Zusammenhang zwischen
der Wahrnehmung von Emotionen und sozialer Kompetenz bei Kindern
Sozial kompetente Kinder erkennen höchstwahrscheinlich
die Emotionen bei sich und bei anderen Kindern besser und gründlicher
als weniger sozial kompetente Kinder (Hubbard & Coie, 1995). Diese
Fähigkeit drückt sich im besseren Erkennen von Mimik und Körpersprache
und in der Fähigkeit zur Zuordnung von Emotionen zu sozialen Situationen
aus (ebd.).
Harris, Olthof & Meerum Terwogt (1981) stellten zwei
Entwicklungsstufen des Erkennens von Emotionen bei Kindern fest. Sie untersuchten
die Wahrnehmung von Emotionen bei sechs, elf und fünfzehnjährigen
Kindern. Dabei stellten sie fest, daß es einen relevanten Unterschied
zwischen der Gruppe der sechs und elfjährigen Kinder gibt. Jedoch
nicht zwischen den Elf- und Fünfzehnjährigen. Sechsjährige
Kinder richten ihre Aufmerksamkeit vor allem auf beobachtbare Komponenten
von Emotionen. Diese sind das beobachtbare Verhalten und sichtbare körperliche
Reaktionen. Die älteren Kinder betrachten auch den „...hidden mental
aspect of emotion..." (S. 260). Dieses ist der innere Stimmungszustand
des Gegenübers. Daraus schlußfolgern die beiden Autoren, daß
ein Umbruch in der Wahrnehmung und Interpretation von Emotionen im Alter
zwischen sechs und elf Jahren stattfindet.
Casey (1993) stellte in einer Untersuchung an sieben und
zwölfjährigen Kindern fest, daß das Geschlecht einen starken
Einfluß auf die Genauigkeit des Erkennens von Emotionen anhand von
Gesichtsausdrücken besitzt. Die untersuchten Mädchen erzielten
doppelt so gute Ergebnisse wie die untersuchten Jungen. Sie stellte weiterhin
fest, daß der soziale Zusammenhang, der über die positive oder
negative Wertigkeit von sozialen Reizen definiert ist, eine bedeutende
Determinante des kindlichen emotionalen Erlebens darstellt (ebd.). Dieses
bedeutet, daß die Ausbildung der Fähigkeit zum Erkennen und
Verstehen des eigenen emotionalen Erlebens abhängig ist vom positiven
oder negativen Feedback eines Gleichaltrigen. Die Ausprägung des Verstehens
des eigenen emotionalen Erlebens steht allerdings in größerem
Zusammenhang zu positiven als zu negativen Reaktionen Gleichaltriger (Hubbard
& Coie, 1995).
Ein weiterer wichtiger Aspekt, der einen Zusammenhang
zur sozialen Kompetenz zu besitzen scheint, ist die Regulierung von Emotionen.
Harris et al. (1981) stellten fest, daß es einen gravierenden Unterschied
in der Regulierung von Emotionen zwischen älteren und jüngeren
Kindern gibt. Jüngere Kinder haben demnach zwei Strategien, ihre Emotionen
zu regulieren. Erstens können sie den Versuch unternehmen, die Situation,
die die Emotion ausgelöst hat, zu verändern. Die zweite Variante
ist das Verlassen der Situation. Ältere Kinder haben als zusätzliche
Verhaltensalternative noch die Fähigkeit aufgebaut, den Versuch zu
unternehmen, ihre Emotionen intern zu regulieren.
Jüngere Kinder versuchen also in der Regel eine
externe Regulierung ihrer Emotionen, während ältere Kinder zumeist
in der Lage sind, ihre Emotionen intern zu regulieren.
Die Qualität der Regulierung der eigenen Emotionen
scheint weiterhin noch vom sozialen Status des Kindes abhängig zu
sein. Verhaltensstudien über populäre, durchschnittliche und
abgelehnte Kinder zeigen, daß populäre Kinder erheblich weniger
aggressives Verhalten produzieren als andere Kinder (Coie & Dodge,
1988). Hieraus ziehen Hubbard und Coie (1995) den Schluß, daß
„...social status is positively related to the control of angry feelings"
(S. 9).
Tabelle 9: Zusammenfassung der Ergebnisse der Studie von Harris,
Olthof & Terwogt (1981)
In Tabelle 9 sind noch einmal die Ergebnisse der Studie von
Harris et al. (1981) zusammengefaßt. Es stellt sich die Frage, ob
geistig behinderte Kinder die Fähigkeiten, die in der Zeile ‘ältere
Kinder’ dargestellt sind, ausbilden können.
Es ist davon auszugehen, daß die meisten geistig
behinderten Kinder die kognitive Entwicklungsstufe, die zur Ausbildung
der in der Zeile ‘ältere Kinder’ aufgeführten Fertigkeiten notwendig
ist, nicht erreichen (vgl. Punkt 1.1.8). Da aber diese Fertigkeiten in
einem Zusammenhang zur Höhe der sozialen Kompetenz des Kindes zu stehen
scheinen, können wir folgende Schlußfolgerung in Bezug auf geistig
behinderte Kinder ziehen:
Die potentielle Höhe der sozialen Kompetenz ist
bei geistig behinderten Kindern durch die Einschränkung in der Entwicklung
der ‘Wahrnehmung und Regulierung von Emotionen’ begrenzt.