt so recht in Freiheit schwelgten! Da kommt wieder ein anderer und meint, es sei heldenmütig, sich selbst zu töten. Nein, im Gegenteil, es ist die schlimmste Feigheit; ich wenigstens halte den für einen sehr zaghaften Steuermann, der aus Furcht vor einem Unwetter beim Ausbruch des Sturmes sein Fahrzeug freiwillig versenkt. Zudem widerstrebt ja auch der Selbstmord dem innersten Wesen alles Lebendigen und ist zugleich ein Frevel gegen Gott, unseren Schopfer. Es giebt kein Tier, das mit Vorbedacht den Tod suchte oder ihn sich selbst zufügte. Denn es ist ein festes Naturgesetz, dass man gern leben will, weshalb wir auch diejenigen Menschen, die uns das Leben offen zu nehmen trachten, für Feinde halten und uns an denen, die ihm heimlich nächstellen, rächen. Und meint ihr denn, Gott werde nicht zirnen, wenn der Mensch sein Geschenk für nichts achtet? Von ihm haben wir ja unser Dasein empfangen und müssen daher auch ihm dessen Aufhören anheimstellen. Alle haben wir sterbliche, aus vergänglichem Stoff gebildete Leiber; in dem Leibe aber wohnt eine unsterbliche Seele, ein Teil der Gottheit. Wenn nun jemand ein von Menschen ihm anvertrautes Gut verschwendet oder schlecht verwaltet, so gilt er für frevelhaft und treulos; wenn aber einer das von Gott ihm anvertraute Gut gewaltsam aus seinem eignen Körper wegschafft, kann er dann noch wahnen, dem Auge dessen verborgen zu bleiben, den er damit beleidigt hat? Man hält es für recht, dass entlaufene Sklaven gezüchtigt werden,
Seite 352 selbst wenn sie böse Herren verlassen haben und da sollte es keine Sünde sein, wenn wir Gott, dem besten Herrn, entlaufen? Wisst ihr denn nicht, dass die, welche nach dem Gesetz der Natur aus dem Leben scheiden und die von Gott entliehene Schuld heimzahlen, wenn der Geber sie wieder nehmen will, ewigen Ruhm, lange Dauer ihres Hauses und Geschlechtes erlangen, reine Seelen behalten, die der Erhörung ihrer Gebete sicher sein können, und in dem heiligsten Raume des Himmels Wohnung nehmen, von wo sie im Verlauf der Aeonen wiederum in unbefleckte Leiber wandern dürfen,1 dass aber die Seelen aller derer, die mit eigner Hand wider sich selbst gewütet haben, die finstere Unterwelt aufnimmt, und dass Gott, ihr Vater, diese in doppelter Hinsicht frevelhaften Menschen noch in ihren Nachkommen straft? Deshalb hasst Gott dieses Verbrechen, und vom weisesten Gesetzgeber ward es mit Strafe belegt.2 Denn die Selbstmörder muss man bei uns bis Sonnenuntergang unbegraben hinwerfen, während wir es doch für Pflicht halten, selbst Feinde zu bestatten; bei anderen Völkern ist es Brauch, solchen Toten die rechte Hand, mit der sie sich selbst gemordet haben, abzuhauen, um anzudeuten, dass, wie ein solcher Leib sich der Seele entäusserte, so auch die Hand nicht an den Körper gehöre. Deshalb, meine Freunde, ziemt es sich, recht zu denken und nicht dem Unglück, das uns als Menschen getroffen, auch noch einen Frevel gegen unsern Schöpfer hinzuzufügen. Sollen wir am Leben bleiben, so wollen wir unserer Rettung nichts in den Weg legen; denn das macht uns keine Schande bei denen, welchen wir unsere Tapferkeit durch so viele Thaten bewiesen haben. Sollen wir aber den Tod erleiden, gut, so geschehe es durch die Sieger. Ich möchte nun freilich nicht zu den Reihen der Feinde übergehen, um ein Ver-
1 Lehre der Pharisäer, S. II, 8, 14.
2 In den mosaischen Schriften, soweit sie heute bekannt sind, findet sich eine solche Bestimmung nirgends.
Seite 353 räter an mir selbst zu werden; denn dann wäre ich ja noch thörichter als ein gewöhnlicher Überläufer, der so handelt, um sein Leben zu retten, während. ich es zum Verderben thäte, und zwar zu meinem eigenen. Was ich mir aber wünschte, wäre ein Verrat von seiten der Römer; wenn sie mich nämlich trotz dem gegebenen Worte umbrüchten, würde ich freudig sterben, und es wiemir diese Treulosigkeit ein grösserer Trost als der Sieg."
6. Vieles derartige sprach Josephus, um seine Gefährten vom Selbstmord abzubringen. Die Verzweiflung indes machte sie taub gegen alle Vorstellungen; schon längst hatten sie sich dem Tode geweiht und wurden darum nur noch erbitterter gegen ihn. Von allen Seiten mit gezückten Schwertern auf ihn eindringend, beschuldigten sie ihn der Feigheit, und jeder zeigte sich bereit, ihnm auf der Stelle niederzustossen. Er aber wusste, indem er den einen bei seinem Namen anrief, den anderen mit dem Blick des Feldherrn anschaute, einen dritten bei der Hand ergriff, einen vierten durch Bitten umstimmte, in seiner Not, die die verschiedenartigsten Gefühle in ihr auf kommen liess, jedesmal das Mordschwert von sich abzuwehren, gleichwie das eingekreiste Wild sich stets gegen den wendet, der es gerade anzugreifen Miene macht. Da sie nun selbst in dieser äussersten Bedrängnis noch den Feldherrn in ihm hörten, wurden ihre Arme gelähmt, die Dolche entglitten ihren Händen, und viele, die das Schwert gegen ihn erhoben hatten, steckten es aus freien Stücken. wieder ein. 7. Trotz dieser verzweifelten Lage verliess übrigens den Josephus seine Besonnenheit nicht; vielmehr setzte er nun im Vertrauen auf Gottes Fürsorge sein Leben aufs Spiel, indem er zu seinen Gefährten sprach: „Da der Entschluss, zu sterben, nun einmal feststeht, wohlan, so wollen wir das Los darüber entscheiden lassen, wer von
1 Zu ergänzen ist: Da die Römer dann eine Handlung begehen würden, wegen deren Gottes Rache sie treffen müsste.
Seite 354 uns jedesmal den anderen niederstossen soll. Es falle also der Ausgeloste von der Hand dessen, der nach ihm bezeichnet wird. Auf diese Weise wird das Todeslos alle treffen, ohne dass der einzelne darauf angewiesen ist, sich selbst zu töten. Denn es wäre doch unrecht, wenn nach dem Tode seiner Gefährten der letzte sich reuen liesse und sein Leben rettete." Dieser Vorschlag verschaffte ihm wieder Zutrauen, und nachdem die anderen sich einverstanden erklärt hatten, loste er auch selbst mit. Wie nun ein jeder vom Lose getroffen wurde, liess er sich willig von dem Nächstfolgenden hinschlachten in dem Bewusstsein, dass gleich darauf ja auch der Feldherr sterben müsse; denn der Tod mit Josephus erschien ihnen angenehmer als das Leben. übrig blieb nun eben Josephus, sage man durch glücklichen Zufall oder durch göttliche Fügung, l mit noch einem Gefahrten, und da, er weder vom Lose getroffen werden noch, wenn er schliesslich allein dagewesen wäre, seine Hand mit dem Blute eines Landsmannes beflecken mochte, überredete er auch diesen, sich den Römern zu ergeben und dadurch sein Leben zu retten. 8. Nachdem Josephus so aus dem Kampfe mit den Römern sowohl als mit seinen eigenen Leuten heil hervorgegangen war, wurde er von Nikanor zu Vespasianus geführt. Alle Römer strömten herbei, um ihn zu sehen, und die Menge, die sich um den Feldherrn drängte, erhob verschiedenartigen Lärm, indem die einen über seine Gefangennahme jubelten, andere Drohungen ausstiessen, wieder andere sich mit Gewalt einen Weg bahnten, um ihn in der Nähe betrachten zu können. Die weiter Entfernten schrien, man solle den Feind hinrichten, die näher Stehenden gedachten seiner Thaten und erstaunten ob dem Wechsel seines Schicksals. Unter den Offizieren abcr gab es keinen, der trotz noch so grosser vorheriger
1 Viel näher legt es, an einen Betrug von seiten des Josephus zu denken (s. die Einleitung zu meiner Übersetzung der „Altertümer").
Seite 355 Erbitterung damals nicht durch seinen Anblick gerührt worden wäre. Besonders war es der edelgesinnte Titus, den des Josephus Ausdauer im Unglück und das Mitgefühl mit seinem Alter1 mächtig ergriff. Wenn er sich die Jüngsten Heldenthaten des Josephus vergegenwärtigte und ihn betrachtete, wie er jetzt in der Hand seiner Feinde war, kam ihm. so recht der Gedanke an die Macht des Schicksals, den schnellen Wechsel des Kriegsglücks und die Unbeständigkeit aller menschlichen Dinge, und augenscheinlich war dies auch die Stimmung der meisten Anwesenden, die aus ihrem Mitleid mit dem Gefangenen kein Hehl machten. Titus verwendete sich nun in ausgiebigster Weise bei seinem Vater, um dem Josephus das Leben zu retten; gleichwohl liess Vespasianus ihn in strengsten Gewahrsam nehmen, um ihn unverzüglich dem Nero zuzusenden. 9. Als Josephus dies vernahm, verlangte er mit Vespasianus ein Wort unter vier Augen zu reden. Der Feldherr hiess darauf alle Anwesenden mit Ausnahme seines Sohnes Titus und zweier Freunde sich entfernen, und Josephus begann nun also zu sprechen: „Du bist freilich der Meinung, Vespasianus, nur einen Kriegsgefangenen erwischt zu haben, als du den Josephus in deine Gewalt bekamst; aber weit gefehlt, denn ich erscheine vor dir als Verkündiger wichtiger Dinge. Hatte ich mich nicht eines Auftrages von Gott zu entledigen, so würde ich wohl gewusst haben, was das Gesetz der Juden verlangt und wie es Heerführern ziemt zu sterben. Du willst mich an Nero schicken? Wozu denn? Werden etwa seine Nachfolger, die noch vor dir auf den Thron kommen, denselben lange behaupten? Nein, du Vespasianus wirst Caesar und Selbstherrscher werden, du und auch dieser dein Sohn! Lass mich jetzt nur noch sicherer fesseln und für dich aufbewahren; denn du, Caesar, wirst nicht bloss mein Gebieter sein, sondern
1 Beide waren ungefähr gleichalterig (Josephus geb. 37, Titus 41 n. Chr.).
Seite 356 Herr über die Erde, das Meer und das ganze Menschengeschlecht. In engeren Gewahrsam also musst du mich nehmen, damit du mich hinrichten lassen kannst, wenn ich leichtfertig im Namen Gottes rede !“ Vespasianus schien diesen Worten anfanglich nicht zu trauen und sie für eine List des Josephus zu halten, durch die er sich das Leben zu retten suche. Allmählich aber begann er doch daran zu glauben, da Gott selbst Gedanken an die Thronbesteigung in ihm wachrief und ihm auch schon durch sonstige Zeichen die künftige Herrschaft angedeutet hatte.2 Zudem erfuhr er, dass der Gefangene auch in anderen Fallen bereits zutreffend geweissagt habe. Einer der Freunde des Feldherrn nämlich, der bei der geheimen Unterredung zugegen war, sprach seine Verwunderung darüber aus, dass Josephus weder die Zerstörung Jotapatas noch seine eigene Gefangennehmung vorausgesagt habe; es scheine somit, als ob das, was er jetzt vorbringe, nur leeres Geschwitz sei, um sich die Gunst des Feindes zu erwerben. Darauf entgegnete Josephus, allerdings habe er den Jotapatenern vorhergesagt, dass sie nach siebenundvierzig Tagen in Feindeshand fallen und er selbst lebendig würde gefangen werden. Vespasianus erkundigte sich insgeheim bei den Gefangenen, und da er die Angabe wahr fand, fing er nun auch an, der Weissagung, die seine eigene Person betraf, Glauben zu schenken. Er liess den Josephus zwar noch im Gefängnis und in Fesseln, beschenkte ihn jedoch mit einem Pracltgewand und anderen Kostbarkeiten und liess ihm auch für die Folge eine freundliche Behandlung zu teil werden - eine Auszeichnung, die Josephus vornehmlich dem Titus zu verdanken hatte.
1 Vergl. Suetonius, Vespasian. 5: Et unus ex nobilihus captivis Josephus, cum conjiceretur in vincula, constantissime asseveravit, fore ut ab eodem brevi solveretur, verum jam imperatore. S. Tacitus, Histor. 1I, 78.
1. Am vierten des Monats Panemos brach Vespasianus wieder nach Ptolemais auf und rückte von da nach Caesarea am Meer, einer sehr grossen, meist von Griechen bewohnten Stadt Judaeas. Die Einwohner nahmen das Heer und den Feldherrn mit lauten Segenswuinschen und sonstigen Freudenbezeugungen auf, teils aus Ergebenheit gegen die Römer, teils und zwar noch mehr aus Hass gegen die Überwundenen. Deshalb verlangten auch ganze Haufen von ihnen unter lautem Geschrei die Hinrichtung des Josephus; doch wies Vespasianus dieses Ansinnen, weil es von der urteilslosen Menge kam, mit vornehmer Ruhe zurück. Dann legte er zwei seiner Legionen nach Caesarea ins Winterquartier, da er die Stadt hierzu geeignet fand; die fünfzehnte dagegen quartierte er, um Caesarea nicht mit dem ganzen Heere zu belasten, in Skythopolis ein. Wegen seiner Lage in der Ebene und am Meere war Caesarea zur Winterszeit ebenso angenehm warm, als erstickend heiss im Sommer. 2. Unterdessen hatten sich diejenigen Juden, die entweder während der Unruhen den Händen der Feinde entschlüpft oder aus den zerstörten Städten entkommen waren, in beträchtlicher Menge zusammengeschart und das früher von Cestius verwüstete Joppe als Stützpunkt für weitere kriegerische Unternehmungen wieder befestigt. In das vom Feinde unsicher gemachte Land freilich durften sie sich nicht hinauswagen, und so beschlossen sie denn, aufs Meer zu gehen. Sie bauten eine grosse Anzahl Piratenschiffe, verübten Räubereien auf dem Seewege zwischen Syrien,;thoenicien und Aegypten, und bewirkten, dass in jenen Gewassern sich bald kein Fahrzeug mehr blicken liess. Vespasianus aber hatte kaum von ihrem Treiben gehört, als er Truppen zu Fuss und zu Pferde nach Joppe sandte, die bei Nacht in die
Seite 358 unbesetzte Stadt eindrangen. Die Bewohner nämlich hatten von dem beabsichtigten Angriff vorher Kenntnis erlangt, aus Furcht vor den Rönrern auf die Verteidigung der Stadt verzichtet und sich auf die Schiffe geflüchtet, wo sie ausser Schussweite übernachteten. 3. Joppe hat von Natur keinen Hafen, ist vielmehr von einer zerklüfteten, steil abfallenden Küste begrenzt, die an den beiden Enden der Stadt sich ein wenig ausbiegt; aber auch diese kurzen Ausläufer bestehen nur aus schroffen Felswänden und ins Meer hineinragenden Klippen. Hier zeigt man noch heute Spuren von den Fesseln der Andromeda,1 welche das hohe Alter dieser Sage beweisen. Der Nordwind, der gerade gegen das Ufer stürmt und an den entgegenstehenden Felsen eine gewaltige Brandung erzeugt, macht die Rhede noch gefährlicher als die offene See. Auf dieser Rhede trieben die Bewohner Joppes, als gegen Morgen ein heftiger Sturm - schwarzer Nordwind heisst er bei den Schiffern, die jene Gewasser befahren - sich erhob und einen Teil der Schiffe sogleich aneinander zerschellte, andere wider die Felsen warf; viele auch, die aus Furcht vor dem klippenreichen Ufer und den dasselbe besetzt haltenden Feinden der Brandung entgegen die offene See zu erreichen suchten, versenkte die turmhoch aufsteigende Flut in die Tiefe. Nirgends winkte den Geängstigten ein Zufluchtsort, nirgends ein Rettungszeichen; aus dem Meere trieb sie die Gewalt des Sturmes, die Stadt versperrten ihnen die Römer. Lautes Jammergeschrei ertönte, wenn die Fahrzeuge zusammenstiessen, und schreckliches Krachen, wenn sie zerschellten; die Bemannung ward teils über Bord gespilt, teils ging sie im Schiffbruch unter. Manche auch kamen den Fluten dadurch zuvor, dass sie sich, als wäre diese Todesart leichter, mit dem Schwerte durchbohrten. Die meisten jedoch wurden von den Wellen umhergeschleudert und
1 Der von Perseus befreiten Tochter des Kepheus und der Kassiopeia.
Seite 359 an den Felswanden zerschmettert, sodass das Meer weitbin vom Blute gerötet war und das Gestade voll von Leichen lag; denn auch von denen, die noch lebend ans Land gespült wurden, liessen die am Ufer stehenden Römer keinen am Leben. Viertausendzweihundert betrug die Zahl der vom Meer ausgeworfenen Toten. Nachdem die Römer so die Stadt ohne Schwertstreich eingenommen hatten, machten sie dieselbe dem Erdboden gleich. 4. In kurzer Zeit wurde also Joppe zweimal1 von den Römern erobert. Damit nun nicht abermals Seeräuber in der Stadt sich einnisten könnten, liess Vespasianus auf der Burg ein Truppenlager errichten und in dasselbe Reiterei sowie eine Anzahl Fusssoldaten legen. Letztere mussten an Ort und Stelle bleiben, um das Lager zu bewachen, während die Reiter plündernd die Umgegend durchstreifen und die nahe bei Joppe gelegenen Dörfer und Städtchen zerstören sollten. Diesem Befehl kamen die Soldaten pünktlich nach und durchzogen tagtäglich raubend und verheerend die ganze Umgebung. 5. Als die Kunde von dem Schicksal Jotapatas nach Jerusalem gelangte, wollten die meisten anfangs nicht daran glauben, einmal wegen der Grösse des Unglücks, und dann auch weil niemand da war, der das, was berichtet wurde, gesehen hatte. Denn nicht einmal ein Bote war bei der Einnahme der Stadt entkommen, sondern lediglich das Gerucht, das ohnehin schon gern Unheil verkündigt, erzählte ohne weitere Beglaubigung den Fall der Festung. Allmählich aber verbreitete sich die Wahrheit durch die angrenzenden Bezirke und war bald bei sImtlichen Bürgern über jeden Zweifel erhaben, nur dass zu den wirklichen Ereignissen noch manches hinzugedichtet wurde, was gar nicht geschehen war. So hiess es beispielsweise, auch Josephus sei bei der Einaahme der Stadt gefallen. Diese Nachricht erfüllte
1 S. 11, 18, 10
Seite 360 ganz Jerusalem mit tiefem Schmerz, und während in den einzelnen Häusern und Familien die Umgekommenen je nach dem Grade der Verwandtschaft beweint wurden, war die Trauer um den Feldherrn eine wahre Volkstrauer. Die einen beklagten den Verlust von Gastfreunden, andere den von sonstigen lieben Personen, Brüdern oder entfernten Verwandten; den Josephus aber beweinten alle, sodass dreissig Tage lang des Jammerns in der Stadt kein Ende war. Viele auch nahmen Flötenspieler 1 in Sold, um ihre Klagegesänge begleiten zu lassen. 6. Als aber mit derZeit der wahre Sachverhalt sowie die näheren Umstände vom Falle Jotapatas bekannt wurden und nicht nur der Tod des Josephus sich als erdichtet heraustellte, sondern man auch noch obendrein erfuhr, dass er lebe und von seiten der römischen Offiziere ihm eine Behandlung zuteil werde, wie sie ein Kriegsgefangener nicht zu erhoffen sich getraue, ward der Groll der Juden gegen den Lebenden ebenso gross, wie zuvor die Sympathie für den Totgeglaubten gewesen war. Hier schalt man sein Benehmen Feigheit, dort Verräterei, und in der ganzen Stadt hörte man nichts als unwillige und schmähende Reden über ihn. Waren die Juden schon wegen der Niederlage an sich erbittert. so steigerte das widrige Schicksal ihren Ingrimm noch viel mehr. Das Unglück, welches vernünftige Menschen veranlasst, auf ihre Sicherheit bedacht zu sein und sich vor ähnlichen Vorkommnissen zu hüten, war für sie nur der Stachel, der sie antrieb, neues Unheil zu suchen, und das Ende des einen Übels ward für sie stets der Anfang eines anderen. Übrigens nahm auch ihre Gereiztheit gegen die Römer immer mehr zu, weil sie in ihnen zugleich den Josephus zu strafen gedachten. So stürmisch sah es damals in Jerusalem aus. 7. Mittlerweile war Vespasianus von dem König Agrippa, der den Feldherrn und sein Heer mit der
1 Vergl. Matthaeus 9, 23.
Seite 361 ganzen Pracht seines Hauses zu empfangen und mit Hilfe der Römer seinen wankenden Thron zu befestigen vorhatte, persönlich eingeladen worden, dessen Königreich zu besuchen. Er brach daher von Caesarea am Meer auf und marschierte nach Caesarea Philippi,1 wo er seinen Truppen eine zwanzigtägige Erholung gönnte, während er selbst mit Schmausereien sich die Zeit vertrieb und der Gottheit Dankopfer für seine Siege darbrachte. Als ihm aber gemeldet ward, dass Taricheae abgefallen und in Tiberias Unruhen ausgebrochen seien (beide Städte gehörten zum Gebiete Agrippas), hielt er, entschlossen, die Juden überall zu Paaren zu treiben, eine kriegerische Unternehmung gegen dieselben für angebracht. Zugleich wünschte er dem Könige den Dank für die genossene Gastfreundschaft dadurch zu erstatten, dass er ihm die beiden Städte wieder zurechtbrachte. Er sandte demgemäss seinen Sohn Titus nach Caesarea mit dem Auftrage, das dert befindliche Heer nach dem nahe bei Tiberias gelegenen Skythopolis, der grössten Stadt im Gebiete der Dekapolis,2 zu führen, wohin er sich dann auch selbst begab, um mit seinem Söhne zusammenzutreffen. Von hier rückte er nun mit drei Legionen aus und schlug dreissig Stadien von Tiberias entfernt an einem Orte Namens Sennabris, wo ihn die Empörer leicht sehen konnten, ein Lager auf. Sodann schickte er den Decurio Valerianus an der Spitze von fünfzig Reitern ab, um in Güte mit den Bürgern der Stadt zu unterhandeln und sie zur Übergabe aufzufordern. Der Feldherr hatte nämlich vernommen, dass die Einwohnerschaft sehnlichst den Frieden wünsche und der Aufruhr nur von einigen wenigen Kriegslustigen geschürt werde. Valerianus ritt also hin und stieg, als er in der Nähe der Mauer angelangt war, samt seiner Begleitung vom Pferde, damit es nicht den Anschein gewänne, als
1 Der Name Neronias, den nach J. A. XX, 9, 4 Agrippa dieser Stadt gegeben hatte, scheint also nicht sehr gebräuchlich gewesen zu sein.
2 S. Namenregister.
Seite 362 wollten sie plänkeln. Bevor er jedoch zu Wort kam, stürzten sich die entschlossensten der Aufrührer bewaffnet ihm entgegen, an ihrer Spitze ein gewisser Jesus, Sohn des Saphatos, der Führer des Raubgesindels. Valerianus, der sich gegen den Befehl des Feldherrn auch dann in kein Gefecht hatte einlassen mögen, wenn er seines Sieges sicher gewesen wäre, hielt es für gefährlich, mit seiner kleinen Schar gegen die Übermacht anzukämpfen, zumal seine Leute den wohlbewaffneten Juden gegenüber nur unvollständig gerüstet waren; ausserdem aber hatte ihn auch die unerwartete Kühnheit der Gegner in Schrecken versetzt. So entfloh er denn zu Fuss, und fünf andere Römer liessen ebenfalls ihre Pferde im Stich, die nun von Jesus und seiner Mannschaft unter lautem Jubel in die Stadt eingebracht wurden, gleich als waren die Tiere in offener Schlacht und nicht vielmehr durch Hinterlist erbeutet worden. 8. Überdiesen Vorfall bestürzt, flohen die ältesten des Volkes und die angesehensten Männer der Stadt ins römische Lager, fielen, nachdem sie den König für sich gewonnen, vor Vespasianus nieder und baten ihn flehentlich, er möge sie doch gnädig anhören und nicht um des Wahnsinns einiger wenigen Leute willen die ganze Stadt büssen lassen, sondern die stets gut römisch gesinnte Bevölkerung schonen und nur die Anstifter der Empörung strafen, deren Späherblick es ihnen bis jetzt unmöglich gemacht habe, die längst beabsichtigte Übergabe an die Römer ins Werk zu setzen. Obwohl nun der Feldherr wegen des Pferderaubes der ganzen Stadt gewaltig zürnte, willfahrte er doch den an ihn gerichteten Bitten, weil er sah, dass auch Agrippa ängstlich für die Bürgerschaft besorgt war. Als auf diese Weise die Bittsteller der Stadt Gnade erwirkt hatten, hielten Jesus und sein Anhang sich nicht mehr für sicher und flohen deshalb nach Taricheae. Tags darauf sandte der Feldherr den Trajanus mit einer Anzahl Reiter nach einer Bergspitze voraus, um zu erforschen, ob die ge-
Seite 363 samte Bevölkerung der Stadt zu friedlichem Verhälten neige, und da er vernahm, dass ihre Gesinnung dieselbe wie die der Bittsteller sei, rückte er mit seinem Heere näher heran. Nun öffneten die Einwohner ihm die Stadtthore und zogen ihm unter Segenswünschen entgegen, indem sie ihn ihren Retter und Wohlthäter nannten. Well aber das Heer wegen der Enge der Thore sich arg drängen musste, liess Vespasianus ein Stück der südlichen Mauer einreissen und so den Eingang erweitern. Doch untersagte er dem Könige zu Gefallen seinen Soldaten jede Art von Plünderung und Gewalttätigkeit und sah auch ihm zulieb von einer Zerstörung der Mauern ab, weil Agrippa sich für die künftige Treue der Einwohnerschaft verbürgte. So brachte Vespasianus die Stadt, die übrigens infolge der Empörung viel gelitten hatte, wieder unter die Botmüssigkeit des Königs. Zehntes Kapitel. Vespasianus erobert Taricheae. Beschreibung des Jordanlaufes sowie des Sees und der Landschaft Gennesar. 1. Von Tiberias rückte Vespasianus weiter vor und schlug zwischen dieser Stadt und Taricheae ein Lager auf, dem er in der Voraussetzung, dass der Kampf sich hier in die Länge ziehen werde, eine starkere Befestigung gab; hatten sich doch im Vertrauen auf die Festigkeit der Stadt und auf den von den Eingeborenen Gennesar genannten See alle Unzufriedenen in Taricheae zusammengefunden. Die Stadt, welche ebenso wie Tiberias am Fusse eines Berges lag, war von Josephus auf allen Seiten, wo der See sie nicht bespülte, stark befestigt worden, wenn auch nicht so stark wie Tiberias; denn die Ringmauer um letztere Stadt hatte er zu Beginn des Aufstandes erbaut, als ihm noch Geld und Arbeitskräfte reichlich zu Gebote standen, während Taricheae nur vom
Seite 364 Reste seiner Freigebigkeit Nutzen ziehen konnte. Dagegen hatten die Taricheaten eine Menge Kähne in Bereitschaft, die einesteils im Fall einer Niederlage zu Lande die Flucht ermöglichen, andernteils bei einem etwa notwendig werdenden Seegefecht Verwendung finden sollten. Während nun die Römer mit der Verschanzung ihres Lagers beschäftigt waren, machten Jesus und seine Leute, die sich weder vor der Übermacht noch vor der straffen Ordnung des Feindes fürchteten, einen Ausfall, zerstreuten schon beim ersten Anlauf die Schanzarbeiter rissen einen kleinen Teil der Werke ein und fluchteten erst dann, als sie Schwerbewaffnete sich gegen sie scharen sahen, zu den Ihrigen zurück, ohne Verluste erlitten zu haben. Die Römer setzten ihnen nach und drängten sie auf die Schiffe; sie aber fuhren so weit in den See hinaus, dass sie die Gegner noch im Bereich ihrer Geschosse hatten, warfen dann Anker und rückten mit ihren Kähnen dicht aneinander, um vom Wasser aus gegen die Feinde auf dem Lande zu kämpfen. Unterdessen hatte Vespasianus erfahren, dass auch in der Ebene vor der Stadt eine grosse Menge Juden sich zusammengerottet habe, und liess deshalb seinen Sohn mit sechshundert auserlesenen Reitern gegen sie vorgehen. 2. Als dieser die bedeutende Überzahl der Feinde gewahrte, liess er seinem Vater melden, er habe Verstärkung nötig. Da er aber zugleich sah, dass der grösste Teil der Reiter noch vor dem Eintreffen weiterer Truppen anzugreifen entschlossen war, andere hingegen vor der Menge der Juden insgeheim sich ängstigten, stellte er sich so auf, dass man ihn überall hören konnte, und sprach: „Römer! Gleich zu Beginn meiner Ansprache halte ich es für erspriesslich, euch an eure Abstammung zu erinnern, damit ihr wisst, was für Leute ihr selbst seid im Vergleich zu denen, gegen die wir zu kämpfen im Begriff stehen. Unserm starken Arm ist bis jetzt noch kein Volk der Erde entronnen; die Juden aber, ich muss das zu ihren Gunsten sagen, sind, obwohl
Seite 365 stets besiegt, noch immer nicht matt geworden. Es stande uns daher übel an, wollten wir in unserm Glück erlahmen, während unsere Gegner trotz ihrer Unfälle sich aufrecht halten. Nun bemerke ich zwar mit Vergnügen, dass ihr, soweit ersichtlich, gutes Mutes seid; gleichwohl kann ich mich der Besorgnis nicht entschlagen, die Überzahl der Feinde möchte doch den einen oder anderen mit geheimem Zagen erfüllen. Darum bedenke jeder von euch nochmals, wer er selbst ist und mit werm er sich messen wird, sowie auch dass die Juden, tollkühne Menschen zwar und Verichter des Todes, dabei aber ohne Kenntnis von Taktik und Kriegführung, eher eine Bande als ein Heer genannt werden können. Was brauche ich demgegenüber von unserer Kriegserfahrung und Kriegszucht noch zu reden? Mben wir doch allein deshalb während des Friedens den Gebrauch der Waffen, damit wir im Kriege nicht nötig haben, uns dem Feinde gegenüber zu zählen! Zu was diente denn auch der beständige Heeresdienst, wenn wir nur in gleicher Anzahl uns mit ungeübten Gegnern einlassen könnten? Bedenkt ferner, dass ihr in voller Rüstung gegen Leichtbewaffnete, zu Pferde gegen Fussganger, unter einem Anführer gegen schlecht geleitete Haufen kämpfen sollt, und dass diese Vorzüge eure Zahl bedeutend vervielfachen, während die erwähnten Nachteile die der Feinde um vieles vermindern. Dbrigens hängt die Entscheidung der Schlachten durchaus nicht von der Menschenmenge ab, selbst wenn diese aus lauter kämpftichtigen Soldaten bestande, sondern von der Tapferkeit, seien es auch kleinere Scharen, denen sie innewohnt. Die letzteren nämlich lassen sich leicht zur Schlacht ordnen und können sich gegenseitig Hilfe bringen, während übergrosse Heere sich selbst mehr Schaden zufügen, als sie von seiten des Feindes erleiden. Was die Juden leitet, ist die der Verzweiflung eigene Tollkühnheit, die zwar standhalt, so lange sich Erfolge zeigen, bei den kleinsten Unfällen jedoch alsbald erlischt; unsere Führer dagegen sind Tapferkeit, Manns-
Seite 366 zucht und jener edle Sinn, der im Glück seine Kraft entfaltet, aber auch bei Schicksalsschlagen ausharrt bis ans Ende. Dann aber kämpft ihr doch jedenfalls um höhere Güter als die Juden, die des Krieges Ungemach für Freiheit und Vaterland auf sich nehmen, während wir nichts grösseres kennen wie den Ruhm und das Streben, der Meinung entgegenzutreten, als seien uns in den Juden ebenbürtige Gegner erstanden, nachdem wir den Erdkreis uns unterthan gemacht. Halten wir uns ausserdem vor Augen, dass wir eine Niederlage ja schon deswegen nicht zu fürchten brauchen, weil eine ansehnliche Truppe uns zu Hilfe kommen wird, und das bereits recht bald. Aber auch allein können wir den Sieg an uns reissen, und gut würde es uns anstehen, wenn wir dies schon vor dem Eintreffen der von meinem Vater gesandten Verstärkungen thaten, damit unser Ruhm dadurch grosser würde, dass wir ihn nicht mit anderen zu teilen hätten. Diese Stunde wird, glaube ich, die Entscheidung bringen über meinen Vater, über mich und über euch: sie wird beweisen, ob er seiner früheren Heldenthaten würdig ist, ob ich sein Sohn bin, ob ihr meine Soldaten seid. Denn wie er zu siegen gewöhnt ist, so würde ich es nicht über mich bringen, besiegt ihm unter die Augen zu treten. Und ihr, solltet ihr euch nicht schimen, überwunden zu werden, wenn euer Führer euch in die Gefahr vorangeht? Fürwahr, das werde ich thun, der erste werde ich sein, der auf die Feinde eindringt! Haltet euch also nicht schlechter wie ich, seid überzeugt, dass mein Angriff unter dem Beistand der Gottheit erfolgt, und glaubt, dass wir im Handgemenge mehr ausrichten werden als im Kampfe aus der Ferne." 3. Nach dieser Ansprache des Titus ergriff wunderbare Kampfbegier die Männer, und als kurz vor dem Gefecht Trajanus mit vierhundert Reitern zu ihnen stiess, murrten sie, wie wenn ihnen der Siegesruhm durch deren Teilnahme geschmalert würde. Übrigens sandte Vespasianus auch noch den Antonius Silo mit zweitausend
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Bogenschützen ab, um die Anhöhe gegenüber der Stadt zu besetzen und die auf der Mauer befindlichen Juden zu vertreiben. Diesem Befehl gemäss scheuchten sie auch wirklich diejenigen Feinde zurück, die von dort aus den Ihrigen Hilfe leisten wollten. Titus sprengte nun zuerst auf die Gegner ein, ihm nach unter Kriegsgeschrei die übrigen, die sich der feindlichen Front entlang über die Ebene ausdehnten und so den Anschein einer bedeutend zahlreicheren Truppe erweckten. Die Juden gerieten zwar über das Ungestüm und die gute Ordnung der Römer in Bestürzung, hielten aber immerhin eine Zeitlang dem Andrang derselben stand; schliesslich jedoch räumten sie vor den Lanzen der mächtig daherstürmenden Reiter das Feld. Haufenweise wurdeu sie nun von den Hufen der Rosse zertreten; die übrigen stoben auseinander und flohen, so schnell sie konnten, der Stadt zu. Viele von diesen machte Titus nieder, indem er von hinten auf sie einhieb, andere, die sich zu Knaueln zusammengeschart hatten, sprengte er auseinander, wieder andere überholte er und durchbohrte sie von vorn; nicht gering auch war die Zahl derer, die im Gedränge übereinander stürzten und ihm so in die Hände fielen. Allen aber suchte er die Flucht nach der Mauer abzuschneiden und sie in die Ebene zurückzutreiben, bis es den wuchtigen Massen der Juden endlich doch gelang, sich durchzuschlagen und in die Stadt einzudringen. 4. Drinnen brach sogleich ein heftiger Zwist unter ihnen aus. Die eingeborene Bevölkerung nämlich hatte um ihrer Habe und um der Stadt willen schon gleich anfangs sich für den Krieg nicht besonders begeistern können, und noch viel weniger war dies jetzt nach der Niederlage der Fall; die zahlreichen Fremdlinge aber wollten ihn mit Gewalt erzwingen. Leidenschaftlich gegeneinander erbittert, erhoben sie nun ein gewaltiges Geschrei und einen Lärm, als waren sie nahe daran, zu den Waffen zu greifen. Titus, der nicht weit von der Mauer entfernt stand, hatte kaum das Getöse vernommen,
Seite 368 als er ausrief: „Nun ist es Zeit, Kameraden! Was zögern wir noch, da die Gottheit selbst uns die Juden in die Hand giebt? Greift zu, da ihr Siegen könnt! Hört ihr nicht das Geschrei? Die unserm Schwert entronnen sind, hadern nun miteinander. Unser ist die Stadt, wenn wir eilen. Ausser der Eile aber brauchen wir Anstrengung und Kraftaufwand; denn nichts grosses gelingt ohne Wagnis. Zuvorkommen müssen wir nicht nur der Wiederaussohnung unserer Feinde, die unter dem Druck der Not gar leicht zustande kommt, sondern auch einer Hilfeleistung von seiten der Unsrigen, damit wir, nachdem uns der Sieg über eine so grosse Menge Feinde geglückt ist, obendrein auch noch allein die Stadt einnehmen!“ 5. Mit diesen Worten schwingt er sich aufs Pferd, sprengt nach dem See und dringt durch das Wasser hindurch zuerst in die Stadt ein, ihm nach die übrigen. Schrecken über seine Kühnheit befiel die Juden auf der Mauer, sodass niemand zu kämpfen oder sonstigen Widerstand zu leisten wagte. Jesus und sein Anhang verliessen ihre Posten und flohen ins offene Feld, andere, die zum See hinabliefen, fielen unter dem Schwerte der ihnen entgegenkommenden Feinde. Viele wurden niedergemacht, als sie eben die Kähne besteigen wollten, andere, während sie versuchten, den schon Abgefahrenen nachzuschwimmen. Ein gewaltiges Blutbad entstand nun in der Stadt, da ausser den Fremdlingen, die sich, soweit sie nicht geflohen waren, zur Wehr setzten, auch die Eingeborenen getötet wurden, letztere ohne alle Gegenwehr, weil sie in der Hoffnung auf Gnade und in dem Bewusstsein, den Krieg nicht gewollt zu haben, sich des Kampfes enthielten. Endlich, nachdem er die Schuldigen niedergehauen, erbarmte sich Titus der Einwohner und liess das Morden einstellen. Die auf den See geflüchteten Juden aber hatten nicht sobald die Einnahme der Stadt bemerkt, als sie möglichst weit aus dem Bereich der Feinde zu kommen trachteten. 6. Sogleich sandte nun Titus einen Reiter ab, um
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seinem Vater die frohe Kunde von der Kriegsthat bringen zu lassen. Vespasianus war natürlich hocherfreut über die Tapferkeit seines Sohnes und über den gelungenen Schlag; denn der grösste Teil des Krieges schien damit beendet zu sein. Sogleich erschien er vor Taricheae, liess die Stadt umzingeln und bewachen damit niemand daraus entschlüpfen könne, und gab Befehl, jeden niederzuhauen, der dies versuchen sollte. Tags darauf begab er sich ans Seegestade und liess zur Verfolgung der entflohenen Juden Flosse bauen, die denn auch bei dem Überfluss an Holz und der Menge der Werkleute bald fertig gestellt waren. 7. Der See Gennesar,1 der seinen Namen von der angrenzenden Landschaft hat, ist vierzig Stadien breit und hundertvierzig lang. Gleichwohl ist sein Wasser süss und zum Trinken sehr geeignet; denn es ist dünnflüssiger als das dicke Wasser von Sumpfseen, überall klar, weil der See von sandigen Ufern begrenzt ist, und so temperiert, dass es sich gut schöpfen lasst. Es ist milder als Fluss- oder Quellwasser, bleibt aber dabei doch immer kühler, als man nach der Ausdehnung des Sees erwarten sollte. Wird das Wasser der freien Luft ausgesetzt, so giebt es dem Schnee an Kälte fast nichts nach; zur Sommerszeit pflegen deshalb die Einwohner dies bei Nacht zu thun. Es giebt im See auch allerlei Arten von Fischen, die an Geschmack und Gestalt von denen anderer Gewasser verschieden sind. 2 In der Mitte wird er vom Jordan durchschnitten. Die mutmassliche Quelle des Jordan 3 ist das Panium 4; doch wird sie selbst durch
1 Im alten Testament Kinnereth, bei den Evangelisten Galilaeisches Meer, See Genezareth, See Tiberias genannt.
2 Nach Burckhardt ist nur der nördliche Teil des Sees fischreich. Der Grund hiervon liegt wohl darin, dass am südlichen Ende die Fische durch das Wasser der heissen Quellen von Tiberias verscheucht werden.
3 D. h; des östlichen Jordanarmes, der für die Juden als in ihrem Gebiete liegend allein in Betracht kam.
4 Gebirgige Landschaft des Distriktes Panias (s. a. J. A. XV, 10, 3).
Seite 370 unterirdischen Zufluss aus der sogenannten Phiala gespeist. Letztere liegt an der Strasse nach Trachonitis, hundertzwanzig Stadien von Caesarea entfernt, nicht weit rechts vom Wege. Wegen seiner runden Form wird dieses Wasserbecken mit Recht Phiala genannt, denn es hat einen kreisförmigen Rand. Stets reicht das Wasser bis an diesen Rand heran, ohne sich zu senken oder überzufliessen. Der Tetrarch Philippus von Trachonitis wies zuerst nach, dass hier die Quelle des Jordan sein müsse, die vor ihm unbekannt war. Er liess nämlich Spreu in die Phiala werfen, die im Panium, wo man früher den Ursprung des Flusses vermutete, wieder zum Vorschein kam. Die natürliche Schönheit des Panium ward übrigens noch erhöht durch die Prachtliebe des Königs Agrippa, der die Örtlichkeit mit Hilfe seiner Reichtümer ausschmückte. An der hier befindlichen Höhle beginnt der sichtbare Lauf des Jordan; er durchschneidet sodann die Sümpfe und Moraste des Sees Semechonitis 2, legt hierauf wieder hundertzwanzig Stadien zurück 3 und durchströmt an der Stadt Julias vorbei den See Gennesar in der Mitte, um endlich nach einem langen Weg durch die Wüste in den Asphaltsee einzumünden. 8. Den Gennesar entlang erstreckt sich eine gleichnamige Landschaft von wunderbarer natürlicher Schönheit. Infolge der Fettigkeit des Bodens versagt sie keinerlei Gewachs, und es haben sie denn auch die Bewohner mit allen möglichen Arten davon bepflanzt, zumal das ausgezeichnete Klima 4 ebenfalls zum Aufkommen
1 D. h. Schale. Die Angabe, dass die Quelle des östlichen Jordanarmes aus der Phiala gespeist werde, ist nach neueren Untersuchungen irrig, sodass man annehmen muss, der Tetrarch Philippus habe den Versuch mit der Spreu an einer anderen, mehr nördlich liegenden Stelle gemacht.
2 D. i. des Sees Merom.
3 Die Länge seines Laufes von der Quelle bis zum Meromsee beträgt also gleichfalls hundertzwanzig Stadien.
4 Dieses tropische Klima erklärt sich durch die tiefe Lage des Sees, dessen Spiegel nach Russegger 625, nach anderen 700 Fuss unter dem Spiegel des Mittelmeeres liegt (v. Raumer, Palastina, 4. Aufl, S. 56).
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der verschiedensten Gewachssorten beitragt. Nussbaume, welche am meisten der Kühle bedurfen, wachsen dort in grosser Menge ebenso wie Palmen, die nur in der Hitze gedeihen; nahe bei ihnen stehen wieder Feigen und Olbäume, denen eine gemässigte Temperatur mehr zusagt. Was sich hier vollzieht, konnte man ebensowohl einen Wettstreit der Natur nennen, die das einander Widerstrebende auf einen Punkt zu vereinen trachtet, als einen edlen Kampf der Jahreszeiten, deren jede diese Landschaft in Besitz zu nehmen sucht. Denn der Boden bringt die verschiedensten, anscheinend einander fremden Obstsorten nicht bloss einmal im Jahre, sondern lange Zeit hindurch fortwährend hervor. So liefert er die königlichen Früchte, Weintrauben und Feigen, zehn Monate lang ohne jede Unterbrechung, während die übrigen Früchte das ganze Jahr hindurch mit jenen der Reihe nach reif werden. Zu dem milden Klima gesellt sich dann noch die Bewüsserung durch eine sehr kräftige Quelle, die von den Eingeborenen des Landes Kapharnaum 1 genannt wird. Einige haben diese Quelle schon für eine Ader des Nil gehalten, da in ihr Rabenfische 2 wie im See bei Alexandria sich finden. Die Landschaft dehnt sich am Ufer des gleichnamigen Sees in der Länge von dreissig und der Breite von zwanzig Stadien aus. So verhält es sich mit der natürlichen Beschaffenheit jener Gegend. 9. Als die Flosse fertig waren, bemannte Vespasianus sie mit so viel Truppen, als er zur Vernichtung der auf den See geflohenen Gegner für nötig hielt, und stiess vom Ufer ab. Nun aber vermochten die dort zusammen-
1 Nicht zu verwechseln mit dem Orte Kapharnaum oder Kaper, naum, der bei Josephus Kepharnome heisst. Vergl. übrigens von Raumer, a. a. O. S. 130 ff.
2 Der Rabenfisch oder Meerrabe (Coracinus niger, subniger und chalcis) ist ein Stachelüosser, wird bis 50 Centimeter lang und 3 Kilogramm schwer (s. Brehms Tierleben Bd. 8, S. 76, Abbildung S. 73).
Seite 372 getriebenen Juden weder ans Land zu entkommen, da dieses überall von Feinden besetzt war, noch waren sie einem Kampfe zu Wasser gewachsen; denn die kleinen, nach Piratenart leichtgebauten Kähne erwiesen sich im Vergleich zu den Flossen als viel zu schwach, und die wenig zahlreiche Bemannung fürchtete sich, an die in dichten Reihen angreifenden Römer heranzufahren. Gleichwohl umschwärmten sie die Flüsse und kamen ihnen auch hier und da näher, wobei sie aus grösserer Entfernung Steine gegen die Römer schleuderten oder aus der Nähe sie durch Plänkelangriffe reizten. Beides aber schlug mehr zu ihrem eigenen Schaden aus: denn mit ihren Steinwürfen erreichten sie nichts weiter, als dass sie, weil sie gut Bepanzerte trafen, ein beständiges Geklirr hervorbrachten und dafür in den Bereich der feindlichen Geschosse kamen; wagten sie dagegen näher heranzufahren, so unterlagen sie, noch ehe sie selbst etwas ausrichten konnten, und versanken alsbald mit ihren Kähnen in die Tiefe. Viele, die sich durchzuschlagen versuchten, durchbohrten die Römer mit ihren Speeren, andere machten sie, nachdem sie auf die Nachen gesprungen waren, mit dem Schwerte nieder, wieder andere umzingelten sie mit den Flossen und nahmen sie mitsamt ihren Fahrzeugen gefangen. Tauchte einer der Versunkenen wieder auf, so ereilte ihn alsbald ein Pfeil, oder es kam ihm ein Floss über den Hals, und wollte jemand in der Verzweiflung ein feindliches Fahrzeug zu ersteigen versuchen, so hieben ihm die Römer den Kopf oder die Hände ab. Ringsum wütete so ein schreckliches und vielgestaltiges Morden, bis endlich der Rest der Juden sich zur Flucht wandte und, auf den Fahrzeugen umzingelt, ans Land gedrängt wurde. Auch hierbei kamen viele um, indem sie entweder noch draussen auf dem See durchbohrt wurden oder gleich nach der Landung unter dem Schwerte der Römer fielen. Mit Blut gefärbt und voll von Leichen war der ganze See, da nicht ein einziger Mann sein Leben gerettet hatte. Während der nächstfolgenden Tage aber erfüllte die
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ganze Gegend ein schrecklicher Gestank, und grässlich war der Anblick, den sie darbot; denn die Ufer waren mit Schiffstrümmern bedeckt und mit aufgeschwollenen Leichen, die in der Sonnenhitze verwesten und die Luft verpesteten, was den Juden nicht minder schmerzlich, als den Siegern widerlich war. So endete dieses Seegefecht. Einschliesslich derer, die zuvor in der Stadt gefallen waren, hatten bei den Kämpfen sechstausendfünfhundert Menschen ihr Leben eingebüsst. 10. Nach der Schlacht setzte sich Vespasianus in Taricheae zu Gericht, um die fremden Zuzügler, die allem Anschein nach an den Feindseligkeiten schuld waren, von den Eingeborenen zu scheiden und sich mit seinen Offizieren zu beraten, ob man auch diese Aufwiegler am Leben lassen solle. Alle erklärten ihre Freilassung für gefährlich; denn als Leute ohne Heimat würden sie sicherlich nicht ruhig bleiben, sondern imstande sein, auch diejenigen zum Kriege zu nötigen, die ihnen weiterhin noch Aufnahme gewahrten. Vespasianus sah ebenfalls ein, dass sie der Schonung nicht wert seien und ihre Freiheit nur zum Schaden derer missbrauchen würden, die sie ihnen verschafften; er besann sich daher nur noch über die Art und Weise, wie er sich ihrer entledigen solle. Tötete er sie auf der Stelle, so hatte er einen neuen Aufstand der Eingeborenen zu befürchten, die zweifellos die Niedermetzelung so vieler um Gnade flehender Menschen nicht gutwillig geschehen lassen würden, und auch abgesehen davon konnte er es nicht über sich bringen, gewaltsam gegen Leute vorzugehen, die sich ihm auf Treu und Glauben ergeben hatten. Seine Freunde indes gewannen die Oberhand, indem sie geltend machten, den Juden gegenüber sei alles erlaubt, und man müsse das Nützliche dem Anständigen vorziehen, wenn sich nicht beides miteinander verbinden lasse. Demgemäss bewilligte er ihnen in zweideutigen Worten Schonung, erlaubte ihnen aber nur auf der Strasse nach Tiberias abzuziehen. Sie glaubten gern, was sie wünschten, und zogen, offen ihre Habseligkeiten tragend, auf dem
Seite 374 ihnen bezeichneten Wege von dannen. Die Römer aber besetzten inzwischen die ganze Strasse nach Tiberias, damit niemand einen Nebenweg einschlage, und schlossen sie in die Stadt ein. Bald erschien Vespasianus, liess alle in der Rennbahn zusammenkommen und befahl sodann, die Greise und Schwachen, zwölfhundert an der Zahl, niederzumachen. Von den Jüngeren Leuten las er die sechstausend kräftigsten aus, um sie dem Nero an den Isthmus 1 zu schicken; die übrige Menge aber, gegen dreissigtausendvierhundert Köpfe, verkaufte er mit Ausnahme derer, die er dem Agrippa schenkte. Er überliess es nämlich dem letzteren, mit denen, die aus seinem Reiche waren, nach Belieben zu verfahren, worauf der König auch diese verkaufte. Der übrige Haufe aus Trachonitis, Gaulanitis sowie den Bezirken von Hippos und Gadara bestand zum grössten Teil aus Aufrührern, Flüchtlingen und solchen Menschen, die infolge ihrer im Frieden begangenen Schandthaten sich dem Kriege zugwandt hatten; sie wurden am achten des Monats Ciorpiaios gefangen genommen.
1Die Landenge von Korinth, deren Durchstechung Nero eifrig betrieb, aber nicht vollendete. Letzteres geschah bekanntlich erst im Jahre 1893.
1. Wie viele Festungen die Römer in ihre Gewalt brachten. Voai Semechonitischen See. 2, Beschreibung der Stadt Gemala. Was den Römern bei der Belagerung dieser Stadt widerfuhr. Wie Agrippa, während er seine Volksgenossen zum Einvernehmen mit den Römern ermahnte, von einem Stein getroffen wurde. 3. Wie die Römer, nachdem sie in die Mauern Gamalas Bresche gelegt, in die Stadt eindrangen, aber mit grossem Verlust zurückgeschlagen wurden. 4. Wie Vespasianus mit wenigen Begleitern allein zurückblieb und nur mit Mühe entkam. Wie der Decurio Ebutius im Kampfe fiel. Von dem Centurio Gallus. 5. Wie Vespasianus das ob seines Missgeschickes niedergeschlagene Heer mit Worten ermutigte, und wie er sich abermals zur Belagerung der Stadt rüstcte. 6. Vom Berge Tabor, und wie er von Placidus genommen ward. 7. Zerstörung von Gamala, und wie ausser zwei Frauen niemand dem Blutbade entging. 8. Wie in der Stadt Gischala, die allein noch unbezwungen übrig geblieben war, Joannes, des Levi Sohn, einen Aufstand erregte. Wie Vespasianus den Titus gegen die Stadt marschieren liess, während er selbst nach Caesarea zurückkehrte. 9. Wie Titus die Bewohner der Stadt in Güte zu gewinnen versuchte, und wie Joannes nur um einen Tag Aufschub bat und in der Nacht nach Jerusalem floh. Titus zieht mit Tagesanbruch in die Stadt ein. 10. Wie man den Joannes in Jerusalem empfing. In der Stadt und deren Umgebung brechen Unruhen aus. 11. Von den Zeloten und ihrem Treiben. 12. Wie das Volk sich wider sie erhob auf Anregung des Hohepriesters Ananus. Verhöhnung des Hohepriestertums durch die Zeloten. 13. Rede des Ananus an das Volk gegen die Zeloten. 44. Wie die Zeloten einerseits und Ananus nebst seinem Anhang anderseits förmliche Schlachten gegeneinander schlugen, und wie das Volk die Zeloten zwang, sich in den Tempel zurückzuziehen.
Seite 376 15. Wie Joannes als Friedensunterhandler zu den Zeloten geschickt wurde, sie aber noch mehr reizte, sodass sie die Idumäer zu Hilfe riefen. 16. Wie die Idumaier dem Ruf sogleich Folge leisteten, aber keinen Einlass fanden und vor der Stadt übernachten mussten. Rede des Hohepriesters Jesus an die Idumäer. 17. Wie die Zeloten während eines fürchterlichen Unwetters die Querbalken an den Thoren durchsagten und die Idumäer einliessen, ihre Gegner niedermachten und in der Stadt schrecklich hausten. 18. Ermordung der Hohepriester Ananus und Jesus. 19. Wie die Zeloten gegen das Volk wie gegen einen Haufen Tiere wüteten. Ermordung des Zacharias, Sohnes des Baruch. 20. Wie die Idumäer im Unwillen über das Treiben der Zeloten heimkehrten, und wie die Zeloten nach ihrem Abzuge noch schrecklicher in der Stadt hausten. 21. Wie die Römer sogleich gegen die Juden losziehen wollten, Vespasianus aber sie davon abhielt. 22. Wie eine Menge Juden zu den Römern übergingen wegen der Grausamkeit der Zeloten, die den von ihnen Gemordeten sogar das Begräbnis versagten. 23. Wie Joannes, der Sohn des Levi, allmählich sich zum Herrscher aufschwang. 24. Welches Unheil die Zeloten in der Festung Masada während der Feier des Paschafestes anrichteten. Auftreten verschiedener Räuberbanden. 25. Wie Vespasianus Gadara in seine Gewalt brachte und die flüchtigen Empörer durch Placidus niedermachen liess. Wie letzterer die benachbarten Städtchen und Dörfer einnahm. 26. Wie Vindex in Gallien von Nero abüel, und wie Vespasianus die Ortschaften ringsum verwüstete und Jericho eroberte. 27. Beschreibung Jerichos, der grossen Ebene und des Asphaltsees. 28. Wie Vespasianus, um Jerusalem einzuschliessen, Besatzungen in die eroberten Städte legte, und wie er die Stadt Gerasa durch Lucius zerstören liess. 29. Wie Nero ermordet und Galba zum Imperator ausgerufen wurde, alsdann Otho und nach diesem Vitellius, die alle nach kurzer Regierung starben. 30. Von Simon dem Tyrannen und seinen Unternehmungen gegen die Zeloten. 31. Von der Stadt Chebron, in der unser Stammvater Abram gewohnt hat. 32. Wie die Zeloten, während Simon ldumaea durchzog, dessen Gattin hinterlistigerweise aufgreifen liessen. 33. Nochmals von Galba und den Imperatoren, die nach ihn in Rom herrschten und starben.
Seite 377 34. Wie Vespasianus die Bezirke von Goplina und Akrabatta sowie noch andere Städte eroberte. 35. Weiteres von Simon dem Tyrannen sowie von der Drangsal, welche die Stadt zu erleiden hatte. Wie das Volk sich gegen die Zeloten erhob und den Siwnon in die Stadt aufnahm. 36. Wie Vitellius aas Germanien nach Rom kam. 37. Wie die Soldaten auf die Nachricht von den Vorgängen in Rom den Vespasianus zum Imperator ausriefen. 38. Wie Vespasianus zunächst sich Mühe gab, Alexandria und Aegypten in seine Gewalt zu bekommen. Beschreibung Aegyptens und des Nilflusses. 39. Wie Vespasianus den Schreiber dieser Zeilen, Josephus, seiner Fesseln entledigte. 40. Wie Vespasianus, nachdem er die Verhältnisse in Alexandria geordnet, nach Antiochia zog und den Mucianus nach Italien voraussandte. 41. Wie des Vitellius Heerfühirer Caecinna beim Anblick der gewaltigen Streitmacht des Vespasianus seinen Untergebenen riet, zu Antonius überzugehen. Wie Antonius Prinmus, als den Soldaten ihr Beginnen leid wurde und sie im Begriff standen, den Caecinna gefesselt zu Vitellius zu schicken, ihnen zuvorkam, viele von ihnen niedermachen liess und Caecinna zu Vespasianas sandte. 42. Wie nach des Vitellius Besiegung und Ermordung Vespasianus nach IEom elite und seinen Sohn Titus gegen Jerusalem vorrücken liess.
Erstes Kapitel. Belagerung und Einnahme von Gamala.
1. Nachdem so die Taricheaten bezwungen waren, kehrten diejenigen Galilaeer, die auch nach der Eroberung Jotapatas noch im Aufruhr gegen die Römer beharrt hatten, zum Gehorsam zurück, und die Sieger brachten nun sämtliche Festungen und Städte in ihre Gewalt mit Ausnahme von Gischala und der Besatzuug des Berges Tabor. Zu letzterer hickt auch die Taricheae gegenüber jenseits des Sees gelegene Stadt Gamala, die ebenso wie Sogane und Seleukia Grenzstadt vom Gebiete Agrippas war. Sogane und Gamala gehörten zu Gaulanitis, ersteres zu dem sogenannten oberen, letzteres
Seite 378 zu dem unteren; Seleukia dagegen lag am Semechonitischen See. Dieser ist dreissig Stadien breit und sechzig lang; seine Marschen erstrecken sich bis zur üppigen Landschaft Daphne, wo sich die Quellen befinden, die den sogenannten kleinen Jordan 1 speisen und mit ihm unterhalb des Tempels des goldenen Kalbes 2 in den grossen einmünden. Sogane und Seleukia nun hatte Agrippa zu Beginn der Empörung auf seine Seite gebracht; Gamala aber ergab sich nicht, weil es noch mehr wie Jotapata auf seine von Natur geschützte Lage trotzte. Von einem hohen Gebirgszuge nämlich läuft ein abschüssiger Felsgrat aus, der in der Mitte einen Hocker bildet. Letzterer zieht sich, nachdem er sich erhoben, eine Strecke weit in die Länge und fällt dann vorn ebenso steil ab als hinten, sodass das Ganze einem Kamel gleicht, von dem auch der Ort seinen Namen hat, nur dass die Einwohner diese Ableitung des Namens in der Aussprache nicht deutlich hervortreten lassen. An den Seiten und nach vorn zieht sich der Ort in unzugängliche Schluchten hinab, und nur nach hinten, wo Gamala mit dem Berge zusammenhängt, vermindert sich die Unzugänglichkeit ein wenig; doch hatten auch an dieser Seite die Einwohner durch Anlegung eines der Quere nach sich erstreckenden Grabens die Stadt abzuschneiden und schwerer zugänglich zu machen gesucht. An der abschüssigen Seitenwand des Höhenzuges hingebaut, standen die Häuser überaus dicht aneinander gedrängt, sodass es schien, als ob die Stadt in der Luft schwebe und wegen ihrer steilen Lage über sich selbst zusammenstürzen wolle. Gamala sah gegen Süden. Ein gleichfalls südlich gelegener, zu bedeutender Höhe ansteigender Hügel diente der Stadt als Burg, von deren oberstem Teil aus eine mit keiner Mauer eingefasste
1 Der kleine Jordan ist der mittlere, kürzeste, aber wasserreichste Quellfluss des Jordan, heute Nahr Laddan genannt; vergl. J. A. V, 3, 1.
2 Vergl. hierzu J. A. VIII, 8, 4; an dieser Stelle heisst die Landschaft Ian.
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jäh abschüssige Stelle sich in eine sehr tiefe Schlucht senkte. Innerhalb der Mauer und zwar am äussersten Ende der Stadt befand sich auch eine Quelle. 2. Diese schon infolge ihrer natürlichen Lage schwer einnehmbare Stadt hatte Josephus durch Graben und unterirdische Gänge noch fester gemacht. Die Bewohner verliessen sich auf die Natur der Örtlichkeit noch mehr als die Jotapatener, hatten aber viel weniger streitbare Mannschaft und nahmen auch im Vertrauen auf die Festigkeit des Platzes keine Verstärkungen auf. Die Stadt war nämlich ihrer starken Festungswerke wegen voll von Flüchtlingen, weshalb sie sich auch gegen ein Belagerungsheer Agrippas sieben Monate lang gehalten hatte. 3. Vespasianus brach nun von Ammaus (das Wort bedeutet „warme Bäder" - es befinden sich nämlich daselbst warme Heilquellen), wo er im Angesichte von Tiberias ein Lager errichtet hatte, auf und rückte vor Gamala. Eine vollständige Einschliessung freilich liess die Lage der Stadt nicht zu; doch stellte er an den Punkten, wo dies möglich war, Posten auf und ordnete die Besetzung des die Stadt beherrschenden Berges an. Nachdem die Legionen in gewohnter Weise auf demselben ein Lager gebaut hatten, begann er an der Hinterseite mit Auffuhrung der Dämme, ebenso im Osten, wo an dem höchsten Punkte der Stadt sich ein Turm befand, bei dem die fünfte und die zehnte Legion lagerten. Die fünfte arbeitete von hier aus gegen die Mitte der Stadt, während von der zehnten die Graben und die natürlichen Vertiefungen ausgefüllt wurden. Da geschah es, dass einer der Schleuderer den König Agrippa, als dieser sich der Mauer näherte und mit den auf ihr stehenden Juden in betreff der Übergabe unterhandeln wollte, mit einem Stein am rechten Ellbogen traf. Alsbald scharten des Königs Freunde sich um ihn; die Römer aber verlegten sich aus Zorn über die Verletzung des Königs und aus Furcht für sich selbst jetzt nur noch eifriger auf die Belagerung. Sie glaubten
nämlich, dass Leute, die gegen ihren eigenen Landsmann und wohlmeinenden Ratgeber so erbittert seien, in der Grausamkeit gegen Fremde und Feinde alles Mass überschreiten würden. 4. Als nun die Dämme durch die Menge der Hände und durch die Üung, welche die Römer in solchen Arbeiten hatten, schnell vollendet waren, brachten sie die Maschinen heran. Unterdessen hatten Chares und Josephus, die angesehensten Männer der Stadt, ihre Bewaffneten zum Kampf geordnet. Die letzteren waren übrigens ziemlich mutlos, da sie, mit Wasser und sonstigen Lebensmitteln nicht hinreichend versehen, die Belagerung nicht lange aushalten zu können glaubten; die Führer aber munterten sie auf und liessen sie trotzdem an die Mauer heranrücken. Wirklich gelang es ihnen auch, diejenigen ihrer Gegner, welche die Maschinen aufstellen wollten, eine Zeitlang zurückzuschlagen; als sie aber mit Katapulten und Ballisten beschossen wurden, zogen sie sich alsbald wieder in die Stadt hinein. Nun liessen die Römer an drei Stellen Sturmböcke wirken und brachten auf diese Weise die Mauer zum Wanken. Unter lautem Trompetengeschmetter, Waffengeklirr und Schlachtgeschrei strömten sie sodann durch die Breschen in die Stadt ein und gerieten mit den innen befindlichen Gegnern ins Handgemenge. Gegen ihre ersten Anlaufe hielten die Juden stand, hinderten die Römer am Vordringen und schlugen sie tapfer zurück; endlich aber mussten sie doch der Überzahl und dem von allen Seiten erfolgenden Angriff weichen und sich in die hoher gelegenen Stadtteile zurückziehen. Als die Feinde ihnen auch hierher nachdrängten, machten sie wieder kehrt, stürzten sich auf die Römer und trieben diese gegen den steilen Abhang zusammen, wo sie auf engem und schwierigem Terrain sich nicht mehr zu helfen wussten und niedergemacht wurden, Andere füchteten bei der Unmöglichkeit, sich gegen die höher stehenden Juden zu wehren oder sich durch die Reihen ihrer eigenen vorwärts stürmenden Leute durchzuschlagen, auf die
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Dächer der feindlichen Häuser, die vom Erdboden aus zu erreichen waren. Kaum aber waren die Dächer gefüllt, als sie unter der Last einbrachen, und sobald ein Haus zusammenstürzte, warf es viele der tiefer stehenden Gebäude um, wie diese hinwiederum die weiter unterhalb gelegenen. Das brachte einer Menge Römer den Tod; denn in ihrer Ratlosigkeit sprangen sie auf die Dächer, auch wenn sie dieselben schon einsinken sahen. Viele wurden so unter den Trümmern begraben, viele auch auf der Flucht verstümmelt; die meisten aber kamen dadurch um, dass sie in den Staubwolken erstickten. Hierin glaubten die Gamalenser den Beistand Gottes zu erkennen, drangen nun, ihrer eigenen Verluste nicht achtend, um so heftiger auf die Römer ein und töteten sie, wie sie in den steilen Gassen ausglitten und zu Boden stürzten, alsbald durch Schüsse von oben her. Steine lieferten ihnen die Haustrümmer in Menge, und Waffen die erschlagenen Feinde; denn den Gefallenen rissen sie die Schwerter von der Seite und gebrauchten sie gegen die mit dem Tode ringenden Römer. Viele der letzteren übrigens töteten sich, als sie in Gefahr waren, von den Dächern zu fallen, dadurch, dass sie sich selbst hinabstürzten. Aber auch für die, welche die Flucht ergriffen hatten, war es nicht leicht, zu entkommen; denn da sie der Wege unkundig waren und in dem dichten Staube sich gegenseitig nicht erkannten, verirrten sie sich und fielen einer über den anderen hin. 5. Wer nur irgend einen Ausweg finden konnte, zog sich aus der Stadt zurück. Vespasianus aber blieb stets den Bedrängten zur Seite; denn inniges Mitleid ergriff ihn, als er die Stadt über seinen Soldaten zusammenstürzen sah. Seiner eigenen Sicherheit nicht achtend, war er, ohne es selbst gewahr zu werden, beinahe bis zum höchsten Punkte der Stadt vorgedrungen, wo er mitten in der grössten Gefahr mit nur wenigen Begleitern sich plötzlich allein sah; sein Sohn Titus nämlich war, mit einer Sendung an Mucianus in Syrien
Seite 382 betraut, damals gerade abwesend. Da nun der Feldherr es weder für sicher noch für ehrenvoll hielt, den Rückweg anzutreten, und zugleich der vielen Gefahren, die er von Jugend auf überstanden, sowie seiner dabei bewiesenen Tapferkeit gedachte, liess er, wie von göttlicher Begeisterung durchdrungen, die Leiber und Rüstungen der Seinigen sich gleichsam zu einer einzigen Masse zusammenschliessen, stemmte sich so den von oben herabwogenden feindlichen Scharen entgegen und hielt, ohne vor der Menge der Juden und ihrer Geschosse zu erschrecken, so lange stand, bis die Feinde, in seiner Geistesgegenwart etwas Übermenschliches erkennend, in ihrem Ungestüm nachliessen. Wie nun ihr Andrang schwächer wurde, zog er selbst sich Schritt vor Schritt zurück, doch ohne ihnen den Rücken zu kehren, bis er sich ausserhalb der Mauer befand. Eine Menge Römer fielen in diesem Kampfe, darunter auch der Decurio Ebutius, ein Mann, der nicht nur in dem Treffen, wo er fiel, sondern auch schon früher bei jeder Gelegenheit sich wahrhaft heldenmütig bewiesen und den Juden grosse Verluste beigebracht hatte. Ein anderer Römer, der Centurio Gallus, wurde samt zehn seiner Soldaten im Kampfgewühl umzingelt; doch gelang es ihm, in ein Haus zu entschlüpfen. Hier vernahm er, wie die Bewohner bei der Abendmahlzeit über die Anschläge des Volkes gegen die Römer sowohl wie gegen ihn und seine Kameraden (er selbst nämlich und seine Leute waren geborene Syrer) sich besprachen. Er fiel deshalb in der Nacht über sie her, tötete sie alle und rettete sich dann mit seinen Soldaten zu den Römern. 6. Das römische Heer ward nun durch den Gedanken an seine Verluste und weil ihm bis dahin noch nirgends ein solches Unglück zugestossen war, sehr niedergeschlagen; noch mehr aber schämte es sich, den Feldherrn in der Gefahr allein gelassen zu haben. Vespasianus suchte es deshalb zu trösten, that jedoch seiner eigenen Person keine Erwähnung, um auch nicht den leisesten Tadel auszusprechen, sondern erklärte, man müsse gemeinsame
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Unfälle mit festem Mut zu ertragen wissen und bedenken, wie es in der Natur des Krieges liege, dass kein Sieg ohne Blutvergiessen gewonnen werde. Habe das Glück auch einmal einen Schritt rückwärts gethan, so werde sich das doch wieder andern, und nachdem sie tausende von Juden niedergemacht, hatten sie dem Geschick nun auch selbst ein kleines Opfer bringen müssen. Wie es niedrige Gesinnung verrate, wenn man sich im Glück masslos überhebe, so sei es anderseits unmännlich, sich durch Unglück allzusehr beugen zu lassen. Denn schnell wechsele das eine mit dem anderen, und der allein sei ein wackerer Mann, der auch bei Unfällen besonnen bleibe und die erlittenen Schläge frohen Mutes wieder gut zu machen suche. „Von dem, was soeben geschehen," fuhr er fort, „liegt der Grund weder darin, dass wir uns feige benommen hatten, noch in der Tapferkeit der Juden, sondern lediglich die Beschaffenheit des Terrains hat ihnen einen Vorteil und uns Verluste gebracht. Hinsichtlich dieses Punktes aber könnte man euch vielleicht den Vorwurf machen, dass ihr in eurem Kampfeseifer zu weit gegangen seid. Denn nachdem die Juden in die höher gelegenen Stadtteile sich zurückgezogen, hattet ihr innehalten und nicht den von oben drohenden Gefahren euch aussetzen, sondern nur die untere Stadt behaupten und allmählich die Gegner zu einem regelrechten Kampf hervorlocken sollen, dessen Ausgang dann wohl nicht zweifelhaft gewesen wäre. Nun aber habt ihr, indem ihr gar zu sehr auf den Sieg erpicht wart, eure eigne Sicherheit ausser acht gelassen. Unbesonnenheit im Kampfe indes und hitziges Drauflosgehen ist nicht üblich bei den Römern, die alle Erfolge ihrer Kriegserfahrung und Taktik verdanken, sondern die Art von Barbaren und ganz besonders auch der Juden. Wir müssen daher auf die uns eigentümliche Tapferkeit zurückkommen und durch den Unfall, der uns freilich nicht hätte begegnen sollen, uns eher ermutigen als einschüchtern lassen. Den besten Trost aber suche ein jeder in seiner eignen Faust: dann wird
Seite 384 es euch gelingen, die Gefallenen zu rächen und ihre Mörder zur Strafe zu ziehen. Was mich betrifft, so werde ich es stets halten wie vorhin, nämlich in jedem Kampf euch gegen die Feinde vorangehen und zuletzt das Schlachtfeld verlassen." 7. Mit solchen Worten richtete er den gesunkenen Mut seines Heeres wieder auf. Auf der anderen Seite war die Freude der Gamalenser über den unerwartet grossen Sieg nur von kurzer Dauer; denn bereits fingen ihnen die Lebensmittel an auszugehen, und zudem mussten sie jetzt einsehen, dass ihnen nicht nur die Hoffnung auf gütlichen Vergleich, sondern auch die Flucht ganz und gar abgeschnitten sei, was sie völlig mutlos und niedergeschlagen machte. Gleichwohl thaten sie noch alles mögliche für ihre Rettung: die tapfersten von ihnen bewachten die Breschen, und die übrigen besetzten die noch stehenden Teile der Mauer. Als aber die Römer mit der Arbeit an den Dämmen fortfuhren und einen abermaligen Sturm versuchten, entflohen viele aus der Stadt, teils durch unzugängliche Schluchten, wo keine Wachtposten standen, teils durch die unterirdischen Gänge. Was dann noch aus Furcht vor Gefangenschaft zurückblieb, ward durch Hunger aufgerieben; denn alle Lebensmittel nahm man für die streitbare Mannschaft in Beschlag. 8. Trotz dieser grossen Drangsal aber blieben sie standhaft. Vespasianus unternahm nun als Nebenarbeit einen Zug gegen die Besatzung des Berges Tabor, der mitten zwischen der grossen Ebene und Skythopolis liegt. Er erhebt sich bis zur Höhe von dreissig Stadien 1 und ist an der Nordseite kaum zu ersteigen. Auf seinem Gipfel dehnt sich eine ebene Fläche von sechsundzwanzig Stadien aus, die ganz von Festungswerken umgeben ist. Diese umfangreiche Ringmauer hatte
1 Soll wohl heissen müssen: drei Stadien, denn der Tabor ist aach Schuberts Barometermessung 1748, nach Russegger 1755 Fuss, nach neueren Messungen 613 Meter hoch.
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Josephus in vierzig Tagen erbaut, und es war ihm dabei ausser dem übrigen Baubedarf auch Wasser von unten heraufgeschafft worden, weil man oben nur Regenwasser hatte. Hier war eine grosse Menge Juden zusammengeschart, gegen welche nun Vespasianus den Placidus mit sechshundert Reitern entsandte. Da es jedoch dieser Truppenabteilung nicht möglich war, den Berg zu ersteigen, suchte Placidus die Leute dadurch herabzulocken, dass er ihnen einen gütlichen Vergleich und Begnadigung anbot. Sie kamen denn auch wirklich, aber nur um ihm gleichfalls eine Falle zu stellen. Denn wie Placidus nur deshalb so freundlich mit ihnen redete, um sie auf der Ebene überwaltigen zu können, so gingen sie ihrerseits auf seinen Vorschlag scheinbar gutwillig ein, in der That aber um unversehens über ihn herzufallen. Die Hinterlist des Placidus indes trug den Sieg davon. Kaum nämlich hatten die Juden das Gefecht begonnen, als er zum Schein den Rückzug antrat und die Verfolger tief in die Ebene hineinzog. Dann aber liess er plötzlich seine Reiter gegen sie kehrt machen, schlug sie in die Flucht und machte die meisten von ihnen nieder, während er zugleich der übrigen Menge den Weg nach dem Berge abschnitt. Die letztere liess infolgedessen den Tabor im Stich und floh nach Jerusalem zu; die eigentlichen Bewohner aber nahmen einen Vergleich an und ergaben, da ihnen auch das Wasser ausgegangen war, sich selbst und den Berg dem Placidus. 9. Von den Bewohnern Gamalas waren inzwischen die kühneren heimlich entflohen, während die Schwachen vom Hunger aufgerieben wurden. Die streitbare Mannschaft aber hielt die Belagerung noch weiter aus, bis endlich am zweiundzwanzigsten des Monats Hyperberetaios drei Soldaten der fünfzehnten Legion um die Morgenwache an den höchsten, ihrem Lager gegenüberliegenden Turm sich heranschlichen und ihn in aller Stille untergruben, wobei infolge des nächtlichen Dunkels die auf dem Turm befindlichen Wachen weder ihre Annäherung, noch, als sie da waren, ihre Anwesenheit bemerkten.
Seite 386 Die Soldaten wälzten nun unter Vermeidung jeglichen Geräusches die fünf mächtigsten Quadern heraus und sprangen dann schnell weg; plötzlich stürzte der Turm mit gewaltigem Krachen zusammen, die Wächter unter seinen Trümmern begrabend. Auf den anderen Posten floh alles in grösster Bestürzung davon, und nun machten die Römer eine Menge Juden nieder, die sich durchzuschlagen versuchten; auch Josephus wurde, wie er eben durch die Mauerlücke entspringen wollte, von einen Geschoss ereilt und getötet. Unter den Einwohnern der Stadt aber entstand infolge des markerschütternden Getöses ein Durcheinanderrennen und eine Angst, als ob das ganze feindliche Heer schon eingedrungen wäre. An diesem Tage gab auch Chares, der gerade krank darniederlag, den Geist auf, und zwar trug der Schrecken nicht wenig zu dem tödlichen Ausgange der Krankheit bei. Die Römer waren übrigens durch ihren früheren Unfall gewitzigt worden und rückten erst am dreiundzwanzigsten des genannten Monats in die Stadt ein. 10. Unterdessen war auch Titus angekommen und drang, erbittert über den Schlag, den die Römer in seiner Abwesenheit erlitten hatten, mit zweihundert auserlesenen Reitern und einigem Fussvolk in aller Stille in die Stadt ein. Die Wachen jedoch merkten seine Annäherung und eilten mit lautem Geschrei zu den Waffen; auch wurde sein Einmarsch drinnen in der Stadt schnell bekannt, worauf die einen ihre Kinder ergriffen und sie samt den Weibern unter Jammergeheul auf die Burg schleppten, andere sich dem Titus entgegenwarfen, der sie nacheinander niedermetzelte. Wem es aber nicht gelang, auf die Höhe der Burg zu entkommen, der geriet alsbald in der Verzweiflung unter die Posten der Römer. Ringsum vernahm man das Stöhnen der Sterbenden, und stromweise rann das Blut die Abhänge der Stadt hinunter. Gegen diejenigen Juden, welche sich auf die Burg geflüchtet hatten, führte nun Vespasianus, seinen Sohn unterstützend, die gesamte Streitmacht heran. Der rings von Felszacken eingefasste und schwer zu
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ersteigende Gipfel aber ragte in schwindelnde Höhe, wimmelte von Menschen und war zudem von tiefen Abgründen umgeben, sodass es den Juden nicht schwer fiel, die emporklimmenden Römer zu durchbohren und den anderen mit Geschossen und hinabgewälzten Steinen zuzusetzen, während sie selbst wegen der Höhe ihrer Stellung mit Pfeilen so gut wie gar nicht zu erreichen waren. Da erhob sich zu ihrem Verderben wie von Gott gesandt ein widriger Sturm, der die Geschosse der Römer gegen siejagte, ihre eigenen aber ablenkte und in schiefer Richtung zur Tiefe gelangen liess. Well sie nun bei der Heftigkeit des Sturmes auf dem steilen Rand, wo es ihnen an Stützpunkten fehlte, weder festen Fuss fassen noch auch die Heraufsteigenden sehen konnten, gelang es den Römern, die Höhe zu erklettern und die Juden zu umzingeln, noch ehe dieselben in der Lage waren, sich zur Wehr zu setzen oder um Schonung zu flehen. Vermehrt ward übrigens die Erbitterung der Römer noch durch das Andenken an ihre beim ersten Sturm gefallenen Kameraden. Schliesslich stürzten sich eine Menge Juden, die nicht mehr ein noch aus wussten, samt Weibern und Kindern in den Abgrund, der sich seitwärts von der Burg in eine ungeheure Tiefe senkte. Ja, die Wut der Eingeschlossenen gegen sich selbst erschien fast noch grösser als die der Römer; denn während von den letzteren viertausend Juden niedergemacht wurden, fand man mehr als fünftausend, die sich selbst in die Tiefe gestürzt hatten. Niemand kam mit dem Leben davon ausser zwei Frauen; beide waren Tochter der Schwester jenes Philippus, der den ausgezeichneten Heerführer des Königs Agrippa, Jakim, 1 zum Vater hatte. Gerettet wurden sie dadurch, dass sie sich während der Erstürmung der Stadt vor der Wut der Römer versteckten; denn diese schonten selbst der Säuglinge nicht, von denen sie viele ergriffen und die
1 S. II, 17, 4; 20, 1.
Burg hinabschleuderten. So fiel Gamala am dreiundzwanzigsten des Monats Hyperberetaios; begonnen hatte die Empörung am vierundzwanzigsten des Monats Gorpiaios.
1. Das Städtchein Gischala war nun in Galilaea alleir noch unbezwungen. Die Bevölkerung desselben war zwar friedlich gesinnt, da sie grösstenteils aus Ackerbauern und dergleichen Leuten bestand, die kein anderes Interesse als ihre Ernteaussichten kennen; zu ihrem Verderben aber hatte sich ein nicht unbedeutender Haufe Raubgesindel bei ihnen eingenistet, der auch einen Teil der Bürgerschaft mit dema Fieber der Empbrung ansteckte. Der Mann, der diese Leute zum Abfall aufhetzte und zusammenscharte, war Joannes, der Sohn eines gewissen Levi, ein Mensch von betrügerischen und hbichst zweideutigein Charakter, stets geneigt, sich mit weitgehenden Hoffnungen zu tragen, und dabei mit Fähigkeiten ausgerüstet, die ihm in den Stand setzten, dieselben zu verwirklichen; übrigens ein Freund von aufrührerischem Treiben, weil er, wie jedermann einsah dadurch die Herrschaft zu erlangen gedachte. Seiner Führung also unterstanden die Rebellen in Gischala, deren Anwesenheit daran schuld war, dass die Bürgerschaft der Stadt, die sonst vielleicht wegen der Übergabe unterhandelt hatte, jetzt in kriegerischer Haltung den Anmarsch der Römer erwartete. Vespasianus sandte nun den Titus an der Spitze von tausend Reitern gegen sie aus, und nachdem er sodann die zehnte Legion nach Skythopolis verlegt hatte, trat er selbst mit den beiden übrigen Legionen den Rückmarsch nach Caesarea an, um ihnen eine Erholung von den beständigen Strapazen
1 S. III 20, 1 ff.
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zu gewähren; die reichen Proviantvorräte dieser Städte würden, so hoffte er, die Leiber und den Mut seiner Soldaten zu den bevorstehenden Kämpfen wieder kräftigen. Denn er verhehlte sich nicht, dass vor Jerusalem noch ein tüchtiges Stück Arbeit seiner harre, da es die Königsstadt, das Herz des Landes und der Sammelplatz der aus den bisherigen Gefechten entkommenen Juden war. Die natürliche, durch künstliche Werke noch erhöhte Festigkeit der Stadt flösste ihm keine geringe Besorgnis ein, zumal er, auch abgesehen von den Festungswerken, die Einwohnerschaft wegen ihres Mutes und ihrer Kühnheit für schwer überwindlich hielt. Aus diesem Grunde bereitete er seine Soldaten wie Athleten zum Kampfe vor. 2. Als Titus mit seiner Reiterschar vor Gischala angelangt war, hatte er die Stadt ohne sonderliche Mühe durch Überrumpelung nehmen können. Da er aber wusste, dass bei einer gewaltsamen Einnahme die Soldaten das Volk in Masse niedermetzeln würden, und er nicht bloss des Mordens satt war, sondern auch Mitleid mit der Menge derer empfand, die dann unschuldig mit den Schuldigen umkommen müssten, zog er es vor, die Stadt durch Übergabe infolge eines Vertrages zu gewinnen. Er wandte sich daher an die in grosser Anzahl auf der Mauer stehenden Männer, die fast durchgehends zu der verworfenen Rebellenrotte gehörten, und erklärte ihnen, er begreife nicht, worauf sie sich eigentlich verliessen, dass sie, nachdem alle Städte gefallen, allein den Waffen der Römer noch Widerstand leisten wollten. Sie sähen doch, wie sogar weit festere Städte schon nach einem einzigen Sturm zerstört worden seien, und wie alle diejenigen sich ihres Besitzes in Sicherheit erfreuen dürften, die sich der Gnade der Römer anvertraut hatten. Diese biete er auch ihnen jetzt an, und es solle ihr übermütiges Benehmen ihnen vergeben und vergessen sein. Verzeihlich sei ja ihre Hoffnung auf Freiheit, keineswegs aber ihr starres Festhalten an dem, was sich nun einmal nicht ermöglichen lasse. Wollten
Seite 390 sie nun seinen freundlichen Worten und seinem Anerbieten betreffs einer gütlichen Vereinbarung kein Gehör schenken, so müsse er schonungslos die Waffen gegen sie gebrauchen, und sie würden dann erkennen, dass die Zerstörung solcher Mauern für die Belagerungsmaschinen der Römer ein Kinderspiel sei. Pochten sie also auf ihre Festungswerke, so zeigten sie eben, dass sie allein unter den Galiläern bei ihrer Wehrlosigkeit auch noch mit Einbildung geplagt seien. 3. Hierauf war es nicht nur keinem von der Bürgerschaft verstattet zu antworten, sondern es durfte nicht einmal jemand die Mauer besteigen; denn sie war ganz von den Räubern besetzt, und an den Thoren standen Wachen, damit niemand zu einer Unterhandlung hinausginge oder Reiter in die Stadt aufnähme. Nur Joannes ergriff das Wort und entgegnete, er sei mit den Vorschlagen einverstanden und werde die, welche sie nicht annehmen wollten, durch gute Worte oder mit Gewalt dazu vermögen. Er müsse aber diesen Tag - der ein Sabbat war - nach dem Gesetz der Juden feiern, da es ihnen an einem solchen ebensowenig gestattet sei, Friedensunterhandlungen zu führen, als die Waffen zu ergreifen. Auch den Römern könne es ja nicht unbekannt sein, dass die Juden an jedem siebenten Tage sich aller körperlichen Thätigkeit enthalten müssten. Wer aber einen anderen zur Übertretung dieses Gebotes nötigen wolle, begehe eine nicht minder grosse Sünde als der, welcher sich dazu nötigen lasse. Übrigens bringe dieser Aufschub dem Titus nicht den geringsten Schaden. Denn was könnte wohl jemand in der Nacht weiter unternehmen, als einen Fluchtversuch, den der römische Befehlshaber durch Umstellung der Stadt zu vereiteln vermöge? Wie es aber für die Juden von grossem Werte sei, keine Bestimmung ihrer väterlichen Gesetze zu übertreten, so zieme es anderseits dem, der ihnen unerwarteterweise den Frieden schenke, die Gesetze der also Begnadigten zu achten. Mit solchen Worten hinterging er den Titus; denn es war ihm nicht
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sowohl um den Sabbat, als um seine persönliche Sicherheit zu thun. Musste er doch fürchten, nach der Einnahme der Stadt alsbald im Stich gelassen zu werden, wogegen er in der Nacht durch die Flucht sein Leben retten zu können hoffte. Dass nun Titus nicht allein der listigen Bitte um Aufschub Gehör schenkte, sondern sogar sein Lager etwas weiter von der Stadt weg nach Kydyssa verlegte, war sicherlich eine Fügung Gottes, der den Joannes zum Verderben Jerusalems aufbewahren wollte. Dieses Kydyssa ist ein befestigter tyrischer Grenzflecken, der mit den Galiläern in steter Feindschaft und Fehde lag, übrigens stark bevölkert war und Festungswerke hatte, auf die er sich bei den Streitigkeiten mit jenem Volke wohl verlassen konnte. 4. In der Nacht nun, als er in der Umgebung der Stadt keine feindlichen Wachtposten mehr bemerkte, brach Joannes, die günstige Gelegenheit ergreifend, nicht nur mit seinen eigenen bewaffneten Anhängern, sondern auch mit einer Menge müssiger Leute und deren Familien auf und floh auf Jerusalem zu. Doch nur zwanzig Stadien weit konnte er, der selbst von der Angst um seine Freiheit und sein Leben gehetzt wurde, den Haufen der Weiber und Kinder mitschleppen, und als er seinen Marsch fortsetzte, liess er sie im Stich. Schrecklich erscholl jetzt das Jammergeschrei der Verlassenen; denn je weiter sich die Ihrigen entfernten, desto näher wähnten sie die Feinde, und in der Meinung, die, welche sie zu Gefangenen machen würden, seien ihnen bereits auf der Ferse, gerieten sie in die äusserste Bestürzung und schauten sich bei jedem Geräusch, das ihr eigenes Rennen verursachte, um, als wären ihre Verfolger schon da. Viele verirrten sich in unwegsame Gegenden, viele auch wurden bei dem Eifer, einander zuvorzukommen, auf der Strasse zertreten. Kläglich kamen insbesondere die Weiber und Kinder um, von denen manche mit Aufbietung aller Kraft ihren Männern und Verwandten zuriefen und sie jammernd anflehten, doch auf sie zu warten. Aber mächtiger erwies sich der Be-
Seite 392 fehl des Joannes, der die Männer anschrie, sie sollten auf ihre eigene Rettung bedacht sein und dahin fliehen, wo sie auch für die Zurückgelassenen, falls diese geraubt würden, an den Römern Rache nehmen konnten. Infolgedessen zerstreute sich die Menge der Flüchtlinge so rasch, als es die Kraft und Behendigkeit eines jeden gestattete. 5. Mit Tagesanbruch erschien Titus vor den Mauern Gischalas, um den Vertrag auszuführen. Alsbald öffneten die Bürger ihm die Thore, zogen ihm mit Weib und Kind entgegen und begrüssten ihn als ihren Wohltäter, der die Stadt von den Bedrängern befreit habe. Zugleich meldeteten sie ihm die Flucht des Joannes, baten ihn auch, er möge sie selbst verschonen und nach dem Einzug in die Stadt die noch darin befindlichen Empörungslustigen zur Strafe ziehen. Ohne zunächst auf diese Bitten des Volkes zu achten, schickte Titus unverzüglich eine Reiterschar zur Verfolgung des Joannes ab. Diesen selbst indes vermochten die Soldaten nicht einzuholen, weil er schon nach Jerusalem entkommen war; dagegen töteten sie ungefähr sechstausend von denen, die mit ihm geflohen waren, und trieben gegen dreitausend Weiber und Kinder, nachdem sie dieselben umzingelt hatten, zurück. Titus ärgerte sich zwar nicht wenig, dass er den Joannes nicht sogleich für den Betrug büssen lassen konnte; doch fand er für dieses Fehlschlagen seiner Rache in der Menge der Gefangenen und Getöteten hinlängliche Genugthuung und zog nun unter dem lauten Jubel der Bevölkerung in die Stadt ein. Alsdann gab er den Soldaten Befehl, nach Kriegsbrauch einen kleinen Teil der Mauer einzureissen. Die Aufwiegler in der Stadt aber suchte er mehr durch Drohungen als durch Strafen in Schranken zu halten; denn er fürchtete, es könnten bei einer Aussonderung der Schuldigen viele aus Privathass und Feindschaft Unschuldige zur Anzeige bringen, und hielt es daher für besser, die Schuldigen in steter Angst schweben zu lassen, als einen Unschuldigen mit ihnen zu Grunde zu
Seite 393 richten. Die ersteren, so hoffte er, würden vielleicht aus Furcht vor Strafe und aus Dankbarkeit für die Verzeihung ihrer früheren Vergehen anderen Sinnes werden, während die Hinrichtung von Unschuldigen sich nicht mehr gut machen lasse. Doch versicherte er sich der Stadt durch eine Besatzung, mit der er ebensowohl die unruhigen Geister einschüchtern, als den friedliebenden Bürgern neuen Mut machen wollte. So war denn nun ganz Galilaea bezwungen, nachdem es die Römer manchen Tropfen Schweiss gekostet hatte.
1. Als Joannes in Jerusalem einzog, strömte das gesamte Volk zu ihm hin, und um jeden der ihn begleitenden Flüchtlinge sammelten sich grosse Massen von Menschen, die sich nach den draussen im Lande vorgekommenen Unfällen erkundigten. Schon das heisere, abgebrocheneKeuchen der Ankömmlinge verriet ihre Not. Gleichwohl brüsteten sie sich noch in ihrem Unglück und behaupteten, sie seien nicht vor den Römern geflohen, sondern nur gekommen, um sie von einem sicheren Orte aus zu bekämpfen; denn es sei ebenso unvernünftig wie nutzlos, für Gischala und dergleichen armselige Städtchen sein Leben aufs Spiel zu setzen, anstatt Waffen wie Krafte zu schonen und für die Hauptstadt aufzusparen. Alsdann schilderten sie die Einnahme Gischalas, wobei denn doch viele auf den Gedanken kamen, dass das, was sie mit schon klingendem Worte Abzug nannten, in Wirklichkeit nichts als eine Flucht gewesen sei. Als man nun vollends das Los der Gefangenen erfuhr, ward das Volk in nicht geringe Bestürzung versetzt, denn es sah darin die deutlichen Vorzeichen seines eigenen Unterganges. Joannes liess sich übrigens das Schicksal der von ihm
Seite 394 im Stiche Gelassenen nicht sonderlich anfechten, sondern ging bei den Leuten umher und suchte sie durch Hoffnungen, die er in ihnen wachrief, zum Kriege anzutreiben, indem er die Macht der Römer als schwach hinstellte, die seines Volkes dagegen herausstrich und mit leisem Spott über die Beschranktheit der unerfahrenen Menge bemerkte, die Römer, denen es bei den Dörfern Galilaeas schon so schlecht ergangen sei und die dort ihre Belagerungsmaschinen zu Schanden gestossen hatten, würden, selbst wenn sie Flügel nahmen, die Mauern Jerusalems niemals übersteigen können. 2. Durch derartige Reden liessen sich die Jüngeren Leute grösstenteils bethören und für den Krieg begeistern; die besonnenen und älteren Männer dagegen sahen sämtlich das kommende Unheil voraus und betrauerten die Stadt, wie wenn sie bereits dahin wäre. So widerstreitend waren die Gefühle, die sich des Volkes bemächtigt hatten. Ehe es aber in Jerusalem zum Bürgerkriege kam, war das Volk draussen im Lande schon entzweit. Während nämlich Titus von Gischala nach Caesarea marschiert war, hatte Vespasianus sich von Caesarea nach Jamnia und Azot aufgemacht, die beiden Städte unterjocht, Besatzungen hineingelegt und mit einer grossen Menge Kriegsgefangener, die sich ihm ergeben hatten, den Rückweg angetreten. Da brachen in jeder Stadt Unruhen und Bürgerzwistigkeiten aus; kaum, dass die Leute vom Druck der Römer erleichtert aufatmeten, kehrten sie die Waffen gegeneinander, und alsbald lagen die Kriegslustigen in hartem Kampfe mit den Friedliebenden. Zunächst entbrannte der Streit in denjenigen Familien, die schon von früher her sich nicht recht vertrugen; dann befehdeten sich auch die Stämme, die zuvor in aller Freundschaft gelebt hatten, und da jeder sich zu seinen Gesinnungsgenossen echlug, standen sich in kurzem ganze Scharen feindlich gegenüber. Überall herrschte Hader und Zwietracht. Schliesslich gewannen die Empörungssüchtigen und
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Kriegslustigen infolge ihrer Jugend und Kühnheit über die älteren und verständigen Männer die Oberhand, und nachdem sich zunächst nur einzelne auf Räubereien gegen ihre Landsleute verlegt hatten, rotteten sie sich bald in förmlichen Banden zusammen, um die Landbevölkerung auszuplündern. Hierbei gaben sie an Grausamkeit und Willkür den Römern nicht das mindeste nach, sodass den von ihnen Misshandelten die Unterwerfung durch die Römer bei weitem erträglicher vorkam. 3. Die Besatzungen der Städte leisteten teils aus Verdruss über ihre bisherigen Unfälle, teils aus Hass gegen die Juden den Geplagten keine oder nur geringe Hilfe, bis endlich die Anführer der allerorts hausenden Räuberbanden, der Plünderung im Lande satt, sich zu einer Rotte der Bosheit zusammenscharten und zum Verderben Jerusalems in diese Stadt einbrachen, die damals einer einheitlichen Regierung entbehrte und altem Brauche gemäss alle Volksgenossen ohne besondere Vorsichtsmassregeln aufnahm; war man doch allgemein der Überzeugung, die Herbeiströmenden kamen nur in der guten Absicht, Hilfe zu bringen. Sie aber stürzten, auch abgesehen von den Unruhen, die sie erregten, die Stadt nachmals ins tiefste Elend; denn von der unnützen und mässigen Menge wurden die Lebensmittel, die für die streitbare Mannschaft wohl hingereicht hatten, vorzeitig aufgebraucht und dadurch der vorhandenen Kriegsdrangsal noch Bürgerzwist und Hungersnot hinzugesellt. 4. Auch anderes Banditenvolk kam vor Lande in die Stadt herein, verband sich mit dem noch schlimmeren Gesindel, das schon drinnen war, und beging im Verein mit diesem die ärgsten Schandthaten. Raub und Diebstahl genügten ihrer Frechheit nicht mehr, sondern sie verstiegen sich sogar zu Mordthaten, und zwar verübten sie dieselben nicht etwa bei Nacht oder heimlich oder an gemeinen Leuten, sondern offen, am hellen Tage und bei den Vornehmsten anfangend. Zuerst nahmen sie
Seite 396 einen der mächtigsten Männer der Stadt, Antipas, 1 der aus königlichem Geschlecht stammte und dem der Staatsschatz anvertraut war, gefangen und kerkerten ihn ein; hierauf einen anderen vornehmen Mann Namens Levi und Sophas, den Sohn des Raguel, beide gleichfalls von königlichem Geblüt; endlich alle, die im Lande grosses Ansehen genossen. Gewaltige Bestürzung aber verbreitete sich im Volke, und als ob die Stadt schon vom Feind erobert wäre, dachte jeder nur noch an seine eigene Sicherheit. 5. Blosse Gefangenschaft der also Ergriffenen genügte indes den Frevlern nicht; auch hielten sie es nicht für ratsam, so mächtige Männer langere Zeit in Haft zu halten, weil deren zahlreiche Familien wohl imstande waren, sie zu rächen. Zudem fürchteten sie, das Volk mochte über ihr gesetzwidriges Verfahren in Erregung geraten und sich wider sie erheben. Sie beschlossen daher, die Gefangenen aus dem Wege zu räumen, und beauftragten damit denjenigen ihrer Genossen, der am leichtesten sich zu Mordthaten bereit finden liess, nämlich einen gewissen Joannes, in der Landessprache „Sohn der Gazelle" genannt. Dieser nahm zehn Bewaffnete mit sich ins Gefängnis und brachte mit deren Hilfe die Eingekerkerten ums Leben. Zur Rechtfertigung des schweren Verbrechens ersannen sie einen gewichtigen Vorwand: sie behaupteten nämlich, die Gefangenen hätten mit den Römern wegen der Übergabe Jerusalems unterhandelt und seien demgemäss nur deshalb getötet worden, weil sie an der gemeinsamen Freiheit Verrat begangen hatten. Ja, bald prahlten sie sogar noch mit ihrem Frevel, als wenn sie dadurch die Wohlthäter und Retter der Stadt geworden wären. 6. Während nun das Volk immer mutloser und zaghafter wurde, steigerte sich der Wahnsinn jener Ruchlosen in solchem Grade, dass sie sogar die Wahl der
1 S. II, 17, 4.
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Oberpriester sich anmassten. Sie schafften die Vorrechte der Familien ab, aus denen nach bestimmter Reihenfolge diese Klassenhäupter ernannt wurden, und übertrugen die Würde an gewöhnliche Leute aus niederem Stande, um an ihnen Helfershelfer für ihre Schandthaten zu. gewinnen; denn diese Menschen, die ganz ohne eigenes Verdienst zu so hohen Ehrenstellen gelangt waren, mussten selbstverständlich denen zu Willen sein, die ihnen dazu verholfen hatten. Die Vornehmen hetzten sie durch allerlei Kniffe und Ohrenbläsereien gegeneinander, und die Reibereien unter denen, die ihnen noch in den Weg, treten konnten, nützten sie für ihre Zwecke aus, bis sie endlich, übersättigt von den Freveln gegen Menschen, ihre Frechheit auch gegen die Gotthecit kehrten und mit befleckten Füssen das Allerheiligste zubetreten wagten. 7. Nun aber erhob sich wider sie das Volk, aufgereizt von dem ältesten der Hohepriester, Ananus, einem höchst verständigen Manne, der auch vielleicht die Stadt gerettet haben würde, wenn er den Händen der Mörder entronnen wäre. Die Frevler jedoch machten den Tempel Gottes zu einem Bollwerk gegen die unruhigen Bewegungen des Volkes, und das Heiligtum ward ihnen Zufluchtsort und Zwingburg. Schliesslich fügten sie zu ihren Greuelthaten auch noch Hohn hinzu, der schmerzlicher als jene empfunden wurde. Um nämlich zu versuchen, wie weit das Volk sich von ihnen einschüchtern lassen würde, und um zugleich ihre eigene Stürke zu erproben, wagten sie es, die Hohepriester durchs Los zu wählen, während doch, wie schon bemerkt, das Anrecht auf diese Würde durch Abstammung erworben wird. Zum Vorwand ihres Unterfangens musste ihnen eine alte Sitte dienen: denn auch in früheren Zeiten, behaupteten sie, sei die hohepriesterliche Würde durchs Los zugeteilt worden; in Wirklichkeit aber bezweckte
1 Gemeint sind hier die Vorsteher der vierundzwanzig Priesterklassen.
Seite 398 ihr Vorhaben die Auflösung eines sehr bestimmt lautenden Gesetzes und war nichts weiter als ein Kunstgriff zur Stärkung ihrer Macht, indem sie eben die höchsten Stellen eigenmächtig besetzen wollten. 8. So beriefen sie denn einen der hohepriesterlichen Stämme, Eniachim genannt, und wählten einen Hohepriester durchs Los. Zufällig traf nun das Los einen Menschen, an dessen Person das Frevelhafte ihres Beginnens so recht offenkundig wurde, einen gewissen Phannias nämlich, den Sohn Samuels aus dem Dorfe Aphtha. Abgesehen davon, dass er überhaupt keinem hohepriesterlichen Geschlecht angehörte, war er auch so ungebildet, dass er nicht einmal wusste, was Hohepriestertum eigentlich sei. Wider seinen Willen schleppten sie ihn vom Lande herein, schmückten ihn, wie man auf der Bühne zu thun pflegt, mit einer fremden Maske, bekleideten ihn mit dem heiligen Gewand und unterwiesen ihn gelegentlich darin, was er zu besorgen habe. Ihnen freilich diente dieser ungeheuerliche Frevel nur zu Scherz und Spott; den anderen Priestern dagegen, die von fern zusahen, wie das Gesetz verhöhnt wurde, traten die Tränen in die Augen, und tief seufzten sie über die Verunglimpfung der heiligen Ämter. 9. Solche Frechheit ertrug das Volk nicht länger, und alles erhob sich nun zum Sturze der Tyrannei. Die angesehensten Männer, Gorion, des Josephus Sohn, und Symeon, der Sohn des Gamaliel, forderten sowohl die grosse Masse in den Versammlungen, als auch einzelne, die sie besuchten, auf, endlich einmal die Verderber der Freiheit zu bestrafen und das Heiligtum von den Bluthunden zu saubern. Auch die geachtetesten unter den Hohepriestern, Jesus, des Gamalas Sohn, und Ananus, des Ananus Sohn, warfen dem Volke seine Lässigkeit eindringlich in den Versammlungen vor und stachelten es gegen die Eiferer 1 auf. So nämlich nannten sie sich,
1 Zeloten.
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wie wenn sie für gute Zwecke eiferten, während ihr Wetteifer sich in Wirklichkeit doch nur auf Schlechtigkeiten bezog, in denen sie sich gegenseitig zu überbieten trachteten. 10. Als nun das Volk in grosser Menge zusammengekommen war und alles über die Besetzung des Heiligtums, die Räubereien und die Mordthaten sich entrüstet zeigte - ohne dass übrigens irgend jemand zur Rache schreiten wollte, weil man, und zwar mit Recht, die Zeloten für schwer überwindlich hielt - erhob sich mitten in der Versammlung Ananus, schaute mehrmale thränenden Auges zum Tempel hinauf und sprach: „Lieber wäre ich gestorben, als dass ich das Haus Gottes so voll greulicher Frevel und die nie betretenen heiligen Stätten von den Füssen der Mörderrotten befleckt sehen muss. Aber mit dem hohepriesterlichen Gewande angethan und den heiligsten der ehrwürdigen Namen tragend,1 lebe ich noch und lebe gern, 2 ohne dass ich bis jetzt den meinem Greisenalter gebührenden rühmlichen Tod erlitten hätte. Bleibe ich freilich allein und wie in einer Wüste, so will ich auch allein meine Seele Gott zum Opfer bringen. Denn wozu soll ich inmitten eines Volkes leben, das kein Gefühl mehr für seine früheren Leiden hat und bei dem sogar die Empfindung für die schweren Drangsale, von denen es in der Gegenwart heimgesucht wird, geschwunden ist? Plündert man euch, so bleibt ihr gleichgültig, schlägt man euch, so schweigt ihr, und über die Gemordeten wagt niemand auch nur laut zu seufzen. Welch harteTyrannei! Doch was tadle ich die Tyrannen? Sind sie nicht durch euch und eure Langmut gross geworden? Habt nicht ihr, als sie noch wenig zahlreich waren, ihre ersten Zusammenrottungen ausser acht gelassen und durch euer Stillschweigen es verschuldet, dass sie zum grossen Haufen
1 Bezieht sich auf den Namen Gottes (Jehovah), der in die Stirnplatte der hohepriesterlichen Kopfbedeckung eingraviert war.
2 Zu ergänzen: Wenn ich euch für ein baldiges Vorgehen gegen die Tyrannen begeistern kann.
Seite 400 anwuchsen? Habt nicht ihr, indem ihr sie sich ruhig bewaffnen liesset, ihre Waffen gegen euch selbst gekehrt, anstatt ihre ersten Anläufe zurückzuschlagen, damals, als sie eure Verwandten mit Schmähungen angriffen? Durch eure Gleichgültigkeit habt ihr die Frevler zu Räubereien ermutigt, und wenn Häuser verwüstet wurden, hattet ihr kein Wort dagegen! Darum konnten sie denn auch die Besitzer dieser Häuser wegführen, und niemand kam den Unglücklichen zu Hilfe, als sie mitten durch die Stadt geschleppt wurden, als man mit Fesseln diejenigen quälte, die ihr verraten hattet! Ich will nicht sagen, wie viele, wie hochangesehene Männer ohne Anklage, ohne Verhör so behandelt wurden. Niemand nahm sich der Gefesselten an: die Folge war, dass wir sie zuletzt noch hinmorden sehen mussten. Wir sahen zu, als wie aus einer Herde unvernünftiger Tiere immer wieder das beste Opfer herausgeholt wurde - aber niemand erhob seine Stimme, geschweige denn dass jemand die Hand gerührt hätte. Und nun duldet ihr, duldet ihr es, dass das Heiligtum mit Füssen getreten wird? Und wenn ihr auch jenen Ruchlosen eine Stufe nach der anderen zu ihren vermessenen Schritten selbst geebnet habt, seid ihr denn nicht wenigstens jetzt ihrer Übermacht müde? Sie würden doch sicherlich noch weiter gehen, wenn es etwas Grösseres als das Heiligtum zu verwüsten gibe. In ihren Händen ist der festeste Punkt der Stadt - denn eine Burg oder Festung muss man jetzt den Tempel nennen. Da nun eine so gewaltige Tyrannei hinter diesen Mauern euch bedroht und ihr eure Feinde über euren Hauptern erblickt, was habt ihr im Sinn und womit wollt ihr euer Gemüt beruhigen? Wartet ihr etwa auf die Römer, dass sie u n s e r n Heiligtümern zu Hilfe kommen? Steht es so schlimm mit unserer Stadt, und sind wir so tief im Elend versunken, dass die Fei n d e sich unser erbarmen sollen? Werdet ihr euch nicht erheben, ihr Beklagenswerten, euch gegen die Schläge, wie man ja selbst bei Tieren sehen kann, auflehnen und an denen, die euch schlagen, Rache
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nehmen? Wollt ihr euch nicht die einem jeden von euch zugefügten Unbilden ins Gedächtnis rufen und, indem ihr eurer Leiden gedenkt, den Mut zum Widerstande schärfen? Ist denn das edelste und natürlichste aller Gefühle, die Liebe zur Freiheit, völlig in euch ertötet? Sind wir etwa Sklavennaturen und Bedientenseelen geworden, als wäre es Unterwürfigkeit, was wir von unsern Vorfahren überkommen haben? Nein, sie haben viele und grosse Kriege für ihre Selbständigkeit geführt und sowohl der Macht der Aegyptier als der der Meder standgehalten, nur um nicht in Abhängigkeit zu geraten! Doch was brauche ich von unsern Ahnen zu sprechen? Eben der gegenwärtige Krieg mit den Römern, von dem ich übrigens jetzt nicht erörtern will, ob er zweckmässig und nützlich ist oder nicht, aus welchem Grunde wird er denn geführt? Doch wohl für die Freiheit! Wenn wir uns nun den Herren der Welt nicht fügen wollen, wie sollen wir da unsere eigenen Landsleute als Tyrannen über uns dulden? Wird man von auswärtigen Feinden unterjocht, so mag man dafür die Ungunst des Schicksals verantwortlich machen; kriecht man aber vor seinen eigenen Mitbürgern und noch dazu vor den schlechtesten zu Kreuz, so ist dies ein Zeichen von Feigheit und Knechtessinn. Da ich übrigens gerade die Römer erwähnte, will ich euch nicht vorenthalten, was mir soeben während meiner Rede in den Sinn kam, nämlich dass wir, wenn uns auch die Römer, was ich nicht hoffen will, unterjochen sollten, jedenfalls nichts schlimmeres erdulden würden, als was diese unsere Mitbürger uns angethan haben. Oder ist es nicht zum weinen, dass, während wir von den Römern selbst Weihgeschenke im Tempel sehen, unsere eignen Landsleute dort ihren Raub aufhäufen, nachdem sie den Adel der Hauptstadt ermordet und Männer aus dem Wege geräumt haben, die der Feind im Falle des Sieges geschont haben würde? Ist es ferner nicht bejammernswert, dass, während die Römer niemals die Schwelle der Ungeweihten überschritten und keinen unserer heiligen Gebräuche
Seite 402 verletzten, sondern in ehrfurchtsvollem Schauer nur von fern die Einfriedigung des Heiligtums zu betrachten wagten, Leute, die in diesem Lande geboren, in unserer Religion erzogen sind und sich Juden nennen, mitten im Allerheiligsten umherwandeln, da ihre Hände noch vom Blute ihrer Volksgenossen rauchen? Wer sollte da noch den von aussen kommenden Krieg und die im Vergleich zu unseren Landsleuten viel menschlicheren Feinde fürchten? Will man die Dinge beim rechten Namen nennen, so wird man finden, dass die Römer unsere Gesetze uns in dem Masse erhalten, wie unsere eignen Leute sie mit Füssen treten. Dass daher diese Feinde unserer Freiheit vernichtet werden müssen, und dass keine Strafe, die man erdenken mag, für ihre Schandthaten streng genug ist, diese Überzeugung, hoffe ich, habt ihr alle schon von Hause mit hierhergebracht, wie ihr wohl auch schon vor meiner Rede durch das, was ihr erlitten, gegen sie aufgebracht wart. Nur erschrecken vielleicht die meisten vor ihrer Menge, ihrer Kühnheit und ihrer vorteilhaften Stellung. Aber wie an alledem eure Gleichgültigkeit schuld ist, so wird durch längeres Zögern das alles nur noch schlimmer werden. Denn ihre Zahl erhält tagtäglich neuen Zuwachs, da alle Bösewichte zu ihnen als ihren Gesinnungsgenossen übergehen; ihre Kühnheit aber wird um so mehr entflammt, je weniger sie auf Hindernisse stösst; und was ihre Stellung über unsern Häuptern angeht, so werden sie dieselbe bald zur Anwendung von Waffengewalt benutzen, wenn wir ihnen Zeit dazu lassen. Rücken wir ihnen aber zu Leibe, so wird, glaubt es mir, ihr schlechtes Gewissen sie entmutigen, und den Vorteil ihrer örtlich höheren Stellung wird ihre innere Verfassung zu Schanden machen. Vielleicht auch, dass die beleidigte Gottheit ihre Geschosse wider sie selbst kehrt, und die Frevler durch ihre eignen Pfeile fallen. Fürwahr, sie werden uns kaum erblicken, so sind sie schon dahin. Ist nun auch Gefahr damit verbunden, so wird es doch anderseits reiche Ehren eintragen, an den heiligen Thoren
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zu fallen und, wenn auch nicht für Weib und Kind, so doch für Gott und sein Heiligtum das Leben zu lassen. Ich selbst will mit Rat und That euch vorangehen: nichts, was ich für eure Sicherheit erdenken kann, wird euch mangeln, und ihr sollt sehen, dass ich auch meiner eignen Person nicht schonen werde." 11. Mit solchen Worten suchte Ananus das Volk gegen die Zeloten aufzustacheln, obwohl er sich nicht verhehlen konnte, dass sie schon jetzt wegen ihrer grossen Zahl, jugendlichen Kraft und Entschlossenheit, besonders aber wegen des Bewusstseins ihrer bisherigen Thaten schwer zu bewältigen sein würden. Da sie nämlich für ihre Vergehen keine Verzeihung zu gewärtigen hatten, konnte man sich des äussersten Widerstandes von ihrer Seite versehen. Trotzdem war er gewillt, lieber alles zu wagen, als die Dinge in dieser Verwirrung zu lassen. Das Volk aber schrie, er solle sie gegen diejenigen führen, gegen die er sie zum Kampf aufgefordert habe, und es zeigte sich der eine immer bereitwilliger als der andere, der Gefahr zuerst die Stirn zu bieten. 12. Während aber Ananus die zum Kampfe Tauglichen auslas und ordnete, erfuhren die Zeloten den Anschlag; denn sie hatten Leute, die ihnen alles hinterbrachten, was beim Volke vorging. Voll Erbitterung stürzten sie darauf teils in geschlossenen Reihen, teils in kleineren Haufen aus dem Tempel hervor und machten schonungslos alles nieder, was ihnen in den Weg kam. Schnell sammelte Ananus das Volk, das den Zeloten zwar an Zahl überlegen war, an Bewaffnung aber und festgefügter Ordnung ihnen nachstand. Die beiderseitigen Mängel indes glich die hüben wie drüben herrschende Kampfeslust aus; die von der Stadt nämlich zeigten sich von einer Erbitterung durchdrungen, die stärker war als alle Waffen, während die vom Tempel eine Kühnheit besässen, die es mit jeder Überzahl aufnehmen zu wollen schien. Die einen glaubten in der Stadt nicht länger wohnen zu können, wenn sie dieselbe nicht von den Banditen säuberten; die Zeloten anderseits wussten wohl
Seite 404 dass im Fall ihrer Niederlage alle erdenklichen Strafen ihrer harrten. So gerieten sie denn in leidenschaftlichem Kampf aneinander und beschossen sich zuerst in der Stadt sowohl als vor dem Tempel mit Steinen und Wurfspeeren, die sie von fern schleuderten; sobald aber ein Teil sich zur Flucht gewandt hatte, griffen die Sieger zum Schwert. Gross war auf beiden Seiten die Zahl der Toten und Verwundeten. Wer vom Volke kampfunfähig wurde, den zogen seine Angehörigen ins Haus hinein; die verwundeten Zeloten dagegen begaben sich wieder in den Tempel zurück und netzten den heiligen Boden mit ihrem Blut, sodass man mit Recht sagen kann, ihr Blut allein habe das Heiligtum befleckt. 1 Bei den Ausfällen gewannen nun zwar die Räuber im Gefecht stets die Oberhand; auf seiten des Volkes aber wuchs sowohl die Erbitterung als die Zahl der Kämpfer beständig an, und während man hier die Weichenden mit Vorwürfen überschüttete und die Nachdrängenden denen, welche fliehen wollten, den Rückweg abschnitten, wälzten sie sich mit der ganzen Wucht ihrer Masse gegen die Feinde. Diese vermochten dem Anprall nicht länger zu widerstehen und zogen sich allmählich in den Tempel zurück; die Leute des Ananus aber drangen zugleich mit ihnen ein. Gewaltige Bestürzung ergriff die Zeloten, als sie die erste Ringmauer verloren hatten, und nachdem sie in den inneren Raum geflohen waren, schlossen sie eiligst die Thore hinter sich. Ananus jedoch konnte sich nicht entschliessen, die heiligen Pforten zu stürmen, zumal da die Feinde von oben herab ihre Geschosse warfen; denn selbst für den Fall, dass ihm der Sieg beschieden sein sollte, hielt er es für sündhaft, das Volk ohne vorgängige Reinigung hineinzuführen. Er wählte daher aus der Menge etwa sechstausend Bewaffnete durchs Los und stellte sie als Wächter an den Hallen auf, bestimmte auch, dass andere sie ablösen und so der Reihe nach alle auf Wache
1 D. h. das Blut der Opfertiere war reiner als das der Zeloten.
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ziehen sollten. Viele aus den Vornehmen jedoch wurden von den Befehlshabern dieser Verpflichtung enthoben und liessen ärmere Leute, die sie dafür bezahlten, anstatt ihrer selbst den Wachdienst versehen. 13. An dem Untergang aller dieser Menschen aber trug die Schuld jener Joannes, der, wie oben erwähnt, aus Gischala entflohen war, ein höchst verschmitzter Mann, der ein leidenschaftliches Verlangen nach Gewaltherrschaft in seiner Seele trug und schon längst Schlimmes gegen den Staat im Schilde führte. Damals begleitete er, volksfreundliche Gesinnung heuchelnd, den Ananus auf allen seinen Gängen, mochte der Hobepriester nun tagüber mit den Machthabern sich beraten oder nachts die Wachen besichtigen. Die erlauschten Geheimnisse hinterbrachte er dann den Zeloten, und jeder Anschlag des Volkes wurde, noch ehe er gehörig beraten war, durch ihn den Feinden bekannt. Um dabei keinen Verdacht zu erregen, benahm er sich übermässig zuvorkommend gegen Ananus und die Vorsteher des Volkes. Durch seine Liebedienerei aber erreichte er gerade das Gegenteil von dem, was er damit bezweckte; denn seine faden Schmeicheleien machten ihn nur um so verdächtiger, und dass er überall zugegen war, wo man seiner gar nicht begehrte, lieferte den Beweis, dass er Geheimnisse verriet. Man hatte nämlich gar bald weg, dass bei den Feinden die Beschlüsse des Volkes stets bekannt waren, und niemand traute man die Verräterei eher zu, als eben dem Joannes. Ihn aus dem Wege zu räumen war indes nicht leicht, da er durch seine Schlechtigkeit zu grossem Einfluss gelangt war und als den besseren Ständen angehörig bei vielen Männern Deckung fand, die in der Verwaltung Sitz und Stimme hatten. Man beschloss daher, sich seiner Treue durch einen Eid zu versichern. Ohne Anstand schwur nun Joannes, es mit dem Volke halten, keinen Beschluss und keine Massregel den Feinden verraten und zum Sturze derer, welche die Waffen ergreifen würden, mit Rat und That beitragen zu wollen. Ananus und die
Seite 406 Seinen glaubten dem Eide und liessen ihn fortan arglos an ihren Beratungen teilnehmen. Ja, sie ordneten ihn sogar als Gesandten an die Zeloten ab, um über die Schlichtung des Streites zu unterhandeln; denn es lag ihnen ebenso viel daran, selber den Tempel nicht entheiligen zu müssen, als dass keiner ihrer Landsleute in ihm sein Leben verlöre. 14. Joannes aber ging, wie wenn er den Zeloten und nicht vielmehr ihren Gegnern Treue geschworen hätte, zu den ersteren hinein und erklärte, er habe zwar schon oft um ihretwillen sich in Gefahr begeben, um sie von allem in Kenntnis zu setzen, was die Partei des Ananus insgeheim gegen sie im Schilde führe; jetzt aber werde er mit ihnen allen in die grösste Gefahr geraten, wenn Gott ihnen keine besondere Hilfe sende. Denn Ananus wolle nicht länger mehr zuwarten, sondern habe, nachdem er das Volk beschwatzt, Gesandte an Vespasianus geschickt, damit dieser in aller Eile heranrücke und sich der Stadt bemächtige. Ein Reinigungsopfer zum Angriff auf sie, die Zeloten, sei für den folgenden Tag angesagt, damit das Volk entweder unter dem Vorwand des Gottesdienstes eindringen oder auch unter Anwendung von Gewalt mit ihnen handgemein werden könne. Er wisse nicht, wie lange sie die Belagerung noch auszuhalten oder solcher Übermacht Widerstand zu leisten vermochten. Dann setzte er hinzu, er sei durch göttliche Fügung in den Tempel geschickt worden, um wegen Beilegung der Zwistigkeiten zu verhandeln. Einen Vergleich nämlich trage ihnen Ananus jetzt an, aber nur um über sie herzufallen, wenn sie waffenlos ihm gegenüberständen. Sie müssten daher behufs Rettung ihres Lebens entweder die Belagerer um Gnade bitten oder irgendwelche Hilfe von auswärts sich zu verschaffen suchen. Diejenigen übrigens, welche sich im Falle des Unterliegens etwa mit der Hoffnung auf Verzeihung trügen, hatten wohl ihre eigenen Frevel vergessen oder glaubten vielleicht, die Reue der Übeltäter müsse nun auch notwendigerweise gleich eine versöhnliche Stimmung bei den Misshandelten
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zur Folge haben. Gar oft aber bleibe der Hass gegen die Beleidiger trotz all ihrerReue bestehen, und die Erbitterung der Geschädigten werde vielfach, wenn sie die Macht erlangten, nur um so heftiger. Auf alle Falle würden ihnen die Freunde und Angehörigen der Getöteten stets aufsässig bleiben wie auch die grosse Masse des Volkes, das über die Abschaffung der Gesetze und der ordentlichen Rechtspflege gewaltig ergrimmt sei, und wenn auch ein kleiner Teil des letzteren zum Mitleid neige, so verschwinde derselbe doch völlig unter der Menge derer, die auf Befriedigung ihrer Racle bestanden.
1. Durch derartige verschmitzte Lügen setzte er alle Zeloten in Schrecken. Worin die Hilfe von auswärts bestehen sollte, wagte er zwar nicht gerade heraus zu sagen, doch hatte er offenbar die Idumäer im Sinne. Um nun die Anführer der Zeloten noch besonders aufzureizen, gab er eine lügenhafte Schilderung von der Grausamkeit des Ananus und sagte, auf sie seien ganz besonders seine Drohungen zugespitzt. Diese Anführer waren Eleazar, der Sohn des Simon,1 der sowohl im Erdenken zweckmässiger Pläne als in deren Ausführung das grösste Zutrauen genoss, und Zacharias, der Sohn des Phalek, beide aus priesterlichem Geschlecht. Als diese Männer ausser den Drohungen, die ihnen allen galten, auch noch die eigens gegen ihre Person gerichteten vernahmen und obendrein erfuhren, wie die Partei des Ananus, um die höchste Gewalt an sich zu reissen, die Römer herbeirufen wolle (denn auch diese Lüge hatte Joannes hinzugefügt), waren sie eine Weile unschlüssig, was sie bei
1 S. II, 20, 3.
Seite 408 der Kürze der ihnen noch zur Verfügung stehenden Zeit thun sollten. Sie glaubten nämlich, das Volk werde wohl bald zum Angriff gegen sie vorgehen und durch rasche Ausführung seines Anschlages ihnen jeden Beistand von aussen her gänzlich abschneiden; so werde es mit ihnen bereits zum äussersten gekommen sein, ehe auch nur einer ihrer Bundesgenossen davon Kenntnis erlangen könne. Nichtsdestoweniger beschloss man, die Idumäer herbeizurufen. Zu diesem Zweck schrieben sie einen kurzen Brief des Inhalts: Ananus hintergehe das Volk und wolle die Hauptstadt an die Römer verraten; sie selbst, die sich zur Rettung der bedrohten Freiheit von ihm losgesagt, würden im Tempel belagert; die Zeit, in der ein Versuch zu ihrem Entsatz noch Erfolg verheisse, sei nur kurz. Kämen also die Idumäer nicht schleunigst zu Hilfe, so würden sie, die Zeloten, dem Ananus und ihren übrigen Feinden, die Stadt aber den Römern in die Hände fallen. Eine ausführliche Darlegung des Sachverhaltes sollten die Boten den Führern der Idumäer mündlich geben. Für die Sendung wurden zwei der entschlossensten Männer vorgeschlagen, die in derartigen Verhandlungen erfahren, mit der nötigen Überredungsgabe ausgerüstet und, was ihnen noch mehr zu statten kam, ausgezeichnete Schnellläufer waren. Im Tempel wusste man übrigens, dass die Idumäer sich nicht lange würden bitten lassen. Denn sie sind ein ungestümes, zügelloses Volk, das stets auf der Lauer nach Unruhen liegt und am Aufruhr seine helle Freude hat; auch bedarf es nicht vieler guten Worte, um es unter die Waffen zu bringen, zumal sich dort alles zum Kampf wie zu einem Feste drängt. Eile war aber für die Botschaft erforderlich, und da die Abgesandten, die beide Ananias hiessen, den besten Willen dazu hatten, waren sie schnell bei den Führern der Idumäer angelangt. 2. Diese gerieten durch den Inhalt des Briefes und den mündlichen Bericht der Boten in gewaltige Erregung, rannten alsbald wie wütend im Volke umher und predigten
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den Krieg. Fast schneller als der Aufruf erfolgt war, versammelte sich die Menge, und alles ergriff die Waffen zur Befreiung der Hauptstadt, wie man sich ausdrückte. Fast zwanzigtausend Mann stark erschienen sie nun vor Jerusalem unter vier Anführern, nämlich Joannes und Jakobus, den Söhnen des Sosas, Simon, dem Sohne des Kathlas, und Phineas, dem Sohne des Klusoth. 3. Die Abreise der Boten war übrigens dem Ananus sowohl als denWachen verborgen geblieben, keineswegs aber der Anmarsch der Idumäer. Letzteren vielmehr hatte der Hohepriester zuvor erfahren und deshalb die Thore schliessen und die Mauern mit Wachtposten besetzen lassen. Er beabsichtigte jedoch zunächst noch nicht, sie zu bekämpfen, sondern wollte sie vor der Anwendung von Waffengewalt durch gütliches Zureden zu gewinnen suchen. Zu diesem Behuf stellte sich Jesus, der älteste der Hohepriester nach Ananus, auf den Turim, der den Idumäern gegenüberlag, und sprach zu ihnen: „Bei den vielen und mannigfaltigen Drangsalen, von denen unsere Stadt heimgesucht wird, ist mir kein Zufall unverständlicher, als dass die Bösewichte stets wieder unerwartete Hilfe erhalten. Denn ihr seid ja den verworfensten Menschen gegen uns mit einer Bereitwilligkeit zu Hilfe geeilt, wie ihr sie wohl selbst in dem Falle nicht bewiesen haben würdet, wenn die Hauptstadt euch zum Beistand gegen Barbaren gerufen hatte. Sihe ich freilich, dass euer Heer den Leuten aähnlich ist, die euch herbeigewünscht haben, so könnte ich euren Eifer wohl verstehen; denn nichts stiftet Freundschaften so, rasch als Übereinstimmung der Charaktere. Nun aber findet man, wenn man jene Menschen der Reihe nach prüft, einen jeden von ihnen tausendfachen Todes würdig; sind sie doch die Schandflecken und der Auswurf des ganzen Landes, sie, die zuerst ihr eignes Vermögen verschleudert und ihren Frevelmut an den Dörfern und Städten derUmgegend ausgelassen und dann auch noch heimlich in die heilige Stadt sich eingeschlichen haben - Räuber, die durch masslose Schandthaten sogar dein
Seite 410 heiligen Boden entweihen, und die man jetzt ohne Scheu im Heiligtum sich berauschen und mit der den Toten entrissenen Beute ihre unersättlichen Bäuche füllen sieht. Eure Scharen dagegen und euer Waffenschmuck bieten einen Anblick dar, wie er sich erwarten liess, wenn die Hauptstadt euch durch gemeinsamen Beschluss als Bundesgenossen gegen Fremde herbeigerufen hatte. Kann man es daher anders als einen Hohn des Schicksals nennen, wenn man ein ganzes Volk mit einer Horde von Bösewichten gemeinsame Sache machen sieht? Schon lange ist es mir ein Ratsel, was euch eigentlich so rasch in Bewegung gesetzt hat. Sicherlich ist es ein gewichtiger Grund, der euch für Räuber und gegen ein stammverwandtes Volk die Waffen ergreifen hiess. Wir hörten etwas von Römern und Verrat, denn soeben mnachten einige von euch Lärm darüber und erklärten, sie seien zur Befreiung der Hauptstadt gekommen. Mehr aber als über alle anderen Frechheiten dieser Ruchlosen müssen wir über die Erfindung dieser Lüge staunen. Natürlich, Männer von freiheitliebendem Charakter, die eben darum zum Kampf mit äusseren Feinden stets gerüstet sind, konnte man durch nichts anderes gegen uns in Harnisch bringen, als dadurch, dass man uns für Verräter an der ersehnten Freiheit ausgab. Ihr solltet aber doch bedenken, wer diese Verleumdung vorbringt und gegen wen sie gerichtet ist, und die Wahrheit nicht aus erdichtetem Gerede, sondern aus der allgemeinen Lage der Dinge entnehmen. Aus welcher Veranlassung sollten wir uns denn gerade jetzt den Römern verkaufen, da es uns ja freistand, entweder gleich anfangs überhaupt nicht abzufallen, oder nach dem Abfall sogleich wieder auf ihre Seite zu treten, so lange das Land ringsum noch unverwüstet war? Jetzt nämlich wäre es uns, selbst wenn wir wollten, nicht leicht, uns mit den Römern auszusöhnen, da die Unterjochung Galilaeas sie stolz gemacht hat und es für uns eine Schmach, Ärger als der Tod, sein würde, wenn wir ihnen jetzt gute Worte gaben, nachdem sie uns auf
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den Leib gerückt sind. Ich für meine Person würde gewiss den Frieden dem Tode vorziehen; nachdem aber der Krieg einmal begonnen hat und blutige Zusammenstösse erfolgt sind, mochte ich denn doch weit lieber eines rühmlichen Todes sterben, als in Kriegsgefangenschaft leben. Und wer soll denn insgeheim zu den Römern geschickt haben? Etwa nur wir, die Vorsteher des Volkes, oder auch das Volk selbst auf Grund eines gemeinsamen Beschlusses? Wenn wir, so nenne man doch die Freunde, die wir geschickt, die Diener, die bei dem Verrate mitgeholfen hatten! Wurde etwa einer derselben auf dem Hinwege aufgegriffen oder auf dem Rückwege gefangen? Ist man vielleicht einem Briefe auf die Spur gekommen? Und wie konnten wir so vielen Bürgern verborgen bleiben, unter deren Augen wir zu jeder Stunde aus- und eingehen? Und dabei sollten die wenigen Leute da oben, die noch dazu belagert sind und nicht einmal aus dem Tempel in die Stadt gelangen können, Kenntnis von den Vorgängen erhalten haben, die sich im Lande draussen in aller Stille abspielten? Gewiss nicht! Vielmehr erst jetzt, seitdem sie merken, dass sie für ihre Frechheiten zur Rechenschaft gezogen werden sollen, haben sie davon erfahren; so lange sie aber nichts zu fürchten hatten, stand keiner von uns im Verdacht des Verrates. Schieben sie dagegen die Schuld auf das Volk, so war doch wohl die Beratung öffentlich, und es musste, da niemand von der Versammlung ausgeschlossen werden durfte, die Kunde davon als bestimmtes Gerücht schneller zu euch gelangt sein wie die förmliche Anzeige. Nun aber weiter: hätte man nicht auch Gesandte schicken müssen, um einen Vergleich zu schliessen? Man sage also, wer dazu ernannt wurde! Doch nein, das alles ist ja nur Spiegelfechterei von Leuten, die nicht gern sterben und die ihnen drohende Bestrafung hinausschieben möchten. Wenn es der Stadt je bestimmt sein sollte, durch Verrat zu fallen, so wäre zu dieser Schandthat niemand anders fähig als ebeh diese unsere Verleumder, deren Frevel
Seite 412 nur noch ein einziger fehlt - die Verräterei. Ihr aber solltet, da ihr nun einmal mit den Waffen in der Hand euch eingefunden habt - das wäre das richtigste - der Hauptstadt euren Beistand leihen und die Tyrannen vertilgen helfen, die das Gesetz mit Füssen getreten haben und bei ihren Urteilssprüchen lediglich das Schwert entscheiden lassen. Haben sie doch vornehme Männer, gegen die niemand als Kläger aufgetreten war, mitten vom Markte weggeschleppt, im Kerker misshandelt und endlich, ohne ihrer flehenden Rufe zu achten, dahingeschlachtet. Ihr könnt, wenn anders ihr nicht als ausgesprochene Feinde die Stadt betreten wollt, die Beweise von dem, was ich soeben sagte, mit eignen Augen sehen: Häuser, die jene Ruchlosen leer geplündert, Weiber und Kinder der Gemordeten in schwarzen Trauerkleidern, Jammer und Wehklage in ganz Jerusalem! Denn es giebt kaum einen Menschen hier, der nicht von den räuberischen Anfallen dieser Gottlosen zu erzählen wüsste, die ihren Wahnsinn so weit trieben, dass sie ihr Banditenunwesen nicht nur vom Lande und den auswärtigen Städten herein in dieses Herz und Haupt der gesamten Nation, sondern auch aus der Stadt in den Tempel trügen. Der ist ihnen nun Festung, Zufluchtsort und Rüstkammer für ihre Anschläge wider uns geworden. Die Stätte, die in der ganzen Welt verehrt wird und selbst bei Fremden, die an den Grenzen der Erde wohnen und sie nur vom Hörensagen kennen, in hohem Ansehen steht, wird nun von diesen Menschen, den Kindern unseres eignen Landes, mit Füssen getreten. Und trotz ihrer verzweifelten Lage finden sie noch ihr Vergnügen daran, Völker gegen Völker, Städte gegen Städte aufzuhetzen und die Nation zum Zerfleischen ihrer eignen Eingeweide zu treiben. Statt dessen wäre es, wie schon gesagt, ehrenhaft und anständig von euch gehandelt, wenn ihr im Bunde mit uns die Frevler ausrotten und sie für den Betrug strafen würdet, den sie dadurch begingen, dass sie euch als Bundesgenossen zu rufen sich erfrechten, obwohl sie euch
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als Rächer hatten fürchten müssen. Glaubt ihr jedoch, die Aufforderung von seiten solcher Menschen nicht verachtlich abweisen zu sollen, so steht es euch ja frei, nach Niederlegung der Waffen in eurer Eigenschaft als Stammesgenossen l in die Stadt einzuziehen und eine Stellung zu wühlen, die zwischen der von Bundesgenossen und Feinden die Mitte hält, nämlich die als Schiedsrichter. Bedenket jedoch, wie sehr sie im Vorteil sein werden, wenn ihnen wegen so schwerer und offenkundiger Verbrechen eine förmliche gerichtliche Verhandlung vor euch zugestanden wird, während sie unschuldigen Männern noch nicht einmal das Wort zur Verteidigung geben wollten. Doch möge ihnen um eurer Gegenwart willen diese Vergünstigung gewährt sein! Wollt ihr aber ebensowenig an unserm Zorn Anteil nehmen als das Schiedsrichteramt versehen, so bleibt euch als drittes noch übrig, beide Parteien zu verlassen und so weder aus unserm Unglück Nutzen zu ziehen noch auf seiten derer zu verbleiben, die auf das Verderben der Stadt hinarbeiten. Habt ihr nämlich gar so dringenden Verdacht, dass jemand von uns Unterhandlungen mit den Römern anknüpfen wolle, so könnt ihr ja die Zugänge bewachen und, falls etwas von dem, dessen man uns beschuldigt, als wahr erfunden wird, dann kommen, Jerusalem besetzen und die des Verrates Überwiesenen zur Strafe ziehen; denn es ist doch wohl nicht denkbar, dass die Feinde euch, die ihr der Stadt so nahe wohnt, zuvorkommen sollten. Wenn euch aber keiner dieser Vorschlage annehmbar und billig erscheint, so wundert euch nicht, dass wir die Thore verriegelt halten, so lange ihr unter den Waffen steht." 4. In dieser Weise redete Jesus. Die Menge der Idumäer aber achtete nicht auf seine Worte, sondern zeigte sich erbittert darüber, dass ihr Einzug in die Stadt nicht sogleich erfolgen konnte; auch wehrten sich die Anführer entschieden gegen die Ablegung der Waffen,
1 Vergl. die Anmerkung zu I, 6, 2.
Seite 414 da sie sich wie Kriegsgefangene vorkamen, wenn sie auf fremden Befehl dieselben von sich werfen würden. Einer der Führer, Simon, des Kathlas Sohn, stellte sich, nachdem er mit Mühe die lärmende Aufregung der Seinen beschwichtigt hatte, auf einen Platz, wo er von den Hohepriestern gehört werden konnte, und rief aus, er wundere sich nicht mehr, dass die Vorkämpfer der Freiheit im Tempel belagert würden, da man sogar vor dem Volk die gemeinsame Hauptstadt verschliesse und, während man sich zum Empfange der Römer rüste, denen man vielleicht die Thore bekränzen werde, mit den Idumäern sich von Türmen herab bespreche und ihnen zumute, die Waffen fortzuwerfen, die sie für die Freiheit ergriffen hätten. „Während man nun," fuhr er fort, „den Stammesgenossen nicht einmal die Bewachung der Hauptstadt anvertrauen will, macht man sie dennoch zu Schiedsrichtern im Streit, und während man einige wenige Männer anklagt, weil sie ohne eigentlichen Urteilsspruch die Todesstrafe verhängt haben, bringt man Schande über das ganze Volk, indem man vor Landsleuten die Stadt verschliesst, die doch jedem Fremden zu gottesdienstlichen Zwecken offen steht. Natürlich, wir sind ja gekommen, um gegen Landsleute mit Mord und Totschlag zu wüten, und nicht vielmehr herbeigeeilt, um euch im Unglück die Freiheit zu sichern! Das nämliche werden auch wohl die Belagerten euch zuleide gethan, und so glaubwürdigen Verdacht, vermute ich, werdet ihr auch gegen sie gehegt haben. Während ihr nun da drinnen diejenigen, die es gut mit dem Staate meinen, in Gewahrsam haltet, den Scharen der befreundetsten Volksstämme die Thore verriegelt und ihnen so entehrende Zumutungen macht, behauptet ihr, man tyrannisiere euch, und hängt den Namen Despoten denjenigen an, die von euch vergewaltigt werden. Wer mag solch heuchlerische Reden anhören, wenn die Thaten das gerade Gegenteil davon beweisen? Da fehlt ja nur noch, dass ihr sagt, die Idumäer schlossen euch von der Hauptstadt aus, während ihr ihnen die Heilig-
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tümer der Vater verwehrt. Das allein kannte man mit Recht den im Tempel Belagerten vorwerfen, dass sie, da sie einmal den Mut fanden, die Verräter zu bestrafen, welche ihr, deren Mitverschworene, ausgezeichnete und unbescholtene Männer nennt, nicht gleich mit euch den Anfang gemacht und damit dem Verrat das Haupt abgeschlagen haben. Aber wenn auch sie weichherziger waren, als sie hatten sein sollen: wir Idumäer werden das Haus Gottes beschützen, uns in Kampfe für das gemeinsame Vaterland an die Spitze stellen und gleichzeitig die von aussen anrückenden Feinde wie die Verräter da drinnen abwehren. Hier vor den Mauern werden wir unter den Waffen bleiben, bis entweder die Römer eurer Anträge überdrüssig werden, oder ihr zur Sache der Freiheit euch bekehrt." 5. Diesen Worten schrie der ganze Haufe der Idumäer Beifall zu. Jesus aber zog sich traurig zurück; denn er sah, dass die Idumäer nichts gutes im Sinne hatten, und dass die Stadt nun von zwei Seiten bedrängt war. Auch den Idumäern war übrigens nicht ganz wohl zu Mut. Anfangs nämlich hatten sie sich gewaltig über die Schmach entrüstet, die man ihnen durch Ausschliessung von der Stadt angethan, und die Partei der Zeloten für sehr mächtig gehalten; als sie aber merkten, dass diese sich nicht im mindesten zu ihrer Unterstützung regten, fingen sie an unschlüssig zu werden, und viele von ihnen bereuten schon, dass sie überhaupt gekommen waren. Die Scham jedoch, unverrichteter Sache abziehen zu müssen, erwies sich stärker als die Reue, und so blieben sie denn an Ort und Stelle vor der Mauer, so unbehaglich ihre Lage auch sein mochte. In der Nacht nämlich brach ein schreckliches Unwetter los: heftiger Sturm, gewaltige Regengüsse, unablässiges Blitzen mit furchtbaren Donnerschlägen und unheimliches Gebrüll der erschütterten Erde. Augenscheinlich war die Weltordnung zum Verderben der Menschen in Verwirrung geraten, und man musste darin die Vorzeichen eines schweren Unglücks erkennen.
Seite 416 6. Die Idumäer sowohl wie die in der Stadt bekamen von diesen Naturereignissen den gleichen Eindruck: die ersteren den, dass Gott über ihren Feldzug zürne und ihr bewaffnetes Vorgehen gegen die Hauptstadt nicht ungestraft lassen wolle, Ananus und seine Leute dagegen, dass ihnen der Sieg schon ohne Schlacht in die Hand gegeben sei, weil Gott für sie streite. Beide indes waren schlechte Propheten: sie weissagten den Feinden, was ihnen selbst widerfahren sollte. Die Idumäer nämlich schlossen sich dicht aneinander, um sich gegenseitig zu erwärmen, und bewirkten durch Zusammenfügen der Schilde über ihren Köpfen, dass sie von den Regengüssen weniger zu leiden hatten; die Zeloten aber, durch die ihren Bundesgenossen drohende Gefahr noch mehr als durch die eigene geängstigt, traten zusammen und überlegten, ob sie ihnen nicht irgendwie Hilfe leisten konnten. Die Heissblütigeren meinten, man solle mit Waffengewalt sich der Wachen bemächtigen, alsdann mitten in die Stadt eindringen und den Idumäern ohne weiteres die Thore öffnen; denn die Wachen würden wohl über den unvermuteten Angriff in Bestürzung geraten und davonlaufen, zumal die meisten schlecht bewaffnet und ohne Kriegserfahrung seien, und was die übrigen Bewohner der Stadt angehe, so würden sie, vom Unwetter in die Häuser getrieben, schwer zusammenzubringen sein. Aber wenn auch das Unternehmen mit Gefahr verknüpft sei, müssten sie sich doch eher allen erdenklichen Unbilden aussetzen, als dass sie so viele Menschen um ihretwillen elend umkommen liessen. Die Besonneneren dagegen rieten von Gewalt ab, da sie nicht nur die Abteilung, die sie beobachtete, verstärkt, sondern auch die Stadtmauer wegen der Idumäer sorgfältig bewacht sahen; auch glaubten sie, Ananus sei überall zugegen und mache stündlich die Runde bei den Posten. Das war auch wirklich in den früheren Nächten der Fall gewesen, gerade in jener Nacht aber unterlassen worden, nicht infolge der Sorglosigkeit des Ananus, sondern weil schon jetzt das Verhängnis in Wirksamkeit
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trat, das seinen und der zahlreichen Wachmannschaft Untergang beschlossen hatte. Denn das Verhängnis war es offenbar, das, als die Nacht vorrückte und der Sturm immer heftiger tobte, die Wächter auf der Halle in Schlaf versenkte, den Zeloten hingegen den Gedanken eingab, mit den im Heiligtum befindlichen Sägen die Querbalken der Thore zu durchsägen. Dass das Geräusch nicht gehört wurde, dazu half das Heulen des Sturmes und das anhaltende Rollen des Donners. 7. Unbemerkt schlichen sich also die Zeloten aus dem Tempel und öffneten, als sie bei der Mauer angelangt waren, mit Hilfe der erwähnten Sägen das den Idumäern zunächst gelegene Thor. Diese gerieten anfänglich in Schrecken, da sie sich von den Leuten des Ananus angegriffen glaubten, und schnell hatte jeder zu seiner Verteidigung die Hand am Schwerte; bald jedoch erkannten sie die Erschienenen und gingen mit ihnen hinein. Hatten sie sich nun sogleich auf die Stadt geworfen, so würden sie wohl, ohne auf Widerstand zu stossen, das ganze Volk bis auf den letzten Mann niedergemacht haben - so gross war ihre Erbitterung. Indes hatten sie zunächst nichts eiligeres zu thun, als die Zeloten von der Belagerung zu befreien, zumal auch die, welche sie eingelassen hatten, inständig baten, sie möchten doch diejenigen, um deretwillen sie gekommen, nicht in ihrer bedrängten Lage belassen und keine grössere Gefahr über sie heraufbeschwören. Denn wenn nur erst die Wachmannschaften überwältigt seien, werde es ihnen nicht schwer fallen, auf die Stadt loszugehen; hatten sie aber die letztere einmal in Alarm versetzt, so könnten sie nicht mehr daran denken, die Besatzung zu bemeistern, da die Bürger, sobald sie den Stand der Dinge merkten, sich in Schlachtordnung aufstellen und die Zugange zur Höhe 1 verrammeln würden.
1 D. i. zum Tempel.
1. Das leuchtete den Idumäern ein, und so eilten sie denn durch die Stadt dem Tempel zu, wo die Zeloten ihrer Ankunft mit gespannter Erwartung entgegensahen. Kaum waren sie oben angelangt, als die Belagerten ermutigt aus dem inneren Tempel herausgingen, sich unter die Idumäer mischten und die Wachen angriffen. Einige der letzteren, die ganz vorn lagen, machten sie im Schlafe nieder; auf das Geschrei der Erwachten aber sprang die ganze Abteilung auf und griff bestürzt zu den Waffen, um sich zu wehren. So lange sie sich nun von den Zeloten allein angegriffen wähnten, fassten sie Mut in dem Gedanken, durch ihre Überzahl die Gegner bewältigen zu können; wie sie aber noch andere von aussen hereinströmen sahen, ward es ihnen klar, dass die Idumäer in die Stadt eingefallen seien. Alsbald warf jetzt der grössere Teil mit dem Mut auch die Waffen weg und verlegte sich aufs Jammern, und nur wenige von den Jüngeren Leuten scharten sich dicht zusammen, warfen sich den Idumäern mit grosser Tapferkeit entgegen und schützten langere Zeit die untätige Menge. Die letztere machte durch ihr Geschrei die übrigen Stadtbewohner auf das Unglück aufmerksam; aber auch von diesen wagte, als der Einfall der Idumäer bekannt wurde, niemand den anderen zu Hilfe zu eilen, sondern es ward nur deren Wehgeschrei in verstärktem Masse erwidert und namentlich von den Weibern ein lautes Geheul angestimmt, während die Wächter droben Mann für Mann in Lebensgefahr schwebten. Die Zeloten hingegen vereinigten ihren jubelnden Schlachtruf mit dem der Idumäer, und das Toben der Elemente machte dieses allgemeine Geschrei nur noch grausiger. Die Idumäer ihrerseits verschonten niemand, sondern grausam von Natur, wie sie waren, und erbittert darüber, dass das
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Unwetter sie so hart mitgenommen, liessen sie ohne Erbarmen das Schwert gegen diejenigen wüten, die sie ausgeschlossen hatten, und zwar nicht minder gegen die, welche um Gnade baten, als gegen solche, die sich zur Wehr setzten. Vielen auch rannten sie die Waffe in den Leib, obwohl dieselben sie an ihre Stammverwandtschaft erinnerten und sie anflehten, doch das gemeinsame Heiligtum scheuen zu wollen. Kein Ausweg zur Flucht zeigte sich den Unglücklichen, keine Hoffnung auf Rettung: in dichte Haufen zusammengedrängt, erlagen sie dem Schwert ihrer Gegner, und als diese in ihrer Mordlust ihnen immer mehr zusetzten und sie zuletzt an Stellen jagten, wo sie überhaupt nicht mehr weiter konnten, stürzten sie sich aus Verzweiflung in die Stadt hinab und starben auf diese Weise freiwillig eines, wie mir scheint, noch jammervolleren Todes als der war, dem sie entflohen. Den ganzen äusseren Tempelraum durchflossen Ströme von Blut, und als der Tag anbrach, zahlte man achttausendfünfhundert Tote. 2. Noch aber war die Wut der Idumäer nicht gesättigt, sondern sie wandten sich jetzt gegen die Stadt, raubten sämtliche Häuser aus und stiessen nieder, was ihnen in die Quere kam. Doch bald dünkte es ihnen Zeitverlust, sich mit dem gemeinen Volk weiter herumzuschlagen; vielmehr suchten sie die Hohepriester aufzuspüren, und da sie in grossen Massen auf dieselben Jagd machten, waren sie binnen kurzem ihrer habhaft und brachten sie sogleich ums Leben. Einige stellten sich nun auf die Leichen und höhnten bald über die wohlwollende Gesinnung des Ananus gegen das Volk, bald über die Rede, die Jesus von der Mauer herab gehalten hatte. Ja, sie trieben ihren Frevelmut so weit, dass sie die entseelten Körper unbeerdigt beiseite warfen, während doch die Juden für das Begräbnis ihrer Toten so ängstlich besorgt sind, dass sie selbst die Leichen der zum Kreuzestod Verurteilten vor Sonnenuntergang abnehmen und bestatten. 1 Ich irre wohl nicht, wenn ich
1 Vergl. 5. Mos.21, 22 f
Seite 420 sage: mit dem Tode des Ananus bereits nahm der Untergang der Stadt seinen Anfang, und von dem Tage an, da die Juden ihren Hohepriester, den Mann, der ihnen den Weg zur Rettung gewiesen, mitten in der Stadt hinschlachten sahen, war schon ihre Mauer zerstört, ihre Sache verloren. Denn Ananus war nicht nur ein ehrwürdiger und höchst rechtschaffener Mann, sondern liebte es auch trotz der hohen Stellung, die ihm seine Geburt, sein Amt und seine Würde verliehen, selbst mit den niedrigsten Leuten auf gleichem Fusse zu verkehren; zudem war er in hohem Grade freiheitliebend und ein Verehrer der Volksherrschaft. Stets setzte er seinen eigenen Vorteil dem gemeinen Wohle nach; den Frieden aber schätzte er über alles, da er die Unüberwindlichkeit der Römer kannte und voraussah, dass die Juden, wenn sie sich nicht vernünftigerweise mit ihnen aussöhnten, im Kriege unbedingt ihren Untergang finden müssten. Wäre nun Ananus am Leben geblieben, so würde eine solche Aussöhnung sicherlich zustande gekommen sein; denn als mächtiger Redner wusste er auf das Volk einzuwirken, und wenn er auch noch über diejenigen Meister geworden wäre, die ihm im Wege standen oder zum Kriege drängten, so hätten die Juden unter einem solchen Führer den Römern wohl noch viel zu schaffen gemacht. Aufs engste mit ihm verbunden war Jesus, der zwar ihm nicht gleichkam, jedoch die anderen an Bedeutung überragte. Gott aber hatte, wie mir scheint, den Untergang der entweihten Stadt beschlossen, und da er das Heiligtum durch Feuer reinigen wollte, nahm er diejenigen von der Erde hinweg, die sich desselben noch annahmen und es liebten. So sah man denn die Männer, die kurz zuvor noch, mit dem heiligen Gewand bekleidet, an der Spitze des in alle Himmelsgegenden verbreiteten Gottesdienstes gestanden hatten und von den aus der ganzen Welt nach Jerusalem strömenden Pilgern ehrfurchtsvoll begrüsst worden waren, jetzt nackt den Hunden und wilden Tieren zum Frasse hingeworfen. Die Tugend selbst, glaube ich, be-
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seufzte das Schicksal dieser Edlen und weklagte darüber, dass sie im Kampfe mit der Bosheit so schmählich unterliegen mussten. Ein solch trauriges Ende nahmen die Hohepriester Ananus und Jesus. 3. Kaum waren sie tot, als die Zeloten in Gemeinschaft mit den Scharen der Idumäer über das Volk wie über eine Herde unreiner Tiere herfielen und ihrer Mordlust freien Lauf liessen. Der gemeine Mann wurde, wo man seiner nur habhaft werden konnte, niedergehauen; die Vornehmen dagegen und die Jüngeren Leute nahm man gefangen, fesselte sie und kerkerte sie ein in der Hoffnung, es möchten manche von ihnen, wenn die Hinrichtung aufgeschoben würde, übertreten. Keiner aber hörte auf die Anerbietungen der Gegner, und alle wollten lieber sterben als zum Schaden des Vaterlandes die Partei der Frevler ergreifen. Schrecklich waren die Martern, die sie für ihre Weigerung auszustehen hatten: man geisselte und folterte sie, und erst wenn ihr Körper die Qualen nicht mehr ertragen konnte, ward ihnen zögernd der Gnadenstoss zuteil. Wer tagüber in Gefangenschaft geriet, wurde nachts hingerichtet; die Leichen trug man hinaus und warf sie aufs freie Feld, um Platz für neue Gefangene zu gewinnen. Des Volkes aber bemächtigte sich ein solches Entsetzen, dass niemand einen ermordeten Verwandten offen zu beweinen oder zu bestatten wagte, sondern nur insgeheim, hinter verschlossenen Thüren rannen die Thränen, und wenn jemand einen Seufzer ausstossen wollte, sah er sich zuvor ängstlich um, ob ihn auch kein Feind höre: denn gar bald hatte der Trauernde das Schicksal des Betrauerten geteilt. Kam die Nacht heran, so nahm man ein wenig Erde und warf sie auf die Leichen; wer es am hellen Tage that, musste für tollkühn gelten. Zwölftausend der edelsten jungen Leute fanden auf diese Weise den Tod. 4. Übersättigt vom unablässigen Morden, spielten die Zeloten nun auch noch mit Gerichtssitzung und Urteilsspruch Komödie, und zwar ersahen sie sich als Opfer
Seite 422 einen der vornehmsten Männer, Zacharias, den Sohn des Baruch. Infolge seines Hasses gegen alles Schlechte und seiner besonders grossen Liebe zur Freiheit war er ihnen ein Dorn im Auge; dabei war er reich, und so eröffnete sich ihnen, wenn sie den Mann, der durch seinen Einfluss ihren Sturz herbeizuführen vermochte, aus dem Wege räumten, zugleich die angenehme Aussicht, sich seines Vermögens bemächtigen zu können. Sie beriefen also durch förmlichen Beschluss siebzig in Amt und Würden stehende Bürger als machtloses Scheingericht und klagten den Zacharias an, dass er die Stadt an die Römer habe verraten wollen und in dieser Absicht mit Vespasianus in Verbindung getreten sei. Die Anklage war übrigens weder durch Zeugenaussagen noch durch sonstige Beweise gestützt, sondern sie erklärten bloss, sie seien völlig davon überzeugt, und meinten nun, das genüge, um die Wahrheit der Beschuldigungen darzuthun. Als Zacharias sah, dass man ihn hinterlistigerweise nicht sowohl vor Gericht gestellt als vielmehr in einen Kerker gelockt habe und er rettungslos verloren sei, wollte er sein Leben nicht hergeben, ohne wenigstens frei von der Leber weg gesprochen zu haben. Er erhob sich also, spöttelte über die Zuversicht, mit der man die Anklage ins Werk gesetzt, und widerlegte kurz die gegen ihn vorgebrachten Beschuldigungen. Sodann aber richtete er das Wort an seine Ankläger, hielt ihnen ihr ganzes Sündenregister vor und erging sich in bitteren Wehklagen über die im Staatswesen herrschende Zerfahrenheit. Die Zeloten fielen ihm lärmend in die Rede, griffen aber nicht zum Schwert, sondern hielten noch an sich, einmal um die licherliche Gerichtskomödie zu Ende zu spielen, und dann auch um die Richter auf die Probe zu stellen, ob sie trotz der ihnen selbst drohenden Gefahr das Recht nicht ausser acht lassen würden. Und in der That, die Siebzig erklärten den Angeklagten für nichtschuldig, bereit, lieber mit ihm zu sterben, als die Verantwortung für seinen Tod auf sich zu nehmen. Die Zeloten aber erhoben über die Freisprechung ein
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gewaltiges Geschrei und machten aus ihrem Zorn gegen die Richter kein Hehl, weil diese nicht hatten verstehen wollen, dass es mit der ihnen eingeräumten Befugnis nicht so ernst gemeint war. Schliesslich fielen zwei der Frechsten über Zacharias her, stiessen ihn mitten im Tempel nieder und verhöhnten ihn noch, als er zu Boden sank, mit den Worten: „Da hast du auch unsere Stimme, auf dass die Freisprechung um so mehr gelte!" Alsdann warfen sie ihn sogleich aus dem Tempel in die unter demselben befindliche Schlucht. Die Richter aber trieben sie mit flachen Schwerthieben aus der Tempelumfriedigung hinaus und nahmen nur deshalb von ihrer Ermordung Abstand, damit sie sich in der Stadt zerstreuen und überall die Nachricht von der Knechtung des Volkes verbreiten könnten. 5. Nun aber begannen die Idumäer zu bereuen, dass sie sich hatten herbeirufen lassen; denn solche Vorgänge widerten sie an. Überdies kam auch noch insgeheim einer der Zeloten zu ihnen, versammelte sie und stellte ihnen vor, was sie schon alles für Frevelthaten im Verein mit denen, die sie gerufen, verübt hätten; alsdann legte er ihnen eingehend den Zustand der Hauptstadt dar. Sie hätten, führte er aus, zu den Waffen gegriffen in der Meinung, die Hohepriester wollten die Hauptstadt an die Römer verraten, hätten jedoch keinen Beweis dafür gefunden und müssten nun die Beschützer derjenigen spielen, welche das Märchen vom Verrat aufgetischt hatten und jetzt wie Feinde und Tyrannen sich benahmen. Gleich von Anfang an hätten sie dies verhindern müssen; da sie aber einmal die Mitschuld an der Ermordung ihrer Stammesgenossen auf sich geladen hatten, sollten sie sich wenigstens entschliessen, ihren Freveln ein Ende zu machen, und nicht dableiben, um die Macht derer zu verstärken, die ihr eigenes Vaterland ins Verderben stürzten. Wenn auch einige von ihnen noch immer darüber ergrimmt seien, dass man ihnen die Thore verschlossen und den Einzug verwehrt habe, so müssten sie doch zugeben, dass die Schuldigen ihre Strafe erlitten
Seite 424 hätten; denn Ananus habe sein Leben gelassen, und in einer einzigen Nacht sei fast das ganze Volk aufgerieben worden. Vielen ihrer eigenen Leute sei dies, wie er wohl merke, durchaus nicht nach dem Sinn; anderseits könne er sich nicht verhehlen, dass die Grausamkeit derer, die sie gerufen, alles Mass überschreite, da sie sich nicht einmal vor denen mehr scheuten, denen sie ihre Rettung zu danken hätten. Wagten sie doch vor den Augen ihrer Bundesgenossen die grössten Schandthaten zu begehen, und natürlich bleibe die Verantwortung dafür so lange auf den Idumäern sitzen, als niemand sie hindere und sich von ihrem Treiben lossage. Well nun die Verräterei sich als Verleumdung herausgestellt habe, ein baldiges Eintreffen der Römer aber nicht zu erwarten und die Stadt von einer schwer bezwingbaren Macht geschützt sei, so möchten sie nach Hause zurückkehren und alles das, was sie in Gemeinschaft mit jenen Unholden und auf deren Vorspiegelungen hin Übles gethan, dadurch wieder gut zu machen suchen, dass sie für die Folge nichts mehr mit ihnen zu schaffen haben wollten.
1. Diesen Vorstellungen gaben die Idumäer nach und befreiten zunächst die eingekerkerten Bürger, etwa zweitausend an der Zahl, welche sogleich der Stadt den Rücken kehrten und sich zu Simon begaben, von dem weiter unten die Rede sein wird; hierauf verliessen sie Jerusalem und zogen heim. Ihr Abzug kam beiden Parteien unerwartet. Das Volk, das von ihrer Sinnesanderung keine Kenntnis hatte, fasste für kurze Zeit wieder Mut, da es seine Feinde völlig los zu sein glaubte; anderseits schwoll aber auch den Zeloten der Kamm, weil sie sich nicht sowohl von Bundesgenossen verlassen, als
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vielmehr von Leuten befreit fühlten, denen ihre Schandthaten missfielen und die sie davon abzubringen suchten. Jetzt kannte ihre Bosheit kein Zögern und keine Bedenklichkeit mehr, sondern mit Blitzesschnelle fassten sie ihre Pläne und setzten sie fast noch rascher ins Werk. Am meisten richtete sich ihr Blutdurst gegen tapfere und edle Männer: die letzteren suchten sie aus Neid zu verderben, die ersteren aus Furcht; denn erst dann hielten sie sich für sicher, wenn alle einflussreichen Bürger aus dem Wege geräumt waren. Ausser vielen anderen ward so auch ein gewisser Gorion umgebracht, ein Mann von hohem Ansehen und edler Abkunft, der der Volksherrschaft besonders zugethan und von einem Unabhängigkeitssinn wie nur irgend ein Jude durchdrungen war. Von seinen vorzüglichen Eigenschaften war es namentlich seine Freimütigkeit im Reden, die ihn zu Fall brachte. Ja, nicht einmal der Peraite Niger, der sich in den Kämpfen mit den Römern so sehr hervorgethan hatte,1 entging den Mörderhanden derZeloten: laut rufend und seine Narben zeigend ward er mitten durch die Stadt geschleppt. Als man ihn zum Thor hinausgeführt hatte und er seinen Tod vor Augen sah, bat er, man möge ihm doch wenigstens ein Begräbnis zuteil werden lassen; seine Henker aber erklärten ihm drohend, bevor sie die Hinrichtung vollzogen, sie würden ihm die Erde, nach der er so sehr verlange, nicht vergönnen. Sterbend rief Niger die Rache der Römer, Pest, Hunger und Krieg auf sie herab und wünschte ihnen obendrein noch, dass sie einer durch des anderen Schwert verbluten möchten. Das alles hat Gott an den Frevlern erfüllt und seine Gerechtigkeit besonders dadurch offenbart, dass sie schon bald nachher untereinander in Zwist gerieten und ihren Wahnsinn gegenseitig zu kosten bekamen. Nigers Tod benahm ihnen übrigens jede Sorge bezüglich ihres eigenen Sturzes, und bereits gab es niemand mehr im Volke, für dessen Tötung man nicht
I S. II, 19, 2; III, 2, 1ff.
Seite 426 irgend einen Vorwand ersonnen hatte. Denjenigen aus der Bürgerschaft, die sich mannhaft gegen die Zeloten zur Wehr gesetzt hatten, war ja schon lange der Garaus gemacht; wollte man nun auch die Ruhigen und Friedliebenden hinwegräumen, so musste man Beschuldigungen vorbringen, wie sie sich gerade als zweckdienlich erwiesen. So ward denn der eine, der sich überhaupt nicht an sie anschloss, als hochmütig, der andere, der sich ihnen mit einem gewissen Selbstbewusstsein näherte, als Verächter, wer ihnen aber völlig zu Willen war, als Verräter verdächtigt. Für die grössten wie für die unbedeutendsten Vergehen gab es nur eine Strafe: den Tod, und nur wer den niedrigsten Volksschichten angehörte, sei es weil er unedel geboren, sei es weil er arm war, konnte auf Schonung rechnen. 2. Sämtliche Heerführer der Römer hielten die Zwietracht der Feinde für ein unverhofftes Glück und wollten daher unverzüglich gegen die Stadt aufbrechen. In diesem Sinne drangen sie auch in Vespasianus, für den, wie sie glaubten, jetzt alles gewonnen war. Die göttliche Vorsehung, meinten sie, werde mit ihnen streiten, indem sie die Feinde gegeneinander das Schwert ziehen lasse; jedoch heisse es rasch handeln, denn die Juden würden entweder aus Überdruss am Bürgerkrieg oder aus Reue wohl bald wieder einig werden. Vespasianus aber entgegnete ihnen, sie zeigten kein sonderliches Verständnis für das jetzt einzuhaltende Verfahren, wenn sie trotz der damit verbundenen Gefahr wie im Theater ihre Ausrüstung und Geschicklichkeit zur Schau stellen wollten, anstatt nur darauf ihr Augenmerk zu richten, was vorteilhaft und gefahrlos zugleich sei. Denn wenn sie jetzt sogleich auf die Stadt losgingen, würden sie gerade dadurch bewirken, dass die Feinde sich miteinander aussöhnten und ihre noch ungebrochene Kraft gegen die Römer kehrten. Warteten sie aber noch zu, so würden sie es nach und nach mit einer immer kleineren Anzahl von Feinden zu thun haben, da der innere Hader dieselben aufreibe. Ein weit besserer Anführer
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als er, Vespasianus, sei Gott, der dem Römerheer ohne Anstrengung von seiner Seite die Juden in die Hände geben und einen gefahrlosen Sieg verschaffen wolle. Während nun die Feinde durch ihre eigne Hand umkimen und am ärgsten Übel, dem Bürgerkrieg, litten, zogen sie selbst, die Römer, es doch vor, diesen Wirren ruhig zuzuschauen, anstatt mit Menschen, die den Tod suchten und im Wahnsinn gegeneinander wüteten, sich in einen Kampf einzulassen. Sei aber jemand der Ansicht, ein Sieg ohne Kampf habe gar zu wenig Bedeutung, so solle er sich belehren lassen, dass es nützlicher sei, seinen Zweck in Ruhe zu erreichen, als das gefährliche Waffenglück zu versuchen. Denn mindestens ebenso viel Ruhm wie glänzende Waffenthaten bringe es, wenn man durch Selbstbeherrschung und Überlegung den Erfolg derselben erziele. In dem nämlichen Masse, wie die Feinde sich schwächten, werde das Römerheer von seinen beständigen Strapazen sich erholen und an Kraft zunehmen. Ohnedem sei es ja jetzt nicht an der Zeit, sich auf einen glänzenden Sieg gefasst zu machen. Denn die Juden seien augenblicklich weder mit Anfertigung von Kriegsmaterial noch mit Errichtung von Festungswerken und Werbung von Hilfstruppen beschäftigt, und es sei somit ausgeschlossen, dass der Aufschub zum Nachteil derer ausschlage, die ihn veranlassten; vielmehr hätten die Gegner unter der Geissel des Bürgerkrieges und innerer Zwietracht täglich viel Schlimmeres auszustehen, als die Römer ihnen durch siegreiche Angriffe zufügen konnten. Schon die Rücksicht auf ihre Sicherheit verlange daher, dass man die, welche sich selbst aufzureiben im Begriffe standen, ruhig dabei belasse; dann aber dürfe man auch den Ruhm des Sieges nicht dadurch schmälern, dass man ein innerlich zerrüttetes Volk angreife. Denn mit gutem Grund könne in diesem Falle den Römern der Vorwurf gemacht werden, sie verdankten ihren Sieg nicht sich selbst, sondern der Uneinigkeit der Feinde.
Seite 428 3. Alle Offiziere gaben ihre Zustimmung zu diesen Worten kund, und gar bald zeigte es sich auch, wie richtig des Vespasianus Feldherrnblick gesehen hatte. Tag für Tag nämlich kamen nun bei den Römern eine Menge Überläufer an, die den Zeloten entwischt waren. Freilich war die Flucht ihnen nicht leicht geworden, da die letzteren alle Ausgänge mit Wachen besetzt hatten, welche jeden, der sich in irgend einer Weise als Überläufer verdächtig machte, ums Leben brachten. Doch wer Geld gab, wurde durchgelassen, und nur wer dies nicht that, war ein Verräter. So kam es, dass lediglich die Armen niedergemetzelt wurden, während die Reichen sich die Flucht erkauften. Alsbald lagen nun überall auf den Landstrassen Haufen von Leichen aufgetürmt, sodass viele, die ihr Heil in der Flucht hatten suchen wollen, lieber wieder den Untergang in der Stadt wählten, weil die Hoffnung auf ein Begräbnis den Tod in der Vaterstadt weniger schrecklich erscheinen liess. Die Zeloten aber trieben die Unmenschlichkeit so weit, dass sie weder den in der Stadt noch den auf den Landstrassen Gefallenen ein Begräbnis vergönnten; vielmehr liessen sie, als hätten sie sich verschworen, zugleich mit den Gesetzen des Vaterlandes auch die der Natur zunichte zu machen und zu ihren Freveln gegen die Menschen hin auch noch die Gottheit zu entweihen, die Leichen an der Sonne verfaulen. Wer einen seiner Angehörigen bestattete, ward wie ein Überläufer mit dem Tode bestraft, und es musste gleich selbst das Begräbnis entbehren, wer es einem anderen zuteil werden lassen wollte. Kurz, keines der besseren Gefühle war in jenen Unglückstagen so gänzlich vernichtet, wie das Mitleid. Was Erbarmen hatte wecken sollen, diente jetzt nur dazu, die Ruchlosen zu erbittern; von den Lebenden ging ihr Grimm auf die Gemordeten, von den Toten wieder auf die Lebenden über; wer bei der unsäglich angstvollen Lage noch übrig blieb, pries die Umgekommenen selig, weil sie Ruhe gefunden, und wer im Gefängnis den Folterqualen ausgesetzt war, schätzte im
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Vergleich mit seinem Elend sogar diejenigen glücklich, die unbegraben umherlagen. Alle menschlichen Rechte wurden von den Schandbuben mit, Füssen getreten, die göttlichen verhöhnt, die Sprüche der Propheten als, betrügerisches Geschwätz verlacht. Denn gar vieles hatten die letzteren von Tugend und Laster vorhergesagt, und indem die Zeloten sich darüher hinwegsetzten, führten sie auch die den Untergang ihres Vaterlandes betreffenden Prophezeiungen jener Seher der Erfüllung entgegen. Es gab ja alte Aussprüche gottbegeisterter Männer, dass die Stadt dann dem Feinde verfallen und das Allerheiligste nach Kriegsbrauch in Flammen aufgehen werde, wenn einmal Aufruhr ausbreche und Bürgerhände den gottgeweihten Raum befleckten.1 Obwohl die Zeloten diesen Weissagungen gegenüber nicht gerade Ungläubig sich verhielten, trugen sie doch selbst zu deren Erfüllung das ihrige bei.
1. Wir müssen jetzt, auf Joannes zurückkommen, 2 der, wie schon erwähnt, ein merkliches Gelüst, den Tyrannen zu spielen, bekundete. Er hielt es unter seiner Würde, nur derselben Ehre wie seine Genossen teilhaftig zu werden, zog daher bei verschiedenen Gelegenheiten einige der Schlechtesten an sich und machte sich so allmählich von seiner Partei unabhängig. Da er nun den Beschlüssen der anderen stets den Gehorsam versagte, seine eigenen aber in herrischem Ton als Befehle hinstellte, konnte es keinem Zweifel mehr unterliegen, dass
1 Micha 3, 9-12; Ezech. 24, 9-13. Vielleicht such hat Josephus hier ungeschriebene, im Munde des Volkes fortlebende Weissagungen im Sinn.
2 S..3, If.
Seite 430 er nach Alleinherrschaft strebte. Einige fügten sich ihm aus Furcht, andere aus Ergebenheit - er verstand es nämlich meisterlich, sich durch List und Trug einen Anhang zu verschaffen -, manche auch, weil sie es im Interesse ihrer eigenen Sicherheit für zweckmässig hielten, dass die Verantwortlichkeit für die bisherigen Frevelthaten statt von vielen von einem einzigen Manne getragen würde. Überdies führte die Entschlossenheit, die er sowohl im Handeln wie im Überlegen zeigte, ihm noch eine Menge weiterer Spiessgesellen zu. Immerhin aber blieb auch eine erkleckliche Anzahl Gegner übrig, die sich zum kleineren Teil von Missgunst leiten liessen, da sie es für drückend hielten, sich einem Manne unterzuordnen, dem sie bisher gleichgestanden hatten; bei den meisten jedoch war es Scheu vor der Herrschaft eines Einzigen, was sie ihm abgeneigt machte. Sie sahen nämlich voraus, dass sie ihn, wenn er einmal die Gewalt in Händen hatte, nicht leicht mehr stürzen konnten, und dass ihm dann ihre frühere Widersetzlichkeit nur als Vorwand für ein strenges Einschreiten gegen sie dienen würde; deshalb waren sie fest entschlossen, lieber im Kampf gegen ihn alles zu erdulden, als sich freiwillig knechten zu lassen und nach Sklavenart unterzugehen. Aus diesen Gründen kam es zu einer Trennung von Joannes, der seinerseits wie ein König über seine Parteigänger herrschte. Gegeneinander hatten sie überall Wachen ausgestellt; doch machten sie von den Waffen keinen Gebrauch, und wenn dies je geschah, so blieb es bei kleinen Scharmützeln. Um so heftiger aber bekämpften sie das Volk und wetteiferten miteinander, welche Partei demselben die grössere Beute abjagen könne. So war denn die Stadt jetzt von drei sehr schlimmen Übeln heimgesucht, Krieg, Tyrannei und Parteihader, von denen der Krieg dem Volke verhältnismässig noch am leichtesten vorkam. Unter diesen Umständen konnte es nicht ausbleiben, dass viele Bewohner Jerusalems ihren eigenen Landsleuten entliefen, zu den Fremden flohen und bei den Römern ihr Heil suchten,
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an dem sie unter ihren Volksgenossen verzweifeln mussten. 2. Noch eine vierte Plage übrigens brach zum Verderben des Volkes herein. Nicht weit von Jerusalem lag eine sehr starke Festung mit Namen Masada, die von den alten Königen l sowohl zur Bergung ihrer Schätze in Kriegsgefahren als zu ihrer persönlichen Sicherheit erbaut worden war. Sie war in den Händen der sogenannten Sikarier,2 die bisher weiter ins Land gehende Raubzüge aus Furcht unterlassen und sich auf Ausplünderung der nächsten Umgebung, lediglich zur Beschaffung der notwendigsten Lebensmittel, beschränkt hatten. Jetzt aber, da sie erfuhren, dass die Streitmacht der Römer sich nicht rühre und die Juden zu Jerusalem infolge von Parteihader und Willkürherrschaft unter sich uneins geworden seien, verlegten sie sich auf keckere Wagestücke. Am Fest der ungesäuerten Brote, welches die Juden zum Andenken an ihre Befreiung aus der aegyptischen Knechtschaft und an die Heimkehr in ihr Stammland feiern, stiegen sie, unbemerkt von denen, die ihnen hätten hindernd in den Weg treten können, bei Nacht aus ihrem Schlupfwinkel herab und berannten ein Städtchen Namens Engaddi. Den wehrfähigen Teil der Einwohnerschaft hatten sie, ehe er auch nur zu den Waffen greifen und sich sammeln konnte, alsbald zerstreut und aus der Stadt gejagt; die Weiber und Kinder aber, die zur Flucht nicht stark genug waren, wurden, über siebenhundert an der Zahl, niedergemetzelt. Hierauf plünderten sie die Häuser rein aus, raubten die reifen Feldfrüchte und kehrten mit ihrer Beute nach Masada zurück. Auf gleiche Weise hausten sie in sämtlichen nahe bei der Festung gelegenen Dörfern sowie in der ganzen Umgegend, und von Tag zu Tag ward ihre Rotte durch bedeutenden Zufluss von allen Seiten verstärkt. Auch in den anderen Teilen Judaeas, die bisher in dieser Beziehung Ruhe
1 Nach VII, 8, 3 von dem MakkabAer Jonathas. 8. II, I1,
gehabt hatten, regte sich das Räuberunwesen. Ist der edelste Teil eines Körpers entzündet, so erkranken zugleich mit ihm alle übrigen Glieder. Nicht anders war es auch hier. Die in der Hauptstadt herrschende Zwietracht und Zerrüttung liess die Bösewichte auf dem Lande bei ihren Räubereien straflos ausgehen; hatten sie nun die Dörfer ihrer Landsleute ausgeplündert, so zogen sie sich in die Wüste zurück, verbanden sich daselbst durch Eidschwüre, thaten sich zu Scharen zusammen, die zwar weniger zahlreich als Heerhaufen, jedoch starker als Räuberbanden waren, und fielen dann über Heiligtümer und Städte her. Hier und da begab es sich wohl, dass sie von den Angegriffenen, wie es im Kriege denen zu geschehen pflegt, die unterlegen sind, übel zugerichtet wurden; dafür aber kamen sie in anderen Fallen der Rache der Gegner zuvor, indem sie nach Räuberart mit der Beute sich rasch davonmachten. So gab es bald keinen Teil Judaeas mehr, der nicht in das Verderben der Hauptstadt mit hineingezogen worden wäre. 3. Von alledem ward Vespasianus durch Überläufer in Kenntnis gesetzt. Denn obwohl die Empörer sämtliche Ausgänge bewachten und jeden, der sich aus irgend einem Grunde näherte, niederstiessen, gab es doch manche, die sich durchschlichen, zu den Römern entflohen und auf den Feldherrn einzuwirken suchten, dass er der Stadt zu Hilfe eile und die Trümmer des Volkes rette, indem sie ihm vorstellten, wie die meisten wegen ihrer Anhänglichkeit an die Römer ermordet worden seien und die noch Lebenden um derselben Gesinnung willen in Todesgefahr schwebten. Aus Mitgefühl mit ihren Leiden brach er auch wirklich auf, dem Anschein nach, um Jerusalem zu belagern, in der That aber um es zu entsetzen. Zuvor jedoch musste er, was noch übrig war, bewältigen, um nichts in seinem Rücken zu lassen, was ihm bei der Belagerung hinderlich werden konnte. Er rückte daher zunächst vor Gadara, die wohlbefestigte Hauptstadt von Peraea, und zog am
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vierten des Monats Dystros in sie ein. Es hatten nämlich die angesehensten Einwohner der Stadt teils aus Sehnsucht nach Frieden, teils aus Sorge um ihre Habe - Gadara zählte viele reiche Bürger - Gesandte in betreff der Übergabe an ihn geschickt, ohne dass die Empörungslustigen etwas davon gemerkt hätten; letzteren kam die Sache vielmehr erst zu Ohren, als Vespasianus bereits ganz in der Nähe stand. Sie selbst freilich durften nicht hoffen, die Stadt halten zu können, einmal weil sie ihren Gegnern in der Stadt an Zahl nicht gewachsen waren, und dann auch weil sie die Römer schon fast vor den Thoren sahen. Sie beschlossen daher, zu fliehen. Doch hielten sie es für unrühmlich, dies ohne Blutvergiessen zu thun und ohne an den Schuldigen Rache genommen zu haben, und so bemächtigten sie sich eines gewissen Dolesos, welcher nicht nur infolge seiner Stellung und Herkunft der erste Mann der Stadt war, sondern auch für den Urheber der Gesandtschaft galt, töteten ihn und machten sich, nachdem sie zuvor noch ihre Wut an seinem Leichnam ausgelassen hatten, aus dem Staube. Als nun das Römerheer anrückte, empfingen die Gadarener den Vespasianus mit freudigen Zurufen und erhielten von ihm die Zusicherung seines Schutzes sowie eine Besatzung von Reiterei und Fussvolk zur Abwehr etwaiger Angriffe seitens der Flüchtlinge. Die Stadtmauer hatten sie, ohne erst die Aufforderung der Römer abzuwarten, niedergerissen, um dadurch, dass sie selbst sich jeden Widerstand unmöglich machten, ihre Friedensliebe aufs deutlichste zu bekunden. 4. Zur Verfolgung der Flüchtlinge, die Gadara verlassen hatten, sandte Vespasianus den Placidus mit fünfhundert Reitern und dreitausend Mann zu Fuss ab, während er selbst mit dem übrigen Heer nach Caesarea zurückkehrte. Als nun die Verfolgten auf einmal der ihnen nachsetzenden Reiter ansichtig wurden, drängten sie sich, ehe es zum Handgemenge kam, in ein Dorf
1 Frühjahr 68 n. Chr.
Seite 434 Namens Bethennabris zusammen. Hier fanden sie eine nicht unbedeutende Anzahl junger Leute, welche sie teils mit, teils ohne deren Einwilligung bewaffneten; alsdann machten sie unbesonnenerweise gegen die Truppen des Placidus einen Ausfall. Diese wichen beim ersten Angriff etwas zurück in der Absicht, ihre Gegner weiter von der Mauer wegzuziehen; kaum aber hatten sie die Juden an einen günstigen Ort gelockt, als sie dieselben umzingelten und mit Lanzen auf sie eindrangen. Denen, welche fliehen wollten, schnitten die Reiter den Weg ab, während unter dem kämpfenden Haufen das Fussvolk ein gewaltiges Blutbad anrichtete. So rannten die Juden in ihr Verderben, ohne etwas mehr als ihre Tollkühnheit bewiesen zu haben. Da nämlich die Römer dichtgeschlossene Reihen bildeten und hinter ihren Rüstungen wie von einer Mauer gedeckt standen, fanden die Juden ebenso wenig Gelegenheit, ihre Geschosse anzubringen, als es ihnen gelang, die feindlichen Linien zu durchbrechen. Dagegen wurden sie selbst entweder von den Römern durchbohrt oder liefen wie wilde Tiere in deren Schwerter hinein, und was nicht im Handgemenge fiel, ward von den Reitern zerstreut und niedergehauen. 5. Placidus nämlich war insbesondere darauf bedacht, ihnen den Rückweg nach dem Dorf abzuschneiden; er sprengte daher beständig mit seinen Reitern nach dieser Seite hin, liess aber dann plötzlich kehrt machen und die Juden mit einem Pfeilregen überschütten, wodurch die näher befindlichen dem sicheren Untergang verfielen und die entfernteren abgeschreckt wurden. Endlich gelang es den Tapfersten doch, sich bis zur Mauer durchzuschlagen. Die Wächter aber wussten nun nicht, was sie thun sollten. Die Gadarener einfach draussen zu lassen, konnten sie um ihrer eigenen Leute willen nicht über sich bringen; anderseits mussten sie, wenn sie ihnen Aufnahme gewährten, befürchten, mit ihnen zu Grunde zu gehen. Das letztere war denn auch wirklich der Fall. Während nun die Masse der Fliehenden sich an
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der Mauer staute, wären die römischen Reiter beinahe mit eingedrungen; doch gelang es den Juden noch eben, die Thore vor ihnen zu schliessen, sodass Placidus stürmen lassen musste. Bis zum Abend währte der Kampf; dann gelangten die Römer, die tapfer gefochten hatten, in den Besitz der Mauer und des Dorfes. Die wehrlose Bevölkerung wurde niedergemetzelt, während die streitbare Mannschaft davonfloh; hierauf plünderten die Soldaten die Häuser und steckten das Dorf in Brand. Die flüchtigen Juden rissen übrigens auch die Landbevölkerung mit sich fort und erfüllten ringsum alles mit Schrecken, indem sie ihre eigene Niederlage übertrieben und erzählten, das ganze Römerheer sei im Anmarsch begriffen. In dichten Scharen flohen sie nun auf Jericho zu, das allein ihnen noch Hoffnung auf Rettung gab, da es starke Mauern und eine zahlreiche Einwohnerschaft hatte. Placidus setzte ihnen im Vertrauen auf seine Reiter und sein bisheriges Kriegsglück bis zumJordan nach und machte unterwegs alles nieder, was ihm in den Weg kam; dann trieb er die ganze Menge in der Nähe des Flusses, der von Regengüssen angeschwollen war und deshalb nicht durchwatet werden konnte, zusammen und stellte ihnen gegenüber seine Truppen in Schlachtordnung auf. Flucht war nun für die Juden unmöglich geworden, und so zwang sie denn die Not zum Kampfe: in langer Linie dehnten sie sich am Ufer aus und versuchten auf diese Weise dem Geschosshagel und dem Anprall der Reiterei standzuhalten. Die letztere indes hieb sie massenhaft nieder oder drängte sie in den Fluss hinein; fünfzehntausend Juden fielen so unter dem Schwert ihrer Gegner, und fast zahllos war die Menge derer, die mit Gewalt in den Jordan getrieben wurden. In Gefangenschaft gerieten über zweitausendzweihundert; ausserdem fiel eine reiche Beute an Eseln, Schafen, Kamelen und Rindvieh den Siegern in die Hände. 6. Den Juden kam diese Niederlage, die freilich hinter den bisherigen nicht zurückstand, doch noch grösser
Seite 436 vor, als sie wirklich war; denn nicht nur troff die ganze Gegend, welche die Flüchtigen durchzogen hatten, von Blut, sondern es war auch der Jordan vor lauter Leichen nicht mehr zu passieren, und sogar den Asphaltsee bedeckten töte Körper, die massenhaft aus dem Flusse in ihn hinabgeschwemmt waren. Placidus anderseits verfolgte sein Glück, brach gegen die umliegenden Städtchen und Dörfer auf, eroberte Abila, Julias und Bethsimoth sowie die seitlichen Ortschaften bis zum Asphaltsee und legte in jede derselben eine aus den tauglichsten Überläufern gebildete Besatzung. Hierauf liess er seine Soldaten Kähne besteigen und alles niedermachen, was sich auf den See geflüchtet hatte. Sonach war nun ganz Peraea mit Ausnahme von Machaerus teils freiwillig, teils mit Gewalt in den Besitz der Römer übergegangen.
1. Mittlerweile waren Nachrichten eingelaufen, dass in Gallien ein Aufstand ausgebrochen und Vindex mit den Häuptlingen der Eingeborenen von Nero abgefallen sei, wie in Einzelwerken des näheren zu lesen ist.1 Diese Meldungen veranlassten den Vespasianus, die Kriegführung zu beschleunigen; denn er sah bereits die künftigen Bürgerkämpfe und die gefahrvolle Lage des ganzen Reiches voraus und glaubte durch Herstellung friedlicher Zustände im Orient die Besorgnisse Italiens verringern zu. können. Während der Dauer des Winters hatte er sich der eroberten Städtchen und Dörfer dadurch versichert, dass er Besatzungen hineinlegte und die ersteren der Verwaltung von Centurionen, die letzteren der von
1 Z. B3. bei Dio Cassius, LXIII, 22-24.
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Decurionen unterstellte; auch hatte er viele der verwüsteten Ortschaften wieder aufbauen lassen. Mit dem Beginn des Frühlings aber brach er an der Spitze des grössten Teiles seiner Streitmacht von Caesarea nach Antipatris auf, wo er zwei Tage lang die Angelegenheiten der Stadt ordnete; am dritten zog er dann weiter und verwüstete die ganze Gegend ringsum mit Feuer und Schwert. Nach Unterjochung der Toparchie Thamna rückte er vor Lydda und Jamnia, nahm beide ein, versah sie mit Besatzungen, die aus geeigneten Bewohnern früher übergetretener Städte gebildet waren, und kam nach Ammaus. Hier schnitt er zunächst der Bevölkerung die Wege nach der Hauptstadt ab, errichtete ein festes Lager, in welchem er die fünfte Legion zurückliess, und marschierte mit dem übrigen Heere weiter in die Toparchie Bethleptepha.1 Diese sowie das angrenzende Gebiet verheerte er durch Brennen und Sengen, befestigte alsdann geeignete Punkte in Idumaea und nahm zwei Dörfer im Herzen dieser Landschaft, Betaris und Kaphartobas, ein, wo er über zehntausend Menschen niedermachte und mehr als tausend gefangen nahm. Die übrige Menge verjagte er und legte in die beiden Ortschaften eincn ansehnlichen Teil seiner Truppen, welche das ganze umliegende Bergland verwüstend durchzogen. Er selbst kehrte mit dem Rest des Heeres nach Ammaus zurück, von wo er durch das Samariterland an Neapolis oder, wie es bei den Eingeborenen heisst, Mabortha vorbei nach Korea hinahmarschierte. In Korea liess er am zweiten des Monats Daisios ein Lager schlagen und langte tags darauf vor Jericho an; hier stiess Trajanus, einer seiner Heerführer, mit Truppen zu ihm, die er nach Unterjochung der jenseits des Jordan gelegenen Landesteile aus Peraea hergebracht hatte. 2. Die Bewohner Jerichos hatten sich grösstenteils,
1 Eine Toparchie dieses Namens ist III, 3, 5, wo die 11 Toparchien Judaeas aufgezählt werden, nicht erwähnt und auch sonst unbekannt. Vielleicht ist die Josua 19, 6 genannte Stadt Bethlebaoth im Stamme Simeon gemeint.
Seite 438 ohne das Erscheinen der Römer abzuwarten, auf das Jerusalem gegenüberliegende Gebirge geflüchtet und die Stadt fast leer gelassen; die Zurückgebliebenen, die übrigens auch noch ziemlich zahlreich waren, verfielen dem Schwerte der Römer. Jericho liegt in einer Ebene und ist von einem kahlen, unfruchtbaren Höhenzug überragt, der sich in bedeutender Länge gegen Norden bis in die Gegend von Skythopolis, gegen Süden bis an das frühere Sodomitergebiet und die Ufer des toten Meeres erstreckt - ein durchweg rauher und wegen seiner Unfruchtbarkeit gänzlich unbewohnter Landstrich. Ihm gegenüber zieht sich den Jordan entlang ein anderes Gebirge, das bei Julias und noch weiter nördlich beginnt und in südlicher Richtung bis Somorrha,l Nachbarstadt von Petra in Arabien, läuft. Zu diesem Gebirge gehört auch der sogenannte Eisenberg,2 welcher der Länge nach bis zum Moabiterland sich hinstreckt. Die Mittellandschaft zwischen den beiden Bergketten heisst die grosse Ebene,3 die von dem Dorfe Ginnabris 4 bis zum Asphaltsee reicht. Ihre Länge beträgt zweihundertdreissig, ihre Breite hundertzwanzig Stadien. Sie wird in der Mitte vom Jordan durchschnitten und hat zwei Seen von entgegengesetzter Beschaffenheit, den Asphaltsee und den See Tiberias; das Wasser des ersteren nämlich ist salzig und dem Pflanzenwuchs schädlich, das des letzteren süss und befruchtend. Zur Sommerzeit ist die Ebene wie ausgebrannt und weist eine Luft auf, die infolge der übermässigen Hitze sehr nachteilig auf die Gesundheit einwirkt; denn ausser dem Jordan hat sie nicht die Spur von Wasser, weshalb auch die Palmen an den Ufern dieses Flusses ansehnlich und üppig, die weiter davon entfernten dagegen kümmerlich entwickelt sind.
1 S. die Bemerkung zu diesem Namen im Register.
2 D. i. der Basalt nördlich vom Arnon im heutigen el Kura. Basalt (der Hauptmasse nach Feldspat) enthält bis zu 20 Prozent Eisen.
3 So hiess also ausser der Ebene Jezreel auch die Jordanebene oder das Jordanthal (el Ghor).
4 Wohl dasselbe wie Ginnaea
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3. In der Nähe von Jericho befindet sich eine starke, der Bewässerung der Fluren äusserst dienliche Quelle, die dicht bei der alten Stadt hervorsprudelt, der ersten, die Jesus,1 der Sohn des Nave, als Heerführer der Hebräer im Lande der Chananaer mit dem Schwert eroberte. Diese Quelle soll vor Zeiten nicht nur die Erd- und Baumfrüchte, sondern auch die Leibesfrucht der Weiber vernichtet und überhaupt allem Lebenden Tod und Verderben gebracht haben, von dem Propheten Elissaeus aber, dem Schüler und Nachfolger des Elias, gereinigt und überaus heilkräftig und befruchtend gemacht worden sein. Aus Dankbarkeit für die gastliche Aufnahme, die er bei den Bewohnern Jerichos gefunden und die ausserordentlich freundliche Gesinnung, die sie ihm entgegenbrachten, bedachte er sie und das Land mit einem für alle Zeiten bleibenden Geschenk. Er begab sich nämlich zur Quelle hin, warf ein irdenes Gefäss mit Salz in das strömende Wasser, erhob seine Rechte gen Himmel und flehte, indem er ein sühnendes Trankopfer in die Quelle goss, dass ihre Beschaffenheit gemildert und süssere Adern in ihr geöffnet würden, sowie dass der Himmel gedeihlichere Lüfte mit dem Wasser mischen und so den Umwohnern Fruchtbarkeit des Bodens und Kindersegen verleihen, auch ihnen das Wasser nicht entziehen möge, so lange sie gerecht blieben. Durch dieses Gebet, dem er mancherlei Ceremonien, wie seine Kunst sie ihn lehrte, vorausschickte, wandelte er die Quelle um, und das Wasser, das zuvor die Ursache von Kinderlosigkeit und Hungersnot gewesen war, bewirkte von nun an Kindersegen und Überfluss.2 Denn es hat, wenn es zur Berieselung benutzt wird, eine solche Kraft, dass es selbst bei nur leichter Benetzung des Bodens denselben fruchtbarer macht als anderes Wasser, das bis zur Sättigung des Erdreichs stehen bleibt; dadurch erklärt es sich auch, dass es bei sparsamem Verbrauch Josua.
1 S. 2. Buch der Könige 2, 18-22.
Seite 440 sich recht nutzbringend erweist, während es bei reichlicherer Verwendung nur wenig Vorteil darbietet. Aus dem gleichen Grunde bewässert die Quelle eine grössere Bodenfläche wie irgend eine andere; durchläuft sie doch eine Ebene von siebzig Stadien Länge und zwanzig Stadien Breite, in welcher sie die herrlichsten, dicht bei einander liegenden Prunkgärten speist. Der von ihr versorgten Palmen giebt es mancherlei Arten, die nach Geschmack und Benennung verschieden sind. Die fetteren werden getreten und liefern so eine Menge Honig, welcher dem Bienenhonig, der sich übrigens dort auch findet, nicht viel nachgiebt. Ferner wächst daselbst der Opobalsam,1 das köstlichste Erzeugnis des Landes, sowie die Henna2 und der Myrobalanus.3 Mit Recht kann man deshalb diesen Landstrich, in welchem die seltensten und kostbarsten Erzeugnisse der Natur in so reicher Fülle gedeihen, einen gottgesegneten nennen. Auch was die sonstigen Fruchtarten angeht, kann nicht leicht eine andere Gegend der Erde mit ihm verglichen werden - so reichlich giebt der Boden zurück, was man hineingelegt hat. Es scheint mir dies von der Wärme der Luft und der vorzüglichen Beschaffenheit des Wassers herzukommen, indem jene die Pflanzen hervorlockt und ihr üppiges Wachstum befördert, die Feuchtigkeit aber dieselben starke Wurzeln schlagen lisst und ihnen im Sommer Kraft verleiht. In letzterer Jahreszeit ist die Gegend so drückend heiss, dass nicht leicht jemand ins Freie hinausgeht. Das Wasser, welches man vor Sonnenaufgang schöpft und dann der Luft aussetzt, wird sehr kalt und nimmt eine der umgebenden Luft entgegen
1 D. i. der aus Einschnitten in die Rinde des Balsamstrauches hervorquällende, zuerst weissliche, dann sich rötende Saft (ösrS).
2 Henna- oder Alhennastrauch (Lawsonia alba), dessen Blatter bekanntlich zum Farben der,Fingernagel im Orient Verwendung finden.
3 Aus der Frucht des Myrobalanus oder Zakkumbaumes (Elaeagnus angustifolius L.) wird noch heutzutage ein sehr heilsames Öl, das Öl von Jericho oder Zachaeus-Öl gepresst (a auch Plinius, Naturgeschichte, XII, 46).
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gesetzte Temperatur an; im Winter dagegen erwarmt es sich und ist dann zum Baden sehr geeignet. Auch ist die Luft in dieser Jahreszeit dort so mild, dass die Eingeborenen sich in Leinwand kleiden, während es im übrigen Judaea schneit. Von Jerusalem ist Jericho hundertfünfzig, vom Jordan sechzig Stadien entfernt. Die Gegend bis Jerusalem ist öde und felsig, der Strich bis zum Jordan und zum Asphaltsee zwar ebener, aber gleichfalls wist und unfruchtbar. Damit glaube ich über die gesegnete Lage Jerichos genug gesagt zu haben. 4. Eine genauere Beschreibung verdient noch die natürliche Beschaffenheit des Asphaltsees. Sein Wasser ist, wie schon bemerkt, bitter und der Vegetation nicht zuträglich, dabei so leicht,1 dass es selbst die schwersten Gegenstände, die man hineinwirft, trägt und manl bei aller Anstrengung nicht leicht unterzutauchen vermag. So liess auch Vespasianus, als er an den See kam, um ihn zu besichtigten, einige des Schwimmens unkundige Personen mit auf dem Rücken gebundenen Händen in die Tiefe werfen, und siehe, sie alle trieben, wie von einem Wind in die Höhe gehoben, auf der Oberfläche umher. Merkwürdig ist ferner der Farbenwechsel des Sees; dreimal am Tage nämlich ändert er seine Oberfläche und wirft die Sonnenstrahlen in buntem Schülern zurück.2 An vielen Stellen stösst er schwarze Asphaltklumpen aus, die, an Gestalt und Grösse kopflosen Stieren vergleichbar, auf dem Wasser schwimmen. Die Arbeiter auf dem See nähern sich denselben, ergreifen
1 D. h. leichttragend; denn in Wirklichkeit ist das Wasser infolge seines Salzgehaltes specifisch schwerer. Sein specifisches Gewicht verhält sich zu dem des destillierten Wassers nach Marcet wie 1211:1000, nach Gay-Lussac wie 1228:1000.
2 Vergl. Tacitus, Histor. V, 6. 2 Diese Fluorescenz-Erscheinungen sind wohl auf die raschere oder langsamere Verdunstung des ungemein salzigen Wassers zurückzuführen. Nach Gay-Lussac sind in 100 Teilen dieses Seewassers enthalten: 3,98 salzsaurer Kalk, 15,31 salzsaure Magnesia, 6,95 Chlornatrium (Kochsalz). Der starke Salzgehalt verursacht auch den bittern, ekelhaften Geschmack des Wassers.
Seite 442 die zusammenhängenden Massen und ziehen sie in die Kähne; haben sie die letzteren gefüllt, so wird es ihnen nicht leicht, die Klumpen loszumachen, da sie infolge ihrer Zähigkeit an dem Fahrzeug kleben bleiben, bis sie durch monatliches Blut von Weibern oder durch Harn davon getrennt werden: denn diese Flüssigkeiten allein vermögen den Asphalt zu lösen. Der harzige Stoff findet nicht nur beim Schiffbau Verwendung, sondern dient auch zu Heilzwecken und wird deshalb vielen Arzneien beigemischt. Die Länge des Sees, die sich bis Zoar in Arabien erstreckt, beträgt fünfhundertachtzig, die Breite hundertfünfzig Stadien. An seine Ufer stösst das Sodomiterland, einst ein glückliches Fleckchen Erde, da es fruchtbare Gefilde und wohlhabende Städte aufwies, jetzt aber völlig vom Feuer zerstört. Es soll wegen der Gottlosigkeit seiner Bewohner durch Blitze in Brand gesetzt worden sein. Noch heute finden sich die Spuren des vom Himmel gesandten Feuers, und es sind im See die schattenhaften Umrisse von fünf Städten zu sehen. Auch erzeugt sich stets von neuem Asche in gewissen Früchten, welche an Farbe essbaren ähnlich sind; pflückt man sie aber mit der Hand, so lösen sie sich in Staub und Asche auf. 1 So werden die Sagen über das Land der Sodomiter durch den Augenschein bestätigt.
1 Diese „Adamsäpfel" sind die Früchte der Asclepias gigantea, welche grossen, platten, gelblichen Äpfeln gleichen; äusserlich schön, brechen sie, wenn man sie drückt, platzend auf wie mit Luft gefüllte Blasen, und nur die Fetzen der dünnen Schale und ein paar Fasern bleiben in der Hand zurück.
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1. Um nun Jerusalem von allen Seiten einzuschliessen, errichtete Vespasianus sowohl in Jericho als in Adida ein Lager und legte in beide Städte eine aus Römern und Bundesgenossen gemischte Besatzung. Zugleich sandte er den Lucius Annius mit einer Reitertruppe und einer starken Abteilung Fussvolk nach Gerasa. Dieser nahm die Stadt im Sturm, tötete alle junge Mannschaft, soweit sie nicht rechtzeitig geflohen war, tausend an der Zahl, machte ihre Angehörigen zu Kriegsgefangenen und überliess die Habe der Einwohner seinen Soldaten zur Plünderung. Nachdem er sodann noch die Häuser in Brand gesteckt hatte, ging er auf die umliegenden Dörfer los. Wer dazu imstande war, suchte sein Heil in der Flucht; die Schwächeren kamen um; alles übrige ging in Flammen auf. Das ganze Bergland wie die Ebene befanden sich nun im Kriegszustand, und es waren somit den Bewohnern Jerusalems sämtliche Auswege abgeschnitten. Die, welche im Sinne hatten, zu den Feinden überzugehen, sahen sich von den Zeloten bewacht; die anderen aber, die sich noch nicht für die Römer begeistern konnten, wurden durch das Heer in Schrecken gehalten, das jetzt von allen Seiten die Stadt einschloss. 2. Als Vespasianus nach Caesarea zurückgekehrt war und sich eben anschickte, mit seiner ganzen Heeresmacht gegen Jerusalem aufzubrechen, ward ihm die Ermordung Neros l gemeldet. Wie dieser Imperator, der dreizehn Jahre und acht Tage regierte, den Thron dadurch beschimpfte, dass er den verruchtesten Menschen, Nymphidius und Tigellinus, und den unwürdigsten Frei-
1 9. Jun 68 n. Chr.
Seite 444 gelassenen die Regierungsgeschäfte überliess; wie diese sich dann gegen ihn verschworen, er aber, von allen seinen Leibwächtern verlassen, mit nur vier ihm treugebliebenen Freigelassenen entfloh und in einer Vorstadt Roms sich selbst entleibte; wie diejenigen, die ihn gestürzt, kurz nachher dafür büssen mussten; welchen Ausgang der gallische Krieg nahm, und wie Galba, zum Imperator ernannt, aus Hispanien zurückkehrte, bald aber, von seinen Soldaten schmutziger Gesinnung bezichtigt, mitten auf dem Forum zu Rom meuchlings ermordet und Otho zum Imperator ausgerufen wurde; Othos Feldzug gegen die Heerführer des Vitellius und seinen Sturz; 1 dann die Empörungen unter Vitellius und den Kampf um das Kapitolium; endlich wie Antonius Primus und Mucianus nach Vernichtung des Vitellius 2 und der germanischen Legionen den Bürgerkrieg beendeten - das alles ins einzelne zu schildern, wird mir erlassen sein, da es überall sattsam bekannt und von vielen griechischen wie römischen Schriftstellern bereits aufgezeichnet ist. Um des Zusammenhanges der Begebenheiten willen und um den Faden der Geschichte nicht zu zerreissen, habe ich die Hauptpunkte übersichtlich angegeben. - Vespasianus verschob nun zunächst den Feldzug nach Jerusalem; denn er war in gespannter Erwartung, wem nach Nero die Herrschaft zufallen würde. Auch hernach, als er hörte, dass Galba Imperator geworden, wollte er nicht ans Werk gehen, ehe er von letzterem einen Auftrag dazu erhalten hatte. Er sandte daher seinen Sohn Titus zu Galba, um ihn beglückwünschen und Verhaltungsmassregeln betreffs der Juden entgegennehmen zu lassen. In der nämlichen Absicht schiffte sich mit Titus auch der König Agrippa nach Rom ein. Aber während sie auf Kriegsschiffen der Küste von Achaja entlang fuhren (denn es war Winter), war Galba schon ermordet worden; nur sieben
1 16. April 69 n. Chr.
2 l. Dezember 69 n. Chr.
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Monate und sieben Tage hatte er den Thron innegehabt. Nach ihm kam Otho zur Regierung, und zwar bemächtigte er sich der Herrschaft mit Gewalt. Während nun Agrippa, ohne sich den Regierungswechsel sonderlich anfechten zu lassen, nach Rom weiterzureisen beschloss, segelte Titus wie auf göttlichen Antrieb von Griechenland nach Syrien und kam alsbald bei seinem Vater in Caesarea an. In ängstlicher Spannung wegen der Lage des römischen Reiches, das ihrer Meinung nach wie ein Schiff im Sturm schwankte, schenkten nun die beiden dem Kriege gegen die Juden weniger Beachtung und hielten, besorgt um ihr eigenes Vaterland, einen Angriff auf die Fremden zur Zeit für unthunlich. 3. Statt dessen aber brach ein anderer Krieg über Jerusalem herein. Ein junger Mann aus Gerasa, Simon, des Gioras Sohn,1 der dem in der Hauptstadt bereits allgewaltigen Joannes zwar an Verschlagenheit nachstand, an Körperkraft und Waghalsigkeit dagegen ihn übertraf und um letzterer Eigenschaft willen vom Hohepriester Ananus aus der Toparchie Akrabatene, wo er den Herrscher spielte, vertrieben worden war, hatte sich an die Räuber angeschlossen, die Masada besetzt hielten.2 Anfangs zwar hatten sie ihm misstraut und ihm nur gestattet, samt den Weibern, die er mitbrachte, den unteren Teil der Festung zu bewohnen, während sie selbst den höher gelegenen einnahmen. Bald jedoch durfte er, weil er sich als echter Spiessgeselle erwies und sich allmählich Zutrauen erworben hatte, an ihren Raubzügen teilnehmen und half nun die Umgegend von Masada verwüsten, vermochte aber die Banditen nicht zu grösseren Unternehmungen zu bewegen. An die Festung gewöhnt, wie sie waren, trugen sie nämlich Bedenken, sich von diesem ihrem Schlupfwinkel weit zu entfernen. Simon indes wollte höher hinaus: sein Ziel
1 S. II, 19, 2.
2 S. II,22,2.
Seite 446 war die Tyrannenherrschaft. Sobald er daher den Tod des Ananus erfahren hatte, trennte er sich von ihnen, schlug sich ins Gebirge, liess durch Herolde den Sklaven Freiheit, den Freien Belohnungen versprechen und scharte so die Schlechten aus der ganzen Gegend um seine Person. 4. Bald hatte er eine starke Bande beisammen und plünderte nun zunächst die Dörfer im Gebirge aus; als er aber immer grösseren Zuwachs erhielt, wagte er sich auch in die Ebene hinab. Selbst den Städten wurde er jetzt furchtbar, und zugleich veranlasste seine Macht sowie der glückliche Erfolg seiner Unternehmungen eine Reihe angesehener Leute, auf seine Seite zu treten, sodass sein Heer bereits nicht mehr aus Sklaven und Räubern allein bestand, sondern auch nichtwenige sesshafte Bürger aufwies, die ihm wie ihrem Könige gehorchten. Nunmehr dehnte er seine Streifzüge über die Toparchie Akrabatene und selbst bis in den grösseren Bezirk Idumaea aus. Bei einem Dorfe Nain nämlich hatte er eine Art Bollwerk errichtet, das ihm wie eine Festung zu seiner Sicherheit diente, und ausserdem hatte er in einer Schlucht mit Namen Pharan viele Höhlen erweitern lassen; diese Höhlen gebrauchte er nun samt vielen anderen Verstecken, die er dort schon fertig vorfand, als Schatzkammern und Magazine für die Beute. Ebenso verwahrte er in ihnen die geraubten Feldfrüchte, und ein bedeutender Teil seiner Rotte wohnte daselbst. Dass er es mit diesen Übungszügen seiner Bande und mit den sonstigen Zurüstungen auf eine Unternehmung gegen Jerusalem abgesehen hatte, konnte keinem Zweifel unterliegen. 5. Aus Furcht vor einem heimlichen Überfall und um das Emporkommen eines Mannes, dessen Macht zu ihrem Schaden tagtäglich anwuchs, zu verhindern, rückten die Zeloten in grosser Anzahl bewaffnet ihm entgegen. Simon liess sich auf das Treffen ein, machte in demselben eine Menge seiner Gegner nieder und trieb die übrigen in die Stadt zurück. Da er jedoch seinen
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Streitkräften noch nicht soweit traute, dass er einen Sturm auf die Mauer hatte wagen können, zog er ab, um zunächst Idumaea zu erobern, und rückte an der Spitze von zwanzigtausend Bewaffneten gegen dessen Grenzen heran. Die Häuptlinge der Idumäer sammelten in aller Eile die streitbarste Mannschaft des Landes, gegen fünfundzwanzigtausend an der Zahl, und erwarteten, während sie die übrige Menge zum Schutz ihrer Habe gegen die Einfälle der Sikarier Masadas zurückliessen, den Simon an der Grenze ihres Gebietes. Dort kam es zur Schlacht; aber obwohl den ganzen Tag gefochten wurde, blieb es unentschieden, wer von beiden Teilen gesiegt habe, und es kehrten schliesslich die Idumäer nach Hause, Simon nach Nain zurück. Kurz nachher fiel er mit noch grösseren Streitkräften abermals in Idumaea ein, lagerte sich bei einem Dorfe mit Namen Thekoa und schickte den Eleazar, einen seiner vertrauten Freunde, ab, um die Besatzung des nahegelegenen Kastells Herodium zur Übergabe desselben l zu bewegen. Zunächst nahm die Besatzung den Eleazar zuvorkommend auf, da sie ja den Zweck seiner Sendung noch nicht kannte; als er aber etwas von Übergabe verlauten liess, verfolgten sie ihn mit gezückten Schwertern, bis er keinen Ausweg zur Flucht mehr sah und sich von der Mauer in die unterhalb derselben befindliche Schlucht stürzte, wo er sogleich seinen Geist aufgab. Die Idumäer aber bekamen nun doch Angst vor Simons Macht und beschlossen daher, bevor sie sich in ein Gefecht einliessen, das Heer des Feindes auszukundschaften. 6. Zu diesem Dienst erbot sich Jakobus, einer der Anführer, mit grosser Bereitwilligkeit; insgeheim aber plante er Verrat. Aus dem Dorfe Alurus, wo damals das idumaeische Heer beisammen war, machte er sich zu Simon auf und traf zunächst mit ihm die Verabredung, ihm seine Vaterstadt verraten zu wollen, wogegen Simon ihm eidlich versichern müsse, dass er ihn stets in Amt und Würden belassen werde; weiterhin
Seite 448 stellte er ihm dann auch noch seine Mitwirkung bei der Unterjochung von ganz Idumaea in Aussicht. Auf dieses Anerbieten hin bewirtete Simon ihn gastlich und suchte ihn durch glänzende Versprechungen noch mehr zu ködern. Als nun Jakobus zu den Seinigen zurückkam, war sein erstes, mit lügnerischen Worten Simons Heer als überaus stark zu schildern; hierauf suchte er durch vertrauliche Besprechungen mit den Führern und einzelnen von der Mannschaft das gesamte Kriegsvolk dahin zu bringen, dass sie Simon aufnehmen und ihm, ohne erst die Waffen entscheiden zu lassen, die höhste Gewalt übertragen möchten. Während er auf diese Weise seine Landsleute bearbeitete, rief er den Simon durch Boten herbei und versprach ihm, die Idumäer zerstreuen zu wollen. Diese Zusage hielt er auch; denn kaum befand sich Simons Heer in der Nähe, als er sich aufs Pferd schwang und an der Spitze seiner Mitverschworenen davonsprengte. Schrecken befiel jetzt das ganze Volk, und noch ehe es zum Handgemenge kam, lösten sich die Reihen auf, und alles lief der Heimat zu. 7. Simon zog nun, was er wohl selbst nicht erwartet hatte, ohne Blutvergiessen in Idumaea ein und nahm durch Überrumpelung zuerst die Stadt Chebron, wo er reiche Beute machte und grosse Mengen Getreide raubte. Die Eingeborenen behaupten, dass Chebron nicht nur älter als die übrigen Städte jener Gegend, sondern sogar älter als Memphis in Aegypten sei; berechnet man doch das Alter der Stadt auf zweitausenddreihundert Jahre. Die Sage macht sie auch zum Wohnsitz Abrams, des Stammvaters der Juden, nach seiner Auswanderung aus Mesopotamien, und von hier aus sollen seine Nachkommen nach Aegypten gezogen sein. Die aus dem schönsten Marmor mit grosser Pracht hergestellten Grabdenkmäler der letzteren werden noch heute in jenem Städtchen gezeigt. Sechs Stadien von Chebron entfernt zeigt man auch eine riesige Terebinthe, von der man sagt, dass sie seit Erschaffung der Welt dort stehe. -
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Von hier aus durchzog also Simon ganz Idumaea und verheerte nicht nur die Dörfer und Städte, sondern verwüstete auch das gesamte Ackerland; denn ausser seinen Schwerbewaffneten folgten ihm noch weitere vierzigtausend Mann, sodass für eine solche Menge selbst die unentbehrlichsten Lebensmittel nicht hinreichten. Die Drangsalierung des Landes ward noch vermehrt durch die Grausamkeit des Gefürchteten und seine Erbitterung gegen das Volk, infolge deren die Verödung Idumaeas einen immer höheren Grad erreichte. Denn wie man hinter einem Heuschreckenschwarm ganze Wälder entlaubt sehen kann, so liess Simons Heer eine völlige Wüste in seinem Rücken, indem es hier sengte, dort niederriss, alles, was das Erdreich trug, durch Zertreten oder Abweiden vernichtete und das bebaute Land durch seinen Marsch in einen Zustand versetzte, der schlimmer war als der von unfruchtbarem Boden. Kurz, auch nicht die Spur des früheren Wohlstandes blieb in den verwüsteten Gegenden übrig. 8. Diese Vorgänge rüttelten die Zeloten aus ihrer Untätigkeit auf. In offener Feldschlacht Simon zu bekämpfen, getrauten sie sich freilich nicht; dagegen legten sie in einem Engpass einen Hinterhalt, der die Gattin Simons und deren zahlreiches Gefolge aufgriff. Jubelnd, wie wenn sie Simon selbst zum Gefangenen gemacht hätten, zogen sie hierauf in die Hauptstadt ein und erwarteten nichts geringeres, als dass er sogleich die Waffen strecken und demütig um Freilassung seiner Gattin bitten würde. Ihn aber erfüllte kein Mitleid, sondern nur Zorn wegen dieses Raubes, und alsbald erschien er vor den Mauern Jerusalems und liess wie ein angeschossenes Wild, das den, welcher es verwundet, nicht erreichen kann, an allen, die ihm in die Quere kamen, seine Wut aus. Wer, um Gemüse oder Holz zu holen, sich vor die Stadtthore hinauswagte, mochten es auch Unbewaffnete oder Greise sein, ward ergriffen und zu Tode gepeinigt; es fehlte nur noch, dass Simon in seiner Raserei die Leichen der Gemordeten verzehrte. Viele
Seite 450 sandte er mit abgehauenen Händen in die Stadt zurück, teils um seinen Feinden Schrecken einzujagen, teils auch um dadurch das Volk gegen die Schuldigen aufzureizen. Den Unglücklichen hatte man aufgetragen zu melden, Simon schwöre bei Gott dem Allwissenden: wenn sie ihm nicht auf der Stelle sein Weib herausgäben, so werde er die Mauer stürmen und, ohne irgend ein Alter zu schonen oder die Schuldigen von den Unschuldigen zu trennen, allen Bewohnern der Stadt ein gleiches anthun. Diese Drohung versetzte nicht nur das Volk, sondern auch die Zeloten in Bestürzung, und alsbald gab man ihm sein Weib zurück, worauf er, ein wenig besänftigt, in dem beständigen Blutvergiessen eine Pause eintreten liess. 9. Aber nicht in Judaea allein tobte Aufruhr und Bürgerkrieg, sondern auch in Italien. Galba nämlich war mitten auf dem Forum zu Rom ermordet und zum Imperator Otho ausgerufen worden, der indes mit seinem von den germanischen Legionen erwählten Nebenbuhler Vitellius im Kampfe lag. Bei Bedriacum in Gallien kam es zwischen Otho und den Heerführern des Vitellius, Valens und Caecinna, zur Schlacht, in welcher am ersten Tage Otho, am zweiten das Heer des Vitellius die Oberhand behielt. Nachdem viel Blut geflossen, tötete Otho, der in Brixellum die Niederlage erfuhr, sich selbst; nur drei Monate und zwei Tage hatte er an der Spitze des Reiches gestanden. Sein Heer ging zu den Feldherren des Vitellius über, und dieser zog nun mit seiner Streitmacht in Rom ein. Unterdessen war auch Vespasianus am fünften des Monats Daisios wieder von Caesarea aufgebrochen und gegen die noch nicht unterjochten Gegenden Judaeas zu Felde gezogen. Zunächst erstieg er das Bergland und eroberte zwei Toparchien, die von Gophna und Akrabatta, hierauf die Städtchen | Bethel und Ephraim, in welche er Besatzungen legte; dann ritt er weiter bis vor Jerusalem. Viele Juden, die ihm in die Hände fielen, wurden niedergehauen, viele: auch zu Gefangenen gemacht. Einer seiner Offiziere,
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Cerealis, verwüstete mit einer Abteilung Reiterei und Fussvolk das sogenannte obere Idumaea und steckte ein Städtchen Kaphethra, das er durch Überrumpelung genommen hatte, in Brand; ein anderes, Kapharabis genannt, belagerte er förmlich, da es eine sehr starke Ringmauer hatte. Während er sich nun gefasst machte, hier langere Zeit liegen bleiben zu müssen, öffneten ihm die Einwohner plötzlich die Thore, flehten um Gnade und ergaben sich. Cerealis versicherte sich ihrer und zog dann vor eine andere Stadt, das uralte Chebron, das, wie schon bemerkt, unweit Jerusalems im Gebirge liegt. Nachdem er sich den Eingang erzwungen hatte, liess er die gesamte waffenfähige Mannschaft niedermachen und die Stadt in Asche legen. Nunmehr war alles bis auf die von den Räubern besetzten Festungen Herodium, Masada und Machaerus unterjocht, und es lag somit Jerusalem den Römern als nächstes Ziel vor Augen. 10. Simon hatte nicht sobald sein Weib aus den Händen der Zeloten befreit, als er in die noch verschont gebliebenen Teile Idumaeas zurückkehrte und das Volk von aller Seiten so sehr in die Enge trieb, dass vielt in ihrer Not nach Jerusalem flohen. Er selbst aber folgte ihnen bis vor die Stadt nach, umzingelte abermals die Mauer und tötete alle aufs Land gehenden Arbeiter, deren er habhaft werden konnte. War nun dem Volke von den äusseren Feinden Simon schon furchtbarer als die Römer, so flössten ihm doch die Zeloten im Innern der Stadt noch weit grösseren Schrecken ein. Übrigens hatten inzwischen Bosheit und Frechheit auch die Mannszucht unter den galilaeischen Truppen aufgelöst. Denn nachdem Joannes mit ihrer Hilfe den Gipfel der Macht erklommen hatte, erlaubte er ihnen dafür kraft seiner nunmehrigen Stellung als Herrscher, alles zu thun, wonach es sie gelüstete. Unersättlich war nun ihre Raubgier; die Häuser der Reichen wurden durchsÜbert; Männer morden und Weiber schänden diente ihnen zur Kurzweil. Noch triefend vom Blute, verprassten sie das Geraubte und ergaben sich aus
Seite 452 Übersättigung ungescheut weibischem Gebaren, indem sie sich das Haar frisierten, Weiberkleider anzogen, sich mit wohlriechendern Öl salbten und sich zur Zierde die Augen bemalten. Aber nicht allein was Putz anlangt, suchten sie es den Weibern gleichzuthun, sondern sie liessen sich auch als solche gebrauchen und ersannen im Übermass der Geilheit widernatürliche Lüste: wie in einem Bordell wülzten sie sich in der Stadt urmher und befleckten dieselbe mit lauter Werken der Unzucht. Weiber dem Gesicht nach, führten sie mit der Hand den Mordstahl; zierlichen Schrittes einhertänzelnd, verwandelten sie sich plötzlich in angreifende Krieger; aus ihren feingefürbten Überkleidern zogen sie Schwerter hervor und durchbohrten jeden, der ihnen in den Weg kam. War jemand dem Joannes entronnen, so lauerte auf ihn der noch blutdürstigere Simon, und wer sich vor den Zwingherren im, Innern der Stadt gerettet hatte, fiel den Tyrannen vor den Thoren zum Opfer. Wollte aber einer zu den Römern übergehen, so fand er jeden Weg der Flucht abgeschnitten. 11. Infolgedessen brach unter dem Kriegsvolk eine Empörung gegen Joannes aus, indem sämtliche Idumäer demselben sich von den übrigen trennten, um gegen den Tyrannen, auf dessen Macht sie eifersüchtig waren und dessen Grausamkeit ihren Hass erregte, einen Schlag zu versuchen. Alsbald kam es nun zum Handgemenge, in welchem viele Zeloten ihr Leben verloren, während die übrigen in den von der Grapte, einer Verwandten des Adiabenerkönigs Izates, erbauten Palast l zusammengetrieben wurden. Die Idumäer, welche mit den Zeloten in den Palast gelangt waren, drängten die letzteren von da weiter in den Tempel und machten sich dann an die Plünderung der Schätze des Joannes; denn der erwähnte Palast, in welchem er wohnte, diente ihm auch als Aufbewahrungsort für die Beute, die seine Tyrannei ihm einbrachte. Unterdessen strömte die in der Stadt
1 S. Spiess, Jerusalem des Josephus, S. 44.
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zerstreute Menge der Zeloten zu denen, die sich in den Tempel geflüchtet hatten, und schon traf Joannes Anstalten, sie gegen das Volk und die Idumäer in den Kampf zu führen. Die letzteren aber, die ihnen an Streitbarkeit überlegen waren, fürchteten nicht so sehr einen offenen Angriff von seiten der Zeloten, als dass diese in der Verzweiflung nachts aus dem Tempel her. vorschleichen, sie selbst überfallen und die Stadt in Brand stecken möchten. Sie kamen daher zusammen und überlegten mit den Hohepriestern, in welcher Weise man sich gegen einen solchen Anschlag sichern könne. Gott aber wandte ihre Gedanken auf einen schlimmen Weg, sodass sie ein Rettungsmittel ersannen, das schlimmer war als der völlige Untergang. Um nämlich Joannes zu stürzen, beschlossen sie, den Simon in die Stadt aufzunehmen und unter demütigem Flehen einen zweiten Tyrannen sich auf den Hals zu laden. Ein solcher Beschluss kam auch wirklich zur Ausführung sie sandten den Hohepriester Matthias ab, um den viel gefürchteten Simon zu bitten, dass er in die Stadt ein rücken möge. Dieser Bitte schlossen sich in der Hoffnung, ihre Häuser und ihr Vermögen wiederzuerhalten, auch diejenigen an, welche vor den Zeloten aus Jerusalem geflohen waren. Voll Übermut gewahrte Simon ihnen die Gnade, ihr Despot zu sein, und zog in die Stadt ein unter dem Vorgeben, sie von den Zeloten befreien zu wollen, weshalb das Volk ihn als seinen Retter und Schirmherrn begrüsste. Kaum aber war er mit seinen Truppen drinnen, als er sein Augenmerk nur auf das richtete, was seine Oberherrschaft fordern konnte, und diejenigen, die ihn eingeladen hatten, genau in demselben Masse als Feinde ansah wie die, gegen welche er gerufen worden war. 12. So ward Simon im dritten Jahre des Krieges, im Monat Xanthikos, 1 Herr von Jerusalem. Joannes aber und die vielen Zeloten, denen jeder Ausweg aus dem Tempel
1 Frühjahr 69 n. Chr.
Seite 454 versperrt und all ihr Besitztum in der Stadt genommen war (denn Simon und seine Leute hatten nichts eiligeres zu thun gehabt, als die gesamte Habe ihrer Gegner zu plündern), befanden sich jetzt in einer verzweifelten Lage. Obendrein machte nun Simon auch noch mit Unterstützung des Volkes einen förmlichen Angriff auf den Tempel. Indes schlugen die Zeloten, auf den Hallen und Zinnen stehend, denselben ab, und Simons Leute wurden massenhaft getötet oder verwundet hinweggetragen; denn von ihrem höheren Standort herab schossen die Zeloten leicht und sicher. Obwohl sie nun durch die Örtlichkeit schon so sehr begünstigt waren, errichteten sie, um ihre Geschosse von noch höheren Stellen aus werfen zu können, doch noch vier mächtige Türme: einen an der nordöstlichen Ecke, einen zweiten oberhalb des Xystos, den dritten an der Ecke, die der unteren Stadt gegenüberlag; der letzte endlich war über dem Gipfel der Pastophorien1 erbaut, wo herkommlicherweise ein Priester am Abend vor dem Sabbat sich hinstellte und mit der Trompete den Anbruch des Ruhetages verkündete, wie auch am folgenden Abend dessen Schluss, um dadurch das eine Mal dem Volke zu melden, dass es sich von Arbeiten enthalten, das andere Mal, dass es sie wieder aufnehmen solle. Auf diesen Türmen verteilten sie Katapulten und andere Schnllwurfmaschinen sowie Bogenschützen und Schleuderer. Von da an liess Simon mit seinen Angriffen etwas nach, weil die meisten seiner Leute anfingen kleinmütig zu werden; doch hielt er infolge seiner numerischen Stärke immer noch stand, obwohl die weithin fliegenden Geschosse der Maschinen eine Menge seiner Streiter zu Boden streckten
1 Nebengebäude des Tempels zur Aufbewahrung der gottesdienstlichen Kleider und Gefässe, ähnlich den Sakristeien christlicher Kirchen.
1. Um dieselbe Zeit war auch Rom von schweren Plagen heimgesucht. Vitellius nämlich war mit seinem Heer und einer weiteren grossen Menschenmenge, die er mit sich schleppte, aus Germanien angekommen und hatte, da er in den für das Militär bestimmten Raumlichkeiten nicht alles unterbringen konnte, ganz Rom zum Kriegslager gemacht und jedes Haus mit Bewaffneten gefüllt. Als nun die letzteren mit Augen, die an dergleichen nicht gewohnt waren, den Reichtum der Römer schauten und sich rings von Silber und Gold umstrahlt sahen, vermochten sie ihre Begierde kaum so weit zu zügeln, dass sie sich nicht sogleich an die Plünderung machten und jeden, der sie daran hindern konnte, niederstiessen. So sah es in Italien aus. 2. Vespasianus war soeben nach Unterjochung der nächsten Umgegend Jerusalems in Caesarea wieder eingetroffen, als er von den Unruhen in Rom hörte und dass Vitellius Imperator geworden sei. Wiewohl er nun ebenso sehr zu gehorchen als zu befehlen verstand, rief doch diese Nachricht seinen Unwillen wach, da er einen Mann, der an dem gleichsam verwaisten Reiche seine Tollheit ausliess, des Thrones nicht wert erachtete. Besonders schmerzlich berührte ihn der Umstand, dass er mit der Bekriegung Fremder sich beschäftigen sollte, während sein eigenes Vaterland dem Untergang entgegentrieb. In dem Masse aber, wie sein Zorn ihn zur Rache aufstachelte, hielt ihn der Gedanke an die grosse Entfernung davon zurück; wie manchen Streich, überlegte er, könnte ihm, zumal die Seereise in den Winter fallen würde, das Schicksal spielen, ehe er in Italien zu landen vermöchte. Das war es, was ihn seine zornige Ungeduld vorerst noch bemeistern hiess.
Seite 456 3. Seine Offiziere und Soldaten dagegen sprachen bei ihren kameradschaftlichen Zusammenkünften bereits ga:z offen von einem Regierungswechsel und machten ihrem Unwillen in heftigen Worten Luft. Die Soldaten in Rom, hiess es, die im Wohlleben schwelgten und deren zarte Ohren nicht einmal das Wort Krieg vertragen konnten, vergäben den Thron nach Gutdünken und liessen sich bei der Ernennung der Imperatoren lediglich von ihrer Habgier leiten. Und da sollten sie, die so viele Strapazen durchgemacht hätten und unter den Helmen ergraut seien, die höchste Gewalt an andere verschenken, während sie einen der Herrschaft würdigeren Mann in ihrer Mitte hätten? Würden sie etwa je wieder Gelegenheit finden, ihm für seine Güte zu danken, wenn sie die jetzige vorbeigehen liessen? Dem Vespasianus stehe doch der Thron vor Vitellius ebenso sicher zu, wia ihnen das Recht der Ernennung vor denen, die den letzteren gewählt hatten. Die Kriege, die sie selbst mitgemacht, standen doch denen in Germanien an Bedeutung gewiss nicht nach, und das Schwert wüssten sie mindestens so gut zu führen wie diejenigen, die sich von dort einen Tyrannen geholt hatten. Ein Kampf werde übrigens gar nicht nötig sein; denn weder der Senat noch das römische Volk werde das Lotterleben eines Vitellius lieber wollen als die sittliche Tüchtigkeit eines Vespasianus, und ebensowenig würden sie den grausamen Tyrannen dem milden Fürsten, den kinderlosen1 Herrn dem, der zugleich Vater sei, vorziehen. Die beste Bürgschaft des Friedens seien die wirklichen Vorzüge der Herrscher. Gebühre nun der reifen Erfahrung des Alters der Thron, so hätten sie Vespasianus, wenn aber der Kraft der Jugend, Titus; das Alter des einen wie des anderen konnten sie sich demnach zunutze machen. Für den Erwählten aber würden sie nicht nur selbst
1 Vitellius hatte Kinder, doch waren dieselben zur Regierung unfähig. Ein Sohn von ihm war fast blödsinnig (siehe Sueton, Titellius 6).
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mit aller Kraft einzustehen wissen, da sie ja drei Legionen stark seien und noch die Hilfstruppen der Könige hatten, sondern es würden auch der ganze Orient und diejenigen Teile Europas, die den Vitellius nicht zu fürchten brauchten, sowie ferner die Bundesgenossen in Italien, der Bruder1 und der zweite Sohn2 des Vespasianus ihre Mitwirkung nicht versagen. Dem letzteren würden sich übrigens noch viele vornehme Jünglinge anschliessen, und was den ersteren betreffe, so sei ihm sogar die Bewachung der Stadt anvertraut, womit für ein Unternehmen wie das ihrige schon viel gewonnen sei. Freilich, wenn sie zögerten, würde der Senat vielleicht einen Mann zum Imperator wahlen, vor dem das Militar, die eigentliche Stütze des Reiches, keine Achtung haben könne. 4. Derartige Gespräche führten die Soldaten, wenn sie unter sich waren. Alsbald nun versammelten sie sich in Masse, riefen, indem sie sich gegenseitig ermutigten, Vespasianus zum Imperator aus und forderten ihn auf, das bedrohte Reich zu retten. Schon seit geraumer Zeit hatte die Lage des Staates dem Feldherrn Sorge bereitet, ohne dass er daran gedacht hatte, selbst den Thron zu besteigen. Wohl hielt er sich um seiner Thaten willen desselben für würdig; er zog aber die Sicherheit des Privatlebens den Gefahren einer so glänzenden Stellung vor und weigerte sich deshalb, die Wahl anzunehmen. Die Offiziere jedoch drangen nur um so mehr in ihn, und die Soldaten umringten ihn sogar mit gezückten Schwertern und drohten ihn zu ermorden, wenn er nicht für die hohe Würde, die man ihm zugedacht, leben wolle. Er bemuhte sich hierauf, ihnen in langerer Rede die Gründe darzulegen, die ihn veranlassten, auf den Thron zu verzichten; als er sie aber nicht zu überzeugen vermochte, gab er schliesslich seinen Wählern nach.
1 Sabinus.
2 Domitianus.
5. Weil nun Mucianus und die anderen Offiziere ihn zur förmlichen Übernahme der Herrscherwürde drängten und das übrige Heer sich mit lautem Zuruf bereit erklärte, unter seiner Führung gegen jeden Feind anzugehen, suchte er vor allem sich Alexandrias zu versichern; denn es war ihm wohlbekannt, welch hohe Bedeutung Aegypten wegen seiner Getreidelieferungen für das ganze Reich hatte. Einmal im Besitz dieses Landes, hoffte er Vitellius stürzen zu können, und sollte derselbe sich auch mit Gewalt behaupten wollen; das Volk zu Rom nämlich, so rechnete er, würde seiner wohl bald überdrüssig werden, wenn es unter ihm Hunger leiden müsse.1 Ferner gedachte er die beiden in Alexandria stehenden Legionen zur Verstärkung seiner Streitmacht heranzuziehen, und endlich sollte Aegypten ihm ein Zufluchtsort für unvorhergesehene Unglücksfälle werden. Denn es ist zu Lande nur schwer angreifbar und an der Seeseite ohne Hafen; im Westen sind ihm die wasserlosen Wüsten Libyens vorgelagert; gegen Süden grenzt es an Syene und die unschiffbaren Wasserfälle des Nil; im Osten wird es bis Koptos hin vom Roten Meere bespült; gegen Norden endlich dient ihm das Land bis Syrien und das sogenannte Aegyptische Meer, das ganz ohne Buchten ist, als Bollwerk. So hat Aegypten auf allen Seiten seine natürlichen Befestigungen. Seine Länge von Pelusium bis Syene beträgt zweitausend Stadien; zu Schiff aber hat man von Plinthine bis Pelusium dreitausendsechshundert Stadien zu durchfahren. Der Nil ist schiffbar nur bis zur sogenannten Elephantenstadt;2 denn weiter hinauf zu fahren, gestatten die eben erwähnten Wasserfälle nicht. Der Hafen von Alexandria ist auch im Frieden für Schiffe schwer zugänglich, da seine Mündung eng ist und die Fahrstrasse sich in krummer Linie zwischen verborgenen Klippen hinzieht.
1 Vergl. bezüglich der Wichtigkeit Aegyptens für die Versorgung Roms mit Getreide den entsprechenden Passus der Rede Agrippas U, 16, 4 (S. 255).
2 D. i. Elephantine (s. Register).
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Die linke Seite des Hafens wird durch künstliche Festungswerke geschützt; rechts legt sich vor ihn die kleine Insel Pharos mit ihrem hohen Turm, der den Seefahrern auf dreihundert Stadien hinaus Licht spendet und sie dadurch veranlasst, bei Nacht wegen der Schwierigkeit des Einfahrens in einiger Entfernung beizulegen. Dieses Inselchen ist von gewaltigen künstlichen Dämmen umgeben; indem sich nun die Meeresbrandung an letzteren und an den gegenüberliegenden Uferbefestigungen bricht, macht sie diese Passage ausserordentlich schwierig und bei der Schmalheit der Einfahrt gefährlich. Innen dagegen ist der Hafen, der einen Umfang von dreissig Stadien hat, sehr sicher. Was das Land von auswärts zum Lebensgenuss braucht, wird hier eingeführt und dafür der fberfluss an seinen eigenen Erzeugnissen in die ganze Welt verschickt. 6. Kein Wunder, dass Vespasianus, um festere Zustände im Reiche zu schaffen, sich dieses Landes zu versichern trachtete. Er schrieb demgemäss unverzüglich an den Statthalter von Aegypten und Alexandria, Tiberius Alexander,1 schilderte ihm die Ergebenheit des Heeres und teilte ihm mit, wie er selbst, indem er die schwere Last der Regierung notgedrungen auf sich nehme, seiner Mitwirkung und Hilfe nicht entraten möchte. Alexander hatte den Brief kaum gelesen, als er aufs bereitwilligste die Legionen und das Volk für Vespasianus vereidigte. Diesen war die Tüchtigkeit des Mannes durch seine Thaten auf dem nahen Kriegsschauplatz wohl bekannt geworden, und so gehorchten sie mit Freuden; Alexander aber, dem eine so wichtige Rolle bei der Erhebung des neuen Herrschers anvertraut worden war, traf nun auch Anstalten zum würdigen Empfange desselben. Das Gerucht von der im Orient stattgehabten Ernennung des Vespasianus zum Imperator verbreitete sich übrigens unglaublich schnell, und jede Stadt feierte Feste, liess die Freudenbotschaft ausrufen und brachte
1 Den früheren Landpfleger von Judaea.
Seite 460 Opfer für das Wohlergehen des Erwählten dar. Auch die Legionen in Moesien und Pannonien, die kurz zuvor gegen das waghalsige Unternehmen des Vitellius sich aufgelehnt hatten, schwuren nun mit um so grösserer Freude dem Vespasianus als ihrem Herrn den Eid der Treue. Unterdessen war der Gefeierte von Caesarea nach Berytus aufgebrochen, wo eineReihe von Gesandtschaften aus Syrien und anderen Provinzen seiner harrte, um ihm von den einzelnen Städten Kränze und Glückwunschschreiben zu überreichen. Auch Mucianus, der Statthalter von Syrien, hatte sich eingefunden und meldete ihm, wie die Bevölkerung ihre Ergebenheit kundgethan und alle Städte den Huldigungseid geleistet hatten. 7. Da nun alles nach Wunsch ging und die Verhältnisse fast ganz zu seinen Gunsten sich gestalteten, kam Vespasianus auf den Gedanken, dass er doch wohl nicht ohne göttliche Fügung das Staatsruder ergriffen, sondern ein gerechtes Geschick ihm die Weltherrschaft verliehen habe. Ausser vielen anderen Vorzeichen, durch die ihm bald hier, bald da diese Herrschaft angekündigt worden war, fielen ihm jetzt auch die Worte des Josephus ein, der noch bei Lebzeiten Neros ihn den künftigen Imperator zu nennen gewagt hatte.1 Er erschrak, dass dieser Mann noch als Gefangener bei ihm sein sollte. Demzufolge berief er den Mucianus samt den übrigen Offizieren sowie seine Freunde zu sich, schilderte ihnen zunächst das thatkräftige Wesen des Josephus und wie viel derselbe ihm bei Jotapata zu schaffen gemacht, und erwähnte dann seine Prophezeiungen, die ihm damals lediglich wie eine Erfindung der Angst vorgekommen seien, später jedoch durch die Ereignisse als göttliche Eingebungen sich erwiesen hatten. „Es wäre daher eine Schande," fuhr er fort, „wenn dieser Mann, der mir die Herrschaft geweissagt und eine Kundgebung der Gottheit überbracht hat, noch länger als Kriegsgefangener behandelt wurde
1 S1. II, 8, 9. I..1.
Seite 461 und das Schicksal eines Gefesselten ertragen müsste." Hierauf gab er Befehl, den Josephus zu rufen und ihm die Ketten abzunehmen. Während nun die Offiziere aus dieser einem Fremden bewiesenen Erkenntlichkeit die glänzendsten Hoffnungen für sich selbst herleiteten, sprach Titus, der sich bei seinem Vater befand: „Die Gerechtigkeit verlangt, dass man dem Josephus mit dem Eisen auch die Schmach abnehme, die man ihm angethan; denn wenn wir seine Ketten nicht lösen, sondern zerhauen, wird es sein, als wäre er nie gefesselt gewesen." Dieses Verfahren wird nämlich bei denen beobachtet, die zu Unrecht in Ketten gelegt worden sind. Vespasianus war damit einverstanden, und sogleich trat ein Soldat herzu und zerhieb die Fesseln mit einer Axt. So gelangte Josephus zum Lohn für seine Prophezeiung wieder in den vollen Besitz seiner Ehre und genoss fortan in allem, was die Zukunft betraf, eine besondere Glaubwürdigkeit.
1. Als Vespasianus den Gesandtschaften Bescheid erteilt und die Statthalterposten nach Verdienst und Würdigkeit besetzt hatte, begab er sich nach Antiochia. Indem er nun hier überlegte, wohin er sich wenden sollte, kam er zu der Erkenntnis, dass die Angelegenheiten in Rom doch wichtiger seien als der Zug nach Alexandria; letztere Stadt nämlich war ihm ohnehin sicher, wogegen er Rom durch Vitellius beunruhigt sah. Er sandte daher den Mucianus an der Spitze einer bedeutenden Streitmacht von Reiterei und Fussvolk nach Italien voraus, und zwar führte dieser, da es gerade mitten im Winter war und er aus diesem Grunde die Seereise scheute, sein Heer auf dem Landweg durch Kappadocien und Phrygien. 2. Unterdessen war auch Antonius Primus mit der
Seite 462 dritten Legion aus Moesien, wo er damals Statthalter war, eiligst aufgebrochen, um sich mit Vitellius zu schlagen. Dieser sandte ihm den Caecinna Alienus, auf den er wegen seines Sieges über Otho grosse Stücke hielt, mit bedeutender Heeresmacht entgegen. Caecinna rückte in Eilmärschen von Rom aus und stiess bei Cremona, einer Stadt Galliens an der italienischen Grenze, auf seinen Gegner Antonius. Als er aber hier die Stärke und gute Ordnung des feindlichen Heeres sah, wagte er keine Schlacht, sondern sann, weil auch der Rückzug ihm gefährlich schien, auf Verrat. In dieser Absicht versammelte er die ihm untergebenen Centurionen und Tribunen und suchte sie zum Anschluss an Antonius zu bewegen, indem er die Macht des Vitellius herabsetzte, des Vespasianus Stärke dagegen herausstrich. Der eine, sagte er, sei nur dem Namen nach Herrscher, während der andere die Macht habe; sie thäten daher am besten, aus der Not eine Tugend zu machen und, da sie ja doch im Kampfe den kürzeren ziehen würden, durch freiwillige Sinnesanderung der Gefahr zuvorzukommen. Übrigens sei Vespasianus auch ohne ihre Hilfe imstande, sich das zu unterwerfen, was ihm noch fehle, während Vitellius selbst mit ihnen nicht einmal das, was er habe, zu behaupten vermöge. 3. Durch viele derartige Vorstellungen gelang es ihm, sie umzustimmen, und er ging nun mit seiner ganzen Streitmacht zu Antonius über. In derselben Nacht aber überkam Reue die Soldaten und Furcht vor dem, der sie abgesandt, falls dieser etwa doch die Oberhand gewinnen sollte. Mit gezückten Schwertern fielen sie über Caecinna her, um ihn zu ermorden, und würden ihr Vorhaben auch wirklich ausgeführt haben, wenn die Tribunen nicht kniefällig Fürbitte für ihn eingelegt hatten. Sie nahmen daraufhin zwar von seiner Ermordung Abstand, fesselten ihn aber als Verräter und schickten sich an, ihn dem Vitellius zuzusenden. Kaum hatte Primus dies vernommen, als er seine Leute sogleich aufbrechen liess und sie in voller Rüstung gegen
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die Abtrünnigen führte. Die letzteren nahmen die Schlacht an, wandten sich indes nach kurzem Widerstand und flohen auf Cremona zu. Primus aber schnitt ihnen mit seiner Reiterei sämtliche Wege ab, machte den grössten Teil der Fliehenden, den er vor der Stadt umzingelt hatte, nieder und drang zugleich mit den übrigen in Cremona ein, das er dann seinen Kriegern zur Plünderung preisgab. Dabei kam ausser vielen fremden Kaufleuten und einer Menge Eingeborener das ganze, dreissigtausendzweihundert Mann starke Heer des Vitellius um;1 aber auch Antonius verlor von seiner moesischen Legion viertausendfünfhundert Mann. Den Caecinna liess er sodann seiner Fesseln entledigen und sandte ihn behufs Meldung der Ereignisse an Vespasianus. Dieser nahm den Boten gnädig auf und verhüllte die Schande seines Verrates durch unverhoffte Ehrenbezeugungen. 4. Die Nachricht, dass Antonius heranrücke, flösste auch dem Sabinus neuen Mut ein; er zog die Mannschaften, welche den Nachtwachdienst versahen, zusammen und besetzte mit ihnen in der Nacht das Kapitolium. Als der Tag angebrochen war, schlossen sich ihm noch viele vornehme Männer an, darunter auch sein Neffe Domitianus, von dem man das meiste für den Sieg erhoffte. Primus machte übrigens dem Vitellius wenig Sorge dagegen war er voll Erbitterung über die Teilnehmer an der Empörung des Sabinus, und da er aus angeborener Grausamkeit nach edlem Blut lechzte, griff er mit dem Teile des Heeres, den er mitgebracht hatte, das Kapitolium an. Heldenmutig stritten nun sowohl die stürmenden Truppen als diejenigen, die vom Tempel herab kämpften; endlich aber gelang es den an Zahl überlegenen Germanen, sich des Hügels zu bemächtigen. Nuu wie durch ein Wunder rettete sich Domitianus mit den vielen vornehmen Römern; die übrige Menge dagegen wurde niedergemetzelt, Sabinus vor Vitellius geführt und hingerichtet, und der Tempel, nachdem die
1 Vergl. Dio Cassius LXV, 15.
Seite 464 Soldaten die darin befindlichen Weihgeschenke geraubt hatten, in Brand gesteckt. Einen Tag später drang Antonius mit seinem Heer in die Stadt ein, und obwohl des Vitellius Truppen, an drei Stellen Roms verteilt, kräftigen Widerstand leisteten, wurden sie gänzlich aufgerieben. Vitellius selbst, der berauscht war und an schwelgerischer Tafel wie an einem Henkersmahl sich bis zum Übermass gesättigt hatte, ward, als er aus seinem Palast hervorkam, vom Pobel fortgeschleppt, auf alle mögliche Weise misshandelt und verhöhnt und endlich mitten in der Stadt ermordet. Seine Regierung hatte nur acht Monate und fünf Tage gedauert; wäre ihm ein längeres Leben beschieden gewesen, so würde das ganze Reich, glaube ich, für seine Schwelgerei nicht gelangt haben. Ausser ihm waren über fünfzigtausend Menschen bei jenem Gemetzel umgekommen, das am dritten des Monats Apellaios stattfand. Tags darauf zog Mucianus mit seinen Truppen ein und befahl zunächst den Leuten des Antonius, das Morden einzustellen; denn fortwährend durchsuchten diese die Häuser und machten noch viele Soldaten des Vitellius wie auch eine Menge Bürger, die sie für dessen Parteigänger hielten, nieder, ohne in ihrer Erbitterung genau zu unterscheiden. Alsdann führte er Domitianus vor und empfahl ihn dem Volke als Herrscher bis zur Ankunft seines Vaters. Von aller Furcht befreit, jauchzte nun die Bürgerschaft dem Imperator Vespasianus zu und feierte zu gleicher Zeit seine Erhebung auf den Thron und des Vitellius Sturz. 5. Eben war Vespasianus in Alexandria angekommen, als er die erfreulichen Nachrichten aus Rom vernahm. Dort hatten sich aus allen Teilen der Welt, deren Beherrscher er nun war, Gesandte eingefunden, um ihm Glück zu wünschen, und so gewaltig drängten sich die Menschenmassen, dass die Stadt, obwohl nach Rom die grösste des Erdkreises, sich als zu klein erwies. Weil nun seine Regierung allenthalben anerkannt und der römische Staat unverhofft gerettet war, richtete Vespa-
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sianus seine Gedanken wieder auf die in Judaea noch erforderlichen Massregeln. Ihn selbst drängte es übrigens, sich zu Ende des Winters nach Rom einzuschiffen, weshalb er auch die Geschäfte in Alexandria schnell erledigte, und so sandte er denn seinen Sohn Titus mit auserlesener Streitmacht zur Eroberung Jerusalems ab. Dieser marschierte zu Lande bis Nikopolis, welches zwanzig Stadien von Alexandria entfernt liegt, liess hier sein Heer Kriegsschiffe besteigen und segelte auf dem Nil bis zur Stadt Thmuis im Mendesischen Bezirk. Dort stieg er aus, zog zu Fuss weiter und übernachtete bei einem Städtchen Namens Tanis. Das zweite Nachtlager hielt er in Herakleopolis, das dritte in Pelusium, wo er sich zwei Rasttage gönnte. Am dritten Tage setzte er über die Nilmündung bei Pelusium, zog dann eine Tagereise weit durch die Wüste und lagerte bei dem Tempel des Zeus Kasios,1 tags darauf bei Ostrakine. Diese Station hat kein Wasser, weshalb die Einwohner es von auswärts herbeiholen müssen. Hierauf rastete er in Rhinokorura, erreichte am vierten Tage Raphia, die erste Stadt Syriens, schlug am fünften Tage sein Lager in Gaza auf, am folgenden bei Askalon, marschierte von da nach Jamnia, dann nach Joppe, und endlich von Joppe nach Caesarea, wo er die übrigen Streitkräfte an sich zu ziehen gedachte.
1 So genannt nach dem Berge Kasios (heute El Kas Kasaroun oder El Katieh), auf welchem sich ausser dem Tempel auch das Grab des ermordeten Pompejus befand (s. Strabo XVI, 760; Plinius, Naturgeschichte V, 12).
1. Wie der Aufruhr in Jerusalem drei Parteien erzeugte. 2. Des Geschichtschreibers Klage über die Heimsuchung der Stadt. 3. Während die Empörer unter sich im Streit liegen, werden viele Getreidemagazine in Brand gesteckt. 4. In Jerusalem wird tagtäglich gekämpft, und die Verwandten und Freunde der Gefallenen wagen dieselben nicht einmal mehr zu betrauern. 5. Wie Joannes von dem für den Tempel bestimmten Bauholz Türme wider die Anhänger der Gegenpartei errichten wollte, aber durch die Ankunft der Römer daran gehindert wurde. 6. Des Titus Marschordnung beim Vorrücken gegen Jerusalem. 7. Titus macht mit sechshundert Mann einen Erkundigungsritt auf Jerusalem zu. Wie er sich hierbei tapfer gegen den Ansturm der Juden wehrte. 8. Wie er bis zu dem Skopos genannten Platze vordrang und dort die einzelnen Abteilungen seines Heeres lagerte. 9. Wie die Juden, als sie die Römer gegen sich heranziehen sahen, ihren Hader vergassen, für kurze Zeit Frieden schlossen und bei einem plötzlichen Ausfall die zehnte Legion in die Flucht schlugen. 10. Wie Titus, von den Seinen abgeschnitten, mitten unter den Feinden sich tapfer schlug, und wie seine Freunde ihm zuredeten, er möge sich nicht so tollkühn der Gefahr aussetzen. 11. Wie Joannes die Zeloten überwand und der Aufruhr sich demgemäss auf zwei Parteien beschränkte. 12. Wie Titus die zu Belagerungswerken geeigneten Örtlichkeiten ebnen liess und den Römern, die unvorsichtigerweise in einen Hinterhalt der Juden gefallen waren, Verzeihung gewährte. Wie er, nachdem das ganze Terrain bis zur Mauer geebnet war das Lager näher an die Stadt heranrückte.
Seite 467 13. Beschreibung der Stadtmauern. 14. Beschreibung des Tempels. 15. Von den Priestern, sowie von ihrer und des Hohepriesters Kleidung. 16. Von den Tyrannen Simon und Joannes und den Anführern, die sie ernannten. 17. Während Titus die Stadtmauer umreitet und auskundschaftet, wird sein Freund Nikanor an der Seite des Josephus verwundet, weshalb er die Aufführung der Wälle und die Herbeischaffung von Belagerungsmaschinen beschleunigen lasst. 18. Nochmals die Tyrannen Joannes und Simon, und wie sie sich gegenseitig Hilfe leisteten. Über die Wirkung der von den Ballisten geschleuderten Steingeschosse. 19. Wie die Tyrannen, nachdem die Mauer an drei Stellen von den Maschinen beschädigt war, sich zum Kampfe gegen die Römer einigten und deren Belagerungswerke einäscherten. Wie Joannes, der Anführer der Idumäer, durch einen Pfeilschuss getötet wurde. 20. Wie einer der drei von den Römern erbauten Türme von selbst einstürzte, und wie dieselben unter vielem Blutvergiessen mit Hilfe des von den Juden „Nikon" genannten Sturmbockes die erste Mauer nahmen. 21. Wie Titus alsbald sich zur Berennung der zweiten Mauer anschickte, die Juden dagegen dem Angriff standhielten und alles verschanzten. 22. Von dem römischen Krieger Longinus. 23. Von dem verschmitzten Juden Kastor, der den Titus und die Römer hinters Licht führte. 24. Wie die Römer sich der zweiten Mauer bemächtigten, aber wieder zurückgeschlagen wurden und erst beim nochmaligen Angriff die Mauer erstürmten. 25. Wie Titus von der Belagerung Abstand zu nehmen versprach, falls die Juden sich ergeben wollten, und wie die Juden hierauf nicht eingingen, weshalb er von neuem zur Belagerung schritt. 26. Des Josephus Ermahnungen an seine Landsleute, und wie infolge davon viele aus dem Volke zu den Römern übergingen. 27. Hungersnot und andere schreckliche Leiden des Volkes. 28. Wie Titus die Juden, die bei der Suche nach Nahrungsmitteln gefangen genommen wurden, kreuzigen liess, und wie die Tyrannen, damit niemand mehr an Übergabe denke, die Verwandten der Überläufer auf die Mauer führen liessen und ihnen die Gekreuzigten zeigten unter Hinweis darauf, dass auch ihnen, falls sie überliefen, dasselbe bevorstehe. Wie sich hierdurch viele von der Flucht abhalten liessen, bis der wahre Sachverhalt bekannt wurde.
Seite 468 29. Von Antiochus Epiphanes, und was ihm und den Seinigen zustiess. 30. Wie die Juden mit Hilfe unterirdischer Gänge die Verschanzungen zum Einsturz brachten und, als die Römer wiederum Maschinen herangeschafft hatten, bei einem Ausfall dieselben in Brand steckten, wobei auf beiden Seiten eine Menge Kämpfer fielen. 31. Wie nach Einäscherung der Verschanzungen Titus seine Offiziere zum Kriegsrat versammelte, die Stadt mit einer Ringmauer umgeben und abermals Wälle bauen liess. 32. Das Elend des Volkes infolge der Hungersnot und die Greuelthaten der Empörer. 3. Von Matthias, dem der Tyrann Simon seinen Einlass in die Stadt verdankte und den er trotzdem nebst vielen anderen Vornehmen hinrichten liess. Der Vater des Josephus wird weiter in strengem Gewahrsam gehalten. 34. Wie Judas, einer der Unterbefehlshaber Simons, in dem Augenblick, als er den ihm anvertrauten Turm dem Titus übergeben wollte, vor Ausführung seines Verrates festgenommen wurde. 35. Wie Josephus, als er wiederum den Bürgern zusprach, von einem Stein getroffen wurde, und wie infolgedessen seine Volksgenossen zunächst den Mut verloren, dann aber sich wieder ermannten, als sie ihn wohlbehalten sahen. 36. Was den ausgehungerten Überläufern widerfuhr, als sie gierig Speise zu sich nahmen, und wie einigen von ihnen der Leib aufgeschnitten wurde, weil man vermutete, sie hätten Goldstücke verschluckt. 37. Wie der Tyrann Joannes gottesdienstliche Geräte zu seinem und seiner Spiessgesellen Vorteil einschmelzen liess. 38. Anzahl der Leichen, die durch ein einziges Stadtthor innerhalb zweier Monate hinausgetragen wurden.
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1. So war denn Titus, nachdem er auf die angegebene Weise die Wüste zwischen Aegypten und Syrien durchzogen hatte, in Caesarea angelangt, wo er vor allem sein Heer in Ordnung zu bringen gedachte. Übrigens hatte bereits zu der Zeit, da er in Alexandria seinem Vater die neue, von Gott ihnen verliehene Herrschaft befestigen half, der Aufruhr in Jerusalem frisches Leben bekommen und drei Parteien erzeugt, von welchen die eine der anderen feindlich gegenüberstand, was man eigentlich noch ein Glück im Unglück und ein Werk der Gerechtigkeit nennen darf. Die Willkürherrschaft, mit der die Zeloten das Volk drangsalierten und die den eigentlichen Anfang der Zerstörung Jerusalems bildete, ist ja ihrem Ursprung nach und in ihrem verderblichen Fortschreiten oben ausführlich geschildert worden. Nicht mit Unrecht kann man dieselbe als Aufruhr im Aufruhr bezeichnen, der wie ein tollwütiges Tier in Ermangelung der Nahrung von aussen bereits gegen das eigene Fleisch zu wüten begann. 2. Simons Sohn Eleazar nämlich, derselbe, der gleich anfangs die Zeloten veranlasst hatte, sich vom Volke zu trennen und den Tempel zu besetzen, stiftete scheinbar aus Entrüstung über die unaufhörlichen Greuelthaten des immer noch mordgierigen Joannes, in Wirklichkeit aber weil er sich dem später aufgekommenen Tyrannen nicht unterordnen wollte, aus Begier nach der obersten Gewalt und blosser Herrsucht eine neue Partei, indem er aus den Reihen der Machthaber Judas, den Sohn des Chelkias, und Simon, den Sohn des Ezron, an sich zog, denen noch ein anderer, nicht unbedeutender Mann, Ezekias, der Sohn des Chobar, beitrat. Jeder von diesen hatte auch noch einen ziemlichen Anhang unter den Zeloten. Sie besetzten nun den inneren Tempelraum und pflanzten über den geweihten Thoren im Angesicht
Seite 470 des Allerheiligsten ihre Waffen auf. Mit Lebensmitteln reichlich versehen, waren sie wohlgemut; denn die Opfergaben überhoben diese Menschen, die nichts für unerlaubt hielten, aller Not. Nur ihre geringe Anzahl machte ihnen Sorge; sie verhielten sich daher, nachdem sie ihre Waffen dort niedergelegt hatten, zunächst ruhig. Was übrigens Joannes mit seiner zahlreicheren Mannschaft vor ihnen voraus hatte, büsste er durch die Ungunst seiner Stellung wieder ein; denn da die Feinde sich über seinem Haupte befanden, musste jeder Angriff auf sie mit Verlusten verbunden sein. Seine zornige Aufregung aber liess ihn nicht ruhen, und obwohl er mehr Schaden erlitt, als er dem Eleazar und dessen Anhängern zufügen konnte, nahmen die Feindseligkeiten kein Ende; auf beiden Seiten gab es beständige Ausfälle, und ohne Unterlass flogen die Geschosse hin und her, sodass der Tempel bald keine Stelle mehr aufwies, die nicht mit dem Blute der Gefallenen befleckt gewesen wäre. 3. Aber auch Simon, des Gioras Sohn, jener Tyrann, den das Volk in seiner Verzweiflung zu Hilfe gerufen und der ausser der oberen Stadt auch einen grossen Teil der unteren in seiner Gewalt hatte, setzte nun dem Joannes und dessen Leuten, weil sie schon von oben bedrängt wurden, noch nachdrücklicher zu. Freilich musste er ebenso von unten herauf gegen Joannes ankämpfen, wie dieser gegen die höher stehende dritte Partei, und natürlich war Joannes um soviel gegen die letztere im Nachteil, als er vor Simon durch seine höhere Stellung voraus hatte; seine eigenen Verluste hielten sich daher mit denen, die er seinen Gegnern beibrachte, so ziemlich im Gleichgewicht. Die Angriffe von unten schlug er bequem mit der blanken Waffe ab, und gegen die Schüsse vom Tempel her wehrte er sich mit Maschinen; denn es standen ihm eine Anzahl Katapulten und sonstige Wurfmaschinen zu Gebot, mit denen er freilich nicht nur seine Feinde sich vom Halse hielt, sondern auch viele Opfernden tötete. Obwohl nämlich die Anhänger Eleazars in ihrer Raserei sich jede Art von
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Gottlosigkeit erlaubten, liessen sie doch diejenigen, welche opfern wollten, in den Tempel ein, wobei sie die Einheimischen mit argwöhnischer Vorsicht, die Fremden dagegen sorgloser durchsuchten. Hatten aber diese Leute beim Eintritt die Grausamkeit der Besatzung durch Bitten besänftigt, so wurden sie nichtsdestoweniger vom Aufruhr dahingerafft; denn die Geschosse der Maschinen flogen infolge der grossen Kraft, mit der sie geschleudert wurden, bis an den Altar und den Tempel und trafen Priester wie Opfernde. So sanken viele, die von den Enden der Erde zu dem hochberühmten, allen Menschen heiligen Ort gepilgert waren, noch vor ihren Opfertieren zu Boden und netzten den Altar, den sämtliche Griechen und Barbaren verehren, mit ihrem Blute. Leichen von Einheimischen und Fremden, von Priestern und Laien lagen hier durcheinander aufgehäuft, und ihr Blut bildete in den heiligen Räumen einen förmlichen See. Hast du dergleichen, unseligste der Städte, von den Römern erfahren müssen? Nein, sie kamen nur, um die Greuel deiner eigenen Kinder zu sühnen! Denn Gottes Stadt warst du nicht mehr und konntest es nicht bleiben, nachdem du das Grab deiner eigenen Bewohner geworden warst und den Tempel zum Beerdigungsplatz für die Opfer des Bürgerkrieges gemacht hattest. Vielleicht, dass du einmal wieder bessere Tage siehst, wenn du den Gott, der dich zerstörte, versöhnt hast! Doch das Gesetz der Geschichtschreibung will die Äusserungen des Schmerzes zurückgedrängt wissen; denn nicht heisst es jetzt ein Klagelied um die Heimat anstimmen, sondern den Gang der Ereignisse schildern. Ich fahre daher in der Geschichte des Aufstandes fort. 4. So waren denn die inneren Feinde der Stadt in drei unter sich feindliche Lager gespalten.1 Eleazar mit seinem Anhang, in dessen Gewahrsam die heiligen Erstlingsfrüchte sich befanden, tobte gegen Joannes; dessen Bande raubte die Bürger aus und lag mit Simon
1 Vergl. Tacitus, Histor. V, 12.
Seite 472 im Streit, und auch ihn musste die Stadt für den Kampf wider die Gegenaufrührer mit Proviant versehen. So oft nun Joannes von beiden Seiten angegriffen wurde, teilte er seine Leute, stellte sie in entgegengesetzten Richtungen auf und beschoss die aus der Stadt Anstürmenden von den Hallen herab, während er sich gegen die Speerwürfe vom Tempel her mit seinen Maschinen verteidigte. Liessen ihn die Angreifer da oben einmal freier aufatmen, wenn, wie so oft, Trunkenheit und Ermattung dieselben in Untätigkeit versetzte, so machte er mit stärkeren Streitkräften desto kühnere Ausfälle gegen Simon und steckte, soweit er diesen in die Stadt hinuntertrieb, stets die mit Getreide und allerhand sonstigem Vorrat gefüllten Häuser in Brand. Zog aber Joannes sich wieder zurück, so that der ihm nachsetzende Simon das gleiche, als ob sie geflissentlich den Römern zulieb alles, was die Stadt für die Zeit der Belagerung angesammelt hatte, vernichten und den Nerv ihrer eigenen Macht durchschneiden wollten. Die Folge davon war, dass alles in der Umgebung des Tempels eingeäschert wurde, sowie dass mitten in der Stadt ein öder, als förmliches Schlachtfeld tauglicher Raum zwischen den kämpfenden Parteien entstand und sämtliches Getreide, das auf Jahre hinaus für eine Belagerung gereicht haben würde, bis auf weniges in Flammen aufging. Natürlich mussten dann die Bewohner der Stadt schliesslich dem Hunger erliegen, was schlechterdings unmöglich gewesen wäre, wenn sie nicht selbst dieses Schicksal sich bereitet hätten. 5. Während auf diese Weise innere Feinde und zusammengelaufenes Gesindel die Stadt in allen ihren ihren Teilen bedrängten, wurde die mitten dazwischen befindliche Bürgerschaft wie ein grosser Leib zerfleischt. Greise und Weiber beteten aus Verzweiflung über das Elend Jerusalems für die Römer und warteten sehnsüchtig auf den Krieg von aussen, um von den inneren Übeln erlöst zu werden. Furcht und Schrecken war über die eigentlichen Bewohner gekommen, und dabei
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waren sie nicht nur aller Mittel und Wege zur Verbesserung ihrer Lage beraubt, sondern hatten auch nicht die geringste Aussicht mehr auf friedlichen Vergleich oder auf Flucht, so sehr sie nach letzterer verlangen mochten. Denn alles war mit Wachen besetzt, und wenn auch die Anführer der Banditen im übrigen einander befehdeten: die Freunde einer Verständigung mit den Römern und die als Überläufer Verdächtigten mordeten sie wie gemeinsame Feinde, sodass das einzige, worin sie übereinstimmten, die Niedermetzelung derer war, die länger zu leben verdient hatten. Tag und Nacht erscholl ohne Unterlass das laute Geschrei der Kämpfenden; noch grauenvoller aber war das stille Seufzen der Trauernden. Schlag auf Schlag zwar lieferte das Unglück immer neuen Stoff zu Wehklagen; aber das Entsetzen schloss den Mund für lautes Jammern, und die Angst unterdrückte jede Äusserung der Gefühle. Um so mehr wurden die Ärmsten von verhaltenem Kummer gequält. Keine Rücksicht kannte man mehr für lebende Angehörige, und den Toten liess man kein Begräbnis mehr angedeihen - so sehr hatte die Verzweiflung sie alle ergriffen. Wer am Aufstand nicht teilnahm, war in völligen Stumpfsinn versunken; sah doch jeder nichts anderes als seinen baldigen Untergang vor Augen. Auf Haufen von Toten stehend kämpften die Empörer, und als saugten sie Wahnsinn aus den Leichen zu ihren Füssen, geberdeten sie sich nur um so wilder; stets neues Verderben gegeneinander ersinnend und jeden Beschluss unbarmherzig ins Werk setzend, liessen sie keine Art von Misshandlung und Grausamkeit ungeschehen. Joannes wollte sogar das heilige Holz zum Bau von Kriegsmaschinen verwenden. Das Volk und die Priester hatten nämlich früher einmal beschlossen, den Tempel unten zu stützen und ihn um zwanzig Ellen zu erhöhen; mit vieler Mühe und ungeheuren Kosten hatte der König Agrippa sodann vom Libanon Bauholz herbeischaffen lassen, und zwar lauter schöngewachsene und wegen ihrer Grösse sehenswerte Stämme. Da nun
Seite 474 der Krieg das Werk unterbrochen hatte, liess Joannes das Holz zerschneiden, um Türme davon zu bauen, für deren Höhe er in anbetracht des Umstandes, dass sie gegen die vom Tempel herab Kämpfenden zur Verwendung kommen sollten, die Länge der Stämme gerade passend fand. Die Türme gedachte er hinter der Mauer gegenüber der westlichen Galerie zu errichten, wo dies auch allein möglich war, weil die anderen Teile des Tempels wegen der Treppen zu weit zurückstanden. 6. Durch diese im Frevel gegen Gott erbauten Werke hoffte Joannes seine Feinde bewältigen zu können. Der Herr aber vereitelte seine Bemühung, indem er, ehe auch nur einer der Türme dastand, die Römer herbeiführte. Unterdessen nämlich war Titus, nachdem er einen Teil seines Heeres an sich gezogen und einen anderen brieflich beordert hatte, vor Jerusalem zu ihm zu stossen, von Caesarea aufgebrochen.1 Zur Verfügung stand ihm ausser den drei Legionen, welche zuvor mit seinem Vater Judaea verheert hatten, 2 noch die zwölfte, die früher unter Cestius geschlagen worden war,3 übrigens aber durch Tapferkeit sich auszeichnete und jetzt im Andenken an jene Schlappe um so freudiger in den Kampf eilte, um dieselbe wieder gut zu machen. Die fünfte Legion hatte Befehl erhalten, über Ammaus zu ihm zu stossen, die zehnte, über Jericho nach Jerusalem zu marschieren. Er selbst rückte an der Spitze der übrigen Truppen aus, an welche die sämtlich verstärkten Hilfsheere der Könige und ausserdem noch viele Bundesgenossen aus Syrien sich anschlossen. Übrigens war auch die Mannschaft, welche Vespasianus aus den vier Legionen ausgewählt und mit Mucianus nach Italien geschickt hatte, diesen aus den von Titus mitgebrachten Streitkräften wieder ersetzt worden. Die letzteren bestanden aus zweitausend Mann Kerntruppen von dem
1 Frühjahr 70 n. Chr.
2 Nämlich der fünften, zehnten und fünfzehnten. S. 1, 18, 9; 19, 7ff.
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Heere zu Alexandria sowie weiteren dreitausend Mann von den Besatzungen am Euphrat. Im Gefolge des Titus befand sich auch sein als ergeben und einsichtsvoll aufs beste bewahrter Freund Tiberius Alexander, der vordem Statthalter von Aegypten gewesen war, jetzt aber eine der höchsten Befehlshaberstellen im Heer innehatte. Er war dieser Ehre gewürdigt worden, weil er zuerst dem neu emporgekommenen Herrscherhause gehuldigt und mit leuchtender Treue sein eigenes Geschick an dessen noch dunkle Zukunft gekettet hatte. 1 Durch Alter und Erfahrung sich auszeichnend, begleitete er jetzt den Titus als Ratgeber in den Angelegenheiten des Krieges.
1. Den Zug des Titus in Feindesland eröffneten die königlichen und die sämtlichen übrigen Hilfstruppen. Ihnen folgten die Strassenbauer und Lagerabstecker, dann das Gepäck der Offiziere; hinter der wohlbewaffneten Bedeckung des letzteren der Feldherr selbst inmitten von Lanzenträgern und sonstiger auserlesener Mannschaft. Hierauf kam die zu den einzelnen Legionen gehörige Reiterei, welche vor den Maschinen herritt. Auf letztere folgten die Tribunen mit den Kerntruppen und die Befehlshaber der Kohorten, weiterhin unter Vorantritt der Trompeter 2 die Feldzeichen mit dem Adler in der Mitte, und dann erst kam die Hauptmasse des Heeres in sechs Mann hohen Reihen. An jede Legion schloss sich deren Tross an, von welchem das Gepäck geführt wurde. Ganz zuletzt marschierten die Söldner
1 S. IV, 10, 6.
2 Nach III, 6, 2, wo die Marschordnung der Römer schon einmal beschrieben wurde, kamen die Trompeter hinter den Feldzeichen.
Seite 476 samt der sie überwachenden Nachhut. In dieser bei den Römern gebräuchlichen Ordnung zog Titus mit seinem Heere zunächst durch das Samariterland bis nach Gophna, das schon früher von seinem Vater erobert und mit einer Besatzung versehen worden war.1 Hier brachte er eine Nacht zu, rückte gegen Morgen weiter und schlug nach eintägigem Marsch auf einem von den Juden in ihrer Muttersprache „Dornenthal" genannten Platze bei dem Dorfe Gabathsaul (das heisst „ Saulsberg") etwa dreissig Stadien von Jerusalem entfernt sein Lager auf. Von dort machte er sich dann mit ungefähr sechshundert auserlesenen Reitern auf den Weg, um die Festungswerke von Jerusalem auszukundschaften und die Stimmung der Juden daraufhin zu erforschen, ob sie nicht vielleicht, ohne es zum Kampf kommen zu lassen, bei seinem Anblick sich aus Furcht ergeben würden. Er hatte nämlich in Erfahrung gebracht, dass, wie es ja auch thatsächlich der Fall war, die von Empörern und Räubern tyrannisierte Bürgerschaft sich nach Frieden sehne und nur darum sich nicht zu rühren wage, weil sie zu einer Auflehnung gegen die Bedrücker zu schwach sei. 2. So lange er nun geradeaus auf der zur Mauer führenden Landstrasse hinritt, zeigte sich niemand vor den Thoren. Als er aber bei dem Psephinusturm 2 vom Wege abbog und seine Reiterschar einen Seitenpfad einschlagen liess, stürzten plötzlich unzählige Feinde an den sogenannten Frauentürmen durch das dem Denkmal der Helena gegenüberliegende Thor heraus, durchbrachen die Linie der Reiter, warfen sich den noch auf dem Hauptwege befindlichen entgegen, hinderten sie, sich an diejenigen anzuschliessen, welche die Schwenkung bereits gemacht hatten, und schnitten so den Titus mit wenigen seiner Begleiter ab. Weiter vorzudringen, war ihm
1 S. IV, 9, 9.
2 Vergl. bezüglich dieses Turmes sowie aller in diesem und den folgenden Kapiteln vorkommenden Örtlichkeiten und Bauwerke Jerusalems den Plan und die mehrfach erwähnte Schrift: Spiess, Jerusalem des Josephus
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unmöglich; denn von der Mauer an war alles zu Nutzpflanzungen eingerichtet und deshalb mit Gräben durchzogen sowie von querliegenden Garten mit zahlreichen Zäunen eingenommen. Aber auch den Rückweg zu den Seinigen sah er sich durch die Menge der zwischen letzteren und ihm selbst befindlichen Feinde versperrt. Schliesslich ergriffen seine Leute, die keine Ahnung von der Gefahr des Prinzen hatten und der Meinung waren, auch er wolle mit ihnen umkehren, die Flucht. Nun ward es ihm freilich klar, dass seine Rettung nur noch an seiner persönlichen Tapferkeit hänge. Er wendet also sein Ross, ruft seinen Begleitern zu, ihm zu folgen, und stürzt sich mitten unter die Feinde, um sich den Rückweg zu den Seinigen zu erzwingen. Da konnte man so recht erkennen, wie Gottes Vorsehung auch die Wechselfälle des Krieges und die den Fürsten drohenden Gefahren beeinflusst; denn so viele Pfeile auch gegen Titus anschwirrten, der weder Helm noch Panzer trug (er war ja, wie oben erwähnt, nicht als Krieger, sondern als Kundschafter ausgeritten): kein einziges Geschoss berührte seinen Körper, sondern alle flogen, wie wenn sie absichtlich ihr Ziel verfehlt hatten, wirkungslos an ihm vorbei. Mit dem Schwert bahnte er sich nun durch die von der Seite auf ihn eindringenden Juden eine Gasse und jagte, indem er eine Menge derer, die sich ihm entgegenwarfen, niederritt, hoch zu Ross über die am Boden liegenden Feinde dahin. Beim Anblick dieser Kühnheit des Caesars 1 erhoben seine Gegner ein gewaltiges Geschrei und feuerten sich gegenseitig durch Zurufe an, auf ihn loszugehen; aber wo er sein Pferd hinlenkte, da stob alles in wilder Flucht auseinander. Seine gleich ihm gefährdeten Begleiter hatten sich, wiewohl sie hinten und an den Seiten von den feindlichen Geschossen vielfach getroffen wurden, dicht an ihn
1 Caesar war um diese Zeit die besondere Bezeichnung des vom regierenden Imperator bei Lebzeiten ernannten Nachfolgers, also des Kronprinzen, geworden.
Seite 478 angeschlossen; denn sie alle sahen ein, dass sie nur dann noch auf Rettung hoffen durften, wenn sie dem Feldherrn, bevor er umzingelt wurde, einen Ausweg eröffnen halfen. Dabei fielen zwei von den letzten in der Schar: der eine wurde zu Pferde umringt und mit Speerwürfen getötet, der andere, nachdem er abgesprungen war; des letzteren Pferd führten die Juden als Beute fort. Mit den übrigen aber entkam Titus glücklich ins Lager. Bei den Juden weckte der Erfolg dieses ersten Zusammenstosses mit den Römern thörichte Hoffnungen, und die augenblickliche Gunst des Glückes flösste ihnen für später gewaltige Zuversicht ein. 3. Tags darauf brach der Caesar, nachdem in der Nacht die von Ammaus heranziehende Legion sich mit ihm vereinigt hatte, auf und rückte bis zu dem „Skopos" genannten Platze vor. Von hier aus erblickte man Jerusalem und den glänzenden Riesenbau des Tempels, weshalb diese im Norden an die Stadt sich lehnende Hochebene sehr passend Skopos 1 genannt wird. Sieben Stadien von der Stadt entfernt liess Titus für die zwei Legionen ein gemeinsames Lager schlagen, für die fünfte aber eines drei Stadien weiter rückwärts; denn weil die Soldaten der letzteren von dem nächtlichen Marsch noch ermüdet waren, glaubte er ihnen eine geschutzte Örtlichkeit anweisen zu müssen, damit sie desto unbesorgter an den Verschanzungen arbeiten könnten. Kaum hatten sie den Bau des Lagers begonnen, als auch schon die zehnte Legion von Jericho her sich einfand, wo sie eine Abteilung Schwerbewaffneter zurückgelassen hatte, um diesen bereits von Vespasianus eroberten Zugang zu bewachen. Sie erhielt Befehl, sechs Stadien von Jerusalem auf dem sogenannten Ölberg sich zu lagern, welcher der Stadt ostwärts gegenüberliegt und von ihr durch eine tiefe Thalschlucht mit Namen Kedron getrennt wird. 4. Jetzt erst machte den gegenseitigen Reibereien der
1 D. i. Warte, Ausblick.
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Parteien, die sich in der Stadt ohne Unterlass befehdeten, der plötzlich und mit Macht von aussen hereinbrechende Krieg ein Ende. Mit Schrecken erblickten die Empörer das dreifache Lager der Römer und begannen nunmehr, freilich nicht aus edlen Beweggründen, die Eintracht zu pflegen. „Worauf warten wir denn noch," sprachen sie zu einander, „und warum dulden wir es, dass man uns durch feste Werke den Atem benimmt? In aller Ruhe verschanzt sich der Feind uns gegenüber; wir aber sitzen hinter unsern Mauern, sehen ihm zu, als wenn seine Werke uns zu Nutz und Frommen gereichten, legen die Hände in den Schoss und lassen unsere Rüstungen verstauben. Tapfer sind wir fürwahr, aber nur gegen uns selbst, und den Römern wird unsere Zwietracht die Stadt ohne Schwertstreich in die Hände liefern." Durch derartige Reden ermutigten sie sich gegenseitig, griffen dann vereint zu den Waffen und machten einen plötzlichen Ausfall gegen die zehnte Legion. Unter betäubendem Geschrei stürmten sie durch das Thal und fielen über die mit Schanzarbeiten beschäftigten Römer her. Da diese sich behufs Ausführung der Arbeiten in kleinere Trupps geteilt und aus dem gleichen Grunde fast durchgehends ihre Waffen abgelegt hatten (sie meinten nämlich, die Juden würden entweder nicht Mut genug zu einem Ausfall haben oder aber, selbst wenn sie Lust dazu verspürten, durch ihre Parteistreitigkeiten von dem Unternehmen abgehalten werden), gerieten sie infolge des plötzlichen Angriffs in Unordnung. Ein Teil liess die Arbeit im Stich und zog sich sogleich zurück; viele liefen nach ihren Waffen, wurden aber, ehe sie sich den Feinden entgegenstellen konnten, niedergemacht. Den Juden anderseits schlossen sich, durch den Sieg der ersten ermutigt, immer neue Kämpfer an, und da nun einmal das Glück sie begünstigte, kamen sie sich selbst sowohl als auch den Feinden viel zahlreicher vor, wie sie in Wirklichkeit waren. Soldaten, die an eine bestimmte Schlachtordnung gewohnt sind und in geschlossenen Gliedern
Seite 480 zu kämpfen verstehen, verlieren, sobald Unordnung einreisst, am ehesten die Fassung; so wichen auch jetzt die für diesmal überrumpelten Römer vor dem Angriff zurück. Machten sie nun, wenn die Juden sie eingeholt hatten, auf der Flucht kehrt, so hielten die Verfolger jedesmal in ihrem Lauf inne und brachten den etwas unvorsichtig daherstürmenden Feinden manche Wunde bei. Als aber die Menge der Angreifer immer grösser wurde, nahm auch die Verwirrung bei den Römern zu, und sie wurden schliesslich ganz von ihrem Lager abgedrängt. Die gesamte Legion schien verloren zu sein. Schnell aber eilte nun Titus, der inzwischen benachrichtigt worden war, ihr zu Hilfe. Unter heftigen Vorwürfen wegen ihrer Feigheit zwingt er die Fliehenden zur Umkehr, fällt selbst mit seinen Kerntruppen den Juden in die Flanke, bringt ihnen schwere Verluste an Toten und noch grössere an Verwundeten bei, schlägt sie dann sämtlich in die Flucht und drängt sie in die Thalschlucht zusammen. Kaum jedoch hatten die Verfolgten, die auf dem abschüssigen Terrain hart mitgenommen worden waren, sich durchgeschlagen, als sie sich den Römern abermals entgegenstellten und über die Schlucht hinüber kämpften. Bis zum Mittag wurde auf diese Art weitergefochten. Als aber die Sonne sich etwas gegen Abend neigte, liess Titus nur die Mannschaft, mit der er zu Hilfe gekommen war, und andere von den Kohorten ihre Stellung den Juden gegenüber für den Fall, dass diese einen neuen Angriff versuchen sollten, beibehalten; den übrigen Teil der Legion dagegen schickte er wieder zur Schanzarbeit auf die Spitze des Berges. 5. Hierin erblickten die Juden eine Flucht der Römer, und da ein von ihnen auf der Mauer aufgestellter Kundschafter durch Schütteln seines Kleides das nämliche andeutete, brach eine ganz frische Schar mit solchem Ungestüm hervor, dass ihr Lauf dem der wildesten Tiere glich. Wirklich hielt auch keiner der in Schlachtordnung stehenden Feinde ihren Anprall aus, sondern
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als hätte grobes Geschütz sie getroffen, so wurde die Linie der Römer durchbrochen, und alles floh den Berg hinan. Nur Titus mit einigen wenigen hielt in der Mitte des Abhanges stand. Sein Gefolge, welches aus Achtung vor dem Feldherrn trotz der Gefahr bei ihm ausharrte, forderte ihn dringend auf, den Juden, die den Tod suchten, aus dem Wege zu gehen und nicht für diejenigen sein Leben aufs Spiel zu setzen, die ihn zu schützen verpflichtet seien. Er möge doch seine hohe Stellung in Betracht ziehen, als Leiter des Krieges und dereinst auch des römischen Weltreiches nicht den Dienst eines gemeinen Soldaten thun und seine Person, an der alles hinge, keiner so augenscheinlichen Gefahr preisgeben. Er aber schien das alles nicht zu hören, leistete vielmehr denen, die ihm entgegen die Höhe erstiegen, kräftigen Widerstand, hieb die mit Gewalt anstürmenden Juden nieder, warf sich an dem steilen Abhang auf die dichte Masse der Feinde und drängte sie dadurch zurück. Diesen verursachte die Entschlossenheit und der kühne Mut des Feldherrn nicht geringen Schrecken; gleichwohl zogen sie sich auch jetzt noch nicht in die Stadt zurück, sondern schwenkten auf beiden Seiten ab, um den weiter oben Fliehenden nachzusetzen. Titus jedoch machte ihren Angriff dadurch unwirksam, dass er ihnen in die Flanke fiel. Unterdessen aber waren die Schanzarbeiter auf dem Berge, als sie ihre Kameraden unten fliehen sahen, wieder von Angst und Bestürzung ergriffen worden, und es löste sich nun die ganze Legion auf, weil alles den Anlauf der Juden für unwiderstehlich hielt und auch den Caesar selbst auf der Flucht wähnte; denn hätte er standgehalten, meinten sie, so würden die übrigen wohl nicht davongelaufen sein. Wie von panischem Schrecken erfasst, stoben sie nach allen Richtungen auseinander, bis endlich einige den Feldherrn mitten im Kampfgewühl erblickten und voll Angst um ihn seine gefährliche Lage der ganzen Legion durch lautes Geschrei anzeigten. Scham brachte nun alle zur Umkehr, und indem sie sich
Seite 482 gegenseitig wegen der Flucht, noch mehr aber darüber Vorwürfe machten, dass sie den Caesar im Stiche gelassen, warfen sie sich mit aller Kraft auf die Juden und drängten dieselben, nachdem sie einmal angefangen hatten zu weichen, vollends in das Thal hinab. Noch während des Rückzugs zwar kämpften die Juden; die Römer aber waren durch ihre höhere Stellung im Vorteil und trieben alles in die Schlucht zusammen. Mittlerweile setzte Titus denen zu, die ihn angegriffen hatten, und schickte die Legion wieder an die Schanzarbeiten, um allein mit den Truppen, die zuvor unter ihm im Gefecht gewesen waren, den Feind abzuwehren. Um nun, wie es sich gehört, ohne aus Schmeichelei zu übertreiben oder aus Neid zu verkleinern, die Wahrheit zu sagen: der Caesar allein hat zweimal die bedrohte Legion gerettet und sie in den Stand gesetzt, ihr Lager unbehelligt zu verschanzen.
1. Während nun der äussere Krieg für kurze Zeit ruhte, erwachte der Parteihader im Innern aufs neue. Vor der Thür stand das Fest der ungesäuerten Brote, der vierzehnte des Monats Xanthikos, auf welchen die Juden den Anfang ihrer Befreiung von der aegyptischen Knechtschaft setzen. Eleazars Anhänger öffneten daher die Thore und liessen das Volk, das seine Andacht verrichten wollte, in den Tempel ein. Joannes aber missbrauchte das Fest, um einen hinterlistigen Anschlag ins Werk zu setzen. Er versah nämlich diejenigen seiner Leute, welche weniger bekannt und obendrein grösstenteils auch noch unrein waren, insgeheim mit Waffen und liess sie mit der übrigen Menge das Heiligtum betreten in der Absicht, sich desselben zu be-
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mächtigen. Kaum waren sie drinnen, als sie ihre Oberkleider abwarfen und sich plötzlich in voller Rüstung zeigten. Alsbald entstand nun im Tempel die grösste Bestürzung und Verwirrung, indem das bei den Parteikämpfen unbeteiligte Volk den Angriff gegen alle ohne Unterschied, die Zeloten aber nur gegen ihre Leute gerichtet glaubten. Die letzteren sprangen daher, ohne sich um die Bewachung der Thore weiter zu kümmern oder sich in ein Gefecht einzulassen, von den Mauerzinnen herab und flüchteten in die unterirdischen Gänge des Tempels; das Volk dagegen, das sich zitternd um Altar und Tempel drängte, ward zertreten oder mit Knitteln und Schwertern erschlagen. Eine Menge ruhiger Bürger fiel bei dieser Gelegenheit der Rachsucht und dem persönlichen Hass ihrer Feinde zum Opfer, von denen sie wie Anhänger der Gegenpartei ermordet wurden. Wer früher einmal einen dieser Aufrührer vor den Kopf gestossen hatte, galt jetzt, wenn sein Feind ihn erkannte, als Zelot und musste auf qualvolle Weise sein Leben enden. Nachdem die Bösewichte so an den Unschuldigen ihre Wut ersättigt hatten, bewilligten sie den Schuldigen Waffenstillstand und liessen sie, als sie aus den unterirdischen Gängen hervorkamen, frei ausgehen. Sie selbst waren damit in den Besitz des inneren Tempels und seiner sämtlichen Vorräte gelangt und fassten nun um so mehr Mut zum Kampfe gegen Simon. Auf diese Weise entstanden aus den bisherigen drei Parteien von Empörern deren zwei. 2. Unterdessen hatte Titus sich entschlossen, sein Lager vom Skopos weg und näher an die Stadt heran zu rücken. Er stellte daher eine auserlesene Streitmacht von Reiterei und Fussvolk in der Stärke, wie sie ihm erforderlich schien, zum Schutz gegen etwaige Ausfälle der Juden auf und gab dem gesamten übrigen Heere den Befehl, allen Zwischenraum, bis zur Mauer zu ebnen. Sämtliche Zäune und sonstigen Einfriedigungen, mit denen die Bewohner Jerusalems ihre
Seite 484 Gemüse- und Obstgärten umgeben hatten, wurden nun ausgerissen, alle fruchttragenden Bäume im ganzen Umkreis abgehauen und die Vertiefungen und Bodeneinschnitte damit ausgefüllt; die felsigen Vorsprünge aber wurden mittels eiserner Werkzeuge beseitigt. So ebneten sie die ganze Strecke vom Skopos bis zum Grabmal des Herodes1 in der Nähe des Schlangenteiches. 3. In diesen Tagen legten die Juden den Römern auf folgende Weise einen Hinterhalt. Die verwegensten der Empörer begaben sich an den sogenannten Frauentürmen aus der Stadt, gerade so, als wären sie von den friedliebenden Bürgern hinausgejagt worden. Wie aus Furcht vor einem Angriff der Römer drängten sie sich dicht zusammen und suchten sich einer hinter dem andern zu verbergen. Genossen von ihnen, dem Anschein nach gewöhnliche Bürger, standen währenddessen vereinzelt auf der Mauer, schrien nach Frieden, baten um Schonung und riefen die Römer unter dem Versprechen herbei, ihnen die Thore öffnen zu wollen. Zugleich warfen sie nach ihren Leuten draussen mit Steinen, wie wenn sie dieselben vom Thore wegzujagen beabsichtigten. Diese hingegen stellten sich, als wollten sie den Eingang erzwingen, verlegten sich dann wieder bei den anderen aufs Bitten, liefen ein über das anderemal auf die Römer zu, kehrten aber immer wieder wie aus Furcht zurück. Bei den Soldaten fand diese List auch wirklich Glauben, und da sie ebenso überzeugt waren, dass sie die einen schon zum Strafvollzuge in der Hand hätten, wie dass die anderen ihnen die Stadt öffnen würden, gingen sie sogleich ans Werk. Dem Titus aber kam der Umstand, dass man ihn so ganz unerwartet herbeirief, verdächtig vor; hatte er doch erst tags zuvor die Juden durch Jo-
1 Herodes war bekanntlich in Herodium beigesetzt. Es scheint sich also hier um ein Grab zu handeln, das ursprünglicher Bestimmung entgegen unbenutzt blieb.
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sephus1 zur Übergabe auffordern lassen, ohne irgendwelche Geneigtheit zu finden. Er befahl daher den Soldaten, an Ort und Stelle zu bleiben. Einige indes von denen, die ganz vorn bei den Arbeiten beschäftigt waren, hatten bereits in aller Eile die Waffen ergriffen und ihren Lauf nach den Thoren hin genommen. Die anscheinend aus der Stadt Vertriebenen wichen zunächst vor ihnen zurück; sowie aber die Soldaten zwischen den Türmen des Thores sich befanden, stürmten die anderen vorwärts, umzingelten sie und griffen sie von hinten an. Gleichzeitig überschütteten die auf der Mauer stehenden Juden sie mit einem Hagel von Steinen und allerhand sonstigen Geschossen, sodass eine beträchtliche Anzahl Römer fielen und die übrigen grösstenteils verwundet wurden. Einerseits nämlich war es wegen der von hinten andrängenden Feinde sehr schwierig für sie, von der Mauer wegzukommen, und anderseits trieb sie die Scham über den Ungehorsam, den sie gegen ihre Führer sich erlaubt hatten, sowie die Furcht vor Strafe an, den einmal begangenen Fehler nun auch zu Ende zu führen. Deshalb hielten sie mit grösster Zähigkeit im Kampfe aus, und es gelang ihnen denn auch schliesslich, nachdem die Juden ihnen eine Menge Wunden beigebracht, dafür aber ebenso viele erhalten hatten, die sie umzingelnden Feinde zurückzuschlagen. Noch auf dem Rückweg wurden sie bis zum Grabmal der Helena von den Juden mit Geschossen verfolgt. 4. Hierauf liessen die Juden in gemeiner Weise ihren Übermut wegen der gelungenen Überlistung aus, verhöhnten die Römer, dass sie sich hatten täuschen lassen, sprangen, ihre Schilde zusammenschlagend, herum und jauchzten vor Freude. Die Soldaten aber erwartete nichts anderes als drohende Worte der Centurionen und
1 Dass Josephus den Caesar von Alexandria aus vor Jerusalem begleitete, erfahren wir aus seiner Selbstbiographie (Abschnitt 75) sowie aus der Schrift „Gegen Apion" (T, 9).
Seite 486 der Zorn des Caesars, der also anhub: „Die Juden, welche nur blinde Verzweiflung in den Kampf führt und die dabei doch alles mit Überlegung und Umsicht angreifen, Fallen und Hinterhalte legen, sehen sich um ihres Gehorsams und ihres treuen, kameradschaftlichen Zusammenhaltens willen vom Glück begünstigt; die Römer hingegen, die infolge ihrer Mannszucht und ihres Gehorsams gegen die Anführer sonst das Glück beständig auf ihrer Seite haben, kommen jetzt durch die entgegengesetzten Eigenschaften zu Fall und werden besiegt, weil sie ihren Thatendrang nicht zu zügeln verstehen und, was das schlimmste ist, ohne Führung in Gegenwart des Caesars zu kämpfen wagen. Fürwahr, tief werden die Kriegsgesetze aufseufzen, und nicht minder mein Vater, wenn er diese Niederlage erfährt, er, der in Kriegen ergraut, niemals eine solche Schlappe erlitt! Jene Gesetze aber bestrafen auch das geringste Vergehen gegen die Kriegszucht mit dem Tode. Und jetzt mussten sie sogar eine ganze Heeresabteilung Reih und Glied verlassen sehen! Augenblicklich sollen die Verwegenen erfahren, dass bei den Römern selbst der Sieg keinen Ruhm bringt, wenn er im Ungehorsam gegen höheren Befehl errungen wurde!" Diesen an die Offiziere gerichteten Worten nach hatte es den Anschein, als wollte er gegen alle beteiligten Soldaten die Strenge des Gesetzes walten lassen. Den Schuldigen selbst entschwand auch bereits der Mut, da sie den verdienten Tod vor Augen sahen. Die Legionen aber umringten den Feldherrn und baten ihn flehentlich um Gnade für ihre Kameraden, sowie dass er die unbesonnene That einiger wenigen um des Gehorsams der grossen Mehrheit willen vergeben möge; denn sicherlich würden diese den eben begangenen Fehler in Zukunft durch Tapferkeit wieder gut zu machen suchen. 5. Den Bitten willfahrte der Caesar um so lieber, als dies auch in seinem eigenen Interesse lag; denn die Bestrafung des Einzelnen, glaubte er, müsse nach dessen That, die einer ganzen Menge dagegen nach der Zweck-
Seite 487 mässigkeit beurteilt werden. Er verzieh also den Soldaten, nachdem er sie eindringlich ermahnt hatte, künftig vorsichtiger zu sein, und überlegte, wie er die Juden für ihre Hinterlist züchtigen könne. Als sodann nach vier Tagen der ganze Raum bis zur Mauer geebnet war, liess er, um das Gepäck und den übrigen Teil des Heeres sicher heranzubringen, den Kern seiner Truppen in siebenfacher Linie von Norden nach Westen zu längs der Mauer aufmarschieren. Ganz vorn stand das Fussvolk, hinter demselben die Reiterei, und zwar jede dieser Truppengattungen in dreifacher Linie; die siebente Reihe bildeten die inmitten beider Heeresteile aufgestellten Bogenschützen. Nachdem durch diese Anordnung den Juden weitere Ausfälle unmöglich gemacht waren, konnte das Lastvieh der drei Legionen und der Tross in Sicherheit, vorbeiziehen. Titus selbist lagerte etwa zwei Stadien vor der Mauer, bei einer Ecke derselben gegenüber dem Psephinusturm, wo der Abschnitt der Ringmauer, der nach Norden sah, westwärts ausbog. Der übrige Teil seiner Streitmacht bezog ein Lager bei dem sogenannten Hippikusturm,l ebenfalls zwei Stadien von der Stadt entfernt. Die zehnte Legion jedoch verblieb in ihrer Stellung auf dem Ölberge.2
1 S. die Anmerkung bei Spiess, S. 26.
2 Genau in derselben Weise wie Titus verfuhr später Gottfried von Bouillon. Die Franken nämlich lagerten vom Stephansthor (dem alten Schafthor, nahe dem Nordostende der Stadt) längs der Nord - und Westseite Jerusalems bis zum Davidsturm, und auch den Ölberg besetzten sie wegen der Ausfälle der Sarazenen aus dem östlichen Thor (v. Raumer, Palaestina, 4. Aufl. S. 388).
1. Drei Mauern bildeten den Festungsgürtel der Stadt, soweit nicht unzugängliche Schluchten sie umgaben; denn an solchen Stellen hatte sie nur eine einfache Ringmauer. Sie selbst war auf zwei einander gegenüberliegenden Hügeln erbaut, zwischen denen ein Thaleinschnitt sich hinzog, in welchen die beiderseitigen Häuserreihen einmündeten. Von den Hügeln war der, welcher die obere Stadt trug,1 viel hoher und mehr in die Länge gestreckt. Wegen seiner Festigkeit ward er von dem Könige David, dem Vater Solomons, des ersten Erbauers des Tempels, „Burg" genannt; bei uns heisst er der obere Markt. Der andere Hügel dagegen, Akra mit Namen, auf welchem die untere Stadt stand, ist nach zwei Seiten gekrümmt. Ihn gegenüber lag ein dritter Hügel, von Natur niedriger als Akra und früher von ersterem durch ein breites Thal getrennt. In späterer Zeit jedoch, als die Asamonier regierten, füllten diese das Thal aus, um die Stadt mit dem Tempel zu verbinden; weiterhin trugen sie die Höhe von Akra ab und machten den Hügel dadurch so niedrig, dass der Tempel auch ihn überragte. Das Thal, welches, wie schon gesagt, den Hügel der oberen Stadt von dem der unteren trennt und Tyropoion2 heisst, erstreckt sich bis zum Siloa hinab; mit diesem Namen bezeichnen wir eine dort rinnende, süsse und wasserreiche Quelle. Aussen waren die beiden Hügel der Stadt von tiefen Schluchten umgeben und wegen der steilen Abhänge auf beiden Seiten nirgends zugänglich. 2. Von den drei Mauern war die älteste schon wegen der Schluchten und des über ihnen sich erhebenden Hügels, auf dem sie gebaut war, schwer einzunehmen;
1 Der Zion.
2 D. i. Käsemacherthal.
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ihre natürliche Festigkeit aber war noch bedeutend dadurch verstärkt worden, dass David und Solomon sowie auch die Könige nach ihnen in der Ausführung dieses Werkes sich gegenseitig zu überbieten gesucht hatten. Im Norden bei dem sogenannten Hippikusturm beginnend, lief sie zum Xystos, schloss sich dann an das Rathaus an und endigte an der westlichen Halle des Heiligtums. Auf der anderen westlichen Seite begann sie bei ebendemselben Turm, erstreckt sich an einem Platz mit Namen Bethso vorbei bis zum Essenerthor, wandte sich dann nach Süden l der Siloaquelle zu, bog hierauf wieder ostwärts 2 an den Fischteich Solomons, lief von da bis zu einem Platze Ophla und schloss sich endlich an die östliche Haile des Tempelbezirkes an. Die zweite Mauer begann bei dem Thor Gennath,3 das noch zur ersten Mauer gehörte, umzog die Nordseite von Akra und erstreckte sich 4 bis zur Burg Antonia. Die dritte nahm ihren Anfang wiederum bei dem Hippikusturm, von wo sie zunächst in nördlicher Richtung bis zum Psephinusturm lief, dann gegenüber dem Grabmal der Helena, der Königin von Adiabene und Mutter des Königs Izates, nach den Königshöhlen sich wandte und bei dem Eckturm an dem sogenannten Walkersdenkmal umbog; hernach schloss sie sich an die alte Mauer an und endigte im Thal Kedron. Diese dritte Mauer hatte Agrippa um den neugebauten Stadtteil gezogen, welcher zuvor ganz schutzlos gewesen war. Infolge Anwachsens der Bevölkerung nämlich hatte sich Jerusalem allmählich über die Mauern hinaus vergrössert, und nachdem man bereits den nördlichenAbhang des Tempelberges in den Bereich der Stadt gezogen, musste man bald noch weiter gehen und auch den vierten Hügel überbauen, der Bezetha heisst. Dieser lag der Antonia gegenüber und war von ihr durch einen tiefen Graben getrennt, den
1 D. h. mit der Front nach Süden.
2 D. h. mit der Front nach Osten.
3 D. i. Gartenthor.
4 In südlicher Richtung.
Seite 490 man absichtlich gezogen hatte, damit nicht die unteren Bauwerke der Burg infolge ihres Zusammenhanges mit dem Hügel zu leicht zugänglich und in ihrer Höhe allzusehr beeinträchtigt würden; denn die Tiefe des Grabens bewirkte natürlich eine bedeutende Vergrösserung der Türme. Der Name Bezetha, den der neu angehaute Stadtteil in der Landessprache erhielt, lässt sich im Griechischen mit Kainopolis 1 wiedergeben. Weil nun auch die Bewohner von Bezetha eines Schutzes bedurften, begann der Vater des jetzt lebenden Königs, der gleichfalls Agrippa hiess, mit dem Bau der vorhin erwähnten Mauer; hernach aber fürchtete er, die Grossartigkeit des Werkes könnte ihm beim Caesar Claudius in den Verdacht bringen, als ob er Abfall und Empörung plane, und hörte deshalb auf zu bauen, nachdem er nur die Fundamente gelegt hatte.2 Hätte er aber die Mauer, wie sie begonnen wurde, vollendet, so würde die Stadt wohl uneinnehmbar geworden sein. Denn die Mauer war aus zwanzig Ellen langen uud zehn Ellen breiten Steinblöcken zusammengefügt, die man mit eisernen Werkzeugen so leicht nicht hätte untergraben noch mit Maschinen erschüttern können; sie selbst war zehn Ellen breit, und ihre Höhe würde die Breite zweifellos überstiegen haben, wenn der Eifer dessen, der das Werk begonnen, nicht auf Hindernisse gestossen wäre. Später gewann sie trotz eifriger Anstrengungen der Juden die Höhe von nur zwanzig Ellen, und da noch Brustwehren von zwei und Zinnen von drei Ellen hinzukamen, belief sich die Gesamthöhe auf fünfundzwanzig Ellen. 3. Überragt wurde die Mauer von zwanzig Ellen breiten und ebenso, hohen Türmen, welche viereckig und wie die Mauer selbst massiv gebaut waren; die Art der Zusammenfügung und die Schönheit der Steine gab den zum Tempel verwendeten nichts nach. Über dem zwanzig Ellen hohen, massiven Grundstock der Türme befanden
1 D. h. Neustadt. Vergl. J. A. XIX, 7, 2.
Seite 491 Fünftes Buch, 4. Kapitel
sich prächtige Gemächer, und über diesen noch Söllerräume mit Behältern zur Aufnahme des Regenwassers, zu denen eine beträchtliche Anzahl breiter Treppen hinaufführte. Solcher Türme hatte die dritte Mauer neunzig; der Zwischenraum zwischen je zwei Türmen belief sich auf zweihundert Ellen. Auf der mittleren Mauer waren vierzehn, auf der alten sechzig Türme verteilt. Der Umfang der ganzen Stadt betrug dreiunddreissig Stadien. War nun die dritte Mauer an sich schon bewundernswert, so erst recht der an ihrer nordwestlichen Ecke befindliche Psephinusturm, in dessen Nähe Titus lagerte. Zu einer Höhe von siebzig Ellen emporragend, gewährte er bei Sonnenaufgang die Fernsicht nach Arabien und den äussersten Teilen des Hebräerlandes bis zum Meere. Er war achteckig. Diesem Turm gegenüber waren von König Herodes der Hippikus und nahe dabei noch zwei weitere Türme auf der alten Mauer errichtet worden, welche an Grösse, Schönheit und Festigkeit in der Welt ihresgleichen nicht hatten; denn mit diesen hervorragenden Werken wollte er nicht nur seinen angeborenen Sinn für grossartige Unternehmungen und seinen Eifer für die Stadt beweisen, sondern auch den Gefühlen seines Herzens eine Huldigung darbringen, indem er den drei liebsten Personen, deren Namen er den Türmen beilegte, seinem Bruder, seinem Freunde und seiner Gattin damit ein Denkmal setzte. Letztere hatte er, wie oben 1 erwähnt, aus Eifersucht umbringen lassen; die beiden anderen waren ihm durch den Krieg, wo sie heldenmnütig gekämpft hatten, entrissen worden.2 Der Hippikus, so genannt inach seinem Freunde, war viereckig, fünfundzwanzig Ellen breit und lang, dreissig Ellen hoch und durchweg massiv. Über diesem aus lauter Felsquadern zusammengefügten Grundstock befand sich zur Aufnahme des Regenwassers ein zwanzig Ellen tiefer Behälter und oberhalb des letzteren
1 I, 22, 5.
2 S. bezüglich Phasaels I, 13, 10.
Seite 492 noch ein fünfundzwanzig Ellen hohes, in verschiedenartige Gemächer eingeteiltes Wohngebäude. Das Ganze war von zwei Ellen hohen Türmchen und drei Ellen hohen Brustwehren gekrönt, sodass die Gesamthöhe des Turmes an achtzig Ellen betrug. Der zweite Turm, den er seinem Bruder zu Ehren Phasael benannte, war vierzig Ellen lang und breit, und der massive Unterbau gleichfalls vierzig Ellen hoch. Über dem letzteren lief ringsherum eine zehn Ellen hohe, durch Brustwehren und Vorsprünge geschützte Galerie, und inmitten derselben erhob sich ein weiterer Turm, der in Prunkgemächer abgeteilt und sogar mit einem Baderaum versehen war, sodass der Turm ganz das Ansehen eines Königsschlosses hatte. Seine Spitze war noch reicher als die des vorhin beschriebenen mit Zinnen und Türmchen verziert. Im ganzen betrug seine Höhe an neunzig Ellen. Seiner äusseren Gestalt nach glich er dem Leuchturm auf Pharos vor Alexandria, den er jedoch an Umfang ganz bedeutend übertraf. Damals musste er dem Tyrannen Simon als Zwingburg dienen. Der dritte Turm, Mariamne (so hatte die Königin geheissen), war bis zur Höhe von zwanzig Ellen massiv; seine Lünge und Breite betrug gleichfalls je zwanzig Ellen. Die oben befindlichen Wohnräume waren noch kostbarer und mannigfaltiger eingerichtet wie die der anderen Türme, da der König es für passend gehalten hatte, das nach einer Frau benannte Bauwerk mehr auszuschmücken als die, welche die Namen männlicher Personen trugen; dafür übertrafen die letzteren den Mariamneturm an Festigkeit. Die Gesamthöhe des dritten Turmes betrug fünfundfünfzig Ellen. 4. Die schon an sich bedeutende Grösse dieser Türme wurde durch ihren Standort noch um vieles gehoben; denn die alte Mauer, auf der sie standen, war ja ihrerseits wieder auf einem hohen Hügel erbaut und ragte über ihn wie ein höherer Gipfel etwa dreissig Ellen empor, sodass die auf ihr befindlichen Täurme noch weit grosser erscheinen mussten. Staunenswert war auch die
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Grösse ihrer Quadern. Denn nicht aus gewöhnlichen Steinen oder aus Felsstücken, die von einem Arbeiter getragen werden konnten, waren sie erbaut, sondern aus behauenen Blöcken weissen Marmors, von denen jeder zwanzig Ellen lang, zehn Ellen breit und fünf Ellen hoch war. Diese Blöcke hatte man so geschickt übereinander gefügt, dass es schien, als sei jeder der Türme wie eine einzige Felsmasse aus der Erde hervorgewachsen und dann erst von Künstlerhand geformt und gerichtet worden - so wenig waren die Fugen des Mauerwerkes zu sehen. An die drei Türme, welche nördlich standen, schloss sich nach innen zu der Palast des Königs an, dessen prunkvolle Ausstattung jeder Beschreibung spottete und alles bislang Dagewesene in den Schatten stellte. Er war von einer dreissig Ellen hohen Ringmauer umgeben, die in gleichen Zwischenräumen reichverzierte Türme trug, und hatte kolossale Speisesäle mit Ruhepolstern für hunderte von Gästen. Ohnegleichen war die Mannigfaltigkeit der seltenen, aus aller Herren Länder herbeigeschafften und hier verwendeten Steine, und die Saaldecken bildeten hinsichtlich der Länge der Balken und Pracht der Verzierungen wahre Wunderwerke. Gemächer hatte der Palast in Menge und in tausendfacher Abwechselung der Formen, alle vollständig eingerichtet, die meisten Zimmergeräte von Silber und Gold; ferner eine grosse Anzahl ineinander verschlungener kreisförmiger Galerien, jede mit verschiedener Anordnung der Säulen. Die unter freiem Himmel liegenden Teile des Palästes prangten überall im Grünen. Da gab es vielgestaltige Parkanlagen mit langen, sie durchschneidenden Spazierwegen; nahe dabei tiefe Wasserbecken, und an vielen Stellen Teiche mit zahlreichen ehernen Kunstwerken, durch welche das Wasser ausströmte; an den künstlichen Seen eine Menge Türmchen für zahme Tauben. Doch es ist nicht möglich, diesen herrlichen Palast in allen seinen Einzelheiten gebührend zu schildern, diesen Palast, dessen Verwüstung noch jetzt peinliche Er-
Seite 494 innerungen weckt. Denn nicht die Römer waren es, die dies alles niederbrannten, sondern die inneren Feinde verübten den Greuel, wie oben gesagt,l gleich zu Beginn des Aufstandes. An der Antonia brach das Feuer aus, ergriff dann den Königspalast und verzehrte endlich auch noch den Oberbau der drei Türme.
1. Der Tempel2 war, wie schon bemerkt, auf dem. Rücken eines stark befestigten Hügels erbaut. Anfangs hatte der Gipfelraum des letzteren kaum für das eigentliche Tempelgebäude und den Altar gereicht, da der Hügel auf allen Seiten steil und abschüssig war. Nachdem aber König Solomon, der erste Erbauer des Tempels, den östlichen Teil mit einer Böschungsmauer umgeben hatte, wurde auf dem Erdaufwurf eine Säulenhalle, damals die einzige, errichtet; an den übrigen Seiten dagegen stand der Tempel noch frei. In den folgenden Jahrhunderten erbreiterte das Volk durch fortgesetzte Anschuttungen die ebene Fläche auf dem Hügel; dann durchbrach man auch die nördliche Mauer und nahm noch so viel Raum hinzu, als nachher die Einfriedigung des ganzen Tempelbezirkes umschloss. Nachdem nun der Hügel von seinem Fuss an mit einer dreifachen Terrasse unterbaut und so ein alle Erwartungen übersteigendes Werk zu Ende geführt war - während einer Reihe von Jahrhunderten hatte dazu der gesamte Tempelschatz, in welchen die aus der ganzen Welt Gott dargebrachten Opfergaben flossen, verwendet werden müssen -, umgab man sowohl den oberen als den
1 II, 17, 6f.
2 Vergl. J. A. XV, 11 sowie das Titelbild zum 2. Bande meiner Übersetzung der J. A.
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unteren Raum des Heiligtums mit einer Ringmauer, deren niedrigster Teil auf einem dreihundert Ellen hohen und stellenweise sogar noch höheren Unterbau ruhte. Doch war nicht die ganze Tiefe dieses Fundamentes sichtbar; denn grösstenteils hatte man die Vertiefungen ausgefüllt, um sie mit den Gassen der Stadt auf gleiche Höhe zu bringen. Die zu dem Unterbau verwendeten Felsstücke hatten eine Grösse von je vierzig Ellen. Die reichlich vorhandenen Geldmittel und der Wetteifer des Volkes forderten übrigens das Unternehmen in kaum glaublicher Weise, sodass es möglich wurde, durch Beharrlichkeit mit der Zeit ein Werk fertig zu stellen, dessen Vollendung man früher nie zu erhoffen gewagt hatte. 2. Würdig solcher Fundamente waren aber auch die auf ihnen errichteten Bauten. Sämtliche Hallen waren doppelt und ruhten auf fünfundzwanzig Ellen hohen Säulen, die aus dem weissesten Marmor bestanden und ein Getafel von Cedernholz trugen. Die Kostbarkeit des Materials, seine schone Bearbeitung und harmonische Zusammenfugung gewahrten einen unvergesslichen Anblick, und doch hatte weder der Pinsel des Malers noch der Meissel des Bildhauers das Werk von aussen geschmickt. Die Breite der Hallen betrug dreissig Ellen, und der ganze Umfang derselben, die Antonia mit eingerechnet, sechs Stadien. Der gesamte nicht überdachte Raum war mit Mosaik von allerhand Steinen gepflastert. Ging man über diesen Hof, so kam man an ein den zweiten Tempelraum umschliessendes, drei Ellen hohes Steingitter von sehr gefälliger Arbeit. An ihm waren in gleichen Abstanden Säulen angebracht, welche das Gesetz der Reinigkeit teils in griechischer, teils in römischer Sprache verkündeten, dass nämlich kein Fremder das Heiligtum betreten dürfe; denn so hiess dieser zweite Raum des Tempels, zu dem man auf vierzehn Stufen aus dem ersten hinanstieg.1 Die Fläche des
1 D. h. wenn man das Steingitter passiert hatte.
Seite 496 Heiligtums bildete ein Viereck und war mit einer besonderen Mauer umgeben. Die äussere Höhe dieser Mauer, welche eigentlich vierzig Ellen betrug, wurde zum Teil durch die Treppe verdeckt. Innen dagegen erschien die Mauer nur fünfundzwanzig Ellen hoch; denn da sie an einen höheren, mit Treppen versehenen Raum angebaut und in ihrem unteren Abschnitt durch den Hügel verdeckt war, konnte man sie hier nicht in ihrer ganzen Höhe sehen. Zwischen der obersten, vierzehnten Treppenstufe und der Mauer befand sich übrigens noch ein ganz ebener Raum von zehn Ellen. Von hier aus führten sodann weitere fünfstufige Treppen zu den Thoren, deren zusammen acht gegen Süden und Norden, nämlich vier nach jeder dieser beiden Richtungen, und zwei gegen Osten sahen. Letzteres hatte seinen guten Grund; denn da man nach dieser Himmelsgegend für die Frauen einen eigenen Platz, wo sie ihre Andacht verrichten konnten, umfriedigt hatte, so war auch ein zweites Thor erforderlich, welches dem ersten gegenüber die Mauer durchbrach. Auch von den anderen Himmelsgegenden, nämlich von Süden und von Norden, führte je ein Thor in den Vorhof der Frauen... Durch die anderen Thore einzutreten, war den Frauen nicht gestattet; ja sie durften, auch wenn sie durch das ihrige hineingelangt waren, die Umfriedigung nicht überschreiten. Dieser Platz stand übrigens einheimischen wie fremden jüdischen Frauen ohne Unterschied zur Verrichtung ihrer Andacht offen. Die Westseite hatte kein Thor, sondern es lief hier die Mauer ununterbrochen fort. Die Hallen welche zwischen den Thoren an der inneren Seite der Mauer angebracht waren und: zu den Schatzkammern führten, ruhten auf überaus schönen und grossen Säulen. Sie bildeten nur eine einfache Reihe, standen aber, abgesehen von der Grösse, denen des unteren Hofes in keiner Beziehung nach. 8. Neun der Thore waren einschliesslich ihrer Pfosten und Oberschwellen über und über mit Gold und
Seite 497 Silber bekleidet; eines, das Aussenthor des eigentlichen Tempels, war sogar von korinthischem Erz und übertraf die versilberten und vergoldeten ganz bedeutend an Wert. Jedes Thor hatte zwei je dreissig Ellen hohe und fünfzehn Ellen breite Flügel. Gleich hinter dem Eingang erweiterte sich der Raum nach beiden Seiten hin mittels turmartiger Nischen von dreissig Ellen Breite und über vierzig Ellen Höhe, deren jede auf zwei im Umfang zwölf Ellen messenden Säulen ruhte. Alle Thore hatten gleiche Grösse; nur dasjenige, welches oberhalb des korinthischen Thores aus dem Vorhof der Frauen von Osten her ins Heiligtum sich öffnete und dem Thor des Tempelgebäudes gegenüberlag, war bedeutend grösser. Es hatte nämlich eine Höhe von fünfzig Ellen und Thüren von vierzig Ellen Breite, auch viel reicheren Schmuck und ganz massive Gold- und Silberbekleidung. Diese Metallbeschläge hatte an den neun Thoren Alexander,1 der Vater des Tiberius, anbringen lassen. Fünfzehn Stufen führten von der Mauer, welche den Vorhof der Frauen begrenzte, zu dem grösseren Thore, fünf Stufen weniger als zu den anderen Thoren. 4. Zum Tempelhause selbst, welches inmitten des geweihten Heiligtums stand, stieg man auf zwölf Stufen hinan. Die Front des Gebäudes war gleich hoch und breit, nämlich hundert Ellen, das Hintergebäude aber um vierzig Ellen schmäler, da der Vorderbau rechts und links flügelförmig zwanzig Ellen weit über dasselbe hinausragte. Das vordere Thor des Heiligtums, siebzig Ellen hoch und fünfundzwanzig breit, hatte keine Thüren; denn es sollte ein Sinnbild des unabsehbaren, offenen Himmels sein. Seine Vorderseite war überall vergoldet, und wenn man hindurchsah, hatte man den vollen Anblick des eigentlichen Tempelhauses, welches
1 Alexander Lysimachos, Alabarch von Alexandria, Bruder des berühmten Alexandriners Philo (vergl. J. A. XVIII, 6, 3; 8,1; XIX, 5,1). Sein Sohn Tiberius Alexander war der mehrfach erwähnte frühere Landpfleger von Judaea.
Seite 498 zugleich das höchste Bauwerk des Tempels war. Auch um die nach einwärts schauende Offnung des Thores strahlte alles von Gold. Der innere Tempelraum zerfiel also in zwei Abteilungen; offen aber war nur die vordere, die in ununterbrochener Höhe neunzig, in der Länge fünfzig und in der Breite etwa zwanzig Ellen mass. Das Thor, welches in diese Abteilung führte, war, wie gesagt, durchweg vergoldet, samt der ganzen dasselbe umgebenden Wand; über ihm befanden sich goldene Rebzweige, von welchen mannsgrosse Trauben herabhängen. Die andere der beiden Abteilungen des Tempelgebäudes war niedriger als die vordere, und es führten in sie fünfundfünfzig Ellen hohe und sechzehn Ellen breite goldene Thüren. Vor den letzteren wallte ein gleich langer babylonischer Vorhang herab, bunt gestickt aus Hyacinth, Byssus, Scharlach und Purpur, wunderschön gewoben mit sehenswerter Mischung der Stoffe. Er sollte ein Bild des Weltalls sein; der Scharlach nämlich sollte das Feuer, der Byssus die Erde, der Hyacinth die Luft, der Purpur das Meer andeuten, zwei der Stoffe durch ihre Farbe, Byssus und Purpur durch ihren Ursprung, indem jenen die Erde, diesen das Meer erzeugt.1 Die Stickerei zeigte den Anblick des ganzen Himmels mit Ausnahme der Bilder des Tierkreises.2 5. Durch diesen Eingang also gelangte man in den niedrigeren Teil des Tempelgebäudes. Dieser war sechzig Ellen hoch, ebenso lang und zwanzig Ellen breit. Seiner Länge nach zerfiel er wieder in zwei Räume. Die vordere Abteilung,3 deren Länge auf vierzig Ellen bemessen war, enthielt drei bewunderungswürdige, weltberühmte Kunstwerke: den Leuchter, den Tisch und das Rauchfass. Die sieben Lampen, welche sich von dem Leuchter
1 Byssus nämlich war feinste Leinwand, Purpur der mit dem Säfte der Meerschnecken Purpura und Murex gefärbte Stoff.
2 Nach dem mosaischen Gesetz war es den Juden bekanntlich verboten, Bildnisse von Menschen oder Tieren herzustellen.
3 Das Heilige.
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abzweigten, bedeuteten die sieben Planeten,1 die zwölf Brote auf dem Tisch den Tierkreis und das Jahr; das Rauchfass aber, welches mit dreizehn verschiedenen Sorten Räucherwerk aus dem Meere, der unbewohnten Wüste und der bewohnten Erde gefüllt wurde, zeigte an, dass alles von Gott komme und für Gott da sei. Die innerste Abteilung des Tempels endlich hatte zwanzig Ellen im Geviert und war von dem vorderen Raume wiederum durch einen Vorhang getrennt. In ihr befand sich einfach gar nichts2; von niemand durfte sie betreten, verletzt oder gesehen werden; sie hiess das Allerheiligste. Rechts und links stiessen an die niedrigere Tempelabteilung viele durcheinander gehende dreistöckige Wohnungen, welche beiderseits vom Thore aus zugänglich waren. Der obere Teil des Tempelhauses hatte keine derartigen Anbauten mehr und war daher schmaler. Seine Höhe betrug gegen vierzig Ellen; auch war er einfacher gearbeitet als der untere. Rechnet man diese vierzig Ellen zu den sechzig vom Boden aus, so ergiebt sich eine Gesamthöhe von hundert Ellen. 6. Der äussere Anblick des Tempels bot alles dar, was Auge und Herz entzücken konnte. Auf allen Seiten mit schweren goldenen Platten bekleidet, schimmerte er bei Sonnenaufgang im hellsten Feuerglanz und blendete das Auge gleich den Strahlen des Tagesgestirns. Fremden, die nach Jerusalem pilgerten, erschien er von fern wie ein schneebedeckter Hügel; denn wo er nicht vergoldet war, leuchtete er in blendender Weisse. Seine Spitze starrte von scharfen goldenen Spiessen, damit er nicht von Vogeln, die sich auf ihn niederliessen, verunreinigt würde. Von den zu seinem Bau verwendeten Quadern waren manche fünfundvierzig Ellen lang, fünf Ellen hoch und sechs Ellen breit. Vor ihm stand der fünf-
1 Zu den Planeten rechneten die Alten: Sonne, Mond, Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn. Nämlich nichts weiter als ein Stein, auf den der Hohepriester am Versöhnungstage ein Gefäss mit Räucherwerk stellte. Die heilige Lade war mit dem ersten Tempel zu Grunde gegangen.
Seite 500 zehn Ellen hohe, fünfzig Ellen lange und breite Altar, viereckig von Gestalt und an seinen Ecken mit hornartigen Vorsprüngen versehen; von Süden her führte ein sanft ansteigender Weg zu ihm hinauf. Er war ohne Anwendung eines eisernen Werkzeuges gebaut; überhaupt hatte Eisen ihn nie berührt. Rings um Tempel und Altar lief ein zierlich gearbeitetes, etwa eine Elle hohes Gitter von schönem Gestein, welches das gewöhnliche Volk von den Priestern schied. Samenflüssigen und Aussätzigen war die ganze Stadt verboten, Weibern während ihrer monatlichen Reinigung der Tempel; letztere durften übrigens, auch wenn sie rein waren, die oben bezeichnete Grenze nicht überschreiten. Männer, die nicht völlig rein waren, mussten dem inneren Hofe fernbleiben, desgleichen Priester, bei denen dies der Fall war. 7. Geborene Priester, die wegen eines körperlichen Gebrechens den heiligen Dienst nicht versehen durften, befanden sich dennoch innerhalb des Gitters bei den körperlich Untadeligen und erhielten auch die ihnen kraft ihrer Abstammung zustehenden Opferteile, trugen aber gewöhnliche Kleidung; denn nur der Dienstthuende durfte das heilige Gewand anlegen. Zur Opferstätte und zum Tempel traten nur makellose Priester, in Byssus gekleidet und, was die Hauptsache war, ohne Wein genossen zu haben - aus Ehrfurcht vor dem Dienst, damit sie bei ihren Verrichtungen keinen Fehler begingen. Der Hohepriester ging mit ihnen hinauf, aber nicht immer, sondern nur an den Sabbaten, den Neumonden und wenn ein herkömmliches Fest oder eine Zusammenkunft des ganzen Volkes das Jahr über gefeiert wurde. Wenn er Dienst that, trug er zuunterst einen Gürtel, der die Lenden bis zur Scham bedeckte, ferner einen Leibrock aus Leinen und darüber ein bis an die Knöchel reichendes, hyacinthblaues, den ganzen Körper umwallendes Überkleid, das mit Fransen besetzt war. An den Fransen hingen goldene Glöckchen und Granatäpfel abwechselnd, jene eine Sinnbild des Donners, diese des
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Blitzes. Die Binde, welche das Überkleid an die Brust befestigte, war aus fünf Streifen bunt gewirkt, nämlich aus Gold, Purpur, Scharlach, Byssus und Hyacinth, also denselben Stoffen, aus denen, wie oben gesagt, auch die Vorhänge des Tempels gewoben waren. Über diesem Gewand trug er noch ein in denselben Farben gesticktes Schulterkleid, bei welchem jedoch der Goldstoff vorherrschend war. Der Schnitt dieses Kleidungsstückes glich einem Panzerhemd. Zusammengehalten wurde es von zwei goldenen Spangen, in welche die schönsten und grössten Sardonyxe mit den eingravierten Namen der Stämme des Volkes gefasst waren. An der vorderen Seite hingen zwölf Steine herab, je drei in vier Reihen geordnet, nämlich ein Karneol, Topas, Smaragd, ein Rubin, Jaspis, Sapphir, ein Achat, Amethyst, Bernstein, ein Onyx, Beryll, Chrysolith. Auf jedem dieser Steine stand wieder ein Stammesname. Den Kopf deckte eine Tiara aus Byssus mit Hyacinth durchwoben. Um dieselbe schlang sich ein goldener Reif, der mit den heiligen Buchstaben beschrieben war; unter letzteren versteht man vier bestimmte Laute.1 Dieses Gewand trug er übrigens nicht für gewöhnlich - da legte er ein geringeres an -, sondern nur wenn er in das Allerheiligste ging. Das geschah aber bloss einmal im Jahr, nämlich an dem Tage, da altem Brauche gemäss sämtliche Juden Gott zu Ehren fasten.2 Über die Stadt, den Tempel und die darauf bezüglichen Gesetze und Gebräuche werde ich indes an anderem Orte mich ausführlicher verbreiten; denn gar vieles bleibt noch davon zu sagen übrig.
1 Gemeint ist der Name Gottes (Jehovah, MI ), den Josephus nicht erwähnt, weil er von den Juden nicht ausgesprochen werden durfte (J. A. II, 12, 4). D. i. am Versöhnungstage.
2 Wie aus J. A. XX, 11, 2 hervorgeht, wollte Josephus ein solches Werk schreiben; doch hat er diesen Plan wahrscheinlich nie zur Ausführung gebracht, da nichts dergleichen auf uns gekommen ist.
Seite 502 8. Was nun die Antonia betrifft, so lag dieselbe in dem Winkel, den zwei der Hallen des äusseren Tempelraumes, die westliche und die nördliche, miteinander bildeten. Gebaut war sie über einem fünfzig Ellen hohen, auf allen Seiten abschüssigen Felsen. Sie war ein Werk des Königs Herodes, durch das er seine Prachtliebe in hohem Grade bekundete. Zunächst nämlich war der Fels von seinem Fusse an mit geglatteten Steinplatten belegt, einmal des schonen Aussehens wegen, und dann auch damit jeder, der hinaufzuklettern oder hinabzusteigen versuchen sollte, davon abglitte. Vor dem eigentlichen Burggebäude erhob sich sodann eine drei Ellen hohe Mauer, innerhalb deren die Antonia selbst noch um vierzig Ellen anstieg. Das Innere hatte die Räumlichkeiten und die Einrichtung eines Palastes; denn es war in Gemächer jeder Art und Bestimmung geteilt, in Hallen, Bider und geraumige Kasernenhofe, sodass die Burg, was Ausstattung mit allen Bequemlichkeiten anging, den Eindruck einer Stadt, in Bezug auf Pracht den eines Königspalastes maclte. Das Ganze sah wie ein Turm aus, war aber an den Ecken wieder mit vier Türmen besetzt, von denen zwei je fünfzig, die beiden anderen, nämlich der südliche und östliche, je siebzig Ellen hoch waren, sodass man von ihnen aus den ganzen Tempelraum überschauen konnte. Wo die Burg an die Tempelhallen grenzte, führte je eine Treppe in diese Ihinunter, auf welchen die Wachmannschaften der stets in der Antonia liegenden römischen Legion herabstiegen, um, in den Hallen verteilt, an Festtagen das Volk zu überwachen, damit es keine aufrührerischen Bewegungen anstelle. Wie der Tempel eine Zwingburg für die Stadt, so war dies für den Tempel die Antonia. In letzterer lag auch die Besatzung für alle drei; ausserdem hatte die obere Stadt noch eine eigene Festung, den Palast des Herodes. Der, wie bereits bemerkt, von der Antonia getrennte Hügel Bezetha war der höchste von den Hügeln und mit einem Teil der Neustadt verbunden. Er allein nahm auch, wenn man von Norden
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kam, die Aussicht auf den Tempel weg. Da ich übrigens von der Stadt und den Mauern unten noch eingehender zu reden gedenke, so möge es für jetzt bei dem Gesagten sein Bewenden haben.
1. Von den streitbaren Empörern in der Stadt bildeten, die Idumäer ungerechnet, zehntausend den Anhang Simons, und diese zehntausend standen unter fünfzig Anführern, über welche Simon selbst als Oberbefehlshaber gebot. Die Idumäer, welche zu ihm hielten, zählten fünftausend Mann unter zehn Führern, von denen Jakobus, der Sohn des Sosas, und Simon, der Sohn des Kathlas, unstreitig die hervorragendsten waren.1 Joannes anderseits, der den Tempel besetzt hielt, hatte sechstausend Schwerbewaffnete unter zwanzig Anführern. An ihn hatten sich bekanntlich nach Beilegung des früheren Streites auch die Zeloten angeschlossen,2 welche, zweitausendvierhundert Mann stark, unter ihren ehemaligen Befehlshabern Eleazar und Simon, dem Sohne des Ari, standen. Die zwei Hauptparteien befehdeten sich übrigens noch immer, und das Volk musste dabei, wie oben bemerkt, den Kampfpreis hergeben, indem diejenigen Bürger, die das frevelhafte Treiben nicht mitmachen wollten, von beiden ausgeplündert wurden. Simon hatte die obere Stadt und die grosse Mauer bis zum Kedron sowie von der alten Mauer den Teil inne, der sich bei der Siloaquelle nach Osten 3 wendet und bis zum
1 Aus dieser Stelle wie aus IV, 9, 11 muss man schliessen, dass die früher zu Hilfe gerufenen Idumäer (s. IV, 4) entweder nicht alle heimgekehrt waren (IV, 6, 1), oder sich teilweise später wieder eingefunden hatten.
2 S. V, 3, 1.
3 D. h. mit der Front nach Osten, also nordwärts.
Seite 504 Palast des Monobazus läuft. Dieser Monobazus, nebenbei gesagt, war König der jenseits des Euphrat wohnenden Adiabener. Ferner gehörten zu Simons Machtbereich die erwähnte Quelle selbst, dann Akra (das ist die untere Stadt) und der Bezirk bis zum Palast der Helena, der Mutter des Monobazus.1 Joannes dagegen gebot über den Tempel und einen beträchtlichen Teil der Umgebung desselben, sowie über Ophla und das Kedronthal. Durch Einäscherung der zwischen ihren beiderseitigen Gebieten belegenen Stadtteile hatten die Parteihaupter sich für ihre Kämpfe wider einander Raum verschafft.2 Denn selbst als die Römer bereits vor den Mauern Jerusalems lagerten, liessen sie die Waffen nicht ruhen, und kaum dass sie nach dem ersten Ausfall etwas klüger geworden waren, so fielen sie auch schon wieder in die vorige Krankheit zurück, entzweiten sich miteinander, bekämpften sich gegenseitig und thaten alles, was die Belagerer nur wünschen mochten. Fürwahr, kein schlimmeres Leid hätten sie von den Römern zu erdulden, als sie selbst einander zufügten, und keine neue Drangsal hätte die Stadt nach diesen Vorgängen mehr treffen können; denn schon vor ihrem Fall war sie von grösserem Unheil heimgesucht worden, sodass die Eroberer ihren Zustand nur verbesserten. Mit anderen Worten: wie der Bürgerkrieg der Stadt, so machten die Römer dem Bürgerkrieg ein Ende, der noch viel stärker als die Mauern sich erwies. Alle Trübsal kann man demnach mit gutem Grund den Einheimischen, alles Gerechte den Römern zuschreiben. Doch es bilde sich jeder sein Urteil an der Hand der Thatsachen. 2. Während in Jerusalem die Dinge so standen, unritt Titus mit einer auserlesenen Reiterschar die Stadt und suchte eine Stelle zu erspähen, wo sich ein Angriff auf die Mauern ausführen liesse. Überall aber fand er Schwierigkeiten; denn von den Schluchten aus war ohne-
1 S. J. A. XX, 2; 4, 3. 2. V, 1, 3
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hin eine Annäherung nicht möglich, und an den anderen Seiten kam ihm die äussere Mauer für die Maschinen zu mächtig vor. Endlich beschloss er, einen Angriff bei dem Grabmal des Hohepriesters Joannes zu versuchen. An dieser Stelle nämlich war der äussere Festungsgürtel niedriger und der zweite nicht zusammenhängend, da man die Umwallungsarbeiten an dem weniger dicht bevölkerten Teile der Neustadt vernachlässigt hatte. Von hier aus war es deswegen auch leicht, die dritte Mauer zu erreichen, nach deren Erstürmung er die obere Stadt und dann durch die Antonia den Tempel zu nehmen gedachte. Während dieses Rittes um die Stadt geschah es nun, dass einer seiner Freunde, Nikanor mit Namen, als er in Begleitung des Josephus sich der Mauer näherte, um den auf derselben stehenden Juden, denen er wohlbekannt war, Friedensvorschläge zu machen, an der linken Schulter durch einen Pfeilschuss verwundet wurde. Hieraus ersah der Caesar den trotzigen Sinn der Belagerten; liessen sie doch nicht einmal diejenigen unbehelligt, die zu ihrem eigenen Besten mit ihnen in Verbindung treten wollten. Er betrieb daher die Belagerung von jetzt ab nur noch eifriger, erlaubte den Legionen, die Umgebung der Stadt zu verwüsten, und gab Befehl, Material zur Errichtung von Wällen zu sammeln. Alsdann beorderte er das Heer in drei Abteilungen zur Arbeit und stellte in den Zwischenräumen der Wälle die Schleuderer und Bogenschützen, in der Front aber die Skorpionen,1 Katapulten und Ballisten auf, um dadurch etwaigen Ausfällen der Feinde gegen die Werke wie auch den Angriffen von der Mauer her wirksam begegnen zu können. Während nun die nähere Umgebung der Stadt durch schleuniges Fällen der Bäume abgeholzt und die Stämme zu den Wällen zusammengetragen wurden, mit deren Errichtung sich das ganze Heer eifrigst beschäftigte, blieben auch die Juden keineswegs untätig. Das Volk, das unter lauter Raub
1 Der Skorpion war eine etwas kleinere Abart der Katapulte.
Seite 506 und Mord lebte, fasste eben jetzt wieder Mut; denn es hoffte, wenn seine Bedränger vom Kampfe mit den Ausseren Feinden ganz in Anspruch genommen waren, freier aufatmen und für den Fall, dass die Rmer siegen sollten, an den Schuldigen sich rächen zu können. 3. Joannes aber blieb aus Furcht vor Simon in seiner Stellung, so sehr auch seine Leute den Feinden vor der Stadt entgegenzurücken verlangten. Simon dagegen ruhte schon aus dem Grunde nicht, weil er sich näher an den Belagerungsarbeiten befand, sondern stellte die dem Cestius abgenommenen und die von der Besatzung der Antonia erbeuteten Wurfmaschinen 1 an verschiedenen Punkten der Mauer auf. Ihr Besitz war jedoch den Juden von keinem besonderen Nutzen weil sie nicht damit umzugehen verstanden, und nur einige wenige, welche die Bedienung von Überläufern erlernt hatten, versuchten ihre Kunst an den Maschinen, freilich ungeschickt genug. Dagegen beunruhigten sie die Schanzarbeiter durch Steinwürfe und Pfeilschüsse, machten in wohlgeordneten Haufen Ausfälle und lieferten den Römern manches Scharmützel. Die Arbeiter indes fanden gegen die Geschosse an dem über Pfahle ausgespannten Flechtwerk, gegen die Ausfälle an ihren eigenen Kriegsmaschinen hinreichenden Schutz. Alle Legionen nämlich waren in dieser Beziehuig aufs beste ausgerüstet; besonders die zehnte besass ungewöhnlich starke Skorpionen und grosse Ballisten, mit denen sie ebensowohl den Ausfällen die Spitze bieten, als auch die auf der Mauer stehenden Juden verscheuchen konnte. Schleuderten doch die Maschinen talentschwere 2 Felsstücke, welche zwei Stadien weit und selbst noch weiter flogen, sodass nicht nur die Feinde in den vordersten Reihen, sondern auch ihre Hintermanner davor zurückwichen. Anfangs zwar wussten die Juden sich vor den Steingeschossen zu sichern; denn abgesehen davon, dass dieselben sich
1 S. II, 7, 7 und 19, 9.
2 Talent als Gewicht 26 kg.
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durch ihr Schwirren vorher ankündigten, konnten sie auch infolge ihrer Helligkeit - sie waren weiss - schon von fern gesehen werden. Jedesmal nun, wenn die Maschine geladen wurde und der Stein fortflog, zeigten die auf den Türmen postierten Wächter dies an, indem sie in der Landessprache riefen: „Das Geschoss kommt!" Sogleich wichen dann die, gegen welche es seine Richtung nahm, auseinander und warfen sich hin. Gebrauchte man diese Vorsicht, so fiel das Felsstück meist unwirksam zur Erde. Bald aber kamen die Römer auf den Gedanken, die Steine zu schwärzen, und da sie nun nicht mehr im voraus erkennbar waren, traf jeder einzelne Schuss und streckte eine Anzahl Juden zugleich nieder. Trotz des Schadens indes, den die Belagerten erlitten, liessen sie die Römer beim Bau der Wälle nicht in Ruhe, sondern suchten sie Tag und Nacht durch allerlei listige und kühne Unternehmungen daran zu hindern. 4. Als die Werke vollendet waren, massen die Baumeister den Abstand bis zur Mauer, indem sie ein an einer Schnur befestigtes Blei von den Wällen dorthin warfen; bei anderem Verfahren nämlich wären sie von oben beschossen worden. Hierbei ergab sich, dass die Mauer von den Sturmböcken erreicht werden konnte, und so schaffte man denn die letzteren heran. Zugleich liess Titus, um zu verhindern, dass die Widder von den Juden unwirksam gemacht würden, die Wurfmaschinen in grösserer Nähe der Mauer aufstellen und gab dann Befehl, mit den Stössen zu beginnen. Als nun auf einmal von drei Stellen her ein furchtbares Krachen in der Stadt erdröhnte, schrien die Bewohner vor Schrecken auf, und auch der Empörer bemächtigte sich eine gewaltige Angst. Jetzt endlich, da sie sich von gemeinsamer Gefahr bedroht sahen, dachten die beiden Parteien daran, sich auch gemeinsam zu verteidigen, und laut riefen sich die Entzweiten zu, sie arbeiteten ja eigentlich nur den Feinden in die Hände, während sie, selbst wenn Gott ihnen keine dauernde Eintracht verleihen würde, doch wenigstens für den Augenblick Frieden schliessen
Seite 508 und gegen die Römer zusammenhalten müssten. In der That liess nun Simon denen im Tempel durch einen Herold Sicherheit verbürgen, wenn sie sich zur Mauer begeben wollten, und Joannes ging, wiewohl misstrauisch, darauf ein. Hass und Zwietracht schien vergessen; wie ein Mann standen sie zusammen, besetzten die Mauer, schleuderten von hier aus eine Menge Feuerbrände gegen die Maschinen und beschossen die Bedienungsmannschaften der Sturmböcke ohne Unterlass mit Pfeilen. Die Keckeren stürzten truppweise hervor, zerrissen die Schutzdächer der Schanzarbeiter und fielen über die letzeren her, wobei sie, freilich weniger ihrer taktischen Überlegenheit als ihrer Tollkühnheit zufolge, meist siegreich blieben. Der Caesar aber ward nicht müde, den Arbeitern beizustehen, indem er mit Hilfe der zu beiden Seiten der Werke aufgestellten Reiter und Bogenschützen die Brandwerfer abwehrte, die von den Türmen herab schiessenden Juden vertrieb und den Sturmböcken freien Spielraum verschaffte. Die Mauer gab indes den Stössen nicht nach, nur dass der Widder der fünfzehnten Legion die Ecke eines Turmes ein wenig verrückte; die Mauer selbst aber blieb unversehrt, da sie durch den weit vorragenden Turm, der nicht leicht etwas von der Umwallung mit sich reissen konnte, nicht besonders gefährdet war. 5. Für kurze Zeit enthielten sich nun die Juden weiterer Ausfälle. Als sie aber eines Tages bemerkten, wie die Römer - die der Meinung waren, Furcht und Ermattung habe ihre Gegner veranlasst, sich ruhig zu halten - bei den Arbeiten und auf den einzelnen Lagerplätzen sich zerstreut hatten, brachen sie durch ein verdecktes Thor in der Nähe des Hippikusturmes in grosser Menge hervor, steckten die Werke in Brand und schickten sich an, die Lagerverschanzungen des Feindes zu berennen. Auf ihr Geschrei schlossen sich die näher befindlichen Römer alsbald zusammen, und auch die entfernteren eilten herbei. Aber die Tollkühnheit der Juden war schneller als die Taktik der Römer, und nachdem sie die ersten, die ihnen begegneten, in die Flucht geschlagen
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hatten, warfen sie sich auf die anderen, die sich eben sammelten. Bei den Maschinen entspann sich nun ein furchtbarer Kampf: die Juden thaten alles, sie anzuzünden, die Römer hingegen suchten dies mit äusserster Anstrengung zu verhindern. Hüben wie drüben ertönte verworrenes Geschrei, und eine Menge derer, die in den vordersten Reihen stritten, fiel unter dem Schwert ihrer Gegner. Endlich aber gewannen die Juden infolge ihrer Tollkühnheit die Oberhand: das Feuer ergriff die Werke, und alle Römer würden wohl mitsamt den Maschinen verbrannt sein, hätten nicht die meisten der alexandrinischen Kerntruppen mit einer ihnen selbst nachher unbegreiflichen Kraftanstrengung, durch welche sie in diesem Kampfe die berühmtesten ihrer Kameraden übertrafen, so lange standgehalten, bis der Caesar sich an der Spitze seiner tapfersten Reiter den Feinden entgegengeworfen hatte. Zwölf der vordersten macht er eigenhändig nieder;1 ihr Schicksal bringt die übrige Menge zum Weichen; er verfolgt sie, treibt alle in die Stadt zurück und bewahrt so die Werke vor der völligen Einäscherung. In diesen Gefecht ward auch ein Jude lebendig gefangen genommen, den Titus vor der Mauer ans Kreuz schlagen liess, um durch den abschreckenden Anblick die übrigen zum Nachgeben zu bewegen. Ferner wurde nach dem Rückzug der Idumäeranführer Joannes, 2 während er von der Mauer herab mit einem befreundeten Soldaten sprach, von einem arabischen Bogenschützen in die Brust geschossen und starb auf der Stelle - zum grossen Leidwesen der Juden nicht minder wie der Empörer: denn er war ein durch persönliche Tapferkeit und Einsicht ausgezeichneter Mann gewesen.
1 Vergl. Sueton, Titus 5. S. IV, 4, 2.
1. In der folgenden Nacht befiel die Römer ein plötzlicher Schrecken. Einer der fünfzig Ellen hohen Türme nämlich, welche Titus auf den Wällen hatte errichten lassen, um die letzteren gegen Angriffe von der Mauer her zu schützen, stürzte um Mitternacht von selbst wieder ein. Das hierbei entstehende fürchterliche Getöse versetzte das ganze Heer in Bestürzung: alles eilte in dem Glauben, es sei ein feindlicher Angriff erfolgt, zu den Waffen. Masslose Verwirrung herrschte bei den einzelnen Legionen, und da niemand die Sache aufklaren konnte, meinten sie in ihrer Ratlosigkeit bald dies, bald jenes. Schliesslich, als kein Feind sich blicken liess, graute es ihnen sogar vor sich selber, sodass jeder geinen Nebenmann ängstlich nach der Losung fragte, wie wenn sich Juden ins Lager eingeschlichen hätten. Panischer Schrecken schien sie alle ergriffen zu haben, bis endlich Titus das Geschehene erfuhr und den Sachverhalt bekannt machen liess; gleichwohl waren sie nur schwer zu beruhigen. 2. Die Juden ihrerseits hielten allen sonstigen Angriffen gegenüber wacker stand; grossen Schaden aber verursachten ihnen die Türme, von deren Höhe aus sie mit leichteren Maschinen beschossen und mit einem Hagel von Speeren, Pfeilen und Steinen überschüttet. wurden. Sie selbst dagegen vermochten die Türme weder zu erreichen, weil dieselben sehr hoch waren, noch sie zu nehmen, da sie einerseits ihrer Wucht halber nicht leicht umgestürzt, anderseits wegen ihres Beschlages von Eisen nicht in Brand gesteckt werden konnten. Gängen aber die Juden ausser Schussweite zurück, so waren sie den Angriffen der Widder gegenüber völlig machtlos, die durch ihr unaufhörliches Stössen allmählich doch
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etwas ausrichteten. Schon fing die Mauer an, dem Nikon1 - so nannten die Juden selbst den grössten Sturmbock wegen seiner unwiderstehlichen Kraft - nachzugeben; dieBelagerten aber waren von den vielen Gefechten und den Nachtwachen, die sie fern von der eigentlichen Stadt hatten bestehen müssen, längst ermattet, hatten auch, sei es aus Leichtsinn, sei es aus gänzlichem Mangel an Überlegung, die Bewachung der Mauer angesichts der beiden anderen, die ihnen ausserdem noch zu Gebote standen, für überflussig gehalten und sich grösstenteils entmutigt zurückgezogen. So kletterten denn die Römer, während sämtliche Wachtposten sich hinter die zweite Mauer flüchteten, an der vom Nikon beschädigten Stelle in die Höhe, und sobald die ersten hinuber waren, öffneten sie die Thore und liessen das ganze Heer einziehen. Am fünfzehnten Tage der Belagerung - es war der siebente des Monats Artemisios - gelangten die Römer in den Besitz der ersten Mauer; eine grosse Strecke derselben rissen sie nieder, ebenso den nördlichen Teil der Stadt, wie dies früher auch Cestius gethan hatte.2 3. Titus verlegte nun sein Lager hinter die erste Mauer an das sogenannte „Lager der Assyrier", nachdem er zuvor das ganze Terrain bis zum Kedron besetzt hatte, und da er jetzt nur noch um Schussweite von der zweiten Mauer entfernt war, schritt er alsbald zum Angriff. Die Juden, die sich auf der Mauer verteilt hatten, leisteten hartnackigen Widerstand, und zwar die Leute des Joannes von der Antonia, der nördlichen Tempelhalle und dem Grabmal des Königs Alexander8 aus; Simons Truppen dagegen besetzten den Eingang bei dem Grabmal des Joannes und verteidigten die Strecke bis zu dem Thor, an welchem die Wasserleitung zum Hippikusturm hinlief. Zu wiederholten Malen stürzten
l D. h. Sieger. S. II, 19, 4. a Alexander Jannaeus (105-79 v. Chr.).
Seite 512 sie nun aus den Thoren hervor und gerieten mit den Feinden aneinander, wurden aber immer wieder hinter die Mauern zurückgedrängt; denn da sie in der römischen Kriegskunst nicht bewändert waren, zogen sie beim Handgemenge stets den kürzeren, während sie im Mauergefecht die Oberhand behielten. Führte bei den Römern Kraft und Erfahrung das Schwert, so that dies auf seiten der Juden jene Tollkühnheit, die der Angst entspringt, sowie die diesem Volke eigene Ausdauer im Unglück; dazu kam bei den Juden noch die Hoffnung auf Rettung, wie bei den Römern die auf raschen Sieg. Weder hier noch dort machte sich Ermattung geltend, sondern ohne Unterlass erfolgten Angriffe, Mauergefechte, Ausfälle kleinerer Scharen den ganzen Tag über, und keine Art von Kampf blieb unversucht. Kaum war die Sonne aufgegangen, so begannen die Feindseligkeiten, und erst die Dunkelheit machte denselben ein Ende. Schlaflos aber war die Nacht für beide Teile und unheimlicher als der Tag: für die Juden, weil sie jeden Augenblick die Erstürmung der Mauer, für die Römer, weil sie beständig einen Angriff auf ihr Lager befürchten mussten. Beiderseits brachte man deshalb die Nacht unter den Waffen zu, und gleich beim Morgengrauen stand man wieder kampfgerüstet da. Bei den Juden stritt man sich, wer, um den Führern zu gefallen, zuerst der Gefahr entgegengehen dürfe; am meisten geachtet und gefürchtet war übrigens Simon, an dem seine Untergebenen so sehr hingen, dass auf seinen Befehl jeder mit der grössten Bereitwilligkeit Hand an sich selbst gelegt haben würde. Was anderseits die Römer zur Tapferkeit anspornte, war ausser der Gewohnheit, stets zu siegen und nie besiegt zu werden, der unausgesetzte Heeresdienst, die beständige Übung in den Waffen und die Grösse des Reiches, vor allem aber die Person des Titus, der überall zugegen und allen zur Seite war. Unter den Augen des Feldherrn, der stets mitkämpfte, schlaff zu werden, zog den Ruf der Schande nach sich; wer aber wacker stritt, dem war er, der
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Zeuge, auch zugleich als Belohner nahe, und dem Caesar auch nur als tapfer bekannt zu werden, bedeutete schon Gewinn. Das war der Grund, weshalb viele Soldaten gar oft einen ihre Kräfte übersteigenden Kampfesmut bewiesen. Als zum Beispiel in jenen Tagen eine starke Abteilung Juden sich vor der Mauer in Schlachtordnung aufgestellt hatte und die beiden Heere erst noch aus der Ferne einander beschossen, sprengte ein Reiter Namens Longinus aus den Reihen der Römer hervor mitten in den feindlichen Heerhaufen, trieb ihn durch sein stürmisches Anrennen auseinander und tötete die zwei tapfersten Juden, indem er dem einen, der sich ihm entgegenwarf, einen Stoss ins Gesicht versetzte, den anderen mit der aus der Wunde des ersten gezogenen Lanze, als er sich eben zur Flucht wandte, von der Seite durchbohrte; hierauf eilte er mitten aus dem Haufen der Feinde siegreich zu den Seinigen zurück. Das war nun freilich eine ganz besondere Heldenthat, und gar viele suchten es ihm an Tapferkeit gleichzuthun. Die Juden aber machten sich nichts aus dem Verlust, den sie erlitten hatten; ihr Sinnen und Trachten war vielmehr nur darauf gerichtet, wie sie ihren Gegnern Schaden zufügen konnten. Der Tod schien ihnen eine Kleinigkeit, wenn es ihnen nur gelang, zugleich einen Feind mit ins Verderben zu reissen. Dem Caesar dagegen lag an der Sicherheit seiner Soldaten ebenso viel, als am Sieg: unvorsichtiges Drauflosgehen nannte er Raserei, und Tapferkeit erkannte er nur da an, wo man mit Bedacht und, ohne selbst Schaden zu nehmen, vorging. Er ermahnte daher seine Leute aufs dringendste, sie sollten sich tapfer zeigen, ohne der Gefahr blindlings entgegenzurennen.
4. Es ward nun unter persönlicher Leitung des Feldherrn der Sturmbock an den mittleren Turm der nördlichen Mauer herangebracht, in welchem ein verschlagener Jude Namens Kastor mit zehn Gleichgesinnten auf der Lauer lag, nachdem die übrigen vor den Bogenschützen geflohen waren. Eine Zeitlang
Seite 514 blieben die Juden, unter den Brustwehren kauernd, ruhig liegen; als aber der Turm zu zittern anfing, erhoben sie sich an verschiedenen Stellen. Kastor selbst streckte wie einer, der um Gnade fleht, die Hände aus, rief nach dem Caesar und bat mit kläglicher Stimme um Erbarmen. Treuherzig schenkte Titus ihm Glauben und gab sich der Hoffnung hin, die Juden seien jetzt im Begriff, ihren Sinn zu ändern; er liess also den Widder einhalten, untersagte den Bogenschützen, weiter auf die Flehenden zu schiessen, und forderte Kastor auf, sein Begehren auszusprechen. Als dieser erklärte, er wolle herabkommen und sich ergeben, entgegnete Titus, er wünsche ihm Glück zu seinem vernünftigen Entschluss und würde sich freuen, wenn alle so gesinnt wären; gern würde er dann der Stadt die Hand zur Versöhnung bieten. Fünf von den zehn schlossen sich hierauf an Kastors heuchlerische Bitte an; die übrigen aber schrien, sie würden niemals Knechte der Römer werden, so lange sie als freie Männer sterben könnten. Während sie sich nun geraume Zeit herumzankten, ward der Angriff ausgesetzt. Unterdessen liess Kastor dem Simon sagen, sie möchten sich in aller Ruhe über die dringendsten Angelegenheiten beraten; er wolle den römischen Feldherrn noch eine gute Weile zum besten haben. Gleichzeitig suchte er dem Anschein nach auch die Widerspenstigen zur Ergebung zu bereden. Sie aber erhoben wie voll Entrüstung die gezückten Schwerter über die Brustwehr, durchstiessen sich die Schilde und sanken, als wenn sie selbst durchbohrt wären, zu Boden. Staunen ergriff den Caesar und seine Umgebung über die Entschlossenheit dieser Männer, und da sie von unten aus den Hergang nicht genau sehen konnten, bewunderten sie dieselben wegen ihres Starkmutes und bedauerten sie zugleich wegen ihres Schicksals. Auf einmal schoss jemand den Kastor neben die Nase; der Getroffene zog den Pfeil heraus, zeigte ihn dem Titus und beklagte sich über ungerechte Behandlung. Der Caesar gab dem, der geschossen hatte, einen Verweis
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und beauftragte den neben ihm stehenden Josephus, hinzugehen und dem Kastor die Hand zu reichen. Josephus aber weigerte sich, weil die Bittenden doch nichts gutes im Schilde führten, und hielt auch seine Freunde, die hineilen wollten, davon ab. Hierauf erbot sich ein Überläufer mit Namen Aeneas, hinzugehen, und da Kastor auch noch rief, es möchte jemand das Geld, das er bei sich habe, in Empfang nehmen, lief Aeneas um so eifriger auf den Turm zu und hielt den Mantel hin. Kastor jedoch ergriff ein Felsstück und warf es auf ihn hinab; den Aeneas indes traf er nicht, verwundete aber einen anderen Soldaten, der mit herangekommen war. Als der Caesar diesen Betrug bedachte, überzeugte er sich, dass Mitleid im Kriege nur schädlich sei, während ein harter Sinn unter der Hinterlist weniger zu leiden habe; voll Zorn über die Verhöhnung liess er daher den Sturmbock mit noch grösserer Gewalt gegen die Mauer anprallen. Sowie aber der Turm unter den Stössen der Maschine wich, steckten Kastor und seine Gefährten ihn in Brand und sprangen durch die Flammen in den unter ihm befindlichen geheimen Gang, wodurch sie abermals den Römern eine hohe Meinung von ihrem Starkmut beibrachten; denn diese glaubten nicht anders, als dass ihre Gegner sich ins Feuer gestürzt hätten,
1. An dieser Stelle gewann der Caesar die zweite Mauer, fünf Tage nach Einnahme der ersten. Als die Juden sie verlassen hatten, zog er mit tausend Reitern und der auserlesenen Mannschaft, die seine persönliche Bedeckung bildete, da ein, wo der Wollmarkt, die Schmiedewerkstatten und der Kleidermarkt der Neustadt sich befanden und die Gassen in schiefer
Richtung auf die Mauer zuliefen. Hätte er nun sogleich entweder einen grösseren Teil der Mauer eingerissen oder den eroberten Stadtteil nach Kriegsbrauch zerstört, so wäre meiner Meinung nach sein Sieg durch keinen Verlust getrübt worden. In der Hoffnung jedoch, durch Unterlassung einer harten Massregel, zu welcher er die Macht in Händen hatte, den Sinn der Juden erweichen zu können, liess er den Eingang nicht so breit herstellen, wie es für einen etwaigen Rückzug zweckmässig gewesen wäre; denn wenn er ihnen eine besondere Vergünstigung zuteil werden liesse, so würden sie, meinte er, ihm doch wohl keinen Hinterhalt legen. Ja, er verbot sogar nach dem Einzug, irgend einen der gefangenen Juden zu töten oder die Häuser in Brand zu stecken; zugleich gab er den Aufrührern anheim, auf eigne Faust den Kampf fortzusetzen, wenn nur das Volk dabei keinen Schaden litte, und versprach dem letzteren, ihm seine gesamte Habe wieder zustellen zu wollen. Es lag ihm nämlich sehr viel daran, für sich selbst die Stadt und für diese den Tempel zu retten. Das Volk fand er denn auch ohne weiteres geneigt, auf seine Vorschläge einzugehen; die kriegslustigen Juden dagegen fassten seine Menschenfreundlichkeit als Schwäche auf und glaubten, Titus habe solche Anerbietungen nur gemacht, weil er sich nicht stark genug fühle, die ganze Stadt in seine Gewalt zu bringen. Den Bürgern drohten sie mit Tod, wenn einer von ihnen auch nur den Gedanken an Übergabe hegen würde, und wer etwas von Frieden verlauten liess, den stiessen sie nieder. Alsbald griffen sie auch wirklich die einziehenden Römer an, indem sie sich teils in den Gassen ihnen entgegenwarfen, teils von den Häusern herab ihnen zusetzten; andere machten durch die oberen Thore Ausfälle auf die noch ausserhalb der Mauer befindlichen Römer und versetzten dadurch die auf ihr postierten Wachmannschaften in solchen Schrecken, dass sie eilends von den Türmen hinabsprangen und ins Lager zurückliefen. Während nun drinnen die auf allen Seiten von Feinden umringten,
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draussen die für ihre verlassenen Kameraden besorgten Soldaten ein lautes Geschrei erhoben, wurden die Juden immer zahlreicher, und da sie ausserdem durch ihre genaue Bekanntschaft mit den Gassen bedeutend im Vorteil waren, verwundeten sie eine Menge ihrer Gegner und drängten sie unaufhaltsam zurück. Notgedrungen leisteten die Römer Widerstand, weil sie durch die enge Maueröffnung nicht in grösseren Massen fliehen konnten, und fast schien es um alle, die in die Stadt eingezogen waren, geschehen zu sein. Da aber kam Titus ihnen zu Hilfe: rasch verteilte er die Bogenschützen an den Strassenenden, stürzte sich selbst ins ärgste Gedränge und trieb die Feinde durch einen Hagel von Geschossen zurück. An seiner Seite focht Domitius Sabinus,1 der auch in diesem Gefecht sich als tapferer Krieger bewährte. Unaufhörlich liess nun der Caesar die Bogenschützen ihre Pfeile abschiessen und verhinderte dadurch die Annäherung der Juden, bis seine sämtlichen Soldaten den Rückzug bewerkstelligt hatten.
2. So wurden die Römer, nachdem sie schon die zweite Mauer genommen hatten, wieder zurückgeworfen. Den kriegerisch gesinnten Juden aber schwoll nun der Kamm, und ihre Erfolge machten sie übermütig. Die Römer, meinten sie, würden wohl jetzt nicht mehr wagen, die Stadt zu betreten, und ebensowenig imstande sein, zu siegen, wenn es wieder zum Kampf kommen sollte. Gott verfinsterte ihnen eben um ihrer Frevel willen den Verstand, dass sie weder sahen, wie die verjagten Truppen nur einen kleinen Teil des römischen Heeres bildeten, noch die sie beschleichende Hungersnot bemerkten. Sie selbst freilich konnten ja noch vom Elend des Volkes sich sättigen und das Blut der Einwohner trinken. Die Gutgesinnten aber litten schon seit geraumer Zeit Mangel, und viele starben dahin, weil es ihnen an den notwendigsten Lebensmitteln gebrach. In der Vernichtung des Volkes indes erblickten die Em-
1 S. III, 7,34.
Seite 518 pörer nur eine Erleichterung für sich selbst: denm lediglich diejenigen erachteten sie der Erhaltung wert, die vom Frieden nichts wissen und nur leben wollten, um die Römer zu bekämpfen; wurde die anders gesinnte Menge aufgerieben, so freuten sie sich, wie von einer drückenden Last befreit. In dieser Weise benahmen sie sich gegen die Bewohner der Stadt; die Römer aber schlugen sie, wenn dieselben wieder einzudringen versuchten, mit gewaffneter Hand zurück und deckten die Bresche mit ihren Leibern. Drei Tage lang hielten sie so unter zäher Gegenwehr stand; am vierten aber ward ihnen der heldenmütige Angriff des Titus zu stark: sie wurden geworfen und wichen in ihre frühere Stellung zurück. Titus war nun wieder Herr der Mauer geworden, deren ganzen nördlichen Teil er sogleich schleifen liess; in die Türme der südlichen Strecke dagegen legte er Besatzungstruppen und richtete alsdann seine Gedanken auf die Erstürmung der dritten Mauer.
1. Einstweilen jedoch beschloss er, mit der Belagerung etwas einzuhalten und den Aufrührern Bedenkzeit zu geben, um zu sehen, ob sie nicht im Hinblick auf die Schleifung der zweiten Mauer oder, da die Räubereien ihnen wohl keinen genügenden Unterhalt auf längere Zeit mehr verschaffen konnten, aus Furcht vor der Hungersnot sich etwas nachgiebiger zeigen würden. Die Pause benutzte er zu einem notwendigen Geschäft. Da nämlich der Termin bevorstand, an welchem den Mannschaften der Sold verabfolgt werden musste,1 befahl er den Offizieren, das Heer an einen
1 Es geschah dies alle vier Monate, später (seit Domitian) vierteljährlich. Der tägliche Sold des Legionärs betrug nach unserem Gelde etwa 50-60 Pfennige; der Centurio erhielt das doppelte, der Reiter das dreifache.
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den Feind sichtbaren Ort ausrücken zu lassen und jedem Soldaten seine Löhnung auszuzahlen. Die Truppen zogen nun, wie üblich, mit entblössten Schwertern und in voller Rüstung einher; die Reiter führten ausserdem ihre aufgeputzten Pferde am Zügel. Weithin glitzerte die Umgebung der Stadt von Silber und Gold, und so entzückend der Anblick für die Römer war, so schrecklich war er für ihre Feinde. Die alte Mauer in ihrer ganzen Ausdehnung sowie die Nordseite des Tempels waren mit Zuschauern dicht besetzt; selbst die Dächer der Häuser sah man voll Neugieriger und kein Plätzchen gab es in der Stadt, das nicht schwarz von Menschen wimmelte. Gewaltige Angst überfiel jetzt auch die trotzigsten Juden, als sie die ganze Heeresmacht an einem Orte versammelt und dazu die Schönheit der Waffen, die vortreffliche Ordnung unter den Soldaten sahen, und es hätten bei diesem Anblick, wie mir scheint, die Empörer anderen Sinnes werden müssen, wenn sie nicht um der allzugrossen Frevel willen, die sie am Volke verübt, eine Begnadigung seitens der Römer für unmöglich gehalten hätten. Da ihnen nämlich, wenn sie die Feindseligkeiten einstellten, ihrer Meinung nach nur der Verbrechertod bevorstand, so zogen sie den im Kampfe denn doch bei weitem vor. Auch forderte ja eben die Macht des Verhängnisses, dass die Unschuldigen samt den Schuldigen zu Grunde gehen sollten, und mit den Aufrührern die ganze Stadt.
2. Vier Tage brauchten die Römer, um an alle Legionen den Sold auszuzahlen. Am fünften lies Titus, als die Juden noch immer nicht mit Friedensvorschlägen herausrücken wollten, sein Heer sich in zwei Abteilungen trennen, von denen die eine der Antonia gegenüber, die andere bei dem Grabmal des Joannes Wälle aufwerfen sollte. Von letzterem Punkte aus gedachte er die obere
Seite 520 Stadt, von der Antonia her den Tempel zu nehmen; denn so lange er das Heiligtum nicht eroberte, war an ungefährdeten Besitz der Stadt nicht zu denken. An diesen beiden Stellen also führten die Legionen je einen Wall auf. Denen nun, die in der Nähe des Grabmals arbeiteten, suchten die Idumäer und die wohlbewaffnete Mannschaft des Simon, denen bei der Antonia die Leute des Joannes und die Rotte der Zeloten durch Ausfälle Schwierigkeiten zu machen. Hierbei waren die Juden nicht nur, was den Gebrauch der Handwaffen betraf, durch ihren höheren Standort im Vorteil, sondern auch dadurch ihren Gegnern überlegen, dass sie inzwischen mit den Maschinen umzugehen gelernt hatten; denn die tägliche Übung steigerte allmählich ihre Geschicklichkeit. Sie hatten dreihundert Skorpionen und vierzig Ballisten, mit denen sie die Römer beim Bau der Wälle empfindlich störten. Der Caesar aber, der sich der Erkenntnis nicht verschliessen konnte, dass die Erhaltung der Stadt einen Gewinn, ihr Untergang einen Verlust für ihn bedeute, liess, während er die Belagerung betrieb, auch die andere Aufgabe nicht ausser acht, nämlich die Juden zur Sinnesänderung zu bewegen. Rat und That gingen bei ihm Hand in Hand, und da er wusste, dass man mit Worten oft mehr auszurichten imstande sei als mit Waffengewalt, ermahnte er nicht nur selbst die Belagerten, die schon halb eroberte Stadt durch Übergabe zu retten, sondern sandte auch in der Hoffnung, ein Landsmann möchte vielleicht grösseres Entgegenkommen bei ihnen finden, den Josephus ab, um ihnen in ihrer Muttersprache Vorstellungen machen nu lassen.
3. Josephus umging die Mauer, suchte einen Ort auf, wo er ausser Schussweite und doch deutlich vernehmbar war, und legte ihnen dringend ans Herz, sie möchten doch ihrer selbst und des Volkes, wie auch der Vaterstadt und des Tempels schonen und gegen dies alles nicht gleichgültiger sei wie die Fremden. Während die Römer, die doch anderen Glaubens seien, die Heilig-
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tümer ihrer Feinde achteten und bis jetzt ihre Hände davon zurückgehalten hatten, setzten diejenigen, welche unter dem Schutze dieser Heiligtümer aufgewachsen seien und im Falle ihrer Erhaltung die alleinigen Besitzer derselben bleiben würden, alles daran, sie zu Grunde zu richten. Wie sie sähen, seien die stärksten Mauern bereits gefallen, und übrig sei nur noch eine, deren Schwäche im Vergleich zu den schon eroberten sich nicht leugnen lasse. Auch kennten sie ja die Macht der Römer als unwiderstehlich, und römische Oberherrschaft sei ihnen ebenfalls nichts neues. Wenn ein Befreiungskrieg ein ruhmvolles Unternehmen sei, so hätten sie denselben gleich anfangs führen sollen; wenn sie aber, nachdem sie einmal unterworfen seien und die Fremdherrschaft sich so lange hatten gefallen lassen, noch das Joch abschütteln wollten, so heisse das nicht nach Freiheit, sondern nach schmählichem Untergang verlangen. Unbedeutenderen Oberherren könne man allenfalls die Huldigung verweigern, nicht aber denen, die den Erdkreis in ihrer Gewalt hatten. Denn was für Länder seien es, die noch nicht unter der Botmässigkeit der Römer standen? Doch nur die, welche wegen ihrer Hitze oder Kälte keinen Wert für sie haben konnten. Überall sei das Glück ihr Begleiter gewesen, und Gott, der die Weltherrschaft bei den einzelnen Nationen umgehen lasse, sei nun einmal auf Italiens Seite. Übrigens gelte ein schon bei den Tieren feststehendes Gesetz auch für die Menschen, dass man nämlich dem Stärkeren nachgeben müsse, und dass diejenigen Sieger seien, die die kräftigsten Waffen besessen. Deshalb hatten auch die Vorfahren der Juden, die an Körperkraft, Seelenstärke und sonstigen Verteidigungsmitteln ihren Nachkommen weit überlegen gewesen seien, den Römern sich gefügt, was sie gewiss nicht über sich gebracht haben würden, wenn sie nicht eingesehen hatten, dass Gott mit denselben gewesen sei. Was ihnen, den Belagerten, denn den Mut zum Widerstand gebe? Der grösste Teil der Stadt sei doch schon erobert, und sie
Seite 522 da drinnen würden, auch wenn die Mauern stehen blieben, schlimmer dran sein wie Kriegsgefangene. Zudem sei die in der Stadt herrschende Hungersnot, die vorderhand noch erst das Volk bedränge, in kurzem aber auch die streitbare Mannschaft aufreiben werde, den Römern kein Geheimnis mehr. Wenn diese also auch von der Belagerung Abstand nähmen und aufhörten, mit dem Schwert in der Hand in die Stadt einzudringen, so sitze doch ein unbezwingbarer innerer Feind den Juden auf dem Nacken, der mit jeder Stunde an Stärke gewinne. Denn gegen den Hunger konnten sie sich doch wohl nicht mit den Waffen wehren. Oder seien sie vielleicht die einzigen, die auf solche Weise dieser Plage beizukommen verstanden? Sie thäten daher, fuhr Josephus fort, wohl daran, ihren Sinn zu ändern, ehe der Schaden unheilbar werde, und auf ihre Rettung bedacht zu sein, so lange es noch Zeit sei. Die Römer würden ihnen das Geschehene sicher nicht nachtragen, wenn sie ihren Starrsinn nur nicht aufs äusserste trieben; es liege nämlich in deren Art, als Sieger Milde zu beweisen und ihren Vorteil höher anzuschlagen wie die Befriedigung ihrer Rache. Diesen Vorteil wahrten sie aber nicht, wenn sie eine menschenleere Stadt, auch nicht, wenn sie ein entvölkertes Land in Besitz nahmen. Darum lasse der Caesar auch jetzt noch den Belagerten seine Gnade anbieten. Müsse er aber die Stadt mit Gewalt nehmen, nachdem sie in der äussersten Not seinen gütlichen Vorstellungen kein Gehör geschenkt habe, so werde er niemand verschonen. Dass übrigens bald auch die dritte Mauer fallen werde, dafür bürge die Erstürmung der beiden ersten, und selbst wenn dieses Bollwerk uneinnehmbar wäre, so müsse doch der Hunger gegen die Juden und für die Römer streiten.
4. Während Josephus diese Worte an sie richtete, verspotteten ihn viele von der Mauer herab; andere schimpften, ja einige schossen sogar auf ihn. Da er sie nun selbst mit solchen klaren Erwägungen nicht zu überzeugen vermochte, ging er auf die Geschichte seines
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Volkes über und rief: „O ihr Unglücklichen, die ihr eurer wahren Helfer vergesst, mit euren Fäusten und Waffen wollt ihr die Römer bekämpfen? Wen haben wir denn jemals auf diese Weise besiegt? War nicht stets Gott der Herr, der die Juden ins Dasein rief, auch ihr Rächer, wenn ihnen Unrecht geschah? Schaut zurück auf die Vergangenheit, damit ihr seht, auf wen ihr euch im Kampfe verlassen müsst und welch erhabenen Bundesgenossen ihr beleidigt habt. Ruft euch ins Gedächtnis die Wunderthaten zur Zeit eurer Väter; erinnert euch, wie viele Feinde einstmals diese heilige Stätte vernichtet hat! Mich schaudert zwar, wenn ich die Thaten Gottes vor unwürdigen Ohren erzählen soll: aber höret gleichwohl zu, damit ihr erkennt, dass ihr nicht nur gegen die Römer, sondern auch gegen Gott ankämpft. Der König von Aegypten, Nechao, sonst auch Pharao genannt, zog seiner Zeit mit tausenden von Streitern in unser Land und raubte die Fürstin Sarra, die Stammmutter unseres Volkes. Was that nun ihr Gatte Abram, unser Ahnherr? Hat er sich an dem Frevler mit den Waffen gerächt? Nein - sondern obwohl er dreihundertachtzehn Vasallen hatte, deren jeder über eine Unzahl Reisige gebot, hielt er sich trotzdem für verlassen, wenn Gott ihm nicht beistand; er hob also seine reinen Hände empor zu dem Orte, den ihr jetzt entweiht, und gewann sich die Hilfe des nie besiegten Kampfgenossen. Wurde darauf nicht gleich am zweiten Abend die Fürstin unberührt ihrem Gatten zurückgesandt, während der Aegypter, nachdem er an der von euch mit Brudermord befleckten Stätte angebetet, geschreckt durch nächtliche Traumgesichte, davonfloh und die gottgeliebten Hebräer mit Gold und Silber beschenkte?1 Soll ich schweigen oder reden von der Übersiedelung unserer Väter nach Aegypten, wo sie vierhundert Jahre lang vergewaltigt und von fremden Königen unterdrückt wurden, aber, anstatt sich, wie sie konnten, mit den
I Vergl. J.. I, 8, 1.
Seite 524 Waffen in der Hand zu wehren, ihre Sache Gott befahlen? Wer weiss nicht, wie hierauf Aegypten von allerhand Getier wimmelte und von allen möglichen Krankheiten heimgesucht ward, wie das Land seine Fruchtbarkeit, der Nil sein Wasser verlor, und zehn Plagen aufeinander folgten, um deretwillen unsere Väter mit sicherem Geleit entlassen wurden, ohne Blutvergiessen, ohne Gefahr, bloss weil Gott diejenigen führte, die sein Heiligtum pflegten? Und als von den Assyriern unsere heilige Lade geraubt wurde, seufzte da nicht das ganze Palaestinerland,1 der Götze Dagon und das ganze Volk derer, die sie weggeschleppt hatten? Faulige Geschwüre entstanden an ihren Schamteilen, und mit den Speisen gingen die Eingeweide von ihnen; darum brachten dieselben Hände, die sie geraubt, unter Cymbel- und Paukenschall sie wieder zurück und sühnten das Heiligtum mit zahllosen Opfern. Gott war es, der unseren Vätern diese Genugthuung verschaffte, weil sie, ohne zum Schwert zu greifen, ihm die Entscheidung anheimstellten. Fiel etwa der Assyrierkönig Senacherim, als er mit den Völkerscharen von ganz Asien diese Stadt umzingelt hatte, durch Menschenhände? Keineswegs - denn diese ruhten vom Kampf und waren zum Gebet ausgestreckt; aber der Engel Gottes schlug in einer einzigen Nacht das zahllose Heer, und als der Assyrier sich mit Tagesanbruch erhob, fand er hundertfünfundachtzigtausend Tote und floh mit dem Rest seines Heeres vor den unbewaffneten Hebräern, die ihn noch nicht einmal verfolgten. Bekannt ist euch ja auch wohl die Gefangenschaft in Babylon, wo das Volk siebzig Jahre lang fern von der Heimat leben musste und niemals daran dachte, seine Befreiung zu erzwingen, bis Cyrus Gott zu Ehren sie ihm freiwillig anbot und unter seinem Schutz das Heiligtum des Bundesgottes wiederhergestellt wurde. Überhaupt lässt sich kein Fall anführen, in welchem unsere Väter mit dem Schwert allein etwas
1 Palaestiner heissen bei Josephus die Philister.
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ausgerichtet hätten oder ohne Waffen, wenn sie ihr Sache Gott anheimstellten, unterlegen waren. Blieben sie ruhig zu Hause, so siegten sie nach dem Ratschluß des göttlichen Richters; zogen sie zum Kampf aus, so wurden sie stets geschlagen. Zum Beispiel als der Babylonierkönig diese Stadt belagerte und unser König Sedekias trotz der Warnung des Propheten Jeremias sich in eine Schlacht einliess, da geriet Sedekias selber in Gefangenschaft und sah die Stadt samt dem Tempel der Zerstörung anheimfallen. Und doch, wie viel gerechter war jener Krieg als eure Führer, wie viel besser sein Volk als ihr! Denn weder König noch Volk trachteten dem Jeremias nach dem Leben, als dieser mit lauter Stimme verkündete, sie seien um ihrer Sünden willen bei Gott in Ungnade gefallen und würden, wenn sie die Stadt nicht übergäben, in die Gefangenschaft geschleppt werden. Ihr dagegen - von den Freveln, die ihr da drinnen begeht, will ich gar nicht reden, da mir Worte fehlen, sie zu schildern - schmäht mich, der ich euch heilsamen Rat erteilen will, und werfet nach mir im Unmut darüber, dass ich euch an eure Sünden erinnere, und möget nicht einmal reden hören von dem, was ihr doch Tag um Tag verübt. Nun aber weiter: Als Antiochus Epiphanes, der Frevel über Frevel gegen die Gottheit begangen, die Stadt bedrängte, machten unsere Vorfahren in Wehr und Waffen einen Ausfall, und was geschah? Sie selbst wurden in der Schlacht niedergemetzelt, Jerusalem von den Feinden geplündert, und das Heiligtum für die Dauer von drei Jahren und sechs Monaten der Verödung preisgegeben. Doch wozu bedarf es weiterer Beispiele? Um nun auf die Römer zu kommen, wer ist schuld, dass sie gegen dieses Land zu Felde zogen? War es nicht die Gottlosigkeit seiner Bewohner? Und was gab den ersten Anlass zur Unterjochung Judaeas? War es nicht ein Bürgerkrieg unserer Vorfahren, als der Wahnsinn von Aristobulus und Hyrkanus und die zwischen ihnen herrschende Feindschaft den Pompejus gegen Jerusalem
Seite 526 heranführte und Gott das Volk, das der Freiheit nicht mehr wert war, den Römern unterwarf? Nach dreimonatlicher Belagerung ergaben sie sich, und doch hatten sie nicht in dem Masse, wie ihr, gegen das Gesetz und den Tempel sich vergangen; auch besässen sie weit bedeutendere Mittel zur Kriegsführung. Wohlbekannt ist uns ja ferner das Ende von Aristobuls Sohn Antigonus, unter dessen Regierung der Herr das sündige Volk abermals mit Knechtung heimsuchte: Antipaters Sohn Herodes führte Sosius, Sosius die Streitmacht der Römer herbei, welche Jerusalem umzingelte und sechs Monate lang belagerte, bis seine Bewohner zur Strafe für ihre Schandthaten bezwungen wurden und die Stadt der Plünderung anheimfiel. Wie ihr seht, war das Volk zu keiner Zeit auf Waffengewalt angewiesen; liess es sich aber auf Kriegführen ein, so blieb die Unterjochung nicht aus. Es sollten also diejenigen, welche die heilige Stätte besetzt halten, meiner Meinung nach die Entscheidung Gott dem Herrn anheimstellen und, indem sie den Richter im Himmel für ihre Sache zu gewinnen suchen, auf Anwendung menschlicher Gewalt völlig verzichten. Welche von den Vorschriften aber, an deren Erfüllung der Gesetzgeber einen Segen geknüpft hat, habt ihr befolgt? Oder vielmehr, muss ich fragen, was habt ihr unterlassen von dem, was er mit einem Fluch belastetet Wie viel gottloser seid ihr als eure Väter, die doch schneller als ihr zu Fall kamen? Heimliche Sünden, wie Diebstahl, Hinterlist und Ehebruch, sind euch schon zu gering; Raub und Mord betreibt ihr um die Wette und bahnt euch neue, nie betretene Wege der Bosheit. Der Tempel ist ein Schlupfwinkel jeglichen Gelächters geworden, und Hände von Eingeborenen haben die gottgeweihte Stätte verunreinigt, welche selbst die Römer von fern verehrten, indem sie unseren Gesetzen zulieb manche ihrer eigenen Sitten aufgaben. Und trotz alledem erwartet ihr noch Hilfe von dem, gegen welchen ihr also gefrevelt habt? Aber auch zugegeben, ihr waret ebenso fromme Beter und flehtet mit ebenso reinen
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Händen um göttlichen Beistand, wie einst unser König, als er sich Hilfe gegen die Assyrier erbat und Gott jenes gewaltige Heer in einer Nacht zu Boden schlug, ist denn das Beginnen der Römer dem der Assyrier zu vergleichen, sodass ihr euch auf eine ähnliche Hilfe Hoffnung machen könntet? Hat nicht Sedekias von den Assyriern die Verschonung der Stadt mit Geld erkauft, und sind sie nicht dennoch eidbrüchig herangekommen, den Tempel zu verbrennen? Die Römer hingegen fordern lediglich den herkömmlichen Tribut, den unsere Väter den ihrigen stets entrichteten. Haben sie diese Forderung durchgesetzt, so wollen sie weder die Stadt zerstören, noch das Heiligtum antasten; vielmehr geben sie uns alles übrige, unsere Familien, den Besitz unseres Vermögens, frei und schirmen die heiligen Gesetze. Nur Wahnsinn kann erwarten, dass Gott sich gegen Gerechte ebenso erzeigen werde wie gegen Ungerechte. Ohnehin weiss er ja schnell zu helfen, wenn es not thut. Die Assyrier hat er in der ersten Nacht, da sie vor Jerusalem lagerten, zerschmettert; wenn er daher unser Geschlecht der Freiheit oder die Römer der Bestrafung wert erachtete, so würde er wohl, wie einst über die Assyrier, auf der Stelle auch über die Römer hereingebrochen sein, als Pompejus seine Hand an das Volk legte, als später Sosius heranrückte, als Vespasianus Galilaea verheerte, und endlich in diesen Tagen, als Titus sich der Stadt näherte. Allein (Pompejus) Magnus und Sosius blieben nicht bloss ungeschlagen, sondern sie nahmen auch die Stadt in siegreichem Ansturm, und Vespasianus legte in dem Kriege mit uns den Grund zu seiner jetzigen Herrscherwürde. Und nun dem Titus vollends fliessen ergiebiger selbst die Quellen, die ehedem für euch kein Wasser gaben. Vor seiner Ankunft waren ja, wie ihr wisst, die Siloaquelle und alle Quellen ausserhalb der Stadt versiegt, sodass man das Wasser massweise kaufen musste; jetzt aber strömen diese Quellen zum Vorteil eurer Feinde so reichlich, dass sie nicht nur für die Römer selbst und deren Vieh,
Seite 528 sondern auch noch für die Gärten Wasser in hinreichender Menge spenden. Übrigens kennt ihr dieses Wunderzeichen schon von einer früheren Eroberung her, nämlich aus der Zeit, da der vorerwähnte Babylonier die Stadt einnahm und den Tempel verbrannte, während doch die damaligen Bewohner Jerusalems keine derartigen Gottlosigkeiten begangen hatten, wie ihr. Ich muss daher annehmen, die Gottheit sei aus dem Allerheiligsten geflohen und stehe jetzt auf seiten derer, die ihr bekämpft. Wenn nun schon ein ehrbarer Mensch ein lasterhaftes Haus fliehen und seine Bewohner verabscheuen wird: glaubt ihr dann, dass Gott euch in eurem Sündenleben nahe bleiben werde, er, der alles, auch das Verborgene, sieht und das Verschwiegene hört? Und was sucht man denn noch bei euch zu verschweigen und zu verbergen? Ist ja doch alles selbst den Feinden schon zu Ohren gekommen! Ihr prahlt mit eurer Gesetzesübertretung, wetteifert tagtäglich, wer der schlechteste ist, und tragt eure Schandthaten zur Schau, als wären es Tugenden. Aber trotz alledem steht euch noch ein Weg zur Rettung offen, wenn ihr ihn nur betreten wollt, und die Gottheit verzeiht denen gern, die geständig sind und Reue an den Tag legen. Verstockte werft eure Rüstungen weg, habt Mitleid mit unserer schon halb zerstörten Vaterstadt; wendet euch um und schaut, welche Pracht, welche Stadt, welchen Tempel, wie vieler Völker Geschenke ihr preiszugeben im Begriffe steht! Wer mochte an das alles den Feuerbrand legen, wer es verschwinden lassen wollen? Was verdiente mehr als dies, der Vernichtung entrissen zu werden, ihr Unerbittlichen, gefühlloser als Steine? Und wenn ihr dafür kein Auge habt, so erbarmt euch doch eurer Familien! Stelle jeder sich seine Kinder, sein Weib, seine Eltern vor, die binnen kurzem der Hunger oder das Schwert dahinraffen wird! Ich weiss wohl, auch mir schwebt eine Mutter, ein Weib, eine nicht unangesehene Familie und ein altberühmtes Geschlecht in Gefahr: vielleicht glaubt ihr, dass ich um deretwillen
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also rate. Keineswegs! Tötet sie, nehmt mein eigenes Blut als Preis für eure Rettung; denn auch ich bin zu sterben bereit, wenn ich durch meinen Tod bewirken kan, dass ihr euch eines bessern besinnt!"
1. Trotz dieser eindringlichen Worte indes, die Josephus seinen Landsleuten unter Thränen zurief, vermochte er die Empörer weder zur Nachgiebigkeit zu bewegen, noch ihnen die Überzeugung beizubringen, dass sie im Falle der Ergebung sich für sicher halten könnten; unter dem Volke dagegen entstand eine Bewegung zu gunsten der Übergabe. Einige verkauften ihren Grundbesitz zu Spottpreisen, andere ihre kostbaren Kleinodien, verschluckten die dafür gelosten Goldstücke, damit sie nicht von den Räubern entdeckt würden, und liefen zu den Römern über. Ging dann das Gold wieder von ihnen so waren sie für die notwendigsten Bedürfnisse versehen; denn Titus liess die meisten nach beliebigen Orten im Lande ziehen. Hierdurch ward die Lust, zum Feinde überzulaufen, nur noch grösser, weil man so dem Jammer in der Stadt entging, ohne in die Sklaverei der Römer zu geraten. Die Leute des Joannes aber wie die des Simon suchten die Flucht der Juden aus der Stadt mit grösserem Eifer zu verhindern, als die Einfälle seitens der Römer, und auf wen auch nur ein Schatten von Verdacht fiel, der wurde ohne weiteres niedergestossen. 2. Für die Wohlhabenden war übrigens das Verbleiben in der Stadt ebenso verderblich wie die Flucht; denn unter dem Vorwand der Ausreisserei wurde mancher um seines Vermögens willen umgebracht. Mit der Hungersnot stieg auch die Wut der Aufrührer, und beide Plagen wurden von Tag zu Tag entsetzlicher. Offentlich
war nirgends mehr Getreide zu sehen; sie drangen daher in die Häuser ein und durchsuchten sie. Fand sich etwas, so misshandelten sie die Bewohner, weil sie den Besitz abgeleugnet, fand sich nichts, so folterten sie dieselben, weil sie das Getreide mit so grosser Sorgfalt versteckt hatten. Ob Lebensmittel vorhanden seien oder nicht, schloss man aus dem körperlichen Zustand der Unglücklichen. Wer noch wohlgenährt aussah, von dem nahm man an, dass er Speisen vorrätig habe; die Ausgemergelten dagegen liess man laufen, weil man es für überflüssig hielt, Leute zu töten, die doch bald Hungers sterben würden. Viele der reicheren Bürger gaben heimlich ihr ganzes Vermögen dahin für ein einziges Mass Weizen, ärmere für ein Mass Gerste; alsdann schlossen sie sich in die verborgensten Winkel der Häuser ein und verzehrten in ihrem Heisshunger das Getreide ungemahlen oder buken es, wie die Not und die Angst es ihnen eben gestattete. Ein Tisch ward nirgends mehr gedeckt, sondern noch roh zog man die Speisen aus dem Feuer und verschlang sie gierig. 3. Mitleiderregend war die Nahrung, und beweinenswert der Anblick: die Stärkeren hatten Überfluss, den Schwachen blieb nur die Wehklage. Über alle Gefühle setzt sich der Hunger hinweg, keines aber ertötet er so völlig wie das Mitleid: denn worauf man sonst noch Rücksicht nehmen zu müssen glaubt, das lasst man im Hunger ausser acht. So rissen hier die Weiber den Männern, Kinder den Vätern und, was das jammervollste war, Mutter ihren Säuglingen die Speisen aus dem Munde; während die Lieblinge in ihren Armen verschmachteten, scheuten sie sich nicht, ihnen den letzten Tropfen Milch wegzunehmen. Aber selbst bei dieser Art, den Hunger zu stillen, entgingen sie dem Späherauge der Empörer nicht, die überall lauerten, um auch das noch ihnen zu rauben. Sowie sie ein Haus verschlossen sahen, galt ihnen dies als Zeichen, dass die Bewohner etwas verzehrten; plötzlich zertrümmerten sie dann die Thüren, stürzten hinein und rissen ihnen die
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Speisen beinahe aus der Kehle. Greise, welche ihr Stück Brot mit den Zahnen festhielten, wurden geschlagen, Weiber an den Haaren herumgezerrt, wenn sie etwas, das sie in den Händen hatten, zu verbergen trachteten. Weder Alt noch Jung konnte auf Mitleid rechnen: selbst ganz kleine Kinder, welche an ihren Bissen hingen, wurden ergriffen und zu Boden geschleudert. Verschlang aber jemand, um den Räubern zuvorzukommen, das, was ihm genommen werden sollte, so verfuhren sie mit ihm noch grausamer, gleich als wären sie ihres Rechtes verlustig gegangen. Foltern schrecklicher Art ersannen sie, um Nahrungsmittel aufzuspüren: sie verstopften den Unglücklichen die Öffnungen der Scham mit Erbsen und stiessen ihnen spitze Stäbe ins Gesäss. Schauderhafte Qualen musste mancher erdulden, nur damit er ein Brot verrate oder eine Handvoll verstecktes Mehl anzeige. Die Peiniger selbst aber litten durchaus keinen Mangel - freilich wäre ihr Beginnen weniger grausam gewesen, wenn die Not sie dazu getrieben hatte -, sondern sie bezweckten nichts anderes, als ihre Wut zu sättigen und sich für die kommenden Tage mit einem Vorrat von Lebensmitteln zu versehen. Trafen sie jemand, der bei Nacht sich bis in die Nähe der römischen Posten geschlichen hatte, um wildwachsendes Gemüse und Kräuter zu sammeln, so nahmen sie ihm, wenn er eben den Feinden entkommen zu sein glaubte, alles wieder ab, und mochte er auch noch so flehentlich bitten und bei dem hehren Namen Gottes sie beschwören, ihm doch wenigstens einen Teil von dem zu lassen, was er mit Lebensgefahr geholt, so vergönnten sie ihm gleichwohl nicht das mindeste; ja der Geplünderte konnte von Glück reden, wenn er nicht noch obendrein ermordet wurde.
4. Solche Misshandlungen mussten sich die ärmeren Leute von den Spiessgesellen der Tyrannen gefallen lassen; die angesehenen und reichen dagegen wurden vor die letzteren selbst geführt und teils auf falsche Anklagen hin wegen geheimer Umtriebe, teils unter dem
Seite 532 Vorwand getötet, dass sie die Stadt den Römern hätten verraten wollen. In der Regel liess man einen Angeber auftreten, der sie fälschlich beschuldigte, sie seien willens gewesen, zum Feinde überzugehen. War der Angeklagte dann von Simon ausgeplündert, so wurde er zu Joannes geschickt, und die von Joannes Beraubten nahm Simon in Empfang. So tranken sie sich gegenseitig gleichsam das Blut ihrer Mitbürger zu und teilten sich in die Leichen der Unglücklichen. Wegen der obersten Gewalt lagen sie miteinander im Streit, in der Verübung von Schandthaten aber waren sie einmütig. Wer den anderen an der Misshandlung seiner Mitbürger nicht teilnehmen liess, galt als selbstsüchtiger Schurke, und wer nicht teilnehmen durfte, bedauerte die Entziehung der Gelegenheit zu Grausamkeiten wie den Verlust eines besonders wertvollen Gutes. 5. Die Frevelthaten der Tyrannen im einzelnen zu schildern, ist unmöglich; darum kurz gesagt: keine Stadt hat je ähnliches auszustehen gehabt, und kein Geschlecht, so lange die Welt steht, war erfinderischer in Werken der Bosheit. Zuletzt fluchten sie auch noch dem Volke der Hebräer, um gegen Fremde weniger ruchlos zu erscheinen, und gaben damit selbst zu, dass sie, wie es ja auch wirklich der Fall war, Sklaven, zusammengelaufenes Gesindel und der Abschaum des Volkes seien. Sie waren es, welche die Stadt zerstörten: sie nötigten die Römer gegen deren Willen, dem traurigen Siege den Namen zu leihen, und schleppten sozusagen das zögernde Feuer in den Tempel hinein. Ohne Schmerz, ohne Thräne sahen sie ihn von der oberen Stadt aus in Flammen aufgehen; bei den Römern freilich fanden diese Gefühle Raum. Doch wir werden darauf unten bei der Erzählung der Begebenheiten selber zurückkommen.
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1. Unterdessen liess Titus den Bau der Wälle beschleunigen, wiewohl seine Leute von der Mauer her viel zu leiden hatten. Zugleich sandte er Reiterabteilungen aus, um den Juden aufzulauern, welche auf der Suche nach Nahrungsmitteln in die Schluchten hinabgestiegen waren. Es befanden sich darunter wohl auch manche streitbare Männer, denen das Geraubte nicht mehr langen wollte; meist aber waren es arme Leute aus den niederen Volksschichten, welche nur die Sorge um ihre Angehörigen abhielt, zu den Römern überzugehen. Denn wenn sie Weib und Kind fliehen wollten, hatten sie keine Aussicht, der Wachsamkeit der Empörer zu entgehen; die Ihrigen aber in der Gewalt der Räuber zurückzulassen, konnten sie sich nicht entschliessen, weil dieselben dann voraussichtlich um ihrer, der Entflohenen, willen, würden ermordet werden. Den Mut, die Stadt zu verlassen, flösste ihnen der Hunger ein; waren sie nun unbemerkt hinausgelangt, so drohte ihnen nur noch die Gefahr, den Feinden in die Hände zu fallen. Wurden sie ergriffen, so wehrten sie sich unwillkürlich aus Angst vor der Hinrichtung; nachdem sie aber einmal Wider. stand geleistet hatten, schien es ihnen zu spät, um Gnade zu bitten. Sie mussten nun zunicht die Geisselung und alle möglichen Foltern über sich ergehen lassen und wurden dann angesichts der Mauer gekreuzigt. Titus hatte zwar Mitleid mit ihrem Schicksal, zumal da jeden Tag fünfhundert, manchmal auch noch mehr Gefangene eingebracht wurden, hielt es aber anderseits für gefährlich, diese mit Gewalt bezwungenen Juden frei ausgehen zu lassen; denn hatte man eine solche Menge bewachen wollen, so waren sie gar leicht eine Wache ihrer Wächter geworden. Der Hauptgrund aber, weshalb
er die Hinrichtung der Gefangenen zuliess, war die Hoffnung, der Anblick werde die Belagerten zur Nachgiebigkeit bewegen, da diese ein gleiches Schicksal zu gewärtigen hatten, wenn sie sich nicht ergaben. Die Soldaten nagelten nun in ihrer gewaltigen Erbitterung die Gefangenen zum Hohn in den verschiedensten Körperlagen an, und da ihrer gar so viele waren, gebrach es bald an Raum für die Kreuze und an Kreuzen für die Leiber. 2. Weit entfernt jedoch, auf dieses grauenhafte Schauspiel hin ihren Sinn zu ändern, benutzten die Aufrührer dasselbe vielmehr dazu, auch das übrige Volk umzustimmen. Sie schleppten die Angehörigen der Überläufer und die Bürger, welche auf Übergabe drangen, zur Mauer und zeigten ihnen, was diejenigen zu erdulden hatten, die zum Feinde geflohen waren; zugleich behaupteten sie, die Gekreuzigten seien als Schutzflehende, nicht als Kriegsgefangene so behandelt worden. Das hielt manchen, der sich mit dem Gedanken an Flucht getragen hatte, in der Stadt zurück, bis der wahre Sachverhalt bekannt wurde. Einige jedoch liefen trotzdem sogleich davon und ihrem sicheren Verderben entgegen, da sie den Tod von Feindeshand im Vergleich mit dem durch Hunger für eine Wohlthat hielten. Vielen Gefangenen liess übrigens Titus die Hände abhauen, schickte sie, damit sie nicht für Überläufer galten und ihr jammervoller Zustand ihnen Glauben verschaffe, zu Joannes und Simon zurück und liess den beiden Tyrannen vorstellen, sie möchten doch nun endlich einhalten und ihn nicht zur Verwüstung der Stadt zwingen, vielmehr noch im letzten Augenblick in sich gehen und nicht nur ihr eigenes Leben, sondern auch ihre herrliche Vaterstadt und den Tempel retten, an dem fortan niemand ausser ihnen ein Eigentumsrecht haben solle. Inzwischen umritt er die Wälle und feuerte die Schanzarbeiter an, um darzuthun, dass seinen Drohungen die Ausführung binnen kurzem folgen werde. Die Antwort der auf der Mauer befindlichen Juden aber bestand
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darin, dass sie den Caesar und dessen Vater beschimpften. Der Tod, riefen sie, den sie für nichts achteten, sei ihnen viel lieber als die Knechtschaft; den Römern aber würden sie nach Möglichkeit Schaden zufügen, so lange noch Atem in ihnen sei. An der Vaterstadt liege ihnen nicht das mindeste, da sie ja doch, wie Titus sage, zu Grunde gehen müssten, und Gott habe noch einen besseren Tempel als diesen, nämlich die Welt. Doch auch der Tempel Jerusalems werde von dem, dessen Wohnung er sei, gerettet werden; mit ihm im Bunde verlachten sie jede Drohung, hinter der die That zurückbleibe: denn der Ausgang stehe bei Gott. Solcherlei Äusserungen, mit Schmähworten vermischt, riefen sie dem Caesar zu.
3. Um diese Zeit fand sich auch Antiochus Epiphanes1 an der Spitze einer stattlichen Schar Schwerbewaffneter und mit einer Leibwache, der sogenannten macedonischen Truppe, vor Jerusalem ein. Es waren lauter gleichalterige, schlankgewachsene Leute, kaum über die Knabenjahre hinaus, auf macedonische Art ausgerüstet und geschult, woher sie auch ihre Benennung hatten; die meisten jedoch blieben hinter dem Ruhm ihres Volkes zurück. Von allen Königen, die der römischen Oberherrschaft unterstanden, war der Kommagener wohl der glücklichste, ehe sich sein Schicksal wandte;2 aber auch an ihm bewahrheitete sich noch in seinem Greisenalter der Satz, dass niemand vor seinem Tode glücklich zu preisen sei. Sein Sohn nun, welcher damals zu einer Zeit erschien, wo der Vater noch auf dem Gipfel seines Glückes stand, gab seiner Verwunderung darüber Ausdruck, dass die Römer mit dem Sturm auf die Mauer zögerten; er selbst nämlich war ein gewandter Krieger, von Natur waghalsig und mit einer so gewaltigen Körperkraft ausgerüstet, dass seine Tollkühnheit selten ihr Ziel verfehlte. Titus lächelte
1 Von Kommagene (vergl. über ihn J. A. XIX, 9, 1, XX, 7, 1).
2 S. unten VII, 7, 1.
Seite 536 und entgegnete nur: „Unsere Aufgabe sei auch die eurige." Da stürmte Antiochus, wie er war, mit seinen Macedoniern gegen die Mauer an. Er für seine Person wusste dabei freilich infolge seiner Stärke und Gewandtheit den Geschossen der Juden auszuweichen, während seine eigenen Pfeile stets trafen; seine jungen Krieger aber wurden bis auf ein kleines Häuflein aufgerieben. Diese wenigen harrten übrigens, um ihrem Versprechen nicht untreu zu werden, um die Wette im Kampfe aus und traten endlich, vielfach verwundet, den Rückzug an. Sie hatten gelernt, dass auch geborene Macedonier, wenn sie siegen wollen, Alexanders Glück nicht entbehren können.
4. Mit Mühe und nach siebzehntägiger unausgesetzter Arbeit vollendeten die Römer am neunundzwanzigsten des Monats Artemisios den Bau der Wälle, den sie am zwölften desselben Monats begonnen hatten. Vier Hauptwälle hatten sie angelegt. Der eine, der Antonia gegenüber, war von der fünften Legion mitten durch den sogenannten Struthionteich,1 ein anderer etwa zwanzig Ellen weiter entfernt von der zwölften Legion aufgeführt worden. Die zehnte Legion hatte in bedeutendem Abstand von diesen Wällen im Norden bei dem sogenannten Amygdalonteich2 ihr Werk errichtet; dreissig Ellen weiter an dem Grabmal des Hohepriesters Joannes befanden sich dann die Schanzarbeiten der fünfzehnten Legion. Schon wurden die Maschinen herbeigeschafft. Joannes aber liess unterdessen von innen her in dem Zwischenraum zwischen der Antonia und den Wällen einen unterirdischen Gang graben und diesen wie auch zugleich damit die Werke selbst durch Pfähle stützen. Dann brachte er mit Pech und Asphalt bestrichenes Holz hinein und liess es anzünden. Als nun die Pfahle von unten herauf verbrannt waren, fiel
1 Kann sowohl Sperlings- als Seifenkrautteich heissen (Spiess) erstere Übersetzung ist die gebräuchlichere.
2 D. i. Mandelteich.
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der Gang ein, und die Verschanzungen stürzten mit heftigem Krachen nach. Zuerst erhob sich nur ein dichter, mit Staub untermischter Qualm, da das Feuer durch den Schutt halb erstickt war; als aber das zusammengesunkene Holz verkohlt war, brach die Flamme lichterloh hervor. Dieses unvorhergesehene Ereignis versetzte die Römer in Schrecken, und die List, mit der er es ersonnen war, raubte ihnen völlig den Mut. Schon hatten sie geglaubt, dem Siege nahe zu sein; das soeben Geschehene aber kühlte auch die Erwartungen, die sie auf die Zukunft setzten, bedeutend ab. Dem Feuer Einhalt zu thun hielten sie für zwecklos; denn wenn es auch gelöscht würde: die Dämme blieben doch versunken.
6. Zwei Tage später griff Simon mit den Seinigen auch die anderen Wälle an, wo die Römer bereits die Sturmböcke herangerückt hatten und mit ihnen die Mauer erschütterten. Ein gewisser Tephthaeus aus der Stadt Garsis in Galilaea, ferner Megassar, ein Kammerdiener der Mariamne,1 und ein Adiabener, des Nabataeus Sohn, nach einem körperlichen Gebrechen Chageiras - d. i. der Lahme - zubenannt, ergriffen Fackeln und stürmten auf die Maschinen los. Tollkühnere Männer und gefürchtetere als sie hatte die Stadt in diesem Kriege nicht aufzuweisen; denn gerade als wenn sie Kameraden entgegenzögen und nicht vielmehr einer dichtgedrängten Feindesschar, zeigten sie weder Furcht noch Bedenken, noch gaben sie ihren Plan auf, sondern mitten durch die Reihen der Feinde drangen sie vor, um die Maschinen in Brand zu stecken. Ein Hagel von Geschossen empfing sie, und von allen Seiten wurden sie mit dem Schwert angegriffen; gleichwohl zogen sie sich nicht eher aus ihrer gefährlichen Stellung zurück, als bis das Feuer die Geschütze ergriffen hatte. Als nun die Flamme emporschlug, liefen die Römer aua I Gemeint ist wohl nicht die Gattin des Herodes, die Asmonaerin M, sondern eine ihrer Nachkommen (s. die Stammtafel der A.Imonier zu meiner Übers. der J. A.).
Seite 538i38 . den einzelnen Lagern zur Hilfe herbei; die Juden aber drängten sie von der Mauer weg und gerieten mit denen, die den Brand löschen wollten, ins Handgemenge, wobei sie ihr eigenes Leben nicht im mindesten schonten. Wenn die Römer ihre Sturmböcke, während das Flechtwerk über denselben schon brannte, aus dem Feuer zogen, suchten die Juden mitten in den Flammen sich der Maschinen zu bemächtigen und liessen sie selbst dann nicht los, wenn sie glühendes Eisen anfassen mussten. Von den Geschützen sprang das Feuer auf die Wälle über, bevor die Hilfsmannschaft dies verhindern konnte. Schliesslich gaben die Römer, als rings um sie her der Brand wütetete, jede Hoffnung auf Erhaltung ihrer Werke auf und zogen sich ins Lager zurück. Die Juden aber, durch Zuzug aus der Stadt mehr und mehr verstärkt und durch ihren Erfolg kühn gemacht, stürmten nun mit einem Ungestüm, das keine Grenzen zu kennen schien, vorwärts und waren alsbald bei den Lagerverschanzungen angelangt, wo sie mit den Wachen handgemein wurden. Vor dem Lager steht nämlich bei den Römern ein Wachtposten, der regelmässig abgelöst wird, und es ist strenges Gesetz bei ihnen, dass, wer aus irgend einem Grunde seinen Posten verlässt, mit dem Tode bestraft wird. Die Wachen, welche lieber als tapfere Soldaten sterben wie als Verbrecher hingerichtet sein wollten, hielten stand; viele von denen aber, die geflohen waren, schämten sich, als sie ihre Kameraden in Not sahen, und machten wieder kehrt. Auf der Umwallung des Lagers pflanzten sie nun schnell die Skorpionen auf und hielten damit den aus der Stadt hervorgebrochenen Haufen ab, der zu einer Sicherheit und zu seinem Schutze keinerlei Voreichtsmassregeln getroffen hatte. Die Juden nämlich banden mit jedem an, der ihnen in den Weg kam, und warfen nicht selten die Feinde durch die Last ihrer Leiber um, mit denen sie unvorsichtiger Weise in deren Speere gerannt waren. Weniger durch wohlüberlegtes als durch keckes Handeln waren sie somit den
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Römern voraus, und die letzteren gingen den Juden mehr darum aus dem Wege, weil diese so tollkühn waren, als weil sie besonderen Schaden von ihnen erlitten hatten.
6. Schon aber war der Caesar von der Antonia her, wohin er sich begeben hatte, um einen Platz für andere Dämme auszusuchen, wieder bei den Seinen eingetroffen und machte ihnen strenge Vorwürfe darüber, dass sie, im Besitz der feindlichen Mauern, ihre eigenen Werke preisgaben und nun selbst die Rolle der Belagerten spielen müssten, nachdem sie die Juden wie aus einem Gefängnis gegen sich losgelassen hätten. Dann fiel er mit seinen Kerntruppen den Feinden in die Flanke. Obwohl nun die Juden schon von der Front her hart bedrängt wurden, wandten sie sich doch auch gegen Titus und wehrten sich tapfer. Bald entstand ein wirres Durcheinander in den beiderseitigen Schlachtreihen: der Staub blendete die Augen, das Geschrei übertäubte die Ohren, und hüben wie drüben vermochte man den Freund vom Feinde nicht mehr zu unterscheiden. Während aber die Juden jetzt weniger im Gefühl ihrer Stärke als aus Verzweiflung standhielten, spornte dagegen die Römer der Gedanke an Ruhm und Waffenehre sowie die Rücksicht auf den Caesar an, der allen voran der Gefahr ins Auge sah. Im Übermass ihrer Erbitterung, glaube ich, würden sie wohl schliesslich die ganze Schar der Juden niedergemacht haben, hatten diese sich nicht, ohne den Ausgang des Treffens abzuwarten, in die Stadt zurückgezogen. Das Einsinken der Dämme hatte übrigens die Römer völlig mutlos gemacht, da sie die Arbeit vieler Tage in einer Stunde vernichtet sahen, und viele verzweifelten nunmehr daran, mit den gewöhnlichen Maschinen die Stadt erobern zu können.
1. Titus hielt nun Kriegsrat. Die hitzigeren Offiziere waren der Meinung, man solle mit der ganzen Streitmacht auf einmal die Mauern zu erstürmen suchen. Denn bis jetzt seien die Juden nur mit einzelnen Teilen des Heeres handgemein geworden; wenn man aber in Masse gegen sie vorrücke, würden sie wohl den Anprall nicht aushalten können, da der Geschosshagel sie völlig zermalmen müsse. Von den Besonneneren dagegen rieten die einen, abermals Dämme zu bauen, die anderen, ohne dergleichen Werke die Belagerung fortzusetzen, lediglich das Verlassen der Stadt seitens der Einwohner und die Einfuhr von Lebensmitteln in dieselbe zu verhindern und so die Feinde dem Hunger zu überlassen, ohne dass man sich weiter mit ihnen schlage: denn mit der Verzweiflung sei nicht zu kämpfen. Durchs Schwert zu fallen sei der Wunsch der Juden; geschehe das aber nicht, so warte ihrer ein schrecklicheres Los. Titus selbst hielt es nicht für ehrenvoll, mit einem so grossen Heere ganz müssig zu liegen, anderseits aber auch für unnötig, mit Leuten zu kämpfen, die einander selbst den Untergang bereiteten. Neue Wälle aufzuführen erklärte er wegen Mangel an Bauholz für ein schwieriges Stück Arbeit, sämtliche Ausginge zu sperren für noch schwieriger. Denn mit dem Heere die Stadt völlig zu umzingeln, sei wegen der Grösse Jerusalems und der ungünstigen Terrainverhältnisse nicht leicht, auch mit Rücksicht auf die Ausfälle der Juden gefährlich. Übrigens würden die Belagerten, wenn man auch alle bekannten Ausginge bewache, im Drange der Not und, gestützt auf ihre Kenntnis der Örtlichkeit, geheime ersinnen. Werde nun auf verborgenen Wegen Proviant in die Stadt geschafft, so müsse die Belagerung sich dadurch bedeutend in die Länge ziehen, und er fürchte,
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dass, je mehr Zeit verstreiche, desto weniger Ruhm mit dem Siege verbunden sein mochte. Auf die Dauer könne man freilich alles zu Ende führen, aber der Ruhm sei wesentlich durch rasches Handeln bedingt. Um nun Schnelligkeit mit Sicherheit zu vereinigen, müsse man die ganze Stadt mit einer Ringmauer umschliessen; nur so sei man imstande, alle Auswege zu sperren, und es mussten dann die Juden entweder in völliger Verzweiflung Jerusalem übergeben oder, ohne dass die Römer ein Glied zu rihren brauchten, der Hungersnot zum Opfer fallen. Selbstverständlich werde er in diesem Falle auch nicht die Hände in den Schoss legen, sondern sich den Bau neuer Wälle angelegen sein lassen, da er dann einen viel schwächeren Widerstand zu erwarten habe. Halte indes jemand dieses Werk für zu gross und zu schwer ausführbar, so solle er bedenken, dass kleine Unternehmungen sich für die Römer nicht schickten, und etwas Bedeutendes ohne Anstrengung zu vollenden keinem leicht sei, ausser der Gottheit allein. 2. Mit diesen Darlegungen überzeugte er die Offiziere und gab sogleich Befehl, den Truppenteilen ihre Arbeit anzuweisen. Ein wunderbarer Eifer ergriff nun die Soldaten, und nachdem die einzelnen Strecken der Ringmauer verteilt waren, arbeiteten nicht nur die Legionen, sondern in denselben auch die Kohorten miteinander um die Wette. Der Gemeine suchte dem Decurio, der Decurio dem Centurio, und dieser dem Tribun zu gegefallen; der Ehrgeiz der Tribunen strebte dann wieder nach dem Beifall der Legaten, und den Wetteifer der letzteren belohnte der Caesar. Titus machte nämlich oftmals des Tages die Runde, um das Werk zu besichtigen. Von dem Lager.der Assyrier aus, wo er sein Hauptquartier hatte, führte er die Mauer in die untere Neustadt, von hier über den Kedron an den Ölberg, und liess sie dann nach Süden hin den Berg bis zum Peristereonfelsl sowie den nahegelegenen Hügel umfassen,
1 D. i. Taubenfels. Für denselben hält man die Prophetengräber oder das sogenannte kleine Labyrinth an der südlichen Vorkuppe des Ölberges.
Seite 542: der sich über dem Thal bei der Siloaquelle erhebt; von da an gab er ihr eine westliche Richtung und liess sie in eben dieses Thal sich senken. Alsdann erstreckte sie sich bei dem Grabmal des Hohepriesters Ananus aufwärts und schloss den Berg ein, wo einst Pompejus gelagert hatte, zog sich hierauf gegen Norden an einem Dorf Erbsenhausen vorbei, umfasste weiterhin das Grabmal des Herodes und endigte nach Osten zu bei dem Lager des Feldherrn, wo sie auch ihren Anfang genommen hatte. Die ganze Umwallungslinie hatte eine Länge von neununddreissig Stadien; aussen waren dreizehn Wachtkastelle an sie angebaut, deren Umfang zusammengerechnet zehn Stadien betrug.2 In drei Tagen war der Bau errichtet und damit ein Werk, für welches Monate nicht zu viel gewesen waren, in unglaublich kurzer Zeit vollendet worden. Nachdem nun der Feldherr mit dieser Ringmauer die Stadt eingeschlossen und Truppen in die einzelnen Wachtkastelle gelegt hatte, machte er selbst in der ersten Nachtwache die Runde, um nachzusehen; die zweite übertrug er dem Alexander,3 und die dritte fiel den Führern der Legionen zu. Die Wachmannschaften ihrerseits lösten die Schlafstunden aus und begingen dann die ganze Nacht hindurch die Zwischenraume zwischen den einzelnen Kastellen. 3. Mit der Möglichkeit, aus der Stadt zu entkommen, war nun den Juden jegliche Aussicht auf Rettung abgeschnitten, und die Hungersnot, die immer schrecklicher wurde, raffte das Volk hiuser- und farnilienweise dahin. Die Dächer lagen voll entkräfteter Weiber und Kinder, die Gassen voll töter Greise. Knaben und Jfunglinge, krankhaft angeschwollen, wankten wie Gespenster über
1 Dass Pompejus vor seinem Einrücken in die Stadt (s. J. A. XIV, 4, Iff.) an dieser Stelle, d. h. auf der Höhe zwischen dem untersten Abschnitt des Kedronthales und der nach Bethlehem führenden Strasse gelagert habe, wird nur hier berichtet. Er hatte demnach, von Jericho kommend, Jerusalem südlich umgangen.
2 Das ergiebt für den Umfang des einzelnen Kastells etwa 142 Meter..
3 S. V, 1, 6.
Seite 543Fünftes Buch, 12. Kapitel. 543 die öffentlichen Plätze und sanken zu Boden, wo einen dieHungerseuche ergriff. IhreAngehörigen zu bestatten vermochten die Entkrüfteten nicht mehr; die noch Rüstigeren aber scheuten sich davor wegen der Menge der Toten und der Ungewissheit ihres eigenen Schicksals. Viele starben auf den Leichen, die sie beerdigen wollten, viele auch schleppten sich, noch ehe das Verhängnis sie ereilte, zu den Grabstatten. Keine Träne, keine Wehklage begleitete dieses entsetzliche.Elend: alles Gefühl hatte der Hunger ertötet. Mit trockenen Augen und weitgeöffnetem Munde starrten die langsam Dahinsterbenden auf die, welche vor ihnen zur Ruhe gekommen waren. Tiefes Schweigen, wie eine bange Todesnacht, lag über der Stadt. Furchterlicher aber als alles dies waren die Räuber: gleich Totengrübern drangen sie in die Häuser ein, plünderten die Leichen, rissen ihnen die Verhullung weg und gingen unter wüstem Gelachlter hinaus oder erprobten die Spitzen ihrer Dolche an den entseelten Körpern; ja, sie durchbohrten sogar manchmal solche, die hingefallen waren, aber noch lebten, um die Scharfe des Mordstahls zu prüfen. Andere dagegen, die sich den Gnadenstoss von ihnen erbaten, überliessen sie voll übermütigen Hohnes dem Hunger. Saimtliche Sterbenden blickten starren Auges zum Tempel hinauf, wo sie die Empörer lebend zurückliessen. Anfangs sorgten diese noch dafür, dass die Toten auf öffentliche Kosten begraben wurden, weil sie den Geruch nicht ertragen konnten; später aber, als der Leichen gar zu viele wurden, warf man sie einfach von den Mauern in die Schluchten hinab. 4. Als Titus auf einem seiner Rundgange diese Schluchten mit Toten gefüllt und die Menge Jauche sah, die aus den verwesenden Leichen floss, breitete er seufzend seine Hände aus und rief Gott zum Zeugen an, dass dies nicht sein Werk sei. So sah es in der Stadt aus. Die Römer hingegen waren, da jetzt auch die Aufrührer, von Zaghaftigkeit und den Qualen des Hungers ergriffen, keine Ausfälle mehr machten, früh
Seite 544 lich und wohIgemut; denn sie hatten an Getreide und anderen notwendigen Lebensmitteln, die ihnen aus Syrien und den benachbarten Provinzen zugeführt wurden, durchaus keinen Mangel. Viele stellten sich in der Mühe der Mauer auf, zeigten geflissentlich ihren reichen Vorrat an Speisen und reizten durch ihren Überfluss den Hunger der Feinde noch mehr. Da aber all dieser Jammer die Empörer nicht nachgiebig machte. fing Titus aus Mitleid mit dem Reste der Bürgerschaft und um wenigstens das, was noch übrig war, vom Untergang zu retten, wieder an Wälle zu errichten, so schwer sich auch das Bauholz beschbaffen liess. Für die früheren Werke nämlich waren bereits alle Biume im Umkreis der Stadt gefüllt worden, und die Soldaten mussten nun anderes Holz aus einer Entfernung bis zu neunzig Stadien herbeiholen. Allein der Antonia gegenüber warfen sie sodann vier Dämme auf, weit grösser als die früheren; der Caesar aber ritt von einer Legion zur anderen und trieb die Arbeiter zur Eile an, um so den Räubern zu zeigen, dass sie in seiner Hand seien. Sie allein indes fühlten keine Reue wegen ihrer Frevelthaten; es war, als hatten sie ihre Seelen von den Leibern getrennt und gebrauchten beide, wie wenn sie nichi ihnen gehörten. Kein besseres Gefühl rührte ihre Seele, keinen Schmerz empfand ihr Körper: wie Hunde zerfleischten sie das töte Volk, und mit den Kranken füllten eie noch die Gefangnisse.
Seite 545 Fünftes Buch, 13. Kapitel
1. Simon liess sogar den Matthias, mit dessen Hilfe:r sich der Stadt bemächtigt hatte,1 eines qualvollen Todes sterben. Matthias, des Boethos Sohn, einer von den Hohepriestern, der beim Volke sehr angesehen war und dessen Vertrauen in hohem Grade besass, hatte, als die Zeloten im Bunde mit Joannes die Bürgerschaft Jerusalems drangsalierten, die letztere überredet, Simon als Retter aufzunehmen, ohne ihm vorher Bedingungen zu stellen oder sich schlimmer Dinge von ihm zu versehen. Kaum jedoch war Simon eingezogen und Herr der Stadt geworden, als er den, der für ihn eingetreten war, genau wie die anderen zu seinen Feinden rechnete, wie wenn er jenen Schritt nur aus Dummheit gethan hätte. Damsals so wurde er vor Simon geführt, als Rijmerfreund angeklagt und von dem Tyrannen, der ihm nicht einmal das Wort zur Verteidigung gestattete, samt dreien seiner Söhne zum Tode verurteilt; der vierte war schon vorher zu Titus entkommen. Und als er Simon flehentlich bat, ihn zum Dank dafür, dass er ihm die Stadt geöffnet, vor seinen Söhnen hinrichten zu lassen, gab dieser sogar Befehl, ihn zuletzt zum Tode zu führen. So ward er denn auf den Leichen seiner Kinder, die man vor seinen Augen ermordet hatte, hingeschlachtet, und zwar nachdem er an einen für die Römer sichtbaren Ort geführt worden war. Letzteres nämlich hatte Simon dem grausamsten seiner Spiessgesellen, Ananus, dem Sohne des Bamados, aufgetragen, der dann noch die höhnische Frage an Matthias richtete: ob nun diejenigen, zu denen er habe entlaufen wollen, ihm helfen würden? Die Leichen verbot Simon zu beerdigen. Nach ihnen wurde ein Priester Ananias, der Sohn des Masambalos, ein angesehener Mann, ferner der Ratsschreiber Aristeus
1 J S. IV, 9, 11
Seite 546 von Ammaus und fünfzehn andere hervorragende Männer aus dem Volke hingerichtet. Den Vater des Josephus aber hielt man noch immer in strengem Gewahrsam und liess aus Furcht vor Verrat öffentlich bekannt machen, dass niemand aus der Bürgerschaft ihn sprechen oder besuchen dirfe. Wer seinem Unwillen darüber Ausdruck gab, wurde ohne weiteres niedergestossen. 2. Auf diese Ereignisse hin berief ein gewisser Judas, des Judas Sohn, einer von Simons Unterbefehlshabern, dem dieser auch die Bewachung eines Türmes anvertraut hatte, zum Teil vielleicht aus Mitleid mit den grausam Ermordeten, hauptsächlich jedoch aus Sorge um sein eigenes Leben, die zehn zuverlässigsten seiner Untergebenen zu sich und sprach zu ihnen: „Wie lange noch wollen wir solche Greuel dulden? Oder welche Hoffnung aufRettung haben wir, wenn wir diesem Bösewicht treu bleiben? Kampft nicht schon der Hunger wider uns? Sind nicht die Römer nahezu in der Stadt? Und wie treulos benimmt sich Simon gegen die, die ihm Gutes gethan! Müssen wir nicht bei ihm in steter Angst vor der Hinrichtung leben, während wir auf das Wort der Römer bauen können? Wohlan denn, übergeben wir ihnen dienlauer und retten wir uns selbst und die Stadt! Dem Simon geschieht kein Unrecht, wenn er bald in Verzweiflung gerat und seine Schandthaten büssen muss." Nachdem er durch solche Vorstellungen die zehn für seinen Plan gewonnen hatte, sandte er gegen Morgen die übrige ihm unterstellte Mannschaft an verschiedene Platze weg, damit nichts von dem Anschlag verraten würde, und rief selbst um die dritte Stunde von dem Turm aus die Römer herbei. Von diesen nahmen die einen den Antrag verichtlich auf, andere hegten Misstrauen, und die meisten mochten aus dem Grunde nichts davon wissen, weil sie ja doch binnen kurzem ohne Gefahr die Stadt in ihre Gewalt zu bekommen gedachten. Als aber Titus mit seinen Schwerbewaffneten sich eben der Mauer nähern wollte, kam Simon, der von der Sache Kenntnis erlangt hatte, ihm zuvor, besetzte in aller Eile den Turmi und
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liess die Männer ergreifen, sie vor den Augen der Römer niedermachen und ihre verstümmelten Leichen die Mauer hinabwerfen. 3. Um jene Zeit wurde Josephus, der mit seinen Ermahnungen nicht nachliess, bei einem Rundgang um die Mauer von einem Steinwurf am Köpfe getroffen, sodass er augenblicklich betäubt zu Boden sank. Auf seinen Fall hin sturzten die Juden heraus und würden ihn wohl in die Stadt geschleppt haben, wenn der.Caesar nicht schleunigst Leute zu seinem Schutz abgesandt hatte. Während diese sich mit den Juden herumschlugen, wurde Josephus fast ohne alles Bewusstsein von dem, was vorging, weggetragen; die Empörer aber erhoben in der Meinung, den Mann aus dem Wege geräumt zu haben, nach dessen Tod sie so sehr verlangten, ein lautes Freudengeschrei. Alsbald verbreitete sich die Nachricht in der Stadt und rief bei den noch übrigen Bewohnern grosse Niedergeschlagenheit hervor, weil sie in der That den für tot hielten, auf dessen Einfluss hin sie zu den Römern überzugehen wagen konnten. Als die Mutter des Josephus im Gefängnis den Tod ihres Sohnes erfuhr, ausserte sie ihren Wächtern gegenüber, die aus Jotapata waren, sie glaube es gern, denn sie habe ja auch bei Lebzeiten des Josephus seiner nie froh werden können; zu ihren Dienerinnen aber sagte sie insgeheim unter Wehklagen, das habe sie also davon, dass sie Mutter so vieler Kinder geworden sei, nämlich den Sohn nicht einmal begraben zu durfen, von dem sie einst bestattet zu werden gehofft habe. Doch es sollte die falscho Kunde ihr keinen langen Kummer und den Räubern keine lange Freude bereiten. Josephus nämlich, der sich rasch von seinem Unfall erholt hatte, erschien vor der Mauer und rief seinen Gegnern zu, gar bald würden sie ihm für seine Verwundung Genugthuung geben müssen; das Volk hingegen forderte er abermals auf, sich zu ergeben. Sein Anblick flsste den Bürgern wieder Zuversicht, den Empörern aber Schrecken ein. 4. Manche Überläufer sprangen in der Not geradezu
von der Mauer hinab; andere stürmten, als wollten sie kämpfen, mit Steinen in der Hand hervor und flohen dann zu denRömern. Hier aber traf sie ein traurigeres Los, wie die in der Stadt: die Sattigung, die sie bei den Römern fanden, führte ihren Tod rascher herbei als der Hunger, dem sie bis dahin ausgesetzt waren. Denn wenn sie bei den Feinden anlangten, waren sie infolge des Mangels, den sie gelitten, aufgedunsen und wie wassersüchtig; überluden sie sich dann gierig den leeren Magen, so zerbarsten sie, und nur die kamen mit dem Leben davon, welche, durch Erfahrung gewitzigt, ihren Heisshunger bezwangen und dem Körper, der an Speise nicht mehr gewohnt war, dieselbe allmählich zuführten. Der also Geretteten aber wartete eine andere Plage. Bei den Syrern nämlich ertappte man einen Überläufer, der aus seinem Kot Goldstücke auslas. Solche pflegten die Juden ja, wie oben erzählt, zu verschlingen, ehe sie sich hinauswagten, da die Empörer alle durchsuchten; und es war eine Menge Gold in der Stadt: man kaufte um zwölf Attiken, was sonst fünfundzwanzig galt. Da nun die List bei einem, der sie angewandt, entdeckt war, durchlief alsbald sämtliche Lagerplitze das Gerücht, die Überläufer seien, wenn sie ankamen, ganz mit Gold gefüllt. Viele Araber und auch Syrer schnitten infolgedessen den um Gnade Flehenden die Bauche auf, um sie nach Gold zu durchsuchen. Keine schlimmere Misshandlung ist wohl den Juden widerfahren: in einer einzigen Nacht wurde gegen zweitausend Überläufern der Leib aufgeschlitzt. 5. Als der Caesar diese Greuelthat erfuhr, hatte er nicht übel Lust, die Schuldigen mit Reiterei umzingeln und durch Lanzenstiche töten zu lassen. Nur die grosse Anzahl derselben hielt ihn davon ab; denn derer, die er hätte strafen müssen, waren viel mehr als der auf jene Weise Ermordeten. Er beschied daher die Anführer der Hilfstruppen und der Legionen - denn auch römische Soldaten wurden der Teilnahme an der
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Unthat bezichtigt - zu sich und fragte sie voll Entrüstung, ob es denn wirklich unter seinen eigenen Kriegern welche gebe, die solche Schändlichkeiten um eines unsicheren Gewinnes willen verüben konnten, und ob sie sich nicht ihrer aus Gold und Silber gefertigten Waffen schämten. Die Araber und Syrer aber fuhr er an: „Also wollt ihr in einem Kriege, der euch persönlich gar nichts angeht, zuerst eure Leidenschaften eigenmächtig befriedigen und dann eure grausame Mordlust und euren Judenhass den Römern anhängen? Denn leider haben sich ja auch einige meiner eigenen Soldaten an eurem schändlichen Treiben beteiligt! Hierauf drohte er den fremden Truppen mit Hinrichtung, wenn noch einmal jemand bei einer solchen Greuelthat betroffen würde; den Legionen aber gab er Befehl, die Verdächtigen zu ermitteln und ihm vorzuführen. Die Geldgier indes achtet, wie es scheint, keiner Strafe; ein entsetzliches Verlangen nach Gewinn ist dem Menschen angeboren, und keine Leidenschaft treibt ihn so unaufhaltsam ins Verderben, wie die Habsucht, während doch sonst die Begierden ihre Grenzen haben und durch Furcht im Zaum gehalten werden können. Freilich war dabei auch Gottes Hand im Spiele, der das ganze Volk verworfen hatte und ihm jedes Rettungsmittel zur Verderben ausschlagen liess. Was der Caesar unter Drohungen verboten hatte, das beging man jetzt heimlich an den Überläufern: die Barbaren fingen die Flüchtlinge ab, ehe sie von allen erblickt werden konnten, und stiessen sie nieder; dann spähten sie umher, ob nicht ein Römer zusehe, schnitten die Unglücklichen auf und holten aus deren Eingeweiden den scheusslichen Gewinn. Nur bei einigen wenigen übrigens fand sich Gold vor; die meisten wurden um einer trügerischen Hoffnung willen ermordet. Immerhin brachte ihr trauriges Schicksal viele andere, die überzugehen im Sinne hatten, von ihrem Vorhaben wieder ab. 6. Unterdessen verlegte sich Joannes, als beim Volke
Seite 550 nichts mehr zu holen war, auf die Beraubung des Tempels. Eine Menge der in demselben befindlichen Weihgeschenke, gottesdienstlichen Geräte, Mischgefässe, Schüsseln und Tische liess er einschmelzen; nicht einmal der von Augustus und seiner Gemahlin gestifteten Weinkrüge schonte er. Die römischen Caesaren hatten den Tempel stets in Ehren gehalten und seinen Schmuck vermehrt; jetzt aber raubte ein geborener Jude die Geschenke der Ausländer. Gottgeweihte Gegenstände, sagte er zu seiner Umgebung, dürfe man ohne Bedenken zu Ehren der Gottheit verwenden, und es sei nicht mehr wie recht, dass die, welche für das Heiligtum kämpften, auch von ihm lebten. Deshalb holte er auch das im inneren Tempel befindliche heilige Öl und den heiligen Wein, den die Priester aufbewahrten, um ihn über die Brandopfer zu giessen, hervor und verteilte beides unter seine Leute, welche jeder mehr als ein Hin davon versalbten und vertranken. Zu verschweigen, was mein Gefühl mir eingiebt, kann ich nicht über mich bringen: wenn die Römer das Verbrechergesindel nicht alsbald vernichtet hatten, so wäre die Stadt, glaube ich, von der Erde verschlungen oder von einer Sintflut überschwemmt oder, wie Sodoma, vom Feuer des Himmels verzehrt worden; denn sie barg ein viel gottloseres Geschlecht, als dasjenige war, über welches jene Strafgerichte hereinbrachen. Fürwahr, der Wahnsinn dieser Frevler stürzte das ganze Volk ins Verderben. 7. Wozu aber soll ich die Drangsale einzeln aufzählen? Versicherte doch Mannaeus, des Lazarus Sohn, der um diese Zeit zu Titus floh, dass durch ein einziges Thor, welches er zu bewachen hatte, von dem Tage an, da das Lager vor der Stadt errichtet worden war, also vom vierzehnten des Monats Xanthikos bis zum Neumond des Panemos hundertfünfzehntausendachthundertundachtzig Leichen hinausgetragen worden seien –
1 Hin = 12 Log, 1 Log = dem Inhalt von 6 Eierschalen.
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eine wahrhaft erschreckliche Anzahl. Übrigens hatte er nicht als Befehlshaber der Thorwache nebenbei, sondern kraft besonderen amtlichen Auftrags die Toten gezählt, weil er aus der Stadtkasse den Beerdigungslohn auszahlen musste. Die anideren wurden von ihren Angehoirigen begyraben; das Begräbnis aber bestand darin, dass man die Leichen aus der Stadt trug und hinabstürzte. Viele angesehene Überläufer, die nach ihm kamen, gaben die Gesamtzahl der Leichen von Armen welche zu den Thoren hinausgeworfen wurden, auf sechshunderttausend an; die Zahl der übrigen sei nicht zu ermitteln gewesen. Als die Kraft der Leute nicht mehr ausreichte, um die Armen vors Thor zu tragen, habe man, sagten sie weiter, die Leichen in die grösseren Häuser zusammengeschleppt und daselbst eingeschlossen. Das Mass1 Weizen sei um ein Talent verkauft worden, und als man hernach wegen der Einschliessung der Stadt auch kein Gemüse mehr habe sammeln können, sei die Not bei manchen so hoch gestiegen, dass sie die Kloaken und alten Rindermist durchstöbert hätten, um irgend etwas Essbares daraus zu sammeln; was man sonst nur mit Ekel habe sehen könncn, sei damals Nahrungsmittel geworden. Die Römer fühlten Erbarmen, als sie dies hörten; die Empörer aber, die alles mit eigenen Augen schauten, blieben ungerührt und starren Sinnes, bis die Not auch sie ergriff. Das Verhängnis, das bereits über der Stadt wie über ihren eigenen Häuptern schwebte, hatte sie gänzlich verstockt gemacht.
1 Dieses Mass (itiron) war wohl der in Judaea gangbare römische Scheffel (modius) = 8,75 Liter.
1. Von der Verzweiflung der Empörer und dem Wüten der Hungersnot. Trauriger Anblick der Umgebung Jerusalems nach Errichtung der Wälle durch die Römer. 2. Wie nach Vollendung der Verschanzungen Römer und Juden in gleiche Besorgnis gerieten. Wie die Juden einen Ausfall machten, aber die Belagerungswerke nicht einzuäschern vermochten. 3.Wie die Römer durch die Stösse ihrer Maschinen und durch Untergrabung die Mauer der Antonia zum Einsturz brachten, aber beim Anblick einer zweiten Mauer, die Joamnes durch seine Leute hatte aufführen lassen, den Mut verloren. 4. Wie Titus seine Soldaten, die den Sturm auf die Mauer nicht wagten, durch eine vortreffliche Ansprache ermutigte. 5. Wie Sabinus und mit ihm einige andere die Mauer erstiegen und die Juden in die Flucht schlugen. Sabinus flieht nach Erlegung vieler Feinde. 6. Wie die Römer auch die dritte Mauer nahmen. Beschreibung des Kampfes zwischen Römern und Juden um den Tempel. 7. Von dem Centurio Julianus, der eine Menge Juden niedermachte, dann aber selbst fiel. Flucht der Römer in die Antonia. 8. Wie Titus die Antonia schleifen liess und den Josephus ersuchte, nochmals den Juden zuzureden. 9. Wie eine grosse Anzahl Bürger, als die Aufständischen sich an des Josephus Vorstellungen nicht kehrten, die Stadt verliessen, um zu den Römern überzugehen, und wie Titus sie nach Gophna schickte. 10. Wie die Überläufer die Empörer baten, dem Caesar die Stadt zu übergeben, aber dieselben dadurch nur noch trotziger machten, und wie Titus den letzteren durch Josephus Vorwürfe machen liess und, als sie in ihrer Hartnackigkeit verharrten, wieder zur Anwendung von Gewalt schritt.
Seite 553 Sechstes Buch, Inhalt.
11. Wie Titus aus seinen gesamten Truppen die tapfersten Leute auswählte und sie gegen den Tempel entsandte, wdhrend er selbst von der Antonia aus der Entwicklung des Kampfes entgegensah. 12. Wie der Kampf entbrannte und unter grossen beiderseitigen Verlusten unentschieden blieb. 13. Wie die Römer Wälle gegen den Tempel aufwarfen. 14. Wie Titus, als einige seiner Reiter ihre Pferde verloren hatten, durch Bestrafung eines der Schuldigen die übrigen zu besserer Bewachung ihrer Pferde anhielt. 15. Wie eine Menge Empörer am Ölberg einen heimlichen Ausfall versuchten, aber geschlagen wurden. Wie der Reiter Pedanius einen feindlichen Jüngling auf der Flucht ergriff und gleich einem kostharen Kleinod zum Caesar brachte. 16. Wie die Juden die Nebengebäude des Tempels in Brand steckten, damit die Römer nicht von ihnen aus sich des Heiligtums bemächtigen konnten. 17. Wie ein Jude die Römer zum Einzelkampf herausforderte und zunächst siegreich blieb, dann aber seiner Prahlerei wegen fiel. 18. Von einer Kriegslist der Juden, die vielen Römern den Tod in den Flammen brachte. 19. Wie der römische Soldat Longus sich selbst umbrachte, und wie ein gewisser Sertorius seinen Kameraden Luciuis, der ihn auffing, zu Boden schmetterte. 20. Weitere Schilderung der durch die Hungersnot angerichteten Verheerungen. 21. Von der Jüdin Maris, die ihr eigenes Kind verzehrte. 22.9 Wie die Römer nach Vollendung der Wälle Sturmböcke herbeischafften, und wie nach Anlegung der Leitern ein erbitterter Kampf sich entspann, in welchem die Römer schliesslich erlagen. Wie Titus, hierüber ergrimmt, Feuer an die Thore legen liess. 23. Von den Spiessgesellen des Tyrannen Simon, die zu Titus übergingen. 24. Wie Titus wegen des Tempels Kriegsrat hielt und, während die Meinungen geteilt waren, sich energisch gegen die Einäscherung des Heiligtums aussprach. 25. Wie die Juden die römischen Wachtposten angriffen und dieselben beinahe in die Flucht geschlagen hätten, wenn der Caesar den Seinen nicht zu Hilfe geeilt wäre und die Juden verjagt hätte. 26. Wie der Tempel gegen den Willen des Titus in Flammen aufging. 27. Wie der Tempel in demselben Monat und an demselben Tage abbrannte, da er einst von den Babyloniern eingeäschert worden war.
Seite 554 28. Wie nach Anzündung des Tempels Juden jeglichen Alters umkamen, und wie das Stöhnen der Sterbenden sich mit dem Schlachtgeschrei der Römer mischte. 29. Wie einige Priester die auf dem Tempel angebrachten Spiesse als Wurfgeschosse gegen die Römer gebrauchten, und wie zwei vornehme Juden sich selbst in die Flammen stürzten. Wie die Römer den bisher noch vorm Feuer verschont gebliebenen Teil des Tempels ebenfalls in Brand steckten und gegen sechstausend Menschen dem Flammentod preisgaben. 30. Von dem falschen Propheten, dem das Volk zu seinem Schaden Glauben schenkte. 31. Von den Wahrzeichen, die der Zerstörung vorangingen. 32. Wie die Römer ihre Feldzeichen in den Tempel brachten und derm Titus zujubelten. Von der gewaltigen Menge Goldes, die erbeutet wurde. 33. Von dem Knaben, der sich mit den Priestern auf die Tempelmauer geflüchtet hatte, und wie er die Römer hinterging. Wie die Priester, von Hunger erschöpft, endlich zu Titus herabstiegen, der sie hinrichten liess. 34. Wie die Tyrannen den Titus um eine Unterredung baten, und welch herrliche Ansprache er an sie hielt. 35. Wie Titus, als die Tyrannen unverminderten Trotz zur Schau trugen, in gewaltigem Zorn ihnen verkünden liess, dass sie auf keine Gnade mehr rechnen konnten, und wie er darauf seinen Soldaten befahl, alles in Brand zu stecken. 36. Von den Verwandten des Königs Izates, die zum Caesar ihre Zuflucht nahmen, und wie dieser sie nach Rom bringen liess. 37. Wie die Empörer sich in den Königspalast warfen die Römer daraus vertrieben, die ganze dort versammelte Menge niedermachten und zwei Römer lebendig gefangen nahmen. 38. Wie die Römer das räuberische Gesindel verjagten und den noch unversehrten Teil der Stadt ebenfalls den Flammen preisgaben. 39. Wie die Tyrannen im Vertrauen auf die unterirdischen Gänge den Kampf bis aufs äusserste fortsetzten. 40. Wie der Caesar Herr der oberen Stadt wurde, und wie einige Empörer beschlossen, die untere Stadt zu übergeben, aber von Simon, dem ihr Plan zu Ohren gekommen war, umgebracht wurden. 41. Von dem Priester, der sich zum Caesar flüchtete und ihm viele Kostbarkeiten auslieferte. 42. Wie die Römer nochmals Dämme bauten, Maschinen heranschafften und, nachdem die Empörer in die unterirdischen Gänge geflohen waren, die ganze Stadt in ihre Gewalt brachten.
Seite 555Seebstes Buch, 1. Kapitel
43. Wie der Caesar in die Stadt einzog, ihre Festigkeit bewunderte, sie sodann gänzlich zerstören und nur drei Türme als Wahrzeichen seiner Tapferkeit stehen liess. 44. Wie der Caesar, nachdem er das Raubgesindel und die Empörer, die sich gegenseitig zur Anzeige brachten, hatte hinrichten lassen, die übrigen teils für den Triumpfzug aufbewahrte, teils in die Provinzen verschenkte oder in die Bergwerke Aegyptens schickte, grösstenteils aber verkaufte. 45. Gesamtzahl der während des Krieges gefangenen und getöteten Juden. 46. Wie es den in die unterirdischen Gänge geflohenen Juden erging. 47. Rückblick auf die früheren Schicksale der Stadt.
1. Von Tag zu Tag wurden nun die Leiden Jerusalems schrecklicher, da das Unglück die Empörer immer mehr erbitterte und die Hungersnot, die im Volke bereits so grässlich wütete, auch sie selbst wegzuraffen begann. Kein Wunder, dass bald in der Stadt ganze Haufen von Leichen sich auftürmten, die einen entsetzlichen Anblick darboten, pestartigen Geruch verbreiteten und den Kämpfenden sogar bei ihren Ausfällen hinderlich waren; mussten doch die letzteren, wie wenn sie in der Schlacht durch ein fürchterliches Blutbad sich Bahn gebrochen hätten, in Vordringen über Leichen hinwegschreiten. Aber weder Schauder noch Mitgefühl ergriff die Frevler, wenn sie dieselben mit Füssen traten, noch sahen sie in dieser Beschimpfung der Toten ein schlimmes Vorzeichen ihres eigenen Unterganges, sondern mit vom Brudermord befleckten Händen stürzten sie zum Kampf gegen die Fremden hinaus, als hätten sie - fast könnte es so scheinen - Gott dem Herrn Vorwürfe darüber machen wollen, dass er mit seinem Strafgericht so lange zögere. Denn Hoffnung auf Sieg war es schon nicht
Seite 556 mehr, was ihnen den Mut zur Fortsetzung des Krieges gab, sondern Verzweiflung. Die Römer ihrerseits vollendeten, wiewohl die Herbeischaffung des erforderlichen Bauholzes ihnen viele Mühe verursachte, die Wälle in einundzwanzig Tagen, wobei sie, wie schon oben bemerkt,1 das an die Stadt anstossende Gelände bis auf neunzig Stadien im Umkreis völlig kahl machten. Wahrhaft kläglich war die Gegend anzuschauen: sie, die zuvor im reichen Schmuck von Bäumen und Lustgarten geprangt hatte, war jetzt allenthalben verwüstet und des Holzes beraubt. Kein Fremder, der das alte Judaea und die herrlichen Vorstädte Jerusalems gesehen, hatte beim Anblick der damaligen Verödung mit seinen Tränen und Seufzern über die gewaltige Veränderung zurückhalten können. Denn jede Spur von Schönheit hatte der Krieg vernichtet, und wenn jemand, der früher die Örtlichkeit gekannt, plötzlich daselbst erschienen wäre, er würde sie nicht wieder erkannt, sondern die Stadt, die vor ihm lag, gesucht haben. 2. Die Vollendung der Wälle gab übrigens den Römern nicht geringeren Anlass zu Besorgnissen wie den Juden. Letztere nämlich mussten, wenn es ihnen nicht wiederum gelang, dieselben in Brand zu setzen, der baldigen Eroberung der Stadt gewärtig sein; die Römer dagegen hatten, wenn auch diese Werke vernichtet würden, keine Aussicht mehr, Jerusalem in ihre Gewalt zu bekommen, einmal wegen des gänzlichen Mangels an Baumaterial, dann aber auch weil die Soldaten von den harten Strapazen geschwächt und durch die sich häufenden Unfälle entmutigt waren. Dazu kam, dass die in der Stadt herrschende Not bei den Römern fast noch grössere Niedergeschlagenheit erzeugte wie bei den Bewohnern selbst, die nicht nur trotz ihrer entsetzlichen Leiden unnachgiebiger denn je geworden waren, sondern auch immer wieder die Hoffnungen der Römer vereitelten, indem sie gegen die Wälle durch List, gegen
1 V, 12, 4.
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die Maschinen durch die Festigkeit ihrer Mauern, im Handgemenge durch ihre Tollkühnheit Vorteil über Vorteil errangen. Und dann die Hauptsache: da die Römer nun erkannt hatten, dass die Juden eine Seelenstarke besassen, die sie über Bürgerzwist, Hunger, Krieg und so viele andere Drangsale sich hinwegsetzen liess, kamen sie zu der Ansicht, dass die Kampflust ihrer Gegner ebenso unüberwindlich sei wie deren Ausdauer im Unglück, und legten sich demgemäss die Frage vor, was solche Menschen, vom Glück begünstigt, nicht unternehmen würden, da schon das Missgeschick sie immer trotziger mache. Diese Erwägungen veranlassten die Römer denn auch, an den Dämmen noch stärkere Wachtposten als früher aufzustellen. 3. Die Mannschaft des Joannes in der Antonia aber sah sich nun ebenfalls für die Zukunft vor, wenn etwa die Mauer durchbrochen werden sollte, und machte, noch ehe die Widder in Wirksamkeit traten, einen Angriff auf die Werke. Doch gelang ihnen das Unternehmen diesmal nicht: sie brachen zwar mit Fackeln hervor, zogen sich aber, bevor sie die Wälle erreicht hatten, um eine Hoffnung ärmer wieder zurück. Vor allem entbehrte ihr Plan offenbar eines einheitlichen Zusammenwirkens, da sie in kleineren Haufen, die keine Fühlung miteinander hatten, und ängstlich zaudernd, kurz gar nicht in der sonstigen Art der Juden ihren Ausfall machten; es mangelte eben an allem, was sie sonst kennzeichnete, an Kühnheit, raschem Vorgehen, festgeschlossenem Angriff und an der Kunst, den Rücken zu decken. Zudem mussten sie, während ihr eigener Anlauf die frühere Energie vermissen liess, die Römer in einer stärkeren Stellung als gewöhnlich sehen; dieselben hatten nämlich mit ihren Leibern und Rüstungen die Dämme so vollständig gedeckt, dass nirgends eine Lücke zu bemerken war, wo man Feuer hätte anlegen können, und jeder einzelne war fest entschlossen, lieber zu sterben als seinen Posten aufzugeben. Alle ihre Hoffnungen waren ja, wenn diese Werke ebenfalls in
Seite 558 Flammen aufgingen, zunichte gemacht, und dann empörte sich auch das Ehrgefühl der Soldaten bei dem Gedanken, dass immer List über Tapferkeit, Tollheit über Kriegskunst, Masse über Erfahrung, Juden über Römer den Sieg davontragen sollten. Die Geschütze, in deren Bereich die Angreifer sich befanden, wirkten übrigens kräftig mit: fiel dann einer derselben, so hielt er seinen Hintermann auf, und die mit weiterem Vordringen verbundene Gefahr nahm ihnen allen Mut. So wandten sich denn von denen, die auf Schussweite herangekommen waren, die einen, ehe sie handgemein wurden, aus Schrecken über die wohlgeordnete, dichtgedrängte Feindesschar zur Flucht, während andere von Wurfspeeren verwundet sich zurückgezogen; schliesslich kehrten alle, indem sie sich gegenseitig Feiglinge schalten, unverrichteter Sache wieder um. Dieser Angriffsversuch fand am Neumond des Monats Panemos statt. Kaum waren nun die Juden vertrieben, als die Römer ihre Sturmböcke heranbrachten, obwohl sie von der Antonia aus mit Felsstücken, Feuerbränden, eisernen und allen möglichen anderen Geschossen, welche die Not den Juden in die Hand gab, beworfen wurden. Die letzteren suchten nämlich, so grosses Vertrauen sie auch auf die Mauern setzten und so geringschätzig sie von den Maschinen der Römer dachten, deren Annäherung doch zu verhindern. Die Römer dagegen schrieben den Eifer, mit dem ihre Gegner die Antonia vor den Stössen der Maschinen zu schützen trachteten, der Schwäche der Mauer zu und arbeiteten in der Hoffnung, die Fundamente möchten schadhaft sein, auch ihrerseits mit äusserster Anstrengung; dennoch wollten die getroffenen Stellen nicht nachgeben. Wiewohl nun die Römer anhaltend beschossen wurden, liessen sie sich doch durch die Gefahr, die ihnen von oben drohte, nicht im mindesten abschrecken, sondern fuhren fort, die Sturmböcke kräftig wirken zu lassen. Da sie aber immer noch im Nachteil waren und namentlich durch die Steinwürfe empfindlichen Verlust erlitten,
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so bildeten einige von ihnen mit ihren Schilden ein Schutzdach über sich, untergruben mit Händen und Hebeln die Fundamente und brachen endlich mit unsäglicher Mühe vier Quadern heraus. Unterdessen war es dunkel geworden, und auf beiden Seiten ruhte nun der Kampf. In der Nacht aber fiel die von den Sturmböcken erschütterte Mauer an der Stelle, wo Joannes gegen die früheren Wälle einen unterirdischen Gang gegraben hatte, auf einmal zusammen, indem die Mine einsank. 4. Dieses Ereignis bewirkte hinsichtlich der beiderseitigen Ermutigung das Gegenteil von dem, was man hätte erwarten sollen. Die Juden nämlich, welche der plötzliche Einsturz, gegen den sie keine Vorkehrungen getroffen hatten, eigentlich hätte verzagt machen sollen, waren gutes Mutes, weil doch die Antonia selber stehen geblieben war; den Römern aber verdarb die unverhoffte Freude über den Zusammenbruch der Mauer sogleich wieder der Anblick einer zweiten, welche die Leute des Joannes hinter der eingestürzten errichtet hatten. Diese neue Mauer war zwar, wie es schien, leichter zu erstürmen als die erste, einmal weil die Trümmer der letzteren den Aufstieg erleichterten, und dann auch weil man annahm, dass sie weit schwächer wie die Antonia sei und als Gelegenheitsbau rasch zerstört werden könne; gleichwohl wagte sich niemand hinauf, weil die ersten, die sie zu ersteigen versucht haben würden, dem sicheren Verderben entgegengingen. 5. Titus versammelte nun in der Überzeugung, dass die Kampfesfreudigkeit der Krieger vornehmlich durch hoffnungerweckenden Zuspruch gehoben werde, und dass Ermunterungen und Versprechungen oft die Gefahren vergessen, ja manchmal den Tod verachten lehrten, die tapfersten seiner Leute, um ihren Mut zu erproben, und sprach also zu ihnen: „Kameraden! Eine Aufmunterung zu gefahrlosen Unternehmungen bedeutet nicht nur eine Beschimpfung derer, an die sie gerichtet wird, sondern zieht auch dem, von welchem sie ausgeht, den Vorwurf
Seite 560 unmännlicher Gesinnung zu. Angefeuert werden muss der Mensch, meine ich, nur zu gefährlichen Unternehmungen, da die anderen ein jeder wohl aus eignem Antrieb vollführen wird. Darum will ich selbst es schlankweg zugeben: die Ersteigung der Mauer ist schwierig, und nur das weiter ausführen, dass mit Schwierigkeiten zu kämpfen gerade dem ziemt, der nach dem Ruhm der Tapferkeit strebt, dass der Heldentod etwas Herrliches ist, und dass die wackere That denen, die sie zuerst wagen, nicht unbelohnt bleiben wird. Zunächst nun soll euren Mut eben das anfeuern, was manchen vielleicht abschrecken würde, ich meine die Beharrlichkeit der Juden und ihre zähe Ausdauer im Unglück. Es wäre doch eine Schande, wenn ihr als Römer und als meine Soldaten, die ihr im Frieden Krieg führen gelernt habt und im Kriege gewohnt seid zu siegen, an Kraft oder Mut euch von den Juden übertreffen liesset, und zwar jetzt, da ihr den Sieg beinahe in der Hand habt und des göttlichen Beistandes euch erfreut. Unsere Unfälle sind ja nur Folgen des verzweifelten Mutes der Juden; ihre Leiden dagegen werden durch eure Tapferkeit und das Eingreifen der Gottheit vergrössert. Denn Bürgerkrieg, Hungersnot, Belagerung, Einsturz von Mauern ohne Zuthun der Maschinen- was bedeutet das anders als Gottes Zorn über sie, Gottes Hilfe mit uns? Uns wird man doch hoffentlich nicht nachsagen, dass wir Schwächeren unterlegen wären und dazu noch den Beistand Gottes von der Hand gewiesen hätten! Wenn die Juden, denen eine Niederlage darum nicht besonders schimpflich vorkommt, weil sie sich schon wiederholt in den Zustand der Knechtschaft haben fügen müssen, dennoch, um nicht wiederum in denselben zu geraten, den Tod verachten und ein über das anderemal mitten in unsere Scharen herein Ausfälle machen, nicht in der Hoffnung auf Sieg, sondern lediglich um ihre Tapferkeit zu beweisen - wäre es da nicht schändlich, wenn wir, die Beherrscher fast aller Länder und des Meeres, für die
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es schon eine Schmach bedeutet, wenn sie nicht in jedem Falle den Sieg erringen, mit so gewaltiger Streitmacht ruhig dasitzen und warten wollten, bis Hunger und Elend mit unseren Feinden aufgeräumt haben, ohne auch nur einmal einen recht kräftigen Schlag gegen sie zu versuchen, da wir doch mit einem kleinen Einsatz alles gewinnen können? Ersteigen wir die Antonia, so haben wir die Stadt: denn wenn auch mit denen da drinnen noch ein leichter Kampf sich entspinnen sollte, was ich übrigens nicht glaube, so verbirgt uns doch die hohe Lage unserer Stellung, vermöge deren wir den Feind werden erdrücken können, einen raschen und vollständigen Sieg. Ich will jetzt nicht den Tod in der Schlacht preisen und die Unsterblichkeit derer, die im heissen Kampfe fallen; wünschen aber möchte ich den anders Gesinnten den friedlichen Tod auf dem Krankenbett, wo mit dem Leibe zugleich auch die Seele dem Grabe verfällt. Denn wer wüsste nicht, dass die Seelen der Tapferen, die im Schlachtgetümmel durchs Schwert vom Leibe befreit worden sind, das reinste Element, der Äther, aufnimmt und in Gestirne versetzt, von wo sie als gute Geister und gnädige Heroen ihren Nachkommen erscheinen, während die in kranken Körpern dahinsiechenden, wenn sie auch noch so rein waren von Sünden und Befleckung, die Nacht der Unterwelt verhüllt, wo tiefe Vergessenheit sie umfängt und Leib, Leben und Gedächtnis ihnen auf einmal genommen wird? Hat überhaupt das Schicksal dem Menschen den unvermeidlichen Tod bestimmt, und ist das Schwert ein weit erträglicherer Diener dieses Schicksals als irgend welche Krankheit: wäre es da nicht unedel, wenn wir einem guten Zweck zu opfern uns weigerten, was wir ja doch dem Schicksal einmal opfern müssen? Meine Worte beruhten übrigens bisher auf der Voraussetzung, dass die, welche den Angriff wagen, nicht lebendig davonkommen würden; nun muss aber auch der andere Fall erwogen werden, dass es nämlich tapferen Männern gelingen kann, sich selbst aus der grössten Gefahr zu
Seite 562 retten. Die Trümmer sind ja zunächst nicht schwer zu ersteigen; ist das aber einmal geschehen, so wird der Neubau mit Leichtigkeit zerstört werden können. Geht ihr also in grösserer Anzahl mit frischem Mut an die Sache heran, so werdet ihr euch gegenseitig aufmuntern und unterstützen, und es wird dann euer entschlossenes Vorgehen gar schnell den Dünkel der Feinde brechen. Vielleicht wird euch sogar das Gelingen des Unternehmens keinen Tropfen Blut kosten, wofern ihr es nur richtig angreift. Naturlich werden sie euch während des Hinaufsteigens mit aller Kraft abzuwehren suchen; habt ihr aber einmal, sei es mit List, sei es mit Gewalt, das Ziel erreicht, so werden sie euch keinen Widerstand mehr leisten, selbst wenn ihr anfänglich nur zu wenigen sein solltet. Ich meinerseits werde es als Ehrensache betrachten, denjenigen von euch, der zuerst die Mauer ersteigt, durch entsprechende Belohnungen zum Gegenstand des Neides zu machen: bleibt er am Leben, so soll er über die, die jetzt seinesgleichen sind, befehlen; aber auch das Andenken der Gefallenen werde ich aufs glänzendste ehren." 6. Während dieser Ansprache des Titus schreckte das Heer noch immer vor der Grösse der Gefahr zurück; nur einer von denen, die in den Kohorten dienten, ein geborener Syrer Namens Sabinus, bewies sich als tapferer und unerschrockener Krieger, obwohl man ihn, wenn man ihn nur so ansah, seinem Äusseren nach kaum für einen rechten Soldaten hatte halten sollen. Er war nämlich schwarz von Hautfarbe, dabei hager und sehnig; aber in dem schmächtigen, für die Fülle seiner Kraft viel zu winzigen Körper wohnte eine echte Heldenseele. Dieser Mann also erhob sich vor allen anderen und sprach: „Willig opfere ich mich dir, Caesar, und der erste will ich sein, der die Mauer ersteigt; nur wünsche ich mir zu meinem Mut und guten Willen noch dein Glück hinzu. Sollte es mir aber nicht vergönnt sein, meinen Anschlag durchzuführen, so wisse, dass der Misserfolg mir nicht unerwartet kam, sondern dass ich
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aus freiem Entschluss den Tod für dich gewählt habe." Als er so gesprochen, hielt er mit der Linken den Schild über seinen Kopf, zog mit der Rechten das Schwert und ging - etwa um die sechste Stunde des Tages - auf die Mauer zu. Von den übrigen folgten ihm nur elf Mann, die es ihm an Tapferkeit gleichthun wollten; er aber stürmte, wie von einer höheren Macht getrieben, allen voran. Die Posten auf der Mauer warfen mit Speeren nach ihnen, überschütteten sie auf allen Seiten mit einem Hagel von Geschossen und wälzten ungeheure Steinblöcke auf sie herab, welche einige von den elfen mit fortrissen. Sabinus jedoch warf sich mutig den Geschossen entgegen, und obwohl er unter dem Pfeilregen fast verschwand, hielt er nicht eher ein, als bis er oben auf der Mauer angelangt war und die Feinde vertrieben hatte. Die Juden nämlich wandten sich voll Schrecken über seine Kraft und Geistesgegenwart zur Flucht; auch glaubten sie nicht anders, als dass noch mehrere mit ihm die Höhe erklommen hatten. Aber hier war wieder ein Fall, wo man dem Schicksal grollen mochte, weil es so neidisch ist auf die Tapferkeit und ausserordentliche Heldenthaten stets zu vereiteln sucht. Denn als dieser wackere Mann sein Unternehmen zu Ende geführt hatte, glitt er aus, strauchelte über einen Stein und fiel vornüber mit hörbarem Geräusch auf denselben hin. Die Juden machten nun wieder kehrt, und da sie ihn verlassen am Boden liegen sahen, setzten sie ihm von allen Seiten mit Geschossen zu. Er aber stemmte sich aufs Knie und verteidigte sich noch eine Zeitlang mit vorgehaltenem Schild, wobei er mehreren von denen, die ihm nahe kamen, Hiebe beibrachte; endlich jedoch liess er, über und über mit Wunden bedeckt, die Rechte sinken und gab, unter Pfeilen fast vergraben, den Geist auf. Um seiner Tapferkeit willen hatte man dem Braven wohl ein besseres Los wünschen können; freilich war sein Beginnen derart, dass er dabei fallen musste. Von den elfen töteten die Juden noch drei, die gleichfalls bereits
Seite 564 die Höhe erstiegen hatten, durch Steinwürfe, während die übrigen acht, allerdings verwundet, geborgen und ins Lager geschafft werden konnten. Das geschah am dritten des Monats Panemos. 7. Zwei Tage nachher thaten sich einige der auf den Dämmen postierten Wachmannschaften, zwanzig an der Zahl, zusammen und rückten, nachdem sie zuvor auch noch den Adlerträger der fünften Legion, zwei Mann aus den Reiterschwadronen und einen Trompeter für ihr Unternehmen gewonnen, um die neunte Stunde der Nacht in aller Stille über die Trümmer auf die Antonia los, töteten die vordersten Posten, welche im Schlafe lagen, besetzten die Mauer und liessen den Trompeter das Signal blasen. Daraufhin erhoben sich sogleich die übrigen Wachtposten und flohen davon, ohne sich nach der Zahl der Angreifer umzusehen; denn der Schreck und das Trompetensignal hatten in ihnen den Wahn erregt, die Feinde seien in Masse heraufgeklettert. Der Caesar hatte nicht sobald das Signal vernommen, als er das Heer in Eile sich waffnen liess und mit den Offizieren an der Spitze einer auserlesenen Schar zuerst die Burg hinanstieg. Da nun die Juden sich in den Tempel zurückzogen, drangen die Römer ebenfalls ein, und zwar durch den unterirdischen Gang, den Joannes gegen die Wälle der Römer geführt hatte. Die Empörer aber wehrten sich, obwohl sie in zwei feindliche Parteien unter Joannes und Simon gespalten waren, dennoch gegen die Römer gemeinschaftlich mit einem Aufwand von Kraft und Mut, der nicht grösser hatte sein können; denn sie sahen wohl ein, dass mit der Besetzung des Heiligtums durch die Römer das Schicksal der Stadt besiegelt sein würde, wie umgekehrt die Römer darin den Anfang ihres Sieges erblickten. So entspann sich denn an den Thoren ein harter Kampf, indem die Römer sich den Eingang zu erzwingen und damit den Tempel in Besitz zu nehmen, die Juden hingegen die Römer in die Antonia hineinzudringen suchten. Von Schusswaffen und Wurfspeeren konnte man beiderseits
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keinen Gebrauch machen; vielmehr musste Mann gegen Mann mit dem Schwert kämpfen. Bald war auch in der Hitze des Gefechtes nicht mehr zu unterscheiden, auf welcher Seite der einzelne stritt, da die Krieger eine einzige wirre Masse bildeten, im Gedränge sich gegeneinander verschoben und den Zuruf ihrer Kameraden wegen des allgemeinen Getöses nicht verstehen konnten. Hüben wie drüben floss viel Blut, und die Kämpfenden zertraten ihren Gefallenen Glieder und Rüstungen. Je nachdem nun die Wagschale bei einem der streitenden Teile stieg oder sank, erscholl das aufmunternde Geschrei der im Vorteil Befindlichen oder das Klagegeheul der Weichenden. Übrigens war weder Raum zur Flucht noch zur Verfolgung da, und so wogte der Kampf unter steigender Verwirrung unentschieden hin und her. Wer ganz nach vorn geschoben wurde, musste entweder töten oder sich töten lassen, da an Flucht nicht zu denken war; denn die Nachrückenden drängten ihre eigenen Leute immer weiter vorwärts und liessen nicht den kleinsten Zwischenraum zwischen den Streitenden. Endlich gewann der wilde Mut der Juden über die kriegskundigen Römer die Oberhand, und der Kampf neigte sich auf allen Punkten dem Ende zu, nachdem er von der neunten Stunde der Nacht bis zur siebenten des Tages 1 gedauert hatte. Auf seiten der Juden war die ganze Streitmacht, die im Hinblick auf die drohende Eroberung der Stadt sich zur grössten Tapferkeit angespornt fühlte, im Gefecht gewesen, bei den Römern aber nur ein Teil des Heeres, da die Legionen, auf welche die Kämpfenden ihre Hoffnung setzten, die Burg noch nicht erstiegen hatten. Aus diesem Grunde begnügten sich auch die Römer vorläufig mit der Besetzung der Antonia. 8. Als nun der Centurio Julianus, ein Bithynier von nicht unedler Abkunft und, was Kriegserfahrung, Körperstärke und Geistesgegenwart betraf, der ausgezeichnetste
1 D. i. von 3 Uhr nachts bis 1 Uhr nachmittags.
Seite 566 Mann, den ich in jenem Kriege kennen lernte, die Römer weichen und sich nur noch schwach verteidigen sah, sprang er von der Antonia her, wo er an Titus Seite stand, vor und trieb die schon siegreichen Juden in eine Ecke des inneren Tempelhofes zurück. Die ganze Masse der Feinde floh vor ihm, da seine Stärke und Kühnheit ihnen übermenschlich vorkam. Er aber fuhr mitten unter den Zersprengten von einer Seite zur anderen und stiess nieder, was ihm in die Quere kam - ein Anblick ebenso erstaunlich für den Caesar wie schaudererregend für die übrigen. Doch auch ihn verfolgte das Schicksal, dem kein Sterblicher entrinnen kann. Gleich den übrigen Soldaten trug er Schuhe, die mit scharfen Nägeln dicht beschlagen waren 1; indem er nun über das Pflaster dahinrannte, glitt er aus und fiel rücklings nieder. Das laute Klirren seiner Rüstung gab den Fliehenden das Zeichen zur Umkehr. Sogleich erhoben die Römer auf der Antonia aus Besorgnis für den Mann ein lautes Geschrei; die Juden aber umringten ihn in dichten Haufen und stiessen von allen Seiten mit Speeren und Schwertern auf ihn los. Manchen Stoss fing er mit dem Schilde auf und versuchte zu wiederholten Malen, sich zu erheben; aber immer wieder wurde er von der Überzahl der auf ihn Einhauenden zu Boden geschlagen. Doch selbst als er dalag, verwundete er noch viele seiner Gegner mit dem Schwert. Es währte nämlich geraume Zeit, bis er getötet wurde, weil er den Nacken einzog und alle tödlich verwundbaren Stellen durch Helm und Panzer gedeckt waren; erst als man ihm die Glieder abgehauen hatte und niemand ihm Hilfe zu bringen wagte, erlag er. Inniges Mitgefühl empfand der Caesar, als er diesen heldenmutigen Mann vor den Augen so vieler Krieger niedermachen sah. Er selbst wäre ihm gern beigesprungen, doch die Örtlich-
1 S. die Abbildung eines solchen Schuhes bei Lindenschmit: Tracht und Bewaffnung des römischen Heeres während der Kaiserzeit, Tafel XII.
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keit machte es ihm unmöglich; die aber, welche es hätten thun sollen, lähmte der Schreck. Endlich wurde Julianus, der fast allen seinen Mördern Wunden beigebracht hatte, nach hartem Todeskampf mit Mühe vollends umgebracht und hinterliess nicht nur bei den Römern und dem Caesar, sondern auch bei seinen Feinden ein ruhmreiches Andenken. Die letzteren rissen nun den Leichnam an sich, schlugen die Römer abermals zurück und beschränkten sie auf die Antonia. Es hatten sich auf seiten der Juden in diesem Gefecht besonders hervorgethan: Alexas und Gyphthaeus von der Schar des Joannes; von der des Simon: Malachias, Judas, des Merton Sohn, und Jakobus, des Sosas Sohn, der Anführer der Idumäer; von den Zeloten endlich zwei Brüder Simon und Judas, die Söhne des Ari.
1. Der Caesar gab nun seinen Soldaten Befehl, die Grundmauern der Antonia zu zerstören, um dem ganzen Heere den Zugang zum Tempel zu erleichtern. Da er übrigens an diesem Tage - es war der siebzehnte des Monats Panemos - erfahren hatte, dass das Opfer, welches tagtäglich der Gottheit dargebracht wurde, 1 aus Mangel an Männern zum grossen Leidwesen des Volkes eingestellt worden sei, beschied er den Josephus zu sich und trug ihm auf, dem Joannes ähnlich wie früher vorzustellen, er möge, wenn gar so schlimme Kampflust ihn beseele, mit einer beliebigen Anzahl Streiter hervortreten, ohne die Stadt und den Tempel mit sich ins Verderben zu reissen, und endlich aufhören, das Heiligtum zu beflecken und gegen Gott zu freveln. Es solle ihm
1 S. J. A. III, 10, 1; 2. Mos. 29, 38-42.
Seite 568 indes freistehen, den unterbrochenen Opferdienst durch irgendwelche Juden, die er dazu bestimmen möge, wieder aufnehmen zu lassen. Josephus stellte sich so auf, dass er nicht von Joannes allein, sondern auch von der Menge gehört werden konnte, verkündete das, was Titus ihm aufgetragen, in hebraischer Sprache und fügte noch die inständige Bitte hinzu, sie möchten doch die Vaterstadt schonen, das Feuer, das gleichsam den Tempel schon belecke, abwehren und Gott die täglichen Opfer wieder darbringen. Diese Worte nahm das Volk mit trauervollem Schweigen entgegen; der Tyrann aber überhäufte Josephus mit Schmähungen und Flüchen und erklärte schliesslich, er fürchte die Eroberung nie und nimmer, denn die Stadt stehe unter Gottes Schutz. Als Antwort rief ihm Josephus mit lauter Stimme zu: „Freilich, du hast ja diese Stadt der Gottheit rein bewahrt, und das Heiligtum ist immer noch unbefleckt; gegen den, auf dessen Beistand du pochst, hast du natürlich nicht das mindeste verbrochen, und er empfängt von dir die hergebrachten Opferspenden! Wenn jemand dir, ruchloser Mensch, dein tägliches Brot wegnimmt, so siehst du in ihm deinen Feind; und nun wähnst du an dem Gott, dem du seinen uralten Dienst geraubt, einen Bundesgenossen im Kampfe zu haben, und willst deine Frevel den Römern zur Last legen, die noch heute unsere Gesetze achten und darauf dringen, dass die von dir abgeschafften Opfer der Gottheit wieder dargebracht werden? Wer sollte da nicht über die unnatürliche Veränderung, die sich in der Stadt vollzogen hat, jammern und wehklagen? Freunde und Feinde suchen wieder gut zu machen, was du gegen Gott gefrevelt, während du selber, ein Jude, der unter dem Gesetz aufgewachsen ist, schlimmer gegen das Gesetz wütest, als ein Feind dies vermöchte. Aber auch noch im letzten Augenblick von seinem sündhaften Wandel sich bekehren, ist keine Schande, Joannes, und zu dem Entschluss, die Stadt zu retten, sollte dich das schöne Beispiel unseres Königs Jechonias reizen, der seinerzeit, als der Babylonier gegen
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ihn mit Heeresmacht heranzog, freiwillig die Stadt verliess und sich mit seiner Familie in selbstgewählte Kriegsgefangenschaft begab,1 um nicht diese ehrwürdige Stätte den Feinden überantworten und das Gotteshaus einäschern lassen zu müssen. Darum wird er auch bei allen Juden in einem heiligen Liede gefeiert, und sein Gedächtnis, von Jahrhundert zu Jahrhundert sich erneuernd, bleibt unsterblich bis auf die spätesten Geschlechter. Ein herrliches Vorbild fürwahr, Joannes, selbst wenn Gefahr mit dessen Nachahmung verbunden sein sollte! Nun verbürge ich dir aber auch noch Begnadigung von seiten der Römer. Bedenke, dass ich als Landsmann zu dir rede und als Jude dir diese Zusicherung gebe, und du musst darauf achten, von wem und in welchem Sinne dir ein Rat erteilt wird! Traun, ich werde nie in meinem Leben so ganz Kriegsgefangener sein, dass ich mein Volk verleugnete und mein Vaterland vergässe! ...... Schon wieder aber tobst du gegen mich und überhäufst mich mit deinen Schmähungen! Nein, ich verdiene noch Härteres, weil ich dem Schicksal zum Trotz noch mit Ermahnungen komme und Menschen, die von Gott verworfen sind, mit Gewalt retten will! Wer kennt nicht die Schriften der alten Propheten und den Orakelspruch wider diese unglückliche Stadt, dessen Erfüllung jetzt bevorsteht? Dann, weissagten sie, werde Jerusalem zu Grunde gehen, wenn jemand anfange, das Blut seiner Volksgenossen zu vergiessen. Ist nun nicht die Stadt und der ganze Tempel voll von Leichen derer, die ihr ermordet habt? Gott also, Gott selbst führt mit den Römern das Feuer heran, das den Tempel läutern soll, und vertilgt die mit so schändlichen Greueln belastete Stadt!" 2. So sprach Josephus unter Weinen und Wehklagen und vermochte endlich vor Schluchzen nicht weiter zu reden. Die Römer hatten Mitleid mit seinem Schmerz
1 S. J. A. X, 7, 1; 2. Könige 24, 12.
Seite 570 und achteten seinen guten Willen; Joannes und seine Spiessgesellen aber zeigten sich nur um so erbitterter gegen die Römer und brannten vor Verlangen, sich der Person des Josephus zu bemächtigen. Viele vornehme Juden jedoch wurden durch seine Rede gerührt, und während einige von ihnen, obwohl sie nun ihr eigenes Verderben wie das der Stadt vor Augen sahen, an Ort und Stelle blieben, erspähten andere eine günstige Gelegenheit zu gefahrloser Flucht und gingen zu den Römern über. Unter den letzteren befanden sich die Hohepriester Josephus und Jesus, deren Vater gleichfalls diesem Stande angehörten, ferner drei Söhne eines gewissen Ismael, der zu Kyrene enthauptet worden war, vier Söhne von Matthias und ein Sohn jenes anderen Matthias, der, nachdem sein Vater und seine drei Brüder von Simon, dem Sohne des Gioras, ermordet worden waren, allein, wie oben erzählt, mit dem Leben davongekommen war. Zugleich mit den Hohepriestern flohen auch noch viele andere Vornehmen zu den Römern. Der Caesar nahm sie nicht nur von vornherein freundlich auf, sondern liess sie sogar, weil er wusste, dass sie sich unter einem Volk von fremden Sitten nicht behaglich fühlen würden, nach Gophna ziehen, wo sie vorläufig bleiben sollten; sobald der Krieg ihn weniger in Anspruch nahme, wolle er einem jeden 1 ein Vermögen zurückerstatten. Wohlgemut und in aller Sicherheit begaben sie sich in das ihnen angewiesene Städtchen. Da sie aber nun nicht mehr zu sehen waren, streuten die Empörer - natürlich in der Absicht, die übrigen von der Flucht abzuschrecken - abermals das Gerücht aus, die Überläufer seien von den Feinden niedergemacht worden. Eine Zeitlang war denn auch diese List, wie bereits früher, 2 von Erfolg begleitet, da die Leute in der That durch Furcht sich abhalten liessen, zu den Römern überzugehen.
1. V, 13, 1.
2. V, 11, 2.
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8. Später aber, als Titus die Männer aus Gophna zurückkommen und in Begleitung des Josephus vor den Augen des Volkes rings um die Mauer gehen liess, flohen die Juden abermals in Menge zu den Römern. Zu einer grossen Schar vereinigt, stellten sie sich nun alle vor der römischen Linie auf und flehten unter Seufzern und Tränen die Empörer an, sie mochten die ganze Stadt den Römern öffnen und ihr Vaterland noch einmal retten, oder doch wenigstens den Tempel gänzlich räumen und ihn dem Volke erhalten; denn nur im.äussersten Notfall würden die Römer es wagen, das I-eiligtum in Brand zu stecken. Das aber versetzte die Empörer in noch grössere Wut: sie erwiderten die Vorstellungen der Überläufer mit groben Schmähungen und pflanzten über den heiligen Thoren die Skorpionen, Katapulten und Ballisten auf, sodass der Tempel selbst wie eine Festung aussah, während die geweihten Raume, <die ihn umgaben, wegen der Menge der daselbst aufgehäuften Leichen einem Totenacker glichen. Im Heiligtum wie im Allerheiligsten trieben sie sich, die Hände noch dampfend vom Blut ihrer ermordeten Mitbürger, bewaffnet umher und begingen derartige Greuelthaten, dass die Römer einen gewaltigen Abscheu vor den Juden empfanden, die so gegen ihre eigenen Heiligtümer frevelten - einen Abscheu, wie ihn die Juden nicht stärker hatten hegen können, wenn die Römer mit gleicher Brutalitat gegen sie selbst vorgegangen waren. Denn nicht einmal unter den gemeinen Soldaten fand sich einer, der nicht mit Ehrfurcht und heiligem Schauer und mit dem Wunsche, dass die Räuber vor dem Eintritt unheilbaren Unglücks noch anderen Sinnes werden mochten, zum Tempel emporgeblickt hatte. 4. Im überwällenden Drange seines Gefühls rief nun der Caesar nochmals der Rotte des Joannes die vorwurfsvollen Worte zu: „Habt nicht ihr, verruchte Frevler, jenes Gitter um das Heiligtum gezogen? Habt nicht ihr an demselben jene Säulen errichtet, auf denen in griechischer und römischer Sprache das Verbot, die
Seite 572 Schranke zu überschreiten, eingegraben steht? Und haben nicht wir euch gestattet, den Übertreter dieser Vorschrift, selbst wenn es ein Römer war, mit dem Tode zu bestrafen? Jetzt aber tretet ihr Bösewichte in jenen Räumen auf Leichen herum und besudelt den Tempel mit dem Blute von Fremden wie von Einheimischen! Ich rufe die Götter meines Landes und den, der früher einmal auf diese Stadt gnädig herabsah (denn jetzt, glaube ich, thut ers nimmer), ich rufe mein Heer, die bei mir weilenden Juden und euch selbst zu Zeugen auf, dass ich euch nicht zwang, diese Stätte zu entweihen; und wenn ihr einen anderen Kampfplatz wählen wollt, so wird kein Römer das Heiligtum betreten oder schinden. Den Tempel erhalte ich euch selbst gegen euren Willen." 5. Als Josephus ihnen dies aus dem Munde des Caesars verkündete, trugen die Räuber und der Tyrann in dem Wahn, dass nicht Wohlwollen, sondern Feigheit die Worte eingegeben habe, übermütigen Hohn zur Schau. Da erkannte Titus, dass diese Menschen weder Mitleid mit sich selbst fühlten noch irgendwelche Sorge um den Tempel hegten, und ging demgemäss, wiewohl ungern, wieder zu kriegerischen Massregeln über. Ihnen mit der ganzen Streitmacht zu Leibe zu rücken, war freilich, weil der Tempelraum dieselbe nicht fassen konnte, unmöglich; er wählte daher aus jeder Centurie die dreissig tapfersten Soldaten aus, wies je tausend einem Tribun zu, unterstellte diese wieder dem Oberkommando des Cerealis und gab Befehl, um die neunte Stunde der Nacht die Wachen zu überfallen. Auch er selbst warf sich in die Rüstung, entschlossen, den Kampf mitzumachen; seine Freunde aber suchten, unterstützt von den Offizieren, ihn unter Hinweis auf die Grösse der Gefahr zurückzuhalten. Er werde der Sache mehr nutzen, meinten sie, wenn er ruhig auf der Antonia bleibe und den Soldaten gegenüber das Amt des Kampfrichters versehe, als wenn er hinabsteige und im Schlachtgetümmel voranschreite; unter den Augen ihres
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Feldherrn würden ja alle sich als wackere Streiter erweisen. Diesen Vorstellungen gab Titus nach und erklärte den Soldaten, nur darum wolle er zurückbleiben, damit er ihr Verhalten beurteilen könne, und damit kein Tapferer mit Belohnungen, kein Feiger mit Strafen übergangen werde; denn er, der die Macht habe, zu strafen und zu belohnen, müsse sich selbst davon überzeugen, wie sie die Sache angreifen würden. So entliess er denn um die angegebene Stunde die zur Ausführung des Anschlages bestimmte Mannschaft und begab sich selbst auf die Warte der Antonia, wo er der Entwicklung des Kampfes mit Spannung entgegensah. 6. Die Wachen lagen übrigens nicht, wie die Angreifer gehofft hatten, im Schlafe, sondern sprangen mit lautem Geschrei auf und begannen unverzüglich das Handgemenge. Auf den Hilferuf der Vorposten stürzten dann auch die übrigen in dichten Haufen aus dem Innern hervor. Den Anprall der ersten hielten die Römer aus; die nachfolgenden Juden aber warfen sich auf ihre eigenen Leute, und viele wurden von ihren Kameraden als Feinde behandelt. Am Schlachtruf einander zu erkennen, war wegen des beiderseitigen verworrenen Geschreis nicht möglich, und den Gebrauch der Augen verhinderte die Nacht, abgesehen davon, dass die einen ihre Wut, andere die Furcht blind machte. Deshalb hieb man ohne weiteres drauf los, mochte es treffen, wen es wollte. Die Römer, welche ihre Schilde dicht aneinander schlossen und in geordneten Abteilungen vorgingen, litten durch diese Verwirrung weniger; denn jeder von ihnen kannte sein Losungswort. Die Juden aber, die sich immer wieder zerstreuten und planlos bald vordrangen, bald zurückwichen, hielten sich nicht selten gegenseitig für Feinde, und mancher empfing in der Dunkelheit den fliehenden Freund wie einen angreifenden Römer. Auf diese Weise wurden mehr Juden von ihren eigenen Landsleuten wie von den Feinden verwundet, bis endlich der Tag graute und die
Seite 574. Kämpfer einander zu erkennen vermochten: Da erst schieden sie sich in Gefechtskolonnen, und Angriff wie Verteidigung erfolgte nach den Regeln der Taktik. Auf beiden Seiten ward nun mit gleicher Ausdauer und Zähigkeit gestritten: bei den Römern, die sich von Titus beobachtet wussten, wetteiferte Mann mit Mann, Abteilung mit Abteilung, und jeder hoffte, dieser Tag werde ihm, wenn er tapfer kämpfe, eine Beförderung bringen; die Juden anderseits fühlten sich nicht nur durch die Sorge um ihr eigenes Leben und das Heiligtum, sondern auch durch die Gegenwart des Tyrannen aufgestachelt, der sie bald durch Zuspruch, bald durch Geisselhiebe und Drohungen anfeuerte. So kam es, dass der Kampf fast auf ein und denselben Punkt beschränkt blieb und nur selten auf kleinere Strecken sich verschob; denn keiner der streitenden Teile hatte Raum zur Flucht oder zur Verfolgung. Bei jeder Wendung des Gefechtes erscholl der lärmende Zuruf der Römer auf der Antonia, die ihren Kameraden zujubelten, wenn sie im Vorteil waren, oder auch sie ermunterten, standzuhalten, wenn sie sich wandten. Es war wie ein Schaugefecht; denn kein Zwischenfall des Kampfes entging dem Caesar und seiner Umgebung. Endlich trennten sich die Streitenden, die den Kampf in der neunten Stunde der Nacht begonnen hatten, nach der fünften des Tages; keiner der beiden Teile hatte den anderen zum Weichen gebracht, und so blieb der Ausgang des Treffens zweifelhaft. Von den Römern hatten sich viele im Kampf hervorgethan; auf seiten der Juden von der Schar Simons: Judas, des Merton, und Simon, des Josias Sohn, von den Idumäern: Jakobus, des Sosas, und Simon, des Kathlas Sohn, von den Leuten des Joannes: Gyphthaeus und Alexas, von den Zeloten Simon, der Sohn des Ari. 7. Unterdessen hatte der übrige Teil des Römerheeres nach siebentägiger Arbeit die Grundmauern der Antonia zerstört und einen breiten Weg zum Tempel hinauf ge-
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ebnet. Auf diese Weise der ersten Ringmauer nahe gekommen, begannen die Legionen Wälle zu bauen, einen gegenüber der nordwestlichen Ecke des inneren Vorhofes, den zweiten in der Nähe der nördlichen Galerie zwischen den beiden Thoren, den dritten an der westlichen Halle des äusseren Vorhofes, den vierten aussen bei der nördlichen Halle. Der Bau dieser Werke war jedoch mit grosser Mühe und vielen Schwierigkeiten verknüpft, und dabei mussten sie noch das Baumaterial aus einer Entfernung bis zu hundert Stadien herbeischaffen. Zuweilen litten auch die Römer, wenn sie in dem Gefühl ihrer tGberlegenheit die nötige Vorsicht vergassen, durch feindliche Hinterhalte, während anderseits die Juden immer tollkühner sich benahmen. Manche Reiter zum Beispiel liessen, wenn sie auszogen, um Holz oder Futter zu holen, so lange sie damit beschäftigt waren, ihre Pferde losgezäumt weiden, welche dann von den scharenweise hervorbrechenden Juden abgefangen wurden. Da der Fall sich öfter wiederholte, glaubte der Caesar, dass, wie es auch wirklich zutraf, mehr die Nachlässigkeit seiner eigenen Krieger als die Tapferkeit der Juden an diesen Verlusten schuld sei, und beschloss daher, durch strenges Einschreiten die Leute zu besserer Bewachung ihrer Pferde anzuhalten. Als nun wieder einer der Soldaten so beraubt worden war, liess er ihn hinrichten und bewirkte durch dieses abschreckende Beispiel, dass die übrigen ihre Pferde in Obacht nahmen: sie liessen sie von da an nicht mehr frei weiden, sondern ritten zu jenen Verrichtungen aus, als wären sie mit den Tieren fest verwachsen. In der oben erwähnten Weise belagerten also die Legionen den Tempel durch Aufwerfen von Wällen. 8. Einen Tag nach der Besetzung der Antonia durch die Römer rotteten sich die Empörer, vom Hunger gedrängt, den sie mit dem Ertrag ihrer Räubereien nicllt mehr zu stillen vermochten, in Masse zusammen und machten um die elfte Stunde des Tages einen Ausfall auf die römische Vorpostenkette am Ölberg. Sie ge-
Seite 576 dachten dieselbe mit leichter Mühe zu durchbrechen da sie die Soldaten unvorbereitet und mit der Pflege ihres Körpers beschäftigt anzutreffen wähnten. Die Römer aber hatten ihre Annäherung rechtzeitig bemerkt und liefen von den nahen Posten schnell zusammen, um ihnen das Übersteigen des Walles und den gewaltsamen Durchbruch zu verwehren. Es entspann sich nun ein hitziges Gefecht, in welchem beiderseits manche kühne That vollbracht wurde: die Römer suchten ihre Kraft und Geschicklichkeit, die Juden ihr wildes Ungestüm und ihre schrankenlose Wut zur Geltung zu bringen. Jene stachelte das Ehrgefühl, diese die Not. Diesmal die Juden, die schon wie in einem Netz gefangen sassen, entschlüpfen zu lassen, dünkte den Römern die grösste Schande; die Juden hingegen hatten nur dann Aussicht auf Rettung, wenn sie die Ringmauer mit Gewalt durchbrachen. Bei dieser Gelegenheit zeichnete sich besonders ein Reiter Namens Pedanius aus. Als nämlich die Juden sich schon zur Flucht wandten und in das Thal hinabgedrängt wurden, sprengte derselbe in scharfem Galopp von der Seite herbei, fasste einen der fliehenden Feinde, einen kräftig gebauten und gut bewaffneten Jüngling, an der Ferse und jagte mit ihm davon so tief hatte er sich von seinem in vollem Lauf befindlichen Pferde herabgebeugt und damit nicht nur die gewaltige Kraft seiner Arme und seines übrigen Körpers, sondern auch seine hohe Gewandtheit im Reiten bekundet. Wie wenn er ein Kleinod geraubt hätte, brachte er den Gefangenen zum Caesar. Dieser zollte der Kraft des Mannes, der das Kunststück fertig gebracht hatte, seine Bewunderung; den Jüngling aber liess er wegen seiner Teilnahme an dem Angriff auf die Mauer hinrichten. Alsdann wandte er seine Aufmerksamkeit wieder den Kämpfen um den Tempel und dem Bau der Wälle zu. 9. Da nun die Juden in den Gefechten fortgesetzt schwere Verluste erlitten, und da die immer höher steigende Kriegsnot bereits an die Thore des Tempels
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pochte, schnitten die Belagerten, wie man bei einem brandigen Körper zu thun pflegt, die schon angesteckten Glieder ab, um die Ausbreitung der Krankheit zu verhüten - das heisst, sie zündeten die nordwestliche Tempelhalle an der Stelle, wo sie mit der Antonia zusammenhing, an und rissen sie noch auf eine weitere Strecke von zwanzig Ellen ein. Die Juden waren es also, die zuerst mit eigenen Händen den Feuerbrand an die heiligen Gebäude legten. Zwei Tage nachher, am vierundzwanzigsten des obengenannten Monats, äscherten die Römer die daneben befindliche Halle ein, und als die Flammen bereits fünfzehn Ellen weit um sich gegriffen hatten, deckten die Juden das Dach ab und zerstörten, ohne dem Feuer irgendwie Einhalt zu thun, alles, was zwischen ihnen und der Antonia lag, wiewohl sie die Einäscherung hätten verhindern können. Ruhig sahen sie dem Feuer zu und liessen es seine Verheerungen anrichten, soweit dies für sie von Nutzen war. Mittlerweile hörten übrigens die Gefechte in der Nähe des Tempels nicht auf, sondern es fanden dort beständig Scharmützel zwischen kleineren Abteilungen statt. 10. In diesen Tagen trat aus der Mitte der Juden ein Mann Namens Jonathas, klein von Gestalt und unansehnlich, seiner Herkunft und auch seinen übrigen Verhältnissen nach unbedeutend, bei dem Grabmal des Hohepriesters Joannes hervor, erging sich in übermütigen Reden gegen die Römer und forderte den Tapfersten von ihnen zum Zweikampf heraus. Die meisten der dort aufgestellten Soldaten hielten ihn nicht der Beachtung wert; manche fürchten sich auch wohl vor ihm; anderen kam der vernünftige Gedanke, mit einem, der den Tod suche, dürfe man sich in keinen Kampf einlassen, weil Verzweifelnde masslos ungestüm seien und vor der Gottheit keine Ehrfurcht mehr hätten. Dann aber verrate es auch weniger Mut als Tollkühnheit, sein Leben im Kampfe mit Menschen zu wagen, deren Besiegung keinen Ruhm einbringe und
Seite 578 von denen besiegt zu werden. nicht bloss schimpflich, sondern auch gefährlich sei. Geraume Zeit hindurch trat niemand hervor; als aber der Jude, ein grosser Prahlhans und Römerfresser, seinen Gegnern in scharfen Spottreden Feigheit vorwarf, sprang einer aus den Reiterschwadronen mit Namen Pedanius, empört über sein Geschwätz undl seine Anmassung, vielleicht auch in unbesonnener Geringschätzung des Knirpses, auf ihn ein. Bei dem nun folgenden Zweikampf liess den Pedanius, obwohl er im allgemeinen dem Juden überlegen war, sein Glück im Stich, sodass er zu Boden fiel. Jonathas sprang herzu und tötete ihn; dann trat er auf den Leichnam, schwenkte mit der Rechten das blutige Schwert, mit der Linken den Schild, und verhöhnte, indem er dem, Heere gegenüber frohlockte und mit dem Fall des Kriegers prahlte, die zuschauenden Römer, bis ihn mitten in seinem Tanzen und thörichten Prahlen der Centurio Priscus mit einem Pfeil durchbohrte. Daraufhin erhoben die Juden wie die Römer, freilich aus verschiedenen Beweggründen, ein lautes Geschrei; Jonathas aber sank, indem, er sich vor Schmerzen krümmte, auf den Leichnam seines Gegners hin - ein deutlicher Beweis, wie schnell im Kriege dem unverdienten Glück die Demütigung auf dem Fusse folgt.
1. Mittlerweile fuhren die Empörer nicht nur mit der offenen Bekämpfung der auf den Wällen aufgestellten Mannschaften fort, sondern setzten auch wieder einmal, und zwar am siebenundzwanzigsten des genannten Monats, eine Kriegslist ins Werk. Sie füllten nämlich die Zwischenräume zwischen dem Gebälk und
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dem Dache der westlichen Halle mit trockenem Holz, Erdharz und Pech und zogen sich dann, scheinbar ermattet, zurück. Eine Anzahl Römer setzten nun unvorsichtigerweise in ihrem Eifer den Weichenden nach und erkletterten mit Hilfe von Leitern die Halle; die besonneneren dagegen, denen der unvermutete Abzug der Juden verdächtig vorkam, blieben zurück. Kaum aber war die Halle mit den eindringenden Römern gefüllt, als die Juden sie der ganzen Ausdehnung nach in Brand steckten. Plötzlich loderten nun an allen Seiten die Flammen empor und versetzten die ausser Gefahr befindlichen Römer in Schrecken, die vom Brande überraschten aber in helle Verzweiflung. Rings von Feuer umgeben, stürzten sich die letzteren teils in die hinter ihnen liegende Stadt, teils mitten in den Schwarm der Feinde hinab; viele auch versuchten sich durch einen kühnen Sprung zu den Ihrigen zu retten, brachen aber die Glieder. Den meisten schnitten so die Flammen jeden Ausweg zur Flucht ab, und wenn manche dem Feuer dadurch zuvorkamen, dass sie sich selbst entleibten, so fielen doch schliesslich auch die, welche bereits eines anderen Todes gestorben waren, dem alles verzehrenden Brande zum Opfer. So aufgebracht nun der Caesar über die Unglücklichen war, da sie ohne Befehl die Hallen erstiegen hatten, so fühlte er doch auch wieder Mitleid mit ihnen, zumal da niemand ihnen beizuspringen vermochte. Immerhin war es für die dem Verderben Geweihten ein Trost, dass sie den Schmerz dessen sahen, für den sie ihr Leben dahingaben; denn sie konnten deutlich wahrnehmen, wie er sich zu nähern versuchte, ihnen zurief und seine Umgebung aufforderte, nach Kräften Hilfe zu leisten. Diese Zurufe des Feldherrn und seine wehmütige Stimmung nahm jeder wie eine glänzende Bestattung auf und ging so mit Freuden in den Tod. Einigen wenigen gelang es übrigens, dem Feuer dadurch zu entgehen, dass sie sich auf die breite Wandmauer der Halle zurückzogen; hier aber wurden nie von den Juden umzingelt und, nachdem sie längere
Seite 580 Zeit kräftigen Widerstand geleistet hatten, endlich allesamt niedergemacht. 2. Der letzte, welcher fiel, war ein junger Mann Namens Longus, dessen That einen verklärenden Schimmer über diesen schaurigen Vorfall ausbreitet; und wenn auch alle Umgekommenen sich eines ruhmvollen Andenkens würdig erwiesen, so benahm doch er sich offenbar am tapfersten. Die Juden nämlich hatten ihn, teils weil seine Körperstärke ihnen Bewunderung einflösste, teils weil sie anders ihn nicht ums Leben bringen konnten, aufgefordert, herabzusteigen und sich ihnen zu ergeben, während auf der anderen Seite sein Bruder Cornelius ihn beschwor, ihrer Soldatenehre und den römischen Waffen doch eine solche Schmach nicht anzuthun. Dieser Bitte gab er nach, holte im Angesicht beider Heere mit dem Schwerte aus und versetzte sich selbst den Todesstoss. Ein anderer aus der vom Feuer umringten Römerschar, Sertorius mit Namen, rettete sich durch eine List. Er rief nämlich seinem Zeltkameraden Lucius mit lauter Stimme zu: „Ich setze dich zum Erben meines Vermögens ein, wenn du näher kommst und mich auffängst!" Lucius lief bereitwillig herzu, und während der, welcher auf ihn herabsprang, mit dem Leben davonkam, ward Lucius selbst so heftig gegen das Steinpflaster geschmettert, dass er auf der Stelle tot blieb. Der ganze Vorfall nahm den Römern zwar für den Augenblick allen Mut, machte sie aber zugleich für die Zukunft vorsichtiger, indem er sie die hinterlistigen Anschläge der Juden vereiteln lehrte, durch welche sie bisher - hauptsächlich weil sie die Örtlichkeit und den Charakter ihrer Gegner nicht genau kannten - so manche Schlappe erlitten hatten. Die Halle brannte übrigens bis zu dem Turm nieder, den Joannes im Kampfe gegen Simon über den aus dem Xystos herausführenden Thoren erbaut und nach sich selbst benannt hatte. Was noch stand, rissen die Juden vollends ein, die Leichen der gefallenen Römer mit den Trümmern deckend. Tags darauf liessen die Römer auch die ganze
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nördliche Halle bis zur östlichen in Flammen aufgehen also bis zu der Stelle, wo die beiden Hallen hoch über dem Kedronthal einen Winkel miteinander bildeten. So sah es damals in der Umgebung des Tempels aus. 3. In der Stadt forderte unterdessen die Hungersnot zahllose Opfer und erzeugte unsägliches Elend. Wo in einem Hause auch nur ein Schatten von Nahrungsmitteln sich zeigte, da entbrannte ein förmlicher Kampf: die besten Freunde wurden handgemein miteinander und suchten sich die armseligsten Brocken zur Fristung ihres Daseins zu entreissen. Selbst den Sterbenden glaubte man nicht, dass sie keinen Bissen mehr hätten, und die Räuber durchsuchten demgemäss alle, die in den letzten Zügen lagen, ob sich nicht einer vielleicht nur sterbend stelle und doch noch irgend eine Speise in den Falten seiner Kleider verborgen halte. Mit vor Gier weit aufgerissenem Munde rannten sie wie tolle Hunde unstet umher, schlugen, wo sie hinstürmten, gleich Betrunkenen die Thüren ein und sprangen in der Verzweiflung wohl zwei- oder dreimal in einer Stunde in dasselbe Haus. Alles brachte die Not ihnen zwischen die Zähne: Dinge, welche nicht einmal die unflätigsten Tiere vertragen können, lasen sie auf und scheuten sich nicht, sie zu verzehren. An Gürtel sogar und Schuhe machten sie sich endlich heran und kauten sie wie auch das Leder, das sie von den Schilden rissen. Manchem diente ein Überrest alten Heues zur Speise; denn von Fleischfasern, die der eine oder andere sammelte, verkaufte man das kleinste Gewicht zu vier Attiken. Doch was brauche ich die unverschämte Gier zu schildern, mit der der Hunger über leblose Gegenstände herfiel? Ich bin im Begriff, eine That zu berichten, dergleichen weder bei den Griechen noch bei den Barbaren je verübt ward - schauderhaft zu sagen, unglaublich zu hören. Gern würde ich, um nicht bei der Nachwelt in den Ruf eines abenteuerlichen Lügners zu kommen, diesen Vorfall verschwiegen haben, hätte ich nicht unzählige Zeugen unter meinen Zeitgenossen. Übrigens
Seite 582 würde ich auch meiner Vaterstadt einen schlechten Dienst erweisen, wenn ich nicht einmal im Wort wiedergeben wollte, was über sie in Wirklichkeit erging. 4. Eine Frau aus dem Lande jenseits des Jordan, Maria mit Namen, die Tochter Eleazars aus dem Dorfe Bethezob (das Wort bedeutet: Hyssop-Haus), hervorragend durch Geburt und Reichtum, war mit der übrigen Menge nach Jerusalem geflohen, wo sie die Belagerung mit durchmachte. Ihr sonstiges Vermögen, das sie aus Peraea nach Jerusalem mitgebracht, hatten ihr die Tyrannen bereits weggenommen, und die ihr noch verbliebenen Kleinodien sowie etwaige Nahrungsmittel, die ausfindig zu machen waren, raubten ihr deren Spiessgesellen, die Tag für Tag in ihr Haus stürzten. Grösse Erbitterung bemächtigte sich infolgedessen der Frau, und oft suchte sie durch Schmähungen und Verwünschungen die Räuber gegen sich aufzubringen. Als aber keiner sie aus Zorn oder Mitleid tötete, und sie es müde war, immer nur Nahrung für andere zu suchen, ganz abgesehen davon, dass alles Suchen jetzt auch keinen Erfolg mehr hatte, ging ihr der Hunger durch Mark und Bein, und noch heftiger als der Hunger entbrannte ihr Zorn. Da hörte sie nur noch auf die Stimme der Erbitterung und der Not, und sie schritt zum Unnatürlichen, ergriff ihr Kind, einen Säugling, und sprach: „Unglückliches Knäblein! Unter Krieg, Hunger und Aufruhr - für wen soll ich dich da erhalten? Bei den Römern harret unser die Knechtschaft, falls sie uns überhaupt am Leben lassen; vor der Knechtschaft aber ist schon der Hunger da, und die Empörer sind grausamer als beides. Wohlan denn, werde mir Speise, den Tyrannen ein Rachegeist, den Lebenden eine Fabel! Das allein fehlt noch, um das Elend der Juden voll zu machen!" Mit diesen Worten schlachtet sie ihr Kind, brät es und verzehrt die eine Hälfte; die andere bedeckt und verwahrt sie. Im nu aber sind jetzt die Empörer wieder da und drohen ihr,
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wie sie den fluchwürdigen Bratengeruch einsaugen, mit augenblicklicher Ermordung, wenn sie nicht zeige, was sie zubereitet habe. Daraufhin deckt sie mit den Worten: „Da habe ich für euch noch ein schönes Stück verspart" die Reste ihres Kindes auf. Schauder und Entsetzen ergriff die Räuber, und sie standen bei diesem Anblick wie festgewurzelt. Maria aber fuhr fort: „Das ist mein leibliches Kind, das mein Werk. Esset, denn auch ich habe gegessen; seid nicht weichherziger als ein Weib, nicht gefühlvoller als eine Mutter! Seid ihr aber zu gewissenhaft, und graut euch vor meinem Schlachtopfer - gut, so soll der Rest mir verbleiben, wie ich auch die andere Hälfte verzehrt habe." Zitternd schlichen die Empörer hinaus; das war ihnen denn doch zu viel, und so liessen sie, wiewohl ungern, der Mutter das scheussliche Mahl. Alsbald verbreitete sich das Gerücht von diesem Greuel in der ganzen Stadt, und jedermann schauderte, wenn er sich die That vorstellte, als hätte er sie selbst verübt. Die Hungernden aber drängten sich fortan zum Tode und priesen die Vorangegangenen glücklich, dass sie solchen Jammer nicht mehr gesehen und gehört hatten. 5. Schnell war die Kunde von diesem Vorfall auch zu den Römern gelangt. Manche wollten ihn nicht glauben; andere fühlten Mitleid; die meisten aber hassten jetzt das Volk nur noch mehr. Der Caesar seinerseits rechtfertigte sich deswegen vor Gott und sprach: „Frieden, Selbständigkeit und Verzeihung für alles, dessen sie sich erdreistet, habe ich den Juden angeboten; sie aber haben statt Eintracht Zwietracht, statt Frieden Krieg, statt Sättigung und Wohlstand Hunger erkoren, mit eigner Hand an das Heiligtum, das wir erhalten wollten, den Feuerbrand gelegt, und sie tragen auch die Verantwortung für dieses grässliche Mahl. Bedecken aber will ich jetzt den Greuel des Kinderfrasses mit den Trümmern ihrer Hauptstadt, und nicht soll fürder die Sonne über einer Stadt mehr scheinen, in der Mütter sich also nähren. Eher noch als die Mütter freilich hätten die Väter
Seite 584 eine solche Speise verdient, weil sie nach so grenzenlosem Jammer noch unter den Waffen bleiben."1 Während er so redete, überzeugte er sich mehr und mehr von der völligen Verzweiflung der Empörer; jetzt, meinte er, nachdem sie dies alles durchgemacht, würden sie ihre Gesinnung wohl nicht mehr ändern, während, wenn sie es nicht wirklich erlebt hätten, ihre Umkehr wahrscheinlich gewesen wäre.
1. Als die beiden Legionen am achten des Monats Loos die Wälle vollendet hatten, liess der Caesar die Sturmböcke gegen die westliche Galerie des inneren Tempelhofes heranbringen. Schon ehe dies geschah, hatte übrigens der stärkste Widder trotz sechstägigen unausgesetzten Stossens nicht das mindeste gegen die Mauerwand ausrichten können, und so widerstanden die Quadern wegen ihrer Grösse und der Festigkeit ihres Gefüges auch jetzt den neu hinzugekommenen Maschinen. Andere untergruben mittlerweile die Fundamente des nördlichen Thores und brachen nach angestrengter Arbeit die vordersten Steine los, während das Thor selbst, von den inneren Quadern gehalten, stehen blieb. Nunmehr verzweifelten die Römer an der Wirksamkeit ihrer Maschinen und Hebel, und legten deshalb Leitern an die Halle an. Die Juden gaben sich keine Mühe, sie dabei zu stören; kaum aber waren die Römer oben angelangt, als sie sich ihnen entgegenwarfen und sie teils rücklings von der Mauer hinunterstiessen, teils gegen die Brüstung drängten und niedermachten. Viele auch wurden, als sie eben die Leitern verliessen und sich mit ihren Schilden noch nicht gedeckt hatten, durchbohrt, während andere dadurch verunglückten, dass die Juden einige der Leitern, die mit Bewaffneten dicht besetzt waren,
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von oben her umwarfen. Auch die Juden verloren übrigens eine Menge Leute. Ganz besonders kämpften die Träger der Feldzeichen um diese auf Leben und Tod, da sie deren Verlust für die ärgste Schande hielten. Schliesslich jedoch bemächtigten sich die Juden auch der Feldzeichen und hieben alles nieder, was heraufgestiegen war, sodass die übrigen Römer, entsetzt über das Schicksal der Umgekommenen, sich zurückzogen. Auf seiten der Römer fiel kein Mann, der nicht seine volle Pflicht und Schuldigkeit gethan hatte; unter den Empörern zeichneten sich wieder dieselben durch Tapferkeit aus, die sich schon in den früheren Gefechten hervorgethan hatten, und ausser ihnen noch Eleazar, der Neffe des Tyrannen Simon. Als nun der Caesar erkannte, dass die Schonung fremder Heiligtümer seinen Soldaten nur Tod und Verderben bringe, befahl er, Feuer an die Thore zu legen. 2. Eben um diese Zeit gingen Ananus von Ammaus,1 der blutdürstigste unter den Spiessgesellen des Simon, und Archelaus, der Sohn des Magadatus, zu ihm über; sie hofften auf Gnade, weil sie die Juden zu einer Zeit verlassen hatten, wo diese im Vorteil waren. Ihre Pfiffigkeit aber kam dem Caesar verächtlich vor, und da er ausserdem erfuhr, wie grausam sie sich gegen die Juden benommen hatten, zeigte er nicht übel Lust, sie beide hinrichten zu lassen. Nur die Not, sagte er, habe sie hergetrieben; da sie also nicht aus freien Stücken zu ihm kämen, hatten sie keinen Anspruch auf Begnadigung, zumal sie aus der von ihnen selbst in Brand gesteckten Vaterstadt entsprungen seien. Gleichwohl opferte er seinen Zorn dem einmal gegebenen Wort und entliess die Männer, ohne sie indes in der Behandlung den übrigen gleichzustellen. Unterdessen hatten die Soldaten bereits Feuer an die Thore gelegt, und das überall schmelzende Silber eröffnete den Flammen den Zugang zu dem hölzernen Gebälk, von wo sie prasselnd
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Seite 586 hervorbrachen und die Hallen ergriffen. Als aber die Juden ringsum den Brand auflodern sahen, da entsank ihnen mit der Leibeskraft auch der Mut; vor lauter Schrecken getraute sich niemand Widerstand zu leisten, sondern wie gelahmt standen sie da und sahen zu. So niederschlagend übrigens der Brand auf sie einwirkte, so dachten sie doch nicht im entferntesten daran, behufs Rettung dessen, was noch übrig war, ihren Sinn zu indem; vielmehr zeigten sie sich, als sei die Einäscherung des Tempels nunmehr beschlossene Sache, nur um so erbitterter gegen die Römer. Den ganzen Tag und die folgende Nacht hindurch wütete das Feuer; denn die Römer konnten die Hallen nur einzeln und nicht alle zugleich in Brand setzen. 3. Tags darauf beorderte Titus einen Teil des Heeres zum Löschen und liess zugleich bei den Thoren einen regelrechten Weg anlegen, um den Legionen den Aufstieg zu erleichtern. Dann beschied er die Offiziere zu sich, von denen zunächst die sechs vornehmsten zusammentraten, nämlich Tiberius Alexander, der Oberbefehlshaber der gesamten Streitkräfte, Sextus Cerealis, der Anführer der fünften, Larcius Lepidus, der Anführer der zehnten, Titus Phrygius, der der fünfzehnten Legion, ferner Liternius Fronto, der Präfekt der beiden alexandrinischen Legionen, und Marcus Antonius Julianus, der Landpfleger von Judaea. An diese schlossen sich die übrigen Statthalter und Kriegstribunen an, und Titus hielt nun mit ihnen allen Kriegsrat wegen des Tempels. Die einen meinten, man solle dem Kriegsrecht freien Lauf lassen; denn so lange der Tempel, dieser Sammelpunkt aller Juden, noch stehe, würden sie niemals aufhören, an Empörung zu denken. Andere äusserten ihre Ansicht dahin, dass man, wenn die Juden den Tempel räumten und niemand mehr zu seiner Verteidigung das Schwert ziehe, ihn erhalten, wenn sie dagegen bei ihrem Widerstand beharrten, ihn verbrennen solle; denn dann sei er eben eine Festung und kein Tempel. Auch würden im letzteren Falle nicht die Römer sich einer
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Gottlosigkeit schuldig machen, sondern lediglich die, welche sie dazu genötigt hätten. Titus aber hielt dafür, man solle, selbst wenn die Juden vom Tempel herab sich wehren würden, seine Rache nicht an leblosen Dingen statt an Menschen auslassen und unter keinen Umständen ein so herrliches Bauwerk den Flammen preisgeben. Denn der Schaden treffe im Grunde ja doch die Römer, wie umgekehrt der Tempel, wenn er erhalten bleibe, eine Zierde des Reiches sein werde. Dieser Ansicht traten Fronto, Alexander und Cerealis aufs entschiedenste bei. Darauf entliess der Caesar die Versammlung und befahl den Offizieren, ihren Truppen Ruhe zu gönnen, damit sie in den kommenden Gefechten desto kräftiger losschlagen konnten; nur aus den Kohorten las er eine bestimmte Anzahl Leute aus, die den Weg durch die Trümmer bahnen und das Feuer löschen sollten. 4. An jenem Tage wagten die Juden vor Ermattung und Bestürzung keinen Angriff; am folgenden aber sammelten sie ihre Streitkräfte und machten mit frischem Mut um die zweite Stunde durch das östliche Thor einen Ausfall gegen die Wachen des äusseren Tempelhofes. Diese setzten dem Angriff nachdrücklichen Widerstand entgegen, und indem sie sich vorn mit ihren Schilden deckten, standen sie dichtgedrängt wie eine Mauer. Gleichwohl erkannte man, dass sie nicht lange würden standhalten können, da die Angreifer ihnen an Zahl wie an Tollkühnheit überlegen waren. Der Caesar jedoch, der von der Antonia aus zusah, kam der ungünstigen Wendung des Gefechtes zuvor und eilte den Seinigen mit einer auserlesenen Reiterschar zu Hilfe. Deren Angriff hielten die Juden nicht aus, sondern sie flohen, nachdem die vordersten gefallen waren, grösstenteils davon. Sobald aber die Römer abgezogen waren, machten sie kehrt und fielen ihnen in den Rücken; daraufhin wandten sich nun auch die Römer wieder um und schlugen ihre Gegner abermals in die Flucht, sodass um die fünfte Stunde des Tages alle über-
Seite 588 wältigt und in das Innere des Tempels eingeschlossen waren. 5. Titus zog sich hierauf in dieAntonia zurück, entschlossen, am folgenden Tage in aller Frühe mit seiner ganzen Heeresmacht anzugreifen und den Tempel zu umzingeln. Über diesen jedoch hatte Gott schon längst das Feuer verhängt, und es war endlich im Laufe der Zeiten der Unglückstag - der zehnte des Monats Loos - gekommen, an dem auch der frühere Tempel vom Babylonierkönig eingeäschert worden war; nur waren es diesmal die Einheimischen selbst, durch deren Veranlassung und Schuld er den Flammen zum Opfer fiel. Kaum nämlich hatte Titus sich entfernt, als die Empörer nach kurzer Rast abermals gegen die Römer ausrückten. Hierbei kam es zum Handgemenge zwischen der Besatzung des Tempels und denjenigen Mannschaften, die das Feuer in den Gebäuden des inneren Vorhofes löschen sollten. Als nun die letzteren den zurückweichenden Juden nachsetzten und bis zum Tempelgebäude vorgedrungen waren, ergriff einer der Soldaten, ohne einen Befehl dazu abzuwarten oder die schweren Folgen seiner That zu bedenken, wie auf höheren Antrieb einen Feuerbrand und schleuderte ihn, von einem Kameraden emporgehoben, durch das goldene Fenster, wo man von Norden her in die den Tempel umgebenden Gemächer eintrat, ins Innere. Sowie die Flammen aufloderten, erhoben die Juden, entsprechend der Grösse des Unglücks, ein gewaltiges Geschrei und rannten, ohne der Gefahr zu achten oder ihre Kräfte zu schonen, von allen Seiten herbei, um dem Feuer zu wehren: denn es drohte unterzugehen, was sie bisher vor dem äussersten zu bewahren gesucht hatten. 6. Ein Eilbote meldete es dem Titus. Schnell sprang dieser von seinem Lager im Zelt, wo er eben vom Kampfe ausruhte, auf und lief, wie er war, zum Tempel hin, um dem Brande Einhalt zu thun - ihm nach die sämtlichen Offiziere und die durch den Wirrwarr erschreckten Legionen. Wie bei der ungeordneten Bewegung einer
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solchen Menschenmenge leicht erklärlich, entstand nun ein fürchterliches, mit betäubendem Lärm untermischtes Getümmel. Der Caesar wollte durch Schreien und Handbewegungen den Kämpfenden zu verstehen geben, man solle löschen; sie aber hörten sein Rufen nicht, da es von dem noch lauteren Geschrei der anderen übertönt wurde, und die Zeichen, die er mit der Hand gab, beachteten sie nicht, weil sie teils von der Aufregung des Kampfes, teils von ihrer Erbitterung völlig eingenommen waren. Keine gütlichen Vorstellungen, keine Drohungen vermochten den stürmischen Andrang der Legionen aufzuhalten: die Wut allein führte das Kommando. An den Eingängen kam es zu einem so schrecklichen Gedränge, dass viele von ihren Kameraden zertreten wurden; viele auch gerieten auf die noch glühenden und rauchenden Trümmer der Hallen und teilten so das Schicksal der Besiegten. In die Nähe des Tempels gekommen, stellten sie sich, als hörten sie nicht einmal die Befehle des Feldherrn, und schrien ihren Vordermännern zu, sie sollten Feuer in den Tempel werfen. Die Empörer hatten übrigens die Hoffnung, den Brand noch eindämmen zu können, völlig aufgegeben; denn allenthalben wurden sie niedergemetzelt oder in die Flucht getrieben. Auch ganze Haufen von Bürgern, lauter schwache, wehrlose Leute, fielen, wo der Feind sie traf, dem Schwert zum Opfer. Besonders um den Altar her türmten sich die Toten in Masse auf: stromweise floss das Blut an seinen Stufen, und dumpf rollten die Leichen derer, die oben auf ihm ermordet wurden, an seinen Wänden herunter. 7. Als nun der Caesar dem Ungestüm seiner wie rasend gewordenen Soldaten nicht mehr zu wehren vermochte und die Flammen immer weiter um sich griffen, betrat er mit den Offizieren das Allerheiligste und beschaute, was darin war. Alles fand er weit erhaben über den Ruf, den es bei den Fremden genoss, und ganz entsprechend der fast prahlerisch hohen Meinung, welche die Einheimischen davon hatten. Da übrigens das Feuer
Seite 590 bis in die innersten Räume noch nicht vorgedrungen war, sondern nur erst die an den Tempel anstossenden Gemächer verzehrte, glaubte er, und zwar mit Recht, das Werk selbst könne noch gerettet werden. Er sprang also hervor und suchte nicht nur persönlich die Soldaten zum Löschen anzuhalten, sondern befahl auch dem seiner Leibwache angehörenden Centurio Liberalis, die Widerspenstigen durch Stockschläge 1 zu zwingen. Aber Erbitterung, Judenhass und die allgemeine Kampfwut erwiesen sich stärker als die Rücksicht auf den Caesar und die Furcht vor seiner Strafgewalt. Die meisten freilich feuerte die Aussicht auf Raub an, da sie der festen Überzeugung waren, es müsse, weil sie aussen alles von Gold gefertigt sahen, das Innere erst recht von Schätzen aller Art strotzen. Während nun der Caesar heraussprang, um die Soldaten zurückzuhalten, hatte schon einer von denen, die ins Innere eingedrungen waren, im Dunkel Feuer unter die Thürangeln gelegt, und da jetzt auch von innen plötzlich die Flamme hervorschoss, zogen sich die Offiziere mit dem Caesar zurück, und niemand gab sich mehr die Mühe, die aussen um das Heiligtum streifenden Soldaten von weiterer Brandlegung abzuhalten. Auf diese Weise ging der Tempel gegen den Willen des Titus in Flammen auf. 8. So sehr man nun auch den Untergang eines Werkes beklagen muss, welches von allen, die wir durch eigene Anschauung oder vom Hörensagen kennen lernten, ebensowohl hinsichtlich seiner Pracht und Grösse im allgemeinen, wie inbetreff der Kostbarkeit seiner einzelnen Bestandteile und besonders der hehren Bedeutung des Allerheiligsten das staunenswerteste war, so mag man doch noch reichen Trost finden in dem Gedanken an das Geschick,2 dem, wie nichts Lebendiges, so auch kein
1 Der Centurio führte den Rebstock (vitis) als Abzeichen seines Ranges stets bei sich (s. Lindenschmit a. a. 0, Tatel I, Fig. 1, 6, 7).
2 Dass Josephus unter Geschick (eimarmenh) den Ratschluss Gottes, das Walten der alles leitenden göttlichen Vorsehung versteht, hat Lewinsky in seiner Schrift: Beiträge zur Kenntnis der religionsphilosophischen Anschauungen des Flavius Josephus (S. 28ff.) dargethan.
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Werk von Menschenhand und keine Gegend der Erde entrinnen kann. Merkwürdig ist die Genauigkeit, mit der dasselbe die Zeitläufte einhielt. Es bestimmte nämlich, wie schon gesagt, zur Zerstörung sogar denselben Monat und denselben Tag, an welchem der Tempel einstmals von den Babyloniern in Asche gelegt worden war.1 Von seiner ersten Erbauung durch den König Solomon bis zu der in unseren Tagen erfolgten Zerstörung, die in das zweite Regierungsjahr des Vespasianus fiel, rechnet man tausendeinhundertunddreissig Jahre, sieben Monate und fünfzehn Tage, und von der zweiten Erbauung, für die im zweiten Jahre der Regierung des Cyrus der Prophet Aggaeus seine Stimme erhob, bis zur Zerstörung unter Vespasianus sechshundertneununddreissig Jahre und fünfundvierzig Tage.
1. Während der Tempel brannte, raubten die Soldaten, was ihnen unter die Hände kam, und hieben die Juden, die sie antrafen, zu hunderten nieder. Kein Erbarmen hatten sie mit dem Alter, keine Achtung vor der Würde. Kinder und Greise, Laien und Priester ohne Unterschied erlagen dem Schwerte des Feindes, und unter den Angehörigen aller Volksklassen wütete die Kriegsfurie, ganz gleich, ob die Leute um Gnade flehten oder sich zur Wehr setzten. Mit dem Prasseln der allenthalben hervorbrechenden Flammen mischte sich das Stöhnen der zu Boden Geschmetterten. Wenn man die Höhe des Hügels und die Grösse des brennenden
1 Dies geschah 586 v. Chr.
Seite 592 Riesenbaues in Betracht zog, hätte man glauben können, die ganze Stadt stehe in Flammen; grausiger aber und gellender lässt sich nichts denken als das Geschrei, das über dem Ganzen tobte. Denn während die römischen Legionen, die in geschlossenem Zuge vordrangen, ihre Jubelrufe anstimmten, erscholl gleichzeitig das Geheul der von Feuer und Schwert umringten Empörer, und von oben tonte darein die Wehklage des verlassenen Volkes, das sich in der Angst zu den Feinden flüchtete und sein Geschick bejammerte. Mit dem Geschrei derer auf dem Hügel verband sich dann weiter das der Volksmenge in der Stadt, wo viele der Unglücklichen, denen der Hunger schon das Mark ausgepresst und den Mund verschlossen hatte, beim Anblick des Tempelbrandes den Rest ihrer Kräfte zu einem kläglichen Gewimmer zusammenrafften: und zu alledem der Wiederhall von Peraea 1 und den umliegenden Bergen, der das Getöse noch entsetzlicher machte. Fürchterlicher jedoch als das ganze Kampfgewühl war das wirkliche Schicksal der Besiegten. Der Tempelberg schien von Grund aus zu glühen, da er rings in Feuer gehüllt war; aber noch voller als die Flammenbäche schienen die Blutströme zu fliessen, und fast zahlreicher als die Mörder waren die Gemordeten. Nirgends sah man mehr vor Leichen den Boden; über ganze Berge von Toten stürmten die Soldaten den Fliehenden nach. Die Räuberschar durchbrach mit Mühe die römischen Kolonnen und schlug sich in den äusseren Vorhof und von da in die Stadt durch, während der Rest des Volkes in die äussere Halle floh. Einige Priester rissen zunächst die Spiesse auf dem Tempel 2 samt dem Blei, in welches dieselben eingelassen waren, herunter und schleuderten sie gegen die Römer; als sie aber damit nichts ausrichteten und das Feuer über sie hereinbrach, zogen sie sich auf die
1 Selbstverständlich hat man nicht an die fernen Berge des eigentlichen Peraea zu denken. Josephus meint vielmehr die hügelige Gegend auf der Ost- und Nordseite des Kedron.
2 S. V, 5, 6.
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acht Ellen breite Tempelwand zurück, wo sie einstweilen blieben. Zwei andere vornehme Juden jedoch, die sich vor die Wahl gestellt sahen, entweder zu den Römern überzugehen und so ihr Leben zu retten, oder aber auszuharren, wollten lieber das Schicksal der übrigen teilen, stürzten sich in die Flammen und verbrannten mit dem Tempel. Es waren Meir, des Belgas, und Josephus, des Dalaeus Sohn. 2. Da nun die Römer der Ansicht waren, dass nach der Einäscherung des Tempels die Schonung der umliegenden Gebäulichkeiten keinen Sinn mehr habe, steckten sie alles übrige vollends in Brand, nämlich die Reste der Hallen und die sämtlichen Thore mit Ausnahme von zweien, des östlichen und des südlichen, die sie beides später gleichfalls zerstörten. Hierauf verbrannten sie auch die Schatzkammern, in denen ungeheure Summen baren Geldes, grosse Mengen Kleiderstoffe und andere Kostbarkeiten, mit einem Wort: die gesamten Schütze der Judenaufgehäuft waren, da die Reichen dort ihr Vermögen untergebracht hatten. Als dann ging es an die noch unversehrte, Halle des äusseren Tempelhofes, in welche sich Weiber, Kinder und ein zahlreicher gemischter Volkshaufe, etwa sechstausend Köpfe stark, geflüchtet hatten. Bevor jedoch der Caesar in betreff dieser Leute sich schlüssig machte oder die Offiziere einen Befehl dazu erteilten, zündeten die Soldaten in ihrer Wut die Halle an, worauf die einen mitten in den Flammren umkamen, die anderen, indem sie sich daraus hervorstürzten; von der ganzen Menge ward auch nicht eine Seele gerettet. Die Schuld an ihrem Untergang trug übrigens ein falscher Prophet der an jenem Tage den Bewohnern der Stadt vorgelogen hatte, Gott heisse sie zum Tempel hinaufsteigen, wo sie die Zeichen ihrer Rettung schauen würden. Die Tyrannen hatten nämlich damals eine Anzahl solcher Propheten unter das Volk gesteckt, um denselben zu verkünden, es solle der Hilfe Gottes gewärtig sein - einmal damit die Leute weniger daran dächten, zu den Römern über-
Seite 594 zugehen, und dann auch damit die, welche sich über die Furcht vor den Wachen hinwegsetzten, doch wenigstens durch Hoffnung zum Bleiben bewogen würden. Im Unglück lässt sich ja der Mensch so leicht bereden, und wenn gar ein Betrüger kommt und ihm Befreiung von dem drückenden Elend vorspiegelt, geht der Leidende ganz in Hoffnung auf. 3. So wurde das beklagenswerte Volk damals von Betrügern beschwatzt, die sich als von Gott gesandt ausgaben; den klaren, die künftige Verwüstung andeutenden Vorzeichen l dagegen schenkten die Unglücklichen nicht Beachtung noch Glauben, sondern sie überhörten, als wären sie betäubt und hätten weder Augen noch Verstand, die lauten Warnungsstimmen Gottes - so zum Beispiel, als ein schwertähnliches Gestirn über der Stadt stand und ein Komet ein ganzes Jahr lang am Himmel blieb, und ferner, als gerade vor dem Aufstand und den ersten kriegerischen Bewegungen, da das Volk beim Fest der ungesäuerten Brote am achten des Monats Xanthikos versammelt war, um die neunte Stunde ein so starkes Licht den Altar und den Tempel umstrahlte, dass man hätte glauben sollen, es sei heller Tag, eine Erscheinung, die fast eine halbe Stunde anhielt. Die Unkundigen freilich sahen darin ein gutes Vorzeichen; von den Schriftgelehrten aber wurde es sogleich auf das, was nachher eintraf, gedeutet. An ebendemselben Feste warf eine Kuh, die der Hohepriester als Schlachtopfer zum Altar führte, mitten im Tempel ein Lamm. Sodann sah man das östliche Thor des inneren Vorhofes, das doch von Erz und ungeheuer schwer war, sodass zwanzig Mann es nur mit Mühe abends schliessen konnten, und das von eisenbeschlagenen Querbalken gehalten ward und Riegel hatte, welche tief in die aus einem einzigen Steinblock gearbeitete Schwelle eingelassen wurden, um Mitternacht sich plötzlich von selbst öffnen. Die Tempelwächter meldeten es eiligst ihrem Hauptmann, der sich unverzüglich hinaufbegab,
1 Vergl. Tacitus, Histor, V, 13.
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aber kaum imstande war, das Thor schliessen zu lassen. Abermals legten die Laien diesem Vorfall eine günstige Bedeutung bei: Gott, meinten sie, öffne ihnen die Thor des Heils. Die Schriftgelehrten aber ersahen daraus, dass es mit der Sicherheit des Tempels zu Ende gehe und dass das Thor den Feinden zulieb sich öffnen werde; man habe es also mit einem Vorzeichen der Verwüstung zu thun. Wenige Tage nach dem Fest, am einundzwanzigsten des Monats Artemisios, zeigte sich eine gespensterhafte, kaum glaubliche Erscheinung. Was ich erzählen will, könnte man für ein Märchen halten, wäre es nicht auch von Augenzeugen berichtet und von dem Unglück gefolgt worden, das nach derartigen Zeichen einzutreten pflegt. Vor Sonnenuntergang nämlich sah man über der ganzen Gegend in der Luft Wagen und bewaffnete Scharen durch die Wolken dahineilen und Städte umkreisen.1 Weiterhin vernahmen am sogenannten Pfingstfest ihrer Versicherung gemäss die Priester, als sie in der Nacht, wie ihr Dienst es mit sich brachte, in den inneren Vorhof traten, zuerst ein Getöse und Rauschen, und später auch den vielstimmigen Ruf: „Lasset uns von hinnen ziehen!“ Noch unheimlicher ist folgendes: Ein gewisser Jesus, des Ananus Sohn, ein ungebildeter Landmann, kam vier Jahre vor dem Ausbruch des Krieges, als die Stadt sich noch tiefen Friedens und grossen Wohlstandes erfreute, zu dem Fest, an dem der Sitte gemäss alle Juden Gott zu Ehren Laubhütten in der Nähe des Tempels errichten, und fing da plötzlich an zu rufen: „Eine Stimme vom Aufgang, eine Stimme vom Niedergang, eine Stimme von den vier Winden; eine Stimme über 2 Jerusalem und den Tempel, eine
1 Also eine Luftspiegelung (Fata morghana). Erzählungen wie diese sind übrigens sehr geeignet, die Wahrheitsliebe des Geschichtschreibers ausser Zweifel zu stellen. Denn gerade weil Josephus von dem natürlichen Hergang keine Ahnung haben konnte, aber trotzdem eine richtige Schilderung giebt, muss die Thatsache selbst als wahr angenommen werden.
2 „Eine Stimme über" bedeutet soviel als „Wehe!"
Seite 596 Stimme über Bräutigame und Bräute, eine Stimme über das ganze Volk!" Tag und Nacht rief er dies, in allen Gassen der Stadt umherlaufend. Einige vornehme Bürger, die sich über das Unglücksgeschrei ärgerten, ergriffen den Menschen und züchtigten ihn mit harten Schlägen. Er aber fuhr, ohne etwas zu seiner Entschuldigung oder gegen seine Peiniger vorzubringen, immer nur fort, seine früheren Worte zu wiederholen. Mit Recht glaubten daher die Vorsteher, es mochte dem Benehmen des Menschen ein höherer Antrieb zu Grunde liegen, und führten ihn vor den römischen Landpfleger, wo er, bis auf die Knochen durch Geisselhiebe zerfleischt, weder um Gnade bat noch Tränen vergoss, sondern im kläglichsten Tone jeden Hieb nur mit dem Ruf erwiderte: „Wehe Jerusalem!" Als Albinus - so hiess der Landpfleger - ihn fragte, wer und woher er sei und weshalb er also rufe, gab er auch hierauf keine Antwort, sondern fuhr mit seinem Klagegeschrei über die Stadt fort, bis Albinus, von seinem Wahnsinn überzeugt, ihn laufen liess. Die ganze Zeit hindurch bis zum Ausbruch des Krieges verkehrte er mit keinem seiner Mitbürger, noch sah man ihn mit jemand reden - sondern Tag für Tag klagte er, wie wenn er ein Gebet hersage: „Wehe, webe Jerusalem!" Er flüchte keinem, der ihn schlug (was täglich vorkam), noch dankte er dem, der ihm zu essen gab: für niemand hatte er eine andere Antwort, als jene Unglücksprophezeiung. Besonders laut aber liess er seinen Ruf an Festtagen erschallen, und obwohl er dies sieben Jahre und fünf Monate lang fortsetzte, wurde seine Stimme weder heiser noch matt, bis er endlich bei der Belagerung seine Weissagung in Erfüllung gehen sah und mit seinen Wehklagen aufhörte. Während er nämlich eines Tages mit dem gellenden Ruf: „Wehe der Stadt, dem Volke und dem Tempel" die Mauer umging, und schliesslich hinzusetzte: „Wehe auch mir", traf ihn ein aus einer Wurfmaschine geschleuderter Stein und machte
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seinem Leben ein Ende; mit dem Klageruf auf den Lippen verschied er. 4. Bedenkt man das alles, so findet man, dass Gott für die Menschen sorgt und ihnen auf mancherlei Weise zu erkennen giebt, was zu ihrem Heile dient, dass aber nur Thorheit und selbstverschuldetes Elend sie ins Verderben stürzt. So hatten auch, die Juden nach der Zerstörung der Antonia den Tempel viereckig gemacht, obwohl in ihren heiligen Büchern geschrieben stand: dann solle die Stadt und der Tempel erobert werden, wenn der letztere zum Viereck würde. 1 Was sie jedoch am meisten zum Kriege getrieben hatte, war ein zweideutiger Oralkelspruch, der sich gleichfalls in ihren heiligen Schriften fand, dass nämlich um diese Zeit einer aus ihrem Lande die Weltherrschaft erlangen werde.2 Dies bezogen sie auf einen ihres Stammes, und auch viele ihrer Weisen irrten sich in der Auslegung des Spruches. Das Orakel aber wies auf die Herrscherwürde des Vespasiaixus hin, der in Judaea, zum Imperator ausgerufen wurde. Doch es ist den Menschen nicht möglich, dem Schicksal zu entrinnen, selbst wenn sie es voraussehen. Die Juden deuteten eben manche der Vorzeichen nach ihren Wünschen, über andere wieder setzten sie sich leichtsinnig hinweg, bis endlich der Fall ihrer Hauptstadt und ihr eigenes Verderben sie von ihrem Unverstand übcrzeugten.
1 Ob sich dies auf Daniel 8, 2-22, oder auf Daniel 9, 27, oder auf Zacharias 1, 1Sf. bezieht, sei dahingestellt. Letzteres ist am wahrscheinlichsten.
2 S. Tacitus, histor. V. 13 und Sueton, Vespas. 4.
1. Als die Empörer in die Stadt geflohen waren und der Tempel mit allen seinen Nebengebäuden in Flammen stand, brachten die Römer ihre Feldzeichen in die geweihten Rhiume, pflanzten sie gegenulber dem. östlichen Thore, auf, opferten ihnen daselbst 1 und begrüssten unter lauten Jubelrufen Titus als Imperator. 2 Mit Beute waren alle Soldaten so beladen, dass in Syrien das Pfund Gold um die RIlfte seines Wertes im Preise sank. Während nun die Priester sich noch immer auf der Tempelmauer verborgen hielten, bat ein vom Durst gepeinigter Knabe die römischen Posten um Gnade und klagte ihnen seine Not. Aus Mitleid mit seiner Jugend und seiner schlimmen Lage sagten sie ihm denn auch Schonung zu, worauf er herabkam und nicht nur selbst seinen Durst löschte, sondern auch ein mitgebrachtes Gefäss mit Wasser füllte und sich eiligst wieder zu, den Seinigen hinaufflüchtete. Die Wachen konnten ihn nicht mehr erwischen und überhäuften ihn wegen seiner Wortbrüchigkeit mit Schmähungen. Der Knabe aber entgegnete, er habe keineswegs vertragswidrig gehandelt, denn er habe sie um Gnade gebeten, nicht um bei ihnen zu bleiben, sondern nur um hinabsteigen und Wasser holen zu können; beides habe er gethan und somit offenbar sein Wort gehalten. Die hintergangenen Soldaten wunderten sich über seine Schlauheit, zumal der Knabe noch sehr jung war. Am fünften Tage kamen übrigens die Priester, von Hunger getrieben, herab und
1 S. die Anmerkung zu III 6
2. Diesen Titel erhielt der Feldherr in späterer Zeit, wenn wenigstens 6000 erschlagene Feinde nach dem Siege das Schlachtfeld bedeckten und die Soldaten selbst ihn damit begrüsst hatten. Die Caesaren jedoch führten den Titel als Bezeichnung ihrer Würde, gleichbedeutend mit Staatsoberhaupt.
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wurden von den Wachen vor Titus geführt, den sie um Schonung ihres Lebens anflehten. Er aber erklärte ihnen, die Zeit der Gnade sei für sie vorüber, und da auch der Tempel, um dessetwillen er wohl Grund gehabt hätte, ihnen das Leben zu schenken, dahin sei, so zieme es ihnen als Priestern, mit dem Tempel unterzugehen. Demzufolge liess er sie sämtlich hinrichten. 2. Jetzt endlich liessen die Tyrannen und deren Spiessgesellen, da sie sich auf allen Seiten von den Römern bedrängt und durch die Ringmauer auch jeden Weg zur Flucht abgeschnitten sahen, den Caesar um eine Unterredung bitten. Titus, der von Natur menschenfreundlich gesinnt war, hatte den lebhaften Wunsch, wenigstens die Stadt noch zu retten, zumal da auch seine Freunde in der Voraussetzung, dass die Räuber jetzt nachgiebig geworden seien, ihm dazu rieten. Er stellte sich daher am westlichen Rande des äusseren Vorhofes auf, wo oberhalb des Xystos ein Thor angebracht war und eine Brücke die obere Stadt mit dem Tempel verband; diese Brücke l lag jetzt zwischen den Tyrannen und dem Caesar in der Mitte. Um die Hauptpersonen stand auf beiden Seiten die Menge dichtgedrängt: um Simon und Joannes die Juden in ängstlicher Spannung wegen der erhofften Begnadigung, um den Caesar die Römer, begierig, seinen Spruch zu hören. Titus befahl nun den Soldaten, ihre Erbitterung zu bezähmen und mit dem Schiessen einzuhalten, liess einen Dolmetscher neben sich antreten und begann zum Zeichen, dass er der Sieger sei, also zu reden: „Seid ihr nun, Verwegene, endlich der Leiden eures Vaterlandes satt, nachdem ihr, ohne unsere Macht und eure Schwäche zu bedenken, in unvernünftiger Wut und Tollheit das Volk, die Stadt und den Tempel zu Grunde gerichtet habt? Ganz recht geschahe es euch, wenn auch ihr
1 Ob die Spuren dieser Brücke im heutigen sogenannten Wilsons oder im sog. Robinsonsbogen zu suchen sind, steht dahin. S. über diese Frage Spiess, a. a. O, S. 63f.
Seite 600 noch zu Grunde ginget, die ihr, seitdem Pompejus euch unterjochte, unablässig auf Empörung hingearbeitet und endlich den offenen Krieg gegen die Römer begonnen habt. Auf was baut ihr denn eigentlich? Auf eure Könige? Seht, ein sehr kleiner Teil der römischen Heeresmacht ist mit euch fertig geworden! Auf die Treue von Bundesgenossen? Aber welches Volk ausserhalb unseres Reiches sollte denn die Juden den Römern vorziehen? Auf eure Körperkraft? Ihr wisset doch, dass selbst die Germanen unsere Sklaven sind! Auf die Festigkeit eurer Mauern? Welch mächtigeres Bollwerk aber giebt es wie den Ocean? Und doch huldigen die Britannen trotz dieser Schutzwehr den Waffen der Römer! Auf euren ausdauernden Mut und die Pfiffigkeit eurer Anführer? Es kann euch doch nicht unbekannt sein, dass selbst die Karthager uns unterlagen! Somit hat euch nichts anderes gegen die Römer in Wehr und Waffen gebracht, als deren Milde. Wir gaben euch das Land in Besitz, wir setzten über euch Könige aus eurem eignen Stamme, wir achteten eure heimischen Gesetze und liessen euch nicht allein zu Hause, sondern auch unter Fremden nach eurem Gutdünken leben; ja noch mehr, wir gestatteten euch, für euren Gottesdienst Steuern zu erheben und Gaben zu sammeln, rügten nicht deren freiwillige Spendung und suchten nicht zu hindern, dass ihr, die Feinde, reicher wurdet als wir selbst, und mit unserem Gelde gegen uns euch rüstetet. Ihr aber wurdet durch den Genuss so bedeutender Vergünstigungen übermütig, wandtet euch gegen die, welche sie euch gewährten, und bespritztet nach Art unzähmbarer Schlangen mit eurem Gift die, welche euch schmeichelten. Es mag euch noch hingehen, dass ihr die Trägheit Neros verächtlich fandet; aber während ihr zuvor, freilich nur in schlechter Absicht, wie zerbrochene und abgerissene Glieder eines Körpers euch wenigstens ruhig verhieltet, habt ihr, als die Krankheit des
1 S. Matthaeus 17, 24 und hinten VII, 6, 6.
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Reiches zunahm, euch in eurern wahren Wesen gezeigt und euch mit unverschämten Plänen und masslosen Gelüsten getragen. Da kam ein Vater ins Land, nicht um euch für das, was ihr dem Costius angethan, zu bestrafen, sondern nur um euch eine Warnung zu erteilen. Denn wäre er zur Vernichtung eurer Nation dagewesen, so hätte er ja die Wurzel angreifen und sogleich diese Stadt zerstören müssen; aber er that es nicht, sondern verwüstete nur Galilaea und dessen Nachbargebiete, um euch Zeit zur Besinnung zu lassen. Doch seine Menschenfreundlichkeit hieltet ihr für Schwäche, und unsere Sanftmut liess eure Frechheit nur noch grösser werden. Nach Neros Hingang vollends benahmt ihr euch, wie nur die Bosheit sich benehmen kann: unsere inneren Wirren machten euch Mut, und als ich mit meinem Vater nach Aegypten abgezogen war, nütztet ihr die gute Gelegenheit zu Kriegsrüstungen aus und scheutet euch nicht, diejenigen auf den Herrscherthron zu befestigen, die ihr zuvor als nifldgesinnte Feldherren kennen gelernt hattet. Und als dann das Reich sich in den Schutz unseres Hauses begab, alles in ihm wieder beruhigt war und die fernsten Völkerschaften Gesandte abordneten, um uns zu beglückwünschen: da waren wiederum nur die Juden unsere Feinde. Gesandtschaften gingen von euch über den Euphrat, um dort den Aufruhr zu predigen; neue flhigtuauern wurden gebaut; Aufstand, Tyrannenzwist, Bürgerkrieg brach aus - lauter Dinge, die nur bei so schlechten Menschen vorkommen können, wie ihr seid. Nun erschien ich selbst vor der Stadt mit traurigen Auftrfigen, die mein Vater mir nur ungern erteilt hatte; ich hörte, das Volk sei friedlich gesinnt, und freute inich. Vor dem Beginn des Krieges forderte ich euch auf, von ihm. abzustehen; nachdem. er lange gewährt, bewies ich Schonung, begnadigte die 12 Überläufer, hielt den Flüchtlingen mein Wort, erbarmte mich der vielen Gefangenen, verhängte die härtesten Strafen über ihre Bedränger, führte nur gezwungen meine Masehinen gegen eure Mauern heran,
Seite 602 hielt die Mordlust meiner Soldaten im Zaum und bot euch nach jedem Siege, als wäre ich der Besiegte gewesen, Frieden an. Als ich dann dem Tempel nahegekommen war, vergass ich wiederum aus freien Stücken, das Kriegsrecht anzuwenden, bat euch, euer eignes Heiligtum vor Zerstörung zu bewahren, bewilligte euch freien Abzug und Schonung eures Lebens oder auch, wenn ihr es so wolltet, Gelegenheit zum Kampf an einem anderen Orte - aber an alles das habt ihr euch nicht gekehrt; den Tempel habt ihr mit eignen Händen in Brand gesteckt: und nun, ihr Ruchlosen, lasset ihr mich zu Unterhandlungen rufen? Was könnt ihr denn noch retten, das auch nur im entferntesten dem Untergegangenen gleichkäme? Und was kann euch an eurer eignen Erhaltung liegen, nachdem der Tempel zerstört ist? Aber trotzdem steht ihr noch mit den Waffen da und wollt in der äussersten Not nicht einmal den Anschein erwecken, als bräuchtet ihr Gnade. Ihr Unseligen! worauf pocht ihr nun noch? Eure Nation ist tot, der Tempel dahin, mein die Stadt, in meiner Hand euer Leben - und trotz alledem setzt ihr noch einen Heldenruhm darein, euch gegen den Tod zu wehren? Doch ich will mit eurer Verblendung nicht hadern: werft ihr die Waffen weg und ergebt euch, so schenke ich euch das Leben; wie ein milder Hausvater werde ich dann nur die Unverbesserlichen strafen, die übrigen aber mir retten. 3. Darauf entgegneten die Empörer: Gnade könnten sie von ihm nicht annehmen, denn sie hätten geschworen, dies nun und nimmer zu thun. Dagegen baten sie um freien Abzug mit Weibern und Kindern durch die Ringmauer; sie würden dann in die Wüste ziehen und ihm die Stadt überlassen. Empört darüber, dass sie, die Überwundenen, ihm noch wie Sieger Bedingungen vorschreiben wollten, liess Titus ihnen verkünden: Kein Überläufer solle sich mehr zeigen, und keiner auf Gnade rechnen, denn er werde niemand verschonen. Sie sollten sich vielmehr mit aller Macht wehren und sich zu retten
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suchen, wie sie konnten; er werde jetzt nur noch nach Kriegsbrauch verfahren. Alsdann befahl er seinen Soldaten, die Stadt in Brand zu stecken und zu plündern. Jenen Tag warteten sie noch; am folgenden aber legten sie das Archiv, den Stadtteil Akra, das Rathaus und den Bezirk Ophla in Asche, wobei sich das Feuer bis zum Palast der Helena verbreitete, der mitten in der Akra stand. Auch die Gassen und Häuser, die mit Leichen von Verhungerten angefüllt waren, gingen in Flammen auf. 4. An diesem Tage erschienen die Söhne und die Brüder des Königs Izates samt vielen vornehmen Bürgern vor dem Caesar und baten um Gnade. Wiewohl nun Titus gegen alle noch übrigen Juden aufs äusserste erbittert war, konnte er doch seinen Charakter nicht verleugnen und nahm die Flehenden auf. Einstweilen liess er sie alle bewachen; die Söhne und die anderen Verwandten des Königs aber führte er später gefesselt nach Rom, wo sie ihm als Geiseln dienen sollten.
1. Die Aufrührer griffen nun den Königspalast an, wohin um seiner Festigkeit willen viele Juden ihre Schätze gebracht hatten, vertrieben die Römer daraus, mordeten die ganze dort versammelte Volksmenge, gegen achttausendvierhundert Menschen, und raubten das Geld. Zwei von den Römern nahmen sie lebendig gefangen, einen Reiter und einen Fusssoldaten. Den letzteren machten sie auf der Stelle nieder und schleppten ihn durch die Stadt, als wollten sie sich in dem Leichnam dieses einen Mannes an allen Römern rächen; der Reiter dagegen, der ihnen einen guten Rat bezüglich ihrer Rettung zu geben versprach, ward vor Simon geführt. Als er aber hier nichts zu sagen wusste, übergab man
Seite 604 ihn einem der Anführer, Ardalas mit Namen, zur Hinrichtung. Dieser fesselte ihm die Hände auf dem Rücken, verband ihm die Augen und brachte ihn an eine den Feinden sichtbare Stelle, um ihn zu enthaupten. Während aber der Jude das Schwert zog, entfloh der Gefangene eilends zu den Römern. Weil er nun den Händen der Feinde entronnen war, konnte Titus es nicht über sich bringen, ihm das Leben zu nehmen; da er es aber für schimpflich hielt, wenn ein römischer Soldat sich lebendig gefangen nehmen lasse, nahm er ihm die Waffen ab und stiess ihn aus dem Heere aus, was für einen Mann von Ehre härter ist als die Todesstrafe. 2. Tags darauf verjagten die Römer das Raubgesindel aus der unteren Stadt und steckten alles bis zum Siloa in Brand. Obgleich sie übrigens die Freude hatten, die Stadt von den Flammen verzehrt zu sehen, entging ihnen doch die Beute, da die Empörer alles rein ausgeleert und sich mit dem Raub in die obere Stadt zurückgezogen hatten. Denn trotz des allgemeinen Elends empfanden die letzteren nicht die mindeste Reue, sondern ergingen sich noch in Prahlereien, als hätten sie ihre Sache gut gemacht. Angesichts der brennenden Stadt erklärten sie, wohlgemut und mit lachender Miene den Tod erwarten zu wollen, da das Volk gemordet, der Tempel in Asche gelegt, die Stadt am brennen und den Feinden nichts mehr übrig gelassen sei. Josephus aber ward auch jetzt, trotzdem es bereits zum äussersten gekommen war, nicht müde, sie um Erhaltung des Restes der Stadt zu bitten; allein so ernstlich er ihnen ihre Grausamkeit und Gottlosigkeit vorhielt, und so dringend er ihnen zu ihrer eigenen Rettung riet: er trug doch nichts als Hohn davon. Da sie nun einerseits um ihres Eides willen sich den Römern nicht ergeben mochten, anderseits aber wie in einer Falle gefangen sassen und deshalb entsprechenden Widerstand nicht leisten konnten, gingen sie, weil das Morden ihnen zur zweiten Natur geworden war, einzeln vor die Stadt hinaus und lauerten in den Trümmern denjenigen Juden auf, die zu den Römern
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überzugehen beabsichtigten. In der That fingen sie auch viele auf, die, von Hunger entkräftet, nicht zu fliehen vermochten, brachten sie sämtlich ums Leben und warfen ihre Leichen den Hunden vor. Jede Todesart kam übrigens den Ärmsten leichter vor als Verhungern, weshalb sie nicht nur zu den Römern flohen, obwohl sie dort keine Gnade mehr zu erwarten hatten, sondern auch willig von den mordgierigen Empörern sich fangen liessen. So fand sich denn bald in der ganzen Stadt kein Plätzchen mehr, das nicht voll von Opfern des Hungers oder des Aufruhrs gelegen hätte. 3. Ihre letzte Hoffnung setzten nun die Tyrannen und deren Anhang von Banditen noch auf die unterirdischen Gänge, in denen sie vor Entdeckung sicher zu sein glaubten; wenn nach der gänzlichen Eroberung der Stadt die Römer abgezogen waren, gedachten sie aus den Gängen hervorzukommen und zu fliehen. Das war indes nur ein schöner Traum: vor Gott und den Römern sich verborgen zu halten, sollte ihnen nicht beschieden sein. Im Vertrauen auf diese unterirdischen Gelasse steckten sie fortan noch mehr von der Stadt in Brand als die Römer; wollten dann die Bewohner der brennenden Gebäude in die Minen fliehen, so stiessen sie dieselben ohne weiteres nieder und plünderten sie, und wenn sie bei einem etwas Essbares fanden, verschlangen sie es gierig, auch wenn es mit Blut befleckt war. Ja, dem Raube zulieb bekriegten sie sich untereinander selbst, und wäre nicht die Eroberung dazwischen gekommen, so hätten sie, glaube ich, in ihrer tierischen Verrohung selbst die Leichen angefressen.
1. Da die obere Stadt wegen ihrer Lage auf einem Abhang ohne Dämme nicht einzunehmen war, beorderte der Caesar am zwanzigsten des Monats Loos die einzelnen Abteilungen seines Heeres zur Schanzarbeit. Schwierig war die Herbeischaffung von Holz; denn die ganze Umgebung der Stadt war, wie oben gesagt, beim Bau der früheren Wälle bis auf eine Entfernung von hundert Stadien völlig davoijentblösst worden. Die vier Legionen errichteten nun ihre Werke an der Westseite der Stadt gegenüber dem Königspalast, während die Hilfstruppen und die übrige Menge in der Nähe des Xystos, der Brücke und des Türmes arbeiteten, den Simon im Kampfe mit Joannes als Stützpunkt für seine Unternehmungen gebaut und nach sich selbst benannt hatte. 2. In diesen Tagen traten die Anführer der Idumäer heimlich zusammen, berieten darüber, ob sie sich ergeben sollten, und schickten fünf der Ihrigen mit der Bitte um Begnadigung zu Titus. In der Hoffnung, die Tyrannen würden nach dem Abzug der Idumäer, von denen so viel im Kampfe abhing, endlich ebenfalls nachgeben, sagte ihnen der Caesar nach langem Zögern auch wirklich Schonung zu und sandte die Männer zurück. Simon aber, der von dem geplanten Abmarsch Wind bekommen hatte, liess sogleich die fünf, die zu Titus gegangen waren, töten, die Anführer, unter denen Jakobus, des Sosas Sohn, der vornehmste war, ergreifen und ins Gefängnis werfen und die Idumäer, die, ihrer Führer beraubt, sich nicht mehr zu helfen wussten, aufs schärfste bewachen, indem er die Posten auf der Mauer verstärkte. Gleichwohl waren die letzteren nicht imstande, der Ausreisserei Einhalt zu thun; so viele auch ermordet wurden: die, welchen dieFlucht gelang, waren doch noch zahlreicher. Die Römer nahmen sie samt
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und sonders auf: nicht nur, dass der Caesar in seiner Milde die früheren Anordnungen ausser acht liess, auch die Soldaten enthielten sich des Mordens, teils aus Übersättigung, teils aus Gewinnsucht. Während sie nämlich die einzeln ankommenden Bürger laufen liessen, verkauften sie die übrigen samt Weib und Kind in die Sklaverei, und zwar wegen der Menge der Gefangenen und der geringen Anzahl der Käufer 1 zu Spottpreisen. Obwohl übrigens Titus hatte verkündigen lassen, dass kein Überläufer allein kommen dürfe (sie sollten nämlich ihre Familien mitbringen), gewährte er doch auch solchen Flüchtlingen Aufnahme; zugleich aber liess er durch geeignete Männer diejenigen aus ihnen aussondern, die den Tod verdienten. Eine ungeheure Menge wurde in die Sklaverei verkauft; von den eigentlichen Bürgern dagegen wurden über vierzigtausend begnadigt, und der Caesar liess sie ziehen, wohin es ihnen beliebte. 3. Um ebendieselbe Zeit kam auch ein Priester mit Namen Jesus, der Sohn des Thebuthi, nachdem der Caesar ihm für den Fall, dass er etliche der heiligen Kleinodien ausliefern würde, unter einem Eidschwur Schonung zugesagt hatte, hervor und holte aus der Tempelmauer zwei Leuchter, ähnlich den im Tempel selbst aufbewahrten, Tische, Mischgefässe und Schalen, alles massiv von lauterem Golde; zugleich übergab er die Vorhänge, die hohepriesterlichen Gewänder mit den Steinen und viele andere beim Gottesdienst verwendete Geräte. Auch der Schatzmeister des Tempels, Phineas, ward ergriffen und zeigte die Gewänder und Gürtel der Priester, einen reichen Vorrat von Purpur- und Scharlachstoff, der für die etwaige Ausbesserung des Vorhänges in Bereitschaft gehalten wurde, ferner viel Zimmt und Kassia und eine Menge anderer Wohlgerüche, von denen man ein Gemisch, jeden Tag Gott zu Ehren anzündete.
1 Den Heeren der Eroberer folgten im Altertum die Sklavenhändler, wie die Aasgeier den Karawanen.
Seite 608 Ebenso lieferte er noch eine bedeutende Anzahl weiterer Kleinodien und heiligen Zierates aus und verschaffte sich dadurch, obwohl er erst nach harter Gegenwehr gefangen worden war, die Vergünstigung, dass er gleich anderen Überläufern gut behandelt wurde. 4. Als nun nach achtzehntägiger Arbeit am siebenten des Monats Gorpiaios die Wälle vollendet waren, rückten die Römer mit den Maschinen heran. Viele der Empörer gaben jetzt die Stadt verloren und zogen sich an der Mauer in die Akra zurück; andere schlüpften in die unterirdischen Gänge; eine beträchtliche Schar aber verteilte sich auf der Mauer und suchte die mit den Sturmböcken sich nähernden Feinde abzuwehren. Doch auch mit ihnen wurden die Römer infolge ihrer Überzahl und Kraft, zumeist aber weil sie mit frischem Mut gegen Verzagte und Erschöpfte kämpften, gar bald fertig. Kaum nämlich war ein Stück der Mauer eingestossen und ein Teil der Türme durch die Gewalt der Sturmböcke zum Wanken gebracht, als ihre Verteidiger sich spornstreichs davonmachten. Auch der Tyrannen bemächtigte sich jetzt eine Angst, die zu der Gefahr in gar keinem Verhältnis stand; denn noch ehe die Feinde herüber waren, standen sie schon wie vom Schrecken gelähmt und wussten nicht, ob sie fliehen oder bleiben sollten. Da sah man die einst so hochfahrenden Menschen, die mit ihren Schandthaten sich gebrüstet hatten, demütig zitternd und so verändert, dass sie bei all ihrer Schlechtigkeit doch Mitleid erwecken mussten. Sie wollten nun zwar einen Angriff auf die Ringmauer machen, sich durch die Postenkette durchschlagen und so das Freie gewinnen; als sie aber ihre Getreuen, die sämtlich geflohen waren, wohin die Not sie trieb, nirgends mehr erblickten, und obendrein noch einige Eilboten meldeten, die ganze westliche Mauer sei zerstört, andere, die Römer seien schon eingedrungen, wieder andere, sie seien auf der Suche nach ihnen schon ganz nahe, und schliesslich etliche, deren Augen die Furcht tauschte, sogar versicherten, sie sahen die Feinde bereits
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auf den Türmen - da fielen sie auf ihr Angesicht, jammerten über ihre Verblendung und vermochten, als wären ihnen die Sehnen durchschnitten, sich nicht mehr vom Fleck zu rühren. Jetzt offenbarte sich so recht die Macht Gottes über die Ruchlosen und das Glück der Römer. Die Tyrannen nämlich vergassen ihre Sicherheit und stiegen von den Türmen herab, wo sie niemals durch Gewalt, sondern nur durch Hunger hätten bezwungen werden können; die Römer aber, denen die schwächeren Mauern so viel zu schaffen gemacht hatten, gewannen die, gegen welche kein Belagerungswerkzeug etwas ausgerichtet hatte, durch die Gunst des Glückes; denn die oben beschriebenen drei Türme 1 würden jeder Maschine getrotzt haben. 5. Nachdem die Empörer diese Türme verlassen hatten oder vielmehr von Gott daraus vertrieben waren, flohen sie schleunigst in die Schlucht unterhalb des Siloa und warfen sich, als sie von ihrem Schrecken sich ein wenig erholt hatten, gegen den dortigen Teil der Ringmauer. Ihre Kühnheit aber hielt mit der Not schon nicht mehr gleichen Schritt, denn Angst und Elend hatten ihre Kraft gebrochen. So wurden sie denn von den Wachen alsbald zurückgeschlagen, stoben auseinander und versteckten sich in den unterirdischen Gängen. Unterdessen hatten die Römer die Mauern besetzt, die Feldzeichen auf den Türmen aufgepflanzt und unter freudigem Händeklatschen den Siegesgesang angestimmt, da das Ende des Krieges ihnen viel leichter geworden war, als sein Anfang erhoffen liess. Es kam ihnen selbst unglaublich vor, dass sie ohne Schwertstreich die letzte Mauer erstiegen hatten, und sie wussten nicht, was sie denken sollten, als sie keinen Feind erblickten. Mit gezücktem Schwert strömten sie nun in die Gassen, stiessen jeden nieder, der ihnen in den Weg kam, und verbrannten die Häuser, in welche sich Juden geflüchtet hatten, samt allem, was darin
1 Hippikus, Phasael und Mariamne.
Seite 610 war. Sie plünderten viel; oft aber, wenn sie der Beute wegen in ein Haus eingedrungen waren, fanden sie ganze Familien tot und die Dächer mit Leichen von Verhungerten gefüllt - ein Anblick, über den sie sich derart entsetzten, dass sie mit leeren Händen wieder herauskamen. So tiefes MIitleid sie übrigens mit den also Umgekommenen empfanden, so erstreckte sich dasselbe doch nicht auf die Lebenden: niederstossend, was ihnen in den Weg kam, versperrten sie die engen Gassen mit lauter Toten und überschwemmten die Stadt mit Strömen von Blut, sodass manche Feuersbrunst durch Blut gelöscht ward. Gegen Abend stellten sie das Morden ein; der Brand aber wütete die ganze Nacht hindurch fort. Am achten Gorpiaios ging die Sonne über den rauchenden Trümmern Jerusalems auf, einer Stadt, die während ihrer Belagerung von so vielen Drangsalen heimgesucht wurde, dass sie, hatte sie seit ihrer Gründung ebenso viel Glück genossen, in der That beneidenswert gewesen wäre; aber durch nichts anderes hatte sie so grosses Unglück verdient, als dadurch, dass sie ein Geschlecht erzeugte wie das, welches sie ins Verderben stürzte.
1. Als Titus in die obere Stadt einzog, bewunderte er ausser ihrer Festigkeit im allgemeinen ganz besonders die der Türme, welche die Tyrannen in ihrem Wahnsinn verlassen hatten, und indem er die Höhe der massiven Bauten, die Grösse der einzelnen Steinblöcke und die Genauigkeit der Zusammenfügung sowie ihre gewaltige Länge und Breite betrachtete, rief er aus „Mit Gottes Hilfe haben wir gekämpft! Er war es, der die Juden von diesen Bollwerken vertrieb, denn was
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vermöchten Menschenhande oder Maschinen gegen solche Türme?" Noch über vieles derartige besprach er sich mit seinen Freunden. Alsdann gab er den Gefangenen der Tyrannen, die man in den Turmverliessen gefunden hatte, die Freiheit und befahl, den noch erhaltenen Teil der Stadt vollends zu zerstören und die Mauern zu schleifen; die drei Türme aber liess er als Denkmale seines Glückes, das ihm selbst uneinnehmbare Bollwerke bezwingen half, stehen. 2. Da die Krieger nun des Mordens müde waren und doch immer noch eine erhebliche Menge Juden zum Vorschein kamen, befahl der Caesar, nur die Bewaffneten und Widerspenstigen zu töten, die übrigen dagegen lebendig gefangen zu nehmen. Gleichwohl machten die Soldaten ausser den von Titus Bezeichneten auch noch die Alten und Schwachen nieder; diejenigen aber, welche im blühenden Alter standen und noch verwendbar waren, trieben sie auf den Tempelberg und schlossen sie daselbst in den Weibervorhof ein. Zum Wächter über sie bestellte der Caesar einen seiner Freigelassenen, während sein Freund Fronto jedem das verdiente Schicksal zusprechen sollte. Dieser liess die Empörer und Räuber, die sich alle gegenseitig zur Anzeige brachten, hinrichten; die schönsten und grössten Jünglinge aber las er aus, um sie für den Triumphzug aufzubewahren. Von den übrigen Gefangenen schickte Titus die mehr als siebzehn Jahre alten in die Bergwerke l Aegyptens; die meisten jedoch verschenkte er in die Provinzen, wo sie bei den Schauspielen entweder durchs Schwert oder durch wilde Tiere umkommen sollten. Was unter siebzehn Jahren war, wurde verkauft. Während der Tage übrigens, da Fronto die Auswahl traf, starben noch elftausend den Hungertod, teils weil die Wächter ihnen aus Hass keine Lebensmittel verabreichten, teils weil sie die dargebotene Nahrung verschmähten. Freilich
1 S. Diodor III, 12. In den Bergwerken wurde Gold gewonnen.
Seite 612 mangelte es auch für eine solche Menge an Getreide. 3. Die Gesamtzahl der in diesem Kriege gefangenen Juden belief sich auf siebenundneunzigtausend; ums Leben kamen während der Dauer der Belagerung eine Million und hunderttausend. Die meisten waren geborene Juden, aber nicht aus Jerusalem.1 Denn aus dem ganzen Lande war das Volk zum Feste der ungesäuerten Brote in die Hauptstadt zusammengeströmt, und da es hier ganz unversehens von der Belagerung überrascht wurde, war bei dem engen Zusammenwohnen der Ausbruch der Pest und später auch der noch verderblicheren Hungersnot unvermeidlich. Dass aber die Stadt eine solche Menschenmenge fassen konnte, ergiebt sich aus einer zu Cestius Zeiten stattgehabten Zahlung. Um nämlich dem Nero, der vom Jüdischen Volke sehr geringschätzig dachte, den blühenden Zustand Jerusalems zu beweisen, beauftragte Cestius die Hohepriester, womöglich 2 die Bevölkerung zu zählen. Da nun gerade das Paschafest einfiel, an welchem von der neunten bis zur elften Stunde Opfer dargebracht werden und um jedes Opfer sich eine Gesellschaft von zehn, oft wohl auch zwanzig Männern sammelt (einer allein darf nämlich das Opfermahl nicht verzehren), ermittelte man durch Zählung zweihundertsechsunfünfzigtausendfünfhundert Opfertiere. Nehmen wir aber auf jedes Opfermahl auch nur zehn Teilnehmer, so kommen zwei
1 Bezüglich des Schicksals der Christen zu Jerusalem erfahren wir bei Eusebius (Hist. eccles. III, 5), dass sie vor der Belagerung nach Pella geflohen waren.
2 Die Juden hielten es für unerlaubt, das Volk zu zählen, einmal weil sie (nach Hoseas 2, 1) unzählbar wie der Sand am Meere sein sollten, und dana auch weil die Zählung dem Könige David so schlecht bekommen war (2. Samuel 24). Die Bevölkerungsziffer sollte vielmehr mittelbar so gefunden werden, dass jedem eine Münze abgefordert oder die Paschalämmer gezahlt würden. Letzteres Verfahren beobachtete nach dem Midrasch Echa Rabbati auch der König Agrippa.
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Million und siebenhunderttausend 1 und zwar lauter reine und geweihte Personen heraus; denn Aussätzige, Samenfüssige, in der monatlichen Reinigung begriffene Weiber und anderweitig Verunreinigte durften an diesem Opfer nicht teilnehmen, ebensowenig Nichtjuden, die etwa zum Gottesdienst sich eingefunden hatten. 4. Die Hauptmasse der Festteilnehmer war demnach von auswärts zusammengeströmt, und so hatte denn das Schicksal es gerade damals gefügt, dass das ganze Volk wie in ein Gefängnis eingeschlossen war und das feindliche Heer eine mit Menschen vollgepfropfte Stadt umzingelte. Darum war auch die Menge der Umgekommenen grösser als bei irgend einer anderen Drangsal, die je von Menschen oder von Gott über eine Stadt heraufbeschworen wurde. Von denen nun, die jetzt noch zum Vorschein kamen, töteten die Römer einen Teil, andere machten sie zu Gefangenen; die in den unterirdischen Gängen aber suchten sie auf und stiessen, nachdem sie die Erde durchbrochen hatten, alle nieder, die ihnen unter die Hände kamen. Auch in diesen Gängen fand man übrigens noch mehr wie zweitausend Tote, die teils sich selbst, teils einander das Leben genommen hatten, zumeist aber dem Hunger erlegen waren. Den eindringenden Soldaten wehte infolge dessen ein schrecklicher Leichengeruch entgegen, sodass viele von ihnen sich schleunigst wieder zurückzogen; andere, welche die Habgier trotzdem hineintrieb, mussten über Haufen von Leichen hinwegschreiten. In der That stiess man in den Gängen auf eine Menge Kostbarkeiten, und die Gewinnsucht hielt jedes Mittel, in deren Besitz zu gelangen, für erlaubt. Weiterhin zog man viele Gefangenen der Tyrannen heraus; denn selbst im letzten Augenblick noch verharrten diese in ihrer Grausamkeit. Dafür strafte sie Gott aber auch beide, wie sie es verdienten. Joannes, der samt seinen Brüdern in den unterirdischen Gängen Hunger litt, hielt endlich doch
1 D. h. in runder Zahl.
Seite 614 bei den Römern um die so oft verschmähte Gnade an; Simon dagegen ergab sich, nachdem er mit der entsetzlichsten Not gerungen hatte, auf die unten l näher zu beschreibende Weise. Er wurde als Schlachtopfer für den Triumph aufbewahrt, Joannes aber zu lebenslänglicher Einkerkerung bestimmt. Die Römer steckten nun auch noch die entferntesten Stadtteile in Brand und machten die Mauern dem Erdboden gleich.
1. So fiel Jerusalem im zweiten Jahre der Regierung des Vespasianus, am achten des Monats Gorpiaios. 2 Fünfmal war es früher erobert, einmal auch zerstört worden. Der aegyptische König Asochaeus 3 nämlich, dann Antiochus, später Pompejus und nach ihm Sosius in Gemeinschaft mit Herodes eroberten die Stadt; doch liessen sie sie stehen. Vor ihnen aber hatte der Babylonierkönig 4 sie eingenommen und zerstört, vierzehnhundertachtundsechzig Jahre und sechs Monate nach ihrer Gründung. Der erste Erbauer Jerusalems war ein chananaeischer Herrscher, dessen Name in der Landessprache „gerechter König" 5 bedeutet. Das war er in der That, und darum diente er zuerst dem Herrn als Priester, wie er auch zuerst das Heiligtum gründete und die Stadt, die früher Solyma hiess, Hierosolyma 6 nannte.
1 VII,2,2.
2 September 70 n. Chr.
3 J. A. VIII, 10, 2f. heisst er Susak, bei Herodot (I, 102) Sesostris, im alten Testamente (1. Könige 14, 25) Sisak.
4 Nebukadnezar.
5 Melchisedek.
6 D. i. das heilige Solyma. Die von Josephus beliebte Ableitung des Namens ist übrigens unrichtig (s. v. Raumer, Palaestina, 4. Aufl. S. 337).
Seite 615 Sechstes Buch, 10. Kapitel.61 Später vertrieb der jfidische König David die Chanaxaner auls der Stadt und bevöikerte sie mit seinen Stammesgenossen; vierhundertsiebenundsiebzig Jabre und sechs Monate nach ihm ward sie dann von den Babyloniern zerstört. Von David, dem ersten jüdischen König in Jerusalem, bis zur Zerstörung durch Titus verflossen elf hundertneunundsiebzig, von der ersten Gründung bis zur letzten Eroberung zweitausendeinhundertsiebenundsiebzig Jahre. 1 Weder das hohe Alter der Stadt, noch ihr ungeheurer Reichtum, noch die Verbreitung des ihr zugehörigen Volkes über die ganze Erde, noch der grosse Ruf des in ihr gepflegten Gottesdienstes vermochte sie vor dem Untergang zu bewahren. Dies war das Ende der Belagerung Jerusalems.
1 Auf besondere Genauigkeit können diese Zahlen schon deshalb keinen Auspruch machen, weil sie in den Texten nicht immer richtig abgeschrieben worden sind. Infolgedessen hat der eine Codex diese, der andere jene Zahl.
1. Wie die Römer, nachdem sämtliche Juden getötet oder gefangen waren, alles dem Erdboden gleich machten mit Ausnahme dreier Türme, die der Nachwelt eine Vorstellung von der einstigen Schönheit der Stadt geben sollten. 2. Rede des Titus an seine Soldaten und lobende Anerkennung ihrer Tapferkeit. 3. Wie er einzelne von ihnen nach Verdienst durch Kampfpreise und Geschenke ehrte. 4. Wie er nach reichlicher Beschenkung der Legionen sich nach Caesarea begab, wohin er auch die gesamte Kriegsbeute bringen liess. 5. Vespasianus bricht von Alexandria nach Rom auf. 6. Wie Titus sich nach Caesarea Philippi begab und dort Spiele feierte, bei denen eine grosse Menge Kriegsgefangener den Tod fand. 7. Wie der Tyrann Simon gefangen genommen und für den Triumph aufbewahrt wurde. 8 Wie Titus bei der Feier von seines Bruders Geburtstag viele Juden umbringen liess. 9. Wie die Juden zu Antiochia infolge der Gesetzesübertretung eines Juden Antiochus in grosse Gefahr gerieten. 10. Wie Vespasianus überall und besonders in Rom glänzend empfangen wurde. 11. Wie die Germanen, die von den Römern abgefallen waren, wieder unterjocht wurden. 12. Wie die Sarmaten wegen eines Einfalles in Moesien gezüchtigt und mit grossem Verlust in ihr Land zurückgetrieben wurden. 13. Wie Titus von Berytus aus zurückkehrte und viele Juden bei den von ihm veranstalteten Spielen umbringen liess. Merkwürdiger Bericht über den sogenannten Sabbatfluss. 14. Wie die Antiochener mit ihren Klagen gegen die Juden abgewiesen wurden. 15. Wie Titus nach Jerusalem zurückkehrte und beim Anblick der verödeten Stadt von Mitleid bewegt wurde. Er reist über Alexandria nach Rom.
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16. Wie er in Italien begeistert empfangen und unter grossem Gepränge geleitet wurde, und wie die beiden Caesaren gemeinsam zu triumphieren beschlossen. 17. Beschreibung des Triumphzuges und der in ihm zur Schau mitgeführten Beutestücke. 18. Hinrichtung des Tyrannen Simon während des Triumphzuges. 19. Wie im Tempel der Friedensgöttin, den Vespasianus nach dem Triumph erbaute, alle Beutestücke niedergelegt wurden. 20. Wie Bassus nach Judaea kam und, nachdem er das Kastell Herodium zur Übergabe gezwungen, auch zur Eroberung der Festung Machaerus sich anschickte. 21. Über die Lage von Machaerus. 22. Von der in der Königsburg zu Machaerus wachsenden Raute. 23. Merkwürdiger Bericht von einer anderen Pflanze. 24. Von den warmen Quellen des Ortes. 25. Wie Bassus gegen Freigabe des auf eigentümliche Weise gefangen genommenen Jünglings Eleazar die Übergabe der sehr stark befestigten Stadt erlangte. 26. Wie er die Juden, die sich in eine Waldschlucht mit Namen Jardes geflüchtet hatten, umzingeln und sämtlich niedermachen liess. 27. Wie Vespasianus an Bassus und Liberius den Befehl sandte, das ganze Land der Juden zu verkaufen, und den letzteren, wo sie auch wohnen mochten, eine jährliche Steuer von zwei Drachmen auflegte, die sie für das Kapitolium, wie früher für den Tempel, zu entrichten hatten. 28. Von dem Unglück des Königs Antiochus von Kommagene. 29. Von den Alanen und ihren Raubzügen nach Medien und Armenien. 30. Von der Festung Masada und den Sikariern, die dieselbe besetzt hielten. 31. Wie Silva sich zur Belagerung von Masada anschickte. Beschreibung der Stadt. 32. Von den Vorräten an Waffen und Lebensmitteln, die seit des Königs Herodes Zeiten dort lagerten. 33. Wie der römische Heerführer Masada berannte, die Mauer durch Feuer zerstören und in der Absicht, die Feinde am folgenden Morgen anzugreifen, dieselben in der Nacht streng bewachen liess. 34. Wie Eleazar, der Führer der Sikarier, alle seine Untergebenen durch eindringliche Vorstellungen dahin brachte, dass sie den Entschluss fassten, sich samt ihren Familien selbst zu töten. 35. Wie darauf alle in der Festung befindlichen Menschen ausser zwei Weibern und fünf Knaben sich gegenseitig ermordeten.
Seite 618 36. Wie die Römer und Silva, die sich harte Strapazen bei der Einnahme der Stadt vorgestellt hatten, dieselbe ohne Schwertstreich eroberten. 37. Wie zu Alexandria viele dorthin geflohene Sikarier in harte Bedrängnis gerieten, und. wie der einst vom Hohepriester Onias in Aegypten erbaute Tempel zerstört wurde. S8. Wie ein gewisser Sikarier Jonathas, seines Zeichens Weber, die Juden in Kyrene zum Aufruhr verleitete, und wie infolgedessen viele von ihnen umkamen. 139. Wie von Jonathas auf Anstiften des Statthalters Catullus unter anderen auch der Schriftsteller Josephus fälschlich angeklagt wurde. 40. Wie Vespasianus nach Ermittelung des wahren Sachverhaltes den Jonathas lebendig verbrennen liess, und wie Catullus zunächst frei ausging, später aber an einer Krankheit starb, die Gott ihm zur Strafe für die Ermordung der fälschlich angeklagten Juden schickte.
1. Da das Heer jetzt nichts mehr zu morden und zu rauben hatte, und die Erbitterung sich vergeblich nach einem Gegenstand umsah, an den sie sich hätte sättigen können (aus blossem Mitgefühl nämlich würden die Soldaten wohl an keinem vorübergegangen sein), befahl der Caesar, die ganze Stadt und den Tempel zu schleifen. Nur die Türme Phasai 1, Hippikus und Mariamne, welche die anderen überragten, sowie die westliche Strecke der Ringmauer sollten stehen bleiben: letztere, um ein festes Lager für die künftige Besatzung bilden zu helfen, die Türme aber, um der Nachwelt Zeugnis zu geben, wie herrlich und wie stark befestigt die Stadt war, die der römischen Tapferkeit erlag. Alle übrigen Teile der Stadtmauer machten die Sieger so völlig dem Erdboden gleich, dass fremde Ankömmlinge kaum hätten glauben sollen, die Stätte sei jemals bewohnt gewesen. Ein so trauriges Ende nahm die prächtige, weltberühmte Stadt Jerusalem infolge des Wahnsinns der Empörer.
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2. Als Besatzung beschloss der Caesar die zehnte Legion sowie einige Reiterschwadronen und kleinere Abteilungen Fussvolk zurückzulassen. Nachdem er nunmehr mit allen kriegerischen Operationen zu Ende war, verlangte es ihn, dem gesamten Heere wegen der glänzenden Erfolge seine Anerkennung auszusprechen und denen, die sich hervorgethan, die verdienten Belohnungen zuzuteilen. Zu diesem Zweck liess er inmitten des früheren Lagers eine grosse Tribüne errichten, bestieg dieselbe mit den höheren Offizieren und hielt, weithin vernehmlich, an das versammelte Heer folgende Ansprache: „Dank, vielen Dank sage ich euch für die gute Gesinnung, die ihr mir gegenüber an den Tag legtet, und die sich bis jetzt stets gleich geblieben ist. Des weiteren lobe ich euren Gehorsam, den ihr während des ganzen Krieges trotz vieler und schwerer Gefahren neben grosser persönlicher Tapferkeit bewiesen habt, um auch eurerseits dazu beizutragen, dass die Herrschaft eures Vaterlandes ausgebreitet werde, und um der Welt zu zeigen, dass weder ein an Zahl überlegener Gegner, noch starke Festungswerke, noch grosse Städte, noch unsinnige Tollkühnheit und tierische Wildheit den römischen Waffen trotzen können, selbst wenn die Feinde hin und wieder vom Glück begünstigt werden. Wir haben nun den langwierigen Krieg so rühmlich zu Ende geführt, wie wir es bei seinem Beginn nur wünschen konnten. Aber noch rühmlicher und ehrenvoller ist es für euch, dass der Herrscher und Lenker des römischen Reiches, den ihr erwählt und in die Heimat vorausgeschickt habt, weit und breit mit Jubel begrüsst wird, dass man allenthalben eurem Beschlusse zustimmt und euch, den Wählern, dafür Dank weiss. Euch allen zolle ich darum meine Bewunderung und Achtung; weiss ich doch, dass bei keinem von euch der gute Wille hinter dem Erreichbaren zurückgeblieben ist. Denen aber, die, mit grösserer Körperkraft ausgerüstet, sich im Kampfe besonders ausgezeichnet, ihr Leben mit Heldenthaten geschmückt und den Ruhm meines Heeres durch
Seite 620 siegreiche Unternehmungen erhöht haben, will ich jetzt die entsprechenden Preise und Belohnungen verleihen, und keiner, der mehr als andere zu leisten sich bemühte, soll der gebührenden Anerkennnng verlustig gehen. Gar sehr nämlich liegt mir dies am Herzen, wie ich denn überhaupt viel lieber das wackere Verhalten meiner Kriegsgefährten belohne, als ihre Fehler bestrafe." 3. Sogleich befahl er alsdann den damit beauftragten Personen, diejenigen zu verlesen, die während des Krieges irgend eine glänzende That vollbracht hatten. Wie sie nun an ihm vorüberzogen, redete er sie Mann für Mann mit Namen an, lobte sie und zeigte eine Freude, wie wenn die einzelnen Heldenthaten von ihm selbst verrichtet worden waren. Zugleich bedachte er sie mit goldenen Kränzen, goldenen Halsketten, grossen goldenen Speeren, oder schenkte ihnen silberne Feldzeichen, und liess jeden in einen höheren Rang aufrülken. Auch verteilte er aus der Kriegsbeute noch Gold, Silber, kostbare Kleidungsstucke und andere Gegenstande in Hulle und Fülle. Als er in dieser Weise ihnen allen die verdiente Auszeichnung zuerkannt hatte, sprach er einen Segenswunsch über das Heer, stieg unter dem Jubel der Menge von der Tribune herab und liess die Siegesopfer darbringen. Vor den Altaren stand schon eine Masse von Stieren bereit; diese wurden jetzt geschlachtet, ihr Fleisch verteilt und dem Heere dadurch ein reichliches Mahl verschafft. Er selbst schmauste mit den Offizieren drei Tage lang und entliess sodann die fremden Truppen, wohin es ihnen beliebte. Der zehnten Legion übertrug er die Bewachung von Jerusalem, anstatt sie wieder über den Euphrat zu schicken, wo sie früher gestanden hatte. Die zwölfte Legion dagegen, der er nicht vergessen konnte, dass sie einst unter Cestius vor den Juden zurückgewichen war, verwies er gänzlich aus Syrien, wo sie ehedem in Raphanaea gelegen hatte, und schickte sie nach Melitene, einer Landschaft am Euphrat auf der Grenze zwischen Arme-
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nien und Kappadocien. Zwei Legionen, die fünfte und fünfzehnte, wollte er bis zu seiner Ankunft in Aegypten bei sich behalten. Hierauf zog er mit seiner Streitmacht nach Caesarea am Meer, wo er auch die unermessliche Beute unterbringen und die Kriegsgefangenen bewachen liess. Die Abfahrt nach Italien nämlich verhinderte der Winter.
1. Um die Zeit, da der Caesar Titus die Belagerung Jerusalems eben am eifrigsten betrieb, bestieg Vespasianus in Alexandria ein Kauffahrtenschiff und setzte nach Rhodus über. Von hier fuhr er auf Dreiruderern weiter, besuchte sämtliche Städte, an denen sein Weg ihn vorbeiführte, und ward überall mit Glück- und Segenswünschen empfangen. Alsdann setzte er l von Ionien nach Griechenland und weiterhin von Kerkyra nach dem Japygischen Vorgebirge über, von wo er seine fernere Reise vollends zu Land ausführte. Unterdessen brach Titus von Caesarea am Meer auf und begab sich nach Caesarea Philippi, wo er längere Zeit verweilte und mancherlei Spiele aufführen liess. Eine Menge Kriegsgefangener fand dabei den Tod, indem sie entweder den wilden Tieren vorgeworfen oder gezwungen wurden, haufenweise miteinander zu kämpfen. Hier war es auch, wo Titus die Gefangennahme Simons, des Sohnes des Gioras, erfuhr, die sich folgendermassen zutrug. Simon hatte bekanntlich während der Belagerung Jerusalems die obere Stadt inne. Als aber das Römerheer innerhalb der Mauern war und die ganze Stadt verwüstete, nahm er seine vertrautesten Freunde samt einigen Steinhauern sowie die nötigen eisernen Werkzeuge für die letzteren und Proviant, der für mehrere
1 69 n. Chr.
Seite 622 Tage reichen konnte, mit und begab sich in Begleitung dieser Männer in eines der finsteren Gelasse. So lange nun der alte Gang fortlief, folgten sie demselben; als sie aber auf festes Erdreich stiessen gruben sie weiter in der Hoffnung, bei fernerem Vordringen an einer sicheren Stelle hervorschlüpfen und sich auf diese Weise retten zu können. Beim wirklichen Versuch indes mussten sie sich gar bald von der Aussichtslosigkeit ihrer Bemühungen überzeugen; denn die Arbeiter waren unter grossen Anstrengungen nur wenige Schritte vorwärts gekommen, als die Lebensmittel, so sparsam man auch mit ihnen umgegangen war, auszugehen drohten. Da zog Simon, um die Römer durch Erregung von Schrecken zu tauschen, einen weissen Leibrock an, befestigte darüber ein purpurnes Übergewand und stieg an derselben Stelle, wo früher der Tempel gestanden hatte, aus der Erde empor. Zuerst ward es den Soldaten, die ihn sahen, gruselig, und sie blieben stehen; dann aber traten sie näher und riefen ihn mit „Wer da" an. Simon gab ihnen hierauf keine Antwort, sondern ersuchte sie, den Feldherrn zu holen. Eiligst liefen sie zu Terentius Rufus, der auch sogleich erschien; er war nämlich als Befehlshaber des Heeres zurückgeblieben. Als er nun von Simon den ganzen Sachverhalt erfuhr, liess er ihn fesseln und bewachen und teilte dem Caesar mit, auf welche Weise man seiner habhaft geworden. So gab Gott den Simon zur Strafe für die Tyrannisierung seiner Mitbürger, gegen die er so schrecklich gewütet hatte, seinen Todfeinden in die Hand, und zwar sollte er nicht mit Gewalt von ihnen bezwungen werden, sondern freiwillig sich ihnen zur Bestrafung stellen und so dasselbe thun müssen, um dessetwillen er so viele auf die falsche Anklage hin, dass sie es mit den Römern hielten, grausam hatte ermorden lassen. Denn wie die Bosheit dem Zorne Gottes nicht entfliehen kann, so ist auch seine Gerechtigkeit nicht kraftlos, sondern ereilt im Laufe der Zeit stets diejenigen, die sich gegen sie vergangen haben, und sucht die Bösen mit
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einer Strafe heim, die um so empfindlicher ist, als sie derselben schon entronnen zu sein glauben, weil sie nicht augenblicklich der That folgte. Das erfuhr auch Simon, als er der Rache der Römer anheimfiel. Sein Auftauchen aus dem Schoss der Erde bewirkte übrigens, dass in jenen Tagen auch die anderen Aufrührer noch massenhaft in den unterirdischen Gängen entdeckt wurden. Als Titus nun nach Caesarea am Meer zurückgekehrt war, führte man ihm den Tyrannen gefesselt vor, wonach er befahl, ihn für den Triumph aufzubewahren, den er in Rom zu feiern gedachte.
1. Während seines dortigen Aufenthaltes beging er aufs glänzendste den Geburtstag seines Bruders1 und liess ihm zu Ehren wieder eine Menge gefangener Juden töten; mehr als zweitausendfünfhundert betrug die Zahl derer, die teils in den Tiergefechten, teils auf dem Scheiterhaufen, teils in den Kämpfen miteinander zu Grunde gingen. Aber trotz all dieser und unzähliger sonstiger Todesarten, denen die Juden erlagen, schien den Römern die Strafe für die Empörer noch nicht schwer genug. Hierauf begab sich der Caesar nach Berytus, einer römischen Kolonie in Phoenicien, wo er langere Zeit verweilte und, um den Geburtstag seines Vaters 2 zu feiern, für prächtige Spiele und sonstigen Pomp den denkbar grössten Aufwand machte. Auch hier musste auf die gleiche Weise wie früher wieder eine Menge Gefangener das Leben lassen.
2. Um diese Zeit gerieten auch die Juden zu Antiochia, die bisher von kriegerischen Drangsalen ver-
1 Domitianus (geb. 24. Oktober 50 n. Chr.).
2 Vespasianus war geboren am 17. November 9 n. Chr.
Seite 624 schont geblieben waren,1 in schlimmen Verdacht und schwere Lebensgefahr. Der dortigen Bürgerschaft nämlich hatte sich eine gewaltige Erregung bemächtigt, tells infolge von Beschuldigungen, die in Jüngster Zeit gegen die Juden erhoben worden waren, teils auch wegen einiger älteren Vorfalle. Letztere muss ich ganz kurz schildern, um die Erzählung der späteren Begebenheiten verständlich zu machen.
3. Das Jüdische Volk lebt bekanntlich unter den Bewohnern der verschiedenen Länder über die ganze Erde zerstreut; am meisten aber ist es in der seinem Stammlande benachbarten Provinz Syrien und hier wieder vorzugsweise in Antiochia wegen der Grösse dieser Stadt mit der übrigen Bevölkerung vermischt. Auch war ihnen ja von den Königen nach Antiochus daselbst freie Niederlassung zugestanden worden. Dieser Antiochus, mit dem Beinamen Epiphanes, hatte Jerusalem zerstört und den Tempel geplündert; seine Nachfolger auf dem Thron aber hatten alle ehernen Weihgeschenke den Juden zu Antiochia gegeben, sie in deren Synagoge gestiftet und ihnen dieselben bürgerlichen Rechte wie den Griechen verliehen. Auch die späteren Könige behandelten sie in gleicher Weise, und da sich infolgedessen ihre Zahl beträchtlich vermehrte, verschönerten sie ihr Heiligtum durch kunstvolle und prächtige Geschenke und zogen eine Menge Griechen zu ihrem Glauben herüber, wodurch sie diese gewissermassen zu einem Bestandteil ihrer eigenen Gemeinde machten. Um die Zeit der Kriegserklärung nun, als Vespasianus neuerdings in Syrien gelandet war und allenthalben die Flamme des Judenhasses mächtig emporschlug, trat ein Mitglied der Jüdischen Gemeinde Namens Antiochus, der um seines Vaters, des Vorstehers 2 der antiochenischen
1 S. II, 18, 5.
2 Einen solchen Vorsteher (hier Archon, sonst Alabarch genannt) hatten die griechischen Könige zu Alexandria und Antiochia den Juden als eigene Obrigkeit zugestanden, und auch unter den Römern war diese Einrichtung bestehen geblieben.
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Judenschaft, willen hohes Ansehen genoss, im Theater vor der dort versammelten Bürgerschaft auf und klagte seinen eigenen Vater und die übrigen Juden an, als gingen sie mit dem Plan um, in einer bestimmten Nacht die ganze Stadt in Brand zu stecken. Zugleich lieferte er einige fremde Juden als angebliche Teilhaber der Verschwörung in die Hände der Antiochener. Diese vermochten sich vor Zorn darüber nicht zu halten und liessen unverzüglich für die Ausgelieferten im Theater einen Scheiterhaufen errichten, auf dem dieselben denn auch samt und sonders verbrannt wurden. Alsdann schickten sich die Griechen an, über ihre jüdischen Mitbürger herzufallen; sie glaubten eben, ihre Vaterstadt um so sicherer retten zu können, je schneller sie an ihnen Rache nähmen. Antiochus fachte ihre Erbitterung noch weiter an, und um von seiner Sinnesanderung und von seinem Hass gegen die Jüdischen Religionsgebräuche einen Beweis zu geben, opferte er nicht nur selbst nach griechischer Sitte, sondern machte auch den Vorschlag, die übrigen gleichfalls dazu zu nötigen; an der Weigerung werde man dann die Verschwörer erkennen. Die Antiochener machten auch wirklich die Probe, aber nur wenige Juden liessen sich darauf ein; die Widerspenstigen wurden hingerichtet. Antiochus erhielt nun vom römischen Statthalter Soldaten, mit deren Hilfe er seine Mitbürger aufs schlimmste bedrängte. Er verbot ihnen, am Sabbat zu feiern, zwang sie, alle werktäglichen Arbeiten an demselben zu verrichten, und wusste seinen harten Massregeln solchen Nachdruck zu geben, dass nicht nur in Antiochia, sondern nach dem Vorgang dieser Stadt auch anderwärts die Feier des Sabbats eine Zeitlang aufhörte.
4. Bald nachdem die Juden zu Antiochia dieses Leid erduldet, traf sie ein zweiter Unglücksfall, zu dessen näherem Verständnis eben die vorstehende Erzählung beitragen sollte. Es begab sich nämlich, dass der viereckige Markt, das Rathaus, das Archiv und der Königspalast abbrannten; nur mit äusserster Anstrengung
Seite 626 konnte man ein Übergreifen des Feuers auf die ganze Stadt verhüten. Antiochus bezichtigte nun die Juden der Brandstiftung, und selbst wenn die Antiochener nicht schon vorher so schlecht auf sie zu sprechen gewesen wären, hätte doch diese Verleumdung in der neuen Aufregung über das Unglück wirken müssen. Dadurch aber, dass Antiochus sich auch noch auf den früheren Vorfall berief, wusste er seine Angaben erst recht glaublich zu machen, sodass die Antiochener, als hätten sie mit eigenen Augen die Juden den Feuerbrand schleudern sehen, sich wie rasend auf die Verleumdeten stürzen wollten. Nur mit Mühe gelang es dem Legaten Cnejus Collega, ihre Aufregung zu beschwichtigen, indem er verlangte, dass man ihn über das Geschehene zunächst nach Rom berichten lassen solle; Caesennius Paetus nämlich, den Vespasianus zum Statthalter von Syrien ernannt und bereits dorthin geschickt hatte, war noch nicht angekommen. Durch genaue Untersuchung ermittelte übrigens Collega den wahren Sachverhalt: von den Juden, die Antiochus beschuldigt hatte, war keiner mit dabeigewesen, sondern der ganze Brand stellte sich als das Werk einiger ruchlosen Menschen heraus, die in hohem Grade verschuldet waren und geglaubt hatten, man werde, wenn sie das Rathaus und die städtischen Urkunden durch Feuer vernichteten, keine Anforderung mehr an sie stellen können. So lange aber die Untersuchung noch im Gänge war, schwebten die Juden binsichtlich der Zukunft in angstvoller Erwartung.
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1. Als dem Caesar Titus gemeldet ward, wie sehr sein Vater von allen Städten Italiens erwartet worden sei und wie besonders Rom ihm den herzlichsten und glänzendsten Empfang bereitet habe, erfüllte ihn diese willkommene Zerstreuung seiner Besorgnisse mit denkbar innigster Freude. Denn selbst als Vespasianus noch in weiter Ferne war, schlugen ihm bereits alle Herzen in Italien entgegen, wie wenn er schon da wäre: die blosse Erwartung erzeugte - so gross war das Verlangen nach ihm - schon den Eindruck seiner wirklichen Ankunft, und dabei war die allgemeine Zuneigung durchaus frei von jedem Zwang. Der Senat, eingedenk des Unheils, das der rasche Wechsel in der Besetzung des Thrones zur Folge gehabt, wünschte sich Glück, einen durch ehrwürdiges Alter und den Vollglanz kriegerischer Thaten ausgezeichneten Imperator zu erhalten, von dem man überzeugt sein konnte, dass er seine hohe Stellung nur zum Besten seiner Unterthanen benutzen würde. Das Volk aber, durch die inneren Wirren fast aufgerieben, sah seiner Ankunft mit noch grösserem Verlangen entgegen, weil es nicht nur sichere Befreiung von seinen bisherigen Leiden, sondern auch geordnete Verhältnisse und Wohlstand vertrauensvoll erwartete. Das Heer vollends schaute mit besonderer Zuversicht auf ihn; kannte es doch am besten die Bedeutung der von ihm so glücklich beendeten Kriege. Zudem bekundeten die Soldaten, die die Unfähigkeit und Feigheit der anderen Imperatoren zur Genüge erfahren hatten, den lebhaften Wunsch, so manche frühere Schmach zu tilgen, weshalb sie ihn als den Mann ersehnten, der allein ihre Macht und Ehre wiederherstellen könne. Da somit alle Klassen der Bevölkerung das grösste Wohlwollen für ihn an den Tag legten, konnten
Seite 628 die angesehenen Männer der Stadt es nicht über sich bringen, ihn in Rom zu erwarten, sondern eilten ihm bis weit vor die Stadt entgegen. Aber auch den anderen Bürgern war jeder Aufschub der Begegnung unerträglich; sie strömten daher in grossen Scharen hinaus, und da ihnen das Gehen lieber und leichter als das Bleiben war, überkam die Stadt zum erstenmal ein angenehmes Gefühl der Entvölkerung - denn die Zahl. derer, die ihm entgegenzogen, überwog die der Zurückbleibenden um ein bedeutendes. Als nun endlich sein Herannahen gemeldet wurde und die Vorausgeeilten die grosse Leutseligkeit rühmten, mit der er jedermann beglücke, da wollte die gesamte übrige Bevölkerung ihn am Wege empfangen, und wo er vorüberkam, begeisterte sein freundliches Wesen und der milde Ausdruck seines Antlitzes die Menge zu den verschiedensten Zurufen, die ihn als Wohltäter, Retter und allein würdigen Beherrscher Roms bezeichneten. Vor lauter Kränzen und Räucherwerk sah übrigens die Stadt fast wie ein Tempel aus. Nur mit Mühe konnte der Gefeierte durch die Masse des ihn umdrängenden Volkes hindurch in den Palast gelangen, wo er sogleich den Hausgöttern Dankopfer für seine glückliche Ankunft darbrachte. Das Volk aber machte sich unterdessen an die Schmausereien: nach Stämmen, Geschlechtern und Nachbarschaften liessen sich die Einwohner Roms zu den Mahlzeiten nieder und flehten unter Ausgiessung von Trankopfern die Gottheit an, dass sie Vespasianus selbst noch viele Jahre dem römischen Reiche erhalten und seinen Söhnen wie deren spätesten Nachkommen den Thron unbestritten bewahren möge. Seit diesem freudigen Empfange, den Rom dem Vespasianus bereitet hatte, nahm die Stadt ersichtlich an Wohlstand zu.
2. Geraume Zeit vorher, als Vespasianus noch in Alexandria weilte und Titus der Belagerung Jerusalems oblag, empörte sich ein grosser Teil der Germanen, 1
1 Diesen wie den unten erwähnten Sarmaten-Aufstand hat Josephus lediglich zum Zwecke der Verherrlichung seiner Gönner Domitianus und Vespasianus in die Erzählung eingeflochten. Domitians Verdienste sind allerdings stark übertrieben (s. Sueton, Domitian. 7).
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mit denen die benachbarten Gallier gemeinsame Sache machten: vereint hegten sie grosse Hoffnung, das römische Joch von sich abschütteln zu können. Was die Gernmanen zum Abfall und zu kriegerischen Unternehmungen trieb, war zunächst ihr Volkscharakter, vermöge dessen sie, vernünftigen Ratschlägen unzugänglich, bei der geringsten Aussicht auf Erfolg sich blindlings in Gefahren stürzen; dann aber auch der Hass gegen ihre Zwingherren, weil sie wissen, dass ihr Volk noch von niemand ausser den Römern bezwungen worden ist. Zumeist jedoch machte die allgemeine Weltlage ihnen Mut. Da sie nämlich die römische Weltherrschaft infolge des häufigen Wechsels der Imperatoren innerlich erschüttert sahen und Kunde davon erhielten, wie, alle Teile des gewaltigen Reiches in Verwirrung und Schwankung sich befanden, glaubten sie diese Verlegenheiten und Misshelligkeiten der Römer in geschickter Weise für sich ausbeuten zu können. Aufgereizt und mit solchen Hoffnungen erfüllt wurden sie von ihren Anführern Classicus und Vitellius,l die offenbar schon lange den Aufruhr geplant hatten, aber erst jetzt, durch die Zeitumstände ermutigt, ihre Gedanken verlauten liessen und sich anschickten, mit den ohnehin dazu geneigten Völkerschaften den Versuch zu wagen. Schon hatten die meisten Stämme der Germanen sich dem Aufstand angeschlossen und die übrigen ihren baldigen Beitritt in Aussicht gestellt, als Vespasianus wie auf einen Wink der Vorsehung dem früheren Statthalter in Germanien, Petilius Cerealis, ein Schreiben zusandte, worin er ihm den Titel eines Konsuls verlieh und den Befehl erteilte, zur Übernahme der Verwaltung nach Britannien zu gehen. Auf der Reise nach seinem Bestimmungsort kam nun dem Cerealis die Kunde von dem Abfall der Ger-
1 Muss nach Tacitus (Histor. IV, 51-78) heissen: Claudius Civilis.
Seite 630 manen zu, und da dieselben sich bereits gesammelt hatten, überrfiel er sie, brachte ihnen in förmlicher Schlacht schwere Verluste bei und zwang sie dadurch, ihr tolles Unternehmen aufzugeben und zu vernünftiger Überlegung zurückzukehren. Sie waren übrigens, auch wenn Cerealis nicht so schnell in ihrem Lande sioh eingefunden hatte, für ihr Beginnen doch in kurzem gezüchtigt worden. Denn kaum war die Nachricht von ihrem Abfall nach Rom gelangt, als der Caesar Domitianus, ohne, wie ein anderer in seinem noch ganz jugendlichen Alter gethan haben würde, sich lange zu besinnen, seiner vom Vater ererbten Tapferkeit und einer für seine Jahre mächtig gereiften Kriegserfahrung gemäss ans Werk ging und sogleich gegen die Barbaren aufbrach. Das blosse Gerücht von seinem Anrücken nahm ihnen völlig den Mut, und so unterwarfen sie sich ihm aus Angst und betrachteten es schon als Gewinn, dass sie, ohne besonderen Verlust erlitten zu haben, sich wieder unter das vorige Joch beugen durften. Nachdem Domitianus hierauf in Gallien solche Vorkehrungen getroffen, dass nicht so leicht wieder ein Aufstand daselbst ausbrechen konnte, zog er, ruhmbedeckt und ausgezeichnet durch Grossthaten, die zwar nicht von seinem Alter, wohl aber von dem Sohne eines solchen Vaters sich erwarten liessen, in Rom wieder ein. 3. Zugleich mit der Nachricht von dem oben erwähnten Aufstand der Germanen lief auch die von einer skythischen Empörung in Rom ein. Der volkreiche Skythenstamm der Sarmaten nämlich war unbemerkt über den Ister nach Moesien vorgedrungen, hatte dann mit grossem Ungestüm und, besonders furchtbar durch das völlig Unerwartete seines Angriffs, sich auf die Römer geworfen, einen grossen Teil der dortigen Besatzungstruppen niedergemacht, den Legaten Fontejus Agrippa nach kräftiger Gegenwehr getötet und das ganze den Römern unterworfene Land plündernd und verwüstend durchzogen. Als Vespasianus diese Vorgänge und die Verheerung Moesiens erfuhr, sandte er,
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um die Sarmaten zu züchtigen, den Rubrius Gallus ab, dem es denn auch gelang, einen grossen Teil der Empörer auf dem Schlachtfeld zu töten, während die übrigen entsetzt in ihre Heimat flohen. Hiermit war der Krieg zu Ende, und der Feldherr sorgte nun auch für die künftige Sicherheit der Gegend, indem er sie mit zahlreicheren und starkeren Besatzungen versah, sodass den Barbaren der Übergang über den Ister fortan ganz unmöglich wurde. So ward der Kampf in Moesien schnell entschieden.
1. Eine Zeitlang hielt sich also der Caesar Titus, wie oben erwähnt, in Berytus auf. Von dort besuchte er dann der Reihe nach die Städte Syriens und gab in jeder derselben prunkvolle Spiele, bei denen Jüdische Kriegsgefangene durch ihren Tod die Schaulust befriedigen mussten. Auf dieser seiner Reise besichtigte er auch einen seiner natürlichen Beschaffenheit wegen gar merkwürdigen Fluss, der mitten zwischen Arkaea im Königreich des Agrippa und Raphanaea dahinströmt und eine wunderbare Eigenschaft besitzt. So lange er nämlich fliesst, ist er wasserreich und hat ein ziemlich starkes Gefälle; sechs volle Tage aber versiegt er von der Quelle an, sodass sein ganzes Bett trocken liegt. Dann strömt er am siebenten Tage, wie wenn keine Unterbrechung erfolgt wäre, wieder regelmässig und hält diese Ordnung stets genau ein, weshalb man ihn auch - nach dem heiligen siebenten Tage der Juden - Sabbatfluss genannt hat.1
1 Nach Plinius (Naturgeschichte 31, 11) verhielt sich die Sache gerade umgekehrt: sechs Tage lang strömte der Fluss, und am siebenten blieb er aus.
Seite 632 2. Als die Bewohner von Antiochia erfuhren, dass Titus sich der Stadt nähere, vermochten sie sich vor Freude nicht mehr innerhalb ihrer Mauern zu halten, sondern zogen ihm eilenden Fusses mehr als dreissig Stadien weit entgegen, und zwar strömten nicht nur die Männer, sondern auch eine Menge Weiber und Kinder zur Stadt hinaus. Wie sie ihn nun von fern erblickten, stellten sie sich zu beiden Seiten des Weges auf, streckten ihm zur Begrüssung die Hände entgegen und geleiteten ihn unter mancherlei freudigen Zurufen in die Stadt. In alle ihre Glückwünsche vergassen sie übrigens nicht die beharrliche Bitte einzuflechten, Titus möge die Juden aus der Stadt vertreiben lassen. Der Caesar aber ging darauf nicht ein, sondern hörte die Klagen stillschweigend an. Gleichwohl schwebten die Juden, da es ungewiss war, was er zu thun vorhatte, eine Zeitlang in peinlicher Angst. Titus hielt sich nämlich in Antiochia nicht auf, sondern reiste alsbald nach Zeugma am Euphrat weiter. Hier erwartete ihn eine Gesandtschaft des Partherkönigs Vologeses, die ihm aus Anlass seines Sieges über die Juden einen goldenen Kranz überreichte. Er nahm das Geschenk an, liess die Gesandten reichlich bewirten und kehrte dann wieder nach Antiochia zurück. Der inständigen Bitte des Stadtrates und der Bürgerschaft, in ihr Theater zu kommen, wo das versammelte Volk seiner harrte, gab er freundlichst nach; als sie ihm indes hartnackig zusetzten und stürmisch die Vertreibung der Juden aus der Stadt verlangten, erteilte er ihnen die treffende Antwort: „Aber die Hauptstadt der Juden, in die man sie verweisen müsste, ist doch zerstört, und keinen Ort giebt es mehr, der sie aufnehmen würde." Mit diesem Anliegen abgewiesen, brachten die Antiochener alsbald ein zweites vor: Titus möge die ehernen Tafeln, auf denen die Gerechtsame der Juden geschrieben standen, für ungültig erklären. Aber auch diese Bitte gewährte er ihnen nicht, sondern liess alles bezüglich der Juden zu Antiochia beim alten. Hierauf reiste er nach Aegypten ab. Als er nun an
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Jerusalem vorüberkam und die traurige Verödung mit der einstigen Pracht derStadt verglich, auch die Grösse der geschleiften Bauwerke sowie deren ehemalige Schönheit sich ins Gedächtnis rief, da empfand er inniges Mitleid mit dem Untergang der Stadt, und anstatt sich, wie mancher an seiner Stelle gethan haben würde, mit der Eroberung einer so gewaltigen Festung zu brüsten, verwünschte er vielmehr ein über das anderemal die Anstifter der Empörung, die das schreckliche Strafgericht über die Stadt heraufbeschworen hatten, und bekundete dadurch, wie wenig es in seiner Absicht gelegen habe, seine Tapferkeit an der Vernichtung der Gestraften zu erweisen. Von den ungeheuren Reichtümern der Stadt wurde übrigens in den Trümmern noch ein gut Teil aufgefunden, und so viel auch die Römer schon herausgegraben hatten, die Angaben der Gefangenen führten doch immer wieder zu erneuter Entdeckung von Gold, Silber und anderen kostbaren Gegenständen, welche die Besitzer im Hinblick auf die ungewissen Wechselfalle des Krieges in der Erde verborgen hatten.
3. Titus setzte nun die beschlossene Reise nach Aegypten fort, durcheilte so schnell wie möglich die Wüste und langte in Alexandria an, von wo er nach Italien überzusetzen beabsichtigte. Zunächst entliess er die beiden Legionen, die ihn begleitet hatten, in ihre früheren Standquartiere, die fünfte nach Moesien, die fünfzehnte nach Pannonien; dann gab er Befehl, aus den Kriegsgefangenen die Anführer Simon und Joannes sowie weitere siebenhundert durch Grösse und Schönheit hervorragende Männer auszulesen und dieselben unverzüglich nach Italien zu befördern, weil er sie im Triumph aufzuführen gedachte. Seine eigene Überfahrt ging nach Wunsch von statten, und Rom rüstete sich, ihn ähnlich wie seinen Vater zu empfangen und ihm entgegenzugehen. Besonders ehrenvoll war es für Titus, dass sein Vater selbst ihm entgegenzog und ihn begrüsste, und der Bevölkerung gewährte es eine fast
Seite 634 himmlische Freude, die drei hohen Häupter nun beisammen zu sehen. Wenige Tage darauf beschlossen die letzteren, den Triumph zur Feier ihrer Thaten gemeinsam zu begehen, obwohl der Senat jedem von ihnen einen besonderen Triumph bewilligt hatte. Weil nun der Tag, an dem die Feier des Siegesfestes stattfinden sollte, vorher bekannt gemacht wurde, blieb von der äusserst zahlreichen Bevölkerung Roms auch nicht ein Mann zu Hause - jedes Plätzchen, wo man noch eben stehen konnte, war besetzt und nur so viel Raum übrig gelassen worden, als der Vorbeizug - wollte man überhaupt etwas sehen - unbedingt erforderlich machte. 4. Nachdem noch während der Nacht das gesamte Heer in Reih und Glied unter seinen Führern ausgerückt und vor den Thoren - nicht des oberen Palastes, sondern in der Nähe des Isistempels, wo die Imperatoren ihre Nachtruhe gehalten hatten - aufgestellt war, traten beim Beginn der Morgenröte Vespasianus und Titus lorbeerbekränzt und mit dem üblichen Purpurgewand bekleidet hervor und schritten nach der Halle der Octavia. Hier harrten der Senat, die obersten Beamten und die Vornehmsten aus dem Ritterstande ihrer Ankunft. Vor der Halle war eine Tribüne errichtet, auf welcher elfenbeinerne Sessel für sie bereit standen. Kaum hatten sie sich dorthin begeben und Platz genommen, ala das Heer ein Jubelgeschrei erhob und laut die glänzenden Thaten der Gefeierten pries. Auch die Soldaten waren ohne Waffen, in seidenen Kleidern und mit Lorbeer bekränzt. Vespasianus nahm nun zunächst ihre Glückwünsche entgegen, machte jedoch bald durch ein Zeichen, das Schweigen gebot, den weiteren Herzensergiessungen ein Ende. Als hierauf allseitig tiefe Stille eingetreten war, erhob er sich, verhüllte sein Haupt fast ganz mit dem Gewand und sprach das herkömmliche Gebet; dasselbe that auch Titus. Nach dem Gebet hielt Vespasianus an sämtliche Anwesende insgemein eine kurze Ansprache und entliess sodann die Soldaten zu dem bei dieser Gelegenheit üblichen, von den Impera-
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-toren ihnen bereiteten Mahle. Er selbst begab sich an das Thor, welches nach den Triumphzugen benannt ist, die der Sitte gemäss durch dasselbe ihren Weg nehmen. Hier stärkten sich die drei durch einen Imbiss, kleideten sich in die Triumphgewänder, brachten den Göttern, die bei dem Thore ihren Tempel haben, ein Opfer dar und liessen den Zug beginnen, der sich alsdann durch die Theater bewegte, damit das Volk ihn besser sehen könne. 5. Unmöglich ist es, die Menge der hierbei gezeigten Sehenswürdigkeiten, die überwältigende Pracht der Kunstwerke, Luxusgegenstände und Naturseltenheiten, wie man sie nur immer ersinnen mag, gebührend zu schildern. Denn beinahe alles Bewundernswerte und Kostbare, das begüterte Menschen jemals einzeln in ihren Besitz gebracht haben und das bei jedem Volke wieder anderer Art ist, war an diesem Tage in kolossaler Menge beisammen, um einen Begriff von der Grösse des römischen Reiches zu geben. Silber, Gold und Elfenbein in den verschiedensten Formen und Bearbeitungen sah man nicht sowohl als Prunkstücke eines Festzuges, als vielmehr massenhaft wie in einem Strome daherfliessen. Gewänder, aus dem seltensten Purpur gewebt oder nach Art der babylonischen Kunst mit Bildwerken aufs feinste durchstickt, schimmernde Edelsteine in goldene Kronen gefügt oder in anderen Fassungen wurden in solchen Mengen vorbeigetragen, dass es als Irrtum ausgelegt werden musste, so etwas für selten zu halten. Auch Götterbilder von erstaunlicher Grösse, sämtlich aus kostbaren Stoffen und mit hervorragender Kunstfertigkeit gearbeitet, wurden im Zuge mitgeführt, ebenso Tiere der verschiedensten Arten, jedes mit passendem Zierat geschmückt. Selbst die zahlreichen Träger aller dieser Kostbarkeiten erschienen in lauter purpurnen, goldgestickten Gewändern. Ganz herrlich und staunenerregend war ferner der reiche Schmuck derjenigen, die dazu bestimmt waren, den eigentlichen Festzug zu bilden. Ja, sogar die Schar der Gefangenen
Seite 636 war nicht ungeschmückt, sondern die bunte Farbenpracht ihrer Kleidung entzog dem Auge den unheimlichen Anblick der Jammergestalten. Die grösste Bewunderung aber erregte der gewaltige Aufbau der tragbaren Schaugerüste; denn ihre Grösse rief überall, wo sie vorbeikamen, die Besorgnis wach, sie möchten zusammenbrechen. Viele derselben nämlich hatten drei, auch vier Stockwerke; dabei war ihre ganze Ausstattung von fast unbegreiflicher Schönheit. Manche waren mit goldgestickten Teppichen behängt, und an allen hatte man Kunstwerke aus Gold und Elfenbein angebracht. In unzähligen einzelnen Nachbildungen war der Krieg in seinen verschiedenen Erscheinungsformen aufs anschaulichste dargestellt. Da sah man gesegnete Fluren der Verwüstung anheimfallen, ganze Haufen von Feinden tot dahinsinken, andere fliehen, wieder andere in Gefangenschaft geraten; riesige Mauern unter den Stössen der Maschinen zusammenbrechen; starke Festungen einnehmen, Ringmauern volkreicher Städte ersteigen, das Heer ins Innere derselben eindringen und alles mit Mord erfüllen; die flehenden Gebärden der Wehrlosen; Feuerbrände in Heiligtümer geschleudert; Häuser, die über ihren Bewohnern einstürzten; endlich nach so vielen Zerstörungs- und Trauerscenen Wasserströme, die sich nicht über angebautes Erdreich oder zur Erquickung für Menschen und Tiere, sondern über ein noch allenthalben brennendes Land ergossen - denn alle diese Leiden hatten die Juden durch den von ihnen begonnenen Krieg sich zugezogen. Die künstlerische Ausführung und grossartige Pracht dieser Darstellungen führten die kriegerischen Ereignisse den damit Unbekannten so vor Augen, als wenn sie selbst dabei gewesen wären. Jedem Schaugerüst war der Befehlshaber der eroberten Stadt in dem Aufzug, wie man ihn gefangen genommen hatte, beigegeben. Alsdann folgten auch Schiffe in beträchtlicher Anzahl. Massenhaft wurden nunmehr die Beutestücke vorbeigetragen, unter denen besonders diejenigen Aufsehen erregten, die man.
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im Tempel zu Jerusalem genommen hatte: ein goldener Tisch im Gewicht von mehreren Talenten, und ein gleichfalls goldener Leuchter,1 aber von ganz anderer Gestalt, wie die sonst bei uns gebräuchlichen. Denn mitten aus dem Fussgestell erhob sich ein säulenartiger Schaft, von dem dünne, je in Form eines Dreizacks gegeneinander gestellte Äste ausliefen; an jedem der Ausläufer befand sich oben eine eherne Lampe, also sieben im ganzen, um die Heiligkeit dieser Zahl bei den Juden anzudeuten. Das Gesetz der Juden2 war das Beutestück, welches zuletzt zur Schau getragen wurde. Hierauf kamen noch eine Anzahl Männer mit Bildsäulen der Siegesgöttin, letztere sämtlich aus Gold und Elfenbein verfertigt. Endlich ritt dann Vespasianus selbst einher; Titus folgte ihm, und Domitianus ritt ihm zur Seite in prachtvollem Schmuck auf herrlichem Rosse. 6. Das Ziel des Festzuges war der Tempel des Jupiter Capitolinus, wo man halt machte. Es ist nämlich eine alte Sitte, dort zu warten, bis ein Bote den Tod des feindlichen Heerführers meldet. Dies war Simon, des Gioras Sohn, der mit den anderen Gefangenen im Triumph aufgeführt worden war. Jetzt wurde ihm ein Strick umgeworfen und er auf eine Höhe über dem Forum geschleppt, während seine Führer ihn zugleich geisselten. An dieser Stelle werden nach römischem Gesetz die verurteilten Verbrecher hingerichtet. Als nun sein Tod verkündet ward, erhob sich ein allgemeines Jubelgeschrei, und es begannen die Opfer, die unter den vorgeschriebenen Gebeten glücklich zu Ende geführt wurden, worauf die Imperatoren in den Palast zurückkehrten. Einige der Festteilnehmer zogen sie alsdann selbst zur Tafel; für die übrige Menge aber waren zu
1 S. das Relief des Titusbogens zu Rom (Abbildung bei Fah, Geschichte der bildenden Künste; Neumann, die Stiftshütte in Wort und Bild, u. a.).
2 Wahrscheinlich eine Thorarolle, wie man aus dem Ende dieses Kapitels schliessen möchte, und nicht etwa eine goldene Tafel mit den zehn Geboten (s. auch Anm. 2 zu V, 5,5).
Seite 638 Hause üppige Mahlzeiten bereitet. Denn diesen Tag feierte die Stadt Rom als Dankfest für den siegreichen Feldzug, als das Ende der inneren Wirren und als den Anfang einer, wie man hoffte, glücklichen Zukunft.
7. Nach dem Triumph und der völligen Beruhigung des Reiches beschloss Vespasianus, der Friedensgöttin einen Tempel zu erbauen, und vollendete in sehr kurzer Zeit ein Werk, das alle menschlichen Erwartungen übertraf. Er verwendete nämlich zu dem Bau nicht bloss die ungeheuren Mittel, die ihm sein eigener Reichtum an die Hand gab, sondern schmückte ihn auch mit älteren Meisterwerken der Malerei und Bildhauerkunst. In diesem Heiligtum sollte ja alles gesammelt und niedergelegt werden, zu dessen Besichtigung im einzelnen man sonst die ganze Welt hätte durchreisen müssen. Hierhin liess er auch die goldenen Prachtstücke aus dem Tempel zu Jerusalem bringen, weil diese Gegenstande in seinen Augen besonders wertvoll waren. Das Gesetz der Juden dagegen und die purpurnen Vorhänge des Allerheiligsten befahl er in seinen Palast zu schaffen und dort sorgfältig aufzubewahren.
1. Unterdessen war Lucilius Bassus mit einem Heere, das er von Cerealis Vitellianus übernommen hatte, als Legat nach Judaea gesandt worden, hatte das Kastell Herodium samt der Besatzung zur Übergabe gezwungen und zog nun die ganze, zum grossen Teil in kleinere Heerhaufen zersplitterte Streitmacht sowie die zehnte Legion 1 an sich, um damit gegen Machaerus 2 zu
1 Die als Besatzungstruppe in Judaea zurückgeblieben war (s. VII, 1, 2).
2 Die Festung Machaerus ist besonders dadurch bekannt, dass Joannes der Täufer daselbst hingerichtet wurde (s. J. A. XVIII, 5, 2)
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marschieren. Es war nämlich durchaus notwendig, diese Festung zu zerstören, da sie sonst ihrer Stärke wegen eine Menge Juden zum Abfall gereizt haben würde, zumal schon die natürliche Beschaffenheit des Platzes geeignet war, einer Besatzung festes Vertrauen, den Angreifern aber Furcht und Zagen einzuflössen. Denn die natürliche Befestigung an sich wird durch einen felsigen Hügel gebildet, der zu beträchtlicher Höhe ansteigt und schon deshalb sich schwer einnehmen lässt; auch hat die Natur selbst dafür gesorgt, dass er so gut wie gar nicht zugänglich ist. Er ist nämlich auf allen Seiten von unabsehbar tiefen Schluchten umgeben die man nicht einmal leicht durchqueren, geschweige denn mit Erde ausfüllen kann. Hat doch der westliche Thaleinschnitt, der bis zum Asphaltsee reicht, eine Längenausdehnung von sechzig Stadien, und dazu wird gerade nach dieser Seite hin Machaerus von der höchsten Bergkuppe überragt. Die Schluchten im Norden und Süden stehen zwar an Grösse der erstgenannten nach, machen aber gleichfalls einen Angriff auf die Festung unmöglich, und was den östlichen Einschnitt betrifft, so schliesst er bei einer Tiefe von nicht weniger als hundert Ellen sich sogleich wieder mit einem Machaerus gegenüberliegenden Höhenzug.
2. Der Jüdische König Alexander war der erste, der die günstige Lage dieser Örtlichkeit erkannte und eine Festung daselbst errichtete, die jedoch später von Gabinius im Kriege mit Aristobulus geschleift wurde. Als Herodes König geworden war, schien ihm der Platz mehr als jeder andere besonderer Sorgfalt und möglichst starker Befestigung wert, hauptsächlich wegen der Nachbarschaft der Araber, gegen deren Land hin die Festung einen günstig gelegenen Punkt bildet. Demzufolge umgab er einen weiten Raum mit Mauern und Türmen und gründete daselbst eine Stadt, die man erst passieren musste, um in die eigentliche Burg zu gelangen. Gleichwohl versah er auch noch den oberen Gipfel selbst ringsum mit einer Mauer und errichtete in deren Ecken
Seite 640 Türme von je hundertsechzig Ellen Höhe. Mitten in dem also befestigten Raum erbaute er dann einen Palast mit weitläufigen und prunkvollen Gemächern; auch legte er an den geeignetsten Stellen eine Reihe von Cisternen an, um das Wasser aufzufangen und die Umgebung reichlich damit zu versorgen, und suchte so, als wolle er sich mit der Natur in einen Wettstreit einlassen, die Uneinnehmbarkeit, die sie dem Platze verliehen, durch künstliche Befestigungen noch zu überbieten. Ferner versah er den Ort mit einer Menge von Geschossen und Kriegsmaschinen und bestrebte sich überhaupt, die Bewohner in jeder Beziehung so auszurüsten, dass sie selbst der langwierigsten Belagerung trotzen konnten. 3. Im Innern des Palästes wuchs einstmals eine Raute von erstaunlicher Grösse, denn sie gab einem Feigenbaum an Höhe und Umfang des Stammes nichts nach.1 Es hiess, sie stehe seit Herodes Zeiten, und sie wäre vielleicht noch lange dort geblieben, hätten nicht die Juden, als sie die Festung besetzten, den Baum umgehauen. Ferner giebt es in dem Thale, das im Norden an die Stadt stösst, einen Ort, der Baaras heisst und eine Wurzel gleichen Namens erzeugt.2 Diese Wurzel hat eine flammrote Farbe und schiesst zur Abendzeit Strahlen von sich. Nähert man sich ihr und will man sie anfassen, so ist es schwer, sie festzuhalten, da sie sich fortbewegt und nicht eher stehen bleibt, als bis man den Urin oder das monatliche Blut eines Weibes auf sie giesst. Aber selbst dann zieht die Berührung den sicheren Tod nach sich, wenn man die Wurzel nicht so trügt, dass sie von der Hand herabhängt. Man kann sie übrigens auch auf eine andere, ungefährliche Weise gewinnen, und zwar so: Nachdem man sie ringsum durch
1 Die Raute wird gemeiniglich bis 11/4, der Feigenbaum bis 10 Meter hoch. Obige Angabe ist demnach wohl übertrieben.
2 Vielleicht ist Alraunwurzel (Mandragora officinalis) gemeint. Das Folgende ist freilich nichts weiter wie Fabel.
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Graben dergestalt gelockert hat, dass nur noch ein kleiner Teil der Wurzel in der Erde steckt, bindet man einen Hund daran. Wenn nun das Tier dem, der es angebunden, schnell zu folgen strebt, wird sie leicht vollends herausgezogen. Der Hund aber stirbt auf der Stelle, gleichsam als stellvertretendes Opfer für den, der das Gewächs nehmen wollte. Jetzt hat übrigens der, in dessen Hand sie gerät, nichts mehr zu befürchten. Trotz der grossen Gefahr beim Einsammeln der Wurzel wird sie, um einer besonderen Eigenschaft willen, eifrig gesucht. Die sogenannten Dämonen nämlich, das heisst die Geister böser Menschen, welche in die Lebenden hineinfahren und alle, denen nicht geholfen wird, töten, werden durch jene Wurzel sogleich vertrieben, selbst wenn man sie nur in die Nähe der Kranken bringt. An diesem Ort fliessen auch mehrere warme Quellen von ganz verschiedenartigem Geschmack: die einen sind bitter, andere fast ganz süss. Weiter unten in der Ebene aber befinden sich zahlreiche Quellen kalten Wassers dicht beieinander, und noch merkwürdiger ist folgende Erscheinung: In der Nähe erblickt man eine Höhle von eben nicht bedeutender Tiefe, die durch einen überhängenden Felsen gedeckt ist. Oberhalb dieses Felsens ragen, nur wenig voneinander entfernt, zwei Erhöhungen wie weibliche Brüste hervor, und es entströmt der einen eine ganz kalte, der anderen eine sehr heisse Quelle; beide gemischt geben ein überaus angenehmes, heilkräftiges, besonders nervenstärkendes Bad. Ausserdem hat der Ort auch Schwefel- und Alaungruben. 4. Nachdem Bassus das Kastell von allen Seiten besichtigt hatte, beschloss er, durch Ausfüllung der östlichen Thalschlucht sich einen Zugang zu demselben zu verschaffen, und ging auch sogleich ans Werk, um baldmöglichst Wälle aufwerfen und sich mittels derselben die Belagerungsarbeiten erleichtern zu können. Die eingeschlossenen Juden trennten sich nun von den Fremden und zwangen dieselben, weil sie in ihnen ohne-
Seite 642 hin nur Gesindel erblickten, unten in der Stadt zu bleiben und hier den ersten feindlichen Anprall auszuhalten; das höher gelegene Kastell aber besetzten sie selbst, einmal weil es stark befestigt war, und dann auch aus Vorsorge für ihre eigene Rettung: sie hofften nämlich begnadigt zu werden, wenn sie den Römern die Burg übergaben. Zunächst jedoch wollten sie den Versuch machen, die Belagerung überhaupt zu vereiteln. Tag für Tag unternahmen sie deshalb kühne Ausfälle, bei denen sie mit den Römern, wo diese ihnen entgegentraten, handgemein wurden und ihrerseits zwar viele Leute verloren, aber doch auch den Römern keinen geringen Schaden zufügten. Was die einen oder anderen zum Sieg führte, war jedesmal die Ausnutzung einer günstigen Gelegenheit: die Juden behielten die Oberhand, wenn sie die Römer überrumpelten, diese dagegen, wenn sie von ihren Wällen aus den Angriff rechtzeitig bemerkt hatten und ihn in dichtgeschlossenen Reihen erwarteten. Mit solchen Plänkeleien sollte indes die Belagerung ihr Ende nicht erreichen; vielmehr wurden die Juden durch einen Zufall ganz unversehens zur Übergabe des Kastells gezwungen. Unter den Belagerten nämlich befand sich ein äusserst verwegener und tapferer Jüngling mit Namen Eleazar. Er hatte sich bei den Ausfällen stets hervorgethan, indem er die Menge anfeuerte, sich in den Kampf zu stürzen und die Römer an den Schanzarbeiten zu hindern; auch hatte er in den einzelnen Scharmützeln den Gegnern empfindliche Verluste beigebracht, seinen Kameraden, die sich mit ihm hinauswagten, den Angriff leicht gemacht und dann wieder ihnen den Rücken gedeckt, indem er als der letzte den Kampfplatz verliess. Eines Tages nun war das Gefecht bereits entschieden, und beiderseits hatte man den Rückzug angetreten - da blieb Eleazar, um die Feinde zu verhöhnen und weil er glaubte, es werde keiner von ihnen den Kampf wieder aufnehmen, draussen vor dem Thore stehen und fing mit den auf der Mauer befindlichen Juden ein Gespräch an, in
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welches er sich ganz vertiefte. Diesen günstigen Augenblick erspähte ein im römischen Heer dienender Aegyptier Namens Rufus, lief, ehe man sich dessen versah, plötzlich herzu, hob den in voller Rüstung dastehenden Jüngling auf und trug ihn, während die Zuschauer der Schrecken lähmte, ins Lager der Römer. Dort gab der Feldherr Befehl, ihn nackt auszuziehen und möglichst vor den Augen der Stadtbewohner zu geisseln. Aufs tiefste erschütterte die Juden das Leiden des Jünglings; die ganze Stadt jammerte und wehklagte mit einer Heftigkeit, die eigentlich zu dem Unglück des einen Mannes in keinem Verhältnis stand. Als Bassus dies merkte, benutzte er die Stimmung der Belagerten zu einer Kriegslist; er suchte nämlich ihr Mitleid derart zu steigern, dass sie, um den Mann zu retten, die Festung übergeben möchten, und dieser Plan gelang ihm denn auch. Er liess also ein Kreuz aufrichten, als sollte Eleazar sogleich daran geschlagen werden. Kaum sahen dies die Juden in der Festung, als sie noch schmerzlicher bewegt wurden und unter Schluchzen ausriefen, solchen Jammer könne man nicht ertragen. Obendrein flehte nun auch noch Eleazar sie an, sie möchten ihn doch nicht die qualvollste aller Todesarten erdulden lassen, vielmehr sich selbst dadurch retten, dass sie der Kraft und dem Glück der Römer nachgaben, zumal da sonst schon alles unterjocht sei. Seine Vorstellungen brachen ihnen das Herz, und da sich auch viele Einwohner der Festung aufs Bitten verlegten (Eleazar gehörte nämlich einer weitverzweigten und zahlreichen Familie an), liessen sie sich gegen ihre eigentliche Gesinnung zum Mitleid bewegen und ordneten unverzüglich eine Gesandtschaft ab, die wegen Übergabe des Kastells unterhandeln und sich nur freien Abzug und die Loslassung Eleazars ausbedingen sollte. Die Römer und ihr Befehlshaber nahmen diesen Vorschlag an. Als aber die zahlreichen Bewohner der unteren Stadt von dem Sondervertrag der Juden hörten, beschlossen sie, in der Nacht heimlich davonzulaufen. Wie
Seite 644 sie nun die Thore öffneten, kam durch die, welche den Vergleich geschlossen hatten, dem Bassus Nachricht darüber zu, sei es dass sie den Leuten ihre Rettung missgönnten, sei es dass sie befürchteten, es möchte ihnen selbst die Schuld für deren Entweichen aufgebürdet werden. Die tapfersten der Flüchtlinge schlugen sich übrigens durch und entkamen; von denen dagegen, die man noch im Innern der Stadt antraf, wurden an siebzehnhundert Männer niedergemacht und die Weiber nebst den Kindern in die Sklaverei verkauft. Den Vertrag mit den Juden aber, die ihm die Festung übergeben hatten, glaubte Bassus halten zu müssen; er liess sie demnach abziehen und gab ihnen den Eleazar frei.
5. Als er diesen Teil seiner Aufgabe erledigt hatte, rückte er in Eilmärschen nach einer Waldschlucht mit Namen Jardes, wo nach einer ihm zugegangenen Meldung eine Menge bei der Belagerung von Jerusalem und Machaerus entlaufener Juden sich gesammelt haben sollte. In der That fand er bei seiner Ankunft die Nachricht bestätigt. Er umzingelte daher zunächst den ganzen Ort mit seiner Reiterei, welche den Juden, die sich etwa durchzuschlagen versuchen würden, die Flucht unmöglich machen sollte; von dem Fussvolk aber liess er den Wald, in den die Gegner sich geflüchtet hatten, umhauen. Infolge dieses Vorgehens sahen sich die Juden genötigt, eine verwegene That zu unternehmen, da sie sich durch einen tollkühnen Kampf vielleicht noch retten zu können hofften. Sie stürzten sich also in Masse unter lautem Geschrei hervor und warfen sich auf die sie umzingelnden Römer. Diese aber wichen nicht um Haaresbreite, und der Kampf zog sich bei der verzweifelten Kühnheit auf der einen und der zähen Ausdauer auf der anderen Seite ziemlich in die Länge. Sein Ende freilich gestaltete sich sehr ungleich: von den Römern nämlich waren im ganzen nur zwölf Mann gefallen und einige wenige verwundet; von den Juden dagegen entkam keiner aus dem Treffen, vielmehr
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wurden sie, dreitausend an der Zahl, samt und sonders niedergemacht, darunter auch ihr Anführer Judas, des Ari Sohn, von dem ich oben erwähnte, dass er bei der Belagerung Jerusalems eine Jüdische Abteilung befehligt und sich durch einen der unterirdischen Gänge gerettet habe.
6. Um diese Zeit schickte Vespasianus an Bassus und an Liberius Maximus, der damals Landpfleger war, den schriftlichen Befehl, das gesamte Land der Juden zu verkaufen. Eine neue Stadt nämlich wollte er daselbst nicht gründen; doch behielt er sich das Ackerland als sein persönliches Eigentum vor. Nur achthundert ausgedienten Soldaten wies er im Bezirk von Ammaus, welches dreissig Stadien von Jerusalem entfernt liegt, Ländereien an. Allen Juden aber, wo sie auch wohnen mochten, legte er eine jährliche Kopfsteuer von zwei Drachmen auf, die sie für das Kapitolium, wie früher für den Tempel zu Jerusalem entrichten sollten. So traurig stand es damals unn die jüdische Nation.
1. Schon waren vier Jahre seit der Thronbesteigung des Vespasianus verflossen, da traf 1 den Kommagenerkönig Antiochus und dessen ganzes Haus ein schweres Unglück 2 aus folgender Veranlassung. Caesennius Paetus, der damalige Statthalter von Syrien, schrieb - ob der Wahrheit gemäss oder aus Hass gegen Antiochus, ist nicht mit Bestimmtheit ermittelt worden - nach Rom, Antiochus und dessen Sohn Epiphanes gingen mit
1 72 n. Chr. Josephus erwähnt diese Geschichte, weil das Herrscherhaus von Kommagene - allerdings mit Ausnahme des Epiphanes (s. J. A. XX, 7, 1) - sich zum Jüdischen Glauben bekannte.
Seite 646 dem Gedanken um, von den Römern abzufallen, und hätten zu diesem Zwecke bereits mit dem Partherkönig ein Bündnis geschlossen; man müsse sie deshalb überraschen, damit sie nicht etwa einen Vorsprung gewännen und schliesslich noch das ganze römische Reich in kriegerische Verwicklungen stürzten. Diese Anzeige konnte Vespasianus, nachdem sie ihm einmal erstattet war, natürlich nicht auf sich beruhen lassen, da die Nachbarschaft der beiden K/onige energischere Vorbeugungsmassregeln erforderte. Samosata nämlich, die Hauptstadt von Kommagene, liegt am Euphrat, und sie würde somit den Parthern, wenn diese etwas derartiges im Schilde führten, den Übergang recht leicht gemacht und einen sicheren Zufluchtsort geboten haben. Paetus fand also mit seiner Meldung Glauben und erhielt Vollmacht, die ihm zweckmässig scheinenden Anordnungen zu treffen. Er zögerte denn auch nicht, sondern fiel plötzlich, ohne dass Antiochus und die Seinen eine Ahnung davon hatten, mit der sechsten Legion sowie einigen Kohorten und Reiterschwadronen in Kommagene ein; es begleiteten ihn ausserdem die Könige Aristobulus von Chalkidike und Soemus von Emesa. Sie stiessen bei ihrem Vormarsch auf keinerlei Widerstand; denn niemand von den Eingeborenen getraute sich, die Hand zur Gegenwehr zu erheben. Als nun Antiochus die unerfreuliche Kunde vernahm, dachte er nicht im entferntesten daran, mit den Römern Krieg zu führen, sondern beschloss, so wie er war, seinem Königreich den Rücken zu kehren und sich mit Weib und Kind heimlich davonzumachen; auf diese Weise glaubte er sich in den Augen der Römer von jedem etwa auf ihm lastenden Verdacht reinigen zu können. Er zog also aus der Stadt nach einer hundertzwanzig Stadien entfernten Ebene und lagerte sich daselbst.
2. Paetus entsandte sogleich eine Abteilung seiner Truppen, um Samosata zu besetzen, was diese denn auch wirklich thaten; er selbst brach unterdessen mit dem Rest seines Heeres gegen Antiochus auf. Doch
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der König liess sich auch durch die Zwangslage, in die er jetzt geraten war, nicht bestimmen, etwas Kriegerisches gegen die Römer zu unternehmen, sondern harrte, sein Schicksal beklagend, der Dinge, die da kommen wurden. Seinen jugendlichen, kriegskundigen und durch Körperkraft hervorragenden Söhnen Epiphanes und Kallinikos indes fiel es nicht ebenso leicht, sich dem Schicksal widerstandslos zu beugen: vielmehr rüsteten sie sich, den Gegner zu empfangen. In einem heissen, vom Morgen bis zum Abend währenden Gefecht bewiesen sie ausgezeichnete persönliche Tapferkeit und zogen sich bei einbrechender Nacht zurück, ohne besonderen Verlust erlitten zu haben. Dem Antiochus aber schien es selbst nach dieser so günstig verlaufenen Schlacht nicht geraten, zu bleiben, weshalb er mit seiner Gattin und seinen Tochtern nach Cilicien floh. Durch diesen Schritt jedoch brach er den Mut seiner Soldaten, und da diese der Meinung waren, er habe den Thron aufgegeben, fielen sie von ihm ab und gingen zu den Römern über, ohne aus ihrer verzweifelten Stimmung ein Hehl zu machen. Epiphanes und seine Leute mussten sich deshalb, ehe die sämtlichen Kampfgenossen sie verliessen, vor dem Feinde zu retten suchen. Ganze zehn Reiter folgten ihm nun über den Euphrat und begaben sich, aus aller Gefahr erlöst, mit ihm zu dem Partherkönige Vologeses, von dem sie nicht etwa als Flüchtlinge über die Achsel angesehen, sondern, wie wenn sie noch in ihrer früheren glücklichen Lage sich befinden, höchst ehrenvoll behandelt wurden.
8. Als Antiochus nach Tarsus in Cilicien gekommen war, liess Paetus ihn durch einen Centurio ergreifen und sandte ihn gefesselt nach Rom. Vespasianus aber duldete es nicht, dass der König in diesem Aufzug zu ihm geführt würde, und wollte lieber die alte Freundschaft berücksichtigen, als ihm wegen der - übrigens nicht bewiesenen - Empörung unversöhnlichen Groll nachtragen. Er gab daher Befehl, ihm schon unterwegs die Fesseln abzunehmen, und liess ihn unter Verschiebung
Seite 648 der Reise nach Rom in Lakedaemon bleiben; auch wies er ihm so bedeutende Geldeinkünfte an, dass er nicht bloss reichlich, sondern selbst königlich leben konnte. Als Epiphanes und sein Bruder, die bis dahin das Schlimmste für ihren Vater befürchtet hatten, dies erfuhren, fühlten sie sich von schwerer Sorgenlast befreit und gaben sich der Hoffnung hin, nun auch für sich selbst von Vespasianus Verzeihung zu erlangen, zumal Vologeses ihretwegen nach Rom geschrieben hatte. Denn wenn sie es auch gewiss nicht schlecht hatten, so konnten sie doch ausserhalb des römischen Reiches nicht leben. In der That sicherte Vespasianus ihnen huldvollst Straflosigkeit zu, worauf sie sich nach Rom begaben, und als nicht lange nachher auch ihr Vater mit ihnen zusammentraf, blieben sie daselbst und genossen alle möglichen Ehrenbezeugungen.
4. Das Volk der Alanen, das, wenn ich mich recht entsinne, schon früher als ein in der Gegend des Tanais und des Maeotischen Sees wohnender Skythenstamm von mir erwähnt wurde,1 fasste um diese Zeit den Plan, einen Raubzug nach Medien und noch weiter hinaus zu unternehmen, und unterhandelte deshalb mit dem König der Hyrkaner; denn dieser ist Herr des Passes, den der König Alexander mittels eiserner Thore verschliessbar gemacht hatte. 2 Als nun der Hyrkanerkönig ihnen den Durchzug gestattete, fielen sie in zahlreichen Horden über die nichts ahnenden Meder her und plünderten das stark bevölkerte, an Nutzvieh aller Art reiche Land völlig aus, ohne dass jemand ihnen Widerstand zu leisten wagte. Der König des Landes, Pakorus, floh entsetzt
1 Wahrscheinlich hat Josephus hier das 16. Kapitel des zweiten Buches im Sinne, wo im vierten Abschnitt von den Völkerschaften am Pontus und am Maeotischen See, aber nicht ausdrücklich von den Alanen die Rede ist. Was übrigens der Raubzug dieses Skythenstammes nach Medien mit der Geschichte des Jüdischen Krieges zu thun hat, ist völlig unverständlich.
2 Gemeint sind die sogenannten „Kaspischen Piase" (a. Arrian, Feldzüge Alexanders, I, 15).
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in unzugängliche Wildnisse und gab ihnen alles preis, und nur mit Mühe gelang es ihm, durch Zahlung von hundert Talenten seine Gattin und seine Kebsweiber, die in Gefangenschaft geraten waren, wieder loszukaufen. Da die Alanen so in aller Bequemlichkeit und ganz ohne Schwertstreich ihre Raubsucht befriedigen konnten, drangen sie, alles verwüstend, bis nach Armenien vor, wo Teridates König war. Dieser rückte ihnen entgegen und lieferte ihnen ein Treffen, wäre aber beinahe lebendig gefangen worden. Ein Alane nämlich hatte aus der Ferne eine Schlinge über ihn geworfen und würde ihn fortgeschleppt haben, wenn es dem Könige nicht gelungen wäre, den Strick noch zeitig mit dem Schwert zu zerhauen und sich auf diese Weise zu retten. Durch den Kampf noch wilder geworden, verheerten nun die Barbaren das ganze Land und kehrten dann mit einer Menge Gefangener und der übrigen Beute, die sie in beiden Königreichen zusammengeraubt hatten, wieder in ihre Heimat zurück.
1. Nach dem Tode des Bassus übernahm Flavius Silva das Amt eines Landpflegers von Judaea. 1 Er fand das ganze Land unterjocht mit Ausnahme. einer einzigen Festung, die noch beim Abfall beharrte und gegen die er nun mit allen aus der Umgegend zusammengezogenen Truppen ausrückte. Diese Festung, Masada geheissen, wurde von Sikariern besetzt gehalten, an deren Spitze ein einflussreicher Mann Namens Eleazar stand, 2 ein Nachkomme jenes Judas, der, wie früher erwähnt, 3
1 73 n. Chr.
2 S. II, 17, 9 und IV, 7,
3 S. II, 8, 1.
Seite 650 zu der Zeit, da Quirinius als Schätzungsbeamter nach Judaea gesandt worden war, eine Menge Juden beredet hatte, sich die Schätzung nicht gefallen zu lassen. Auch jetzt hatten sich die Sikarier gegen alle verschworen, die sich den Römern fügen wollten, und behandelten dieselben in jeder Beziehung als Feinde, indem sie ihnen die Habe raubten und fortschleppten und die Häuser in Brand steckten. Zwischen diesen Juden, meinten sie, und den Fremden sei ja doch kein Unterschied, da sie die so heiss umstrittene Freiheit verraten und eingestandenermassen die römische Knechtschaft erwählt hätten. Solche Reden waren aber nur der Deckmantel, hinter dem sie ihre Grausamkeit und Habgier zu verbergen trachteten, wie dies aus ihren Thaten deutlich hervorging. Denn die anderen Juden hatten ja ihren Abfall mitgemacht und sich am Kampfe gegen die Römer beteiligt, bis den Bethörten die Unthaten der Sikarier noch drückender vorkamen wie das Joch der Römer. Wies man nun den Sikariern die Grundlosigkeit ihres Vorwandes nach, so setzten sie denen, die ihnen mit Fug und Recht ihre Bosheit vorwarfen, nur um so ärger zu. Um jene Zeit trieb überhaupt die Ruchlosigkeit ihre üppigsten Blüten, sodass es keine Schandthat gab, die damals nicht vollbracht worden wäre, und hätte man allen Scharfsinn aufgewendet, um neue zu erfinden, man würde wohl keine mehr entdeckt haben. Das private wie öffentliche Leben krankte in gleicher Weise an diesem Übel, und allenthalben setzte man einen förmlichen Wetteifer darein, sich gegenseitig in Freveln gegen Gott und Ungerechtigkeit gegen den Nächsten zu überbieten. Die Gewalthaber drangsalierten das gemeine Volk, und dieses hinwiederum suchte die Mächtigen zu verderben; jene gelüstete es nach tyrannischer Herrschaft, das Volk nach Gewaltthätigkeit und Beraubung der Reichen. Die Zügellosigkeit und das grausame Wüten gegen die eigenen Volksgenossen aber war gerade von den Sikariern ausgegangen, die den Verfolgten gegenüber keine Schmähung
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ungesprochen und keine That zu deren Verderben unversucht liessen. Doch auch sie erschienen noch gemässigt im Vergleich zu Joannes. Denn dieser mordete nicht nur alle Bürger, die ihm gute und nützliche Ratschläge erteilten, und behandelte sie wie die schlimmsten Feinde, sondern er stürzte auch sein Vaterland überhaupt in namenloses Unheil, wie es nur von einem Menschen ausgehen konnte, der schon die Ruchlosigkeit begangen hatte, sich gegen Gott zu empören. Seinen Tisch nämlich sah man mit verbotenen Speisen besetzt, und die altehrwürdigen Reinigungsvorschriften des Gesetzes beobachtete er nicht, sodass die Verletzung der Pflichten gegen den Einzelnen wie gegen die Gesamtheit bei einem Manne nicht wunder nehmen konnte, der so ganz in wahnwitzige Gottlosigkeit versunken war. Und dann Simon, des Gioras Sohn, verübte er nicht alle erdenklichen Schändlichkeiten? Oder gab es irgend eine Misshandlung, die er nicht an freigeborenen Juden begangen hatte, wiewohl er gerade ihnen seine Stellung als Gewaltherrscher verdankte? Ja, selbst freundschaftliche Beziehungen und Bande des Blutes, weit entfernt, ihre Mordgier zu dämpfen, machten sie vielmehr von Tag zu Tag noch verwegener. Denn an Fremden sich vergreifen, gehörte, wie sie meinten, nur zu den gewöhnlichen, landläufigen Schlechtigkeiten: eine recht glänzende Rolle dagegen wollten sie durch grausames Wüten gegen ihre nächsten Angehörigen spielen. Nun kam auch noch die Raserei der Idumäer, die es dem wahnsinnigen Treiben der Tyrannen gleichzuthun suchte. Diese Schandbuben wagten es, die Hohepriester zu erdolchen, damit ja keine Spur von Gottesfurcht mehr erhalten bleibe; sie vernichteten auch vollends alles, was vor bürgerlicher Ordnung noch übrig war, und brachten in jeder Hinsicht die ausgesprochenste Gesetzlosigkeit zur Geltung - ein Zustand, in dem die Sippe der sogenannten Zeloten gedieh, die diese ihre Bezeichnung durch entsprechende Thaten als zutreffend erwiesen. Denn jegliches Werk der Bosheit suchten sie nach-
Seite 652 zuahmen, und ihr Wetteifer erstreckte sich auf alles, was die Geschichte nur irgend von früheren Unthaten berichtet. Ihrer eigenen Vorstellung gemäss sollte freilich der Name, den sie sich beilegten, auf den Wetteifer im Guten hindeuten, und man kann dieses sonderbare Benehmen nur so erklären, dass sie entweder - unmenschlich wie sie waren die von ihnen Misshandelten damit verhöhnen wollten, oder dass sie wirklich die grössten Schlechtigkeiten für gute Werke hielten. Darum fand aber auch jeder einzelne von ihnen das verdiente Ende, indem Gott über sie alle die gebührende Strafe verhängte: Qualen, wie die menschliche Natur sie nur immer zu ertragen fähig ist, brachen über sie herein, und auch das letzte aller Leiden, den Tod, mussten sie unter den vielfältigsten Peinigungen erdulden. Gleichwohl kann man sagen: es widerfuhr ihnen noch weniger, als sie ihren Frevelthaten gemäss verdient hatten; eine völlige Vergeltung war ja nicht möglich. Diejenigen aber, welche als Opfer ihrer Grausamkeit fielen, nach Gebühr zu beklagen, ist hier nicht angebracht, und ich wende mich daher wieder zu dem noch übrigen Teile meiner Erzählung. 2. Gegen Eleazar also und die Sikarier, die mit ihm Masada besetzt hielten, rückte der römische Heerführer an der Spitze seiner Streitmacht heran. Die ganze Umgegend unterwarf er ohne Mühe und legte in die passendsten Orte derselben Besatzungstruppen; die Festung selbst aber umgab er, damit den Belagerten die Flucht erschwert würde, mit einer Ringmauer und verteilte auf dieser die Wachtposten. Alsdann wählte er einen mit Rücksicht auf die Belagerung besonders zweckmässigen Lagerplatz, und zwar an dem Punkte, wo die Felsen des Kastells den nahegelegenen Berg berührten, obgleich eben dieser Ort die Herbeischaffung des nötigen Proviantes sehr schwierig machte; denn es mussten seitens der dazu beorderten Juden nicht nur die festen Nahrungsmittel aus weiter Ferne und unter grossen Strapazen herangebracht, sondern auch das
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Trinkwasser ins Lager geleitet werden, da in der Nähe des Platzes sich keine Quelle befand. Als nun Silva auf diese Weise die nötigen Vorbereitungen getroffen hatte, begann er mit den Belagerungsarbeiten, die wegen der Festigkeit des Kastells die grösste Aufmerksamkeit und Anstrengung erheischten. Die Burg ist nämlich folgendermassen beschaffen: 8. Einen Felsen von nicht unbedeutendem Umfang und beträchtlicher Höhe umgeben auf allen Seiten unabsehbar tiefe, abschüssige und für Menschen wie Tiere unbetretbare Schluchten, und nur an zwei Stellen gestattet der Fels einen freilich immer noch schwierigen Zugang von unten her. Der eine dieser Pfade erstreckt sich vom Asphaltsee aus gegen Osten, der andere, leichter zu begehende, gegen Westen. Den ersteren nennt man um seiner Schmalheit und seiner vielfachen Windungen willen den Schlangenpfad. Er bricht sich nämlich an den Vorsprüngen des Abhanges, kehrt zu wiederholten Malen gegen sich selbst zurück und zieht sich dann wieder ein wenig in die Länge, sodass er nur langsam dem Ziele sich nähert. Beschreitet man diesen Weg, so muss man sich stets abwechselnd mit einem Fusse fest anstemmen; denn gleitet man aus, so ist man unrettbar verloren, da zu beiden Seiten tiefe Schlünde gähnen, deren furchtbarer Anblick auch den Beherztesten zaghaft machen kann. Ist man nun auf diesem Pfade dreissig Stadien weit hinaufgestiegen, so hat man den Gipfel vor sich, der indes nicht etwa in eine schlanke Spitze ausläuft, sondern oben eine breite Fläche bildet. Auf ihr hatte zuerst der Hohepriester Jonathas1 eine Festung angelegt, die er Masada nannte. Später gab der König Herodes sich viele Mühe, dieselbe in guten Stand zu setzen. Er umzog nämlich den ganzen, sieben Stadien im Umfang messenden Gipfel mit einer zwölf Ellen hohen und acht Ellen breiten Ringmauer aus weissen Quadern und errichtete auf ihr siebenunddreissig
1 Bruder des Judas Makkabaeus, regierte 160-143 v. Chr.
Seite 654 je fünfzig Ellen hohe Türme, aus denen man in die Wohnungen gelangen konnte, welche an die innere Seite der Mauer in deren ganzer Länge angebaut waren. Die eigentliche Gipfelfläche aber liess der König, weil sie besonders fetten und jedes Ackerland in der Ebene an Fruchtbarkeit übertreffenden Boden hatte, zum Anbau frei, damit bei etwa eintretendem Mangel an Proviantzufuhr die Leute, die dem Kastell ihre Rettung anvertrauen würden, keine Not zu leiden brauchten. Auch einen Königspalast erbaute er an dem westlichen Zugang unterhalb der Gipfelmauer. Dieser Palast, dessen Front gegen Norden sah, hatte überaus hohe und starke Mauern sowie in den Ecken vier Türme von je sechzig Ellen Höhe. Die innere Ausstattung seiner Säle, Hallen und Bäder war mannigfaltig und prunkvoll, die Säulen überall aus einem Stein, die Wände und Zimmerböden mit Mosaik ausgelegt. Ferner hatte er an allen Stellen, wo Wohnhäuser lagen, nämlich oben, bei dem Palast und vor der Mauer, eine beträchtliche Anzahl grosser Cisternen in den Felsen hauen lassen, um dadurch der Besatzung einen ebenso reichen Wasservorrat zu verschaffen, als sie sonst durch Quellen würde erhalten haben. Vom Palast aus führte zur Gipfelhöhe ein in Stein gehauener, von aussen unsichtbarer Weg. Aber auch von den Pfaden, die man sah, konnte der Feind nur sehr schwer Gebrauch machen. Der östliche nämlich ist wegen seiner oben geschilderten Beschaffenheit nicht zu begehen; den westlichen aber hatte der König an der engsten Stelle durch einen grossen Turm geschützt, der nicht weniger wie tausend Ellen von der eigentlichen Festung entfernt war, und den man weder umgehen noch auch mit leichter Mühe nehmen konnte. Selbst den friedlichen Besuchern des Kastells war dadurch der Ein- und Ausgang erschwert. Auf diese Weise also hatten sich Natur und Kunst vereinigt, um die Festung gegen feindliche Angriffe sicher zu stellen. 4. Noch grössere Bewunderung musste die reiche Fülle der im Innern aufgespeicherten Vorräte erregen
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sowie die lange Zeitdauer, während der sie sich gehalten hatten. Es lag nämlich daselbst eine Unmasse Getreide, die auf Jahre hinaus reichen konnte; desgleichen war ein bedeutender Vorrat von Wein, Öl, Datteln und allerlei Hülsenfrüchten in der Festung aufgehäuft. Als Eleazar mit seinen Sikariern sich des Platzes durch List bemächtigt hatte, fand er alles noch unverdorben und so frisch, als wäre es eben erst hineingelegt worden - und doch war seit der Aufspeicherung dieser Vorräte bis zur Eroberung des Kastells durch die Römer fast ein Jahrhundert verstrichen. Aber auch die Römer fanden den Rest der Früchte noch völlig geniessbar. Als den wahren Grund dieser Dauerhaftigkeit darf man wohl die Beschaffenheit der Luft annehmen, die wegen der hohen Lage der Festung von allen unreinen Dünsten, wie sie näher an der Erde vorzukommen pflegen, frei ist. Des weitern fand sich eine Menge von Herodes dort aufgestapelter Waffen aller Art vor, die für zehntausend Mann genügen konnten, sowie unbearbeitetes Eisen, Erz und Blei. Diese gewaltigen Zurüstungen hatten übrigens ihre guten Gründe. Soll doch Herodes die Festung als Zufluchtsort für sich selbst in Aussicht genommen haben, da er eine doppelte Gefahr argwohnte: die eine von seiten des Jüdischen Volkes, von dem er befürchtete, es möchte ihn stürzen und das frühere Königshaus wieder auf den Thron bringen; die grössere und bedenklichere aber von seiten der ägyptischen Königin Kleopatra. Letztere nämlich machte aus ihrer Gesinnung kein Hehl, lag vielmehr dem Antonius beständig an, er solle Herodes ermorden lassen und ihr das Königreich Judaea schenken. In der That musste man sich wundern, dass der bis zu sklavischer Unterwerfung in sie verliebte Antonius ihrem Begehren nicht bereits entsprochen hatte, zumal auf die Verweigerung der Gefälligkeit ohnehin niemand sich gefasst machte. Derartige Besorgnisse hatten den Herodes zur Befestigung Masadas bewogen, und nun traf es sich, dass er gerade in dieser Festung den
Seite 656 Römern das letzte Stück Arbeit im Kriege gegen die Juden hinterliess. 5. Als nun der römische Feldherr, wie schon erwähnt, den ganzen Ort von aussen mit einer Ringmauer umgeben und die sorgfältigsten Vorkehrungen getroffen hatte, dass niemand von der Besatzung entrinne, liess er die Belagerung ihren Anfang nehmen, obwohl er nur eine einzige Stelle gefunden hatte, die sich zur Errichtung von Wällen eignete. Hinter dem Turme nämlich, der den von Westen in den Palast und zum Gipfel führenden Weg beherrschte, befand sich eine felsige Anhöhe von bedeutender Breite, die auch ziemlich weit vorsprang, dabei aber dreihundert Ellen tiefer als Masada lag. Diese Anhöhe, die man den weissen Felsen nannte, liess Silva jetzt besetzen und dann von seinen Leuten Erde herbeischaffen. Alsbald erhob sich infolge eifriger Arbeit der zahlreichen Mannschaft ein fester Damm von hundert Ellen Höhe; noch aber schien die Aufschüttung nicht fest und hoch genug, um den Maschinen als Standort zu dienen, und es wurde daher oben auf ihr noch ein fünfzig Ellen breiter und ebenso hoher Oberbau aus grossen Steinblöcken errichtet. Die Maschinen selbst besassen eine ähnliche Einrichtung, wie die früher von Vespasianus und dann auch von Titus zu Belagerungszwecken erfundenen; ausserdem aber wurde noch ein ganz mit Eisen beschlagener, sechzig Ellen hoher Turm aufgeführt, von dessen Brüstung aus die Römer mit zahlreichen Skorpionen und Ballisten die Verteidiger der Mauern zurücktrieben und sie verhinderten, auch nur den Kopf emporzurecken. Ferner liess Silva einen gewaltigen Sturmbock anfertigen und damit unausgesetzt gegen die Mauer stossen, und obwohl dieselbe schier unzerstörbar war, gelang es ihm doch endlich, Bresche in sie zu legen. Schnell aber hatten die Sikarier drinnen eine zweite Mauer errichtet, der selbst die Maschinen nichts mehr sollten anhaben können. Damit sie nämlich durch ihre Weichheit die Gewalt der Stösse abzuschwächen imstande sei,
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gaben sie ihr folgende Einrichtung. Sie fügten grosse Balken mit den Enden der Länge nach aneinander und zwar so, dass zwei Reihen derselben in einem Abstand von Mauerbreite nebeneinander hinliefen; den mittleren Raum zwischen beiden Balkenlagen füllten sie dann mit Erde aus. Damit aber bei weiterer Anhöhung dieses Walles die Erde nicht nachgebe, verbanden sie die der Länge nach liegenden Balken durch andere, die sie der Quere nach anbrachten, sodass der ganze Bau Ähnlichkeit mit einem Blockhause hatte. Von jetzt an wurden die Stösse der Maschinen durch die weiche Masse, gegen die sie erfolgten, unwirksarn gemacht; ja, der Bau setzte sich sogar durch die Erschütterung und ward infolgedessen nur noch fester. Als Silva dies bemerkte, glaubte er die Schanze vielleicht eher durch Feuer zerstören zu können und befahl deshalb den Soldaten, eine Menge brennender Fackeln dagegen zu schleudern. Wirklich fing denn auch die Mauer, die ja grösstenteils aus Holz bestand, alsbald Feuer und loderte, infolge ihrer lockeren Bauart bis zum Grund entzündet, in hellen Flammen auf. Nun aber erhob sich beim Beginn des Brandes ein Nordwind, der den Römern gefährlich wurde: er blies die Flammen von der Festung weg und trieb sie ihnen ins Gesicht. Fast verzweifelten sie deswegen an dem Erfolge, da sie die Einäscherung ihrer Maschinen befürchteten. Plötzlich jedoch drehte sich der Wind wie durch göttliche Fügung, schlug gegen Süden um und jagte, indem er zugleich stärker wehte, die Flammen gegen die Mauer zurück, die schon von oben bis unten brannte. Daran erkannten die Römer den Beistand der Gottheit und kehrten nunmehr frohen Mutes ins Lager zurück, entschlossen, am folgenden Tage zu stürmen. Einstweilen liessen sie die Nacht über alles sorgfältig bewachen, damit niemand aus der Festung entweichen könne. 6. An Flucht jedoch dachte Eleazar nicht im entferntesten, wie er dieselbe auch keinem anderen gestattet haben würde; vielnmehr stellte er sich, da er die Mauer
Seite 658 vom Feuer zerstört sah und kein weiteres Mittel zur Rettung oder Verteidigung ausfindig machen konnte, die Behandlung vor Augen, welche die Weiber und Kinder von den Römern erfahren würden, wenn sie in deren Hände fielen, und kam so zu dem Entschluss, dass alle in den Tod gehen müssten. Weil er nun, wie die Dinge einmal standen, dies für das beste hielt, versammelte er die starkmütigsten seiner Gefährten und suchte sie mit folgenden Worten zur That zu entflammen: „Schon lange sind wir, wackere Kameraden, entschlossen, weder den Römern noch sonst jemand unterthan zu sein ausser Gott allein, weil er der wahre und rechtmässige Gebieter der Menschen ist; jetzt aber ist der Augenblick gekommen, der uns mahnt, unsern hehren Entschluss durch die That zu bekräftigen. Entehren wir uns also nicht selbst dadurch, dass wir, die wir früher nicht einmal eine ungefährliche Knechtschaft zu ertragen vermochten, jetzt mit der Knechtschaft uns freiwillig die schrecklichsten Qualen zuziehen, die uns sicher bevorstehen, wenn wir in die Hände derRömer fallen. Denn wie wir die allerersten waren, die sich gegen ihr Joch aufgelehnt haben, so sind wir auch die letzten, die noch von ihnen bekämpft werden. Ich halte es für eine besondere Gnade Gottes, dass er uns in den Stand setzt, ehrenvoll als freie Leute unterzugehen, was anderen, die unversehens überwältigt wurden, nicht vergönnt war. Wir wissen ja schon zum voraus, dass wir morgen in Feindeshand geraten werden; aber noch haben wir die freie Wahl, mit unsern Lieben eines edlen Todes zu sterben. Das können die Feinde nicht verhindern, so gern sie uns auch lebendig in ihre Gewalt bekommen möchten; anderseits aber sind wir auch nicht mehr imstande, sie im Kampfe zu besiegen. Gleich anfangs vielleicht, als unsere freiheitlichen Bestrebungen auf so grossen Widerstand bei unsern Landsleuten und auf noch grösseren von seiten unserer Feinde stiessen, hatten wir den Ratschluss Gottes mutmassen und erkennen sollen, dass er das einst ihm so teure Volk der
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Juden dem Verderben geweiht habe. Denn wäre er uns gnädig geblieben oder nur mässig über uns erzürnt gewesen, so würde er wohl dem Untergang so vieler Menschen nicht ruhig zugeschaut und seine hochheilige Stadt nicht dem Feuer und der Zerstörungswut unserer Feinde preisgegeben haben. Und da getrauen wir uns noch zu hoffen, es könnte uns gelingen, allein von dem ganzen Jüdischen Volke übrig zu bleiben und unsere Freiheit zu retten, als hätten wir gegen Gott den Herrn nicht gesündigt und an keinem Frevel uns beteiligt, während wir doch darin die Lehrmeister der anderen gewesen sind? Ihr seht also, wie Gott unsere eitlen Erwartungen Lügen straft, indem er eine Plage über uns kommen lässt, die unsere Hoffnungen völlig zu Schanden macht. Denn was hat die Uneinnehmbarkeit dieser Festung uns hinsichtlich unserer Rettung genützt? Und hat nicht Gott selbst, obwohl wir einen reichen Vorrat an Proviant, eine Menge Waffen und allen sonstigen Bedarf in Überfluss besitzen, jede Hoffnung auf Rettung uns benommen? Nicht der Zufall war es ja, der das anfangs den Feinden zugewandte Feuer gegen die von uns errichtete Mauer umschlagen liess, sondern der Zorn Gottes wegen der vielen Frevel, die wir in unserer Raserei gegen die eignen Landsleute begangen haben. Die Strafe dafür aber wollen wir nicht von unsern Todfeinden, den Römern, sondern von Gott durch unsere eigne Hand erleiden; denn sein Strafgericht ist das mildere. Ungeschändet sollen unsere Weiber sterben, frei von Sklavenketten unsere Kinderl Und sind sie uns im Tode vorangegangen, so wollen wir selbst einander den Liebesdienst erweisen - dann wird der Ruhm, die Freiheit hochgehalten zu haben, uns ein ehrenvolles Leichenbegräbnis ersetzen! Zuvor aber wollen wir unsere Kostbarkeiten und die ganze Burg durch Feuer vernichten; denn ich bin sicher, dass die Römer sich ärgern werden, wenn sie uns nicht lebend fangen können und obendrein auch noch um die Beute kommen. Nur die Nahrungsmittel wollen wir ihnen
Seite 660 übrig lassen, damit sie nach unserm Tode zum Zeugnis dienen, dass nicht der Hunger uns bezwang, sondern dass wir, wie von Anfang an, so auch jetzt noch entschlossen waren, den Tod der Knechtschaft vorzuziehen." 7. So sprach Eleazar; aber es waren noch lange nicht alle Anwesenden mit seinen Worten einverstanden. Einige zwar gingen mit wahrem Eifer daran, seinen Vorschlag ins Werk zu setzen; ja, sie zeigten sich beinahe hocherfreut, weil sie einen solchen Tod für ehrenvoll hielten. Die weichherzigeren seiner Leute dagegen ergriff Mitleid mit den Frauen und Kindern, und da auch ihnen selbst der sichere Untergang vor Augen stand, sahen sie einander unter Tränen an und gaben dadurch ihre Abneigung gegen den Plan Eleazars zu erkennen. Als nun dieser ihre verzagte Stimmung bemerkte und sich nicht verhehlen konnte, dass ihr Mut infolge jenes verzweifelten Ratschlages am zusammenbrechen sei, beschlich ihn die Furcht, sie möchten durch ihr Jammern und Weinen auch noch diejenigen rühren, die seine Worte mutigen Herzens angehört hatten. Er fuhr deshalb fort, sie zu ermuntern, und begann, während seine Gestalt sich hoch aufrichtete und flammende Begeisterung ihn durchdrang, eine schwungvolle Rede über die Unsterblichkeit der Seele, indem er mit erhobener Stimme, den Blick fest auf die Weinenden gerichtet, also sprach: „Wahrlich, gar sehr habe ich mich getäuscht, indem ich wähnte, den Kampf für die Freiheit in Gemeinschaft mit wackeren Männern zu bestehen, die zu sterben entschlossen sind, wenn sie nicht mit Ehren leben können. Leider aber habt ihr, was Tapferkeit und Mut anlangt, vor jedem beliebigen Alltagsmenschen nichts voraus, da ihr den Tod selbst dann noch fürchtet, wenn er euch vom grössten Elend befreien soll, anstatt ihm unverzagt und, ohne dass es einer Aufforderung dazu bedürfte, ins Auge zu schauen. Ward uns doch stets von der ersten Regung unseres Bewusstseins an nach altehrwürdiger Überlieferung die
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Lehre eingeprägt, die ja auch unsere Ahnen durch ihre Thaten und Gesinnungen bekräftigten, dass nicht der Tod, sondern das Leben für die Menschen ein Unglück sei. Denn der Tod gibt den Seelen die Freiheit und eröffnet ihnen den Zugang zu dem reinen Orte, der ihre Heimat ist und wo kein Leid sie mehr treffen soll. So lange sie aber noch an den sterblichen Leib gefesselt und von seinen Gebrechen angesteckt sind, kann man sie in Wahrheit als tot bezeichnen; denn die Verbindung von Göttlichem mit Sterblichem ist etwas Unnatürliches. Freilich vermag die Seele auch Grosses zu vollbringen, während sie noch dem Körper innewohnt, indem sie ihn eben zum empfindenden Werkzeug ihrer selbst macht, unsichtbar ihn bewegend und über seine sterbliche Natur durch bedeutende Thaten ihn hervorhebend. Aber erst wenn sie, los von der sie zur Erde ziehenden lästigen Schwere, ihre wahre Heimat erreicht hat, erst dann wird sie einer seligen Wirksamkeit und allerseits ungehemmten Kraft teilhaftig und führt, wie Gott selbst, ein ewiges, dem menschlichen Auge unsichtbares Dasein. Allerdings kann sie auch, so lange sie noch im Körper sich befindet, nicht geschaut werden: ungesehen kommt sie, und niemand wird ihrer gewahr, wenn sie wiederum geht, und wiewohl sie selbst ihrer Natur nach unveränderlich ist, wird sie doch die Ursache aller Veränderungen des Körpers. Denn womit die Seele sich verbindet, das lebt und gedeiht; wovon sie sich aber trennt, das verwelkt und stirbt ab - so gross ist die Fülle der in ihr wohnenden Unsterblichkeit. Der deutlichste Beweis für das Gesagte sei euch der Schlaf, in welchem die Seelen, ungestört vom Leibe, in sich selbst zurückgezogen der süssesten Ruhe geniessen, mit Gott, dem sie verwandt sind, verkehren, überall hinschweifen und vieles Zukünftige weissagen. Wie sollte man also den Tod fürchten, wenn man die Ruhe im Schlafe liebt? Und wäre es nicht ein Zeichen von Thorheit, wenn jemand die irdische Freiheit zu erringen suchte und doch die ewige sich missgönnte? Wir sollten daher
Seite 662 schon auf Grund der Erziehung, die wir genossen haben, anderen ein Beispiel von Sterbensfreudigkeit geben. Haben wir aber auch noch Vorbilder aus der Fremde nötig, so lasst uns auf die Inder schauen, die sich der Übung der Weisheit befleissigen. Diese edlen Männer ertragen das irdische Leben nur widerwillig als einen Frondienst, den sie der Natur schulden, und freuen sich, wenn die Seele aus den Banden des Körpers erlöst wird: ohne dass ein Leid sie drückt oder quält, nur aus Sehnsucht nach dem ewigen Leben, kündigen sie den anderen an, dass sie gesonnen sind, von der Welt zu scheiden. Niemand hindert sie daran, vielmehr preist jedermann sie glücklich und gibt ihnen Aufträge an verstorbene Verwandten mit - so fest und zuversichtlich glauben sie an eine Wiedervereinigung der Seelen. Nachdem sie nun jene Aufträge entgegengenommen, übergeben sie ihren Leib dem Feuer, um die Seelen in möglichster Reinheit vom Körper zu trennen, und sterben unter Lobgesängen. Ihre Lieben aber geleiten sie mit leichterem Herzen zum Tode, als andere Menschen ihre Mitbürger zu einer weiten Reise; sich selbst beweinen sie, jene preisen sie selig, weil sie schon in die Reihen der Unsterblichen aufgenommen sind. Müssen wir uns nun nicht schämen, dass wir uns zu der edlen Gesinnung der Inder nicht emporschwingen können und durch unsere Zaghaftigkeit das Gesetz unserer Väter, um das die ganze Welt uns beneidet, schmählich beschimpfen? Aber wenn man uns auch von jeher das gerade Gegenteil gelehrt hatte, nämlich dass das irdische Leben des Menschen höchstes Gut und der Tod ein Unglück sei, so mahnt uns doch unsere gegenwärtige Lage, ihn wohlgemut zu ertragen, da der Wille Gottes und die Notwendigkeit ihn gebieterisch verlangen. Schon lange nämlich hat Gott, wie mir scheint, bezüglich des gesamten Volkes der Juden diesen Ratschluss gefasst: wir sollen das Leben verlieren, weil er uns nicht mehr gnädig sein will. Euch selbst dürft ihr ja nicht die Schuld beimessen, noch es den Römern als Verdienst
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anrechnen, dass der Krieg gegen sie uns alle ins Verderben gestürzt hat. Denn nicht durch ihre Kraft ist solches geschehen, sondern eine höhere Macht hat es gefügt, dass sie sich als Sieger betrachten können. Waren es zum Beispiel vielleicht römische Waffen, durch welche die Juden zu Caesarea ums Leben kamen? Nein, sie dachten nicht im entferntesten an Abfall, und während sie den Sabbat feierten, fiel der Pöbel von Caesarea über sie her, metzelte sie samt Weibern und Kindern nieder, ohne dem geringsten Widerstand zu begegnen, und scheute sich dabei nicht einmal vor den Römern selber, welche nur die Abtrünnigen, das heisst Leute unseres Schlages, für Feinde erklärt hatten. Doch man wird einwenden, die Bewohner von Caesarea hatten stets mit den Juden im Streit gelegen und, indem sie eine günstige Gelegenheit benutzten, nur einen alten Hass gestillt. Nun denn, was sagen wir von den Juden zu Skythopolis? Den Griechen zu Gefallen ergriffen sie das Schwert gegen uns, anstatt mit uns, ihren Stammesgenossen, die Römer zu bekämpfen. Aber was hatten sie von dem Wohlwollen und der Freundlichkeit gegen ihre griechischen Mitbürger? Mitsamt ihren Familien wurden sie unbarmherzig hingeschlachtet; das war der Dank für ihre Hilfe. Was sie uns wehren wollten, den Griechen anzuthun, das geschah ihnen selbst, als hätte es so kommen müssen. Doch es würde zu weit führen, wollte ich alles im einzelnen hier vorbringen: ihr wisst ja, dass es keine Stadt in Syrien gibt, die nicht ihre Jüdischen Bewohner umgebracht hatte, wiewohl diese uns weit friedlicher gegenüberstanden als die Römer. So haben, um nur einiges anzuführen, die Damascener, ohne auch nur einen Schatten von Vorwand erdichten zu können, ihre Stadt durch ein scheussliches Blutbad befleckt, indem sie achtzehntausend Juden samt deren Weibern und Kindern ermordeten. Ferner wurden in Aegypten eine Unmenge Juden - sechzigtausend, wie man hört - zu Tode gemartert. Allerdings haben diese im fremden Lande, weil sie schutzlos ihren Feinden
Seite 664 preisgegeben waren, solch jammervollen Tod gefunden; aber auch denen, die in ihrern eignen Lande gegen die Römer Krieg führten und überall die beste Gewähr für den Sieg gaben, ward dieser Sieg nicht zuteil. Waffen, Mauern, uneinnehmbare Festungen und ein Mut, der den Gefahren des Befreiungskampfes furchtlos die Stirn bot, bestärkten das ganze Volk in seinem Vorhaben, den Abfall zu wagen. Aber nachdem dies alles nur kurze Zeit vorgehalten und uns mit hochfliegenden Hoffnungen erfüllt hatte, stellte es sich in der Folge nur als Ursache noch viel grösseren Unglücks dar. Eine Festung nach der anderen wurde erobert und fiel den Feinden in die Hände, als wären sie nur deshalb so ausgerüstet gewesen, um den Sieg der Römer noch glänzender zu gestalten, und nicht vielmehr um denen, die sie erbaut hatten, zur Rettung zu verhelfen. Die in der Schlacht Gefallenen waren noch glücklich zu preisen, denn sie starben wenigstens mit dem Schwert in der Hand und ohne die Freiheit zu verraten. Wer aber wollte nicht die Menge derer bemitleiden, die in römische Gefangenschaft gerieten? Und wer mochte nicht mit Freuden in den Tod gehen, bevor ein gleiches Schicksal ihn ereilt? Von diesen Unglücklichen starben die einen auf der Folterbank, durch Feuer und Geisselhiebe zermartert; andere wurden, von wilden Tieren halb zerrissen, lebendig zu einem zweiten Mahle für die Bestien aufbewahrt - zum Gespott und zur Kurzweil ihrer Peiniger. Die Beklagenswertesten aber sind die, welche noch leben und den heissersehnten Tod nicht finden können. Und wo ist jene grosse Stadt, die Hauptstadt der jüdischen Nation, die durch so viele Ringmauern befestigt, durch so viele Burgen und gewaltige Türme geschützt war, die Stadt, welche kaum die Masse des Kriegsgerätes fasste und so viele Myriaden Männer in sich schloss, die für sie stritten? Wo ist sie hingekommen, die Stadt, die Gott der Herr gewürdigt hatte, in ihr zu wohnen? Vom tiefsten Grunde aus ist sie zerstört, und als einziges Denkzeichen von ihr blieb nur das Lager ihrer Ver-
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wüster übrig, das noch auf ihren Trümmern steht. Elende Greise liegen bei der Asche des Tempels, und wenige Weiber, die für die schamlose Lust der Feinde aufbewahrt sind. Denkt einer an das alles, wie mag er da den Tag noch schauen wollen, selbst wenn er fortan in Sicherheit leben könnte? Und wer ist der Vaterlandsfeind, wer die Memme und der Feigling, dem es nicht leid thun würde, dass er auch nur bis heute hat leben müssen? Ach wären wir doch alle gestorben, bevor wir die heilige Stadt von Feindeshand zerstören und den geweihten Tempel so frevelhaft vernichten sahen! Freilich wurden wir durch die gewiss nicht unedle Hoffnung hingehalten, vielleicht noch einmal an dem Feind Rache dafür nehmen zu können; nun aber auch diese dahin ist und wir einsam der Not gegenüberstehen, wollen wir nicht zögern, mit Ehren zu sterben. Lasst uns Erbarmen haben mit uns selbst, Erbarmen mit unsern Frauen und Kindern, so lange es uns noch freisteht, solche Barmherzigkeit zu üben. Denn zum Tode sind wir geboren, und zum Tode haben wir auch unsere Kinder gezeugt: selbst die Glücklichsten können ihm nicht entgehen; Misshandlung aber und Sklaverei, und zusehen müssen, wie Weiber und Kinder zur Schändung geschleppt werden, das sind keine Übel, welche etwa die Naturnotwendigkeit den Menschen auferlegt, sondern es widerfährt ihnen solches nur um ihrer eignen Feigheit willen, weil sie nämlich, obwohl sie es könnten, nicht sterben wollen, ehe sie dies alles erleben. Wir dagegen sind im stolzen Vertrauen auf unsere Manneskraft von den Römern abgefallen und haben noch jüngst ihrer Aufforderung, uns zu ergeben, kein Gehör geschenkt. Wem sollte es da nicht einleuchten, wie schwer ihre Rache uns treffen würde, wenn sie uns lebend in ihre Gewalt bekämen? Wehe alsdann den Jünglingen, deren Körperstärke gar viele Martern wird aushalten müssen! Wehe auch den Greisen, die ihres hohen Alters wegen die Qualen nicht mehr ertragen können! Da wird der eine sein Weib zur Schändung wegführen sehen, ein anderer die Stimme
Seite 666 seines Kindes hören, wie es nach dem Vater jammert, dem doch die Hände gebunden sind! Doch nein - so lange diese Hände noch frei sind und das Schwert zu halten vermögen, sollen sie uns den besten Dienst erweisen. Ungeknechtet von den Feinden wollen wir sterben, als freie Männer samt Weib und Kind aus dem Leben scheiden. Das befehlen uns die Gesetze, das erflehen von uns unsere Frauen und Kinder; in die Notwendigkeit aber, diesen Schritt zu thun, hat uns Gott versetzt, und das Gegenteil davon liegt im Wunsche der Römer: sie fürchten, es möchte einer aus uns vor dem Falle der Festung sterben. Eilen wir daher, ihnen statt der erhofften Freude, die unsere Gefangennehmung ihnen bereiten würde, den grausigen Anblick unserer Leichen und das Staunen über unsere Kühnheit zu hinterlassen!“
1. Als er nun noch mit seinen Ermahnungen fortfahren wollte, unterbrachen ihn alle, drängten, von unaufhaltsamem Ungestüm ergriffen, zur That und rannten, wie wenn ein böser Geist sie getrieben hätte, davon. Einer suchte dem anderen zuvorzukommen, und jeder glaubte sich dadurch besonders tapfer und entschlossen zu zeigen, dass er sich nicht unter den Letzten finden liess - ein solch gieriges Verlangen hatte sich ihrer bemächtigt, ihre Weiber und Kinder sowie sich selbst untereinander zu morden. Auch erkaltete, wie man vielleicht hätte meinen können, dieser ihr Eifer nicht, als sie zur Ausführung schritten, sondern sie beharrten bei der unerbittlichen Gesinnung, die Eleazars Rede ihnen eingeflösst hatte. Freilich erlitten ihre freund- und verwandtschaftlichen Gefühle keine Einbusse; aber die Vernunft, die ihnen sagte, dass sie so am besten für ihre
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Lieben sorgten, behielt die Oberhand. So setzten sie denn, indem sie ihre Frauen liebevoll umarmten, ihre Kinder herzten und unter Tränen die letzten Küsse auf deren Lippen drückten, ihren Entschluss ins Werk, als stände ihnen eine fremde Hand zu Gebot; ihren Trost aber fanden sie bei diesem notgedrungenen Morden in dem Gedanken an die Misshandlungen, die ihre Angehörigen erdulden müssten, wenn sie in Feindeshand fallen würden. Schliesslich erwies sich keiner als zu schwach für das grausige Werk, sondern alle machten ihre Lieben der Reihe nach nieder. O der fürchterlichen Not, die es den Unglücklichen noch als das kleinste übel erscheinen liess, mit eigener Hand ihre Frauen und Kinder hinzuschlachten! Unfähig, den Schmerz über ihre That zu ertragen, und in dem Gefühl, dass sie ein Unrecht an den Toten begehen würden, wenn sie dieselben auch nur ein kleines Weilchen überlebten, schleppten sie alsdann eiligst alles Wertvolle auf einen Haufen zusammen, steckten es in Brand und wählten hierauf zehn ihrer Genossen aus, welche die Mörder aller übrigen werden sollten. Hingestreckt an der Seite seines Weibes und seiner Kinder und die Arme über sie ausbreitend, bot nun jeder von ihnen aufs bereitwilligste seine Kehle den zehn dar, welche den traurigen Dienst vollzogen. Kaum aber hatten die letzteren ohne Zittern und Zagen ihre sämtlichen Gefährten Mann für Mann durchbohrt, als sie durchs Los die gleiche Entscheidung bezüglich ihrer selbst trafen: derjenige, auf den das Los fiel, sollte die anderen neun und endlich auch sich selbst umbringen; hegten sie doch alle das feste Vertrauen zueinander, dass jeder von ihnen der Ausführung des Beschlusses in tätiger wie leidender Hinsicht gleich freudig sich fügen werde. So unterzogen sich denn die neun dem Tode durchs Schwert; der eine aber, der zuletzt noch am Leben war, besichtigte nur noch den Haufen der Daliegenden, ob nicht etwa bei dem grossen Gemetzel einer übrig geblieben sei, der zum Sterben seiner Nachhilfe bedürfe, und als er sie alle wirklich tot fand, legte er
Seite 668 Feuer an den Palast, durchbohrte dann sich selbst mit kräftiger Faust und sank neben seinen Unglücksgeführten nieder. Also starben sie in der Überzeugung, keine Seele übrig gelassen zu haben, die in die Gewalt der Römer geraten konnte. Eine bejahrte Frau jedoch sowie eine Verwandte Eleazars, letztere ein an Verstand und Bildung die meisten ihres Geschlechtes weit überagendes Weib, hatten sich, während die Gedanken der anderen von der Ermordung der Gefährten ganz in Anspruch genommen waren, heimlich nebst fünf Kindern in eine unterirdische Trinkwasserleitung verkrochen. Die Zahl der Toten, Weiber und Kinder mit eingerechnet, belief sich auf neunhundertsechzig. Diese Schreckensthat geschah am fünfzehnten des Monats Xanthikos.1
2. Früh morgens nun setzten sich die Römer, die auf bewaffneten Widerstand rechneten, in Bereitschaft, verbanden ihren Wall und die Mauer durch Fallbrücken und betraten die Festung. Als sie jedoch keinen Feind erblickten, sondern überall eine unheimliche Leere, im Innern des Kastells Feuer, sonst aber tiefe Stille gewahrten, konnten sie sich nicht denken, was geschehen sei. Endlich stimmten sie, als sollten die Geschosse eben abfliegen, den Schlachtruf an, um dadurch den einen oder anderen von den Bewohnern hervorzulocken. Dieses Geschrei vernahmen die Weiber, krochen sogleich aus den unterirdischen Gängen heraus und berichteten den Hergang mit allen seinen Einzelheiten; besonders die eine der Frauen wusste alles, was gesprochen und gethan worden war, aufs genaueste zu erzählen. Die Römer indes schenkten ihr, weil sie die ungeheuerliche That nicht glauben wollten, nur wenig Aufmerksamkeit, sondern bahnten sich, indem sie den Brand zu löschen versuchten, einen Weg durch die Flammen und drangen in das Innere des Palastes ein. Als sie aber hier in Wirklichkeit die Menge der Gemordeten entdeckten, freuten sie sich nicht wie über den Untergang von
1 73 n. Chr.
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Feinden, sondern zollten dem hochherzigen Entschluss und der unerschütterlichen Todesverachtung so vieler bei der That beteiligten Personen ihre volle Bewunderung.
1. Als Masada auf diese Weise erobert war, liess der römische Feldherr eine Besatzung in dem Kastell zurück und zog mit seinen Truppen nach Caesarea ab. Denn kein Feind war in Judaea übrig geblieben, sondern das Land war nunmehr durch den langen Krieg in seiner ganzen Ausdehnung völlig unterjocht. Dagegen kamen jetzt viele der auswärtigen Juden, selbst solche, die sehr weit von ihrem Stammland entfernt wohnten, infolge des Aufstandes in eine missliche Lage. So mussten beispielsweise kurz nach dem Falle Masadas zu Alexandria in Aegypten eine Menge Juden das Leben lassen. Diejenigen aus der Sikarierrotte nämlich, denen die Flucht dorthin geglückt war, hatten nicht genug daran, dass sie mit heiler Haut davongekommen waren, sondern suchten aufs neue Unruhen zu stiften, indem sie viele von denen, die ihnen Aufnahme gewährt hatten, beredeten, sich für die Freiheit zu erheben, die Römer nicht für besser zu halten, als sich selbst, und keinen Herrn anzuerkennen ausser Gott. Als nun ein Teil der vornehmeren Juden sich ihnen widersetzte, räumten sie die einen aus dem Wege, den anderen aber lagen sie mit ihren Aufwiegeleien jetzt erst recht an. Angesichts dieses wahnwitzigen Treibens glaubten die obersten Mitglieder des Rates es nicht mit ihrer Sicherheit vereinbaren zu können, wenn sie die Sikarier noch länger gewähren liessen. Sie beriefen daher die ganze Judenschaft zu einer Versammlung, deckten die An-
Seite 670 schläge der Verwegenen auf und schilderten sie als die Urheber alles den Juden bislang zugestossenen Unglücks. Jetzt aber, fuhren sie fort, da den Sikariern trotz der gelungenen Flucht keine Rettung winke (denn sowie sie von den Römern erkannt seien, würden sie wohl ihre baldige Hinrichtung zu gewärtigen haben), suchten sie in ihr verdientes Schicksal auch noch diejenigen mit hineinzuziehen, die sich niemals an ihren verbrecherischen Umtrieben beteiligt hatten. Die Vorsteher ermahnten darum das Volk, sich vor dem Unheil, das die Aufrührer stiften wollten, in acht zu nehmen und durch Auslieferung der Bösewichte sich den Römern gegenüber zu rechtfertigen. In richtiger Erkenntnis der grossen Gefahr, die ihnen drohte, nahmen sie sich denn auch ausnahmslos diese Vorstellungen zu Herzen, stürzten sich auf die Sikarier und machten sie dingfest. Sechshundert derselben wurden so auf der Stelle gefangen genommen; andere, die sich in das Innere Aegyptens und besonders nach Theben geflüchtet hatten, wurden bald darauf ergriffen und eingeliefert. Ihr Starrsinn und ihre Tollheit oder Seelenstärke -wie mans nennen will - rief allgemeines Erstaunen wach. Denn alle erdenklichen Martern und Verstümmelungen, die man nur deshalb an ihrem Körper vollzog, damit sie den römischen Imperator als ihren Gebieter anerkennen sollten, vermochten nicht einen von ihnen zur Nachgiebigkeit zu bewegen oder ihm das geforderte Bekenntnis abzuzwingen; vielmehr verharrten sie in ihrer durch keine Not zu beugenden Gesinnung, als wenn ihr Leib gegen Folterung und Flammenqualen völlig abgestumpft wäre, ihre Seele aber sogar noch Freude darüber empfände. Die grösste Verwunderung jedoch erregten bei den Zuschauern die kleinen Knaben: denn auch von ihnen war keiner dahin zu bringen, dass er den Imperator seinen Herrn genannt hatte - so sehr überwog ihre gewaltige Kühnheit die Schwäche ihres Körpers.
2. Lupus, der damalige Statthalter zu Alexandria,
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berichtete schleunigst über diese Bewegung nach Rom, worauf Vespasianus, der überzeugt war, dass die Empörungssucht der Juden nie zur Ruhe kommen werde, und zugleich befürchtete, sie möchten sich wieder zu grösseren Scharen zusammenthun und dann auch andere zum Abfall verleiten, dem Lupus befahl, den Jüdischen Tempel im sogenannten Distrikt des Onias zu zerstören. Dieser Tempel ]iegt in Aegypten und verdankt seine Erbauung wie seinen Namen folgender Veranlassung. Onias, der Sohn des Simon,1 einer der Hohepriester zu Jerusalem, war vor Antiochus, dem König von Syrien, als dieser die Juden mit Krieg überzog, nach Alexandria geflohen. Hier fand er wegen seines Zerwürfnisses mit Antiochus freundliche Aufnahme bei Ptolemaeus und versprach diesem dafür, er werde das ganze Jüdische Volk auf seine Seite bringen, wenn der König seinen Worten Gehör schenken wolle. Ptolemaeus sicherte ihm thunlichste Unterstützung zu, und nun bat Onias um die Erlaubnis, irgendwo in Aegypten einen Tempel erbauen und einen Gottesdienst nach der Sitte seiner Vater einrichten zu dürfen. Dann nämlich, meinte er, würden die Juden gegen Antiochus, den Verwüster des Tempels zu Jerusalem, noch hartnäckiger kämpfen, gegen Ptolemaeus aber desto grössere Anhänglichkeit an den Tag legen und sich um der freien Religionsübung willen massenhaft in seinem Lande ansiedeln.
3. Diesen Ausführungen pflichtete der König bei und schenkte ihm einen Platz im Bezirke von Heliopolis, hundertachtzig Stadien von Memphis entfernt. Hier legte Onias zunächst Festungswerke an und erbaute alsdann den Tempel, jedoch nicht nach dem Muster des zu Jerusalem befindlichen, sondern in der Weise, dass er mehr einer Burg glich, die, aus grossen Quadern bestehend, sich etwa sechzig Ellen hoch erhob. Dem Altar dagegen gab er eine ähnliche Gestalt, wie sie der in der Heimat aufwies, und schmückte auch den Tempel
1 Vergl. die 6. Anmerkung zu I, 1, 1 sowie J. A. XII, 1, 7.
mit ähnlichen Weihgeschenken. Nur bei dem Leuchter machte er eine Ausnahme. Er liess nämlich keinen stehenden Armleuchter verfertigen, sondern eine goldene Lampe, von welcher Strahlen ausgingen, und hängte dieselbe an einer goldenen Kette auf.1 Das ganze Heiligtum umgab er mit einer Backsteinmauer, die massiv steinerne Thore hatte. Der König schenkte ihm sodann noch ein weiteres ausgedehntes Grundstück, von dessen Ertrag die Priester ihr reichliches Auskommen haben und ausserdem die Aufwendungen für den Gottesdienst bestreiten sollten.2 Onias aber hatte bei diesem Beginnen keine lauteren Absichten, sondern liess sich von seinem Hass gegen die Juden zu Jerusalem leiten, denen er es nicht vergessen konnte, dass sie ihn zur Flucht genötigt hatten; und nun glaubte er, durch die Erbauung dieses Tempels eine Menge Juden von dort weglocken zu können. Es gab übrigens auch eine darauf bezügliche Weissagung, die schon vor mehr als sechshundert Jahren ergangen war: der Prophet Esaias nämlich hatte die Erbauung dieses Tempels in Aegypten durch einen Jüdischen Mann vorhergesagt.3 Auf die angegebene Weise also war der Tempel entstanden.
4. Kaum hatte nun Lupus, der Befehlshaber von Alexandria, den entsprechenden Bescheid aus Rom erhalten, als er in dem geweihten Bezirk erschien und den Tempel, aus dem er zuvor einige Weihgeschenke fortgenommen hatte, abschloss. Bald darauf aber starb er, und sein Nachfolger im Amte, Paulinus, nahm nicht nur unter harten Drohungen gegen die Priester, falls sie etwas verheimlichten, die sämtlichen Weihgeschenke aus dem Tempel weg und verbot nicht nur den Andächtigen, die heiligen Räume zu betreten, sondern verschloss auch
1 Ähnlich der bei den Juden im Mittelalter und fast bis in die neueste Zeit gebräuchlichen sogen. Sabbatlampe.
2 Vergl. über den Oniastempel: Monatsschrift für Gesch. und Wissensch. d. Judent, 1851-52, S. 273-77; 1872, S. 150-55; Grätz, Gesch. d. Juden III, S. 31 ff.
3 Josephus meint hier die Stelle Jesaias 19, 19.
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die Thore und machte den Tempel völlig unzugänglich, sodass keine Spur von Gottesdienst an dem Orte mehr übrig blieb. Von der Erbauung des Tempels bis zu seiner Verschliessung waren dreihundertdreiundvierzig Jahre 1 verflossen.
1. Der Wahnsinn der Sikarier steckte übrigens, wie eine Seuche, sogar Kyrene und dessen Nachbarstädte an. Dorthin nämlich hatte sich ein äusserst verruchter Mensch mit Namen Jonathas, seines Zeichens Weber, geflüchtet, der eine beträchtliche Schar besitzloser Leute an sich zog und sie in die Wüste führte, wo er ihnen Wunder mit Erscheinungen zu zeigen versprach. Sein betrügerisches Treiben erregte nun zwar im allgemeinen wenig Aufmerksamkeit; gleichwohl sahen die vornehmsten Juden zu Kyrene sich veranlasst, seinen Auszug und sein Vorhaben dem Statthalter des Pentapolitanischen Libyen, Catullus, zu melden. Dieser sandte Reiterei und Fussvolk aus, die den unbewaffneten Haufen leicht überwältigten. Der grössere Teil fiel im Handgemenge; einige jedoch wurden lebendig gefangen genommen und vor Catullus geführt. Der Anstifter des ganzen Unternehmens, Jonathas, war allerdings für den Augenblick entkommen: lange und sorgfältige Nachforschungen im. ganzen Lande aber führten schliesslich doch zu seiner Verhaftung. Als er nun vor Catullus gebracht wurde, verstand er die Sache so zu drehen und zu deuten, dass er selber straflos ausging; dagegen gab er dem Statthalter Anlass zu den ungerechtesten Handlungen, indem er lügenhafterweise die reicheren Juden beschuldigte, sie hätten ihm zu seinem Anschlag geraten.
1 Da Onias etwa im Jahre 170 v. Chr. naoh Aegypten floh und die Schliessung des Tempels 73 n. Chr. stattfand, wäre 243 die richtige Zahl.
Seite 674 2. Catullus griff diese Verleumdungen begierig auf und suchte der Sache durch hochtönende Worte eine besondere Wichtigkeit beizulegen, damit es den Anschein gewinne, als habe auch er eine Art von jüdischem Krieg beendigt. Noch schlimmer aber war es, dass er, der für seine Person jenem Geschwätz so leicht Glauben schenkte, den Sikariern auch noch Unterricht im Verleumden gab. So brachte Jonathas auf sein Geheiss einen Juden Namens Alexander, dem Catullus schon lange feind war und seinen Hass bereits offen zu erkennen gegeben hatte, zur Anzeige und verwickelte auch Alexanders Gattin Berenike in die Beschuldigungen, worauf der Statthalter zunächst diese beiden hinrichten und sodann auch alle vermögenden Juden, dreitausend Mann auf einmal, umbringen liess. Er glaubte das ungefährdet thun zu können, weil er das Vermögen der Getöteten zu den Einkünften des Imperators schlug. 3. Damit aber nicht anderswo die Juden seine Ungerechtigkeiten an den Tag bringen möchten, dehnte er sein Lügensystem noch weiter aus und beredete den Jonatias sowie einige von dessen Mitgefangenen, die angesehensten Juden in Alexandria und Rom aufrührerischer Umtriebe zu bezichtigen. Unter denen, die auf diese Weise heimtückisch verklagt wurden, befand sich auch Josephus, der Verfasser des vorliegenden Geschichtswerkes. Dem Catullus aber sollte sein hinterlistiger Anschlag nicht gelingen. Denn als er, den Jonathas und dessen Genossen in Fesseln mit sich führend, in der Meinung, es werde, weil die Verleumdungen in seinem Namen und durch ihn vorgebracht waren, von jeder weiteren Untersuchung Abstand genommen werden, in Rom anlangte, liess Vespasianus, dem die Sache verdächtig vorkam, den wirklichen Thatbestand genau erforschen und sprach, nachdem er sich von der Grundlosigkeit der gegen jene Männer erhobenen Beschuldigungen überzeugt hatte, dieselben auf Verwendung des Titus völlig frei. Über Jonathas hin-
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gegen verhängte er die verdiente Strafe: er wurde gegeisselt und dann lebendig verbrannt.
4. Der Milde der beiden Herrscher hatte Catullus es für jetzt zu danken, dass er nicht härter als mit einem Verweis bestraft wurde. Nicht lange nachher aber befiel ihn eine verwickelte, unheilbare Krankheit, und endlich fand er, nicht bloss am Leibe zermartert, sondern von noch viel schlimmeren Seelenqualen heimgesucht, einen schmerzhaften Tod. Schreckbilder verfolgten ihn unablässig, und ein über das anderemal schrie er, er sehe die Schatten der von ihm Gemordeten neben seinem Lager stehen; er vermochte sich dann nicht mehr zu halten und sprang aus dem Bett, als nahe man ihm mit Folter und Feuer. Mehr und mehr nahm das Übel zu: schliesslich faulten ihm die Eingeweide und fielen aus seinem Körper heraus, und so starb er - ein Beispiel, so deutlich wie irgend ein anderes, dass die göttlicheVorsehung den Bösewicht der verdienten Strafe anheimfallen lässt. 5. Hiermit schliesse ich die Geschichte, welche ich meinem Versprechen gemäss mit aller Sorgfalt für diejenigen geschrieben habe, die zu erfahren wünschten, wie dieser Krieg der Römer gegen die Juden verlief: Über die Art der Darstellung sei das Urteil den Lesern anheimgestellt; was die Richtigkeit der Thatsachen anlangt, so habe ich, wie ich zuversichtlich behaupten darf, auf diese in der ganzen Schrift mein einziges Augenmerk gerichtet.
Abila, Stadt in Peraea, zwölf römische Meilen östlich von Gadara, die jetzige südlich vom Hieromax liegende Trümmerstadt Abil mit prachtvollen Ruinen, IV, 7, 6.
Abram, des Tharrus Sohn, Stammvater der Israeliten, V, 9, 4.
Absalem, Manaims Anhänger, II, 17, 9.
Achabarenfels, der, in Obergalilaea, nach Robinson der heutige Akbarah, II, 20, 6.
Achaja, die bekannte Landschaft Altgriechenlands, 1,26,4; II1, 1,3.
Achiab, Herodes des Grossen Vetter I,33, 7; II, 4, 1; 6, 3.
Actium, die flache, sandige Landzunge und westliche Spitze Acarnaniens, welche mit der gegenüberliegenden Spitze von Epiru die breite Mündung des Ambrakischen Meerbusens bildet, I, 20, 1.
Adasa, Flecken in Judaea, nach Joseph Schwarz das heutige zwischen Migdal und Askalon liegende Dorf Dschora di al Chadas, I, 1, 6.
Adiabene, assyrische Landschaft, bildete in den ersten christlichen Jahrhunderten ein eigenes, von den Persern abhängiges Königreich, II, 16,4.
Adida (in den 3. A. Addida), Stadt in Judaea, das heutige östlich von Lydda gelegene grosse Dorf el Chadîteh, IV, 9,1.
Adoreos (Adoreon, Adora), Stadt in Judaea, das heutige Dorf Dura oder Dôra im Distrikt Hebron, 1, 2, 6; 8, 4. Aegypten, II, 16,4; IV, 10, 5.
Aernilius Jucundus, Reiteroberst, II, 19, 7.
Aethiopien (s. Kiepert, Lehrbuch der alten Geographie, S. 204 ff.), II, 16 4.
Agesilaos, König der Lakedaemonier, II, 16, 4.
Aggaeus, Prophet, VI, 4, 8.
Agrippa der Grosse, Aristobuls Sohn, Herodes des Grossen Enkel, I, 28, 1; II, 9,6; 1 1,l1ff.
Agrippa, Agrippas des Grossen Sohn, II, 12, 8; 13, 2; 15,1; 16, 3ff; III, 4,2; 9,7; IV, I,1; 1, 3; 9, 2. Agrippa, Marcus Vipsanius, des Herodes Freund, 1, 20, 4; 21, 1.
Agrippias (Anthedon), Hafenstadt im Süden Palaestinas, zwanzig Stadien von Gaza, wahrscheinlich das, heutige Kefr - Hette, 1, 4, 2; 8,4; 21, 8; II, 18, 1.
Akme, Sklavin der Gemahlin des Augustus, I, 32, 6; 33, 7.
Akra, Stadtteil von Jerusalem, I, 1, 4; V, 4,1; VI, 6, 3.
Akrabatene, der Bezirk (die
Seite 677 Toparchie) von Akrabatta, II, 20,4; IV, 9,4; 9,9.
Akrabatta, Stadt in Judaea, das heutige Akrabeh, III, 3, 5.
Alanen, die, skythisches oder sarmatisches Volk am Asowschen Meere, VII, 7, 4.
Albinus, Landpfleger von Judaea, II, 14, 1.
Alexander Jannaeus, des Hyrkanus Sohn, I,4,1 ff.
Alexander, des Königs Aristobulus Sobn, 1,8,4; 8,7; 9,2.
Alexander, Herodes des Grossen Sohn, I, 23, 1 ff.
Alexander des Alexander und der Glaphyra Sohn, 1,28, 1.
Alexander, kyrenischer Jude, VII, 11, 2.
Alexander, Räuber, II,12,4.
Alexander, des Marcus Antonius Freund, I, 20, 3.
Alexander, der falsche, II, 7, 1 f.
Alexandra,des Aristobulus Gattin, auch Salome genannt, I, 4,1.
Alexandra, des Alexander Jannaeus Gattin, I, 5, 1 ff.
Alexandra, des Königs Aristobulus Tochter, 1,9,2.
Alexandria, die bekanute Hafenstadt in Aegypten, II, 16,4; IV, 10, 5; ihre Jüdischen Bewohner 1I,18,7; VII, 10,1.
Alexandrium, Kastell in Judaea (s. J. A. XIII, 16,4; XIV, 3,4; 15,4), vielleicht das heutige Kefr Stina (van de Velde), I,6,4; 8,5; 16,3.
Alexas, Herodes des Grossen Freund und Schwager, 1,28,6; 33,6; 33,8.
Alexas, tapferer Jude, VI, 1, 8; 2, 6.
Alpen, die, II, 16, 4.
Alurus, Dorf in Idumaea, jetzt unbekannt, IV, 9, 6.
Amathus, Festung in Peraea, jetzt Amâteh, drei Stunden südlich von Pella an der Ostweite des Jordan. 1,4.2; 8.4.
Ammaus (Emmaus), Städtchen in Judaea, das heutige Dorf Amwas (s. J. A. XIII, 1, 3; XIV9 11, 2; XV1Ij 10, 9), I, 11, 2; Ho 5, 1 VII, 6, 6.
Ammaus, Städtchen mit heissen Quellen, eine Viertelstunde südlich von Tiberias (s. J. A. XVIII 9 213), IV) 11 3.
Amygdalontelch, nach Sepp der alte Hiskia-Teich zwischen Zion und der Grabeskirche, V, 112 4.
Ananias, Hohepriester, II, 12, 6; 172 6; 17, 9.
Ananias, des Sadduk Sohn, II, 17,10.
Ananias, Pharisäer, II,21,7.
Ananifils (zwei dieses Namens), Zeloten, IV, 4, 1.
Ananias, Hohepriester, V, 13, 1.
Ananus des Hohepriesters Ananias ohn, II,12,6.
Ananus, Hohepriester, II,20,3; IV,3,9ff.; 4,3; 5,2.
Ananus, des Jonathas Sohn, II, 19,5.
Ananus, des Bamados Sohn, V, 13) 1; V1p 4, 2.
Annaeus, Bürger von Taricheae, 11,211-3.
Annius, Lucius, römischer Offizier, IV, 92 I.
Anthedon, s. Agripplas.
Antigonus, des Hyrkanus Sohn, 1, 2) 7; 31 1 f
Antigonus des Königs Aristobulus Sohn, IA 6; 10, 3; 12,2f.; 13, 1 ff.; 15, 1; 15, 5; 17 1 17-5f; 1%lff.
Antiochia, die Hauptstadt Syriens, jetzt Antaki, I, 21, 11; III 1815 VII, 3,3 f.; 5, 2.
Antiochus IT, Epiphanes, I, 1, lff.
Antiochus V, Eupator, 1, 1, 5.
Antiochus VIL, Soter, I, 2,2; 215.
Antiochus VIII, Grypus, I, 2y 7.
Antiochus, XIL, des Antiochus Grvpus Sohn, I. 4,7.
Antiochus, König von Kommagene, I, 16, 7.
Antiochus, König vonKommagene, 11I, 4, 2; V, 11, 3; VII, 7,l1ff.
Antiochus Epiphanes, des Kommageners Antiochus Sohn, V,11,3; VII,7,lf.
Antiochus, zu Antiochia ansässiger Jude, VII, 3, 3f.
Antiochusthal, ein Gebirgspass östlich vom See Tiberias in Gaulanitis (s. auch J. A. XIII, 15,3), 1,4,8.
Antipas (Herodes), Sohn Herodes des Grossen und der Malthake, 1,28,4; 32,7; 33,7; 11,2,3fif.; 6, 3; 9, 1; 9, 6.
Antipas, Verwandter des Königs Agrippa, II, 17,4.
Antipas, vornehmer Jude, IV, 3, 4.
Antipater, Vater Herodes des Grossen, I, 6, 2;8, 1; 8,9; 9, 3f.; 10,3ff.; 11,2; 11,4.
Antipater, Sohn Herodes des Grossen und der Doris, I, 23, If.; 23,5; 24,1f.; 24,8; 26,2; 28, 1; 29,l1ff.;- 30,l1ff.; 31, 5 ff.; 32, 5; 33,7.
Antipater, Samariter, I, 30, 5.
Antipater, Sohn der Salome, I1,2, 5.
Antipatris, Stadt in Judaea, früher Chabarzaba genannt (J. A. XIII, 15, 1), auch Kapharsaba (J. A. XV I, 5,2), heutige Lage unbekannt, I, 4, 7;21,9;If, 19,1; 19, 9; IV),8,1.
Antiphilus, Antipaters Freund, I, 30,5; 32,6.
Antonia, Burg zu Jerusalem, 1,3,3; 5,4; 21,1; I1,15,6; 16,5; 17, 7; V, 5,8.
Antonius Marcus, 1, 8,3; 12, 4 f.; M4,3.; 16,4; 16,7; 18,4f.; 19, 1; 20, 1.
Antonius, Stadtkommandant von Askalon, 111, 2, 1 if.
Antonius Silo, römischer Offizier, III, 10, 3.
Antonius, römischer Centurio, III, 7,935.
Antonius Primus, Präfekt von Moesien, IV, 11, 2 f.
Antonius, Julianus, Marcus, Landpfleger von Judaea, VI, 4, 3.
Anuath Borkeos, Grenzort zwischen Galilaea und Samaria, nach Tuch das jetzige Dorf Burkâ, nicht weit südöstlich von Beitîn (Bethel), 111, 3, 5.
Apamea, Stadt in Syrien, Hauptstadt der Landschaft Apamene am Orontes, südlich von Antiochia, heute die prächtigen Ruinen Kala´at-el-Medîk im Paschalik Tarablüs, I, 10, 10; II, 18, 5.
Apheks Turm, II, 19, 1.
Aphitha, Dorf in Judaea, heute unbekannt, IV, 3,8.
Apollonia, Seestadt in Palaestina zwischen Caesarea und Joppe (Plinius, Naturgesch. V, 14),
Aez, ein verödetes Dorf Arsuf, 1,84.
Araber, die, I, 19, 1 ff.
Arbela, Dorf in Galilaea am See Genezareth in der Nähe von Magdala, ohne Zweifel das heutige Irbid, in dessen Nähe noch jetzt Höhlen an aufsteigenden Bergwänden zu sehen sind (vergl. Robinson, Palaestina III, S. 497, 532 if.), I1,16, 2.
Archelais, Flecken in Judaea nahe bei Jericho, jetzt el-Basallye, II, 9, 1.
Archelaus, König von Kappadocien, 1, 23, 4; 25, 1 ff.; 26, 4; 27, 2.
Archelaus, Sohn Herodes des Grossen und der Malthake, I, 28, 4; 31, 1;33, 7;33, 9; III, 1, 1; 1, 2f.; 2, 1; 2, 3 ff.; 6, 2; 7, 3.
Arehelaus, Parteigänger des Simon Bargioras, VI, 4, 2.
Ardalas, einer der Aufständischenführer zu Jerusalem, VII, 7,1.
Aretas, Araberkönig, 1, 4,8; 6,2 2f;
Asoehaeus (Susak), König von 8, 1. Aegypten, VI, 10.
Aretas (früher Aeneas genannt), Araberkönig, 1, 29, 3; II 5, 1.
Asoehis, Stadt im Westen Galilaeas am See Tiberias, nach Robinson (Neue Forschungen S. 142-144), das jetzige Kefr-Menda, I, 4,2.
Arethusa, syrische Stadt zwischen Epiphania und Emesa, jetzt Rostan oder Restun, I, 7, 7.
Aristeus, vornehmer Jude, V, 1 3, 1.
Asplhaltsee, der (das tote Meer), Beschreibung IV, 8,4.
Aristobulus, des Hyrkanus Sohn, I, 83, 5; III, 10, 7. 2, 7; 3, 1ff.; 3,6.
Aristobulus, des Alexander Jannaeus Sohn I. 5, 2 f.; 6, I f.; 6, 4ff.; 7,1; 7, 7; 8, 6; 9, 1.
Assyrierlager, Teil von Jerusalem, nordwestlich zwischen Golgotha und dem Hügel der Jeremiasgrotte gelegen, benannt nach dem Standort, wo Senacherib sein Lager aufgeschlagen hatte, V, 7, 3; 12, 2.
Aristobulus, Herodes des Grossen Sohn, I, 23,l1ff.; 26, 4; 27, 2; 27, 6; 28, 2.
Aristobulus, Herodes des Grossen Enkel, II, 11, 6.
Athener, die, I, 21, 11I; II, 16, 4.
Aristobulus, Sohn von Agrippas Bruder Herodes, II, 11, 6.
Athenion, Heerführer im Dienste der Kleopatra, I, 19, 2.
Aristobulus, König von Chalkidike, VII, 7. 1.
Athirongaeus, Hirt, strebt nach der Königskrone, 11, 4, 3.
Arius, römischer Centurio, II, 4, 3g
Atratinus, vornehmer Römer, 5,1. I, 14, 4.
Arkaca (in den J. A. Arke genannt), phönicische Stadt am Fusse des Libanon, heute Ruinen in der Nähe des arabischen Dorfes Irka, VII,1 5, 1.
Auranitis, Landschaft Palaestinaa jenseits des Jordan, jetzt Haunrân, I, 20, 4; II, 6, 3.
Azot, alte Philisterstadt, jetzt das elende Dorf Esdud,I1,7,7; 8,4; IV, 3,2.
Armenien, die bekannte asiatische Gebirgslandschaft, II, 11, 6; 13,2; VII, 7,4.
Arpha, ein im Osten gelegener, jetzt noch unbekannter Grenzort des transjordanischen Judaea, III, 3, 5.
Artaxias, Sohn des Partherkönigs Artabazes, I,19, 5.
Artabazes, König von Armenien, I, 19, 5.
Arus, Flecken, wahrscheinlich in Samaria, III,5, 1.
Asamon, Berg in Galilaea, nach Sepp der heutige Dschebel Dschermak, I,18,11.
Askalon Stadt in Judaea, einst eine der fünf Philisterhauptstädte, jetzt Askulan, 1, 21, II, 6, 3; 18, 1; 18, 5; III, 2, 1 ff.
B.
Baktras, ein Thal nörd1ich von Machaerus, jetzt wahrscheinlich das Thal Zerka Main, VII, 6,8.
Baka, Dorf in Gahlaea, jetzt unbekannt, III, 3, 1.
Bakelhides, Befehlshaber von Jerusalem unter Antiochus Epiphanes, 1, 1, 2; 1, 3.
Balanea, südlichste Küstenstadt Syriens, jetzt Banias, 1, 21, 12.
Barzapharnes, parthischer Satrap, 1, 13, 1 ff.
Bassus, Jaecilius, Mörder des Statthalters Sextus Caesar, 1, 10, 10;11, 1.
Bassus, Lucilius, Legat, VII, 6, 1ff.
Batanaea (Basan), der nördlichste Teil des Ostjordanlandes, jetzt el Botthîn oder Ard el Bathenyeh, 1, 20, 4; II,6,3.
Bathyllus, Antipaters Freigelassener, I, 31, 1.
Bedriacum, Flecken Oberitaliens zwischen Verona und Cremona, IV, 9,7.
Beleusfluss, bei Tacitus, (Histor. V, 7)
Belus, bei Plinius (Naturgesch. V, 17) Pagida genannt, höchstwahrscheinlich der heutige Nahr Zerka oder Krokodilfluss, II, 10, 2.
Bemeselis (in den J. A. Bethome genannt), Stadt Judaeas, heute unbekannt, I, 4, 6.
Berenike, Tochter Agrippas des Grossen und der Kypros, II, 11, 6; 15, 1.
Berenike, Tochter der Salome, 1,28,1.
Berenike, Gattin des kyrenaäschen Juden Alexander, VII, 11, 2.
Berenikianus, Sohn von Agrippas d. Gr. Bruder Herodes,II, 11,6.
Bersabe, Ort an der Grenze von Ober- und Niedergalilaea, II, 20, 6; III, 3, 1.
Berytus, Stadt in Phoenicien, jetzt Beirut, 1,21, 11; 27, 2; 1,3, 1.
Besimoth, altamoritische Stadt auf dem linken Jordanufer in der Nähe des toten Meeres, IV, 7, 6.
Betaris, Flecken in Idumaea, jetzt unbekannt, IV, 8, 1.
Betharamathon, a. Amathus, mit dem es identisch ist, II, 4, 2.
Betharamphtha. Stadt im Jordanthal, von Herodes Antipas Julias (Livias) genannt, 11,9, 1. Bethel, Stadt in Judaea, das heutige Beitîn, IV, 9, 8.
Bethennabris, Dorf in Peraea, jetzt unbekannt, IV, 7,4.
Bethezob, Dorf in Peraea, jetzt unbekannt, VI,7 3,4.
Bethieptephoron, Toparchie Judaeas, IV, 8, 1.
Bethoron, Stadt in Samaria, das heutige Beiturel-Fôka und B... Tachta (das obere und untere B.), II, 12, 2; 19, 1; 19, 8
Betlisimoth, s. Besimoth.
Bethso, Teil von Jerusalem, V, 4,2.
Bethsura, Stadt in Judaea, das heutige Beit Sifr, I, 1, 5.
Betlizacharia, Ort zwischen Jerusalem und Betlisura, das heutige Beit Zakarieh mit alten Cisternen, Gräbern und sonstigen Ruinen, I, 1, 5.
Bezedel, Dorf Palaestinas in der Nähe von Askalon, jetzt unbekannt, 11I, 2, 3.
Bezetha, Stadtteil von Jerasalem, II, 15,5; 19, 4; V,4)2; 5,8S.
Bithynien, asiatische Landschaft, (s. Kiepet, Lehrb. d. alten Geogr. S.99 f.), II, 16, 4.
Borkaeus, Gesandter König Agrippas des Jüngeren, II, 19.3.
Brixellum, Stadt in Gallia cispadana am rechten Ufer des Padus (Po), jetzt Bresello oder Brescello, IV, 9, 9.
Brundusium, uralte Stadt Calabriens, jetzt Brindisi, I, 14, 3.
Brutus, Jul. Caesars Mörder, 1,
Byblus, uralte Stadt Phoeniciens unweit des Meeres zwischen Tripolis und Berytus, jetzt Dschabla oder Dschubeil, II, 21, 11.
C. Caecinna, Heerführer Vitellius, dann unter Vespasianus, IV, 9, 9; 11, 2f.
Caesar, Gajus Julius, I, 8,1I; 9,3; 9,5 10,3; 11,1.
Caesar Octavianus (Augustus), II, 12, 4; 14, 4; 20,l1ff.; 21, 7; 23, 3; 27, 1; 32, 7; 33, 1; 33,8; II,2,2ff.; 6,2ff.; 7,2f.; 9,1.
Caesarea maritima, Küstenstadt Palaestinas, Residenz der römischen Landpfleger, heute Kaisarîye, ein elender Trümmerhaufe, auf dem nur wenige Araber wohnen. I, 2, 5; 21, 5; II, 13, 7; 14, 41; 18, 1; III, 9, 1; VII, 3, 1.
Caesarea Philippi, Stadt Palaestinas an den Jordanquellen, das alte Baal-Gad, heute das Dorf Banias, II, 9, 1; III, 9, 7; VII, 2, 1.
Capito, römischer Centurio, II,14,7.
Cassius, römischer Feldherr, I, 8,9; 11,lf.;11,öf.;12,2;12,4.
Catullus, Statthalter des Pentapolitanischen Libyen,VII, I1 1,lff.
Celadus, Freigelassener des Augustus, II, 7, 2.
Celor, Tribun, II, 12,7.
Cerealis, Sextus, Befehlshaber unter Vespasianus, III, 7, 32; 7, 34; IV, 9, 9; VI) 2, 5; 4, 3.
Cerealis, Petilius, Truppenfiführer unter Vespasianus, VII, 4,2.
Cestlus Gallus „ Statthalter von Syrien, II, 14, 3; 16, 1; 18, 9f.; 18,11; 19,lf.; 19,4f.; 19,öff.; 20, 1.
Chabulon, Grenzort Untergalilaeas nahe bei Ptolemais, vielleicht dasselbe wie Zabulon (II, 18, 9), heute das Dorf Kabul vier Stunden südöstlich von St. Jean d´Acre, III, 3, 1. Vergl. J. A. VIII, 5, 3; Leben des Josephus 43.
Chageirasi, tapferer Adiabener, V,11, 5.
Chalkis, syrische Stadt am Libanon, jetzt Andjar (arab. Ain el Jurr), II, 1 1, 5.
Chares, Anfiführer der Bewohner von Gamala, IV, 1,4; 1, 9.
Chebron, Stadt in Judaea, das Hebron der heil. Schrift, von den Arabern el-Chali (Freund Gottes) genannt, IV, 9, 7;- 9, 9.
Cilicien, I, 7,7. Seine Bewohner 1,4,3.
Classicus, Germanenhäuptling, VI I, 4,2.
Claudius, Tiberius, römischer Caesar, II, 1 1, 1 ff.; 12, 8.
Collega, Cnejus, Legat, VII, 3, 4.
Coponius,Landpfleger von Judaea, 11,8, 1.
Cornelius, römischer Soldat, VI, 3,2.
Crassus, römischer Feldherr, I, 8, 8.
Cremona, Stadt in Italien am Nordufer des Po, IV, 1 1, 3.
Cumanus, Landpfleger von Judaea, II, 12, 1 ff.
Cypern (Kuproj), die bekannte lnsel im Mittelmeer, I1,7,2.
Cyrus, Perserkönig, V, 9,4.
D.
Dabaritta, Levitenstadt auf der Grenze der Stämme Zabulon und Isachar am Nordende der grossen Kison-Ebene jetzt das Dorf Debûrîjeh oder nach Roeland (Palaestina, S. 737) der Flecken Dabeira in der Gegend von Diocaesarea am südlichen Fusse des Tabor, 11, 21, 3.
Dagon, Philistergott, V, 9, 4.
Daker, die, II, 16,4.
Dalmater, die, Bewohner des grossen Landstriches, den die Griechen und Römer Illyrien nannten, II, 16, 4.
Damaskus, die bekannte Stadt in Syrien, I, 4, 8; 21, 11;- II, 20, 1; VII, 8,7.
Daphne, Vorstadt von Antiochia, 1, 12, 5; 17,3.
Daphne Gegend von Palaestina nahe beim. See Merom, IV, 1, 1.
Darius, Heerführer im Dienste Agrippas des Jüngeren, II, 17, 4.
Dekapolis, die Zehnstädte, zur Zeit Christi ein zwar nicht geographisch, wohl aber politisch eine Einheit bildender Bund autonomer, d. h. nur dem römischen Statthalter in Syrien unterstellter Städte mit überwiegend griechischer Bildung, ausser Skythopolis alle im Ostjordanland gelegen. Sicher gehörten zur Dekapolis: Skythopolis, Hippos, Pella, Gadara, Philadelphia, Dion, Abila. Plinius rechnet (V, 16) noch Kanatha, Damaskus und. Raphanaea, Ptolemaeus Capitolias hinzu - III,9, 7.
Dellius, des M. Antonius Freund, 1,15,3.
Delta, die bekannte Gegend Unteraegyptens, zwischen dem kanopischen und dem pelusischen Nilarm, II, 18, 8.
Demetrius III, Eukaerus, I, 4, 4f.
Didius, Quintus, Statthalter von Syrien, I, 20,2.
Dikaearehia (Puteoli), Stadt in Italien, II, 7, 1.
Diogenes, Alexanders Freund, I, 5,3.
Diophantos, Sekretär Herodes des Grossen, I, 26, 3.
Dolesos, angesehener Bewohner von Gadara, IV, 7, 3.
Domitianus,desVespasianus Sohn, IV, 11, 4; VII, 4, 2.
Domitius Sabinus, Tribun, III, 7, 34; V, 8,4.
Dora, Küstenstadt Phoeniciens, 1, 2, 2; 7, 7; 21, 5,
Doris, Herodes des Grössen. Gattin, II,23, 1; 24, 2; 30, 4.
Drususturm, der, am Hafen zu Caesarea gelegen, I, 21, 6.
Drynmos, Eichenwald am Fusse des Karmel, I, 18, 2.
E.
Ebutius, römischer Decurio, III, 7. 3; IV, 1,5.
Ekdippon (in den J. A. Aktipua genanint), Seestadt Phoeniciens in der Ebene von Akko, wahrscheinlich der heutige, südwestlich von Eleutheropolis gelegene Ort KesAba, I, 13,4.
Eleazar,des Dinaeus Sohn,Rluber, II, 12, 4.
Eleazar, des Ananias Sohn, Befehlshaber der Tempelwache, III 17, 2; 17, 5; 17, 9; 20, 4.
Eleazar, Simons Sohn, II, 20, 3; 1V,7,4, 1; V,1, 2; 3, 1; 6, 1.
Eleazar, des Jalrus Sohn, II, 17, 9.
Eleazar, des Samaeas Sohn, III, 7, 21.
Eleazar, des Simon Gioras Vertrauter, IV, 9, 5.
Eleazar, des Simon Gioras Neffe, VI, 4, 1.
Eleazar, Führer der Sikarier zu Masada, VII, 7, 1; 8, öff.; 9, 1.
Elephantine, Stadt und Insel im Nil, Syene gegenüber, unterhalb des kleinen und letzten Nilfalles, jetzt Dschefiret el Sag oder Dschefiret Assuan, IV, 10, 5.
Elaeusa, Insel an der Küste von Cificien, 1, 23,4.
Elentherus, Grenzfluss zwischen Syrien und. Phoenicien, jetzt Nahr el Kebir, 1, 18, 5.
Elissaeus, Prophet, IV, 8, 3.
Elthemus, arabischer Heerführer, I, 19, 5.
Emesa, Stadt in Syrien, jetzt Hems oder Hams, VII, 7, 1.
Engaddi, Stadt in Südpalaestina, in der Wüste des Stammes Juda am Ufer des toten Meeres, jetzt Ain Jidy, III, 3, 5; IV,7,2.
Eniachim, Name für die hohepriesterlichen Klassen, IV 3,8.
Ephraiim, Städtchen in Judaea, das heutige Et-Taijibeh, IV, 9,9. Erbsenhausen (erbinqwn oikoj) Dorf bei Jerusalem, V, 12, 2.
Esaiias, Prophet, VII, 10,3.
Essener, die, 11, 8,2fif.
Essenerthor, V, 4, 2
Eurykies, Lakedaemonier, l, 26,1ff.
Evaratus,Vertrauter von Herodes des Grossen Sohn Alexander, 1, 26,5.
Ezechias, Räuberhauptmann, I, 10, 5; I1, 4, 1.
Ezechias, Bruder des Hohepriesters Ananias,II1 17, 8.
Ezechias, des Chobar Sohn, V, 1, 2.
F.
Fabatus „ Statthalter in Arabien, I1,29,3.
Fabius, Statthalter zu Damaskus, I. 12, 1 f.
Fabius, römischer Centurio, I, 7,4.
Faustus, Cornelius, tapferer Römer, 1,7,4.
Felix, Landpfleger von Judaea, 11.12,8; 13, 31ff.
Festus, Landpfleger von Judaea, 1I. 14,1.
Flavius Silva, Befehlshaber von Judaea unter Vespasianus, V11, 8,1 ff.
Florus, Gessius, Landpfleger von Judaea II, 14, 2 ff.; 15,lif.; 17,4; 19,4; 20, 1.
Fonteius Agrippa, Legat, VII, 4,3.
Frauentürme, die(gunaikeion purgoi), V, 2, 2.
Fronto, Liternius, Römischer Truppenführer, VI, 4,3; 9,2.
Furina, römischer Centurio, 1, 7, 4.
G.
Gaba, Stadt in Galiaea, die sogenannte „Reiterstadt", heute unbekannt. III,3,1
Gabaon, Stadt im Stamme Benjamin (Gibeon = — Hügelstadt), das heutige el -Dschäb, 2 l/2 Stunden nordwestlich von Jerusalem, II, 19,1; 19,7.
Gabara, Stadt in Galilaea, heute Kûbarah, III, 7, 1.
Gabathsaul (Gabatha), Philisterstadt, nach Robinson das heutige Dorf Jebâta, nach Bädeker-Socin das Dorf Djeba, V, 2, 1..
Gabinius, römischer Feldherr, I, 8,2 ff.
Gadara, Hauptstadt von Peraea, jetzt das kleine Dorf Um- oder Om-Keis (Mkês), I, 4, 2; 7, 7; 8, 5; II, 6, 3; 18, 1; 18, 5; III, 3, 1; IV, 7,3S.
Gades (Gadeira), Stadt und Insel in Hispania Baetica, das heutige Cadix, II, 16, 4.
Gajus, des Agrippa Sohn, Adoptivsohn des Augustus, I1, 2,4.
Gajus, römischer Truppenführer, II,5, 1.
Gajus Caligula, römischer Caesar II, 9, 5f.; 10, 1.
Galaditis (Galaaditis), Landschaft Palaestinas jenseits des Jordan,1, 4, 3; 11, 3, 3.
Galba, römischer Imperator, IV, 9,2; 9,9.
Gaellaca, die bekannte Landschaft. Palaestinas, II, 6, 3; 15, Sf.;1 20, 4 ff.; III, 3, 1.
Gallicanus, Tribun, III, 8, 1.
Gallier, die, I, 33, 9; II, 16,4; VII, 4, 2.
Gallus, Befehlshaber einer Legion, 11, 18, 11.
Gallus, römischer Centurio,IV,1,5.
Gamala, Stadt in Unter- Gaulanitis, wahrscheinlich das heutige Kalat el Hösn, nach anderen das heutige Chan el Akaba, I, 4,8; 8, 4; II, 20, 6; IV,1,f.
Garis, Dorf in der Nähe von Sepphoris, heute noch unbekannt, III, 6, 3.
Garizin, der aus der heil. Schrift (5. Mos. 27, 12) bekannte Berg in Samaria, jetzt Djebel el Tor, I, 2,6.
Garsis, Stadt in Galilaea, jetzt noch unbekannt, V, 1 1, 5,
Gaulana, Stadt in Batanaea, heutige Lage ungewiss, I, 4,4; 4, 8.
Gaulanitis, Landechaft Palaestinas, das heutige Dschôlan, II, 20, 6; III 1,3, 1; 3,5; 10, 10; IV,1, 1.
Gaza, Stadt in Judaea, eine der alten fünf Philisterhauptstädte, noch heute ein bedeutender Handelsplatz, I,4,2; 7, 7; II, 6, 3; 18, 1.
Gazara, Stadt in Samaria, heute nur noch Ruinen zwischen el Kulab und Ekron (Akir) bei Tell-el-Djezer, I, 2, 2,
Gema, dasselbe wie Ginaea (s. dieses), II, 12, 3.
Gennaththor, V, 4,2.
Gennesar, der See Tiberias und die an ihn grenzende Landschaft, II, 20, 6; III, 10, 7.
Gerasa, Stadt in Galaditis, die heutige in der Provinz Dschebel ´Adjlûn gelegene Stadt DjeraschI I, 4,8; 11,18, 1; 18, 5; IV, 9, 1.
Germanen, die, 1, 33, 9; II, 16, 4; VII,4,2.
Ginnabris, nach Paret dasselbe wie Ginaea, nach Böttger identisch mit Sennabris (s. dieses), indem ein Abschreiber S mit G verwechselte, IV, 8,2.
Ginaea, Dorf auf der Grenze zwischen Samaria und der Ebene Jezreel, 1I, 12, 3; III, 3,4.
Gischala, Stadt in Galilaea, das heutige in der Provinz Szafed östlich von Jotapata auf einer Anhöhe gelegene Dorf el-Dschisch, 11,20,6; 21,2; IV, 2,11 ff.
Gittha, ein Kastell Idumaeas, vielleicht das heutige Jutteh oder Gaddi südöstlich von Hebron, 1, 17, 2.
Glaphyra, Tochter des Kappadocierkönigs Archelaus, II 24,2f.; 28,l1f.; 11, 7,4.
Goplina, Stadt in Judaea, das heutige zwischen Nabulus (Sichem) und Jerusalem gelegene Dorf Djilfna, 1, 11, 2; V, 2, 1; VI, 2, 2. Die Toparchie Goplina 11, 20,4; 1II, 3, 5; IV, 9,9.
Gorion, des Josephus Sohn, IV, 3, 9; 6,1L
Gorion, des Nikodemus Sohn, II, 17, 10.
Grapte, Verwandte des Königs Izates von Adiabene, IV, 9, 11.
Gratus, Jüdischer Anführer, II, 3,4; 4 2 f.; 5, 2.
Gyplhthaeus, tapferer Jude, VI, 1, 8; 2, 6.
Hannibal, karthagischer Feldherr, 11, 16, 4.
Helenas Denkmal, bei Jerusalem gelegen, V, 2,2; 4, 2.
Hienas Palast, in Jerusalem gelegen, V, 6, 1.
Heliopolis, Stadt in Unteraegypten, heute nur noch Ruinen, I, 1, 1; VII, 10, 3.
Helix, Aufwiegler, 1, 12, 1.
Heniochen, die, asiatisches Volk an der nordöstlichen Küste des Pontus Euxinus, II, 16,4.
Herakleopolis, aegyptische Stadt, im Delta gelegen, IV, 112 5.
Herodes der Grösse, I, 8, 9 bis 33, 8.
Herodes, Herodes d. Gr. und der Mariamne Sohn, 1, 28,4; 29,2; 30,7.
Herodes, Her. d. Gr. und der Kleopatra Sohn, I, 28, 4.
Herodes, Sohn des Aristobulos und der Berenike, 1, 28,1; II, 11, 5 f.
Herodes Grabmal, V, 12, 2.
Herodias, Tochter des Aristobulus und der Berenike, I, 28, 1; II, 9, 6.
Herodium, Kastell an der Grenze Arabiens, I, 2 1, 1 0.
Herodium, Kastell in Judaea, der heutige Dschebel el Fureidîs oder Ferdîs (Berg des kleinen Paradieses), I, 13, 8; III, 8, 5; VII, 6, 1.
Hippene, der Bezirk (dieToparchie) von Hippos, III, 3, 1.
Hippikusturm, der, VI 4, 3; Vll,1, 1.
Hippos, Stadt in Galilaea, heutige Lage ungewiss, II, 6, 3; 18, 1; 18,5.
Hyrkania, Landschaft in Asien, im Norden und Westen vom Kaspischen Meere und Medien, im Osten von den Margianischen Gebirgen, im Süden von Parthien begrenzt, VII, 7, 4.
Hyrkanium (Hyrkania), Kastell in Palaestina, von Gabinius zerstört, I, 8, 2; 8, 5; 19, 1.
Hyrkanus, des Alexander Jannaeus Sohn, I, 6, 1 ff.; 7, 6; 10, 3f.; 10, öf.; 11, 7 f; 13, 4f.; 13, 9; 13, 11; 22, 1.
Hyrkanus, Sohn des Herodes und der Berenike, 11, 11, 6. I.
J.
Jakobus, des Sosas Sohn, IV, 4, 2; 9, 6; V, 6, 1; VI, 1,8; 2, 6; 8, 2.
Jamblichus, Fürst auf dem Libanon, 1, 9,3.
Jamnia, Stadt in Judaea zwischen Joppe und Asdod, heute nur noch Trümmer, I, 2, 2; 6, 3, II, 9,1; IV, 3, 2;8, 1.
Jamnia, befestigtes Donf in Obergyallaea, II, 6, 8.
Jamnith, dasselbe wie Jamnia, 11I 20, 6.
Japha, Stadt in Galilaea, des heutige Jafa, 1/2 Stunde südwestlich von Nazareth, II, 20,-6; III9 7, 31.
Japygisches Vorgebirge, jetzt Cap Leuka oder Finisterre in Calabrien, rechts am Eingang. in den Tarentinischen Meerbusen, Vil, 2, 1.
Jardas, Dorf am Südende Judaeas, gegen. Arabien hin, heute unbekannt, III, 3, 5.
Jardes, Waldschlucht in Palaestina, VII, 6, 5.
Iberer, die, II, 16, 4.
Iduinaea (s. Schenkel, Bibellexikon 11,8S. 51 if.; Pauly, Realencyklop. IV, S. 60 ff.), 1I),6,3; 20, 4;. 111,3,5; IV,4f.; 6,1; 8,1; 9,4ff.; 9,10; V,6,1;VI,8,2; VII, 8, 1
Jericho, das heutige Dorf er-Rîha, 1, 6, 6; 8, 5; 1I, 20, 4; II1, 3, 5; IV, 8, 2 f; 9, 1.
Jerusalem, genaue Beschreibung V, 4.
Jesus (Josua), des Nave Sohn, IV, 8, 3.
Jesus, des Sapphias Sohn, Hohepriester, II, 20, 4; 21, 3.
Jesus, Hohepriester, IV, 4, 3.
Jesus, des Gamalas Sohn, Hohepriester, IV, 3, 9.
Jesus, Räuberanführer, III, 9,7, 10, 1; 10, 5.
Jesus, des Thebuthi Sohn, Priester, VI, 8,3.
Jesus, des Ananus Sohn, VI, 5,
Illyrier, die, II, 16, 4.
Joaesdros, des Nomikos Sohn; II, 21, 7.
Joannes, Jude aus Caesarea, II, 14, 5f.
Joannes, Essener, Kommandant des Bezirkes Thamna, II, 20, 4. III, 2,1lff.
Joannes, des Ananias Sohn, Konmandant der Bezirke Akrabatta und Gophna, II, 20, 4.
Joannes, „der Sohn der Gazelle" (Jochanan ben Zebhi), IV, 3,5.
Joannes, des Sosas Sohn, Idumäeranführer, IV, 4, 2; V, 6,5; 8, 2.
Joannes aus Gischala, des Levi Sohn, III,20,6; 21, f; 21, ff.; IV,2,lff.; 3,1; 3,13f.; 7,1; 9,ll1f.; V, 1, 2f.; 1,5;3, 1;6, 1; 6,4; 11,4; 13,6; VI,1,3;2,1; VII, 2,3; 6,l1ff.; 8, 4; 9, 4.
Joannes Grabmal, V, 6, 1.
Jonathas, des Mattathias Sohn, 1,2, 1.
Jonathas, jüdischer Kämpfer, VI,2, 10.
Jonathas Sikarier, VII, 11, 1 ff.
Joppe, Wüstenstadt Judaeas, das heutige Jaffa, 1, 2,2; 4, 7; 7, 7; 15, 4; II, 6, 3; 8, 1; 18,10; III, 9,2 f
Jordan, der, I, 21, 3; III, 3, 1 ff.; 10, 7; IV, 1, 1.
Joseph, Antipaters Sohn, 1, 13, 8; 15, 1; 16, 1; 17,l1f.
Joseph, Herodes d. Gr. Schwager, 1, 22, 4f.
Joseph, Herodes d. Gr. Neffe, 1,28,4; II, 5,2.
Joseph, des Gorion Sohn, II, 20, 3.
Joseph, des Simon Sohn, II. 20,4.
Joseph, Anführer der Gamalenser, IV, 1,4; 1, 9.
Joseph, Hohepriester, VI, 2,2.
Josephus,des Dalaeus Sohn,VI,5, 1.
Josephus, Flavius, II, 20, 4 ff; 21, 3ff.; 21, 7 ff.; III, 4, 1; 6, 3; 7,2ff.; 8,Iff.; 8,8f.; 9,1; 9,5f.; IV, 10,7; V, 9, 3f.; 13, 8; VI, 2,l1ff.; 7, 2; VII, 11, 3.
Jotapata, Stadt in Galilaea, jetzt Tell Djêfât, I1, 20,6; III, 6, 1; 7, 4 ff.; Lage der Stadt III, 7, 7.
Ieaudes, Herodes Antipas Sachwalter, II, 2, 8.
Ismaeil, des Phabi Sohn, Hohepriester, VI, 2, 2.
Ister, der (die Donau), II, 16, 4; VA, 4,3.
Itabyriumgebirge, (der Tabor), IT, 20, 6; IV, 1, 8.
Judaea, Beschreibung von, III, 3, 1 ff.
Judas Makkabaeus, 1,1, 4ff.
Judas, Essener und Seher, I, 3, 5.
Judas, des Räubers Ezechias Sohn, II, 4, 1.
Judas, des Sariphaeus Sohn, Gesetzeslehrer, I, 33, 3 f.
Judas der Galiläer (Gaulaniter), 11, 8, 1; 8, 6.
Judas, des Jonathas Bruder, II, 21, 7.
Judas, des Chelkias Sohn, V, 1, 2.
Judas, des Judas Sohn, V, 13,2.
Judas, des Ari Sohn, VI, 1, 8; VII, 6, 5.
Judas, des Merton Sohn, VI, 1, 8; 2, 5.
Julia (Livia), Gemahlin des Caesars Augustus, I, 28, 6; 32, 7; 33, 8; II,9, 1.
Julianus, tapferer Bithynier, VI, 1,8.
Julias (Livias), Stadt in Peraea, 11,9,11; IV, 7, 6.
Julias, Stadt in Galilaea am See Tiberias, früher Bethsaida, genannt, II, 9, 1; III, 10, 7.
Izates, Sohn des Adiabenerkönigs Monobazus und der Helena, VI, 6, 4.
K.
Kallinikos, Sohn des Königs Antiochus von Kommagene, VII,1 7, 2.
Kallirrhoe, heisse Quelle und Badeort in Peraea, an der Ostseite des toten Meeres, jetzt Zerka Ma´în, I, 33, 5.
Kana, Dorf in Galilaea, das heutige Kâna el-Djelîl, I, 17, 5.
Kana, Dorf in Judaea, 1,4, 7.
Kanatha, Stadt in Gilead, das heutige Kunawât mit gewaltigen Ruinen, I, 19, 2.
Kantabrer, die, Volk in Spanien, II, 16,4.
Kapharabis, Städtchen in Idumaea, jetzt unbekannt, IV, 9, 9.
Kapharnaum, Quelle in Galilaea, III, 10, 8.
Kapharekeho, Dorf in Untergalilaea, heute unbekannt, II, 20,6.
Kaphethra, Städtchen in Idumaea, jetzt unbekannt, IV, 8, 1.
Khphartobas, Dorf in Idumaea, jetzt unbekannt, IV, 9, 9.
Kappadocien, Provinz Kleinasiens, IV, 1 1, 1; VII, 1, 3; Bewohner III 16,4.
Karmelgebirge, jetzt Jebel Mar Elyas, II, 10, 2; 1III 3,1.
Karthager, die, II, 16, 4; VI, 6, 2.
Kasios, ein Sanddünengebirge zwischen Arabien und Aegypten, jetzt El Kas Kasaroun odter El Katiehi, IV, 11, 5.
Kastor, verschmitzter Jude, V, I, 24, 5. 7,4.
Kedasa (Kedesa, auch Kydyssa), Stadt in Galilaea, heute Kedes, II, 18, 1; IV, 2, 3 (hier als tyrischer Grenzflecken bezeichnet).
Kedronthal, trennt Jerusalem vom Oelberg, VI 2, 4; 4, 2; 6, 1; VI, 3,2.
Kelenderis, Stadt in Cilicien, jetzt Kaladria oder Gulnar, I,31, 3.
Kendebaeus, Heerführer unter Antiochus Soter, 1, 2, 2,
Kenedaeus, Verwandter des Adiabenerkönigs Monobazus, II, 19,2.
Kleopatra, Königin von Aegypten, 1, 12, 5; 14, 2; 18, 4f.; 19, 1; VI I, 8,4.
Kleopatra, Herodes d. Gr. Gattin, 1,28,4.
Kolcher, die, asiatisches Volk, II, 16, 4.
Koptos, aegyptische Stadt in Oberthebais, 1/4 Stunde östlich vom Nil entfernt, jetzt Kebti oder Keft, IV, 10, 5.
Korban, Tempelschatz der Juden, 11, 9, 4.
Koreae, Stadt in Judaea, das heutige Kûriyût, I, 6, 5; IV; 8,1.
Korinthus, Araber, I, 29, 3.
Korkryra, jetzt Korfu, Insel des ionischen Meeres, VII, 2, 1.
Kos, Insel, im Aegaeischen Meere, jetzt Stauchio, Isola longa, I, 21, 11.
Kostobar, Verwandter König Agrippas des Jüngeren, II, 17,4; 21,1.
Kreta, die bekannte Insel des Mittelmeeres, jetzt Kandia, II, 7, 1.
Kydyssa, s. Kedasa.
Kypron, Antipaters Gattin, I, 8, 9.
Kypros, Herodes d. Gr. Tochter,
Kypros, Tochter Phasadis und der Salamipsio, II, 11, 6.
Kypros, Kastell bei Jericho, I, 21, 4; II, 18,6.
Kyrene, Stadt in Libyen, jetzt Kayron, Kuren oder Grenneh auf dem Plateau von Barka, II, 16, 4; VII, 11,1ff.
L.
Lakedaemonier, die II,16,4.
Ladamnede I,164
Laodikea, Stadt an der Westküste Syriens, südlich vom Bergs Kasios, jetzt Lâdikîje, 1, 21, 11.
Larcius Lepidus, Führer einer Legion, VI, 4, 3.
Levi, vornehmer Jude, IV, 3,4.
Libanon, das bekannte Gebirge, 1, 17, 3; III, 3, 5.
Liberalis, römischer Centurilo, VI, 4,7.
Liberius Maximus, Landpfleger von Judaea, VII, 6, 6.
Libya pentapolitana, so genannt nach der Zahl seiner Hauptstädte
Kyrene, Berenike, Tenchira, (Arsinoe), Ptolemais und Apollonia, Landschaft an der Nordküste Afrikas, VII, 1 1, 1.
Lollius, römischer Heerführer, I,6,2.
Longinus, Tribun, II, 19. 7.
Longinus, römischer Reiter, V,7, 3; VI, 3, 2.
Lucius, römischer Soldat, VI, 8, 2.
Lugdunum, Stadt in Gallien, das heutige Lyon, II, 9,6.
Lupus, Statthalter in Alexandria, VII, 10, 2; 10, 4.
Lydda (Diospolis), Stadt in Judaea, Hauptstadt einer Toparchie, das heutige Ludd oder Ludda, unweit Jaffa an der Strasse von Jerusalem nach Caesarea gelegen, 1,11, 2; 15, 6: 19, 2;I 12, 6; III, 3, 5; IV, 8, 1.
Lykiler, die, kleinasiatisches Volk, 1, 21, 11; 11, 16,4.
Lysanias, Sohn des Ptolemaeus Mennaei, Tyrann von Ohalkis, 1, 13, 1; 20,4.
M.
Macedonier, die, II, 16,4.
Machaceras, römischer Heerführer, II,16, 6.
Machaerus, Kastell an der Grenze von Palaestina und Arabien, jetzt Mikaur, I, 8, 1; 8, 5; II, 18, 6; III, 3, 3; VII, 6, 1;6, 3 ff.
Maeotischer See, das hentige Asowsche Meer, VII, 7, 4.
Malachias, tapferer Jude, VI, 1, 8.
Malchus, Araber, III, 4, 2.
Malichus „arabischer König,T,14,1f.
Malichus, vornehmer Jude, I, 8, 3;11l,2ff.; 11, 7f.
Mailhake, Herodes des Grossen Gattin, 1, 28, 4.
Manaim des Galiläers Judas Sohn, II, 17, 8f.
Manasses, Kommandant von Peraea, II, 20, 4.
Mannaeus, des Lazarus Sohn, V „ 13,7.
Maria, Jüdische Frau, tötet und verzehrt ihr eigenes Kind, VI, 3,4.
Mariamne; Alexanders Tochter, Herodes d. Gr. Gattin, I, 12, 3; 17, 8.
Mariamne, des Hohepriesters Simon Tochter, Herodes d. Gr. Gattin, 1, 28,4; 30,7.
Mariamne, Tochter des Aristobulus und der Berenike, I, 28, 1.
Mariamne, Tochter Agrippas des Grossen. und der Kypros, II, 11, 6.
Mariamne, Gattin des Ethnarchen Archelaus, II, 7, 4.
Mariamne, Turm zu Jerusalem, II, 17, 8; V, 4, 3; VII, 1, 1.
Marion, Tyrann von Tyrus, I, 12,2.
Marissa, Stadt in Judaea, die heutige Trümmerstätte Marech, 1,79,7; 13, 9.
Marmariden, die, afrikanisches Volk, II, 16, 4.
Masada, Festung Judaeas am toten Meer in der Nähe von Engaddi, jetzt Sebbeh, IV, 7,2; 9, 3; VIJ, 8 1; 8 3 ff.; 9, 1.
Mattathias, Vater des Judas Makkabaeus, I, 1, 3.
Matthias, des Margaloth Sohn, Gesetzeslehrer, I, 33, 3 f.
Matthias, Hohepriester, IV, 9, 11; V. 13, 1; VI,2, 2.
Matthias, des Flavius Josephus Vater, Vorwort 1; V, 13, 1.
Mauren, die, afrikanisches Volk, II, 16,4.
Medaba, Stadt in Palaestina, jetzt Mädeba, 1/4 Stunde südöstlich von Hesbân, 1,2, 6.
Medien, VII, 7, 4.
Megassar, tapferer Jude, V, 11, 5.
Meiir, des Belgas Sohn, Priester, VI, 5,1.
Melamboreas, der sogenannte schwarze Nordwind, III,9,8.
Melchisedek, König von Solyma, VI, 10.
Melitene, Landschaft im nördlichen Teile von Kleinarmenien mit der gleichnamigen Hauptstadt, dem heutigen Malathija in Kurdistan, Ejalet Charput, VII, 1,3.
Melos, Insel des Aegaeischen Meeres, jetzt Milo, II, 7, 1.
Memons Denkmal, II, 10, 2.
Memphis, aegyptische Stadt im Delta, heute nur noch unbedeutende Trümmer, IV, 9,7; VII, 10. 3.
Meroth, Stadt in Nordpalaestina, heutige Lage ungewiss, II, 20, 6; III, 3, 1.
Messala (M. Valerius Messala Corvinus), berühmter Redner, 1, 12, 5.
Messala, römischer Senator, I, 14, 4.
Metellus, Quintus, Konsul, 1, 6, 2.
Metilius, Kommandant der römischen Besatzung von Jerusalem, 11, 7, 10.
Mithradates, ein Parther, 1, 8, 7.
Mithradates von Pergamon, I, 9,3f.
Moabltis (s. J. A.), IV, 8, 2.
Modein (in den J. A. Modiim, genannt), Dorf in Judaea, I, 1, 3.
Moesien (Mysia), Landschaft im Nordwesten Kleinasiens, IV, 10, 6; 11, 3; VII 4, 3.
Monobazus,Verwandter des gleichhamigen Königs von Adiabene, II, 19, 2.
Monobazus Palast, V,7 6, 1.
Mucianus, Statthalter von Syrien, IV, 1,5; 10S f.; 11, 1.
Murcus, Praetor von Syrien, I, 10, 10; 11,l1ff.
N.
Naiin, Dorf im südlichen Ostjordanland, nicht zu verwechseln mit dem N. der hell. Schrift, IV, 9, 4 f.
Narbata, Ort in Palaestina, jetzt unbekannt, II, 14, 5; Bezirk von N. II, 18, 10.
Nasamonen, die, afrikanisches Volk (s. Herodot IV, 172; Plinius, Hist. natur. IV, 5, 5; V, 5, 5; VII, 2, 2), II, 16, 4.
Neapolis, von den Eingeborenen Mabortha genannt, die Stadt Sichem in Samaria, IV, 8, 1.
Neapolitanus, römischer Tribun,2 II, 16, i f.
Nero, römischer Caesar, IIL 12, 8; 13,2; 111, 1, i f.; IV, 9, 2.
Netiras, tapferer Galilaeer, III, 7, 21.
Niger, tapferer Jude, II, 19,2; 20,4; III, 2,1iff.; IV, 6, 1.
Nikanor, Tribun, III, 8, 2 ff.
Nikanor, des Titus Freund, V, 6,2.
Nikolaus von Damaskus, I, 32, 3; II, 2, öf.; 6, 2.
Nikon, Name für einen Sturmbock, V, 7,2.
Nikopolis, Stadt in Epirus, jetzt Paleoprevyza, I, 21, 1 1.
Nikopolis, Stadt in Aegypten, westlich vom eigentlichen Delta, an dem von Alexandria nach Kanopus führenden Kanal, jetzt Kars oder Kiessera, IV, 11, 5.
Nil, der bekannte Fluss Aegyptens, III, 10, 8; IV, 10, 5.
Noarus, Statthalter König Agrippas d. Jüngeren, II, 18, 6.
Numider, die, afrikanisches Volk, 11,16,4.
Nymplildius, NerosFreigelassener, IV, 9,1.
O.
Obedas, arabischer König, I, 4, 4.
Obodas, arabischer König I, 24, 6.
Octavians Säulenhalle, VII, 5, 4.
Oelberg, der, II, 13,5; V,2,3; VI, 2, 8.
Olymplasi Tochter Herodes d. Gr. und der Malthake, I, 28, 4.
Olympischen Spiele die, 1, 21, 12.
Olymus, Herodes des Grossen Freund, I, 27, 1.
Onias, (auch Menelaus genannt), Hohepriester, I, 1, 1.
Onias, des Onias Sohn, Hohepriester, Erbauer des Oniastempels in Aegypten, I, 1, 1; VII, 9, 2 f
Ophelilus, Phasaels Freund, I,13, 5.
Ophia, Anhöhe am südöstlichen Teile des Tempelberges in der Nähe des Kedronthales, III 17,9; VI,4,2; 6, 1; VI, 6,3.
Orsanes, vornehmer Parther, I, 8,7.
Ostrakine, Ort in Unteraegypten östlich vom Nil, an der Strasse von Rhinokorura nach Pelusium, jetzt Straki, IV, 11, 5.
Otho, römischer Imperator, IV, 9,2; 9,9.
P.
Pakorus, Sohn des Partherkönigs Arades, I, 13; 16,6.
Pakorus, Sohn des Partherkönigs Artabanus, VII, 7, 4.
Palas, Herodes des Grossen Gattin I, 28, 4
Pallas, Bruder des Landpflegers Felix, II, 12,8.
Paneas, Stadt in der Landschsft Paneas, II, 9, 1.
Panium, Berg in Paneas, wo, die Quellen des Jordan vermutet wurden, I, 21, 3; III, 10, 7.
Pannonien, Land an der Donau, IV, 10, 6; VII, 5,3.
Pannychis Herodes des Grossen Kebsweib, I, 25, 6.
Pappus, Heerführer im Dienste dies Antigonus, I, 17, 5 f.
Papyron, Ort in Arabien, I, 6, 8.
Parther, die, I, 13; 16, 6.
Passafest, das, II, 1,5S.
Pastophorien, Nebengebäude des Tempels zu Jerusalem, IV, 9,12.
Paulinus, Tribun, III, 8, 1.
Paulinus, Statthalter in Alexandria, VII, 10, 4.
Pedanius, Legat, I, 27, 2.
Pedanius, tapferer römischer Soldat, VI, 2, 8.
Pella, Stadt an der Grenze Peraeas gegen Norden, das jetzige Tûbakat Fahil, 1, 4, 8; 6, 5; 7, 6; II, 18, 1; III, 3,8; 3,5.
Pelasium, aegytische Stadt an der östlichen Nilmündung, I, 9, 4; IV, 10, 5.
Pentekoste, das Pfingst- oder Erntedankfest, II, 3, 1.
Peraea, Landschaft Palaestinas jenseits des Jordan (Beschreibung III, 3, 3), II, 6, 3; 20, 4; IV, 7, 3 ff.
Pergamon, altberühmte Stadt in Mysien, heute Bergamas in Kleinasien im Ejalet Chadarendigiar, I, 21, 11.
Peristereon, Fels bei Jerusalem, V, 12, 2.
Petra (Arke), HauptstadtArabiens, I, 6, 2; 13, 8.
Petronius, Statthalter von Syrien, II, 10, 1ff.; 10, 5.
Phaedra, Herodes des Grossen Gattin, I, 28, 4.
Phallion, Antipaters Bruder, I,6,3.
Phannias, Samuels Sohn, Hohepriester, IV, 3, 8.
Pharan, Thalschlucht in Judaea nahe beim toten Meer, IV, 9, 4.
Pharisäer, die, II, 8,14.
Pharos, das bekannte Inselchen bei Alexandria, IV, 10, 5.
Phasael, Sohn des Idumäer Antipater, I, 8, 9; 10, 4; 10, W; 12, 1; 13, 4f.; 13, 10.
Phasael, Sohn Herodes des Grossen und der Pallas I, 28, 4.
Phasael, des Pheroras Sohn, I, 24, 5; 28, 6.
Phasalil, der höchste von den Türmen Jerusalems, I, 21, 9; II, 8, 2; 17, 8; VII, 1, 1.
Phasaelis, Stadt in Palaestina nördlich von Jericho, das heutige ´Ain el Fasaîl, 1, 21, 9; II, 9,1.
Pheroras, Herodes des Grossen jüngster Bruder, I, 8,9; 16, 3; 24, 5; 25, 1; 25; 3; 27, 2; 29, ff;
Phiala, kleiner Bergsee im nördlichen Palaestina, hundertzwanzig Stadien nördlich von Baneas, jetzt Birket el Rau oder Rani, III, 10,7.
Philadelphia, Stadt in Peraea, heute Ammân, II, 18, 1; III, 3,3.
Philipplo, des Ptolemaeus Mennaei Sohn, 1, 9, 2.
Philippus, Sohn Herodes des Grossen und der Kleopatra, I, 28,4; 31,1; 33,7; II,6,1; 6,3; 9, 1; III, 10, 7.
Philippus, Heerführer im Dienste Agrippas des Jüngeren, II, 17,4; 20, 1.
Philippus, tapferer Galiläer, III, 7, 21.
Phineas, des Kiusoth Sohn, IV, 4,2.
Phineas, Hüter des Tempelschatzes VI, 8, 3.
Phoebus, Gesandter des Königs Agrippa, II, 19, 3.
Pilatus, Pontius, Landpfleger von Judaea, II,9,2f.; 9,4.
Pisider, Söldner des Alexander Jannaeus, 1, 4, 3.
Pitholaus, Jüdischer Anführer, I, 8,3; 8, 9.
Placidus, Tribun III, 4, 1; 6, 1; 7, 3; 7,34; IV, 1,8; 8,4.
Platana, Ort in Phoenicien, heute unbekannt, I, 27, 2.
Plinthine, westliche Grenzstadt Unteraegyptens ausserhalb des Delta an dem nach ihr benannten Sinus Plinthinetes, (jetzt Golfe des Arabes), IV, 10, 5.
Pompejus, römischer Feldherr, I, 6,4f.; 7, 1; 7,2f.; 7,6; 7,7; 9, 1.
Pomponius, Quintus, Konsul, II, 11, 1.
Poplas, des Ethnarchen Archelaus Freund, II, 2, 1. 29, 4; 30, 6.
Priscus, römischer Centurio, VI, 2,10.
Psephinusturm, der, V, 2, 2; 4, 2f.
Ptolemaeus VIII., Lathurus, König von Aegypten, I, 4, 1.
Ptolemaeus XII., Auletes, König von Aegypten, I, 8, 7.
Ptolemaeus Mennaei, Tyrann von Chalkis, I, 9, 2.
Ptolemaeus, des Jamblichus Sohn, I, 9, 3.
Ptolemaeus, des Judenfürsten Simon Schwiegersohn, I, 2, 3f.
Ptolemaeus von Rhodus, Herodes des Grossen Freund, I, 14, 8; 24, 2; 3 3, 8; II, 2, 1.
Ptolemaeus, Statthalter von Galilaea unter Herodes, I, 16, 5.
Ptolemaeus, Bruder des Nikolaus von Damaskus, II, 2, 3.
Ptolemaeus, Verwalter König Agrippas des Jüngeren, I, 21, 3.
Ptolemalis (Ake), Stadt in Phoenicien, jetzt St. Jean dAcre (bei den Arabern Akka), I, 5,3; 13, 1; 21, 11; II, 18, 1.
Pudens, römischer Soldat, VI, 2, 10.
Pythischer Tempel, 1, 21, 11.
Q.
Quadratus, Timmidius, Statthalter von Syrien, II, 12, 5 f.
Qûrinäis, gewesener Konsul, Schätzungsbeamter, II, 8,1.
R.
Raphanaea, Stadt der syrischen Provinz Kassiotis, westlich von Epiphania und östlich von Arka am nördlichen Ende des Libanon, nach Robinson die heutigen Ruinen von Rafanîyeh, VII 1, 3; 5, 1.
Raphia, Küstenstadt Palaestinas, südwestlich von Gaza, am Anfang der Wüste, jetzt Bîr Refâ, I, 4, 2; 8, 4; IV, 11, 5.
Rhein, der, II, 16, 4.
Rhinokorura, Grenzstadt zwischen Judaea und Aegypten, das heutige el-´Arîsch, I, 14,2; IV, 11,5.
Rhodus, die bekannte Insel des Aegaeischen Meeres, I, 14, 3; 21,11.
Rom, Hauptstadt Italiens, I, 219,7; II, 6, 1; 7, 1 ff.; VII, 5, 4ff.
Rubrilus Gallus, römischer Heerführer, VII, 4, 3.
Rufus, jüdischer Anführer, II, 3, 4; 5,2.
Rufus, römischer Soldat, VI1, 6,4.
Ruma, Dorf in Galilaea, wiedergefunden in dem heutigen Rûmeh auf einem niederen Tel in der grossen Ebene el-Bettauf; II, 7,21.
S.
Saab, Dorf in Galilaea, das heutige Kefr Sabt in der Nähe von Tiberias, III, 7, 21.
Sabbatfluss, der, nach Bädeker-Socin jetzt Fuwâr ed-Dêr, nach anderen Arka, VII, 5, 1.
Sabinus Statthalter von Syrien, II,2,2; 3,1ff.; 5,2.
Sabinus, Bruder des Vespasianus, IV, 11, 4.
Sabinus, tapferer Syrer, VI, 1, 6.
Sadduciter, die, II, 8, 14.
Sails, Städtchen in Idumaea, jetzt noch unbekannt, III, 2, 2.
Salome, Schwester Herodes des Grossen, 1,8,9; 27; 29; 32,6; 33,6; 33,8; II,2,2; 6,3; 9,1.
Salome, Tochter Herodes des Grossen und der Elpis, I, 28,4.
Samaea (Samega), Stadt am Südende des Sees Genezareth, das heutige Dorf Semakh (Robinson), 1,2, 6.
Samaria, Landschaft Palaestinas, Beschreibung III, 3, 4.
Samaria, Stadt in Mittelpalaestina, heute das unbedeutende Dorff Sebastîye, I, 8, 4; 2 1,1.
Samos, Insel des Aegaeischen Meeres, jetzt Samo, von den Türken Susam Adassi genannt, 1, 21, 11.
Samosata Hauptstadt von Kommagene, am westlichen Ufer des Euphrat, heute nur noch ein Trümmerhaufe bei dem Flecken Someisat, I, 16, 7; VII, 7, 1.
Samplio, befestigter Flecken Samarias, vielleicht das heutige Dorf el-Sâviye, II, 5, 1.
Sappinius (Sappinas), Herodes des Grossen Freund, I, 14, 3.
Saramallas, reicher Syrer, I, 13, 5.
Sariphaeus, Vater des Gesetzeslehrers Judas, I, 33, 2.
Sarmaten, die, skythischer Volksstamm, VII, 4, 3.
Saturninus, Statthalter von Syrien, 1,27,2; 28,1.
Saulus, Verwandter des Königs Agrippa, II, 17, 4; 2 0, 1.
Saulus, Jude aus Skythopolis, II, 18, 4.
Seaurus, römischer Feldherr, I, 6, 3; 7, 7; 8, 1.
Seiplo, Mörder Alexanders, des Sohnes des Aristobulus, I, 9,2.;
Sebaste (Samaria), I, 21, 1; II, 6,3; 8,1; 18,1.
Sebaste, Insel, früher Elaeusa genannt (s. d.), I, 23, 4.
Sebastos, Hafen von Caesarea, II,31,3.
Sebonitis (Essebonitis), Landschaft Palaestinas, zu Peraea gehörig, einige Meilen östlich von der Nordspitze des toten Meeres, wo heute die Ruinen von Hesbân liegen, II, 18, 1.
Selamin, Dorf in Galilaea, nach Robinson die heutige Trümmerstätte Khirbet Sellâmeh. II, 20,6.
Seleukia, Stadt in Obergaulanitis am See Merom, heutige Lage noch nicht ermittelt, II, 20, 6; IV, 1, 1.
Semechonitischer See (der See Merom), III, 10, 7; IV, 1, 1.
Sennabris, Ort in Galilaea, dreissig Stadien südlich von Tiberias, heute die Ruinen Sinabri, III, 9,7.
Seph, Kastell in Obergalilaea, warscheinlich das heutige Safed, II, 20, 6.
Sepphoris, Stadt in Galilaea, jetzt ein ärmliches Dorf Sefûrîye 1, 8, 5; 16, 2; II,5,1I; 18,11 20, 6; III,2 4; 4, 1. Herodes Antipas gab der Stadt den Namen Diocaesarea.
Sertorius, römischer Soldat, VI, 3, 2.
Servilus Legat, 1,8,6.
Sextus Caesar, Statthalter von Syrien, 1, 10, 5; 10, 7; 10, 10.
Sidon, phoenicische Stadt, das heutige Saida, 1, 13,1I; 21, 11;
Sigoph, Dorf in Galilaea, heute unbekannt, I1, 20, 6.
Sikarier, Banditen, nach ihren kleinen krummen Dolchen (sicae) benannt, II, 13, 3; IV, 7.2; VII,7 und 9; 10,1; 11,1.
Sikim (Sichem), Stadt in Samaria (s. auch Neapolis), das heutige Nabulus, 1,4,4; IV,8,1.
Silas, tapferer Babylonier, II, 19, 2; III, 2, 1ff.
Silbonitis, a. Sebonitis, III, 8, 2.
Silo, römischer Heerführer, I, 15,2; 15,6; 16,4.
Siloa, Quelle zu Jerusalem, II, 16,2; V,4,lf.; 6,1; 12,2.
Simon, des Mattathias Sohn, 1,21 ff.
Simon, Herodes des Grossen Sklave, 11,4, 2.
Simon, Essener, II, 7,3S.
Simon, des Gioras Sohn, II, 19, 2; 21, 2; IV, 9, 3ff.; V, 1,3; 6, 1f.; 1 1, 5; 13, i f.; VII, 2, 1; 5, 6; 8, 1.
Simon, des Ananias Sohn,I, 17, 4.
Simon, des Saulus Sohn, II, 18, 4.
Simon, des Gamaliel Sohn, IV, 3, 9.
Simon, des Kathias Sohn, IV, 4, 2; 4, 4; V, 6, 1; VI, 2, 6.
Simon, des Ezron Sohn, V, 1, 2.
Simon, des Ari Sohn, V, 6, 1; VI, 1, 8; 2, 6.
Simon, des Josias Sohn, VI, 2, 6.
Simon, des Jonathas Sohn, II, 21, 7.
Sisenna, Legat, I 8,6.
Soemus, Araber, I, 29, 3.
Soemus, König von Emesa und Tetrarch vom Libanon, II, 18, 9; III, 4, 2; VII, 7, 1.
Sogane, Stadt in Obergaulanitis, heutige Lage ungewiss, II, 20, 6; IV, 1,1.
Somorrha, Nachbarstadt von Petra in Arabien, heute unbekannt, IV, 8, 2. Böttger vermutet auch hier eine Verwechselung von G und S durch einen Abschreiber, sodass Gomorra zu lesen wäre.
Sophas, Raguels, Sohn, IV, 8, 4.
Sosius (Sossius), Statthalter von Syrien, I, 17, 2;18,l1ff.; V, 9,4; VI, 10.
Stephanus, Diener des Caesars Claudius, II, 12,2.
Stratonsturm, (Caesarea maritima), II, 3, 4f.
Struthionteich V, 11,4.
Syene, südtiche Grenzstadt Aegyptens gegen Aethiopien am südlichen Ufer des Nil auf einer Halbinsel, das heutige Assuan (die Gegend ist reich an rosenrotem Granit = Syenit), IV, 10, 5.
Syllaeus, Araber, I, 24, 6; 29, 3.
Syrten, die (die grosse und kleine), zwei tiefe Buchten des libyschen Meeres an der Nordküste von Afrika, die grössere (östliche) jetzt Golf von Sidra, die kleinere Golf von Kabes, 11, 16,4.
T.
Tanaiis, Fluss im Skythenland, der heutige Don, VII, 7, 4.
Tanis, aegyptisches Städchen in der Gegend der Nilmündungen (s. Herodot II, 166), jetzt nur noch Ruinen, IV, 11, 5.
Taricheae, Stadt in Galiaea am See Tiberias, heute nur noch Trümmer, II, 20, 6; 21, 3 ff.; III, 10, 1; 10, 3 ff.; 10, 10.
Tarsus, Hauptstadt von Cilicien, jetzt Tersus oder Tarso im Ejlt Adana, VII, 7, 3.
Taurer, Bewohner von Chersonesus taurica (Krim), rohes Menschen opferndes Seeräubervolk, II, 16, 4.
Taurus, Gebirge in Asien, II, 16, 4.
Tempel zu Jerusalem, genaue Beschreibung V, 5.
Tempel bel Heliopolis (Oniastempel), VII, 9, 2; 9, 4.
Tephthaeus, tapferer Galiläer. V,11l, 5.
Terentius Rufus, römischer Befehlshaber, VII, 2, 1.
Teron, Veteran, I, 27, 4; 27, 6.
Thamna, Stadt in Judaea, nach Robinson das heutige Tibneh, I,11,2; II, 20, 4; III, 3, 5; IV, 8,1.
Theben, aegyptische Stadt, jetzt Ruinen in den vier Flecken Karnak, Luxor, Medinet Abu und Gurnu, VII, 10, 1.
Thekoa, Stadt in Judaea, zwei Stunden südlich von Bethlehem, jetzt Takû´a IV, 9, 5.
Thella, Dorf in Galilaea, vielleicht der jetzige Ruinenhügel Thala, 2 1/2 Stunden von Kerawa (van de Velde), III, 3, 1.
Theoderus, Sohn des Tyrannen Zeno, I, 4, 2 f
Theudion, Schwager Herodes des Grossen, I,28,1; 30, 5.
Thmuls aegyptische Stadt, jetzt die Ruinen Tell Tmây oder Tmayal Emdid südwestlich von Mansurah, IV, 11, 5.
Thraker, die, Bewohner von Thrakrien, 1, 83, 9.
Thresa (Resa), Festung in Idumaea, heute unbekannt, I, 13, 8; 15,4.
Tiberias, Stadt in Galilaea am See Genezareth, jetzt Tabarîye, III,9, 1; 20, 6; 21, ff.; 21, 8ff.; III, 9, 7 ff.
Tiberius Alexander, Landpfleger, von Judaea, später Statthalter in Alexandria, dann Oberbefehlshaber im Heere des Titus, II, 11, 6; 18,7; IV, 10, 6; VI,1, 6; 5, 4; 12, 2; VI, 4, 3.
Tiberius Nero, römischer Caesar, II, 9, 1.
Tigillinus, Neros Freigelassener, IV, 9, 2.
Tigranes, König von Armenien, I, 5, 3.
Tigranes, Sohn des Partherkönigs Artabazes, I, 19, 5.
Tigranes, Sohn Alexanders und der Glaphyra, I, 28, 1.
Tiridates, König von Grossarmenien, VII, 7, 4.
Titus Flavius Vespasianuis, III,1,2ff.
Titus Frugi, Anführer der zehnten Legion, VI, 4, .
Toparchien, die, von Judaea, III, 3,5.
Trachonitis, Landschaft Palaestinas, östlich vom Jordan, I, 20, 4; 11,66,3.
Trajanus, römischer Offizier (Vater des nachmaligen Imperators), III, 7, 31; 10, 3.
Tripolis, phoenicische Stadt mit einem Seehafen, jetzt Tarabulus, II,21, 11.
Tryphon, Barbier Herodes des Grössen, 1, 27, 5 f.
Tyrannius Priseus, Tribun, II, 19,4.
Tyropolonthal (Kisemacherthal), trennte die Oberstadt Jerusalems von der Unterstadt, V, 4,1I.
Tyrische Leiter (Promontorium album), jetzt Ras en Nakftra. III 10, 2.
Tyrus, alte phoenicische Handelsstadt, das heutige Stir, I, 12, 2; 13, 1; 21, 11; II, 18, 5.
V.
Valens, Heerführer unter Vitellius, IV, 9, 9.
Valerianus, römischer Decurio, I1I, 9,7.
Varro, Statthalter von Syrien, I, 20, 4.
Varas, Quintilius, Statthalter von Syrien, I, 31, 5 ff.; II, 2, 2; 5, 1ff.
Ventidlus, römischer Heerführer,
Vindex, Gallierhäuptling, IV, 8,1.
Vitellius, Imperator, IV, 9, 2; 9,9; 10, 1; 11, 2 ff.; 11, 4.
Vitellius, Germanenführer, VII,4, 2.
Vologeses, Sohn des Partherkönigs Artabanus III, V1II 5,2; 7, 3.
Volumnius, Statthalter von Syrien, 1, 27, 1; 27,3.
X.
Xaloth, Dorf in Galilaea, das heutige Dorf Iksal (Ksal, Zal) in der Ebene Esdrelon nahe beim Tabor, III, 3, 1.
Xerxes, Perserkönig II, 16, 4.
Xystos, Platz in Jerusalem, II, 16,38; V, 4,2; VI, 1, 2; 6,2.
Z.
Zabulon, Grenzstadt Galilaeas gegen Ptolemais, heute unbekannt, III, 18, 9.
Zacharias, des Phalek Sohn, IV, 4,1.
Zacharias, des Baruch Sohn, IV, 5,4. Zeloten, die, IV, 3, 3 ff. Zeno, mit dem Beinamen Kotylas, Tyrann von Philadelphia, I, 2,4.
Zenoderus, 1, 20, 4; II, 6, 3 (hier Zeno genannt).
Zephyrium, Vorgebirge und Städtchen in Cilicien, I, 23, 4.
Zeugma, Stadt in der syrischen Provinz Kyrrhestika, von Seleukus Nikator an einer über den Euphrat geschlagene Schiffbrücke (daher der Name) gegründet, heute (nachReichardt) Tscheschme, VII, 6, 2.
Zoar, arabische Stadt in der Nähe des toten Meeres, heute noch unbekannt (zu suchen ist sie jedenfalls im Gôr es Sâfea) IV, 8,4.
Berichtigung.
Seite 217, Anmerkung 3, lies 37 statt 36.
Seite 697 Jerusalem während der Belagerung durch Titus.
1. Xystos. 4. Brücke. 8. Palast des Monobazos. 2. Rathaus. 5. Treppentor. 9. Grabmal des Joannes. 3. Archiv. 6. Palast der Helena. 10 Strathionteich. 7. Palast der Grapte.