Trainingsprogramme zur Verbesserung
der sozialen Kompetenz bei geistig Behinderten
Notwendig zur Durchführung von Sozialtrainingsprogrammen
ist ein hinreichendes aktives und passives sprachliches Niveau der Klientel,
welches es ihr ermöglicht, einfache verbale Instruktionen und Handlungsanweisungen
zu verstehen und darauf verbal reagieren zu können. Weiterhin sollten
die Trainingsteilnehmer vor Beginn des Programmes in der Lage sein, verbale
soziale Interaktionen durchzuführen und bereits minimale soziale Fertigkeiten
beherrschen. Deshalb sind Sozialtrainingsprogramme bei geistig behinderten
Kindern und Jugendlichen, die in die Kategorie ‘mäßige geistige
Behinderung’ ( vgl. Punkt 1.1.1) eingestuft werden können, durchführbar.
Nach Wendeler (1993) besitzen mäßig geistig Behinderte
„...alle grundlegenden Voraussetzungen zur Selbstversorgung,
werden aber nicht völlig unabhängig. Ihre Sprache genügt
für Verständigungszwecke, ist aber manchmal etwas unverständlich.
Lesen können sie gar nicht oder nur ganz wenig, ebenso wenig können
sie mit Geld umgehen. Sie können in beschützten Werkstätten
produktiv arbeiten, aber nicht auf dem freien Arbeitsmarkt. Sie sind zu
Freundschaften mit Menschen des eigenen und des anderen Geschlechts fähig,
können aber gewöhnlich die Rolle eines Ehepartners oder die Elternrolle
nicht ausfüllen" (S.13).
Kinder und Jugendliche, deren Behinderungsgrad als „schwer"
oder „sehr schwer" eingestuft ist, sollten mit operanten Verfahren gefördert
werden (Petermann et al., 1987).
Kadzdin, Esveldt-Dawson, French und Unis (1987) untersuchten
die Effekte von Problemlösungsprogrammen (Problem-Solving-Skills Training)
und Beziehungstherapie (Relationship Therapy) in der Behandlung von antisozialen
Verhalten bei Kindern. Sie stellten fest, daß das Problemlösungsprogramm
signifikant bessere Ergebnisse erzielte als das Beziehungstherapieprogramm.
Bei einer Follow-Up-Messung nach einem Jahr waren beim Problemlösungsprogramm,
im Gegensatz zum Beziehungstherapieprogramm, noch signifikante Verbesserungen
im Sozialverhalten (gegenüber der Vorbehandlungsmessung) festzustellen.
Aus diesem Grunde sollen im Folgenden Trainingsprogramme
zur Förderung sozial kompetenten Verhaltens bei geistig Behinderten,
die auf einem mit den Problemlösungsprogrammen vergleichbaren Ansatz
beruhen, näher dargestellt werden.
Park und Gaylord-Ross (1989) führten ein auf einem
Problemlöseansatz beruhendes Trainingsprogramm zur Verbesserung des
Sozialverhaltens bei drei im Arbeitsprozeß stehenden geistig behinderten
Jugendlichen durch. „For the 3 participants, problem-solving training
led to substantial generalization and maintenance of social behaviors in
natural work settings" (S. 378).
Collet-Klingenberg und Chadsey-Rush (1991) führten
ein kognitives Verfahren zur Förderung des Sozialverhaltens bei drei
geistig behinderten weiblichen Jugendlichen mit IQ-Werten zwischen 36 und
52 durch. Die drei Jugendlichen standen ebenfalls im Arbeitsprozeß.
Zwei der drei Mädchen waren in einem Fast Food Restaurant beschäftigt,
eines führte einfache Hilfsarbeiten in einem Krankenhaus durch. Ziel
des Trainingsprogrammes war es, angemessen mit Kritik in der Arbeitsumgebung
umgehen zu lernen. Den Probanden wurden Bilder mit Situationen aus der
Arbeitswelt, auf denen ein Vorgesetzter oder Kollege Kritik an einem Mitarbeiter
übt, präsentiert. Gleichzeitig wurde das Verhalten, das diese
Kritik ausgelöst hat, verbal dargestellt. Mit den Probanden wurden
vier Verhaltensschritte eingeübt:
1. Decodieren der sozialen Situation
2. Entscheidungsregeln zur Auswahl der adäquaten
Reaktion
3. Ausführungsverhalten
4. Evaluationsverhalten.
Am Ende jeder Trainingssitzung wurde den Probanden ein neues
Bild und eine entsprechende Beschreibung präsentiert. Die Probanden
sollten nun ohne Unterstützung durch den Trainer diese Schritte eigenständig
durchführen. Damit sollte überprüft werden, ob die eingeübten
Verhaltensschritte bei neuen Situationen angewendet werden können.
Zwei der drei Mädchen waren am Ende des Trainings in der Lage, annähernd
100% der präsentierten neuen Bilder ohne Unterstützung des Trainers
adäquat zu lösen. Ein Mädchen war nicht in der Lage, diese
Überprüfungsaufgaben zu bearbeiten.
In der natürlichen Lebensumgebung zeigten sich kleine
Ansätze für eine Generalisierung des neu gelernten Verhaltens.
Am Ende der Studie zeigten die beiden Mädchen, die die Überprüfungsaufgaben
lösen konnten, erstmals in einigen Fällen angemessenes Verhalten
auf Kritik in der realen Arbeitsumgebung.
Das Training von Collet-Klingenberg und Chadsey-Rush (1991)
weist mit seinen metakognitiven Elementen Ähnlichkeiten zu dem Trainingsprogramm
zur Entwicklungsförderung bei sozial-kognitiver Retardierung (Lauth,
1991) auf.
Das Programm von Lauth besitzt vier Ziele:
1. Vermittlung einer allgemeinen Problemlösestrategie
2. Erwerb von Steuerungs- und Kontrollfertigkeiten
3. Förderung von Reflexivität und Flexibilität
als metakognitive Regulationsmechanismen
4. Vermittlung affektiver Bewältigungsaussagen.
Die Ziele sollen über die Methode der verbalen Selbstinstruktion
erreicht werden (Hager & Hasselhorn, 1995). Lauth (1992) weist in einer
Studie die Wirksamkeit seines metakognitiven Förderprogrammes nach.
Diese Ergebnisse konnten Hager, Hasselhorn und Elsner (1995) allerdings
in einer erneuten Evaluation des metakognitiven Trainings nicht bestätigen.
Bandelt und Mayer entwickelten im Jahre 1983 ein Trainingsprogramm
zur Verbesserung der sozialen Kompetenz bei geistig behinderten Jugendlichen.
In diesem wird mit Verfahren gearbeitet, die auf der sozialen Lerntheorie
beruhen. Inhalte des Trainingsprogrammes sind Wahrnehmungsübungen
und Rollenspiele. Petermann et al. (1987) beschreiben eine Evaluation des
Trainingsprogrammes anhand von sechs geistig behinderten Jugendlichen.
Sie geben an, daß sich bei allen Teilnehmern des Trainingsprogrammes
das Kontaktverhalten signifikant erhöhte und unsicheres Verhalten
bei der Kontaktaufnahme abnahm. Auch bei einer Follow-up-Messung drei Monate
nach Ende des Programmes erwiesen sich die Ergebnisse als stabil. Die Autoren
kommen zu dem Schluß, daß dem aktiven, selbst initiierten Einsatz
von Sprache erhebliche Bedeutung zukommt. Besitzen geistig Behinderte diese
Fähigkeit nicht, ist nicht von einer erfolgreichen Durchführung
des Programmes auszugehen.
Garries, Hazinski und Hollenweger (1992) untersuchten
die Generalisierung der Effekte von sozialen Trainingsprogrammen bei geistig
behinderten Erwachsenen. Dafür entwickelten sie ein eigenes Trainingsprogramm,
das zum Ziel hatte, das Initiieren von Kontakten und die Aufrechterhaltung
eines Gespräches zu verbessern. Sie interessierte die „...Frage nach
der zeitlichen und kontextuellen Überdauerung und Stabilität
des trainierten Verhaltens..." (S. 143). „Ziel dieser Studie war es
zu untersuchen, in welchem Maße soziale Kompetenzen, die in einem
Training erworben wurden, tatsächlich später in sozialen Situationen
angewandt werden können" (S. 144).
Sie teilten ihre Untersuchungsgruppe in drei Teilgruppen
auf. Eine Gruppe erhielt ein soziales Trainingsprogramm, bei einer anderen
Gruppe wurde das soziale Trainingsprogramm mit Videounterstützung
durchgeführt, die dritte Gruppe erhielt keine Intervention. Mit der
Videounterstützung sollte eine „...Selbsteinschätzung des
Verhaltens (...), bei welcher die Versuchsperson das eigene Verhalten aktiv
beobachtet und protokolliert..." (S.144) erreicht werden.
Trainingsinhalte waren:
· Verbales Verhalten (die Probanden sollten lernen,
gesprächsinitiierende Fragen zu stellen)
· Nonverbales Verhalten (hier wurde eine angemessene
soziale Ausdrucksweise, Lautstärke und Frequenz der Stimme und die
Mimik trainiert).
Die Autoren führten Prätest-, Posttest- und
Follow-up-Messungen durch. Sie kamen zu dem Ergebnis, daß sich zwar
alle Versuchspersonen die trainierten Aspekte sozialen Verhaltens aneigneten,
eine Generalisierung dieser Verhaltensweisen und eine Anwendung im realen
sozialen Kontext allerdings nicht stattfand. Die Autoren konnten auch keine
Verbesserung der Effekte des Trainings durch die Unterstützung mit
Videoaufnahmen feststellen. „Die Resultate dieser Untersuchung (...)
legen es nahe, daß soziale Trainingsverfahren nicht effizient sind
für das Vermitteln angepaßter sozialer Verhaltensweisen im täglichen
Leben von geistig Behinderten" (S. 150).
Aufgrund der Resultate der im vorhergehenden dargestellten
Studien ist die Schlußfolgerung von Garries et al. (1992) anzuzweifeln.
Die Resultate ihrer Untersuchung generell auf alle Förderprogramme
zu übertragen erscheint unstatthaft. Vielmehr scheint der inhaltliche
Aufbau des Trainingsprogrammes den Hauptanteil am Mißerfolg zu haben.
Der entscheidende Punkt , der zum Mißerfolg dieses Programmes geführt
haben könnte, scheint das Fehlen von kognitiven Elementen zu sein.
Die Fähigkeit der Programmteilnehmer zur Diskriminierung von sozialen
Reizen, zur Interpretation der Reize, zur Suche nach Verhaltensantworten
und zur Bewertung der entsprechenden Reaktionsmöglichkeiten des Handlungspartners
wurde weder überprüft, noch gefördert.
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