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Das Siegel
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Bildbeschreibung
Was ist geistige Behinderung ?
Klassifikation von geistiger Behinderung nach ICD-10
und DSM-IV
Ursachen von geistiger Behinderung
Häufigkeit des Auftretens von geistiger Behinderung
Entwicklungsverlauf bei geistig behinderten Kindern
Verhaltensstörungen bei geistiger Behinderung
Ursachen von psychischen Störungen und Verhaltensstörungen bei geistig Behinderten
Soziale Kompetenz
Selektive Wahrnehmung
Soziale Informationsverarbeitung bei Kindern
Überprüfung der sozialen  Informations- verarbeitung bei geistig behinderten Kindern
Aufmerksamkeitsverhalten bei geistig behinderten Kindern
Zusammenhang zwischen der Wahrnehmung von Emotionen und sozialer Kompetenz bei Kindern
Trainingsprogramme zur Verbesserung der sozialen Kompetenz
Literatur
pix Dr. Sven Bielski - Geistige Behinderung und soziale Kompetenz
Entdeckungen 1 Entdeckungen 2 Entdeckungen 3 Entdeckungen 4 Entdeckungen 5
 
   
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Deutsche Definitionen von geistiger Behinderung


Nach einer Definition des deutschen Bildungsrates (1974) gilt als geistig behindert,

„...wer infolge einer organisch-genetischen oder anderweitigen Schädigung in seiner psychischen Gesamtentwicklung und seiner Lernfähigkeit so sehr beeinträchtigt ist, daß er voraussichtlich lebenslanger sozialer und pädagogischer Hilfen bedarf. Mit den kognitiven Beeinträchtigungen gehen solche der sprachlichen, sozialen, emotionalen und der motorischen Entwicklung einher. Die Ergebnisse von validen Intelligenztests, motorischen Tests und Sozialreifeskalen können Orientierungsdaten für die Abgrenzung der geistigen Behinderung zur Lernbehinderung liefern. Die Grenze wird in der Regel bei drei Standardabweichungen unterhalb des Mittelwertes zu ziehen sein" (S.37).

Die Standardabweichung beträgt nach empirischen Untersuchungen mit dem Stanford-Binet-Test für alle Altersstufen zusammengefaßt 16 (Wendeler, 1988). Da nach der Definition des deutschen Bildungsrates zur Diagnosenstellung einer geistigen Behinderung eine Differenz von drei Standardabweichungen notwendig ist, wird von geistiger Behinderung ab einem IQ von 52 ausgegangen.
Es werden drei verschiedene Ausprägungen von geistiger Behinderung differenziert (vgl. Tabelle 1):

 

Tabelle 1: Grade geistiger Behinderung (nach Wendeler, 1993, S. 12)
Behinderungsgrad
IQ-Bereich
Häufigkeit der Behinderungsgrade
mäßig
36 - 52
58%
schwer
20 - 35
33%
sehr schwer
< 20
9%
 
 Nach  Bach (1974) liegt geistige Behinderung dann vor, „ ...wenn geringe Intelligenz (IQ <60±5) im Verhältnis zur lebensaltersgemäßen Durchschnittserwartung im Sinne eines dauernden Vorherrschens anschaulich-vollziehenden Lernens trotz optimaler Erziehungsbemühungen unter Berücksichtigung eventuell vorhandener sensorieller oder motorischer Beeinträchtigungen des Lernens festzustellen ist" (S. 19).

Nach Büttner (1984) liegen , „...nach der in der Bundesrepublik Deutschland gebräuchlichen schulorganisatorischen Einteilung (...) die IQ Werte bei Lernbehinderung etwa zwischen 85 und 70 (...), bei geistiger Behinderung unter 70" (S. 123).

Anhand der verschiedenen Definitionen ist erkennbar, daß in Deutschland kein allgemein anerkannter IQ-Grenzwert für die Diagnose einer geistigen Behinderung existiert.

Nach Wendeler (1993) wird der Begriff der geistigen Behinderung durch ein Doppelkriterium definiert. Es liegt schwache soziale Kompetenz in Verbindung mit niedriger Intelligenz vor. Diese Sichtweise, die auch von anderen Autoren vertreten wird, wurde hauptsächlich durch die entsprechende Definition der American Association on Mental Deficiency (AAMD, die American Association on Mental Deficiency hat sich in den achtziger Jahren umbenannt in American Association on Mental Retardation, AAMR ) ausgelöst (Holtz, 1994). 


 

 Mental Retardation


Die Definition des Begriffes ‘Mental Retardation’ der AAMD aus dem Jahre 1973 lautet folgendermaßen:

„Mental Retardation refers to significantly subaverage general intellectual functioning existing concurrently with deficits in adaptive behaviour , and manifested during a developmental period" (zit. nach Baumeister & Muma, 1975, S. 295).
Die AAMD Empfehlung enthält also drei Kriterien: a) Unterdurchschnittliche Intelligenz.
b) Defizite im adaptiven Verhalten, wobei adaptives Verhalten folgendermaßen definiert wird: „...the ability to live independently and the ability to abide by community standards of acceptable behaviour" (Greenspan & Gransfield, 1992, S. 445).
c) Das gemeinsame Auftreten von a) und b) innerhalb der Entwicklungsperiode.
Lempp (1991) berichtet, daß auch die klassische Einteilung des Schwachsinns sich nach sozialen Kriterien richtete. „Debil war derjenige, der in eingeschränkter Weise für sich selbst sorgen konnte, imbezill  derjenige, der sich zwar selbst noch pflegen, aber sonst nicht für sich sorgen konnte und idiotisch war derjenige geistig Behinderte, der einer ständigen Pflege bedurfte" (S.110). Greenspan und Gransfield (1992) verweisen ähnlich wie Lempp darauf, daß in den Vereinigten Staaten im 19. Jahrhundert derjenige als geistig behindert galt, der starke Defizite im adaptiven Verhalten aufwies. Mit Beginn der psychometrischen Forschung wurde geistige Behinderung zunächst nur nach IQ-Werten bestimmt. Das adaptive Verhalten wurde in die Definition der AAMD erst in den sechziger Jahren unseres Jahrhunderts wieder aufgenommen.
Die Definition der AAMR aus dem Jahre 1992 lautet folgendermaßen:
„Mental retardation refers to substantial limitations in present functioning. It is characterized by significantly subaverage intellectual functioning, existing concurrently with related limitations in two or more of the following applicable adaptive skill areas: communication, self-care, home living, social skills, community use, self-direction, health and safety, functional academics, leisure, and work. Mental retardation manifest before age 18" (Luckasson et al., 1992, S. 1).

Diese Definition ist im Verhältnis zur vorhergegangenen konkreter, da beim Kind in mindestens zwei der aufgeführten Bereiche des adaptiven Verhaltens Defizite vorhanden sein müssen, um die Diagnose ‘Geistige Behinderung’ stellen zu können.
Der amerikanische Begriff ‘mental retardation’ ist auch in einem anderen Punkt abweichend vom deutschen Terminus ‘Geistige Behinderung’. Im amerikanischen Begriff werden Lernbehinderungen unter der Bezeichnung ‘mild mental retardation’ mit einbezogen (Lotz & Koch, 1994; Wendeler, 1993). Nach der Definition der AAMD aus dem Jahre 1977 werden vier verschiedene Grade der geistigen Behinderung differenziert (vgl. Tabelle 2):

 
 

    Tabelle 2: Einteilung der Behinderungsgrade nach der Definition der AAMD (nach Grossman, 1977, S. 19).
 
Behinderungsgrade Intelligenzquotient  
nach Stanford-Binet
Intelligenzquotient  
nach Wechsler
Mild 67-52 69-55 
Moderate  51-36  54-40
Severe  35-20  39-25 
 Profound  unter 19 unter 24 
 
 
Nach der 92er Definition ist die obere IQ-Grenze zur Diagnose einer geistigen Behinderung auf 70-75 IQ-Punkte angehoben worden (Luckasson et al., 1992).

Das Diagnosesystem der AAMR aus dem Jahre 1992 basiert auf einem multidimensionalen Modell, daß aus vier Dimensionen besteht:
 

    1. Dimension: Intelligenzniveau und adaptives Verhalten
    2. Dimension: Psychologische/Emotionale Umstände
    3. Dimension: Physische/Gesundheitliche/Ätiologische Umstände
    4. Dimension: Soziale Umgebung des Kindes.
Der Diagnoseprozeß wird in drei Schritten durchgeführt:
 
    1. Schritt: Diagnose einer geistigen Behinderung (Dimension 1)
    2. Schritt: Klassifikation und Beschreibung (Beschreibung der Stärken und Schwächen in den Dimensionen 2,3,4)
    3. Schritt: Art und Intensität der benötigten Hilfe (in allen vier Dimensionen).
Die Diagnosenstellung wird mit einem standardisierten Diagnosebogen durchgeführt, um eine einheitliche Durchführung der drei Diagnoseschritte zu gewährleisten (vgl. Luckasson et al., 1992). Der dritte Schritt des Diagnoseprozesses ‘Art und Intensität der benötigten Hilfe’ ersetzt die Einteilung nach Behinderungsgraden der vorhergegangenen Klassifikationssysteme der AAMR. Die ‘Art und Intensität der benötigten Hilfe’ wird folgendermaßen differenziert:
 
    a) Intermittent (zeitweise)
    b) Limited (begrenzt)
    c) Extensive (ausgedehnt)
    d) Pervasive (allumfassend)
Nach Eggert (1993) setzt sich die Ansicht langsam durch, daß man anhand von Intelligenzquotienten keine sinnvollen Untergruppen von Menschen mit geistiger Behinderung bilden könne. Er sieht einen Wandel von der Beschreibung von typologischen Gruppenmerkmalen hin zum Aufbau individualisierter Erziehungspläne. Diese Einschätzung Eggerts deckt sich mit der Klassifizierung nach ‘Art und Intensität der benötigten Hilfe’ durch die AAMR.