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Das Siegel
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Bildbeschreibung
Was ist geistige Behinderung ?
Klassifikation von geistiger Behinderung nach ICD-10
und DSM-IV
Ursachen von geistiger Behinderung
Häufigkeit des Auftretens von geistiger Behinderung
Entwicklungsverlauf bei geistig behinderten Kindern
Verhaltensstörungen bei geistiger Behinderung
Ursachen von psychischen Störungen und Verhaltensstörungen bei geistig Behinderten
Soziale Kompetenz
Selektive Wahrnehmung
Soziale Informationsverarbeitung bei Kindern
Überprüfung der sozialen  Informations- verarbeitung bei geistig behinderten Kindern
Aufmerksamkeitsverhalten bei geistig behinderten Kindern
Zusammenhang zwischen der Wahrnehmung von Emotionen und sozialer Kompetenz bei Kindern
Trainingsprogramme zur Verbesserung der sozialen Kompetenz
Literatur
pix Dr. Sven Bielski - Geistige Behinderung und soziale Kompetenz
Entdeckungen 1 Entdeckungen 2 Entdeckungen 3 Entdeckungen 4 Entdeckungen 5
 
   
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Ursachen von psychischen Störungen und Verhaltensstörungen bei geistig Behinderten

Das von Zubin und Spring 1977 im Rahmen der Schizophrenieforschung entwickelte Vulnerabilitätsmodell ( Roder, Brenner, Kienzle & Hodel, 1991) wird in den letzten Jahren auch zur Erklärung des Auftretens von psychischen Störungen bei geistig Behinderten verwendet (David & Neukäter, 1995; Fiedler, 1994; Steiger, 1994, Theunissen & Stichling, 1997).
Eine der Aussagen des Vulnerabilitäts-Streßmodells ist, daß Menschen mit Einschränkungen im biologischen, psychischen und/oder sozialen Bereich Limitierungen erleiden, die das Risiko für sie erhöhen, bei akuten Belastungen psychisch zu erkranken (Roder et al., 1991; Steiger, 1994; Theunissen & Stichling, 1997). Schmidt (1994) beschreibt zwei verschiedene Formen der Vulnerabilität, die genetisch determinierte und die erworbene Form. Seiner Ansicht nach kann die Vulnerabilität allein schon ausreichen, um eine psychische Störung auszulösen. Kommen zusätzlich noch akute oder chronische Streßfaktoren hinzu, wird das Erkrankungsrisiko erhöht. Gegen die Stressoren können Copingfähigkeiten des Individuums wirken.

 

Abbildung 1: Vulnerabilitätsmodell  von Zubin und Spring ( vom Autor leicht modifiziert, nach Roder, Brenner, Kienzle & Hodel, 1991, S. 25).

Es ist davon auszugehen, daß geistig Behinderte ein erhöhtes Risiko besitzen, psychisch zu erkranken bzw. Verhaltensauffälligkeiten zu entwickeln (siehe Punkt 1.1.9). Dieses kann sowohl durch die Vulnerabilität sowie auch durch die erhöhten Stressoren, denen sie in unserer Gesellschaft ausgesetzt sind und die wiederum Auswirkungen auf die Vulnerabilität besitzen, begründet werden (Bradl, 1994; Schmidt, 1994; Steiger, 1994). Verschärfend kommt noch die begrenzte Verfügbarkeit von Bewältigungsstrategien (Coping Skills ) hinzu (David & Neukäter, 1995).

 


           
Abbildung 2: Modell für das Auftreten von psychischen Störungen bei geistig Behinderten (vom Autor leicht modifiziert, nach Schmidt, 1994, S. 368)

Schmidt (1994) beschreibt vier Varianten für das Auftreten von psychischen Störungen bei geistig behinderten Menschen (vgl. Abbildung 2). In der ersten Variante wird davon ausgegangen, daß die Grunderkrankung die Intelligenzminderung auslöst, aus der wiederum die psychische Störung entsteht. Diese auf defektorientierter Psychopathologie und monokausaler Ursachenzuschreibung basierende Variante bezeichnet Bradl (1994) als traditionelles psychiatrisches Erklärungsmodell. Theunissen und Stichling (1997) bezeichnen diese Variante als ‘psychiatrische Orthodoxie’. Dieses Modell hatte häufig die Nichttherapie der psychischen Störungen zur Folge. Da die Intelligenzminderung, die die psychische Störung ausgelöst haben soll, irreversibel ist, wurde auch die psychische Störung als zur Intelligenzminderung gehörig betrachtet und gleichfalls als irreversibel eingestuft.

In Variante 2 wird davon ausgegangen, daß psychische Störung und Intelligenzminderung von einer gemeinsamen Grundstörung ausgelöst werden.
In der dritten Variante wird angenommen, daß die Intelligenzminderung von der Grundstörung ausgelöst wird. Die psychische Störung entsteht aufgrund eines anderen Risikofaktors. Die Intelligenzminderung beeinflußt allerdings die Entwicklung und den Verlauf der psychischen Störung. Diese Variante wird jedoch erst in den letzten Jahren von der Forschung verstärkt wahrgenommen. Lotz und Koch (1994) schreiben, daß „...wir lernen, zwischen der Intelligenzminderung selbst und den sie eventuell begleitenden Verhaltensauffälligkeiten zu differenzieren und die »Fähigkeit« dieser Personen anerkennen, unabhängig von ihrer geistigen Behinderung psychisch zu erkranken" (S. 13).

Die vierte Variante zeigt beispielhaft, daß aufgrund der durch die Grunderkrankung ausgelösten Intelligenzminderung das Risiko ansteigt, daß weitere Faktoren entstehen, die eine psychische Störung auslösen, auf die in Entwicklung und Verlauf wiederum die Intelligenzminderung Einfluß nimmt. Ob diese Risikofaktoren stärkeren Einfluß auf die Entwicklung und den Verlauf der psychischen Störung nehmen als die Intelligenzminderung, kann naturgemäß nicht genau festgestellt werden.

Intelligenzminderung führt häufig zu ungenügender Bearbeitung von altersgemäßen Entwicklungsaufgaben aufgrund kognitiver Mängel (siehe Punkt 1.1.7). Es treten deshalb gehäuft Aufmerksamkeitsstörungen, altersunadäquate Ängste, Einnässen und Einkoten, sowie Interaktionsprobleme mit Gleichaltrigen und Erwachsenen auf (Schmidt, 1994). Diese werden in der Regel jedoch nicht als eigenständige Störung klassifiziert, da sie nach Schmidt als Symptome der Intelligenzminderung betrachtet werden. Er bezeichnet dieses als Verhaltensauffälligkeiten ohne Krankheitswert.

Schmidt stellt dar, daß als mittelbare Folge der Intelligenzminderung Entwicklungsverzögerungen auftreten (ebd.). Aus diesen entwickeln sich häufig Entwicklungsstörungen die irreversible Formen annehmen können. Diese Entwicklungsstörungen bezeichnet Schmidt als psychische Störungen von Krankheitswert.

Viele Fähigkeiten werden von geistig Behinderten aufgrund nicht vorhandener Handlungskompetenzen oder Abwehrmechanismen nicht oder nur unzureichend erworben (Schmidt, 1994). Häufig treten deshalb bei diesen Kindern Störungen wie Pica ( Kind ißt ständig nicht eßbare Stoffe), Bewegungsstereotypen mit und ohne Selbstverletzung, Einnässen, Einkoten, spezifische Phobien, sozial ängstliches und gegebenenfalls mutistisches Verhalten (Kinder verweigern das Sprechen mit anderen Personen, mit der Ausnahme von eng vertrauten Kontaktpersonen) auf.

Nach Schmidt (1994) kann Intelligenzminderung allerdings auch umgekehrt als Schutzfaktor wirken, wenn durch sie verhindert wird, daß Wahrnehmungen kognitiv adäquat verarbeitet werden, deren Verarbeitung pathogene Auswirkungen haben könnte. Er behauptet, daß die protektive Wirkung um so größer ist, je jünger und emotional undifferenzierter das intelligenzgeminderte Kind ist.