Klassifizierung von geistiger
Behinderung nach dem ICD-10 und dem DSM-IV
Nach Eggert (1979) besitzt das Klassifikationssystem der
Weltgesundheits-Organisation (WHO) in der Beschreibung von geistiger Behinderung
die größte Bedeutung. Im ICD-10 wird anstatt des Begriffes ‘Geistige
Behinderung’ der Terminus ‘Intelligenzminderung’ benutzt.
Nach dem ICD-10 ist eine Intelligenzminderung
„...eine sich in der Entwicklung manifestierende, stehen
gebliebene oder unvollständige Entwicklung der geistigen Fähigkeiten,
mit besonderer Beeinträchtigung von Fertigkeiten, die zum Intelligenzniveau
beitragen, wie z.B. Kognition, Sprache, motorische und soziale Fertigkeiten.
(....) Das Anpassungsverhalten ist stets beeinträchtigt, eine solche
Anpassungsstörung muß aber bei Personen mit leichter Intelligenzminderung
in geschützter Umgebung mit Unterstützungsmöglichkeiten
nicht auffallen" (Dilling, Mombour & Schmidt, 1993, S. 254).
Im Folgenden wird die Einteilung der Grade der Intelligenzminderung
nach dem ICD-10 der WHO dargestellt (vgl. Dilling et al., 1993).
F 70 Leichte Intelligenzminderung
Unter leichter Intelligenzminderung wird der Intelligenzbereich
zwischen 50 und 69 verstanden. Folgende Bezeichnungen sind für diesen
Bereich gebräuchlich: Schwachsinn, leichte geistige Behinderung, leichte
Oligophrenie und Debilität.
F71 Mittelgradige Intelligenzminderung
Diese Diagnose beschreibt den Intelligenzbereich zwischen
35 und 49. Es werden folgende weitere Begrifflichkeiten synonym benutzt:
Mittelgradige geistige Behinderung, mittelgradige Oligophrenie und Imbezillität.
F 72 Schwere Intelligenzminderung
Es wird von einem Intelligenzbereich zwischen 20 und
34 ausgegangen. Zusätzlich verwendet werden hierfür die Begriffe:
Schwere geistige Behinderung, schwere Oligophrenie.
F 73 Schwerste Intelligenzminderung
Mit dieser Diagnose werden Menschen mit einem geschätzten
IQ von weniger als 20 versehen. Andere Bezeichnungen hierfür sind:
Schwerste geistige Behinderung, Idiotie, schwerste Oligophrenie.
F 78 Sonstige Intelligenzminderung
Hierunter werden Intelligenzminderungen verstanden, deren
Einstufung mit den klassischen Verfahren (Intelligenztests) aufgrund zusätzlich
bestehender Behinderungen ,wie z.B. Taubheit, Blindheit, Stummheit, sowie
eventuell zusätzlich bestehender Verhaltensstörungen nicht möglich
sind.
F 79 Nicht näher bezeichnete Intelligenzminderung
Klienten werden in diese Kategorie eingestuft, wenn nicht
ausreichend genug Informationen vorliegen, um sie in eine der zuvor dargestellten
Gruppe einzustufen. Andere Begrifflichkeiten für die Kategorie F 79
sind: Nicht näher bezeichneter Schwachsinn, nicht näher bezeichnete
geistige Behinderung, nicht näher bezeichnete Oligophrenie.
Die Kategorien F 71, F 72 und F 73 sind in etwa deckungsgleich
mit den deutschen Graden der geistigen Behinderung (vgl. Tabelle 1). F
71 ist annähernd identisch mit der deutschen Einstufung „Lernbehinderung".
Nach Bach (1974) werden Menschen mit einem IQ zwischen 60±5 und
80±5 in die Kategorie Lernbehinderung eingestuft.
Im ICD-10 werden an der vierten Stelle Störungen
der Anpassung an die Anforderungen des täglichen Lebens beschrieben.
Dieses sind:
F7x.0 Keine oder geringfügige Verhaltensstörungen
F7x.1 Deutliche Verhaltensstörungen, die Beobachtung
oder Behandlung erfordern
F7x.2 Sonstige Verhaltensstörungen
F7x.9 Nicht näher bezeichnete Verhaltensstörungen
Die Klassifizierung von psychischen Störungen nach dem
DSM-IV der American Psychiatric Association (APA) wird anhand von fünf
verschiedenen Achsen vorgenommen (Saß et al., 1996). Die Achsen sind
in Tabelle 3 dargestellt. Geistige Behinderung wird nicht, wie zu erwarten
wäre, in Achse I, sondern in Achse II klassifiziert. Dieses geschieht
aus folgendem Grunde:
„Die Auflistung von Persönlichkeitsstörungen
und Geistiger Behinderung auf einer separaten Achse stellt sicher,
daß das mögliche Vorliegen von Persönlichkeitsstörungen
und Geistiger Behinderung auch dann nicht übersehen wird, wenn sich
die Aufmerksamkeit auf die normalerweise auffälligeren Achse I Störungen
konzentriert" (Saß et al., 1996, S. 18).
Tabelle 3: Klassifikationsachsen des DSM-IV (nach Sass, Wittchen,
& Zaudig, 1996, S. 17)
Die Kodierung von Störungen auf Achse II bedeutet nicht,
daß diese sich grundsätzlich von den auf Achse I festgehaltenen
Störungen unterscheiden.
Geistige Behinderung wird im DSM-IV und im DSM-III-R
zusammen mit tiefgreifenden Entwicklungsstörungen unter dem Oberbegriff
‘Entwicklungsstörungen’ zusammengefaßt (Petermann & Lehmkuhl,
1996).
Im DSM-IV wird geistige Behinderung anhand von drei Kriterien
diagnostiziert (nach Saß et al., 1996):
A) Unterdurchschnittliche allgemeine intellektuelle Leistungsfähigkeit.
B) Starke Einschränkung der Anpassungsfähigkeit
in mindestens zwei der folgenden Bereiche: Kommunikation, eigenständige
Versorgung, häusliches Leben, soziale zwischenmenschliche Fertigkeiten,
Nutzung öffentlicher Einrichtungen, Selbstbestimmtheit, funktionale
Schulleistungen, Arbeit, Freizeit, Gesundheit und Sicherheit.
C) Der Beginn der Störung muß vor dem Alter
von 18 Jahren liegen.
Die drei Kriterien zur Diagnosenstellung einer geistigen
Behinderung sind identisch mit den Kriterien der AAMR aus dem Jahre 1992
(vgl. Punkt 1.1.2).
Im DSM-IV werden fünf verschiedene Abstufungen von
geistiger Behinderung unterschieden (vgl. Tabelle 4).
Tabelle 4: Vergleich von DSM-IV Kategorien und ICD-10 Kategorien
(nach Sass, Wittchen, & Zaudig, 1996, S. 75)
Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß die
Unterschiede in den Klassifikationssystemen der WHO, der APA und der AAMR
gering sind. Gemeinsam haben alle drei Klassifikationssysteme die drei
Faktoren:
a) Unterdurchschnittliche Intelligenz
b) Probleme im adaptiven Verhalten
c) Beginn der geistigen Behinderung in der Entwicklungsphase
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