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Ruhr-Universität Bochum – Universität Minsk / Linguistische Universität Minsk
Gründung/Förderdauer: 1993 – 2002
Projektleiter: Dr. Tscherkas, Minsk (seit 1993)
Frau Dr. Solowjowa, Minsk (seit 1995)
Frau Dr. Stelja, Minsk (seit 2002)
Prof. Dr. Wegera, Bochum (bis 1997)
Prof. Dr. Menge, Bochum (seit 1997)
Die GIP mit dem Lehrstuhl für Deutsch der Staatlichen
Universität Minsk gehört zu den Partnerschaften, die seit der Einrichtung des entsprechenden DAAD-Programms gefördert werden. Kontakte zum Leiter dieses Lehrstuhls hatten schon vor 1993 bestanden, und zwar im Rahmen
der Universitätspartnerschaft zwischen der Ruhr-Universität Bochum und der Staatlichen Universität Minsk. An diese Kontakte konnte also angeknüpft werden, so dass schon in den ersten Jahren ein sehr reger
Austausch stattfand. Dabei ging es zunächst vor allem um die Fortbildung der Lehrkräfte des Lehrstuhls, der ein sehr umfangreiches Kursangebot für Studierende aller Fakultäten der Universität zu organisieren hat.
Rund 30 Kolleginnen und Kollegen unterrichten Fachdeutsch, und zwar sehr effektiv und auf einem hohen Niveau. Für die Studierenden der Universität ist das Erlernen einer Fremdsprache obligatorisch. Viele wählen
Englisch, erstaunlich viele aber auch Deutsch. Die Kurse finden in der Regel im ersten und zweiten Studienjahr statt, danach besteht die Möglichkeit, freiwillig weitere Kurse zu besuchen, eine Möglichkeit, die sehr
intensiv genutzt wird. Ein Hauptproblem des Lehrstuhlleiters bestand darin, immer wieder geeignete Lehrkräfte zu finden, da viele Lehrerinnen - und oft gerade die besten - in lukrativere Tätigkeiten außerhalb der
Universität überwechselten. Erfreulicherweise ist es gelungen, die auftretenden Lücken jeweils rasch zu schließen, wobei auch die Aussichten, die sich durch die GIP eröffneten, eine Rolle gespielt haben mögen.
Nachdem die Förderung des studienbegleitenden Deutschunterrichts erfolgreich angelaufen war, wurden Überlegungen angestellt, wie sich ein wissenschaftlicher Austausch verwirklichen ließe. An der Universität gibt
es zwar eine sehr große philologische Fakultät, bis 1995 aber keinen germanistischen Studiengang. Dieser ist auf unsere Anregung hin eingerichtet worden und hat sich mittlerweile gut etabliert. In jüngster Zeit hat
die Germanistik auch den angemessenen strukturellen Rahmen gefunden, indem in diesem Jahr ein eigener Lehrstuhl für deutsche Sprachwissenschaft eingerichtet worden ist. Vorher war die Germanistik ein Teilbereich der
Abteilung für germanische und romanische Sprachen. Die Studierenden der Germanistik haben es im Übrigen jeweils nicht nur mit einem Lehrstuhl zu tun, für Komponenten ihres Studiums, z.B. für die
literaturwissenschaftlichen Anteile, sind andere Lehrstühle zuständig. Schon dies allein macht curriculare Diskussionen nicht gerade einfach.
Bislang sind in Weißrussland die Studienpläne der
Linguistischen Universität quasi verbindlich gewesen. An diesen richteten sich die anderen Hochschulen mit einschlägigen Abteilungen aus. Es machte also Sinn, die GIP auf die Linguistische Universität Minsk
auszuweiten. Allerdings haben wir es seitdem mit drei Partnereinrichtungen zu tun, was oft sehr viel Fingerspitzengefühl erfordert, da die einzelnen Hochschulen kaum miteinander kooperieren. Das erstaunt immer
wieder, zumal einzelne Kolleginnen und Kollegen Lehraufträge an der jeweils anderen Universität haben. Bei der Aufstellung von Studienplänen hat auch die Linguistische Universität wenig Spielraum. Der staatliche
Rahmenplan liefert weitreichende Vorgaben, dort nicht festgeschriebene Themen können nur in zusätzlichen Veranstaltungen angeboten werden, was kaum zumutbar ist, da der Stundenplan der Studierenden sehr umfangreich
und das Deputat der Lehrkräfte sehr hoch ist. Letztere sind zudem noch darauf angewiesen, weiteren Tätigkeiten nachzugehen, um ihr karges Gehalt aufzubessern. Diese schwierige Situation nötigt einem deutschen
Betrachter viel Respekt ab und er lernt es, sich Zurückhaltung beim Vortragen eigener Ideen aufzuerlegen. Der eigentliche Partner für seine Reformvorstellungen wäre auch eher das zuständige Ministerium, aber hier
Zugang zu finden ist nicht nur in der derzeitigen politischen Situation schwierig. Beim Lehrstuhl für deutsche Sprachwissenschaft bzw. bei der Abteilung für germanische und romanische Sprachen der Staatlichen
Universität werden im Augenblick Überlegungen angestellt, ob man dem klassischen germanistischen Studiengang nicht einen Studien- gang an die Seite stellen sollte, der in seinem Profil den in westlichen Ländern
immer beliebter werdenden "German studies" bzw. "European studies" nahekäme. Angesichts der eben geschilderten Situation klingt das revolutionär, aber in Weißrussland scheinen sich manch- mal
unkonventionelle Wege aufzutun, die für die Umsetzung solcher Vorstellungen nötige Zustimmung zu erlangen. Sollte die Einrichtung eines solchen Studiengangs gelingen, wäre das auch als ein Erfolg der GIP zu werten,
denn Pate beim Konzeptionieren des Studiengangs haben Bochumer Zusatzstudiengänge gestanden, etwa der Studiengang "European Culture and Economics". Auch im Bochumer Institut für Deutschlandforschung haben
entsprechende Beratungen stattgefunden. Weniger erfolgreich war die GIP bislang bei der Realisierung gemeinsamer Projekte. Unsere Hoffnungen lagen hier auf der Linguistischen Universität, deren Dozentinnen und
Dozenten fast alle in Moskau oder Leningrad promoviert worden sind. Der u.a. darauf basierende gute Ruf der Universität schien die beste Gewähr zu bieten, ein gemeinsames Thema erfolgreich bearbeiten zu können.
Erste konzeptionelle Diskussionen im Hinblick auf ein gemeinsames Projekt zur europäischen Sprachgeschichte führten zu keinen Ergebnissen. Bis zur Antragsreife ist jetzt ein Projekt gediehen, das sich mit der
Rezeption von Eurolatinismen in Russland, Weißrussland und der Ukraine beschäftigen soll. Ob es erfolgreich durchgeführt werden kann, muss sich erst herausstellen, denn solche Projekte müssen sich auch auf
wissenschaftlichen Nachwuchs stützen können. In diesem Bereich sieht es allerdings nicht gut aus. Zum einen gibt es für gute Germanistinnen und Germanisten auch heute noch attraktive Alternativen außerhalb der
Universität, zum anderen ist es für junge Menschen nicht immer einfach, sich mit traditionellen Mentalitäten auseinandersetzen zu müssen. Es ist zum Beispiel Tradition, bewährtes Wissen an die Studierenden zu
vermitteln, um es dann auch in Prüfungen abzufragen. Das hat sicher auch seine guten Seiten, aber es macht es dem wissenschaftlichen Nachwuchs auch sehr schwer, eigene Idee zu entwickeln und für deren Verwirklichung
zu werben. Hier ist der Wert von Studienaufenthalten in Deutschland unschätzbar. Jüngere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler finden für ihre Vorhaben Anerkennung, die älteren erleben die Chance, sich der
eigenen Mentalitäten bewusst zu werden. Das kann nicht durch einen einzigen Aufenthalt geschehen, sondern macht eine mehrmalige Teilnahme am deutschen Universitätsleben erforderlich. Die bisherigen Erfahrungen haben
gezeigt, dass Mentalitäten tatsächlich veränderbar sind, und es gehört zu den schönsten Erfahrungen eines GIP-Projektleiters, miterleben zu können, wie Mentalitäten aufbrechen und zu veränderter Praxis führen.
Lange Zeit waren Studierende bedauerlicherweise nicht in den Austausch einbezogen. Das geschah zum Teil aus Rücksicht auf die Minsker Partner, die in den neunziger Jahren mit ansehen mussten, dass ein Großteil der
Studierenden, die die Gelegenheit zu einem Aufenthalt an einer deutschen Universität bekamen, nicht zurückkehrten. Mittlerweile hat sich diese Situation geändert, so dass künftig auch, einem ausdrücklichen Wunsch
des DAAD entsprechend, Minsker Studierende nach Bochum und Bochumer Studierende nach Minsk reisen werden. Das Interesse auf seiten deutscher Studierender ist groß, und vor allem von Studierenden des
Zusatzstudiengangs Deutsch als Fremdsprache wird die Gelegenheit sehr begrüßt, ein Praktikum am Minsker Lehrstuhl für Deutsch absolvieren zu können. Insgesamt können sich die Ergebnisse der GIP mit den
beiden Minsker Universitäten wohl sehen lassen. Der wissenschaftliche Ertrag mag bis jetzt nicht sehr hoch zu veranschlagen sein, aber dass die Stellung der deutschen Sprache in Weißrussland relativ gut ist, ist zu
einem guten Teil auch der Bochum-Minsker Partnerschaft zu verdanken.
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