Eine Technikgeschichte der räumlichen Aufnahme

Die Technologie der rein mechanischen Tonaufnahme war kaum geeignet, auch nur annähernd das tatsächliche akustische Geschehen an einem Ort aufzuzeichnen. Musik und Sprache konnten erkennbar wiedergegeben werden, eine Illusionswirkung kam aber -wenn überhaupt- nur durch aktive Beteiligung des Hörenden zustande.[8] Ein Hauptproblem war, neben eingeschränktem Dynamikbereich und Frequenzgang sowie Verzerrungen, die geringe Empfindlichkeit des Aufnahmeverfahrens. Der Schneidestichel mußte allein durch die Energie des Schalls bewegt werden. Dies erforderte den Einatz lauter Instrumente oder eine möglichst große Nähe zum Aufnahmetrichter. So wurde die Instrumentierung den Anforderungen des Mediums angepaßt: Bläser ersetzten oft Streicher, spezielle Instrumente wie die "Strohvioline", eine Geige mit Schalltrichter, wurden entwickelt. Andererseits wurden die Musiker möglichst eng um den Schalltrichter gruppiert. Die Folge war, neben ausreichendem Pegel, ein flaches Klangbild ohne räumliche Tiefe. Große Besetzungen waren so kaum sinnvoll aufzunehmen. Teilweise wurden zu dies em Zweck mehrere Trichter an einem Punkt zusammengeführt, wo sich der Schall mischte, bevor er den Stichel antrieb, eine frühe Entsprechung zu der bis heute oft verwendeten Polymikrofonie.

Aber auch im frühen Rundfunk lagen die Probleme ähnlich. Das aus der Telefontechnologie stammende Kohlemikrofon war als Analogon zu Trichter und Stichel für die Umwandlung von Schall, diesmal nicht in mechanische Spuren, sondern in elektrische Wellen, zuständig. Mit den mechanischen Aufnahmetechniken teilte es die Probleme der geringen Empfindlichkeit und eines unausgewogenen Klanges. Erst mit der Entwicklung von Kondensatormikrofonen wurde ein sehr hochwertiger Schallwandler verfügbar. Diese seit der zweiten Hälfte der 20er Jahre in der Praxis verwendete Technologie ist auch heute -kaum verändert- Stand der Technik für "natürlich" klingende Aufnahmen.[9] Zur gleichen Zeit wurde die Schallplattenaufnahme vom mechanischen auf das elektrische Verfahren umgestellt, Tonübertragungs- und -speicherungstechnik näherten sich an.

Die Entwicklung der Aufnahmeräume spiegelt die Probleme mit den Aufnahme- bzw. Übertragungsmedien wider. Anfangs wurde der Raum stark bedämpft, ein Eigenklang als störend empfunden. Dies ist vor allem daraus zu erklären, daß noch wenig Erfahrung mit Aufstellung und Richtwirkung[10] der Mikrofone gesammelt worden war und es erfolgversprechender erschien, den Faktor Raum so weit wie möglich auszuschließen. In den 20er Jahren galt der trockene "phonographische" oder "radiophonische" Klang, besonders in der Unterhaltungsmusik als moder n. Das Fehlen von Räumlichkeit auf der Aufnahmeseite wurde durchaus nicht als Defizit empfunden.[11] Ab ca. 1930 setzt sich der Trend zu mehr Räumlichkeit durch. Gleichzeitig findet eine Umwertung der Beziehung zwischen Rundfunk und Musik statt: Während in den 20er Jahren die Idee "radiogerechter Komposition" als gemeinsames Projekt von Technikern und Mu sikern beachtliche Resonanz fand, wird jetzt wieder stärker zwischen Performance und Aufnahme unterschieden, ein transparentes Übertragungsmedium wird zum Ideal. Erst mit den technologiebewußten Musikern der Popmusik wird es in Frage gestellt.

Der Versuch, eine perfekte naturgetreue Aufnahme zu erzielen, indem man ein Mikrofon als Stellvertreter der Ohren aufstellte war, trotz seiner augenscheinlichen Eleganz, kaum erfolgreich.[12] Außer den eher technischen Problemen, die aus den Unterschieden zwischen Ohr und Aufnahmegerät erwuchsen, kamen auch wahrnehmungspsychologische Faktoren zum Tragen. Ein Konzertbesucher konnte sein Hören am optischen Geschehen orientieren, gezielt Teile des akustischen Geschehens herausgreifen, sie ausblenden oder "hinhören". Eine befriedigende Musikaufnahme erforderte eine andere Balance. Eine frühe Technik, diese zu erreichen war die Parallelschaltung mehrerer Mikrofone, wobei der Abstand des einzelnen M ikrofons vom jeweiligen Instrument dessen Laustärke bestimmte. Da die Entfernung der einzelnen Mikrofone von Instrumenten, die auf der Aufnahme leiser sein sollten, größer sein mußte als von den hervorzuhebenden, erhielten erstere immer einen stärkeren Raumanteil. Nur der Umstand, daß dieses Verhältnis meist zur üblichen Aufstellung eines Ensembles im Raum korrelierte, bewahrte einen halbwegs "naturidentischen" Raumeindruck. Schon bald wurden Regelglieder eingesetzt, mit denen die einzelnen Mikrofone elektronisch in ihrer Lautstärke geregelt werden konnten. Über standardisierte Verschaltung solcher Elemente entstand das Mischpult [13] , das später zum Werkzeug und Symbol des kreativen Umgangs mit "Sound" wurde.

Stereophonie

Die Musikwiedergabe über einen einzelnen Lautsprecher setzte alle Schallquellen grundsätzlich an einen einzigen Punkt. Orientierte man sich konsequent an den Klangquellen, so müßte man zur Reproduktion im Raum jedes Instrument mit einer eigenen Übertragungskette vom Mikrofon bis zum Lautsprecher ausstatten, welcher am jeweils "richtigen" Ort aufzustellen wäre. Versteht man die Übertragungskette nicht als örtliche Verlagerung der Schallquelle, sondern der Ohren des Hörers, so liegt es nahe, ihn mit zwei Ohrmuscheln auszustatten, welche von zwei Mikrofonen gespeist werden. So wurde schon 1881,vor Entwicklung des Lautsprechers, eine stereophonische Musikübertragung auf der Pariser Elektrizitätsausstellung durchgeführt.[14] Obgleich es in den folgenden Jahren viele Versuche mit Stereoton gab und gelegentlich Mehrkanalton im Kino verwendet wurde[15], gibt es erst seit 1958 einen Standard für die Stereoschallplatte. Im gleichen Jahr gab es in den USA 25 (von 3500) Sendern, die im Stereo-Pilottonverfahren sendeten.[16] Auf der Produktionsseite setzten sich diese (monokompatiblen) Verfahren schnell durch [17] , die Mehrzahl der Wiedergabegeräte blieb allerdings noch lange einkanalig.

Stereofone Aufnahmetechniken

In der stereofonen Aufnahmetechnik gibt es eine Vielzahl von praktisch enwickelten Verfahren, zurückzuführen sind sie auf zwei prinzipielle Ansätze[18]. Der erste versucht den Schall im Hörraum so zu reproduzieren, wie er im Aufnahmeraum geklungen hat. Die Mikrofone im Aufnahmeraum werden zu Stellvertretern der Lausprecher im Hörraum und dementsprechend relativ weit voneinander entfernt aufgestellt. Den Raumeindruck begründet so vor allem die Verzögerung, mit der eine Schallquelle das eine Mikrofon nach dem anderen erreicht. Die Verfahren werden deshalb auch als Laufzeitstereophonie bezeichnet. Während sie die Tiefe eines Raumes deutlich bis überzeichnet abbilden, ist die wahrnehmbare Weite auf den Lautsprecherabstand im Hörraum beschränkt. Besonders die Kopfhörerwiedergabe vermittelt ein sehr unnatürliches Klangbild, da sie das Ziel, den Aufnahmeraum im Hörraum neu entstehen zu lassen, sabotiert. Im zweiten Ansatz vertreten Mikrofone mit einer Richtcharakteristik die Ohren. Sie sind höchstens 20 cm voneinander entfernt, die "Weite" des Klangbildes wird vom Winkel, in dem sie zueinander stehen, bestimmt. Wegen der besonderen Bedeutung der Lautstärkeunterschiede bei diesem Verfahren nennt man es auch Intensitätsstereophonie. Da sich mit der Zeit die Erkenntnis durchsetzte, daß die Lokalisierung einer Schallquelle durch die Ohren nicht nur anhand von Lautstärkeunterschieden geschieht, wurden auch diese Mikrofontechniken verfeinert. Den bekanntesten experimentellen Ansatz stellt hier der "Kunstkopf" dar, bestehend aus zwei Mikrofonen, die in den Gehörgang eines nachgebildeten menschlichen Kopfes eingebaut sind und der bei Kopfhörerwiedergabe eine sehr realistische Räumlichkeit vermittelt. Verwandte Verfahren versuchten diesen Ansatz für Lautsprecherwiedergabe zu optimieren. Ein Vorteil der Intensitätsstereophonie für die Popproduktion ist, daß sich zusätzliche Mikrofone nah an die einzelnen Instrumente stellen und hinzumischen lassen, ohne das Stereobild zu zerstören.[19] Dieses Stützmikrofonverfahren wird im Bereich der Orchestermusik regelmäßig praktiziert, entgegen dem bei vielen Hörern verbreiteten Glauben, eine Dokumentation aus dem Konzertsaal zu hören.[20] Eine weitergehende Möglichkeit ist es, ganz auf das Stereomikrofon zu verzichten und eine Vielzahl von Einzelmikrofonen elektronisch im Stereobild[21] zu verteilen. So läßt sich der Klang des einzelnen Instruments massiv verändern, ohne die anderen zu beeinflussen.

Quadrophonie und Surround

Als Mangel der Stereophonie wurde immer wieder angesehen, daß der Hörer nicht von der Musik umgeben ist, sondern sie lediglich eine Art "akustischen Guckkasten" entstehen läßt. Räumliche Tiefe wird hier normalerweise nur auf der Achse zwischen dem Hörer und den Boxen wahrnehmbar, ein Einschränkung, die allerdings im Grunde einem normalen Konzerterlebnis ähnlich ist. Um den Hörer mitten ins musikalische Geschehen zu setzen, gab es Ansätze wie die recht erfolg- und folgenlose Quadrophonie (Vierkanalton) der 70er Jahre. Zur Zeit wird versucht, den aus dem Filmbereich stammenden Dolby-Surround-Standard (5+1-Kanal) durchzusetzen, wieweit der Kunde die Begeisterung der Industrie an diesem Projekt teilt, bleibt aber vorerst offen.

Mehrspuraufnahme

In der Musikproduktion sind Mehrkanalverfahren schon länger die Regel, allerdings aus völlig anderen Gründen. Die ersten musikgeeigneten Tonbandgeräte wurden Mitte der 30er Jahre in Deutschland hergestellt. Nach 1945 wurden die Patente zur magnetischen Tonaufnahme von den Siegermächten beschlagnahmt, einzelne Geräte gelangten in die USA. Hier wurde 1949 von der Firma Magnecord das erste stereofone Serienmodell eines Tonbandgerätes eingeführt. An der Entwicklung der Tonbandtechnik war übrigens wesentlich ein Popstar beteiligt: Bing Crosby engagierte sich stark beim Gerätehersteller Ampex. Die im Vergleich zur Plattenaufnahme erweiterten Montagemöglichkeiten durch den Schnitt des Bandes sollten helfen, seine Radioshows zu perfektionieren. Darüberhinaus wurde mit dem Tonband prinzipiell eine Technik verfügbar, die es erlaubte, eine beliebige Anzahl von Spuren aufzunehmen und synchron abzuspielen. Es war nur nötig, mehrere Aufnahme- und Wiedergabeeinheiten versetzt an ein Bandlaufwerk anzubringen. Diese teilten sich die Breite des Bandes, so daß im Grunde mehrere Geräte nebeneinander "Spuren" auf ein einziges Band aufnahmen. Allerdings setzte sich das -technisch unproblematische- Mehrspurverfahren erst in den 60er Jahren durch, als im Pop das Interesse wuchs, Klang nicht nur dokumentarisch aufzunehmen, sondern bis ins Detail zu gestalten.

 

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