Praktikum in Afrika



 
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Gregor Betz
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Praktikum in Afrika:
BÜHNENWECHSEL – SECHS MONATE LEBEN IN TANSANIA

Ein Erfahrungsbericht

DIE VIER PHASEN DES AKZEPTIERENS – DER UMGANG MIT DER ARMUT

Der Umgang mit Armut war für mich das Schwerste. Täglich wurde ich damit konfrontiert. An allen Orten, zu jeder Tageszeit, in jedem Zusammenhang konnte mir ein falscher Gedanke oder eine Situation die Laune verderben. Oft war es beim Reflektieren über den Tag, wenn mir Situationen in den Kopf kamen die mir wieder einmal zeigten wie gut ich es selber habe und wie schwer es doch sein müsse arm zu sein!

Ich bin beim Umgang mit Armut in meinen sechs Monaten hauptsächlich durch vier Phasen gegangen:

1. Die Neuling-Phase kam als Erstes. Ich saugte erst mal ohne so viel darüber nachdenken zu können alles in mich auf. Oft fühlte ich mich Erdrückt, da ich nicht genug Zeit fand über die vielen neuen Eindrücke reflektieren zu können. Alles war so neu, dass mir eher alte, bereits bekannte Dinge auffielen! So kippte ich fast vom Stuhl als ich ein Auto mit einem Aufkleber mit deutscher Fahne an der Tür und einer weißen Fahrerin durch Masasi fahren sah.

2. In der Lern-Phase fiel mir allmählich Armut in kleinen Dingen auf und ich fing an mir Gedanken zu machen. Ich sah aber noch keine Zusammenhänge, verstand die Problematik im Großen noch nicht. Ein Bettler z.B., der auf der Straße auf mich zu kam und versuchte, mir mit Zeichensprache deutlich zu machen wie hungrig er sei. Oder mein prägendes Erlebnis im kleinen Dorf Chikundi, wo ich die Rentner-Organisation MAREA besuchte. Ich, der Europäer mit genug Fettpolstern an den Hüften, der zum nächsten Automaten fahren konnte um mehr Geld abzuheben als die aller meisten Menschen dort in den folgenden zehn Jahren verdient hätten, kam in das vielleicht ärmste Dorf der Welt. Nach obligatorischem Gästebuch-Eintrag wurde mir bei der extra für mich einberufenen Vollversammlung die Organisation vorgestellt und mir mein Willkommensgeschenk überreicht: 10 Eier! Ich war den Tränen nahe!

3. Ein Schlüsselergebnis hat mir dann plötzlich einen völligen Schock gegeben und mich in die Extrem-Phase versetzt. Ich wollte an dem Tag die sechsstündige Busfahrt nach Mtwara auf mich nehmen. Nach einer Stunde hielten wir in Ndanda, wo immer viele Menschen ausstiegen und der Bus wartete, bis er wieder rappelvoll war. Nach etwa zehn Minuten kam ein Polizist in den Bus rein, ging ein Mal durch, musterte die jungen Frauen, gab einer etwa 20-Jährigen attraktiven Frau ein Zeichen mitzukommen, welche daraufhin dem Polizisten ohne Frage aber sichtlich beunruhigt folgte und nicht wieder zurückkam. Jeder kann sich denken, was der jungen Frau auf der Wache widerfahren ist…

Als ich näher über das Geschehnis nachdachte wurden mir wieder andere Erlebnisse ins Bewusstsein gerufen, die mich in den Tagen davor schon geprägt hatten. Ich verspürte ein schreckliches Ohnmacht-Gefühl vermischt mit Hass auf die Welt und auf mich selbst. Verstärkt wurden diese Gefühle auch durch meine Rolle als Europäer, der natürlich viele Bettler zu sich zog. Sehr erschüttert hat mich vor allem, dass so wenig Geld das Leben der Menschen völlig verändern würde, dass es gar nicht so viel benötige ihnen zu helfen, dass ich nur leider nicht allen helfen könne. So schrieb ich einige Tage nach meiner Rückkehr aus Mtwara, am 17.10., in mein Tagebuch:

„Ich halte diese verdammte Armut und meine Hilflosigkeit nicht mehr aus! Sie macht mich depressiv! Ich bin ein Zwerg, ein Winzling gegenüber dieser Armut. Ich will nicht ich sein, alle Menschen kommen zu mir und erwarten Hilfe und Geld, doch durch jedes Abweisen wird mir ein Stück Lebensmut genommen. Jeder hoffnungsvolle Blick, der durch mein Abweisen zum traurigen wird nagt [an] meinem Mut und meinem Optimismus. Das schwierigste ist, dass ich den ganzen Menschen, die zu mir kommen, mit nur ein wenig Geld weiterhelfen kann. 100€, und der Mann mit seinen zwei Maschinen kann an die Uni gehen. Wo könnte ich möglicher weise so viel Geld aufbringen um diesen Menschen zu helfen? Wie viel Geld verschwenden große NGOs wohl für Bürokratie und ähnliches, das ich so gut und sinnvoll verwenden könnte?“

Auf der anderen Seite hatte ich in dieser Phase auch die Momente mit dem meisten Mut und den größten Visionen! Völlige Resignation wechselte sich mit großen Plänen für Masasi und seine Menschen ab. Ich malte mir aus, wie einfach es sei die Armut zu bekämpfen, wie viele Möglichkeiten es dafür gäbe, was die Potentiale der Region seien und dass ich genau der Richtige für die Einleitung des Aufschwungs sei. Ich war in dieser Zeit häufig sehr niedergedrückt, nachdenklich, depressiv und hoffnungslos, aber an vielen Tagen hatte ich auch sehr viel Selbstbewusstsein, das Gefühl eben nicht ohnmächtig zu sein sondern durch meine Arbeit diesen Menschen helfen zu können. Ich fand das Elend und die Armut so unerträglich, dass ich mich in einen übermäßigen Optimismus flüchtete der mir überhaupt einen Sinn geben konnte. Die beiden Extreme wechselten sich ab.

4. In der Nüchternen Phase haben sich diese extremen und kurzfristigen Gefühle eher eingependelt. Ich sah ein, dass sowohl das ganze Mitleid für die Menschen, die ganzen negativen Gedanken als auch die unrealistischen Hoffnungen, die ich auch auf andere projizierte, eher hinderlich waren. Ich fing an die Probleme des Landes wirklich zu verstehen, sie so hinzunehmen wie sie waren um sie besser bekämpfen zu können. Doch auch in dieser letzten Zeit konnte ich depressive Tage haben an denen ich mich am liebsten im Erdboden verkriechen wollte, Tage an denen ich Erbschuld verspürte und unsere allzu ungerechte Welt, in die ich geboren wurde, verhasste. Alltägliche Situationen wie Bettler im Büro und an der Haustür waren mir aber jetzt nicht mehr ganz so unangenehm. Ich wusste, dass ich so schnell eh nichts an der Situation dieser Menschen ändern könne und ich ihnen durch meine Entwicklungsarbeit bei MANGONET am meisten helfe. Ich war in dieser letzten Phase nicht abgestumpft, sondern sah die Situation in einem weiteren Kontext und konnte mich so besser auf die wirklichen Probleme und auf meine Arbeit konzentrieren ohne mich von alltäglichen Situationen zu sehr beeinflussen zu lassen.

Vor allem am Ende fand ich es sehr schwierig, Tanzaniern über Deutschland zu erzählen. Ich habe mich gefragt, wie meine Erzählungen wohl aufgefasst werden würden, was die Menschen denken, wenn ich von unserem Leben – das immer mit Luxus verbunden ist – berichte? Ich hatte mich in den ganzen sechs Monaten bemüht, im Lebens-Standard der Tanzanier zu leben. Der Kontrast zu dem Leben, was nach meiner Rückkehr nach Deutschland auf mich wartete war so unfassbar, dass ich ganz froh war, dass mich nur wenige Tanzanier ausführlich über mein Leben in Europa ausfragten.