29Disney Werke sind allgemein für die in ihnen vorkommende Analogie zwischen Bildinhalt und Musik (auch mickey-mousing genannt) berühmt
(http://server4.../.../glossar.htm).
30Faulstich, Werner (2002)
Grundkurs Filmanalyse.
München: Wilhelm Fink Verlag

Beispielhafte Sequenzanalyse

An dieser Stelle sollen ausgewählte Filmausschnitte mit Hinblick auf ihre Darstellung von Gender, anhand einer beispielhaften semiotischen Sequenzanalyse untersucht werden. Zu diesem Zweck wurde mit Hilfe von Tabellen das gesichtete Material schriftlich festgehalten. Dabei ist in der jeweiligen linken Spalte zunächst die denotative Ebene, also all das was in den jeweiligen Einstellungen / Szenen / Sequenzen zu sehen war, aufgelistet worden. In der entsprechenden rechten Spalte wurde dann in einem weiteren Schritt die konnotative Ebene, also all das was mit dem Gesehen assoziiert wird bzw. werden kann, notiert.

Bei den ausgewählten Ausschnitten handelt es sich um drei Beispiele, an denen die Repräsentationsweise von Gender in Mulan besonders deutlich wird. Die erste analysierte Sequenz stellt die Einführung der Protagonistin und ihres Vaters innerhalb des Zeichentrickfilmes dar. Die zweite Sequenz präsentiert die visuelle Begleitung29 des ersten im Zeichentrickfilm gesungen Liedes „Ehre für das Haus“, in dem die von Mulan erwartete traditionelle Frauenrolle verdeutlicht wird (s. auch Unterpunkt „Lieder & ihre Bedeutung in Mulan). Die letzte ausgewählt Sequenz beinhaltet einen cross-gender Aspekt, der für die Analyse des im Film repräsentierten Männlichkeitsbildes von Bedeutung ist.

Sequenz 1: Erster Auftritt von Mulan

Filmsequenz: 03 Min. 01 Sek. – 04 Min. 19 Sek.

denotative Ebene konnotative Ebene
Ein junges Mädchen (Mulan) sitzt im Schneidersitz auf einem Bett. Sie ist barfuss, trägt ein ärmelloses Oberteil und eine Caprihose (beides in Blau-Tönen gehalten). Sie hat lange schwarze Haare, die sie offen trägt. Mit einem Tuschepinsel schreibt sie sich chinesische Schriftzeichen auf ihren rechten Arm, während sie bestimmte Eigenschaften aufzählt: still, schweigsam, anmutig, höflich, diskret, kultiviert, vornehm, pünktlich.
  • Caprihose, ärmelloses Oberteil, Blau-Töne, Schneidersitz = jungenhaft
  • barfuss, offene Haare = wild, ungezähmt, unkontrolliert
  • aufgezählte Eigenschaften = spiegelt traditionelles chinesisches Frauenideal wieder
  • chinesische Schriftzeichen mit schwarzer Tinte auf den Leib schreibend = Mulan bringt sich selbst die Gesetze zum Frau-Sein bei (zähmt sich selbst)
Nachdem sie die Eigenschaft "pünktlich" aufgezählt hat, sieht und hört man, wie ein Hahn kräht. Sie springt auf, ruft: "kleiner Bruder" und läuft suchend durch den Wohnraum. In einem Nebenzimmer findet sie einen kleinen weißen schlafenden Hund mit braunen Flecken, den sie als "schlauestes Hündchen auf der ganzen Welt" bezeichnet. Sie bittet den Hund, ihr bei der Hausarbeit zu helfen, dabei ködert sie ihn mit einem vor seinem Maul hängenden Knochen. Gleichzeitig bindet sie ihm eine Schnur um den Hals an dem ein Sack mit Hühnerfutter befestigt ist. Dem Knochen hinterher jagend rennt der Hund aufgeregt quer über das Anwesen und verteilt dabei das Hühnerfutter.
  • aufspringen, rufen, suchen = wild, ungezähmt, unkontrolliert
  • Hund hilft bei der Hausarbeit = listig, versucht ihren häuslichen Pflichten zu entgehen
Die Kamera zoomt auf den auf einem Hügel stehenden Familientempel. Im Tempel steckt eine Hand ein angezündetes Räucherstäbchen in eine Schale. Ein Mann mit grauen Haaren steht, sich auf einen Gehstock stützend, im Ahnentempel vor beschrifteten Steintafeln. Er legt seinen Stock beiseite und kniet sich vor die Tafeln und berührt mit seinen flachen Händen und der Stirn den Boden. Dabei bittet er seine Ahnen darum, dass Mulan einen guten Eindruck auf die Heiratsvermittlerin macht. Während er betet kommt der kleine Hund in den Tempel gestürmt, umkreist ihn und verteilt so das Hühnerfutter im Tempel. Daraufhin kommen aufgescheuchte Hühner, die dem Futter gefolgt sind, in den Tempel und picken rund um den betenden Mann das Hühnerfutter auf, woraufhin er seine Ahnen abermals um Hilfe bittet.
  • graue Haare, Stock = alt, gebrechlich
  • kniend, betend und um Hilfe bittend = Unterwürfigkeit, Demut, Machtlosigkeit
  • Hund, Hühnerfutter, Hühner im Tempel = die ganze Situation, sowie der Mann selbst werden lächerlich gemacht

Wie bereits erwähnt erfolgt mit dieser Sequenz die Einführung der Protagonistin Mulan.

„Besonderes Interesse gilt häufig dem ersten Auftritt des Protagonisten [oder Protagonistin] und der Art seiner [oder ihrer] Charakterisierung. Aufgrund seiner [oder ihrer] Rolle als Wahrnehmungs- und Bedeutungszentrum im Film wird auf seine [oder ihre] Gestaltung in der Regel Wert gelegt, eben um die notwendige Glaubwürdigkeit und zugleich Attraktivität zu erzeugen“ (Faulstich 2002, 97).30

Mulan erscheint in dieser ersten Szene so, wie sie wirklich ist und hat sich nicht schon im Verlauf der Geschichte verändert.

Es wird deutlich gemacht, dass es sich bei Mulan um ein wildes, cleveres und ungezähmtes junges Mädchen handelt vs. traditionelle chinesische Vorstellung von Weiblichkeit.

Dadurch, dass sich Mulan die von ihr erwarteten Eigenschaften (Gesetze) auf den Arm schreibt, wird ihr Körper / Leib besonders hervorgehoben.

Darüber hinaus wird hier eine Art Ur-Szene wiedergespiegelt, in der Mulan aufgefordert wird sich selbst zum Bild der Frau zu machen.

Neben Mulan wird auch „der Herr des Hauses“, Mulans Vater in dieser Sequenz eingeführt.

Wie bereits die Darstellung von Mulan so durchbricht auch die Darstellung des Vaters herrschende Gender-Stereotype. Der Vater wirkt passiv, demütig, machtlos und gebrechlich. Mulan befindet sich dagegen auf der aktiven Seite der Handlung.

Sequenz 2: Lied „Ehre für das Haus“

Filmsequenz: 05 Min. 53 Sek. – 08 Min. 43 Sek.

denotative Ebene konnotative Ebene
Zu Anfang des Liedes betritt Mulan gemeinsam mit zwei Frauen ein Haus. Ihre Haare sind zerzaust, und Stroh hat sich in ihnen verfangen. Sie wird hinter einen Raumteiler geschoben und wird ausgezogen und in eine Wanne mit kalt gewordenem Wasser geschubst und dort gewaschen.
  • zerzaustes Haar, Stroh = wild, unkontrolliert, ungezähmt
  • geschoben, geführt, gewaschen, geschubst = Mulan wirkt passiv; das Zurechtmachen wird ihr aufgezwungen und scheint für sie kein Vergnügen zu sein
Nach dem Bad kniet Mulan in einem weißen Gewand zwischen den zwei Frauen, die ihr die Haare zu einer Hochsteckfrisur zurechtmachen, während Mulan dabei das Gesicht verzieht.
  • strenge Hochsteckfrisur / Gesicht verziehen = Mulan wird gegen ihren Willen gezähmt
Mulan wird von einer Frau aus dem Haus geführt. Mulan hat ein rotes Band in den Haaren, und hat einen grau-weißen bodenlangen Rock, ein türkises kurzärmelige hochgeschlossenes Oberteil an. Die Frau führt Mulan durch das Dorf, an zwei weißhaarigen Männern vorbei, die ein Schach-ähnliches Spiel spielen. Mulan bleibt dort stehen und verhilft einem der Spieler zu einem guten Zug, woraufhin sie von der Frau weggezogen wird.
  • hochgeschlossenes Oberteil, bodenlanger Rock = Keuschheit
  • Mulan mischt sich in das Spiel der Männer ein = Intelligenz, Cleverness
  • Sie wird von dem Brettspiel weggezogen = das gehört sich nicht für Frauen
Mulan steht auf einem Hocker zwischen zwei Frauen, von denen sie eingekleidet wird. Dabei wird an ihrem Hals Maß genommen, wobei sie fast erwürgt wird und erschrocken schaut. Auch der Gürtel wird von den Frauen zu fest gezogen, woraufhin Mulan nach Luft ringt. Mulan trägt denselben grau-weißen Rock, ein Pink farbenes Oberteil mit extrem langen Ärmel, die ihre Hände verdecken, ein rotes Haarband sowie einen roten Gürtel.
  • Mulan auf dem Hocker = bewegungslos, gleicht einer Statue
  • Maß nehmen, zu enger Gürtel = Einschränkung, schlanke Taille als Schönheitsideal
  • Pink farbenes Oberteil, rotes Haarband, roter Gürtel = als weiblich konnotierte Farbwahl
  • zu lange Ärmel = Einschränkung der Bewegungsfreiheit
Mulan wird aus dem Haus an drei spielenden Kindern (2 Jungen, die mit Holzschwertern spielen, 1 Mädchen, das mit einer Puppe spielt) vorbeigeführt. Ein Junge nimmt dem Mädchen die Puppe weg, die ihr von Mulan wiedergegeben wird.
  • Jungen - Schwert, Mädchen - Puppe = stereotype Gender-Rollenverteilung
  • Zurückgeben der Puppen = Gerechtigkeitssinn, dem Schwächeren helfen, Frauen halten zueinander
In einem weiteren Haus angekommen kniet Mulan mit weiß geschminktem Gesicht vor zwei Frauen, die ihr mit roter Farbe die Lippen bepinseln, ihr einen schwarzen Lidstrich auflegen und ihr einen Spiegel vorhalten. Mulan trägt goldene Ohrringe und betrachtet ihr Spiegelbild skeptisch. Nachdem sie sich eine Strähne aus der Frisur gelöst hat lächelt sie in den Spiegel. Ihr wird mit den Worten "Jetzt bist du fertig" ein blumenverzierter Kamm in die Haare gesteckt. Abschließend wird ihr ein Apfel in den Mund gesteckt, sie bekommt eine Jadehalskette, ein Amulett und eine Grille als Glücksbringer.
  • weiß geschminktes Gesicht = noble Blässe, entspricht dem chinesischen Frauen-Schönheitsideal
  • rote geschminkte Frauenlippen, Lidstrich, Ohrringe, Kamm, Halskette = Sinnlichkeit/Weiblichkeit, Schönheit
  • skeptisches Betrachten der Spiegelbilds = sie erkennt sich in ihrem eigenen Spiegelbild nicht wieder
  • Strähne = Versuch des Ausbruchs, Einbringen der eigenen Persönlichkeit
  • "Jetzt bist du fertig" = Mulan erscheint als fertiges Produkt, als idealisiertes Frauenbild
  • Apfel im Mund = Mulan wird zum Schweigen gebracht, Zurückhaltung und Schweigen als wünschenswerte Eigenschaften von Ehefrauen
Mulan verlässt singend, die Ahnen um Hilfe bittend das Haus und schließt sich als letzte einer Reihe singender Frauen an, die genau wie Mulan zurechtgemacht worden sind. Leicht verspätet und zögernd ahmt sie die Bewegungen der anderen nach. Eine nach der anderen singt die Worte "Ich will Ehre bringen". Nur Mulan enthält sich dem Gesang mit skeptischem Blick.
  • Anbetung der Ahnen um Hilfe = Unsicherheit, sich in der neuen Rolle nicht wohl fühlend
  • Reihe singender Frauen = Uniformität der Ehefrauen, Ehefrauen als Fließbandprodukt
  • Frauen, die "Ich will Ehre bringen singen" = Annahme der Rolle, Zufriedenheit, Stolz
  • Mulans nicht-Mitsingen, Zögern = Ablehnung der Rolle, Unzufriedenheit, Unsicherheit

Auf der akustischen Ebene wird die traditionelle Frauenrolle ausgedrückt (s. auch Unterpunkt „Lieder und ihre Bedeutung in Mulan“).

Auf der visuellen Ebene wird eine gewisse Ambivalenz ausgedrückt, da Mulan nicht glücklich auf ihr „Zurecht machen“ reagiert.

Obwohl Mulan die ganze Situation aufgezwungen wird, suggeriert das Lied Fröhlichkeit und Spaß. Als Frau zurechtgemacht zu werden soll also eigentlich (vor allem dem Zuschauer) Vergnügen bereiten.

Mulan, die in dieser Szene besonders deutlich symbolisch für die Frau an sich steht, wird zu einer Art Puppe, zu einem gesellschaftlichen Konstrukt gemacht.

Nachdem sie in der ersten beschriebenen Sequenz eine aktive Rolle übernimmt, wird sie in eine passive Rolle gedrängt.

Sequenz 3: Rettung des Kaisers

Filmsequenz: 1 Std. 06 Min. 32 Sek. – 1 Std. 07 Min. 20 Sek.

denotative Ebene konnotative Ebene
Nachdem der Kaiser von den Hunnen in seinem eigenen Palast gefangen gehalten wird, versuchen Shang und weitere Soldaten der chinesischen Armee die Tore des Palastes mit Hilfe einer schweren Steinstatue (die sie als Rammbock benutzen) zu durchbrechen, um den Kaiser zu befreien. Mulan, die diese Szene beobachtet, kommt zu dem Schluss, dass es unmöglich ist auf diese Weise das Tor zu öffnen. Mulan entwickelt ihre eigene Idee und teilt diese den Soldaten mit. Sie ist völlig ungeschminkt, trägt eine graue Hose mit dazu passendem Oberteil und offene schwarze Haare. Ihre Kameraden folgen ihr spontan.
  • Versuch, das Tor mit der Steinstatue zu öffnen = rohe männliche Gewalt führt nicht zum Ziel
  • Mulans Idee = weiblicher Verstand ist hilfreicher als physische (männliche) Kraft
  • Mulans äußere Erscheinung = entspricht eher dem männlichen als dem weiblichen Kleidungsstil
  • offene Haare = Freiheit
  • ungeschminkt = natürlich, nicht dem weiblichen Standard entsprechend
  • spontanes Folgen der Kameraden = Mulan ist als Anführerin akzeptiert
Zu der Musik von "Jeder wird hier zum Mann" geben drei Soldaten Mulan ihre Waffen und ihre Rüstung. Als nächstes sieht man wie die drei Soldaten als Frauen verkleidet sind (weiß geschminktes Gesicht, Ohrringe, Hochsteckfrisuren, Kleider, Fächer) und sich stolz Mulan präsentieren. Mulan ist jetzt leicht geschminkt im blau-türkisen langen Kleid. Die drei Soldaten und Mulan nutzen ihre Stolen als Hilfe, um die Säulen der Palastmauer hochzuklettern. Shang gesellt sich die Methode befürwortend zu ihnen und nutzt statt seiner Stola seinem Umhang. Gemeinsam klettern sie die Säulen hinauf.
  • Musik "Jeder wird hier zum Mann" und Frauenverkleidung = wirft männliche Gender-Stereotyp um (ein echter Mann kann auch Frauenkleider tragen)
  • Abgeben ihrer Waffen und Rüstung = freiwillige symbolische Abgabe ihrer Männlichkeit
  • Mulan trägt türkisfarbenes Kleid = suggeriert, dass auch Mulan sich als Frau "verkleiden" muss
  • Stolen, Hochklettern der Säulen = weibliche Accessoires helfen bei der Erfüllung der Mission
  • Shangs Beteiligung = Mulans Fähigkeiten als Soldat und Anführer werden von ihm akzeptiert und respektiert, er benötigt ihre List, um sein Ziel zu erreichen
  • Shang ist nicht als Frau verkleidet und benutzt seinen Umhang um die Säulen hinauf zu klettern = zumindest äußerlich bewahrt sich der Protagonist seine „echte“ Männlichkeit, da er keine weiblichen Accessoires benötigt, um seine Mission zu erfüllen.

In dieser Sequenz schlüpft Mulan wieder in eine aktive, die Handlung bestimmende Rolle.

Der Kaiser wird nicht mit Hilfe roher (männlicher) Gewalt befreit, sondern mit (weiblichem) Einfallsreichtum.

Die Sequenz macht deutlich, dass Mulan sich als Frau den Respekt und die Anerkennung ihrer männlichen Kameraden erarbeitet hat.

Es wird verdeutlicht, dass es keine Schande für Männer ist, sich zu ihrer weiblichen Seite zu bekennen (dies wird allerdings mit einer Portion Humor schmackhaft gemacht).

Obwohl der Protagonist Mulans Hilfe benötigt, um an sein Ziel zu erreichen, so ist er dennoch der einzige, der sich nicht als Frau verkleidet und weiterhin zumindest ein physisches stereotypes Männlichkeitsbild verkörpert.